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Christfried Böttrich: Das Evangelium nach Lukas (Leseprobe)

Lukas ist nicht der Erste, der ein Evangelium schreibt. In seinem Vorwort blickt er zurück auf die »Vielen«, die vor ihm schon eine Erzählung über die Ereignisse um den Propheten aus Nazaret abgefasst haben. Was veranlasst ihn, einen erneuten Versuch zu unternehmen? Und worin besteht das besondere Anliegen seines Entwurfes? Der außerordentlich hilfreiche Kommentar geht diesen Fragen nach, in dem er sowohl den historischen Kontext als auch die theologischen Akzente in der Jesus-Christus-Geschichte des Lukas sichtbar macht. Der dritte Evangelist ist ein Wanderer zwischen den Welten: Als Judenchrist bleibt er in der Geschichte des Gottesvolkes verwurzelt; als Diasporajude bemüht er sich, die »frohe Botschaft« dem gebildeten Publikum der hellenistisch-römischen Welt nahezubringen. Dabei wird der »Weg« zu seinem herausragenden und beherrschenden Motiv. Ursprung und Ziel dieses Weges prägen das theologische Profil jeder einzelnen Perikope und verleihen dem lukanischen Erzählwerk im Ganzen eine Dynamik, die es bis heute zu einer faszinierenden und stimulierenden Lektüre macht.

Lukas ist nicht der Erste, der ein Evangelium schreibt. In seinem Vorwort blickt er zurück auf die »Vielen«, die vor ihm schon eine Erzählung über die Ereignisse um den Propheten aus Nazaret abgefasst haben. Was veranlasst ihn, einen erneuten Versuch zu unternehmen? Und worin besteht das besondere Anliegen seines Entwurfes?
Der außerordentlich hilfreiche Kommentar geht diesen Fragen nach, in dem er sowohl den historischen Kontext als auch die theologischen Akzente in der Jesus-Christus-Geschichte des Lukas sichtbar macht. Der dritte Evangelist ist ein Wanderer zwischen den Welten: Als Judenchrist bleibt er in der Geschichte des Gottesvolkes verwurzelt; als Diasporajude bemüht er sich, die »frohe Botschaft« dem gebildeten Publikum der hellenistisch-römischen Welt nahezubringen. Dabei wird der »Weg« zu seinem herausragenden und beherrschenden Motiv. Ursprung und Ziel dieses Weges prägen das theologische Profil jeder einzelnen Perikope und verleihen dem lukanischen Erzählwerk im Ganzen eine Dynamik, die es bis heute zu einer faszinierenden und stimulierenden Lektüre macht.

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Galiläa 4,14–9,50<br />

89<br />

Predigttextes ein, zu dem er sich selbst positioniert; auch die Predigtbeispiele (25–27)<br />

und die versuchte Lynchjustiz (28–30) gehen auf sein Konto. Der Konflikt ist bei Lk<br />

vielschichtiger als bei Mk, wo das »Anstoß nehmen« durchgängig als die Haltung der<br />

Nazarener erscheint.<br />

Der Textabschnitt, gern als »Antrittspredigt« bezeichnet, bietet keine wirkliche<br />

Rede, sondern eine Ansammlung bedeutsamer Statements. Während die Synagogengemeinde<br />

zunächst Jesu Worten beipflichtet, brüskiert dieser sie auf dreifache Weise:<br />

Er unterstellt ihnen die Forderung <strong>nach</strong> Wundern, fügt das Sprichwort vom Propheten<br />

in seiner Vaterstadt an und hält ihnen »ärgerliche Vorbilder« vor. Daraufhin schlägt die<br />

Zustimmung um in Aggression. Zwischentöne fehlen. Die Schnitte sind hart und übergangslos.<br />

Für Lk hat diese »Rede« in erster Linie die Funktion, mit dem Predigttext<br />

eine Art Zeitzeichen zu setzen sowie mit den kommunikativen Brüchen grundlegende<br />

Beziehungskonstellationen zu beschreiben.<br />

16 Die Rückkehr vom Jordan gilt gezielt dem Heimatort Nazaret. Die Nennung des<br />

Ortes sowie der Verweis auf Jesu Kindheit rufen den ersten Teil in Erinnerung und<br />

setzen zugleich einen neuen Anfang. Jesu öffentliches Auftreten beginnt im vertrauten<br />

Umfeld. Dabei erweist sich die bereits eingeführte Frömmigkeit seiner Familie als ein<br />

Moment der Kontinuität: die Synagoge ist für den Erwachsenen ein regelmäßig besuchter<br />

Ort; die Religionsmündigkeit hat er längst erreicht; die Schriftlesung erscheint<br />

als gewohnte Übung.<br />

17 Zur Lesung liegt nicht die Tora, sondern eine Prophetenrolle auf dem Tisch. Ist<br />

das schon ein Hinweis auf die erst später belegte Praxis der Haftarot – also den Brauch,<br />

die Wochenabschnitte aus der Tora jeweils mit einer zugehörigen Prophetenlesung<br />

abzuschließen? Gibt es überhaupt schon eine feste Leseordnung? Ist die Jesajarolle<br />

möglicherweise nur eine Option unter anderen? Sie wird Jesus gereicht; hat er sie<br />

vorher selbst ausgewählt, oder liegt die Wahl schon fest? <strong>Das</strong> Verb ἀναπτύσσω (aufrollen)<br />

sichert, dass es sich bei diesem βιβλίον (Buch) des Propheten Jesaja tatsächlich um<br />

eine Rolle handelt. Jesus »findet« darin eine Stelle, was zweierlei bedeuten kann: dass<br />

er da<strong>nach</strong> erfolgreich sucht, oder dass sie ihm zufällig ins Auge springt. Der Text aus<br />

Tritojesaja steht in der Rolle jedenfalls ziemlich weit hinten. 18–19 Was Lk dann als<br />

gelesenen Text wiedergibt, ist ein Mischzitat aus Jes 61,1–2 und 58,6. Es beginnt mit Jes<br />

61,1 (»Der Geist des Herrn ...«, wobei der Satzteil von den zerbrochenen Herzen fehlt),<br />

schließt Jes 58,6 an (»um die Zerschlagenen in Freiheit zu entlassen«) und endet mit<br />

dem Anfang von Jes 61,2 (»um zu verkündigen ein angenehmes Jahr des Herrn«); was<br />

in Jes 61,2 noch mit der Ansage von Vergeltung und mit dem Trost für die »Trauernden<br />

Zions« folgt, fällt weg. Lk öffnet damit auf behutsame Weise den Horizont, in dem<br />

diese Worte bei Jesaja stehen. Sagt der Prophet zunächst Israel eine Wende zum Guten<br />

an, so rückt das Mischzitat in 18–19 alle Elenden und Notleidenden in den Mittelpunkt.<br />

Ob man daran schon eine »Entnationalisierung« bzw. eine »universalistische Tendenz«<br />

des Lk erkennen kann, 196 mag dahingestellt bleiben. Auffällig ist immerhin, dass Lk<br />

hier eines seiner wichtigsten Anliegen, nämlich die Parteinahme Jesu für die Armen,<br />

196 So Albertz, Antrittspredigt Jesu.

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