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Christfried Böttrich: Das Evangelium nach Lukas (Leseprobe)

Lukas ist nicht der Erste, der ein Evangelium schreibt. In seinem Vorwort blickt er zurück auf die »Vielen«, die vor ihm schon eine Erzählung über die Ereignisse um den Propheten aus Nazaret abgefasst haben. Was veranlasst ihn, einen erneuten Versuch zu unternehmen? Und worin besteht das besondere Anliegen seines Entwurfes? Der außerordentlich hilfreiche Kommentar geht diesen Fragen nach, in dem er sowohl den historischen Kontext als auch die theologischen Akzente in der Jesus-Christus-Geschichte des Lukas sichtbar macht. Der dritte Evangelist ist ein Wanderer zwischen den Welten: Als Judenchrist bleibt er in der Geschichte des Gottesvolkes verwurzelt; als Diasporajude bemüht er sich, die »frohe Botschaft« dem gebildeten Publikum der hellenistisch-römischen Welt nahezubringen. Dabei wird der »Weg« zu seinem herausragenden und beherrschenden Motiv. Ursprung und Ziel dieses Weges prägen das theologische Profil jeder einzelnen Perikope und verleihen dem lukanischen Erzählwerk im Ganzen eine Dynamik, die es bis heute zu einer faszinierenden und stimulierenden Lektüre macht.

Lukas ist nicht der Erste, der ein Evangelium schreibt. In seinem Vorwort blickt er zurück auf die »Vielen«, die vor ihm schon eine Erzählung über die Ereignisse um den Propheten aus Nazaret abgefasst haben. Was veranlasst ihn, einen erneuten Versuch zu unternehmen? Und worin besteht das besondere Anliegen seines Entwurfes?
Der außerordentlich hilfreiche Kommentar geht diesen Fragen nach, in dem er sowohl den historischen Kontext als auch die theologischen Akzente in der Jesus-Christus-Geschichte des Lukas sichtbar macht. Der dritte Evangelist ist ein Wanderer zwischen den Welten: Als Judenchrist bleibt er in der Geschichte des Gottesvolkes verwurzelt; als Diasporajude bemüht er sich, die »frohe Botschaft« dem gebildeten Publikum der hellenistisch-römischen Welt nahezubringen. Dabei wird der »Weg« zu seinem herausragenden und beherrschenden Motiv. Ursprung und Ziel dieses Weges prägen das theologische Profil jeder einzelnen Perikope und verleihen dem lukanischen Erzählwerk im Ganzen eine Dynamik, die es bis heute zu einer faszinierenden und stimulierenden Lektüre macht.

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<strong>Christfried</strong><br />

<strong>Böttrich</strong><br />

<strong>Das</strong><br />

<strong>Evangelium</strong><br />

<strong>nach</strong><br />

<strong>Lukas</strong><br />

3<br />

Theologischer<br />

Handkommentar<br />

zum<br />

Neuen Testament


Vorwort<br />

Der Evangelist <strong>Lukas</strong> stellt die Jesus-Christus-Geschichte des Markus auf die große Bühne<br />

der Weltpolitik. <strong>Das</strong> Imperium Romanum macht er zu ihrer Kulisse und siedelt die<br />

Erzählung vorzugsweise in Städten an, auch wenn es sich dabei um überschaubare<br />

galiläische Ortschaften handelt. Seinen Erzählfiguren verleiht er eine hohe Mobilität:<br />

auf dem Weg wird das Kind geboren; auf dem Weg unterrichtet der Lehrer seine Schüler;<br />

auf dem Weg erscheint schließlich auch der Auferstandene. »Weggemeinschaft«<br />

ist das maßgebliche Bild für das Gottesvolk, für das Leben Jesu und für die Gemeinde<br />

auf ihren Wanderungen durch die Zeit. <strong>Lukas</strong> klärt sein Publikum darüber auf, woher<br />

es kommt und wohin es geht. Der Ursprung im Gottesvolk Israel und die Vollendung<br />

in der kommenden Gottesherrschaft bilden Ausgangs- und Zielpunkt dieses Weges<br />

ab. An der Wende zum 2. Jh. stellt sich der Evangelist damit den Herausforderungen<br />

einer Umbruchszeit. Die rasante Ausbreitung des »<strong>Evangelium</strong>s« in seiner Generation<br />

macht es notwendig, das Erbe der Botschaft Jesu zu sichern und zu transformieren,<br />

Juden und Griechen gleichermaßen anzusprechen sowie zwischen Gottesvolk und Völkerwelt<br />

zu vermitteln.<br />

Dieses lkn. Projekt soll der Kommentar in seinen Grundlinien sichtbar machen.<br />

Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Rolle des Gottesvolkes Israel, an dessen<br />

bleibender Erwählung für den Evangelisten <strong>Lukas</strong> kein Zweifel besteht. Der begrenzte<br />

Raum nötigt indessen zur Konzentration. Auf manche Diskussion, die in anderen<br />

Kommentaren materialreich geführt wird, habe ich verzichtet. Dem Profil der Reihe<br />

entsprechend geht es in der vorliegenden Auslegung primär um die Erschließung<br />

des jüngsten Forschungsstandes für die Arbeit in Studium und Gemeinde. Die längst<br />

schon uferlos gewordene Fachliteratur konnte dabei nur selektiv und <strong>nach</strong> subjektiven<br />

Gesichtspunkten herangezogen werden. Eigenheiten der lkn. Theologie werden vor<br />

allem im synopt. Vergleich herausgearbeitet. Thematische Querschnitte sind Exkursen<br />

vorbehalten, die stets beide Teile des Doppelwerkes im Blick haben.<br />

Mit dem Kommentar bin auch ich längere Zeit unterwegs gewesen. Am Anfang<br />

stand ein Impuls, den ich meinem Leipziger Lehrer Christoph Kähler verdanke. Mein<br />

Weg setzte sich fort in Greifswald, begleitet von zahlreichen Lehrveranstaltungen an<br />

der Theologischen Fakultät. Unter der kritischen Wahrnehmung durch die Studierenden<br />

gewann das Konzept allmählich an Format. Während der Niederschrift habe ich<br />

in vielen Weggesprächen Interesse und Zuspruch erfahren, besonders in der Projektgruppe<br />

des »Corpus Judaeo-Hellenisticum Novi Testamenti«, die regelmäßig Einkehr<br />

bot. Ein herzlicher Dank gilt der Evangelischen Verlagsanstalt Leipzig und insbesondere<br />

Annette Weidhas, die dem Kommentar genau die Zeit zugestanden hat, die er<br />

benötigte. Den beiden Herausgebern der Reihe, Jens Herzer und Udo Schnelle, danke<br />

ich für ihre hilfreiche Begleitung. Intensive Momente erlebte ich in einem kleinen<br />

Lesezirkel, der mit mir einzelne Kapitel des Kommentars diskutiert hat und dem ich<br />

wertvolle Anregungen verdanke: Milena Hasselmann, Nadine Ueberschaer, Felix John,


VI<br />

Vorwort<br />

Stefan Rehm, Clara Vogt, Henrike Block, Clemens Steinert. Die Mühen der Korrektur<br />

hat Clemens Steinert mit mir geteilt. Den weiten Kreis von Kolleginnen und Kollegen,<br />

mit denen ich darüber hinaus im Kontakt war und die meinen Horizont immer wieder<br />

erweitert haben, kann ich hier nur in aller Offenheit dankbar erwähnen. Die Auseinandersetzung<br />

mit »<strong>Lukas</strong>« in einer vielfältigen und wechselnden Weggemeinschaft<br />

war für mich eine bereichernde Erfahrung. Nun ist es für den Kommentar an der Zeit,<br />

seinen eigenen Weg zu gehen.<br />

Greifswald, Ostern 2023<br />

<strong>Christfried</strong> <strong>Böttrich</strong>


Inhaltsverzeichnis<br />

Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII<br />

Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIX<br />

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

1. <strong>Evangelium</strong> und Apostelgeschichte als »Doppelwerk« . . . . . . . . . . . . . . . 1<br />

2. Verfasser und Adressaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3<br />

3. Zeit und Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6<br />

4. Aufbau und Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8<br />

5. Quellen und Traditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12<br />

6. Sprache und Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14<br />

7. Textüberlieferung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15<br />

8. Linien der Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16<br />

9. Wege der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18<br />

10. Zum vorliegenden Band . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

10.1 <strong>Lukas</strong> im ThHK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20<br />

