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FOCUS_41_2023_Obermann

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WIRTSCHAFT<br />

TITEL<br />

Sie haben die besseren Startchancen der<br />

anderen nie als ungerecht empfunden?<br />

Oh doch! Klar. Und für Kinder aus gleichermaßen<br />

sozial schwachen wie bildungsfernen<br />

Familien sind die Chancen<br />

wirklich nicht vergleichbar. Das ist und<br />

bleibt eine Schande.<br />

Stand Ihnen ganz oben als Telekom-Chef<br />

eigentlich mal Ihre Herkunft im Weg?<br />

Ich musste natürlich aufpassen, selber<br />

keine Vorurteile zu entwickeln gegenüber<br />

Kolleginnen und Kollegen aus „guten“<br />

Häusern. Solche verspäteten Neidgefühle<br />

wären genauso unfair wie Misstrauen<br />

gegenüber jemanden aus armen Verhältnissen.<br />

Es dürfen nur Integrität, Kompetenz<br />

und Leistung zählen. Gerade einem<br />

Konzern wie der Telekom hilft es, eine<br />

auch sozial divers geprägte Belegschaft<br />

zu haben. Das Unternehmen bedient mit<br />

seinen Produkten ja auch alle Schichten.<br />

Hat die soziale Durchlässigkeit in<br />

Deutschland nachgelassen?<br />

Sie hat zumindest nicht ausreichend zugenommen.<br />

Einerseits erreichen heute<br />

rund 40 Prozent der Jugendlichen die Allgemeine<br />

Hochschulreife. Andererseits ist<br />

Schule nicht gleich Schule. Die Finanzelite<br />

schickt ihre Kids auf Eliteschulen. Und es<br />

gibt einen unverändert hohen Anteil, der<br />

durch jeden schulischen Rost fällt. Das dürfen<br />

wir nicht zulassen. Es ist gesellschaftlich<br />

maximal unfair und angesichts des<br />

demografischen Wandels und des wachsenden<br />

Fachkräftemangels einfach dumm.<br />

Die Unternehmerin Anna Maria Braun wies<br />

im Interview mit uns darauf hin, dass ihr<br />

Konzern selbst aktiv wird mit Förderprogrammen,<br />

weil 2,5 Millionen junge Menschen<br />

keine abgeschlossene Ausbildung haben …<br />

… was ein echter Skandal ist.<br />

Frau Braun erzählte auch, wie aufwendig<br />

es werden kann, wenn eine Eins-zu-eins-<br />

Begleitung eines Jugendlichen nötig wird …<br />

… die wir uns als Land sparen könnten,<br />

wenn wir uns eine bessere Unterstützung<br />

von der Kita bis zur Oberschule leisten<br />

würden. Ebenso eine ganztägige und<br />

flächendeckende pädagogisch geschulte<br />

Betreuung, nicht nur, aber auch für die<br />

Vielzahl der Flüchtlingskinder.<br />

Wer zahlt das?<br />

Eltern, die das Geld haben, sollen es<br />

selbst bezahlen. Die anderen müssten<br />

dafür mehr staatliche Unterstützung bekommen.<br />

Dafür würde ich als Gutverdiener<br />

gern einen Bildungssoli bezahlen.<br />

Wir dürfen nicht zulassen, dass eine<br />

große Zahl von Kindern in unserem Land<br />

quasi unerkannt in die geistige Verwahrlosung<br />

rutscht. Ich habe schon vor Jahren<br />

gesagt, dass wir einen Pakt brauchen<br />

Politischer Posten <strong>Obermann</strong> 2008 als Telekom-Chef<br />

mit Bundeskanzlerin Angela Merkel<br />

Privates Glück Der Manager im Jahr 2017 mit<br />

seiner Frau, der ZDF-Journalistin Maybrit Illner<br />

zwischen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft.<br />

Passiert ist leider nichts.<br />

Hat das nicht auch mit der Kurzatmigkeit<br />

der Politik zu tun, die nur bis zu<br />

den nächsten Wahlen denkt?<br />

Mag sein. Ich glaube aber, dass viele<br />

Bundesbürger Verständnis zeigen würden,<br />

wenn man ihnen das Projekt gut erklärt.<br />

Bildung wird doch immer als eines der<br />

wichtigsten Themen genannt. Wir müssen<br />

jetzt anfangen, um in 20 Jahren die<br />

Früchte zu ernten.<br />

Grünen-Familienministerin Lisa Paus hat<br />

jüngst eine Kindergrundsicherung erkämpft.<br />

FDP-Finanzminister Christian Lindner warnt<br />

vor Fehlsteuerungen. Wo stehen Sie da?<br />

Es löst sicher nicht allein die Probleme,<br />

pauschal den Eltern in sozialschwachen<br />

Verhältnissen mehr Geld zu geben. Wir<br />

brauchen jetzt viel Geld und Kompetenz,<br />

