Weihnachtssingen Einmal jährlich in Einklang mit allen Gemeinsam singt es sich am besten: Weihnachtssingen im Kiez Fotos: XY 4 <strong>Weihnachten</strong> <strong>2023</strong>
Weihnachtssingen Dass in Kirchen im Advent gemeinsam Weihnachts lieder gesungen werden, ist nichts Neues. Doch nun beeinflusst die Sehnsucht, vor Heiligabend mit eigener Sangeskraft buchstäblich für Stimmung zu sorgen, auch das Repertoire der wachsenden Anzahl von Mitsingkonzerten. Auf dem Programm stehen hier meist englischsprachige Xmas-Songs Text: Eva Apraku Foto: Katharina Wendland Stille Nacht, heilige Nacht? Nicht so am 23. Dezember im Stadion An der Alten Försterei in Berlin Köpenick. Denn wenn dort zum dann 18. Mal das gemeinsame Weihnachtssingen stattfinden wird, stehen zwar die Chancen sehr gut, dass auch Franz Xaver Grubers über 200 Jahre alter Weihnachtsklassiker wieder gesungen wird. Da dann aber fast 30.000 Laiensänger:innen auf den Zuschauerrängen und dem Spielfeld ihre Stimmen erheben, kann von „Stille“ keine Rede sein. Als 2003 genau 89 vorwitzige 1.FC- Union-Fans kurz vor Heiligabend auf die Idee kamen, heimlich in „ihr“ Fußballstadion „einzubrechen“, um dort zusammen Weihnachtslieder zu singen, konnte sich wohl niemand vorstellen, welch gigantische Lawine da losgetreten werden würde. Jahr um Jahr wuchs (bis auf zwei Corona-Jahre) an der Alten Försterei nicht nur die Anzahl an Mitsänger:innen – wer kein Vereinsmitglied ist, hat keine Chance mehr, an eine der teils kostenlosen Karten heranzukommen. Das Virus „Weihnachtssingen in Fußballstadien“ verbreitete sich von Köpenick aus auch rasant in die unterschiedlichsten Arenen der Republik: So preist man im Advent längst auch auf Schalke, bei Fortuna Düsseldorf, dem VfL Stuttgart und dem 1. FC Köln stimmgewaltig den „O Tannenbaum“. Was Fußballfans bestens wissen, dass nämlich gemeinsam in einer Gruppe geschmetterte Hymnen oder Schlachtgesänge verbindend wirken, das wurde inzwischen auch außerhalb der Stadien entdeckt, genauer: Von der Kölnerin Katrin Höpker, die 2008 erstmals zu ihrem Mitsingkonzert „Frau Höpker bittet zum Gesang“ einlud. Seitdem wurde ihr Mitsing-Format landauf, landab aufgegriffen, wenn auch oft modifiziert. Cem Arnold Süzer, einer der Musiker von „Sing dela Sing“, die seit 2016 in und außerhalb Berlins zu Mitsingkonzerten einladen, glaubt, dass das wachsende Interesse an dieser Veranstaltungsart auch daher rührt, dass immer mehr Menschen nicht nur konsumieren, sondern Sachen selbst machen wollen: Brot backen, Marmelade kochen – und eben selber singen, statt nur anderen zuzuhören. Letzteres eben auch zur Weihnachtszeit: Gleich dreimal hintereinander laden die „Sing dela Sing“-Musiker zwischen dem 10. und 12. Dezember zum gemeinschaftlichen Adventssingen in den Neuköllner Heimathafen: „Beim Publikum steht dahinter auch der Wunsch, in Zeiten von krassen Nachrichten mehr zusammenzurücken“, glaubt Süzer. Mit altem deutschem Liedgut, also meist christlich geprägten Liedern wie „Alle Jahre wieder“ oder „Ihr Kinderlein kommet“ braucht man dem Publikum – zumindest der etablierten Mitsing- Reihen – aber eher nicht zu kommen. Stattdessen prangen, wie etwa beim „Weihnachtssingen im Kiez“ (Kesselhaus der Kulturbrauerei), die Lyrics von Mariah Careys „All I Want For Christmas Is You“ oder von Whams „Last Christmas“ für textunsichere Mitsingende übergroß auf der Leinwand. Beim Adventssingen von „Sing dela Sing“ zieht man die Kreise sogar noch weiter. Auch eigentlich weihnachtsfremde Songs wie „Feels like Heaven“ von Fiction Factory oder Robbie Williams hymnisches Stück „Angel“ haben laut Cem Arnold Süzer gute Chancen, diesen Dezember im Heimathafen für Festtagsstimmung zu sorgen. Ohnehin wurde die erhebende Wirkung von Singen, vor allem von: gemeinschaftlichem Singen, inzwischen gut erforscht. Wissenschaftler wie der Musikpsychologe Gunter Kreutz berichten darüber, dass die Konzentration auf die Stimme die Atmung positiv reguliere und meditativ wirke – egal, ob man die Töne trifft. Der Level des Stresshormons Cortisol im Blut sinkt, wohingegen das Kuschelhormon Oxytocin ausgeschüttet wird. Dass die Vorgaben von Rhythmus und Text eine Gruppe dann auch noch zusätzlich synchronisieren, schafft etwas, was wir uns auch sonst im Leben öfters wünschen: Uns einmal echt in Einklang mit anderen zu fühlen. <strong>Weihnachten</strong> <strong>2023</strong> 5