11.2 Formalien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21<br />

Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

Vorwort 1,1–4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23<br />

I. Ursprung 1,5–4,13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25<br />

A. Geburtsgeschichten 1,5–2,52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26<br />

1. Ankündigungsszenen 1,5–56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27<br />

1.1 Ankündigung der Geburt des Johannes 1,5–25. . . . . . . . . . . . . . . . 28<br />

1.2 Ankündigung der Geburt Jesu 1,26–38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33<br />

1.3 Begegnung der Mütter 1,39–56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37<br />

2. Geburtsszenen 1,57–2,21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42<br />

2.1 Geburt des Johannes 1,57–80 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43<br />

2.2 Geburt Jesu 2,1–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48<br />

3. Tempelszenen 2,22–52 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55<br />

3.1 Tempelbesuch des Säuglings 2,22–39. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .55<br />

3.2 Tempelwallfahrt des Zwölfjährigen 2,40–52 . . . . . . . . . . . . . . . . . 60<br />

B. Vorbereitung 3,1–4,13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />

1. Auftreten des Täufers 3,1–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64<br />

1.1 Einleitung 3,1–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65<br />

1.2 Täuferrede 3,7–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67


VIII<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

1.3 Taufe Jesu 3,19–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72<br />

2. Stammbaum Jesu 3,23–38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76<br />

3. Erprobung Jesu 4,1–13. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79<br />

II. Wirksamkeit 4,14–21,38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84<br />

A. Galiläa 4,14–9,50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85<br />

1. Beginn des Auftretens Jesu 4,14–44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />

1.1 Eröffnung 4,14–15. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86<br />

1.2 Nazarettag – Verkündigung 4,16–30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87<br />

1.3 Kafarnaumtag – Krafttaten 4,31–44. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92<br />

1.3.1 Heilung eines Besessenen 4,31–37. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93<br />

1.3.2 Heilung der Schwiegermutter des Petrus 4,38–39 . . . . . . . . . . . 95<br />

1.3.3 Summarium und Abschluss 4,40–44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96<br />

2. Entstehung eines Anhängerkreises 5,1–6,11. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97<br />

2.1 Berufung des Petrus 5,1–11. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98<br />

2.2 Heilungen 5,12–26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />

2.2.1 Heilung eines Aussätzigen 5,12–16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103<br />

2.2.2 Heilung eines Gelähmten 5,17–26. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106<br />

2.3 Berufung des Levi und Zöllnergastmahl 5,27–32 . . . . . . . . . . . . . . 109<br />

2.4 Streitgespräche, Gleichnisse und Heilungen 5,33–6,11 . . . . . . . . . . . 111<br />

2.4.1 Fastenfrage 5,33–35. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111<br />

2.4.2 Gewand und Weinschlauch 5,36–39 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113<br />

2.4.3 Mundraub am Sabbat 6,1–5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115<br />

2.4.4 Heilung einer gelähmten Hand 6,6–11 . . . . . . . . . . . . . . . . . 117<br />

3. Schwerpunkte der Verkündigung Jesu 6,12–49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120<br />

3.1 Etablierung des Zwölferkreises 6,12–19. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120<br />

3.2 Feldrede 6,20–49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123<br />

3.2.1 Seligpreisungen und Weherufe 6,20–26 . . . . . . . . . . . . . . . . 124<br />

3.2.2 Gebot der Feindesliebe 6,27–38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128<br />

3.2.3 Gleichnisse 6,39–49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133<br />

4. Perspektiven der Botschaft Jesu 7,1–8,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137<br />

4.1 Hauptmann von Kafarnaum – Glaube 7,1–10 . . . . . . . . . . . . . . . . 138<br />

4.2 Jüngling zu Nain – Auferweckung 7,11–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142<br />

4.3 Täufer Johannes – Messiasfragen 7,18–23 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144<br />

4.4 Jesus über den Täufer – Wege zur Gottesherrschaft 7,24–35 . . . . . . . . 147<br />

4.5 Frau mit dem Salböl – Liebe und Vergebung 7,36–50. . . . . . . . . . . . 150<br />

4.6 Nachfolgerinnen Jesu – Beispiele von Schülerschaft 8,1–3 . . . . . . . . . 156<br />

5. Gleichnisrede 8,4–21. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159<br />

5.1 Gleichnis vom Sämann – Erzählung 8,4–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159<br />

5.2 Funktion der Gleichnisse 8,9–10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161<br />

5.3 Gleichnis vom Sämann – Deutung 8,11–15. . . . . . . . . . . . . . . . . . 163<br />

5.4 Sehen und Hören 8,16–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165<br />

5.5 Jesu wahre Familie 8,19–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166


Inhaltsverzeichnis<br />

IX<br />

6. Proklamation der Macht Gottes 8,22–56. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167<br />

6.1 Rettung im Sturm 8,22–25. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168<br />

6.2 Heilung des besessenen Geraseners 8,26–39. . . . . . . . . . . . . . . . . 170<br />

6.3 Auferweckung der Jairustochter und Heilung der blutflüssigen Frau 8,40–56 . 174<br />

7. Ausdehnung der Aktivitäten 9,1–50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178<br />

7.1 Aussendung der Zwölf 9,1–6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179<br />

7.2 Herodes Antipas und Jesus 9,7–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183<br />

7.3 Speisung der Fünftausend 9,10–17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185<br />

7.4 Messiasbekenntnis des Petrus 9,18–22 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189<br />

7.5 Worte zur Leidens<strong>nach</strong>folge 9,23–27 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192<br />

7.6 Verklärung Jesu 9,28–36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195<br />

7.7 Heilung eines besessenen Knaben 9,37–45. . . . . . . . . . . . . . . . . . 199<br />

7.8 Rangstreit der Schüler – intern und extern 9,46–50. . . . . . . . . . . . . 202<br />

B. Weg 9,51–19,40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205<br />

1. Verweigerte Einkehr in einem Samaritanerdorf 9,51–56 . . . . . . . . . . . . . 207<br />

2. Nachfolgeproben 9,57–62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209<br />

3. Aussendung der Zweiundsiebzig 10,1–24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211<br />

3.1 Beauftragung 10,1–16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212<br />

3.2 Rückkehr 10,17–24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217<br />

4. Ewiges Leben 10,25–37 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220<br />

4.1 Frage <strong>nach</strong> dem Hauptgebot 10,25–28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221<br />

4.2 Gleichnis vom barmherzigen Samaritaner 10,29–37 . . . . . . . . . . . . 223<br />

5. Gelungene Einkehr bei Marta und Maria 10,38–42. . . . . . . . . . . . . . . . 225<br />

6. Gebetsunterweisung 11,1–13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229<br />

6.1 Gebetsvermächtnis – Vaterunser 11,1–4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229<br />

6.2 Ermutigung zum Gebet 11,5–13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233<br />

7. Klärungen und Konfrontationen 11,14–12,21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236<br />

7.1 Beelzebul-Vorwurf 11,14–26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236<br />

7.2 Seligpreisung der Mutter Jesu 11,27–28. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242<br />

7.3 Abweisung der Zeichenforderung 11,29–32 . . . . . . . . . . . . . . . . . 243<br />

7.4 Worte vom Licht 11,33–36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 246<br />

7.5 Weherufe gegen Pharisäer und Gesetzeslehrer 11,37–54 . . . . . . . . . . 247<br />

7.6 Konfrontation und Bekenntnis 12,1–12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232<br />

7.7 Warnung vor Habgier 12,13–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258<br />

7.7.1 Ablehnung eines Schiedsspruches 12,13–15 . . . . . . . . . . . . . . 258<br />

7.7.2 Gleichnis vom törichten Reichen 12,16–21 . . . . . . . . . . . . . . . 259<br />

8. Ermutigung der Schüler 12,22–59 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261<br />

8.1 Sorgen und Schätzesammeln 12,22–34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261<br />

8.2 Wachsamkeit und Treue 12,35–48 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265<br />

8.3 Zeit der Konflikte 12,49–59 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269<br />

9. Ermahnung zur Umkehr 13,1–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274<br />

9.1 Bluttat des Pilatus und Turm von Siloah 13,1–5 . . . . . . . . . . . . . . . 274<br />

9.2 Gleichnis vom Feigenbaum 13,6–9 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276


X<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

10. Heilung einer verkrümmten Frau am Sabbat 13,10–17 . . . . . . . . . . . . . 277<br />

11. Gleichnis von Senfkorn und Sauerteig 13,18–21 . . . . . . . . . . . . . . . . . 280<br />

12. Worte vom Gericht 13,22–35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282<br />

12.1 Ausschluss von der Gottesherrschaft 13,22–30 . . . . . . . . . . . . . . . 283<br />

12.2 Warnung vor Herodes Antipas 13,31–35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286<br />

13. Gastmahlsszenen 14,1–24 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290<br />

13.1 Heilung eines Wassersüchtigen beim Sabbatmahl 14,1–6 . . . . . . . . . 290<br />

13.2 Worte über die Gäste beim Mahl 14,7–14 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293<br />

13.3 Gleichnis vom großen Gastmahl 14,15–24 . . . . . . . . . . . . . . . . . 295<br />

14. Weggespräche 14,25–17,10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298<br />

14.1 Wendung an Nachfolgewillige 14,25–35. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299<br />

14.2 Wendung an Pharisäer 15,1–16,31 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303<br />

14.2.1 Gleichnis vom verlorenen Schaf und der verlorenen Drachme 15,1–10 303<br />

14.2.2 Gleichnis von der Liebe des Vaters 15,11–32 . . . . . . . . . . . . . 307<br />

14.2.3 Gleichnis vom ungerechten Verwalter 16,1–13 . . . . . . . . . . . . 313<br />

14.2.4 Worte über das Gesetz 16,14–18 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319<br />

14.2.5 Gleichnis vom reichen Mann und dem armen Lazarus 16,19–31 . . 322<br />

14.3 Wendung an die Schüler 17,1–10. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327<br />

14.3.1 Verhalten in der Gemeinschaft 17,1–4 . . . . . . . . . . . . . . . . . 327<br />

14.3.2 Wort über den Glauben 17,5–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329<br />

14.3.3 Gleichnis vom Sklaven 17,7–10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330<br />

15. Heilung der zehn Aussätzigen – dankbarer Samaritaner 17,11–19 . . . . . . . 331<br />

16. Kleine Endzeitrede 17,20–18,8. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 335<br />

16.1 Frage <strong>nach</strong> dem Kommen der Gottesherrschaft 17,20–21 . . . . . . . . . 337<br />

16.2 Vorhersagen über das Kommen des Menschensohnes 17,22–37 . . . . . 338<br />

16.3 Gleichnis von der bittenden Witwe 18,1–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . 344<br />

17. Gottesbeziehungen 18,9–30 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 348<br />

17.1 Gebetshaltung – Gleichnis von Pharisäer und Zollpächter 18,9–14 . . . . 348<br />

17.2 Statusfragen – Vorbild der Kinder 18,15–17. . . . . . . . . . . . . . . . . 352<br />

17.3 Besitzverzicht – Nachfolgeprobe eines Begüterten 18,18–30. . . . . . . . 355<br />

18. Aufbruch <strong>nach</strong> Jerusalem 18,31–19,40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360<br />

18.1 Weg zum Leiden 18,31–34 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360<br />

18.2 Heilung eines Blinden vor Jericho 18,35–43 . . . . . . . . . . . . . . . . 362<br />

18.3 Einkehr bei dem Zollpächter Zachäus 19,1–10 . . . . . . . . . . . . . . . 365<br />

18.4 Gleichnis von den anvertrauten Minen 19,11–27 . . . . . . . . . . . . . . 369<br />

18.5 Ankunft in Jerusalem 19,28–40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377<br />

C. Jerusalem 19,41–21,38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383<br />

1. Klage über Jerusalem 19,41–44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384<br />

2. Tempelaktion 19,45–46 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387<br />

3. Summarium der Lehre Jesu 19,47–48 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389<br />

4. Streitgespräche 20,1–44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390<br />

4.1 Autoritätsfrage 20,1–8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391<br />

4.2 Winzergleichnis 20,9–19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394


Inhaltsverzeichnis<br />

XI<br />

4.3 Zelotenfrage 20,20–26 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400<br />

4.4 Sadduzäerfrage 20,27–40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403<br />

4.5 Davidssohnfrage 20,41–44. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 409<br />

5. Lehrgespräche 20,45–21,4. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411<br />

5.1 Schein und Sein – Verhalten der Schriftgelehrten 20,45–47 . . . . . . . . 411<br />

5.2 Sein und Schein – Frömmigkeit einer Witwe 21,1–4 . . . . . . . . . . . . 413<br />

6. Große Endzeitrede 21,5–36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415<br />

6.1 Einleitung 21,5–6 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 418<br />

6.2 Ansage von Krieg, Verfolgung und Flucht 21,7–24 . . . . . . . . . . . . . 419<br />

6.3 Parusie des Menschensohnes 21,25–28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424<br />

6.4 Konsequenzen des nahen Endes 21,29–36 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 426<br />

7. Summarium zur Lehre Jesu 21,37–38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430<br />

III. Vollendung 22,1–24,53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431<br />

A. Passion 22,1–23,56 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432<br />

1. Eskalation 22,1–6. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433<br />

2. Symposion 22,7–38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436<br />

2.1 Mahlvorbereitung 22,7–13 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 436<br />

2.2 Mahlfeier 22,14–20 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439<br />

2.3 Mahlgespräche 22,21–38 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445<br />

3. Auslieferung 22,39–65 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451<br />

3.1 Gebetskampf 22,39–46 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452<br />

3.2 Gefangennahme 22,47–53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455<br />

3.3 Verleugnung des Petrus 22,54–62. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458<br />

3.4 Misshandlung Jesu 22,63–65 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461<br />

4. Prozess 22,66–23,25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462<br />

4.1 Befragung – vor dem Synedrion 22,66–71 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464<br />

4.2 Erste Verhandlung – vor Pilatus 23,1–5. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468<br />

4.3 Zweite Verhandlung – vor Herodes Antipas 23,6–12 . . . . . . . . . . . . 471<br />

4.4 Dritte Verhandlung – vor Pilatus 23,13–16 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473<br />

4.5 Passa-Amnestie – vor Pilatus 23,17–25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475<br />

5. Martyrium 23,26–56. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479<br />

5.1 Weg zum Kreuz 23,26–32 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481<br />

5.2 Kreuzigung 23,33–43 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484<br />

5.3 Tod 23,44–49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 490<br />

5.4 Grablegung 23,50–56. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493<br />

B. Auferweckung 24,1–53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496<br />

1. Grabgeschichte 24,1–12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499<br />

2. Erscheinungsberichte 24,13–49. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503<br />

2.1 Erscheinung auf dem Weg <strong>nach</strong> Emmaus 24,13–35 . . . . . . . . . . . . . 505<br />

2.2 Erscheinung im Schülerkreis 24,36–49. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512<br />

3. Abschied 24,50–53. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 518


XII<br />

Inhaltsverzeichnis<br />

Exkurse:<br />

1. Tempel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525<br />

2. Jungfrauengeburt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526<br />

3. Maria . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529<br />

4. Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 531<br />

5. Cantica (Lobgesänge) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534<br />

6. Johannes der Täufer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535<br />

7. Geist Gottes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537<br />

8. Synagoge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539<br />

9. Ärgerliche Vorbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541<br />

10. Wunder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542<br />

11. Petrus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544<br />

12. Apostel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 546<br />

13. Glaube . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548<br />

14. Prophetenchristologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550<br />

15. Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551<br />

16. Gleichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554<br />

17. Wegmetaphorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556<br />

18. Nachfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558<br />

19. Völkermission. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559<br />

20. Samaritaner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 561<br />

21. Gebet . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563<br />

22. Pharisäer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 564<br />

23. Staatsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566<br />

24. Mahlthematik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568<br />

25. Umkehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569<br />

26. Armut und Reichtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571<br />

27. Zollpächter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574<br />

28. Streitgespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575<br />

29. Witwen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576<br />

30. Judas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577<br />

31. Abendmahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579<br />

32. Herodes Antipas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579<br />

33. Freude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 581


1<br />

Einleitung<br />

Im Kreis der Evangelisten nimmt »<strong>Lukas</strong>« eine besondere Stellung ein. Von seinem<br />

Vorgänger Mk und seinem Zeitgenossen Mt unterscheidet er sich auf markante Weise.<br />

Die auffälligste Besonderheit, die ihn auszeichnet, verdankt sich einer konzeptionellen<br />

Entscheidung: Lk setzt die Erzählung von Jesus Christus in einer Erzählung von den<br />

Anfängen der christusgläubigen Gemeinde fort. Er interpretiert die »frohe Botschaft«<br />

neu und erschließt sie für einen deutlich erweiterten Adressatenkreis. Dabei erweist er<br />

sich als profilierter Theologe, dessen Stimme einen wichtigen, unverwechselbaren Part<br />

in der kanonischen Partitur übernimmt.<br />

1. <strong>Evangelium</strong> und Apostelgeschichte als »Doppelwerk«<br />

Die enge Beziehung zwischen Lk und Apg ist schon früh durch ihre Zuschreibung<br />

an ein und denselben Verfasser zum Ausdruck gebracht worden, prägnant zuerst bei<br />

Irenäus von Lyon (Ende 2. Jh.). Von den ältesten Kanonverzeichnissen an fungiert<br />

»<strong>Lukas</strong>« dann unangefochten als Autor beider Werke. 1 Ein solcher Zusammenhang<br />

legt sich aus mancherlei Gründen nahe. Beide beginnen mit einem Vorwort, in dem<br />

sich das schriftstellerische »Ich« auf vergleichbare Weise zu Wort meldet, den gleichen<br />

Adressaten Theophilos anspricht und im Falle der Apg ausdrücklich auf »den ersten<br />

Bericht« 2 zurückverweist. Somit erscheinen Lk-Apg als zwei Bücher eines Werkes. 3<br />

Weitere Indizien kommen hinzu: Die »Himmelfahrtserzählung« verbindet beide Teile<br />

wie ein Adapterstück; überleitenden Charakter hat der Ort Jerusalem, an dem das erste<br />

Buch endet und das zweite beginnt; es sind dieselben Protagonisten, mit denen sich<br />

die Handlung in der Apg fortsetzt; übergreifende Motivlinien und Themen, strukturelle<br />

Entsprechungen sowie zahlreiche sprachliche Eigenheiten signalisieren ein gemeinsames<br />

theologisches Profil.<br />

Dennoch sind beide Teile dieses wie auch immer zusammengehörigen Werkes nie<br />

(so weit sich das erkennen lässt) gemeinsam überliefert worden. Von den frühesten<br />

Hss. an erscheint Lk stets im Zusammenhang des »Tetraevangeliums«, während die<br />

Apg mit den katholischen Briefen zum »Praxapostolos« zusammengestellt wird. 4 In<br />

der kanonischen Anordnung, die sich allmählich herausbildet, werden beide Bücher<br />

1 So z. B. im Kanon Muratori (um 200), bei Origenes (2./3. Jh.) oder im Kanon des Amphilochius<br />

von Ikonium (<strong>nach</strong> 394); vgl. Metzger, Der Kanon des Neuen Testaments.<br />

2 Der Begriff πρῶτος λόγος meint hier so viel wie »erster Bericht, erste Erzählung« bzw. »erstes<br />

Buch« (wie in der zeitgenössischen Literatur auch).<br />

3 Nahezu alle Werke der antiken Literatur sind in mehrere Bücher gegliedert, was besonders für<br />

die Geschichtsschreibung gilt; Lk nimmt sich hier mit zwei Büchern eher bescheiden aus.<br />

4 Ausführlich Trobisch, Endredaktion; Gregory, Reception; Backhaus, Doppelwerk, 119–239.


2 Einleitung<br />

stets durch Joh getrennt. Wahrscheinlich sind sie von Anfang an in eigenständigen<br />

Ausgaben publiziert und verbreitet worden und geraten erst im Zuge der Kanonbildung<br />

zwischen gemeinsame Buchdeckel.<br />

Der wichtigste Grund für ein ursprüngliches Eigenleben scheint im literarischen<br />

Genre zu liegen: mit seiner biographisch angelegten Jesus-Christus-Erzählung 5 entwirft<br />

Mk eine Textsorte, die auch für Lk/Mt/Joh formbildend wird; die Textsorte »Taten<br />

der Apostel« hingegen bleibt zunächst ohne Analogie und lässt sich auch nicht<br />

ohne weiteres mit dem »<strong>Evangelium</strong>« koordinieren. Dennoch ist unverkennbar, dass<br />

Lk in beiden Teilen seines Werkes die gleichen Strategien verfolgt: beide Male geht<br />

es um die Verkündigung des <strong>Evangelium</strong>s in Gestalt einer Erzählung von geschichtlichen<br />

Ereignissen; beide Male zielt der Erzähler auf die Stärkung und Festigung seiner<br />

Adressaten, bei denen er grundlegende Kenntnisse schon voraussetzen kann. 6 Trotz<br />

ihrer unterschiedlichen Anlage wirken beide Teile wechselseitig aufeinander ein: im<br />

<strong>Evangelium</strong> kommt es zu einer »Historisierung des Stoffes«; in der Apostelgeschichte<br />

wird die Schilderung der Ereignisse für die Verkündigung der »frohen Botschaft« in<br />

Anspruch genommen. Im Blick auf die Gattungsfrage hat man das lkn. »Doppelwerk«<br />

deshalb probeweise als »Ätiologie« im Sinne einer zweizügigen Erzählung zur Stiftung<br />

und Bezeugung von Orientierungswissen, 7 als eine Form »biographisch strukturierter<br />

Historiographie« 8 oder kurz als »Gründungsgeschichte des Christentums in zwei<br />

Teilen« 9 zu beschreiben versucht.<br />

Die Einsicht, dass Lk-Apg einander wechselseitig interpretieren, ist noch relativ jung.<br />

Erst seit Beginn des 20. Jh.s bürgert es sich allmählich ein, von »Luke-Acts« bzw. vom<br />

»lukanischen Doppelwerk« als einer zusammengehörigen Einheit zu sprechen. 10 <strong>Das</strong><br />

schlägt sich fortan auch in zahlreichen Untersuchungen zu einzelnen Motiven und Themen<br />

nieder, die stets das Ganze der lkn. Theologie in den Blick nehmen. Inzwischen<br />

meldet sich allerdings schon wieder zunehmende Skepsis zu Wort. 11 <strong>Das</strong> gilt vor allem<br />

mit Blick auf die Gattungsfrage und die Rezeptionsgeschichte des »Doppelwerkes«.<br />

5 Diesen Begriff hat Eckart Reinmuth in die Diskussion eingebracht. Er stellt sicher, dass die<br />

Erzählung von Anfang an die geschichtliche und die christologische Perspektive miteinander<br />

verbindet; vgl. Reinmuth, Hermeneutik, 11–38.<br />

6 Backhaus, Doppelwerk, 314, beschreibt das gemeinsame Konzept folgendermaßen: »Christus<br />

bringt Israel in Tat und Wort das Heil; die Zeugen entgrenzen das <strong>Evangelium</strong> Christi in Wort<br />

und Tat; in dieser Heilsinitiative und deren Entgrenzung setzt sich Gottes Geschichtsführung<br />

durch.«<br />

7 Löning, <strong>Das</strong> Geschichtswerk des <strong>Lukas</strong> I.<br />

8 Ebner, Von gefährlichen Viten und biographisch orientierten Geschichtswerken, 57; dazu Müller,<br />

Διήγησις <strong>nach</strong> <strong>Lukas</strong>.<br />

9 Schröter, Überlegungen zum Verhältnis von Historiographie und Hermeneutik.<br />

10 Der Begriff »Luke-Acts« wurde 1927 von J. H. Cadbury eingeführt und im Deutschen dann meist<br />

mit »lukanisches Doppelwerk« wiedergegeben. Zur Diskussion vgl. Verheyden, The Unity, 3–56;<br />

Luomanen, Luke-Acts; Backhaus, Doppelwerk, 62–66.<br />

11 Parsons / Pervo, Rethinking; die Autoren befragen dabei besonder die »authorial, canonical,<br />

generic, narrative and theological unity«; vgl. ferner Bird, The Unity of Luke-Acts.


Verfasser und Adressaten<br />

3<br />

Zu den durchgängigen Linien des »Doppelwerkes« gehören vor allem das große Kontinuum<br />

der Verheißungsgeschichte Gottes, die Rolle des Geistes als maßgebliche Triebkraft<br />

der Ereignisse, die Theologie des Weges sowie Analogien bei den maßgeblichen<br />

Erzählfiguren in beiden Büchern. Die Simeons-Weissagung (2,25–35), die Nazaret-Episode<br />

(4,16–30) oder die Emmaus-Erscheinung (24,13–35) kann man als Texte lesen, die<br />

programmatischen Charakter für beide Teile haben. 12 Diese Linien und Korrespondenzen<br />

gilt es, bei der Auslegung des <strong>Evangelium</strong>s im Blick zu behalten.<br />

2. Verfasser und Adressaten<br />

<strong>Das</strong> dritte <strong>Evangelium</strong> ist (wie die anderen Evangelien auch) anonym verfasst worden.<br />

Der Text enthält weder einen Namen noch sonst einen Hinweis auf die Identität<br />

seines Autors. Vermutlich ab der zweiten Hälfte des 2. Jh.s fügte man den Evangelien<br />

Autorenangaben hinzu, um sie (inzwischen nebeneinander im Gebrauch) besser voneinander<br />

unterscheiden zu können. 13 Diese Angaben haben zunächst die Form einer<br />

Unterschrift am Ende des Textes und folgen dem Schema »<strong>Evangelium</strong> <strong>nach</strong> xy«. Der<br />

Name »<strong>Lukas</strong>« ist im 1. Jh. verbreitet, wenngleich nicht alltäglich; jüd. Namensträger<br />

lassen sich nur spärlich <strong>nach</strong>weisen. 14 In der hsl. Überlieferung taucht die Bestimmung<br />

»<strong>Evangelium</strong> <strong>nach</strong> <strong>Lukas</strong>« erstmals im Papyrus P 75 (um 200) auf.<br />

Die altkirchliche Exegese hat den »<strong>Lukas</strong>« jener Unterschrift in den Hss. einhellig<br />

mit jenem Paulusmitarbeiter »<strong>Lukas</strong>« identifiziert, 15 der unter den Grüßenden in<br />

Phlm 24 genannt wird. 16 Weitere Absicherung erfuhr diese Annahme (die Einheit von<br />

Lk-Apg voraussetzend) 17 durch die »Wir«-Passagen in der Apg, 18 die auf einen Reisebegleiter<br />

hinzudeuten scheinen. 19 Gegen eine solche Identifizierung spricht jedoch, dass<br />

zwischen dem lkn. Paulusbild und dem Selbstzeugnis der pln. Briefe gravierende Unterschiede<br />

hinsichtlich ihrer Darstellung der Ereignisse wie ihrer theologischen Positionen<br />

bestehen. 20 In den »Wir«-Stücken werden vor allem Quellen sichtbar, die der Autor<br />

12 Backhaus, Doppelwerk, 245–276.<br />

13 Hengel, Evangelienüberschriften; Petersen, Evangelienüberschriften.<br />

14 Ilan, Lexicon of Jewish Names, I 334; III, 511–514.<br />

15 Irenäus, Haer III 1,1; 10,1; 14,1; Eusebius, HistEccles V 8,3; Kanon Muratori (um 200).<br />

16 Die weiteren Erwähnungen eines »<strong>Lukas</strong>« unter den Grüßenden in 2Tim 4,11 und Kol 4,14 sind<br />

sicher von Phlm 24 abhängig.<br />

17 Über die Zuschreibung von Lk-Apg an ein und denselben Verfasser besteht weitgehend Konsens;<br />

zum Pro und Contra vgl. ausführlich Backhaus, Doppelwerk, 369–394.<br />

18 Apg 16,10–17; 20,5–8.13–15; 21,1–18; 27,1–28,16.<br />

19 So etwa Irenäus, Haer III 14,1. Seither ist dieser Zusammenhang mit der Apg die maßgebliche<br />

Basis geblieben, um die Identität des Evangelisten zu bestimmen.<br />

20 <strong>Das</strong> sind etwa: die Darstellung konkreter geschichtlicher Ereignisse, die lkn. Soteriologie, die<br />

Sicht des Menschen und des Phänomens Sünde, das Verständnis des Apostolats, der Durchbruch<br />

zur Völkermission uam.; bei allen Gemeinsamkeiten springen die Differenzen deutlicher ins<br />

Auge.


4 Einleitung<br />

in sein Werk eingefügt hat. 21 Eine Verbindung mit jenem »<strong>Lukas</strong>« aus Phlm 24, über<br />

den nichts weiter bekannt ist als das schlichte Faktum, ein Mitarbeiter (συνεργός) des<br />

Paulus gewesen zu sein und Paulus in einer bestimmten Haftsituation beigestanden zu<br />

haben, bleibt völlig offen. 22<br />

Alles, was man über den Autor »<strong>Lukas</strong>« in Erfahrung bringen kann, muss dem Text<br />

entnommen werden. <strong>Das</strong> wichtigste Signal findet sich gleich zu Beginn: Kein anderer<br />

Evangelist bringt sein schriftstellerisches »Ich« derart pointiert zur Sprache wie »<strong>Lukas</strong>«<br />

– auch wenn er seinen Namen verschweigt. Dieses »Ich« beherrscht das Vorwort<br />

(1,1–4), tritt da<strong>nach</strong> aber für den Rest der Erzählung völlig zurück. Es scheint so, als<br />

ob es erst in den »Wir«-Passagen der Apostelgeschichte erneut zum Vorschein käme. 23<br />

Immerhin gibt der Autor damit schon von Anfang an zu erkennen, wie er von seiner<br />

Leserschaft gesehen werden möchte – nämlich als Geschichtsschreiber, der sich in die<br />

Konventionen dieser Zunft einfügt. Weitere Profile bleiben vage. <strong>Das</strong>s er tatsächlich<br />

ein Arzt gewesen sei, wie die Kombination von Phlm 24 mit Kol 4,14 suggeriert, lässt<br />

sich nicht bestätigen; die medizinische Terminologie, die er gebraucht, 24 geht über ein<br />

solides Allgemeinwissen nicht hinaus. Auffällig ist, dass er sich bestens im röm. Prozessrecht<br />

auskennt 25 und überhaupt ein sicheres Gespür für die Struktur der röm. Gesellschaft<br />

hat. 26 »<strong>Lukas</strong>« ist mit jüd. Theologie wie mit hellen. Bildung gleichermaßen<br />

vertraut und verrät damit einen weiten Horizont. 27<br />

Muss man den Autor des dritten <strong>Evangelium</strong>s überhaupt als einen Mann<br />

betrachten? 28 Die feministische Exegese hat zu Recht darauf hingewiesen, dass die<br />

Weitergabe, Bearbeitung und Gestaltung der Jesusüberlieferung als ein kollektives Geschehen<br />

und damit als das Werk von Männern und Frauen gleichermaßen zu verstehen<br />

sei. Hier ist jedoch zwischen dem Prozess der mündlichen Weitergabe von Stoffen<br />

und der Konzeption eines literarischen Werkes zu unterscheiden. Kollektive schaffen<br />

keine Literatur, verfügen aber über ein kreatives Potential, wenn es um die Aneignung<br />

und Aktualisierung von Überlieferungen geht. Der Autor »<strong>Lukas</strong>« ist im Literaturbe-<br />

21 Wehnert, Wir-Passagen; Bindemann, Verkündigter Verkündiger; anders votiert Thornton, Zeuge<br />

des Zeugen; ähnlich, wenngleich deutlich zurückhaltender auch Wolter, <strong>Lukas</strong> HNT, 7–9; R. von<br />

Bendemann, Art. <strong>Lukas</strong>, RAC 23, 2009, 646–676, 654.<br />

22 Der Versuch, den in 2Kor 8,18–21 genannten anonymen Bruder, der Paulus bei der Kollektenmission<br />

begleitet, mit dem Evangelisten Lk zu identifizieren, bleibt Spekulation. Nicht weniger<br />

phantasievoll hat die Legende in dem Begleiter des Kleopas <strong>nach</strong> 24,13 den Autor selbst erkennen<br />

wollen.<br />

23 Ein Zusammenhang zwischen dem »Ich« des Prologs und dem »Wir« in der Apostelgeschichte<br />

ist von jeher unterschiedlich beurteilt worden; zu Recht kritisch votiert Wehnert, Wir-Passagen,<br />

136–139.<br />

24 Hobart, Medical Language; Harnack, <strong>Lukas</strong> der Arzt; Weißenrieder, Images of Illness, 329–357.<br />

25 Heusler, Kapitalprozesse; Omerzu, Der Prozeß des Paulus.<br />

26 Bormann, Recht, Gerechtigkeit und Religion; ders., Verrechtlichung.<br />

27 Umfangreiche Nachweise bei Becker, <strong>Lukas</strong> und Dion von Prusa.<br />

28 So fragt zuerst Schottroff, Auf dem Weg; sodann Janssen, Elisabet und Hanna; zuletzt Schottroff<br />

/ Wacker, Kompendium Feministische Bibelauslegung, 516.


