Lilienthaler - Das Magazin 6-2023
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Der Weihnachtsfrieden<br />
von Turku<br />
In der im Südwesten Finnlands gelegenen<br />
Küstenstadt Turku gibt es seit dem Jahre<br />
1320 einen Brauch, der bis heute gehalten<br />
wurde und der heutigentags im Radio und im<br />
Fernsehen live bis in den letzten Winkel dieses<br />
großflächigen Landes übertragen wird. So<br />
wohl auch an diesem 24. Dezember <strong>2023</strong>.<br />
Wenn wir uns gedanklich an diesen Ort versetzen,<br />
würden wir folgendes erleben:<br />
Der Platz, vor dem aus dem Mittelalter stammenten<br />
Dom von Turku, der früheren Hauptstadt<br />
Finnlands, ist weihnachtlich festlich geschmückt.<br />
Es haben sich eine große Zahl Leute<br />
versammelt, die gespannt auf den Balkon<br />
des gegenüberliegenden alten Rathauses<br />
blicken, von wo der alljährlich Weihnachtsfrieden<br />
alsbald verkündet werden wird.<br />
Die am Dom stehende stattliche Statue des<br />
berühmten Bischofs Mikael Agrikola, Schüler<br />
Melanchtons und Übersetzer des Neuen Testaments<br />
ins Finnische im 16. Jahrhundert, blickt<br />
auf die wartende Menschenmenge. Der Bürgermeister<br />
der Stadtverwaltung verkündet:<br />
„Morgen, so Gott vergönnt, ist unseres Herren<br />
und Heilands gnadenreiches Geburtsfest. Also<br />
wird hiermit ein allgemeiner Weihnachtsfrieden<br />
verkündet, alle dazu ermunternd, dieses<br />
Fest mit gebührender Besinnung zu feiern sowie<br />
sich im Übrigen still und ruhig zu verhalten,<br />
denn derjenige, der diesen Frieden bricht<br />
und das Weihnachtsfest durch ungesetzliches<br />
oder unanständiges Benehmen stört, ist unter<br />
erschwerenden Umständen schuldig für die<br />
Strafe, die das Gesetz und die Verordnungen<br />
Seit 703 Jahren wird zunächst von der Kanzel<br />
des Domes inzwischen jedoch vom Rathausbalkon<br />
aus der jedes Jahr „Weihnachtsfrieden“<br />
verkündet. Die 12-Uhr-Schläge der Domglocke<br />
werden sogar jeden Tag im Finnischen Rundfunk<br />
übertragen.<br />
für ein jedes Verbrechen und Vergehen gesondert<br />
festsetzen.“<br />
Zum Schluss wird allen Einwohnern ein freudenreiches<br />
Weihnachtsfest gewünscht. Der<br />
Weihnachtsfrieden soll drei Tage andauern.<br />
Dieser schon seit dem Mittelalter ununterbrochen<br />
bis heute vorgetragenen Aufruf in Turku,<br />
das bis zum Großbrand 1822 die Hauptstadt<br />
Finnlands war, mag uns etwas merkwürdig vorkommen,<br />
ist aber in dieser Form Tradition und<br />
gerade in unserer unruhigen und ereignisreichen<br />
Zeit sicherlich hilfreich. Der Weihnachtsfrieden<br />
wurde ursprünglich von der Kanzel des<br />
Doms verkündet. Die Botschaft sollte aber alle<br />
erreichen, nicht nur die Kirchgänger.<br />
Text: Horst Schubert<br />
36 <strong>Lilienthaler</strong> · 6 <strong>2023</strong>