um die Zahl der Erzieher und Lehrerinnen,<br />

deren pädagogische Möglichkeiten, die<br />

schulische Infrastruktur und Ausstattung<br />

zu verbessern, und zwar schnellstens. Es<br />

müssen auch nicht alle studieren. Unsere<br />

Fachkräfte der Zukunft können wir mit<br />

der dualen Ausbildung sehr gut entwickeln,<br />

von Handwerk oder Industrie über<br />

medizinische Berufe bis zur IT.<br />

Wer schafft es am Ende nach oben?<br />

Jene, die frühzeitig verstehen, dass sie<br />

sich insgesamt gut und auch technologisch<br />

ausbilden müssen. Weitsichtige und<br />

finanziell gut ausgestattete Elternhäuser<br />

können helfen. Aber das und gute Schule<br />

allein reichen nicht. Es kommt auf dich<br />

selbst an: Was willst du, wovon träumst<br />

du? Machen wir uns nichts vor: Aufstieg<br />

ist anstrengend, kostet viel Kraft und Zeit.<br />

Was hieß das in Ihrem Fall?<br />

Dass ich als Unternehmer und Manager<br />

70 bis 80 Stunden pro Woche arbeiten<br />

musste. Bis heute hat sich das nicht grundlegend<br />

geändert. Als Gründer kannte ich<br />

kein Wochenende oder längere Urlaube.<br />

Meine Arbeit war und ist nach wie vor<br />

faszinierend. Aber man muss das wollen.<br />

Wie erleben Sie die hiesigen Debatten um<br />

Work-Life-Balance oder Vier-Tage-Woche?<br />

Was eine gute Work-Life-Balance ist,<br />

muss jeder für sich selbst herausfinden.<br />

Egal in welchem Job – wer etwas Großes<br />

gestalten will, muss Zeit investieren, sich<br />

sehr anstrengen und dauernd hinzulernen.<br />

Egal ob als Künstler, Handwerkerin,<br />

Manager, Unternehmerin oder Beamte.<br />

Klingt wie: Von nix kommt nix.<br />

Was ich nicht gut finde, ist der Anspruch,<br />

für immer weniger Arbeit die gleiche<br />

Bezahlung zu bekommen. Wenn Unternehmen<br />

heute alle möglichen Arten von<br />

Arbeitszeitmodellen anbieten, ist das<br />

super und hilft im Kampf um die besten<br />

Talente, der längst weltweit stattfindet.<br />

Aber was wir gesamtgesellschaftlich nicht<br />

erwarten können, ist eine Wirtschaft, die<br />

letztlich die Freizeit alimentiert. Umverteilung<br />

allein schafft nicht Wohlstand<br />

und Gerechtigkeit. Ich bin dagegen, den<br />

Leistungsgedanken abzuschaffen – in der<br />

Schule wie auch im Beruf.<br />

Ihre eigenen Töchter wuchsen in<br />

Wohlstand auf. Wie haben Sie denen<br />

die nötige Sensibilität bewahrt?<br />

Musste ich nicht. Die sind sehr geerdet,<br />

frei von Dünkel und in einer diversen Community<br />

großgeworden, erst in Münster, später<br />

in Bonn. Klar ging es uns wirtschaftlich<br />

sehr gut. Aber unsere Familien sind ganz<br />

normale Leute. Meine Töchter verfolgen<br />

ihre beruflichen Träume sehr engagiert.<br />

Heute als Finanzinvestor haben Sie mit<br />

einer extrem homogenen Truppe gleich<br />

gesinnter Topkräfte zu tun, oder?<br />

Diese Homogenität besteht allenfalls<br />

in der Top-Ausbildung. Und in der Hinsicht,<br />

dass alle kluge, junge Leute sind<br />

und etwas erreichen wollen. Wir haben<br />

das riesige Privileg, dass sich so gut ausgebildete<br />

Leute für uns entscheiden …<br />

… sagt der Mann, der einst sein Studium<br />

der Volkswirtschaft abbrach.<br />

Ich habe gleich am Anfang des Studiums<br />

in Münster eine Telekommunikations-<br />

Firma gegründet, die schnell größer wurde.<br />

Da musste ich mich entscheiden.<br />

Was erinnert Sie heute noch an Ihre Wurzeln<br />

in der „Unteren Mittelschicht" Ihrer Oma?<br />

Ich mag keine Verschwendung, lasse tatsächlich<br />

das Wasser nicht unnötig laufen<br />

und schalte das Licht aus, wenn ich<br />

einen Raum verlasse. Vor allem: Ich kann<br />

kein Essen wegschmeißen und bin erst<br />

dann fertig, wenn mein Teller leer ist.<br />

Schräg, oder? 7<br />

Fo t o s : J é r ô m e D e p i e r r e f ü r F O C U S - M a g a z i n , i m a g o i m a g e s , B r a u e r P h o t o s<br />

58<br />

<strong>FOCUS</strong> <strong>41</strong>/<strong>2023</strong>

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