Verfasser und Adressaten<br />

5<br />

trieb seiner Zeit zweifellos ein Mann, der seine androzentrische Perspektive auch gar<br />

nicht verleugnen kann, dabei jedoch in beachtlicher Offenheit vielfältigen Traditionen<br />

Raum gibt. 29<br />

Die Frage <strong>nach</strong> der Herkunft des Autors wird unterschiedlich beantwortet. Für die<br />

ältere Exegese war Lk ein klassischer Vertreter des »Heidenchristentums«. Hier ist man<br />

inzwischen vorsichtiger geworden. Die Beheimatung des Lk in jüd. Glaubenstradition,<br />

seine Verwurzelung in den »Schriften« 30 und seine detaillierte Kenntnis kultischer<br />

Vollzüge, vor allem aber sein Geschichtsbild, das Israel und die allmählich entstehende<br />

Kirche als Teile eines großen Zusammenhanges sieht, 31 deuten auf eine juden-christl.<br />

Herkunft hin. <strong>Das</strong>s er dabei wohl eher der Diaspora als dem Mutterland entstammt,<br />

lässt sich wiederum an der Zielrichtung seines gesamten Werkes ablesen. Ob man die<br />

Heimat des Lk noch weiter eingrenzen kann – etwa auf Makedonien oder gar auf Philippi<br />

32 – bleibt hypothetisch. Immerhin scheint er ein Städter gewesen zu sein, was<br />

die gelegentliche Präzisierung von baulichen Details 33 sowie die durchgängige Bezeichnung<br />

auch <strong>nach</strong>weislich kleiner Ortschaften als »Poleis« 34 nahelegt.<br />

Hinweise auf den sozialen Status des Lk könnten sich in seiner Auseinandersetzung<br />

mit dem Problem von Armut und Reichtum finden. Parteinahme für die Armen<br />

auf der einen, Mahnung und Werbung gegenüber den Wohlhabenden auf der anderen<br />

Seite halten sich die Waage. Die These, dass Lk ein freigelassener Sklave sei, der den sozialen<br />

Aufstieg vollzogen habe, 35 macht aus diesem thematischen Schwerpunkt mehr,<br />

als der Text hergibt.<br />

Von den Adressaten des Doppelwerkes wird zumindest einer benannt – ein gewisser<br />

Theophilos (Lk 1,3 / Apg 1,1). 36 Seine Identität bleibt freilich ambivalent. Vielleicht<br />

ist er ein wohlhabender Mäzen, von dem sich Lk die Verbreitung seines Werkes er-<br />

29 <strong>Das</strong> gilt nicht weniger für seine Sensibilität gegenüber Samaritanern, seine differenzierte<br />

Wahrnehmung von Pharisäern, Zollpächtern, Juden und Nichtjuden, Mutterland und Diaspora,<br />

verschiedenen sozialen Schichten oder philosophischen Gruppierungen.<br />

30 <strong>Böttrich</strong>, <strong>Das</strong> Alte im Herzen des Neuen.<br />

31 Wolter, <strong>Das</strong> lukanische Doppelwerk als Epochengeschichte.<br />

32 Pilhofer, <strong>Lukas</strong> als »ἀνὴρ Μακεδών«: Kern der Argumentation ist, dass sich der Autor des Doppelwerkes<br />

namentlich in Philippi sehr viel besser auskenne als an allen anderen Orten seines Werkes.<br />

33 Klein, <strong>Lukas</strong> KEK, 65, verweist dazu auf: 5,19 (Ziegeldach); 6,47–49 (Haus in einer Flussniederung);<br />

8,16 / 11,33 (Häuser mit Vorräumen); 12,16–21 (mehr städtischer Händler als Bauer); 15,4–7 (ein<br />

städtischer Schafhirte).<br />

34 Orte wie Nazaret, Kafarnaum, Nain oder Arimatäa sind bei Lk Städte; vorzugsweise spielen die<br />

meisten Episoden in Galiläa oder auf dem Weg in weiteren anonymen »Städten«; allein Gerasa<br />

(8,26–29) und Jerusalem (ab 19,41) tragen diese Bezeichnung zu Recht. Immerhin platziert Lk<br />

auch einige Episoden in Dörfern (10,38–42; 17,11–19; 19,29–35; 24,13.28–32), gebraucht die<br />

pauschale Wendung »Städte und Dörfer« (13,22) oder erwähnt schlicht Dörfer im Umfeld (5,17;<br />

8,34; 9,6.12).<br />

35 Klein, <strong>Das</strong> dritte <strong>Evangelium</strong> und sein Verfasser.<br />

36 Weitere unabhängige Nachrichten zu seiner Person gibt es nicht. Die Erwähnung eines vornehmen,<br />

zur christl. Gemeinde gehörenden Antiocheners namens Theophilos im Ps-Clementinischen<br />

Roman (Rec X 71,2–3) nimmt im 3./4. Jh. das Vorbild aus 1,3 auf.


6 Einleitung<br />

hofft 37 und der zugleich eine größere Gruppe von Gemeindegliedern der gesellschaftlichen<br />

Elite repräsentiert. Doch sein redender Name (= Gottesfreund) kommt sicher<br />

nicht von ungefähr; er eignet sich bestens, um eine vielgestaltige Zielgruppe von Katechumenen<br />

38 anzusprechen. Ansonsten bleibt die beliebte Rede von der »lukanischen<br />

Gemeinde« eher nebulös. 39 Weder kennt man ihren Ort noch ihre Zusammensetzung,<br />

wie das bei den pln. Gemeinden zumindest in Umrissen der Fall ist. Die soziale Schere,<br />

gelegentliche Rangstreitigkeiten, Verfolgungserfahrungen sowie eine weite, universale<br />

Perspektive lassen wenig Spezifisches erkennen. Damit können sich nahezu alle christl.<br />

Gemeinden am Ende des 1. Jh.s identifizieren. 40 <strong>Das</strong>s Lk vor einem »ökumenischen«<br />

Horizont schreibt und bereits einen überregionalen Adressatenkreis im Blick hat, ist<br />

sehr wahrscheinlich. 41<br />

In den Bereich der Legende gehören Nachrichten wie jene, dass »<strong>Lukas</strong>« aus Antiochia<br />

stamme, sein <strong>Evangelium</strong> in Achaja geschrieben und in Gallien gepredigt habe,<br />

schließlich aber in Bithynien verstorben sei. 42 Die »Legenda aurea« fasst im 13. Jh. alle<br />

diese apokryphen Überlieferungen zusammen und trägt damit zu ihrer Popularisierung<br />

im Westen bei. 43 Die Entdeckung eines »<strong>Lukas</strong>grabes« in Ephesus (1865) hat sich<br />

inzwischen als Irrtum herausgestellt. 44<br />

3. Zeit und Ort<br />

Die Datierung des Lk in die Zeit um 90 n. Chr. beruht auf einem breiten Konsens. Von<br />

der Zeit der Jesusbewegung trennt den Autor mittlerweile ein längerer Traditionspro-<br />

37 Diese Annahme entspricht verbreiteter literarischer Konvention, bleibt aber auch darin<br />

ambivalent: einerseits wird hier ein realer Brauch im antiken Verlagswesen sichtbar, andererseits<br />

ist die Nennung eines Mäzens selbst schon wieder ein literarischer Topos.<br />

38 <strong>Das</strong> deutet die Wendung von der »Tragfähigkeit der Worte«, in denen Theophilos »unterwiesen<br />

worden« sei, an (1,4); die lkn. Erzählung zielt dem<strong>nach</strong> auf Unterweisung, Vertiefung und<br />

Festigung im Glauben ab.<br />

39 Vgl. die analoge Situation im Mk-<strong>Evangelium</strong> bei Peterson, The Origins of Mark.<br />

40 Nach Wolter, <strong>Lukas</strong> HNT, 25, schreibt Lk »im Wissen darum, dass das Christentum bereits seit<br />

vielen Jahrzehnten eine über das gesamte römische Reich verteilte überlokale Größe ist.«<br />

41 Bauckham, For Whom Were Gospels Written? Damit soll nicht in Frage gestellt werden, dass<br />

auch Lk Glied und Exponent einer konkreten Gemeinde ist, in deren Tradition er steht und an<br />

deren Leben er teilnimmt.<br />

42 Ausführliche Belege bei Lipsius, Die apokryphen Apostelgeschichten und Apostellegenden, 354–<br />

371; Schermann, Propheten- und Apostellegenden, 288–289; Schneemelcher, Neutestamentliche<br />

Apokryphen in deut scher Übersetzung II, 1964, 37–39.<br />

43 Graesse, Legenda aurea, 692–700 (= 151. De Sancti Luca evangelista); Weidinger, Legenda aurea,<br />

444–446 (= Vom heiligen Evangelisten <strong>Lukas</strong>).<br />

44 Pülz, <strong>Das</strong> sogenannte <strong>Lukas</strong>grab in Ephesos. Die Bezeichnung als »<strong>Lukas</strong>-Grab« geht auf den<br />

Entdecker J. T. Wood zurück, der die Anlage 1865 erstmals untersuchte. Heute gilt als gesichert:<br />

Es handelt sich bei dieser Anlage nicht um ein Grabmonument, sondern um einen röm. Brunnen<br />

in der Oberstadt von Ephesus (2. Jh.), in den später eine byzant. Kirche (5. Jh.) eingebaut wurde.


23<br />

Auslegung<br />

Vorwort 1,1–4 1<br />

(1) Nachdem es schon viele in Angriff genommen haben, eine Erzählung abzufassen<br />

über die Ereignisse, die sich unter uns zugetragen haben, (2) wie sie uns diejenigen<br />

überliefert haben, die von Anfang an Augenzeugen und Diener des Wortes gewesen<br />

sind, (3) habe auch ich mich entschlossen, der ich von neuem alles akribisch<br />

recherchiert habe, es für dich im Folgenden aufzuschreiben, verehrter Theophilos,<br />

(4) damit du die Tragfähigkeit derjenigen Worte erkennst, in denen du unterwiesen<br />

worden bist.<br />

Lk beginnt sein Werk mit einem Vorwort. <strong>Das</strong> ist etwas Besonderes und unterscheidet<br />

ihn von seinen Evangelistenkollegen. In aller Offenheit meldet sich hier der Autor<br />

mit seinem schriftstellerischen Ich zu Wort. Die Programmatik dieses Verfahrens<br />

zeigt sich daran, dass auch die Apostelgeschichte mit einem vergleichbaren Vorwort<br />

beginnt, das auf »das erste Buch« (τὸν πρῶτον λόγον) zurückverweist und mit Theophilos<br />

denselben Adressaten benennt. Für das Formschema dieses Vorwortes gibt es<br />

zahlreiche Parallelen, namentlich bei Josephus Flavius: Der Autor nennt a. das Thema<br />

und seine Bedeutung, moniert b. die Unzulänglichkeit früherer Darstellungen, umreißt<br />

c. die Veranlassung und Abfassungsverhältnisse, beteuert d. seine Unparteilichkeit und<br />

sein Wahrheitsstreben, bekundet e. das Bemühen um sorgfältige Recherche, formuliert<br />

f. die Hauptthese und das leitende Interesse und bietet schließlich g. eine kurze Inhaltsangabe<br />

des folgenden Werkes. 2 Lk setzt damit ein wichtiges Signal an den Anfang: Die<br />

folgende Erzählung ist ein literarisches Werk, das sich sorgfältiger Recherche verdankt<br />

und einem gestaltenden Willen folgt. Formal ordnet sich Lk damit der Szene antiker<br />

Geschichtsschreibung zu, auch wenn er abschließend seine leitende Absicht als eine<br />

theologische zu erkennen gibt. Der gediegene Stil dieses Vorwortes, das aus einem einzigen,<br />

kunstvoll gebauten Satz besteht, ist seit Eduard Norden immer wieder gerühmt<br />

worden. 3 Von 1,5 an fährt Lk dann im bekannten Erzählstil der LXX fort (»es geschah<br />

... und es geschah ...«). Damit steht die Erzählung bereits vom ersten Satz an vor einem<br />

weiten literarischen Horizont, der die Welt atl.-jüd. sowie hellen.-röm. Kultur gleichermaßen<br />

umfasst.<br />

1 Alexander, Preface; Callan, Preface; Klein, Lk 1,1–4 als theologisches Programm; Schneider, Zur<br />

Bedeutung von καθεξῆς.<br />

2 Besonders nahe stehen Josephus, Bell I 1–3; Ant I 1–26; Apion I 1 und II 1; Dioskurides, MatMed<br />

(1. Jh. n. Chr.), letzteres besonders seiner Kürze wegen; vgl. ausführlich Alexander, Preface.<br />

3 Norden, Agnostos Theos, 316.


24 Auslegung<br />

1 Lk weiß: Er ist nicht der Erste, der eine Erzählung (διήγησις) über den angezeigten<br />

Gegenstand verfasst. <strong>Das</strong> Verb ἐπιχειρέω (in Angriff nehmen, wörtl. Hand anlegen)<br />

betont bewusst die handwerkliche, produktorientierte Seite eines solchen Unternehmens.<br />

Wen genau Lk mit den »Vielen« vor Augen hat, bleibt offen: Sicher denkt er an<br />

Mk, wahrscheinlich auch an die Autoren einer Sammlung von Aussprüchen Jesu (der<br />

so genannten »Logienquelle«), eines Passionsberichts und weiterer kleiner, bereits fixierter<br />

Texteinheiten neben einer noch immer lebendigen mündlichen Überlieferung.<br />

Diese »Vielen« erzählen von Ereignissen, die »unter uns«, also in naher Vergangenheit,<br />

»geschehen« sind. Dafür wählt Lk das Verb πληροφορέω, dessen semantische Spannweite<br />

zwischen »erfüllen, vollenden« und schlichtem »geschehen, stattfinden« liegt. 4<br />

Die geschehenen Ereignisse markieren für ihn einen Kulminations- oder Wendepunkt<br />

in der Geschichte Gottes mit seinem Volk; sie lösen alte Verheißungen ein und öffnen<br />

neue Perspektiven; sie schauen zurück und blicken <strong>nach</strong> vorn. Lk beabsichtigt jedenfalls<br />

nicht, einen Schlusspunkt unter die Geschichte Israels zu setzen. Ebenso wenig<br />

will er von der Geburt oder Stiftung einer neuen Religion berichten. Seine Erzählung<br />

ist vielmehr Teil einer langen und wohl bekannten Geschichte, in der ein weiteres,<br />

bedeutsames Kapitel aufgeschlagen wird. 5 2 Seine Gewährsleute sind diejenigen, die<br />

»von Anfang an« dabei waren und somit als »Augenzeugen« und Überlieferungsträger<br />

fungieren. Mit der Wendung »Diener des Wortes« fällt bereits ein wichtiges Stichwort:<br />

Die Kommunikation Gottes mit seinem Volk – von der Zeit der Propheten bis hin zu<br />

Jesus Christus – fasst Lk unter der Chiffre »Wort / Wort Gottes« zusammen. 6 In die Reihe<br />

derer, die »Diener« dieses Wortes sind, fügt sich auch Lk mit seiner Erzählung ein.<br />

3 Der Hinweis auf eine »erneute« (also eigenständige) »akribische Recherche« betont,<br />

was man stilgemäß in einem Vorwort erwarten kann. Beachtung verdient dabei vor<br />

allem das Wort καθεξῆς: Schreibt Lk »der Reihe <strong>nach</strong>«, oder nur »im Folgenden«? Für<br />

beide Übersetzungsmöglichkeiten gibt es Belege und gute Argumente. Bezieht man<br />

das Adverb auf die chronologische Abfolge der Stoffe, dann äußert sich in dieser Bemerkung<br />

eine verhaltene Kritik an den »Vielen«, die es offenbar an einer entsprechenden<br />

Ordnung fehlen lassen. Lk würde in diesem Falle andeuten, warum er eine erneute<br />

Erzählung für notwendig und sinnvoll hält. In der Tat verändert er an einer Reihe von<br />

Stellen die Anordnung der Ereignisse, wie man sie etwa bei Mk und Mt vorfindet.<br />

Immerhin bleibt diese Kritik sprachlich unbestimmt und lässt auch den schlichten<br />

Verweis auf »das Folgende« zu. Der »verehrte Theophilos« 7 erscheint im Rahmen eines<br />

Vorwortes zunächst als Mäzen, dem das Werk gewidmet ist. Ein solches Verfahren,<br />

das man auch mehrfach bei Josephus (z. B. »verehrter Epaphroditos«) finden kann, soll<br />

4 Die meisten Übersetzungen favorisieren »erfüllen« und suggerieren damit das Schema von<br />

»Verheißung und Erfüllung«; Luther 1546 übersetzt noch zurückhaltend mit »Geschichten, so<br />

unter uns ergangen sind«.<br />

5 Diesen Zusammenhang betont vor allem Wolter, Epochengeschichte.<br />

6 März, Wort Gottes bei <strong>Lukas</strong>.<br />

7 <strong>Das</strong> Attribut findet sich auch andernorts für Persönlichkeiten der sozialen Oberschicht; vgl. Apg<br />

23,26 (Felix); 24,3 (Felix); 26,25 (Festus); Josephus, Apion I 1 (der Mäzen Epaphroditus) und öfter.


Vorwort<br />

25<br />

dem Werk die finanzielle Unterstützung bei seiner Verbreitung sichern. 8 Es ist jedoch<br />

nicht zu übersehen, dass es sich hier um einen redenden Namen handelt: Als Theophilos<br />

(= Gottesfreund) 9 können sich alle Adressatinnen und Adressaten angesprochen<br />

fühlen. 4 Der (reale oder fiktive) Adressat wird als Repräsentant einer Gruppe von<br />

Katechumenen vorgestellt, die bereits über Grundkenntnisse verfügen. <strong>Das</strong>s die »Worte«<br />

(Plur.) ihrer Unterweisung mit dem »Wort« (Sing.) der Verkündigung in Beziehung<br />

stehen, liegt nahe. Im Spiel mit dem λόγος-Begriff fließen die Verkündigung des Heilsereignisses<br />

in Christus und der Bericht von den jüngst abgeschlossenen Ereignissen<br />

zusammen. Auf jeden Fall bedürfen die Angesprochenen vertiefter Kenntnisse sowie<br />

einer weiteren Vergewisserung. Mit dem zentralen Begriff der ἀσφάλεια (Tragfähigkeit)<br />

formuliert Lk seine Absicht, die Verlässlichkeit ihres Vorwissens zu bestätigen<br />

und zu festigen. Damit ordnet er sich seinen literarischen Vorgängern wie auch seinen<br />

mündlichen Tradenten (etwa einer spezifischen Gemeindetradition) sehr viel mehr zu,<br />

als dass er sich von ihnen zu unterscheiden versucht.<br />

<strong>Das</strong> Vorwort geht der Erzählung als ein besonderes Textsegment voraus. Was folgt, verdankt<br />

sich bereits einer längeren Überlieferung: es muss geprüft, gesichert, geordnet<br />

und transformiert werden; sein Potential ist für den aktuellen Adressatenkreis noch<br />

einmal neu zu erschließen. Darüber geben diese äußerst dicht und bedachtsam formulierten<br />

vier Verse Auskunft.<br />

I. Ursprung 1,5–4,13<br />

Der erste große Abschnitt der Gesamterzählung (1,5–4,13) handelt vom Ursprung Jesu.<br />

Er umfasst die Geburtsgeschichten sowie die Vorbereitung Jesu auf sein öffentliches<br />

Auftreten. Mit der Erprobung in der Wüste, die als eine Vorbereitungszeit stilisiert ist,<br />

schließt dieser Teil ab. Er enthält jedoch schon eine Reihe wichtiger Motive, die fortan<br />

die Erzählung durchziehen werden – wie etwa die Verwurzelung Jesu im Judentum<br />

seiner Zeit, die Wirksamkeit des Geistes Gottes als Impulsgeber der Ereignisse, die<br />

Öffnung der Sendung Jesu hin zur Völkerwelt oder die Sensibilisierung für sozialgerechtes<br />

Handeln. Lk baut das kurze Vorspiel, das Mk mit der Figur des Täufers seiner<br />

Erzählung voranstellt, zu einer eigenständigen Einheit aus. Jesus tritt nicht unvermittelt<br />

und gleichsam fertig auf, sondern erhält – den Konventionen biographischen Erzählens<br />

entsprechend – eine Geschichte, die auch den Anfang des Lebens als integralen<br />

Bestandteil darzustellen versteht.<br />

8 Im Clemensroman des 2. Jh.s (PseudClem Rec X 71,2–3) wird ein vornehmer, der christl. Gemeinde<br />

gewogener Bürger von Antiochia namens Theophilos erwähnt; aber das ist wohl nur aus Lk<br />

herausgesponnen. Vgl. umfassend Heil / Klampfl, Theophilos (Lk 1,3; Apg 1,1).<br />

9 Peterson, Gottesfreund.


26 Ursprung 1,5–4,13<br />

A. Geburtsgeschichten 1,5–2,52 10<br />

Von Geburtsgeschichten ist bei Lk nur im Plural zu sprechen. Auf kunstvolle Weise<br />

werden hier zwei Erzählkränze ineinandergeflochten, die unverkennbare Parallelitäten<br />

aufweisen. <strong>Das</strong> Kind Johannes und das Kind Jesus stehen schon zueinander in Beziehung,<br />

bevor sie am Jordan aufeinandertreffen werden. In der exegetischen Literatur<br />

hat man deshalb gern von einem »Diptychon« gesprochen, dann aber vor allem die<br />

