Holsteiner KlöönSNACK - Ausgabe Kiel / Eckernförde - Oktober 2023
Das Magazin für die Region Kiel / Eckernförde - Aktuelle, lokale Berichterstattung von Menschen aus der Region für die Region
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10<br />
LOKALES<br />
Der Jahrhundertwinter 1783/84<br />
Am 28. Mai 1784 musste die Kanal-Ausführungs-Kommission in Groß Königsförde kleinlaut an ihre<br />
Aufsichtsbehörde in Kopenhagen berichten, der geplante Termin der Eröffnung des Schleswig-Holsteinischen<br />
Kanals im Juli 1784 sei nicht zu halten.<br />
Gedenkmarke zum Vulkanausbruch<br />
von 1783 von 1983<br />
Schleuse Klein Königsförde<br />
Schleuse Rathmannsdorf Fotos: KD<br />
Seit 1777 wurde an diesem damals<br />
weltweit Aufsehen erregenden<br />
Projekt, dem Vorgängerbau<br />
des Nord-Ostsee-Kanals,<br />
gearbeitet. Die „so sehr gewünschten<br />
Erwartungen“ könnten<br />
nicht in Erfüllung gehen,<br />
hieß es. Als Begründung wird<br />
angeführt: „Der notorisch eingetretene<br />
harte Winter hat nicht<br />
allein fast alle Erdarbeit im<br />
Winter untersagt, auf welche<br />
man doch nach Maßstabe der<br />
vorigen Winter sich Hoffnung<br />
machen können, sondern auch<br />
die ungewöhnlich lange Fortdauerung<br />
des Frostes und der<br />
rauhen Witterung bis Ausgang<br />
des Aprils hat keine recht würksame<br />
Fortsetzung der Ausgrabungs-,<br />
Ausmudderungs- und<br />
anderer Erdarbeiten als mit Anfang<br />
dieses Monats zu lassen<br />
wollen.“<br />
Das Problem hatte sich früh angedeutet:<br />
Bereits Anfang Dezember<br />
1783 hatte der für den<br />
Streckenabschnitt bei Landwehr<br />
verantwortliche Ingenieur<br />
Leutnant von Czernikow in Königsförde<br />
angefragt, ob er die<br />
für die „Austiefung“ des Flemhuder<br />
Sees vorhandenen Maschinen<br />
nicht vorzeitig an Land<br />
ziehen lassen dürfe, bevor sie<br />
„völlig eingewintert“ seien.<br />
Kurz nach dem Jahreswechsel<br />
musste die Königsförder Bauaufsicht<br />
nach Kopenhagen melden,<br />
wegen des ungewöhnlich<br />
harten Frosts, der seit Ende Dezember<br />
herrsche, hätten die Arbeiten<br />
am Kanal weitgehend<br />
eingestellt werden müssen, und<br />
am 3. Februar berichtet Czernikow<br />
aus Landwehr nach Königsförde,<br />
die Aufseher bei den<br />
am Flemhuder See<br />
immer noch durchgeführten<br />
Rammarbeiten<br />
könnten nur<br />
abwechselnd eingesetzt<br />
werden.<br />
„denn in dieser unerträglichen<br />
Kälte<br />
würde einer die Arbeitsstunden<br />
ohne<br />
Ablösung unter<br />
freyem Himmel zuzubringen<br />
nicht<br />
aushalten;“<br />
Schon im Sommer<br />
1783 waren merkwürdige<br />
Wetterphänomene<br />
zu beobachten<br />
gewesen. So<br />
berichtet der Plöner<br />
Maurermeister<br />
Heinrich Christian<br />
Struck, im Juli 1783<br />
habe es zehn Tage<br />
lang einen „großen<br />
Nebel“ gegeben.<br />
Die Sonne habe ihren<br />
Glanz verloren,<br />
habe morgens und<br />
abends „ganz roth<br />
und betrübt“ am<br />
Himmel gestanden. Am 24. und<br />
25. Juli sei ein starker „Thau“<br />
