Dicker Herbst/Winter 2023
schwule Literatur, Sachbuch, Film, Bildbände
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ROMANE & ERZÄHLUNGEN
ROMANE & ERZÄHLUNGEN
AUS DER TIEFE
Oscar Wilde
Gebunden, 368 Seiten, 38,00 €
ROLANDS
Oscar Wilde ließ sich von seinem Liebhaber Alfred
Douglas dazu verleiten, dessen Vater wegen
übler Nachrede anzuklagen, weil der ihn
einen affektierten Homosexuellen genannt
hatte – was für alle Welt eigentlich offen zutage
lag. Damit stürzte er sich selbst ins Verderben
und wurde zu zwei Jahren Zwangsarbeit
verurteilt, einer Erfahrung, die sein Weltbild
von Grund auf veränderte.
Noch im Zuchthaus schrieb er einen langen Brief an Lord Alfred, in
dem er zutiefst verbittert mit ihrer Liebesaffäre abrechnet, zugleich
aber auch beschreibt, wie sich der Realitätsschock des Gefängnisaufenthalts
auf seine Persönlichkeit ausgewirkt hat. Dieser lange Brief wurde
nach Wildes Tod unter dem Titel De Profundis veröffentlicht; der Titel
zitiert den Beginn des 130. Psalms: „Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu dir.“
Für diese Neuübersetzung wurde auch der Titel ins Deutsche übertragen.
Wildes Brief ist bei aller Bitternis sein literarisches Vermächtnis und
ein umwerfendes Dokument schwulen Lebens zur vorigen Jahrhundertwende.
Colm Toíbin, Ire wie Wilde und ein begnadeter Schriftsteller, hat
das Nachwort verfasst – ein weiterer Grund, sich vom stolzen Preis nicht
abschrecken zu lassen und das Buch zu erwerben.
Wildes Brief wurde von Brian Gilbert verfilmt, mit Stephen Fry und Jude
Law als Oscar Wilde und Alfred Douglas. Die DVD ist für 12,90 € erhältlich.
MEIN GURU UND SEIN SCHÜLER
Christopher Isherwood. Gebunden, 384 Seiten, 28,00 €
In seinem letzten Buch erinnert sich
Isherwood an seine Emigration nach
Amerika Ende der Dreißigerjahre. Nach
der Ankunft in New York ließ er sich zunächst
in Los Angeles nieder. Dort traf er
auf Swami Prabhavananda, einen hinduistischen
Mönch, der von nun an sein
spiritueller Begleiter wurde. Es folgt ein
Leben zwischen den Extremen: Nächtliche
Trinkgelage, sexuelle Abenteuer und
Hollywoods Glamour-Welt wechseln sich ab mit Meditation und Abstinenz – ein
beständiges Ringen von Weltlichkeit und Religiosität.
Bereits im Jahr 1967 hatte Isherwood in seinem Roman Begegnung am Fluss
seine Faszination für indische Religiosität thematisiert:
Begegnung am Fluss, Gebunden, 208 Seiten, 25,00 €
EMPFEHLUNG
TORERO, ICH HAB ANGST
Pedro Lemebel. Gebunden, 213 Seiten, 23,00 €
Diese Neuauflage von Träume aus Plüsch (2004)
erzählt aus der Perspektive einer in die Jahre
ge kommenen Tunte vom Niedergang der Pinochet-
Diktatur in Chile. Längst in eine Traumwelt aus Kitsch
geflüchtet, lernt sie einen jungen Studenten kennen,
der ein Attentat auf den Diktator plant, und zwischen
den beiden entwickelt sich eine zarte R omanze.
Um diese späte Liebe zu verteidigen, wächst die
ver achtete Schwuchtel über sich hinaus und setzt
sogar ihr Leben aufs Spiel. Ein tolles Buch und ein
guter Grund, an einen anderen Klassiker revolutionären Tuntentums in Lateinamerika
zu erinnern:
Der Kuss der Spinnenfrau, Manuel Puig, Taschenbuch, 304 Seiten, 12,00 €
BITTE LÄCHELN!
David Sedaris. Gebunden, 286 Seiten, 24,00 €
Seit nunmehr dreißig Jahren schreibt David Sedaris
seine launigen Geschichten über die Tücken des
Alltags. Das erstaunliche daran: Bis jetzt nutzt er
sich nicht ab. Er ist routinierter geworden, aber die
Pointen sind noch immer originell und sie sitzen. Die
achtzehn Erzählungen dieses neuen Sammelbands
garantieren also einige sehr vergnügliche Stunden,
und man erfährt Wissenswertes über Penissonden,
das Verschenken von 50-$-Scheinen und das
menschenleere New York im Lockdown. Und wer sich
fragt: Ist das komisch?, dem kann ich antworten: Aber hallo!
KLEINE HAPPEN
Tagebücher 2003–2020
David Sedaris. Gebunden, 654 Seiten, 26,00 €
Sedaris schreibt nicht nur seit dreißig Jahren Erzählungen,
er schreibt auch Tagebuch. Nach Wer’s findet,
dem gehört‘s über die Jahre 1997-2002 folgt nun
der zweite Band. Der Titel ist wirklich zutreffend: Da
Sedaris ohnehin ein Meister der Alltagsgeschichten
ist, unterscheiden sich diese Tagebucheinträge vor
allem durch ihre Länge bzw. Kürze von den Erzählungen,
es sind kleinere „Happen“. Auch hier überrascht
immer wieder die schlafwandlerische Sicherheit des
Autors, das komische Potenzial einer Situation zu erkennen. Angesichts von Corona
bleibt allerdings auch ihm der Witz im Halse stecken.
e i s e n h e r z . b e r l i n
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