Asymmetrie beider »Tafeln« betont. 11 Dieses Bild führt in die Irre, denn Lk ist nicht an<br />

einer (sogar schon pränatal zu diagnostizierenden) »Überbietung«, sondern vielmehr<br />

an einer Einbettung der Geschichte Jesu gelegen. Die Geburt des Johannes stellt er<br />

als eine Art Rahmengeschehen für die Geburt Jesu dar; beide Geschichten wiederum<br />

werden in den Horizont jener atl. Erzählungen von wunderbaren Geburten gestellt, in<br />

denen die Schöpfermacht Gottes auf unmittelbare Weise wirksam wird. Die einzige<br />

»Kindheits«-Geschichte stellt in dem lkn. Geburts-Zyklus die Erzählung vom Zwölfjährigen<br />

im Tempel dar (2,41–52). Ansonsten dreht sich alles um den Themenkreis von<br />

Erwartung, Empfängnis und Geburt.<br />

Eine Parallele zu Lk 1–2 bietet allein Mt 1–2. Ansonsten ist die Geburt Jesu im Neuen<br />

Testament kein Thema. 12 Immer wieder hat man diesen Umstand mit der Eigenart<br />

von Familienüberlieferungen erklären wollen, die erst spät bekannt geworden seien.<br />

Die literarische Stilisierung beider Erzählkränze verdankt sich jedoch so eindeutig und<br />

so stark eingeführten Konventionen, dass sich derartige Spekulationen erübrigen. Lk<br />

und Mt legen mit ihren Geburtsgeschichten ein Kapitel narrativer Theologie vor, das<br />

dem Bekenntnis zu Jesus von Nazaret als dem Sohn Gottes <strong>nach</strong>spürt. Bei aller Übereinstimmung<br />

in grundlegenden Punkten 13 setzen sie eigene Akzente. Mt kontrastiert<br />

den »neugeborenen König der Juden« in Betlehem mit dem König von Roms Gnaden<br />

in Jerusalem. Lk hingegen leuchtet die Bühne der röm. Weltpolitik im 1. Jh. aus, um die<br />

beiden Verheißungsträger Johannes und Jesus in das Spannungsfeld zwischen Israel<br />

und der Völkerwelt einzuordnen. 14<br />

Erzählchronologisch zutreffend und theologisch sachgemäß geht die Geburt des Johannes<br />

der Geburt Jesu voraus. In der Figur des Johannes bündelt sich noch einmal die<br />

10 Brown, The Birth of the Messiah; Dibelius, Jungfrauensohn und Krippenkind; Laurentin,<br />

Struktur und Theologie; Norden, Geburt des Kindes; Radl, Ursprung Jesu.<br />

11 So seit Dibelius mit dem Ziel, die Überlegenheit Jesu schon in der narrativen Anlage abgebildet<br />

zu finden. Der Begriff Diptychon vermag die Parallelität jedoch nur ungenügend abzubilden: sie<br />

betrifft lediglich Ankündigung und Geburt; beide Tempelszenen Jesu haben keine Entsprechung<br />

bei Johannes.<br />

12 Exkurs 2: Jungfrauengeburt.<br />

13 <strong>Das</strong> betrifft: die Zeit Herodes des Großen, den Ort Betlehem, die Eltern (Josef als Davidide,<br />

Maria als Jungfrau), die Ankündigung durch einen Engel, den Ursprung im Geist Gottes, den im<br />

Vorhinein bestimmten Namen Jesus, die Vorlage eines Stammbaums. Alle diese Elemente deuten<br />

auf eine gemeinsame Tradition hin, die dann im Einzelnen unterschiedlich ausgestaltet wird.<br />

14 Die politische Stimmungslage spiegelt sich vor allem in der Konstellation zwischen Rom und<br />

dem Klientelfürsten Herodes sowie in der folgenden Zensusgeschichte wider.


Geburtsgeschichten 1,5–2,52<br />

27<br />

Geschichte Israels, aus der die Bewegung des Propheten aus Nazaret hervorgeht. Mit<br />

der Begegnung der Mütter (1,39–56) werden beide Erzählstränge zusammengeführt.<br />

Die Ankündigung der Geburt des Johannes findet im Tempel statt; mit zwei Tempelszenen<br />

endet auch die Geschichte des Kindes Jesus. Die unterschiedlichen Situationen<br />

beider Mütter lassen sich am kürzesten mit den Stichwörtern »Greisinnengeburt« und<br />

»Jungfrauengeburt« umschreiben. 15 Die Geburtsumstände Jesu, die gegenüber den atl.-<br />

jüd. Erzählungen neue Akzente aufweisen, erfahren zudem eine breitere Ausmalung<br />

als im Falle des Johannes; auf sie läuft die Erzählung zu. Immer wieder fügt Lk hymnische<br />

Passagen ein, die aus dem Gang der Erzählung heraustreten und eine zweite,<br />

der theologischen Deutung vorbehaltene Ebene einziehen. 16 Wachstumsnotizen (1,80;<br />

2,40.52) schließen die Geburtsgeschichten ab und überbrücken mit ihrer summarischen<br />

Aussage die Zeitspanne, bis Johannes und Jesus dann einander als erwachsene<br />

Männer wiederbegegnen.<br />

1. Ankündigungsszenen 1,5–56 17<br />

Beide Szenen folgen einem gemeinsamen Erzählschema, für das es in der atl.-jüd. wie<br />

auch in der hellen. Literatur zahlreiche Beispiele gibt. Formelemente solcher »Geburtsankündigungen«<br />

sind: 1. die Ausgangssituation der Kinderlosigkeit; 2. die Ankündigung<br />

der Geburt eines Kindes im Traum, durch einen Gottesspruch oder eine Engelserscheinung;<br />

3. der Auftrag zur Namensgebung, gelegentlich auch verbunden mit Einwänden,<br />

Rückfragen, Zweifeln und Bestätigungen. Dieser Plot setzt sich dann in der<br />

Regel fort in einem Bericht über 4. Empfängnis und Geburt, 5. die Verkündigung des<br />

Geschehens sowie in einigen Fällen auch 6. über die Bedrohung und Bewahrung des<br />

Kindes. 18 Damit wird signalisiert: Die Bedeutung großer Persönlichkeiten lässt sich<br />

bereits am Beginn ihres Lebens erkennen. Den nächstliegenden Bezugsrahmen stellen<br />

die atl. Geburtsgeschichten dar, besonders die von der Geburt des Isaak in Gen 21. 19<br />

Diese Erzählungen gehören zum religiösen Allgemeinwissen und werden sofort assoziiert,<br />

wenn etwa von der Geburt des Johannes die Rede ist. In seinem Falle erfolgt die<br />

Ankündigung an die Adresse des Vaters, im Falle Jesu an die Adresse der Mutter; beide<br />

reflektieren ihre Erfahrung mit der Rezitation eines hymnischen Dankgebetes. Eine<br />

Verschiebung bzw. kreative Fortschreibung dieses Erzählschemas kündigt sich darin<br />

an, dass bei Maria die Ausgangslage eine völlig andere ist als bei Elisabet: Alter und<br />

15 Holtz, Jungfrauengeburt und Greisinnengeburt.<br />

16 Exkurs 5: Cantica.<br />

17 <strong>Böttrich</strong>, Vergessene Geburtsgeschichte; Holtz, Jungfrauengeburt und Greisinnengeburt; Radl,<br />

Ursprung Jesu; Zeller, Ankündigung der Geburt; ders., Geburtsankündigung und Geburtsverkündigung.<br />

18 Letzteres spielt bei Lk keine Rolle, wird aber für Mt zu einem Schwerpunktthema; vgl. die<br />

zahlreichen Belege bei Luz, Matthäus 1 EKK, Faltblatt zwischen 84 und 85.<br />

19 Gen 17,15–22 / 18,1–15 / 21,1–8; Ri 13,1–25; 1Sam 1,1–20; Lk 1,5–25.57–79; 2Hen 71–72; Protev<br />

1–5.


28 Ursprung 1,5–4,13<br />

Unfruchtbarkeit dort, die Situation einer unverheirateten jungen Frau hier. Die Frage<br />

<strong>nach</strong> dem Ehemann wird somit zum entscheidenden Differenzpunkt beider Geburtsankündigungen.<br />

Beide Ankündigungsszenen (1,5–56) lassen sich, wenn man noch die Geburt des<br />

Johannes mit einbezieht (1,57–80), auch als eine Ringkomposition verstehen: 20 Die<br />

Ankündigung an Zacharias und sein Hymnus wären dann der äußere Ring (1,8–25 /<br />

1,67–79), die Ankündigung an Maria und ihr Hymnus wären der innere Ring (1,26–38<br />

/ 1,46–55), im Zentrum aber stünde die Begegnung der Mütter (1,39–45) als Herzstück<br />

der gesamten Erzähleinheit. 21 Doch auch dann, wenn man beide Erzählschemata (Ankündigung<br />

und Geburt) nebeneinander stellt, zeigt sich in aller Deutlichkeit: Der Ursprung<br />

Jesu ist in eine Geschichte eingebettet, die bei den Patriarchen beginnt und die<br />

auch bei dem Propheten Johannes noch nicht endet.<br />

1.1 Ankündigung der Geburt des Johannes 1,5–25 22<br />

(5) Es geschah in den Tagen des Herodes, des Königs von Judäa, (da lebten) ein<br />

Priester mit Namen Zacharias von der Abteilung Abia, und seine Frau von den<br />

Töchtern Aarons, die Elisabet hieß. (6) Beide aber waren gerecht vor Gott, indem<br />

sie in allen Geboten und Weisungen des Herrn untadelig lebten. (7) Und sie hatten<br />

kein Kind, denn Elisabet war unfruchtbar. Und beide waren in fortgeschrittenem<br />

Alter.<br />

(8) Es geschah aber, als er den Priesterdienst ausübte in der Ordnung seiner Abteilung<br />

vor Gott, (9) da wurde er ausgelost <strong>nach</strong> dem Brauch des Priesteramtes, hineinzugehen<br />

in das Heiligtum des Herrn, um zu räuchern. (10) Und die ganze Menge<br />

des Volkes betete draußen zur Stunde des Räucheropfers. (11) Es erschien ihm aber<br />

ein Engel des Herrn. Der stand zur Rechten des Altars für das Räucheropfer. (12)<br />

Und Zacharias erschrak, als er ihn sah, und Furcht überfiel ihn. (13) Der Engel aber<br />

sprach zu ihm: »Fürchte dich nicht, Zacharias! Denn deine Bitte ist erhört worden.<br />

Und deine Frau Elisabet wird dir einen Sohn gebären. Und du sollst seinen Namen<br />

Johannes nennen. (14) Und für dich wird Freude und Jubel sein. Und viele werden<br />

sich über seine Geburt freuen. (15) Denn er wird groß sein vor dem Herrn. Und<br />

Wein und Berauschendes wird er nicht trinken. Und mit heiligem Geist wird er<br />

erfüllt sein schon vom Leib seiner Mutter an. (16) Und viele der Kinder Israel wird<br />

er zurückwenden zu dem Herrn, ihrem Gott. (17) Und er wird vor ihm hergehen in<br />

Geist und Kraft des Elija, um die Herzen der Väter den Kindern zurückzuwenden<br />

und die Ungehorsamen zur Einsicht der Gerechten, um für den Herrn ein wieder<br />

hergestelltes Volk vorzubereiten.« (18) Und Zacharias sprach zu dem Engel:<br />

»Woran werde ich das erkennen? Denn ich bin alt, und meine Frau ist in fortge-<br />

20 So etwa Wolter, <strong>Lukas</strong> HNT, 70–71.<br />

21 Die Frage ist, ob eine solche Ringstruktur von der ursprünglichen Leser- und vor allem Hörerschaft<br />

auch wahrgenommen werden konnte.<br />

22 Busink, Tempel von Jerusalem; Ganser-Kerperin, Zeugnis des Tempels; Jeremias, Jerusalem zur<br />

Zeit Jesu.


Geburtsgeschichten 1,5–2,52<br />

29<br />

schrittenem Alter.« (19) Und der Engel antwortete und sprach zu ihm: »Ich bin<br />

Gabriel, der vor Gott steht. Und ich wurde gesandt, um zu dir zu reden und dir diese<br />

Dinge zu verkündigen. (20) Und siehe, du wirst stumm sein und nicht reden können<br />

bis zu dem Tag, an dem diese Dinge geschehen, weil du meinen Worten nicht<br />

geglaubt hast, die zu ihrer Zeit erfüllt werden sollen.« (21) Und das Volk erwartete<br />

den Zacharias und wunderte sich darüber, dass er sich im Tempel verspätete. (22)<br />

Als er aber herauskam, konnte er nicht zu ihnen reden. Und sie erkannten, dass<br />

er eine Erscheinung im Tempel gesehen hatte. Und er gab ihnen ein Zeichen und<br />

blieb stumm.<br />

(23) Und es geschah, als die Tage seines Dienstes beendet waren, dass er fortging in<br />

sein Haus. (24) Nach diesen Tagen aber empfing seine Frau Elisabet. Und sie verbarg<br />

sich fünf Monate lang, indem sie sagte: (25) »So hat der Herr an mir getan in<br />

den Tagen, als er darauf sah, meine Schande wegzunehmen unter den Menschen.«<br />

Der Abschnitt beginnt mit einer Eröffnung (1,5–7), die zugleich einen weiten Bogen<br />

bis zum Abschluss jenes Erzählstranges, der Johannes betrifft (1,80), spannt. In dieser<br />

Eröffnung werden die Ausgangssituation, die handelnden Personen sowie die näheren<br />

Zeitumstände benannt. Ort des Geschehens ist zwischen 1,8 und 1,23 der Tempel in<br />

Jerusalem; erneut setzt hier ein großer Bogen an, der bis zum Schluss der gesamten Erzählung<br />

(24,53) reicht; die Geschichte beginnt und endet im Tempel als dem maßgeblichen<br />

Ort der Heilsoffenbarung Gottes. Formal hat die Texteinheit den Charakter einer<br />

Angelophanie, bei der die Rede des Engels (1,13–17) den größten Raum einnimmt; ihr<br />

schließt sich noch ein kurzer Wortwechsel an (1,18–20), der erzähltechnisch geschickt<br />

die Zeitspanne bis zur Geburt des angekündigten Kindes thematisiert. <strong>Das</strong> Bild des im<br />

Tempel versammelten Volkes, mit dem die Szene beginnt, schließt sie auch ab (1,8–10<br />

/ 21–22). Eine kurze Notiz über die Rückkehr des Zacharias und die Schwangerschaft<br />

der Elisabet (1,23–25) setzt den Schlusspunkt. Der Duktus der Erzählung nimmt ab 1,5<br />

den Stil atl. Erzählweise auf, wie ihn das lkn. Lesepublikum aus der LXX kennt: Die<br />

Geschichte, die nun beginnt, fügt sich auch im Tonfall in die lange Geschichte Gottes<br />

mit seinem Volk Israel ein.<br />

5 Lk und Mt erzählen übereinstimmend, dass Jesus noch zur Zeit Herodes des Großen<br />

(73–4 v. Chr.) geboren sei. 23 Mit diesem ersten Synchronismus 24 wird die Geschichte<br />

zeitlich eingeordnet und zugleich in ein bestimmtes politisches Licht getaucht. Herodes<br />

der Große ist vor allem als Willkürherrscher in Erinnerung geblieben, was Mt in<br />

der Geschichte vom Kindermord (Mt 2,12–23) festhält. Lk nennt lediglich den Namen,<br />

ruft aber allein damit bei seinem Lesepublikum die entsprechenden Assoziationen auf.<br />

Als eine Art Gegenbild erscheinen die beiden Hauptfiguren des folgenden Abschnittes:<br />

der Priester Zacharias (hebr. Sacharja = JHWH hat gedacht) und seine Frau Elisabet<br />

(= mein Gott ist Fülle). Die Abteilung Abia (vgl. 1Chr 24,10) bezeichnet die priesterliche<br />

Dienstklasse, der Zacharias angehört; mit ihr ist er für zwei Wochen im Jahr<br />

23 Vogel, Herodes.<br />

24 Exkurs 4: Chronologie.


30 Ursprung 1,5–4,13<br />

zum Dienst am Heiligtum in Jerusalem verpflichtet. 25 In sozialer Hinsicht gehört die<br />

Priesterschaft zur Elite und genießt höchstes Ansehen. <strong>Das</strong> gilt insbesondere für Elisabet,<br />

deren Zugehörigkeit zur Sippe Aarons auch innerhalb der Priesterschaft noch<br />

einmal belegt, dass sie aus bester Familie stammt. 6 Beide zeichnen sich jedoch nicht<br />

nur durch ihren sozialen Status, sondern vor allem durch ihre Lebensweise aus. Mit<br />

diesem Ehepaar führt Lk ein Milieu frommer (»gerechter«) Israeliten ein, 26 in denen<br />

sich das Gottesvolk gleichsam auf idealtypische Weise verkörpert. Sie leben »untadelig«<br />

<strong>nach</strong> der Tora, die für Lk Willen und Weisung Gottes auch völlig hinreichend bekundet.<br />

27 7 In Spannung zu ihrer Gerechtigkeit steht allerdings die Kinderlosigkeit,<br />

die Elisabet rückblickend als »Schande unter den Menschen« bezeichnen wird (1,25).<br />

<strong>Das</strong> Problem erfährt durch die Unfruchtbarkeit der Elisabet und das fortgeschrittene<br />

Alter beider Ehepartner eine letzte Steigerung: Eine realistische Hoffnung gibt es<br />

nicht mehr.<br />

8–10 Lk zeigt sich mit den topographischen Gegebenheiten wie auch mit den liturgischen<br />

Abläufen im Tempel von Jerusalem bestens vertraut. Im Rahmen des Tamidopfers,<br />

das morgens die Reihe der Opferhandlungen beginnt und <strong>nach</strong>mittags wieder<br />

beschließt, betreten die dafür ausgelosten Priester den Vorraum des Allerheiligsten. 28<br />

Dort stehen die große Menora, die Schaubrottische und der Rauchopferaltar, der täglich<br />

zu versorgen ist. <strong>Das</strong>s Lk Zacharias allein das Heiligtum betreten lässt, hat schon<br />

mit der folgenden Angelophanie zu tun. Die »Menge des Volkes« ist eher als eine überschaubare<br />

Gruppe vorzustellen, denn der Vorhof der Israeliten, von dem aus allein man<br />

den Brandopferaltar und die Stufen zum Eingang des Tempelgebäudes einsehen kann,<br />

bietet wenig Raum; zudem ist er nur Männern vorbehalten. 29 Ausdrücklich verweist<br />

Lk darauf, dass das »Volk betet«: zum einen, weil er immer wieder Schlüsselszenen<br />

aus Gebetssituationen hervorgehen lässt; 30 zum anderen, weil er dadurch schon einmal<br />

vorab zeigen kann, was der Tempel in Wahrheit sein soll – nämlich ein »Haus des Gebetes«<br />

(Lk 19,46 // Jes 56,7). Welche »Stunde des Räucheropfers« (morgens oder <strong>nach</strong>mittags)<br />

gemeint ist, bleibt offen und ist für den Zusammenhang auch unerheblich.<br />

11–12 Die folgende Angelophanie findet im Heiligtum statt. Der Gottesbote erscheint<br />

Zacharias unmittelbar dort, wo er seinen priesterlichen Dienst zu verrichten hat. Vom<br />

Erzähler wird er als ἄγγελος (Bote des Herrn) bezeichnet; später stellt sich dieser Bote<br />

dann auch namentlich vor und verweist auf seinen Auftrag (1,19). Es entspricht dem<br />

Erzählschema von Angelophanien, dass Menschen angesichts der göttlichen Wirklich-<br />

25 Zu den 24 Priesterklassen vgl. 1Chr 24,7–18 / Neh 12,1–7.12–21; zum Ganzen Josephus, Ant VII<br />

365; Ap II 108; mTamid 5,1.<br />

26 <strong>Das</strong> gilt ferner für Maria und Josef, Simeon und Hanna; später für Josef von Arimathäa sowie für<br />

verschiedene Figuren in Gleichnissen Jesu.<br />

27 Lk 16,29: »Sie haben Mose und die Propheten. Auf die sollen sie hören.«<br />

28 Vgl. dazu ausführlich den Mischnatraktat mTamid; Billerbeck 2, 71–77.<br />

29 Lk liebt die Bedeutungsperspektive, in der die Ereignisse größer erscheinen, als sie sind; aus<br />

kleinen Ortschaften werden Städte, das abgelegene Galiläa avanciert zum Schauplatz von<br />

Weltgeschichte (Apg 26,26).<br />

30 Exkurs 21: Gebet.


Geburtsgeschichten 1,5–2,52<br />

31<br />

keit von Furcht und Schrecken erfasst werden und deshalb des Zuspruches »Fürchte<br />

dich nicht!« bedürfen.<br />

13 Mit diesem Zuspruch eröffnet der Gottesbote stilgemäß seine Rede, welche die<br />

Ankündigung des ersehnten Kindes zum Inhalt hat. Auch Zacharias wird dabei noch<br />

einmal als Beter vorgestellt, denn trotz des inzwischen aussichtslos gewordenen Kinderwunsches<br />

hält er offensichtlich an seiner Bitte um Nachwuchs fest – ein weiterer<br />

Zug tiefen Gottvertrauens, das sich allein an dem Vorbild eines Abraham aufrichten<br />

kann! Mit der Zusage von Elisabets Schwangerschaft ist der Auftrag zur Namensgebung<br />