zu beobachten gewesen, der das<br />
Korn sehr beschädigt habe. Die<br />
Folge sei eine Verknappung des<br />
Getreides gewesen, und das<br />
Gras auf den Weiden sei verdorrt,<br />
was zu einer großen<br />
Teuerung geführt habe.<br />
Ratlos standen die Zeitgenossen<br />
damals vor diesen Phänomenen.<br />
Es sollte zweihundert<br />
Jahre dauern, bis Wissenschaftler<br />
die Ursache herausfanden<br />
und dabei feststellten, dass sowohl<br />
die beschriebenen Phänomene<br />
wie auch der starke Niederschlag<br />
des Spätsommers<br />
und Herbstes und das epidemische<br />
Auftreten des „Faulfiebers“<br />
unter den Arbeitern der<br />
Kanalbaustelle die gleiche Ursache<br />
hatten: Sie lag mehrere<br />
tausend Kilometer entfernt im<br />
Nordatlantik. Zwischen dem 8.<br />
Juni 1783 und dem 7. Februar<br />
1784 war es an der Südküste Islands<br />
zu insgesamt zehn Eruptionsepisoden<br />
des Laki-Vulkans<br />
gekommen. Entlang einer 27 Kilometer<br />
langen Spalte wurde<br />
die gewaltige Menge von etwa<br />
15 km3 Lava in 800 bis 1400<br />
Meter hohen Lavafontänen herausgeschleudert.<br />
An den Folgen<br />
starb etwa ein Fünftel der<br />
Bewohner Islands. Das früheste<br />
Auftreten von Dunstfahnen ist<br />
für England bereits für den 12.<br />
Juni als dem Tag des frühesten<br />
Auftretens einer vulkanischen<br />
„Haze“ dokumentiert. Aus Berlin<br />
gibt es für den 17. Juni die<br />
ersten Berichte von einem<br />
merkwürdigen Dunst. Bis zum<br />
26. Juni war fast ganz Europa<br />
Brückenportale in Kluvensiek<br />
eingehüllt in den dichten,<br />
trocknen Schleier. In vielen<br />
Quellen wird berichtet, dass<br />
der Dunst zwischen Mitte September<br />
und Mitte <strong>Oktober</strong> verschwand.<br />
Neben den gewaltigen Lavaund<br />
Aschemengen waren große<br />
Mengen Schwefeldioxid und<br />
weiterer chemischer Verbindungen<br />
in die Atmosphäre entlassen<br />
worden. Für mehr als<br />
fünf Monate hing eine Wolke<br />
mit Schwefelpartikeln über der<br />
nördlichen Halbkugel. Die in<br />
der Atmosphäre entstandenen<br />
chemischen Verbindungen<br />
schlugen sich als giftiger Film<br />
auf der Vegetation nieder und<br />
sorgten in großen Teilen<br />
Europas für eine extreme vulkanische<br />
Umweltverschmutzung.<br />
Die tiefe Verunsicherung in diesem<br />
„Jahr der Angst“ rührt in<br />
erster Linie her von einem so<br />
noch nie erlebten ungewöhnlichen<br />
trockenen Dunst oder Nebel,<br />
den man sich nicht erklären<br />
konnte. Bei den im Glauben<br />
verwurzelten Menschen des<br />
ausgehenden 18. Jahrhunderts<br />
entstand der Eindruck, ein göttliches<br />
Strafgericht kündige sich<br />
an. Dies und die um sich greifende<br />
Epidemie mag dazu beigetragen<br />
haben, dass viele Arbeiter<br />
die Kanalbaustelle zwischen<br />
der <strong>Kiel</strong>er Förde und<br />
Rendsburg fluchtartig verließen<br />
und zurück nach Hause in die<br />
Elbmarschen, ins Hannoversche<br />
oder nach Mecklenburg<br />
und Pommern wanderten.<br />
(Karsten Dölger)