31 verbunden. Dadurch wird der Name Johannes (hebr. Jochanan = JHWH hat sich<br />

erbarmt) bewusst als ein redender Name eingeführt: Gott erhört Gebete und wendet<br />

sich der Not seiner Frommen zu. 14 »Freude und Jubel« setzen an dieser Stelle nicht<br />

nur ein wichtiges Vorzeichen hinsichtlich des Grundtones der Erzählung; 32 sie weiten<br />

den Horizont zugleich über die Erfüllung des persönlichen Kinderwunsches hinaus<br />

aus. Die Freude im Hause des Priesters werden »viele« teilen (vgl. 1,58). Warum, das<br />

entfaltet die folgende Porträtskizze des angekündigten Kindes. 15 <strong>Das</strong>s es »groß vor<br />

dem Herrn« sein werde, weist auf eine besondere Gottesbeziehung hin, die sich angesichts<br />

seines Verzichts auf Alkohol sowie seiner Erfüllung mit dem Gottesgeist noch<br />

genauer als eine Art lebenslanges Nasiräat 33 verstehen lässt. Nasiräer (vgl. Num 6,1–21)<br />

sind weniger Asketen als vielmehr Gottgeweihte; nicht die Absonderung von der Welt,<br />

sondern die Zuordnung zu Gott ist das entscheidende Kennzeichen ihres Status. 34 Die<br />

Erfüllung mit Gottesgeist »schon von Mutterleib an« rückt das Kind in eine Reihe mit<br />

Propheten wie Jesaja oder Jeremia. 35 16 <strong>Das</strong> Kind wird als künftiger Umkehr-Prediger<br />

in den Blick genommen, wobei Lk noch einmal an die »vielen« aus 1,14 erinnert. 17<br />

Die abschließende Aussage entwirft schließlich in aller Klarheit eine Elija-Typologie,<br />

wie sie in der Folge noch häufiger aufgegriffen und entfaltet werden wird. 36 Die Versöhnung<br />

der Generationen, wie sie auch in Mal 3,24 oder in Sir 48,10 anklingt, bereitet<br />

das Kommen Gottes vor. Damit wird sowohl die künftige Funktion des Täufers in<br />

3,3–6 skizziert als auch dessen Beziehung zu Jesus im Sinne eines Vorläufermodells<br />

bestimmt.<br />

31 Vgl. dazu Gen 16,11; 17,19; Jes 7,14.<br />

32 Exkurs 33: Freude.<br />

33 Damit ruft Lk erneut Assoziationen zu Figuren wie Simson (Ri 13–16) oder Samuel (1Sam 1–3)<br />

auf.<br />

34 In der Zeit des Zweiten Tempels ist das Nasiräat weit verbreitet; vgl. etwa Chepey, Nazirites in<br />

Late Second Temple Judaism; zudem den Traktat mNazir.<br />

35 Dort ist es die Berufung zum Prophetenamt (Jes 49,1; Jer 1,5). Paulus weiß sich »von Mutterleibe<br />

an« von Gott zur Völkermission ausgesondert (Gal 1,15).<br />

36 Vgl. dazu 3,3–6.7–9; 7,24–28; 20,6.


64 Ursprung 1,5–4,13<br />

im Tempel fühlt er sich verbunden; ihnen gesellt er sich zu; was sie sagen und diskutieren,<br />

nimmt er mit Interesse auf. Später wird er selbst im Tempel als Lehrer auftreten<br />

(20,1–21,36). In Jerusalem ist er nicht weniger zu Hause als in Galiläa. Er begehrt nicht<br />

gegen das »Establishment« auf, sondern fragt bei den Fachleuten <strong>nach</strong>, nimmt an ihren<br />

Diskursen teil und bringt ein, was ihm im Besonderen aufgetragen ist.<br />

B. Vorbereitung 3,1–4,13 133<br />

An die Geburtsgeschichten schließt ein Abschnitt an, der erzählstrategisch noch in den<br />

Zusammenhang der Frage <strong>nach</strong> dem Ursprung Jesu gehört. Inhaltlich leitet er indessen<br />

schon deutlich zum öffentlichen Auftreten Jesu in Galiläa über. Dafür greift Lk auf<br />

den Anfang des Mk-<strong>Evangelium</strong>s zurück und bedient sich erstmals auch bei Stoffen<br />

aus Q. Daraus konzipiert er eine neue Einheit, die der Phase von Geburt und Kindheit<br />

auch eine Phase der Vorbereitung des Erwachsenen auf seine künftige Tätigkeit zur<br />

Seite stellt. Erneut und immer noch beherrschen vor allem Johannes der Täufer und<br />

Jesus die Szene. Zunächst wird das Auftreten des Täufers dargestellt (3,1–22), das mit<br />

einer Begegnungsszene abschließt: Der pränatalen Begegnung der Kinder im Leib ihrer<br />

Mütter folgt die reale Begegnung der Männer bei der Taufe am Jordan (3,21–22).<br />

Der anschließende Stammbaum Jesu (3,23–38) ist Zäsur und Bindeglied zugleich: zum<br />

einen trennt er die Erprobung Jesu, die ihn in eigener Verantwortung zeigt, von der<br />

unter der Regie des Johannes stattfindenden Taufszene ab; zum anderen verbindet<br />

er die Berufung und Bewährung des Gottessohnes durch den großen genealogischen<br />

Bogen, der bis zum Ursprung der Menschheit bei Gott zurückreicht und das Thema<br />

»Gottessohn« noch einmal in einen geschichtlichen Horizont rückt. Mit der Erprobung<br />

(4,1–13) erfolgt dann die letzte Vorbereitungsetappe; der erwachsene Geistträger ist<br />

bereit, seine Botschaft auszurichten.<br />

Der Übergang zur Antrittspredigt Jesu in Nazaret, die eindeutig als Auftaktgeschehen<br />

des zweiten großen Hauptteiles konzipiert ist, wird durch das kurze Zwischenstück<br />

4,14–15 <strong>nach</strong> Art eines Adapters mehr verbunden als getrennt. Beide Verse können<br />

gleichermaßen als Abschluss wie auch als Anfang verstanden werden, gehören<br />

jedoch thematisch mehr zum folgenden Auftreten in Galiläa als zur Vorbereitung Jesu<br />

in der Wüste.<br />

1. Auftreten des Täufers 3,1–22 134<br />

Mit dem Auftreten des Täufers verlässt Lk den Bereich seiner Sonderüberlieferung und<br />

orientiert sich am Anfang der mkn. Erzählung. Er stellt ihr einen dritten Synchronismus<br />

(3,1–2) voran, der – eingedenk der inzwischen verstrichenen Zeit – die geschichtli-<br />

133 Ettl, Anfang; Klauck, Vorspiel.<br />

134 Backhaus, Jüngerkreise; C. <strong>Böttrich</strong>, Art. Johannes der Täufer, www.wibilex.de, 2013; Ernst,<br />

Johannes der Täufer; Müller, Johannes der Täufer; Tilly, Johannes der Täufer; Exkurs 6: Johannes<br />

der Täufer.


Vorbereitung 3,1–4,13<br />

65<br />

che Situation neu bestimmt. <strong>Das</strong>s mit der Umkehrpredigt des Täufers die prophetische<br />

Tradition Israels aufgerufen wird (3,3–6), nimmt die Intention des Mk-»Prologs« adäquat<br />

auf. Da<strong>nach</strong> aber geht Lk wieder eigene Wege und konzipiert mit der »Täuferrede«<br />

(3,7–18) die erste einer Reihe von Schlüsselreden. <strong>Das</strong> Ende des Täufers (3,19–20)<br />

wird unvermittelt und eher beiläufig angeschlossen, ohne seinen gewaltsamen Charakter<br />

zu betonen. Die Taufe Jesu (3,21–22) hat deshalb schon die Gestalt einer Rückblende.<br />

Die Besonderheit des lkn. Täuferbildes bemisst sich vor allem an der Rede und<br />

ihrem Schluss in 3,18: Johannes lehrt sozialgerechtes Handeln und verkündigt bereits<br />

»<strong>Evangelium</strong>«; er gewinnt damit das Profil eines Weisheitslehrers, während Mk und<br />

Mt ausschließlich den Propheten und apokalyptischen Gerichtsprediger porträtieren.<br />

1.1 Einleitung 3,1–6 135<br />

(1) Im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus<br />

(als Präfekt) über Judäa herrschte und Herodes als Tetrarch über Galiläa, sein Bruder<br />

Philippus aber als Tetrarch über Ituräa und das Gebiet der Trachonitis sowie<br />

Lysanias als Tetrarch über Abilene, (2) als Hannas und Kaiphas Hohepriester waren,<br />

erging ein Wort Gottes an Johannes, den Sohn des Zacharias, in der Wüste.<br />

(3) Und er kam in die ganze Umgebung des Jordans und verkündigte eine Taufe<br />

der Umkehr zur Vergebung von Sünden, (4) wie geschrieben steht im Buch der<br />

Worte Jesajas, des Propheten: ›Stimme eines Rufers in der Wüste: Bereitet den<br />

Weg des Herrn! Macht seine Pfade gerade! (5) Jede Schlucht soll aufgefüllt und<br />

jeder Berg und Hügel soll eingeebnet werden! Und das Krumme soll gerade und<br />

das Unwegsame soll zum ebenen Weg werden! (6) Und alles Fleisch wird das Heil<br />

Gottes schauen!‹<br />

<strong>Das</strong> Auftreten des Täufers terminiert Lk mit einem dritten Synchronismus (3,1–2), 136<br />

den er rückwärts mit der Notiz vom Aufenthalt des Johannes in der Wüste (1,80) und<br />

vorwärts mit dem aus Mk 1,3 stammenden Jesaja-Zitat (3,4–6) verknüpft. Dazwischen<br />

fügt er eine kurze Notiz über das Auftreten des Johannes am Jordan und seiner Tauftätigkeit<br />

(3,3) ein. Auf diese Weise löst Lk den tonangebenden Schriftbeleg aus seiner<br />

Einbettung in den mkn. Eingangsteil heraus und macht ihn zur einer Art Erfüllungszitat<br />

für das, was am Jordan geschieht.<br />

1 Die Geschichte schreitet voran. Auf Augustus folgt inzwischen Tiberius (14–37 n. Chr.);<br />

die Verwaltung der ehemaligen Archelaos-Ethnarchie durch die Römer liegt in der Verantwortung<br />

eines gewissen Pilatus (26–36 n. Chr.), von dem später noch zu hören sein<br />

wird. Mit dem »Tetrarchen Herodes« ist Herodes Antipas (4 v. Chr. – 39 n. Chr.) gemeint,<br />

mit Philippus (4 v. Chr. – 34 n. Chr.) sein Halbbruder; neben beiden Herodianern steht<br />

135 Rusam, <strong>Das</strong> Alte Testament bei <strong>Lukas</strong>, 151–163.<br />

136 Exkurs 4: Chronologie.


66 Ursprung 1,5–4,13<br />

Lysanias für das weitere Umfeld in nordöstlicher Richtung. 137 2 Die beiden Hohenpriester<br />

Hannas (6–15 n. Chr.) und Kaiphas (18–36/37 n. Chr.) lenken den Blick wieder<br />

zurück auf Jerusalem. Damit ist der zeitliche Rahmen abgesteckt: die Geschichte spielt<br />

in der zweiten Hälfte der 20er Jahre; Geistträger ist Johannes schon »von Mutterleib<br />

an« (1,15); der Aufenthalt in der Wüste (1,80) hat ihn für seine Aufgabe vorbereitet. Die<br />

Wendung »ein Wort Gottes (ῥῆμα θεοῦ) erging« lässt an ein prophetisches Berufungserlebnis<br />

denken. 138 Jedenfalls markiert Lk damit jenen Moment, in dem der Täufer erstmals<br />

aus seiner Zurückgezogenheit hervortritt. Wo genau er sich bislang aufgehalten<br />

hat, bleibt offen. Doch der folgende Vers legt nahe, dass es sich dabei (in der Wüste)<br />

noch nicht um die Jordansenke, sondern um eine abgelegenere Gegend handelt.<br />

3 Erst unter dem Eindruck des Gotteswortes verlässt Johannes die Wüste und<br />

kommt zum Jordan, dessen Wasser er für seine Tauftätigkeit benötigt. Lk umreißt den<br />

Ort großzügig als »Gegend am Jordan«. Vermutlich wählt der Täufer eine der Furten<br />

aus, an der er mit Publikum rechnen kann. 139 <strong>Das</strong>s er die Taufe nicht nur verkündet,<br />

sondern auch vollzieht, zeigt der Fortgang der Erzählung. Doch offenbar spielt das<br />

prophetische Wort dabei eine entscheidende Rolle. Der Terminus »Taufe« (βάπτισμα =<br />

das Untertauchen) erschließt sich im jüd. Kontext von selbst als ein Reinigungsritus.<br />

Dessen Besonderheit besteht darin, »Taufe der Umkehr zur Vergebung von Sünden«<br />

zu sein. Umkehr 140 ist ein Thema atl.-jüd. Ethik; Sündenvergebung wird in der Regel<br />

kultisch vermittelt. In dieser Verbindung zeigt sich das innovative Element, mit dem<br />

der Prophet Johannes von sich reden macht.<br />

4–5 <strong>Das</strong> folgende Zitat, eingeführt mit der stereotypen Formel »wie geschrieben<br />

steht«, löst die Zitatenkombination aus Mk 1,2–3 141 wieder auf, so dass tatsächlich nur<br />

noch Jesaja zu Wort kommt – dafür jedoch am Ende gegenüber Mk (Jes 40,3) um zwei<br />

Verse erweitert (Jes 40,3.4–5). Der Beginn des »Trostbuches« in Jes 40 entwirft eine<br />

große Vision: Die Rückkehr des Volkes aus dem babylonischen Exil steht unmittelbar<br />

bevor; Gott selbst wird ihrem Zug in die Heimat vorangehen; dafür soll der Weg durch<br />

die Wüste bis in das judäische Bergland wie eine große Aufmarschstraße beräumt<br />

137 Bei Lysanias irritiert der Titel Tetrarch (= Herrscher über ein Viertel des Landes): <strong>Das</strong> Gebiet des<br />

Herodes wurde bereits zu je einem Viertel an Herodes Antipas und Philippus, zu zwei Vierteln<br />

an Archelaos vererbt. <strong>Das</strong> Territorium des Lysanias liegt folgerichtig auch außerhalb des alten<br />

Herodes-Gebiets.<br />

138 Vgl. zur Wortereignisformel 1Sam 15,10; Jes 38,4; Jer 1,2.4.11.13; Ez 1,3; 3,16; u. ö.<br />

139 Die Orte, die in Joh 1,28 und 3,23 sowie in der Pilgerliteratur vom 4. Jh. an genannt werden,<br />

verweisen auf den Unterlauf des Jordan; vgl. C. <strong>Böttrich</strong>, Art. Johannes der Täufer, www.wibilex.<br />

de, 2013.<br />

140 Die verbreitete Übersetzung mit »Buße« führt auf eine falsche Spur: Buße steht im Deutschen<br />

für eine Kompensationsleistung; μετάνοια aber heißt wörtlich »Umdenken« und steht als Äquivalent<br />

für das hebr. šub im Sinne von »umkehren, die Richtung ändern«.<br />

141 Mk 1,2 stellt eine Kombination aus Ex 23,20 und Mal 3,1 dar; Mk 1,3 fügt noch Jes 40,3 hinzu;<br />

alles zusammen wird als Zitat aus »Jesaja, dem Propheten« eingeführt. Lk hat die Kombination<br />

Ex 23,20 / Mal 3,1 (aus Mk 1,2) mit einem Bezug auf den Täufer versehen und in 7,27 platziert;<br />

Mt 11,10 verfährt ebenso.


Vorbereitung 3,1–4,13<br />

67<br />

werden; eine anonyme »Stimme« ruft deshalb: »In der Wüste bereitet ...!«; wen sie<br />

konkret anspricht und mit dieser gewaltigen Aufgabe betraut, bleibt offen. In der LXX<br />

wird aus der »Stimme« die »Stimme eines Rufers in der Wüste«, 142 was bereits eine<br />

konkrete Figur assoziiert. Damit ist für Mk 1,3 / Lk 3,4 die Brücke hin zu dem Wüstenpropheten<br />

Johannes geschlagen. <strong>Das</strong> Zitat dient nun zur Begründung und Erläuterung<br />

jener »Taufe der Umkehr zur Vergebung von Sünden«, mit der Johannes nicht mehr<br />

die Rückkehr aus dem Exil, wohl aber das Kommen Gottes vorbereitet. Was in Jes<br />

40,3–5 mit der Bereinigung von Wegen noch eine reale Strecke assoziiert, wird nun<br />

vollends zur Metapher für die Bereinigung der Gottesbeziehung. 6 Zum Abschluss des<br />

Zitates liefert die LXX-Fassung ein wohl bekanntes Stichwort: Alle Menschen (alles<br />

»Fleisch«) werden »τὸ σωτήριον τοῦ θεοῦ (das Rettende Gottes)« sehen. Diese auffällige<br />

Neutrumform hatte bereits in den Worten des Simeon Verwendung gefunden (2,30).<br />

War »das Rettende« dort auf das soeben geborene Kind bezogen, so beschreibt es nun<br />

das Auftreten Jesu, in dem Gottes Kommen zu seinem Volk Gestalt annimmt. Lk nutzt<br />

das Zitat, um Johannes den Täufer mit seiner Umkehrpredigt und Tauftätigkeit als<br />

Wegbereiter Jesu zu präsentieren.<br />

Am Anfang der Geschichte Jesu von Nazaret steht der Täufer Johannes. Er markiert<br />

Zeit und Ort des Geschehens. Die zeitlichen Bezüge betreffen die unmittelbare politische<br />

Situation wie auch die Geschichte Israels seit der Exilszeit. Mit dem Jesaja-Zitat<br />

wird der Täufer in jene Hoffnungsperspektive gestellt, die in Magnifikat und Benediktus<br />

bestimmend war. Er selbst erscheint als Repräsentant der prophetischen Tradition<br />

Israels. Die räumlichen Bezüge hängen an der Wüste und am Jordan: mit der Wüste<br />

verbinden sich Erinnerungen an den Exodus, an die Erprobung des Volkes, an die Offenbarung<br />

der Tora, an Elia; mit dem Jordan verbindet sich die Erinnerung an die<br />

Landnahme. An diesem geschichtsträchtigen Ort tritt auch Jesus auf, bevor er seine<br />

Tätigkeit in Galiläa beginnt.<br />

1.2 Täuferrede 3,7–18 143<br />

(7) Er sagte nun zu den Scharen, die hinauszogen, um sich von ihm taufen zu lassen:<br />

»Natternbrut, wer hat euch weisgemacht, dass ihr dem bevorstehenden Zorn<br />

entfliehen werdet? (8) Bringt Früchte, der Umkehr entsprechend! Und fangt nicht<br />

an, bei euch zu sagen: ›Als Vater haben wir den Abraham!‹ Denn ich sage euch:<br />

Gott kann aus diesen Steinen dem Abraham Kinder erwecken. (9) Auch ist die Axt<br />

schon an die Wurzel der Bäume gelegt. Jeder Baum nun, der keine gute Frucht<br />

bringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen.«<br />

142 Damit wird auch die direkte Rede modifiziert.<br />

143 Ayuch, Sozialgerechtes Handeln; Böhlemann, Jesus und der Täufer; Reiser, Gerichtspredigt;<br />

Tromp, John the Baptist.


68 Ursprung 1,5–4,13<br />

(10) Und die Scharen fragten ihn, sagend: »Was sollen wir denn tun?« (11) Er aber<br />

antwortete und sagte ihnen: »Wer zwei Untergewänder hat, gebe dem ab, der<br />

nichts hat, und wer Nahrungsmittel hat, tue ebenso!« (12) Es kamen aber auch<br />

Zollpächter, um sich taufen zu lassen, und sprachen zu ihm: »Lehrer, was sollen<br />

wir tun?« (13) Er aber sprach zu ihnen: »Treibt nicht mehr ein als das euch Vorgeschriebene!«<br />

(14) Es fragten ihn aber auch Soldaten, sagend: »Und was sollen wir<br />

tun?« Und er sprach zu ihnen: »Plündert und misshandelt niemanden und begnügt<br />

euch mit eurem Sold!«<br />

(15) Als aber das Volk voller Erwartung war und alle in ihren Herzen überlegten<br />

über Johannes, ob nicht er der Messias sei, (16) antwortete Johannes allen, sagend:<br />

»Ich taufe euch nur mit Wasser. Es kommt aber einer, der stärker ist als ich. Ich bin<br />

nicht wert, ihm den Riemen seiner Sandalen zu lösen. Der wird euch taufen mit<br />

heiligem Geist und mit Feuer. (17) Die Wurfschaufel ist schon in seiner Hand, um<br />

seine Tenne durchzureinigen und den Weizen in seine Scheune zu sammeln. Die<br />

Spreu aber wird er mit unauslöschlichem Feuer verbrennen.«<br />

(18) Indem er (noch) vieles und anderes anmahnte, verkündigte er dem Volk <strong>Evangelium</strong>.<br />

Die Täuferrede beginnt damit, dass die taufwillige Volksmenge als Adressatin des Täufers<br />

vorgestellt wird. Sie gliedert sich in drei Abschnitte, die zugleich auf drei unterschiedlichen<br />

Quellenschichten beruhen: der erste Abschnitt (7–9) stammt aus Q und<br />

enthält die Gerichtspredigt des Täufers; der zweite Abschnitt (10–14) gehört der lkn.<br />

Sonderüberlieferung an und wird gern als »Standespredigt« (<strong>nach</strong> den dort angesprochen<br />

Gruppen) bezeichnet; der dritte Abschnitt (15–17) nimmt Mk-Stoff auf und bietet<br />

die Messiasankündigung des Täufers. Ein Schlussvers (18), der wiederum von Lk<br />

stammt, deklariert die ganze Rede als »<strong>Evangelium</strong>sverkündigung« und hebt damit<br />

den Mittelteil als profilbildende Einheit hervor. Gegenüber Mk lässt Lk die ausdrückliche<br />

Erwähnung von Taufe und Sündenbekenntnis des Volkes (Mk 1,5) sowie die Notiz<br />

zu Bekleidung und Ernährung des Täufers (Mk 1,6) aus. Er wechselt dadurch das Bild<br />

des verwilderten Wüstenpropheten gegen das Bild des kultivierten Weisheitslehrers<br />

aus – und gerät damit in die Nähe jener Darstellung, die Josephus Flavius (Ant XVIII)<br />

liefert.<br />

7 Die Gerichtspredigt (7–9) beginnt mit den ὄχλοι (Scharen), die hinaus zu Johannes<br />

an den Jordan ziehen. Sie sind ein bunter und eher zufällig zusammengewürfelter<br />

Haufen, der wohl aus Jerusalem und den umliegenden Ortschaften stammt. 144 Immerhin<br />

ziehen sie los, um sich taufen zu lassen. Umso unvermittelter werden sie von<br />

der Drohrede des Täufers getroffen, die mit einer Beschimpfung beginnt: »Natternbrut«<br />

unterstellt ihnen Doppelzüngigkeit und Falschheit und stellt ihr Taufbegehren<br />

144 Mk 1,5 / Mt 3,5 konkretisieren: Jerusalem, Judäa und das ganze Umland des Jordan.


Vorbereitung 3,1–4,13<br />

69<br />

in Frage. Ausnahmslos der ganzen Schar gegenüber 145 weist Johannes die Annahme,<br />

die Taufe könne vor dem »bevorstehenden Zorn« (dem göttlichen Gericht) erretten, als<br />

ein irriges Gerücht (»Wer hat euch weisgemacht ...?«) zurück. Wozu sonst aber sollte<br />

die Taufe dienen? Will Johannes die Schwelle hochsetzen, bevor es zur Taufe kommt?<br />

Auf jeden Fall ist dieser erste Satz noch vor dem Taufgeschehen zu platzieren. 8 <strong>Das</strong><br />

sieht bei dem folgenden Satz jedoch schon ganz anders aus. Der Taufe, bestehend aus<br />

einem Bekenntnis (Umkehr) sowie dem zeichenhaften Wasserritus mit Unter- und<br />

Auftauchen, folgt der Zuspruch der Sündenvergebung. Damit sollten die Täuflinge im<br />

göttlichen Gericht bestehen können. Doch nun setzt der Täufer noch einmal neu an:<br />

Weder warnt er vor der Taufe, noch wirbt er für sie; vielmehr besteht er darauf, dass<br />

Umkehr und Sündenvergebung auch Konsequenzen haben und zu einer neuen Lebensgestaltung<br />

führen. »Früchte bringen« ist eine eingeführte Metapher im Kontext<br />

ethischer Unterweisung 146 die beschreibt, was aus der Taufe erwächst. Diese »Früchte«<br />

bleiben zunächst noch unbestimmt; allein, sie sollen der »Umkehr« entsprechen. Was<br />

Johannes zu den »Früchten« sagt, setzt also die Taufe schon voraus. Erneut beginnt er<br />

mit einer Unterstellung: Seine Adressaten scheinen sich ihre »Abrahamskindschaft«<br />

zugutezuhalten. Betrachten sie diese biologisch ererbte Zugehörigkeit als ein Privileg,<br />

das Umkehr im Sinne einer Veränderung des Lebens erübrigt, oder vertrauen sie auf<br />

Abraham als ihren Fürsprecher im Gericht? Erkennt Johannes bei ihnen ein Problem<br />

mit der Umkehrtaufe im Ganzen (die sie als Glieder des Gottesvolkes eigentlich gar<br />

nicht nötig hätten), oder liegt das Problem bei den »Früchten«? Auffälligerweise stellt<br />

der Täufer ihre Abrahamskindschaft nicht in Frage, relativiert aber deren exklusiven<br />

Anspruch. Wen meint er, wenn er von Abrahamskindern spricht, die Gott »aus diesen<br />

Steinen« erwecken könne? Ist das bereits ein versteckter Hinweis auf die Völker, die zu<br />

Gott »umkehren« werden, weil sie glauben wie Abraham? So würde Paulus argumentieren.<br />

Lk hingegen hält sich damit auffallend zurück. Sein Täufer will lediglich provozieren;<br />

er möchte diejenigen, die er tauft, zu besseren Abrahamskindern machen. Für<br />

ihn bedeutet wahre Kindschaft beides: Herkunft und Verhalten. 9 Der Abschnitt endet<br />

mit einem Gerichtsbild von atemberaubender, bedrängender Drastik: Zum »Früchte<br />

bringen« bleibt gar keine Zeit mehr. Die Wurzeln sind schon freigelegt; die Axt wird<br />

bereits zur Hand genommen; es gibt nur noch den kurzen Moment zwischen Maßnehmen<br />

und Zuschlagen. <strong>Das</strong> Urteil über den Baum scheint gefällt zu sein. Feuer ist<br />

eine eingeführte Gerichtsmetapher. Der Baum wird verbrannt, also völlig vernichtet.<br />

Nicht anders geht es denen im Gericht, die keine guten Taten vorzuweisen haben. Noch<br />

dringlicher lässt sich die vorangegangene Mahnung kaum unterstreichen.<br />

10–11 In der »Standespredigt«, die den Mittelteil ausmacht, ändert sich plötzlich<br />

der Ton. Was »Früchte, die der Umkehr entsprechen« sein könnten, wird anhand von<br />

drei Beispielen illustriert. Sie alle entstammen dem Bereich sozialgerechten Handelns.<br />

Vor allem aber rückt die Rede wieder von der Atemlosigkeit des vorausgegangenen<br />

145 Mt 3,7 lässt Johannes diese Worte allein an die »Pharisäer und Sadduzäer« adressieren und unterscheidet<br />

damit zwischen dem umkehrwilligen Volk und seinen umkehrunwilligen Autoritäten.<br />

146 Belege bei Wolter, <strong>Lukas</strong> HNT, 159.


84 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

dass Gott als Subjekt gemeint ist; ebenso steht jedoch außer Frage, dass Gott natürlich<br />

nichts am Scheitern der Betenden liegt. Wenn Jesus in Lk 4,1 vom Geist in die<br />

Wüste geführt wird, dann nimmt Gott das Auftreten des »Versuchers« in Kauf – nicht<br />

jedoch, um Jesus zu stürzen, sondern um ihn zu stärken. Die Absicht Gottes bzw. des<br />

heiligen Geistes liegt in einer »Erprobung«, der Teufel indessen macht daraus eine<br />

»Versuchung«. Jesus weist die Versuchung zurück. Auf diese Weise ist er gewappnet, in<br />

den zahlreichen Streitgesprächen seiner späteren Lehrtätigkeit auch den »versucherischen«<br />

Fangfragen wechselnder Kontrahenten zu widerstehen.<br />

II. Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

Der zweite große Teil der Evangelienerzählung ist der öffentlichen Wirksamkeit Jesu<br />

gewidmet.<br />

<strong>Das</strong> Auftreten Jesu in seiner Heimatsynagoge (4,16–30) setzt einen markanten Auftakt;<br />

den Abschluss bildet die große Endzeitrede (21,5–36). Dazwischen orientiert sich<br />

Lk im Groben an der geographischen Gliederung, wie er sie bei Mk vorfindet. Galiläa<br />

stellt den Ausgangspunkt dar, Jerusalem den Zielpunkt. Zentralen Charakter hat die<br />

Phase des Weges, die von Lk neu entworfen und mit einer eigenständigen Bedeutung<br />

versehen wird. Galiläa ist grundlegenden Episoden vorbehalten; auf dem Weg werden<br />

vor allem Entscheidungsfragen verhandelt; in Jerusalem trägt das Moment zunehmender<br />

Polarisierung den Ton.<br />

Lk hat in diesem Hauptteil eine Reihe von Umstellungen gegenüber Mk vorgenommen<br />

– so wie er das in seinem Vorwort schon behutsam anzudeuten scheint. 181<br />

Die wichtigsten sind: Lk setzt die Predigt in Nazaret an den Anfang und schiebt den<br />

Kafarnaumtag weiter <strong>nach</strong> hinten; er platziert die Berufung der Schüler <strong>nach</strong> dem<br />

Nazaret- und Kafarnaumtag; er löst die Salbungsgeschichte aus dem Kontext der Passionsereignisse<br />

heraus und ordnet sie in den Galiläateil ein; die Endzeitrede löst er<br />

auf in einen kleineren (vorgezogenen) und einen größeren Block. Im Blick auf die<br />

mit Mt geteilten Stoffe fällt besonders die Gestaltung der »programmatischen Rede«<br />

auf: Deren Kernelement bei Mt, die Gebetsbelehrung mit dem Vaterunser, verschiebt<br />

Lk <strong>nach</strong> hinten auf die Phase des Weges; gemeinsam sind letztlich nur der Rahmen<br />

(Seligpreisungen und Schlussgleichnis) sowie das Thema von Gewaltverzicht und Feindesliebe;<br />

die große Pharisäer-Weherede des Mt findet sich bei Lk nur in versprengten<br />

Bestandteilen. Durchgängig zeigt sich bei Lk jedenfalls eine ordnende Hand, die an der<br />

Erzählchronologie arbeitet, alte Zusammenhänge auflöst und neue herstellt.<br />

<strong>Das</strong> christologische Profil der Erzählung erfährt in diesem zweiten Hauptteil verschiedene<br />

Erweiterungen. Nachdem das Kind und der Heranwachsende bislang als<br />

181 Ob Lk 1,3 ein solches Signal schon setzt, entscheidet sich am Verständnis von καθεξῆς (»der<br />

Reihe <strong>nach</strong>«, oder nur »im Folgenden«).


Galiläa 4,14–9,50<br />

85<br />

»Sohn Gottes« vorgestellt wurden, flankiert von der Proklamation als »Retter« und<br />

»Messias«, tritt Jesus von Nazaret nun vorzugsweise als Prophet, Lehrer und Wundertäter<br />

in Erscheinung. Gewicht hat dabei vor allem eine Art »Prophetenchristologie«,<br />

die für die lkn. Erzählweise besondere Bedeutung erlangt: Jesus von Nazaret redet und<br />

verhält sich wie ein Prophet, weckt immer wieder Erinnerungen an Elija oder Elischa<br />

und wird deshalb von seinen Zeitgenossen zunächst auch als Prophet wahrgenommen.<br />

Lehre und Wundertätigkeit sind in diesem Typos impliziert. Die Messiasfrage wird im<br />

Anschluss an die Aussendung der Zwölf und die Speisung der 5000 erneut aufgegriffen<br />

und problematisiert. Die Rätselrede vom »Menschensohn« findet sich gleichmäßig<br />

über den ganzen Abschnitt verteilt. Auch der Gebrauch des Kyrios-Namens, der zwischen<br />

sozialem Rang und Ersatz für den Gottesnamen changiert, eröffnet immer wieder<br />

ein beziehungsreiches christologisches Spiel. 182 <strong>Das</strong> Lesepublikum weiß, belehrt<br />

durch die Erzählung vom Ursprung Jesu, jedenfalls schon sehr viel mehr als die auf der<br />

Erzählebene agierenden Figuren.<br />

A. Galiläa 4,14–9,50 183<br />

Galiläa ist die Heimat Jesu. 184 Die archäologische Arbeit der letzten Jahrzehnte hat dieses<br />

fruchtbare Land am See Gennesaret in seiner kulturellen und religiösen Eigenart<br />

neu erschlossen. 185 Es ist ein Land der Synagogen und eines vielseitigen jüd. Lebens.<br />

<strong>Das</strong> alte und lange Zeit verbreitete Vorurteil von einem angeblich »heidnischen Galiläa«<br />

(verführt durch Mt 4,15), hat sich längst als ein verhängnisvoller Irrtum erwiesen.<br />

186 Galiläa unterscheidet sich von Judäa und Jerusalem vor allem aufgrund seines<br />

agrarischen Charakters; die größere Entfernung zum zentralen Heiligtum wertet dessen<br />

Bedeutung eher auf als ab; die Nachbarschaft zu den angrenzenden Völkern befördert<br />

Austausch und Mobilität, nicht aber Assimilation oder gar religiöse Indifferenz. Es<br />

ist kein Zufall, dass gerade Galiläa zur Rückzugs- und Operationsbasis der Zeloten mit<br />

ihrer radikal-theokratischen Theologie wird. An dem festen religiösen Zusammenhalt<br />

mit dem Süden und der Treue zu den väterlichen Überlieferungen kann auch in Galiläa<br />

kein Zweifel bestehen.<br />

Es war vor allem die Theologie des 19. Jh.s, die einen Gegensatz zwischen Galiläa<br />

und Jerusalem zu konstruieren versuchte – mit dem Ziel, Jesus als Galiläer aus dem<br />

Judentum seiner Zeit herauszulösen. 187 Dabei erfreute sich besonders die romantische<br />

182 Rowe, Early Narrative Christology.<br />

183 Bösen, Galiläa; <strong>Böttrich</strong>, Was kann aus Nazaret Gutes kommen?; Chancey, Greco-Roman Culture;<br />

ders., The Myth of a Gentile Galilee; Freyne, Galilee and Gospel; ders., Jesus, a Jewish Galilean;<br />

Lohmeyer, Galiläa und Jerusalem.<br />

184 Vermutlich ist es auch die Heimat der ersten christl. Gemeinden neben Jerusalem; vgl. Lohmeyer,<br />

Galiläa und Jerusalem.<br />

185 Eine euphorische Beschreibung liefert Josephus, Bell III 516–521; vgl. Bösen, Galiläa.<br />

186 Chancey, The Myth of a Gentile Galilee.<br />

187 <strong>Böttrich</strong>, Was kann aus Nazaret Gutes kommen?


86 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

Idee eines »galiläischen Frühlings« großer Beliebtheit, 188 kontrastiert mit dem »Jerusalemer<br />

Herbst«: Zuspruch hier, Ablehnung dort. Ein solches Schema wird Lk jedoch nicht<br />

gerecht. Zustimmung und Abweisung begleiten den Weg Jesu von Anfang an. Wenn<br />

die galiläische Bewegung 189 dennoch erfolgreich beginnt, ist das dem Umstand zuzuschreiben,<br />

dass Jesu Botschaft zunächst auf eine bestimmte Erwartungshaltung reagiert<br />

und dabei auch ein feines Gespür für die Lebenswirklichkeit ihrer Adressatinnen und<br />

Adressaten beweist. Lk nutzt diese vorwiegend positiven Erinnerungen, um in Galiläa<br />

Grundzüge der Botschaft Jesu einzuführen und auf exemplarische Weise zu entfalten.<br />

In Galiläa tritt Jesus erstmals mit dem »<strong>Evangelium</strong>« als seiner frohen Botschaft<br />

auf, vermittelt durch Gleichnisse und prägnante Worte, flankiert von Heilungen und<br />

Krafttaten; er sammelt Schüler (und Schülerinnen) um sich und bezieht sie in seine<br />

Sendung ein; in ethischer Hinsicht etabliert er (als ein Erbe des Täufers) das große<br />

Thema von Umkehr und Sündenvergebung; als Lehrer nimmt er teil an der Auslegung<br />

der Tora. Am Ende dieses Abschnittes beginnt er, seine Rolle und sein bevorstehendes<br />

Geschick zu reflektieren. In der Verklärungsgeschichte (9,31) ist zum ersten Mal von<br />

seinem ἔξοδος (Ausgang) die Rede, den er in Jerusalem erfüllen werde. Diese Perspektive<br />

wird in 9,51 mit dem Stichwort seiner ἀνάλημψις (Hinaufnahme) aufgenommen<br />

und eröffnet die Phase des Weges <strong>nach</strong> Jerusalem.<br />

1. Beginn des Auftretens Jesu 4,14–44 190<br />

Der Beginn des öffentlichen Auftretens Jesu ist von Lk sorgfältig konzipiert worden.<br />

Er rückt zwei für die Jesusbewegung zentrale Orte in den Mittelpunkt: Nazaret und<br />

Kafarnaum. Nach einer kurzen Eröffnung (4,14–44), die den neuen Teil noch einmal<br />

an den vorausgehenden zurückbindet und für einen gleitenden Übergang sorgt, stehen<br />

zwei größere Erzähleinheiten: der Nazarettag (4,16–30) und der Kafarnaumtag<br />

(4,31–44). Der erste ist der Verkündigung vorbehalten; der zweite führt Jesus als Wundertäter<br />

ein. Lk stellt gegenüber Mk beide Tage um, weil für ihn die Verkündigung an<br />

den Anfang gehört – und nimmt dafür sogar in Kauf, dass Jesus auf die in Kafarnaum<br />

geschehenen Wunder verweist, obwohl er von denen noch gar nicht erzählen konnte.<br />

Den Abschluss (4,42–44) bildet ein erstes Wundersummarium, das zugleich den Erfolg<br />

in Wort und Tat zusammenfasst.<br />

1.1 Eröffnung 4,14–15 191<br />

(14) Und Jesus kehrte zurück in der Kraft des Geistes <strong>nach</strong> Galiläa. Und ein Ruf<br />

verbreitete sich in der gesamten Umgebung über ihn. (15) Und er lehrte in ihren<br />

Synagogen, von allen gerühmt.<br />

188 Sie geht auf Ernest Renan, <strong>Das</strong> Leben Jesu (1863), zurück und war lange Zeit einflussreich.<br />

189 Vaage, Galilean Upstarts.<br />

190 Horsley, Archeology, History, and Society in Galilee; Stemberger, Galilee – Land of Salvation?<br />

191 Riesner, Jesus als Lehrer; Urman / Flesher, Ancient synagogues.


Galiläa 4,14–9,50<br />

87<br />

Der kurze Abschnitt erweist sich als eines der charakteristischen lkn. Verbindungsstücke,<br />

das weniger die Zäsur als den Übergang markiert. 4,14 nimmt den in 4,1 unterbrochenen<br />

Rückweg vom Jordan wieder auf und bereitet zugleich den Auftritt in der Synagoge von<br />

Nazaret in 4,16 vor. Dennoch gehören beide Verse eher zum folgenden als zum vorausgehenden<br />

Abschnitt, weil die Zeitspanne bis zum Beginn der Passionsereignisse, die mit<br />

4,13 angedeutet wird, einen größeren Abstand lässt als der nun beginnende Weg von Synagoge<br />

zu Synagoge. 4,14–15 fungiert als Eröffnung für den Beginn des Auftretens Jesu.<br />

14 Nach dem Abstecher in die Wüste erreicht Jesus erst jetzt das Ziel seiner Rückkehr<br />

vom Jordan (4,1). Erneut sieht sich Lk veranlasst, den Geist zu erwähnen, diesmal hinsichtlich<br />

seiner Wirkung. Es ist diese δύναμις (Kraft) des Geistes, in der Jesus in Galiläa<br />

seine δυνάμεις (Krafttaten) vollbringen wird. Der Geistträger nutzt den Rückweg offensichtlich<br />

schon zur Verkündigung seiner Botschaft und begründet damit einen Ruf, der<br />

ihm vorauseilt. 15 Die Synagoge, bevorzugter Ort für die Lehre, wird von Jesus als Podium<br />

erfolgreich genutzt. Der folgende Auftritt in der Synagoge von Nazaret (4,16–30) ist<br />

dem<strong>nach</strong> ein besonderer, nicht aber der erste. Allein die distanzierte Rede von »ihren«<br />

Synagogen überrascht. 192 Es sind auch die »seinen«! Bislang hatte sich Lk bemüht, Jesus<br />

und seine Familie als Vertreter vorbildlicher jüd. Frömmigkeit darzustellen. Ein<br />

Gegensatz, wie ihn das Possessivpronomen suggerieren könnte, existiert nicht. Er ist<br />

erst sehr viel später in den Text hineingelesen worden, als christliche Exegese Jesus aus<br />

dem Judentum seiner Zeit herauszulösen versuchte. Lk kann hier nur eines meinen:<br />

Jesus, der sogleich in »seiner« Heimatsynagoge in Nazaret auftreten wird, lehrt zuvor<br />

auch in »ihren« Synagogen, nämlich in denen der be<strong>nach</strong>barten Gemeinden.<br />

Von Anfang an wird Jesus von Nazaret als ein Lehrer präsentiert, der sich um die Auslegung<br />

der Tora bemüht. <strong>Das</strong>s seine Lehre »in der Kraft des Geistes« geschieht, verleiht<br />

ihr eine besondere Überzeugungskraft und lässt ihn als prophetische Gestalt erscheinen.<br />

Er etabliert kein Lehrhaus an einem festen Ort, sondern besucht die Synagogen<br />

der »gesamten Umgebung«. Darin kündigt sich schon das künftige unstete Wanderleben<br />

an, das nun beginnt.<br />

1.2 Nazarettag – Verkündigung 4,16–30 193<br />

(16) Und er kam <strong>nach</strong> Nazaret, wo er aufgewachsen war. Und er ging <strong>nach</strong> seiner<br />

Gewohnheit am Sabbattag in die Synagoge. Und er erhob sich, um zu lesen.<br />

192 Möglicherweise verdankt sich diese Wendung Mk 1,39; sie bleibt bei Lk der einzige Beleg; in 4,44<br />

heißt es dann wieder ganz allgemein: »Und er verkündigte in den Synagogen Judäas.« Anders<br />

verfährt Mt, bei dem »ihre Synagogen« stereotype Formel wird: Mt 9,35; 10,17; 12,9; 13,54; 23,34.<br />

193 Albertz, Die »Antrittspredigt« Jesu; Busse, Nazareth-Manifest; Claußen, Versammlung, Gemeinde,<br />

Synagoge; Jeremias, Perikopenumstellungen; Esch-Wermling, in: Zimmermann, Kompendium<br />

Gleichnisse, 523–531; Rusam, <strong>Das</strong> Alte Testament bei <strong>Lukas</strong>, 171–218; Shin, Die Ausrufung des<br />

endgültigen Jubeljahres; Strobel, Die Ausrufung des Jobeljahres; Wasserberg, Aus Israels Mitte,<br />

148–163.


88 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

(17) Und es wurde ihm das Buch des Propheten Jesaja gegeben. Und <strong>nach</strong>dem er<br />

das Buch aufgerollt hatte, fand er die Stelle, an der geschrieben war: (18) ›Der Geist<br />

des Herrn ist auf mir, weil er mich gesalbt hat. <strong>Evangelium</strong> zu verkündigen den<br />

Bettelarmen hat er mich gesandt, um den Gefangenen die Freilassung zu verkündigen<br />

und den Blinden das Sehendwerden, um die Zerschlagenen in Freiheit zu<br />

entlassen, (19) um zu verkündigen ein angenehmes Jahr des Herrn.‹ (20) Und als<br />

er das Buch zusammengerollt und dem Synagogendiener gegeben hatte, setzte er<br />

sich. Und aller Augen in der Synagoge waren auf ihn gerichtet. (21) Er aber begann<br />

zu ihnen zu sagen: »Heute ist diese Schriftstelle erfüllt in euren Ohren.« (22) Und<br />

alle pflichteten ihm bei und staunten über die Worte der Gnade, die aus seinem<br />

Mund kamen und sagten: »Ist dieser nicht ein Sohn Josefs?« (23) Und er sprach zu<br />

ihnen: »Sicherlich werdet ihr mir dieses Gleichnis sagen: ›Arzt, heile dich selbst!<br />

<strong>Das</strong>, was – wie wir gehört haben – in Kafarnaum geschehen ist, vollbringe auch<br />

hier in deiner Vaterstadt!‹« (24) Er aber sprach: »Amen, ich sage euch: Kein Prophet<br />

ist anerkannt in seiner Vaterstadt! (25) In Wahrheit aber sage ich euch: Viele<br />

Witwen waren in den Tagen des Elija in Israel, als der Himmel verschlossen war<br />

drei Jahre und sechs Monate, als ein großer Hunger über die ganze Erde kam,<br />

(26) und zu keiner von ihnen wurde Elija gesandt außer <strong>nach</strong> Sarepta in Sidonien<br />

zu einer verwitweten Frau. (27) Und viele Aussätzige waren in Israel (zur Zeit)<br />

des Propheten Elischa, und keiner von ihnen wurde gereinigt außer Naaman, der<br />

Syrer.« (28) Und alle in der Synagoge gerieten in Wut, als sie das hörten. (29) Und<br />

indem sie aufstanden, warfen sie ihn aus der Stadt hinaus und führten ihn bis zum<br />

Abhang des Berges, auf dem ihre Stadt gebaut war, um ihn hinabzustürzen. (30) Er<br />

aber, indem er durch ihre Mitte hindurchschritt, ging fort.<br />

Die Predigt Jesu in seinem Heimatort Nazaret findet bei Mk erst in der Mitte des Galiläateils<br />

statt (Mk 6); zu diesem Zeitpunkt sind ihr schon viele Ereignisse vorausgegangen.<br />

194 Lk hingen stellt diesen Auftritt programmatisch an den Anfang. So wie die Erzählung<br />

vom Ursprung Jesu im Rahmen einer Tempelliturgie beginnt, findet das erste<br />

Auftreten Jesu im Rahmen eines Synagogengottesdienstes statt. Von neuem erweist<br />

sich Lk als ein gut informierter Insider; seine kurze Schilderung des Lesevorgangs<br />

(4,16–20) ist eine der wichtigsten Quellen für das Geschehen in der Synagoge vor 70. 195<br />

Jesus stellt seine Botschaft von Anfang an in das Licht der Schrift – und präsentiert sich<br />

selbst als Boten und Herold prophetischer Worte.<br />

Nach einer kurzen Eröffnung (16) gliedert sich der Textabschnitt in drei Teile: der<br />

erste (16–20) berichtet von dem Synagogenbesuch Jesu und der Lesung, die er dort<br />

übernimmt; der zweite (21–27) handelt von seiner Predigt; der dritte (28–30) schildert<br />

die Reaktionen der Gemeinde. Gegenüber Mk 6,1–6 hat Lk die ganze Episode deutlich<br />

erweitert: er fügt das Prozedere des Lesevorganges (16–20) sowie ein Zitat des<br />

194 So z. B. die Berufung erster Schüler, Heilungen in Kafarnaum, weitere Heilungen, die Berufung des<br />

Levi, die galiläischen Streitgespräche, die Etablierung des Zwölferkreises, der Familienkonflikt,<br />

die Gleichnisrede und die Sturmstillungsgeschichte.<br />

195 Vgl. Exkurs 8: Synagoge.


Galiläa 4,14–9,50<br />

89<br />

Predigttextes ein, zu dem er sich selbst positioniert; auch die Predigtbeispiele (25–27)<br />

und die versuchte Lynchjustiz (28–30) gehen auf sein Konto. Der Konflikt ist bei Lk<br />

vielschichtiger als bei Mk, wo das »Anstoß nehmen« durchgängig als die Haltung der<br />

Nazarener erscheint.<br />

Der Textabschnitt, gern als »Antrittspredigt« bezeichnet, bietet keine wirkliche<br />

Rede, sondern eine Ansammlung bedeutsamer Statements. Während die Synagogengemeinde<br />

zunächst Jesu Worten beipflichtet, brüskiert dieser sie auf dreifache Weise:<br />

Er unterstellt ihnen die Forderung <strong>nach</strong> Wundern, fügt das Sprichwort vom Propheten<br />

in seiner Vaterstadt an und hält ihnen »ärgerliche Vorbilder« vor. Daraufhin schlägt die<br />

Zustimmung um in Aggression. Zwischentöne fehlen. Die Schnitte sind hart und übergangslos.<br />

Für Lk hat diese »Rede« in erster Linie die Funktion, mit dem Predigttext<br />

eine Art Zeitzeichen zu setzen sowie mit den kommunikativen Brüchen grundlegende<br />

Beziehungskonstellationen zu beschreiben.<br />

16 Die Rückkehr vom Jordan gilt gezielt dem Heimatort Nazaret. Die Nennung des<br />

Ortes sowie der Verweis auf Jesu Kindheit rufen den ersten Teil in Erinnerung und<br />

setzen zugleich einen neuen Anfang. Jesu öffentliches Auftreten beginnt im vertrauten<br />

Umfeld. Dabei erweist sich die bereits eingeführte Frömmigkeit seiner Familie als ein<br />

Moment der Kontinuität: die Synagoge ist für den Erwachsenen ein regelmäßig besuchter<br />

Ort; die Religionsmündigkeit hat er längst erreicht; die Schriftlesung erscheint<br />

als gewohnte Übung.<br />

17 Zur Lesung liegt nicht die Tora, sondern eine Prophetenrolle auf dem Tisch. Ist<br />

das schon ein Hinweis auf die erst später belegte Praxis der Haftarot – also den Brauch,<br />

die Wochenabschnitte aus der Tora jeweils mit einer zugehörigen Prophetenlesung<br />

abzuschließen? Gibt es überhaupt schon eine feste Leseordnung? Ist die Jesajarolle<br />

möglicherweise nur eine Option unter anderen? Sie wird Jesus gereicht; hat er sie<br />

vorher selbst ausgewählt, oder liegt die Wahl schon fest? <strong>Das</strong> Verb ἀναπτύσσω (aufrollen)<br />

sichert, dass es sich bei diesem βιβλίον (Buch) des Propheten Jesaja tatsächlich um<br />

eine Rolle handelt. Jesus »findet« darin eine Stelle, was zweierlei bedeuten kann: dass<br />

er da<strong>nach</strong> erfolgreich sucht, oder dass sie ihm zufällig ins Auge springt. Der Text aus<br />

Tritojesaja steht in der Rolle jedenfalls ziemlich weit hinten. 18–19 Was Lk dann als<br />

gelesenen Text wiedergibt, ist ein Mischzitat aus Jes 61,1–2 und 58,6. Es beginnt mit Jes<br />

61,1 (»Der Geist des Herrn ...«, wobei der Satzteil von den zerbrochenen Herzen fehlt),<br />

schließt Jes 58,6 an (»um die Zerschlagenen in Freiheit zu entlassen«) und endet mit<br />

dem Anfang von Jes 61,2 (»um zu verkündigen ein angenehmes Jahr des Herrn«); was<br />

in Jes 61,2 noch mit der Ansage von Vergeltung und mit dem Trost für die »Trauernden<br />

Zions« folgt, fällt weg. Lk öffnet damit auf behutsame Weise den Horizont, in dem<br />

diese Worte bei Jesaja stehen. Sagt der Prophet zunächst Israel eine Wende zum Guten<br />

an, so rückt das Mischzitat in 18–19 alle Elenden und Notleidenden in den Mittelpunkt.<br />

Ob man daran schon eine »Entnationalisierung« bzw. eine »universalistische Tendenz«<br />

des Lk erkennen kann, 196 mag dahingestellt bleiben. Auffällig ist immerhin, dass Lk<br />

hier eines seiner wichtigsten Anliegen, nämlich die Parteinahme Jesu für die Armen,<br />

196 So Albertz, Antrittspredigt Jesu.


90 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

zum Programm erhebt und unübersehbar zum Vorzeichen für alles Folgende macht.<br />

Der lkn. Jesus, als Lektor vorgestellt, scheint den Text auf sich selbst zu beziehen. »Der<br />

Geist des Herrn ist auf mir« erinnert in dieser Perspektive an die wahrnehmbare Herabkunft<br />

des heiligen Geistes bei der Taufe (3,22); »weil er mich gesalbt hat« weist auf<br />

den Sprecher als den Gesalbten / Messias / Christus hin, dessen Geburt bereits den<br />

Hirten verkündet worden war (2,11). Dieser gesalbte Geistträger aber ist mit einer Sendung<br />

beauftragt, die sich als »frohe Botschaft für die Bettelarmen« zusammenfassen<br />

lässt. Hier klingt das Magnifikat mit seiner Figur vom Positionswechsel und der Parteinahme<br />

Gottes für die Bedürftigen (1,52–53) <strong>nach</strong>. Die πτωχοί (Bettelarmen) sind die<br />

Allerärmsten, angewiesen auf fremde Hilfe. Diesen drastischsten aller Armutsbegriffe<br />

wird Lk fortan bevorzugen, wenn er »arm und reich« gegenüberstellt. Alle weiteren<br />

Aussagen entfalten und spezifizieren dieses Programm und haben darin exemplarischen<br />

Charakter. Für Bettelarme – wie eben etwa Gefangene, Blinde und Zerschlagene<br />

– sagt die »frohe Botschaft« eine große, fundamentale Wende an. Diese Wende konkretisiert<br />

sich zum Schluss in der Proklamation eines »angenehmen Jahres des Herrn«<br />

– womit das »Erlassjahr / Jobeljahr« (Lev 25,8–55) gemeint sein dürfte. 197 Kurz –<br />

die Lesung proklamiert eine neue Zeit, die nun anbricht. Zitiert Jesus nur, oder macht<br />

er sich diese Proklamation zu eigen? <strong>Das</strong> wird seine Predigt (21) zeigen. 20 Vorerst<br />

kommt der Lesevorgang zum Abschluss; das »Buch« wird wieder zusammengerollt<br />

und zurückgegeben. Damit, dass Jesus Platz nimmt, signalisiert er die Absicht, der Lesung<br />

auch eine Auslegung folgen zu lassen. Die Aufmerksamkeit könnte kaum größer<br />

sein: ἀτενίζω heißt so viel wie »scharf, gespannt, gebannt hinsehen« oder »starren auf«.<br />

21 Die »Predigt« beginnt mit einem Paukenschlag: Während der eben erfolgten<br />

Lektüre (»in euren Ohren«) ist diese prophetische Proklamation in Erfüllung gegangen.<br />

Der lkn. Jesus macht sie sich als Lektor und Prediger vollumfänglich zu eigen.<br />

Die »frohe Botschaft« des Trito-Jesaja ist auch sein Thema, das große Erlassjahr bricht<br />

mit seinem Auftreten (»heute«) an. <strong>Das</strong> ist ein steiler und ohne Frage provozierender<br />

Anspruch, der von einem hohen Sendungsbewusstsein zeugt. Er bleibt im Raum stehen,<br />

ohne weiter ausgeführt oder abgesichert zu werden. 22 Die Synagogengemeinde<br />

reagiert positiv: Man pflichtet ihm bei. Seine Worte werden als »Worte der Gnade«<br />

wahrgenommen, was an die positive Wahrnehmung des Kindes in 2,42 (»Gnade bei<br />

Gott und den Menschen«) erinnert. Gilt das auch von der erstaunten Frage: »Ist dieser<br />

nicht ein Sohn Josefs?« (vgl. 3,23). Sie kann gleichermaßen vom Ton der Bewunderung<br />

als auch der Skepsis bestimmt sein. Man kennt ihn von klein auf; das macht das Besondere<br />

dieser Situation aus. <strong>Das</strong> Sprichwort in 24 legt nahe, dass die Frage wohl eher<br />

einen ersten Missklang andeuten soll. Die Nazarener sind von der Weisheit des ihnen<br />

wohlbekannten Josefssohnes überrascht und zollen ihr Bewunderung. Aber haben sie<br />

seine Worte auch verstanden? Vermutlich nicht, wie der weitere Fortgang zeigt. 23<br />

Jesu überraschende Replik setzt voraus, dass er die Skepsis des Publikums höher bewertet<br />

als dessen Zustimmung (was auch dem Duktus von Mk 6,1–6 entspricht). Was<br />

er ihnen unterstellt, haben sie zwar noch gar nicht gesagt; doch ihre Erwartungshal-<br />

197 Groß, Die alttestamentlichen Gesetze. Ob diese Vision jemals verwirklicht worden ist, bleibt<br />

fraglich.


Galiläa 4,14–9,50<br />

91<br />

tung läuft wohl genau darauf hinaus. <strong>Das</strong> »Gleichnis« vom Arzt, hier in Form eines<br />

Sprichwortes, 198 weist den Sendungsanspruch zurück: Kümmere dich um dich selbst;<br />

wir brauchen dein Heilsangebot nicht! Der anschließende Verweis auf die Wunder in<br />

Kafarnaum (die bei Lk erst in 4,31–44 behandelt werden) thematisiert die zu erwartende<br />

Zurückweisung: Weise dich auch bei uns erst einmal durch das aus, was man<br />

andernorts von dir erzählt! 24 Jesus zieht deshalb mit einem weiteren Sprichwort eine<br />

resignierte Bilanz. Es knüpft zugleich an die Frage <strong>nach</strong> dem »Sohn Josefs« (22) an:<br />

In seiner Vaterstadt bleibt man immer das Kind der Eltern. Vermögen die Nazarener<br />

deshalb in dem charismatischen Lehrer nicht den »Sohn Gottes« zu erkennen? Für sie<br />

sind nicht etwa die »Worte der Gnade« Maßstab für ihr Urteil, sondern das, was sie<br />

längst schon zu wissen glauben. 25–27 Mit der folgenden Passage greift Jesus noch einmal<br />

die unterstellte Forderung <strong>nach</strong> Wundertaten auf – und weist sie zurück. Er tut das<br />

mit zwei Beispielen aus der Geschichte Israels, genauer aus dem Erzählkranz um die<br />

Propheten Elija und Elischa. Sie betreffen Wundertaten beider Propheten gegenüber<br />

Nichtisraeliten: Elija rettet die Witwe von Sarepta durch ein Geschenkwunder vor dem<br />

Hungertod (1Kön 17,8–16); Elischa heilt den syrischen Feldhauptmann Naaman vom<br />

Aussatz (2Kön 5,1–27). Fremde erhalten einen Vorzug vor den Bedürftigen in Israel.<br />

Sie werden den eigenen Leuten als »ärgerliche Vorbilder« präsentiert. Lk greift diesen<br />

Topos noch häufiger auf. 199 Kündigt sich darin schon eine Offenheit gegenüber den Völkern<br />

an? Wenn es in Mk 6,5 heißt, Jesus habe aufgrund des »Unglaubens«, der ihm in<br />

Nazaret begegnete, keine einzige Krafttat vollbringen können, so lässt Lk Jesus selbst<br />

diesen Sachverhalt auf grundsätzliche Weise ausführen.<br />

28 Spätestens diese »ärgerlichen Vorbilder«, die das Publikum brüskieren, lassen<br />

die Stimmung kippen. Nun schlägt dem so erfolgreich gestarteten Prediger Wut entgegen.<br />

29 Die Wut wird handgreiflich. Es kommt zu einem Akt von Lynchjustiz. <strong>Das</strong><br />

Leben Jesu ist vom ersten Moment seines öffentlichen Auftretens an bedroht. Die<br />

Szene entwirft ein dramatisches Bild und legt nahe, dass Jesus gepackt und fortgeschleppt<br />

wird. Man will ihn nicht steinigen, sondern von einem Felsvorsprung zu Tode<br />

stürzen. 200 30 Umso erstaunlicher erscheint der hoheitsvolle Abgang Jesu, als die aufgebrachte<br />

Gruppe den Ort des Geschehens erreicht. Der erste Mordversuch scheitert.<br />

Jesus zeigt dabei schon dieselbe Haltung, die er auch später in der Passionsgeschichte<br />

einnehmen wird. Bei aller Bedrohung bleibt er der Handlungssouverän. In Nazaret<br />

aber wird er sich fortan nicht mehr blicken lassen. Lk belässt es bei der kurzen Bemerkung,<br />

dass er »fort ging«. 201<br />

198 Der Begriff »Parabel« ist hier gewählt, weil das Sprichwort auf eine analoge Situation übertragen<br />

wird; zu den Sprichworten unter den Logien Jesu vgl. Dalman, Jesus – Jeschua, 200–214; Klauck,<br />

Allegorie, 148–160; Nolland, Classical and Rabbinic Parallels.<br />

199 Exkurs 9: Ärgerliche Vorbilder.<br />

200 Später hat man diesen Ort zu identifizieren versucht; vgl. dazu Dalman, Orte und Wege Jesu,<br />

57–58.69–70.<br />

201 In Mt 4,13 wird Jesu Umzug von Nazaret <strong>nach</strong> Kafarnaum eigens vermerkt, jedoch nicht mit<br />

einem Konflikt begründet.


Weg 9,51–19,40<br />

205<br />

els berührt werden, geht über den unmittelbaren Schülerkreis hinaus. Schon für diese<br />

frühe Phase setzt Lk erste Vorzeichen einer künftigen Pluralisierung. Wer »im Namen<br />

Jesu« handelt, gehört dazu. 438 Damit müssen sich die Schüler als Platzhalter der späteren<br />

Gemeinde arrangieren, so wie sie auch ihre internen Beziehungen beispielhaft zu<br />

klären haben.<br />

Hier endet der Galiläateil. Lk setzt zum Schluss einige wichtige Akzente. Selbst im<br />

engsten Schülerkreis besteht noch keine Klarheit über die Identität und den Weg Jesu<br />

– trotz gemeinsamen Lernens, intensiver Lebensgemeinschaft und einer ersten Teilnahme<br />

an der Sendung des Lehrers. Im Gegenteil: Die Spannungen und Missverständnisse<br />

nehmen zu. Die Botschaft Jesu hat während der galiläischen Wanderungen eine<br />

breite Öffentlichkeit erreicht. <strong>Das</strong> führt zu neuen, zentrifugalen Kräften innerhalb der<br />

Jesusbewegung. Der Weg <strong>nach</strong> Jerusalem, der nun beginnt, wird sich vor allem als ein<br />

weiterer Lernprozess erweisen. Die Erfahrung auf dem Berg hatte schon einen Blick<br />

über das gewaltsame Ende dieses Weges hinaus gestattet, den es jedoch noch zu bedenken<br />

und zu begreifen gilt.<br />

B. Weg 9,51–19,40 439<br />

Der Weg Jesu <strong>nach</strong> Jerusalem hat bei Lk eine eigenständige Bedeutung. <strong>Das</strong> machen allein<br />

schon die Proportionen der drei geographisch orientierten Teile sichtbar: Galiläa –<br />

275 Verse, Weg – 420 Verse, Jerusalem – 93 Verse. 440 Auf dem Weg löst sich Lk nahezu<br />

vollständig von seiner Mk-Vorlage ab; hier schöpft er vor allem aus Q (Zweifachüberlieferung)<br />

und fügt den größten Teil seines Sondergutes ein. 441 Um Jesus von Galiläa<br />

<strong>nach</strong> Jerusalem zu bringen, wäre ein solcher Aufwand nicht nötig gewesen – Mk 10 /<br />

Mt 19–20 kommen in dieser Hinsicht sehr viel schneller zum Ziel. Man könnte diesen<br />

langen lkn. Weg auch nur mit Mühe auf einer Landkarte einzeichnen. <strong>Das</strong> führt zu<br />

der Annahme, dass Lk hier keine reale Ortsveränderung dokumentieren, sondern den<br />

»Weg« als eine metaphorische Größe gestalten will. Die zehn Kapitel in 9–19 erzählen<br />

438 <strong>Das</strong> hat eine Analogie in Phil 1,12–18: Paulus ist in Haft; einige verkünden unterdessen das <strong>Evangelium</strong><br />

aus »Neid und Rivalität«; der Apostel aber bringt die Größe auf, zu sagen: »Na und? Nur,<br />

dass auf jede Weise – sei es zum Vorwand oder in Wahrhaftigkeit – Christus verkündigt wird.«<br />

439 Backhaus, Religion als Reise; Bendemann, Zwischen ΔΟΞΑ und ΣΤΑΥΡΟΣ; Denaux, Old<br />

Testament Models; Evans, Central Section; Geiger, Der Weg als roter Faden; Goulder, Chiastic<br />

Structure; Mayer, Die Reiseerzählung; Moessner, Lord of the Banquet; Noël, The Travel Narrative;<br />

Osten-Sacken, Zur Christologie des lukanischen Reiseberichts; Schnackenburg, Jesusweg.<br />

440 Der Jerusalemteil ist dabei nur bis zum Beginn der Passionsgeschichte berechnet, die gemeinsam<br />

mit dem lkn. Ostertag sachlich eine zusammengehörige Einheit bildet.<br />

441 <strong>Das</strong> betrifft die sogen. »große Einschaltung« (9,51–18,14); mit 18,15–17 (Kinderevangelium)<br />

nimmt Lk wieder den Mk-Stoff auf und folgt ihm bis 18,35–43 (Blinder vor Jericho); vor dem<br />

Abschluss mit 19,28–40 (Ankunft) platziert er noch aus LkS die Zachäusgeschichte und aus Q das<br />

Gleichnis von den anvertrauten Minen.


206 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

ihre Geschichte auf zwei Ebenen: Der Weg Jesu zu Tod und Auferweckung wird transparent<br />

für den Weg der christusgläubigen Gemeinde durch die Zeit. Dieser Weg findet<br />

<strong>nach</strong> der Perspektive, die in Apg 1,11 eröffnet wird, sein Ziel in der Parusie Christi; er<br />

führt analog dem Weg Jesu über den Karfreitag hinaus und schließt die künftige Verkündigung<br />

der Auferstehungsbotschaft »bis an das Ende der Erde« (Apg 1,8) mit ein.<br />

Lk hat deshalb genau hier eine Reihe von Episoden zusammengestellt, die Entscheidungs-<br />

und Orientierungsfragen zum Gegenstand haben. <strong>Das</strong> ganze Textsegment ist<br />

somit passender als »Mittelteil« oder »central section« zu bezeichnen; der »Weg« ist<br />

eine Metapher theologischer Dynamik.<br />

Dieser Mittelteil des <strong>Evangelium</strong>s, das Herzstück lkn. Theologie, hat von jeher ein<br />

besonderes Interesse auf sich gezogen. Dabei nahm man vor allem die zahlreichen<br />

intertextuellen Bezüge wahr. 442 Bildet der Weg Jesu möglicherweise den Exodus Israels<br />

<strong>nach</strong>? Stellt das Deuteronomium vielleicht die entscheidende Bezugsgröße dar, <strong>nach</strong><br />

deren Vorbild die Stoffe angeordnet sind? Erhält Jesus in diesen Kapiteln etwa das Profil<br />

eines neuen Mose? Lassen sich diese zehn bedeutsamen Kapitel gar als eine Ringkomposition<br />

interpretieren? Alle diese Fragen haben wichtige Einsichten im Detail<br />

zutage gefördert, im Ganzen jedoch nur die eine grundlegende, auch mit bloßem Auge<br />

erkennbare Beobachtung weiter untermauert: Der Weg Jesu <strong>nach</strong> Jerusalem ist für Lk<br />

Teil jenes großen Weges, auf dem das Volk Israel mit seinem Gott schon seit langem<br />

unterwegs ist und der sich in der christusgläubigen Gemeinde über die Grenzen des<br />

Gottesvolkes hinaus in die Völkerwelt hinein fortsetzen wird. Für diese bereits absehbare<br />

Fortsetzung stellt Lk 9,51–19,40 eine Art formative Phase dar. 443<br />

Eine stringente Gliederung dieser ganzen Erzähleinheit gibt es nicht. Die bunten<br />

und vielgestaltigen Episoden, die hier begegnen, bilden verschiedene thematische Cluster.<br />

Sie leuchten ein Spektrum an Fragestellungen, Positionen und Kontroversen aus,<br />

das für die lkn. Gemeinde gegen Ende des 1. Jh.s Relevanz besitzt. 444 Am Anfang des<br />

Weges steht ein Konflikt, der ein Vorzeichen massiver Ablehnung setzt, im weiteren<br />

Verlauf aber folgenlos bleibt. Am Ende des Weges steht die zeichenhaft inszenierte Ankunft<br />

in Jerusalem, die noch einmal Zustimmung erhält, zugleich aber auch schon die<br />

wachsende Bedrohung erahnen lässt. Mit dem Galiläateil ist die Wegphase durch die<br />

doppelte Aussendungserzählung verklammert (9,1–6 / 10,1–24); mit dem Jerusalemteil<br />

ist sie durch die doppelte Endzeitrede verklammert (17,20–18,8 / 21,5–35). Einen ersten<br />

Höhepunkt stellt die Gebetsunterweisung (11,1–13) dar, die bei Mt im Herzen der Bergpredigt<br />

platziert ist, bei Lk hingegen als große Ermutigung auf dem Weg gestaltet wird.<br />

Einen Höhepunkt der Themenlinie »Umkehr« markieren die Gleichnisse vom Verlorenen<br />

(15,1–32) sowie die Erzählung über den Zollpächter Zachäus (19,1–10). Der Umgang<br />

mit materiellen Gütern wird gleichmäßig über den ganzen Abschnitt gestreut in<br />

verschiedenen Kontexten thematisiert. Wundererzählungen treten zurück, Gleichnisse<br />

nehmen hingegen breiten Raum ein. Bei allen Begegnungen, die sich auf dem Weg er-<br />

442 Denaux, Old Testament Models.<br />

443 <strong>Das</strong> belegt die immer wieder beobachtete Ort- und Zeitlosigkeit jener auf dem Weg platzierten<br />

Episoden.<br />

444 Die von mir vorgenommene Zählung hat nur die Aufgabe, Zusammengehöriges zu kennzeichnen.


Weg 9,51–19,40<br />

207<br />

eignen, bleibt die Gruppe der Schüler die maßgebliche Bezugsgröße. Mit ihnen sowie<br />

ihren Fragen und Einsichten kann sich das Hör- und Lesepublikum identifizieren.<br />

Mit 9,51 wird Jerusalem als die neue Zielrichtung angegeben; zwei kurze Notizen<br />

erinnern noch einmal daran (13,22; 17,11), doch erst in 18,31 kommt es zu einem wirklich<br />

zielgerichteten Aufbruch. In 19,40 endet der Weg mit dem Anblick von Jerusalem.<br />

In beiden Fällen erweist sich Lk dabei erneut als ein Meister der gleitenden Übergänge,<br />

der scharfe Schnitte tunlichst vermeidet. 9,51–56 nimmt das Unverständnis der Schüler<br />

(aus 9,46–50) auf und stellt damit eine enge Verbindung zum Vorherigen her, bereitet<br />

aber zugleich auch die Nachfolgeproben (9,57–62) als Auftaktgeschehen des folgenden<br />

Weges vor. Mit der Ankunft Jesu auf der Höhe des Ölberges (19,28–40) endet<br />

diese große Einheit; erst mit 19,41–44 wendet sich Jesus dem Tempel zu, wenngleich<br />

auch hier seine Klage noch vor den Toren der Stadt erklingt und der »Einzug« selbst<br />

als Geschehen auf dem Weg von der Nähe der Stadt <strong>nach</strong>drücklich bestimmt ist; zum<br />

Auftaktgeschehen des Jerusalemteils wird dann erst die spektakuläre Tempelaktion<br />

Jesu (19,45–48).<br />

1. Verweigerte Einkehr in einem Samaritanerdorf 9,51–56 445<br />

(51) Es geschah aber, als die Tage seiner Hinaufnahme herankamen, dass er sich<br />

entschloss, <strong>nach</strong> Jerusalem zu gehen. (52) Und er sandte Boten vor seinem Angesicht<br />

her. Und als sie hingingen, kamen sie in ein Dorf der Samaritaner, um für ihn<br />

(das Quartier) zu bereiten. (53) Aber die nahmen ihn nicht auf, weil er vorhatte,<br />

<strong>nach</strong> Jerusalem zu gehen. (54) Als das aber die Schüler Jakobus und Johannes sahen,<br />

sprachen sie: »Herr, willst du, wir sollen sagen, dass Feuer vom Himmel falle<br />

und sie verzehre?« (55) Er aber wandte sich um und bedrohte sie. (56) Und sie<br />

gingen in ein anderes Dorf.<br />

Nachdem Jesus Galiläa »Stadt für Stadt und Dorf für Dorf« gleichsam kreuz und quer<br />

durchwandert hatte (8,1), steht ab jetzt Jerusalem als Richtungsangabe über dem weiteren<br />

Weg. <strong>Das</strong> teilt zunächst der Erzähler an die Adresse des Publikums mit; Jesus selbst<br />

wird auf der Erzählebene erst in 18,31 Jerusalem als Zielort ausgeben. In frischer Erinnerung<br />

ist noch die Verklärungserzählung, in der Mose und Elija mit Jesus über seinen<br />

»Ausgang in Jerusalem« sprachen (9,31). Aus dieser vagen Andeutung entwickelt sich<br />

eine allmähliche, zunehmend konkreter werdende Annäherung. Am Anfang steht eine<br />

Samaritanerepisode. Lk hat den Samaritanern mehr an Aufmerksamkeit gewidmet als<br />

die anderen Evangelisten. 446 Für ihn gehören sie noch zum Gottesvolk, wenngleich an<br />

445 Allison, Rejecting; Böhm, Samarien und die Samaritai, 205–238; Flusser, <strong>Lukas</strong> 9,51–56; Miyoshi,<br />

Der Anfang des Reiseberichts.<br />

446 Exkurs 20: Samaritaner.


208 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

dessen Rand, hinzu. Noch zwei Mal wird er auf dem Weg Samaritaner als Ȋrgerliche<br />

Vorbilder« 447 präsentieren (10,29–37; 17,11–19).<br />

51 Die zeitliche Bestimmung für den Beginn des Weges behält eine gewisse Offenheit.<br />

Anvisiert sind »die Tage seiner Hinaufnahme« (ἀνάλημψις), was über den Tod<br />

hinaus schon auf die »Himmelfahrtserzählung« schaut; deutet sich in dem Plural der<br />

»Tage« vielleicht schon Apg 1,3 an, wo diese »Hinaufnahme« nicht mehr Teil des Ostertages,<br />

sondern Teil einer vierzigtägigen Reihe wiederholter Erscheinungen ist? <strong>Das</strong>s<br />

diese Tage »voll werden« (συμπληρόω), beschreibt lediglich den Ablauf der Zeit; sie<br />

rücken näher. Der Entschluss Jesu wird mit der Wendung »das Angesicht fest machen«<br />

(στηρίζω τὸν πρόσωπον) umschrieben, 448 was schon das Wissen um die Konsequenzen<br />

signalisiert. 52 Die Boten, die als eine Art Vorhut logistische Fragen der<br />

Gruppe klären, kommen bei Lk noch häufiger vor; meist werden sie dabei zu zweit<br />

ausgesandt. 449 Ihr Weg führt nicht zufällig in ein Dorf der Samaritaner. Wenn man<br />

westlich des Jordans von Galiläa <strong>nach</strong> Jerusalem reist, kommt man zwangsläufig durch<br />

samaritanisches Gebiet. 53 Seit dem sogen. »samaritanischen Schisma« in früh-hasmonäischer<br />

Zeit, ausgelöst durch die Zerstörung des Heiligtums auf dem Garizim 129 v.<br />

Chr., kommt es ständig zu Feindseligkeiten, von denen vor allem Festpilger aus Galiläa<br />

betroffen sind (Josephus, Ant XVIII 39–30). Die kleine Episode fängt diese Situation<br />

zutreffend ein. Man verweigert den Galiläern das gewünschte Quartier. Sind die Samaritaner<br />

deshalb als Feinde zu betrachten? 54 Jakobus und Johannes schlagen ein<br />

Strafwunder vor. Feuer vom Himmel fallen zu lassen erinnert an die Propheten Elija<br />

und Elischa (1Kön 18,38; 2Kön 1,9–14). Messen die beiden Schüler ihren Lehrer <strong>nach</strong><br />

wie vor am Typos dieser Propheten (9,8.19)? Zugleich schwingt in dem Vorschlag eine<br />

Gewaltphantasie mit, wie sie immer wieder blutige Realität wird: Wegen der Misshandlung<br />

galiläischer Festpilger durch Samaritaner zur Zeit des Prokurators Cumanus<br />

(48–52 n. Chr.) brennen empörte Jerusalemer einige samaritanische Dörfer nieder<br />

(Josephus, Ant XX 118–124 = Bell II 232–244). Jakobus und Johannes möchten das<br />

Strafwunder gern selbst, wenngleich im Auftrag Jesu, ausführen. 450 Erneut verkennen<br />

sie ihre Rolle als Boten des <strong>Evangelium</strong>s gründlich (vgl. 9,46–50). 55–56 Jesus weist das<br />

Strafwunder vehement ab. 451 Er wird auch sonst bei Lk kein solches ausführen; erst die<br />

Apostelgeschichte weiß dann gelegentlich wieder von Strafwundern zu berichten. 452<br />

447 Exkurs 9: Ärgerliche Vorbilder.<br />

448 Im Hintergrund steht vermutlich ein Hebraismus; vgl. Flusser, <strong>Lukas</strong> 9,51–56.<br />

449 Die Aussendung der 70/72 erfolgt in Zweierpaaren (10,1); vgl. oben zu 7,18–19.<br />

450 Haftet ihnen vielleicht deshalb in der Schülerliste des Mk der Beiname »Donnersöhne« an (Mk<br />

3,17)? Sind sie als aufbrausende Charaktere in Erinnerung geblieben? Mk hat diese Episode<br />

freilich nicht überliefert.<br />

451 Einige Hss. teilen den Wortlaut mit: »Und er sprach: Wisst ihr nicht, welches Geistes ihr seid?<br />

Der Menschensohn ist nicht gekommen, das Leben der Menschen zu verderben, sondern zu<br />

retten!«; vermutlich ist dieser Zusatz von 19,10 (Zachäus) motiviert.<br />

452 Die »Verfluchung« des Feigenbaums (Mk 11,12–14 / Mt 21,18–19) lässt Lk aus; Strafwunder<br />

erzählen Apg 5,1–11; 13,8–11.


Weg 9,51–19,40<br />

209<br />

Jesus geht dem Konflikt aus dem Weg. Die Samaritaner sollen nicht brüskiert, sondern<br />

künftig gewonnen werden.<br />

Der Beginn des langen Weges <strong>nach</strong> Jerusalem gestaltet sich nicht als gleitender Übergang;<br />

vielmehr verdankt er sich der bewussten Entscheidung Jesu. Er steht unter dem<br />

Vorzeichen eines Konfliktes, was schon weitere Konflikte ahnen lässt. Auch die Schüler<br />

sind sich über die Bedeutung dieses Weges noch nicht im Klaren.<br />

2. Nachfolgeproben 9,57–62 453<br />

(57) Und als sie auf dem Weg dahinzogen, sprach einer zu ihm: »Ich will dir <strong>nach</strong>folgen,<br />

wohin du auch fortgehst!« (58) Jesus aber sprach zu ihm: »Die Füchse haben<br />

Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, der Menschensohn aber hat<br />

nichts, wo er das Haupt bettet!«<br />

(59) Er sprach aber zu einem anderen: »Folge mir <strong>nach</strong>!« Der aber sprach: »[Herr],<br />

gestatte mir, dass ich zuerst hingehe, um meinen Vater zu begraben!« (60) Er aber<br />

sprach zu ihm: »Lass die Toten ihre Toten begraben! Du aber geh hin und verkündige<br />

die Königsherrschaft Gottes!«<br />

(61) Ein anderer aber sprach: »Ich will dir <strong>nach</strong>folgen, Herr! Zuerst aber gestatte<br />

mir, mich zu verabschieden von denen in meinem Haus!« (62) Jesus aber sprach zu<br />

ihm: »Niemand, der seine Hand an den Pflug legt und zurückschaut, ist geeignet<br />

für die Königsherrschaft Gottes!«<br />

Am Anfang des Weges stehen drei Szenen zum Thema Nachfolge. Der Schülerkreis<br />

weitet sich aus. Zu dem unvermittelten Ruf in die Nachfolge (59–60) tritt das eigenständige<br />

Begehren potentieller Schüler (57–58.61–62) hinzu. Ihre Bereitschaft wird auf<br />

die Probe gestellt. Die Schwelle, die es zu überschreiten gilt, liegt hoch. <strong>Das</strong> drückt sich<br />

sowohl in der provozierenden Drastik der Worte Jesu als auch in der Erinnerung an<br />

den Erzählkranz um Elija-Elischa aus. Die drei Szenen, als Rahmen für drei markante<br />

Sentenzen konstruiert, werden durch einen steilen Anspruch zusammengehalten: Wer<br />

Jesu Schüler werden will, muss Prioritäten setzen. Es scheint so, als ob die drei hier<br />

vorgestellten Bewerber an diesem Anspruch scheiterten (vgl. 18,18–30); eine positive<br />

Entscheidung wird jedenfalls nicht mitgeteilt.<br />

Mt hat die Szenen (Mt 8,18–22) zum Auftaktgeschehen seiner Sturmstillungserzählung<br />

(Mt 8,23–27) gemacht; die beiden Abgewiesenen bleiben am Ufer zurück, die übrigen<br />

Schüler aber steigen mit ihrem Lehrer ins Boot und »folgen ihm <strong>nach</strong>« bis in den<br />

Sturm hinein. Lk hingegen bereitet auf diese Weise die im Anschluss platzierte zweite<br />

Aussendung (10,1–24) vor und deutet damit eine Art »Casting« zur Erweiterung des<br />

Multiplikatorenkreises an. Nur die ersten beiden Szenen sind Teil der Zweifachüberlieferung<br />

(vgl. Mt 18,18–22); die dritte bleibt ohne Parallele, entspricht jedoch formal sehr<br />

453 Bockmuehl, ›Let the dead bury their dead‹; Hengel, Nachfolge.


210 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

eng der ersten. Aus dem Schema des Nachfolgebegehrens fällt die zweite Szene heraus,<br />

die bei Lk (anders als in Mt 8,21) <strong>nach</strong> dem Modell des unvermittelten Rufes (»Folge<br />

mir <strong>nach</strong>!«) gestaltet ist. Mt bezeichnet den ersten Anonymus als »Schriftgelehrten«<br />

und den zweiten als einen der Schüler Jesu; Lk lässt diese Bezeichnungen aus und stellt<br />

der zweiten Szene deshalb noch einmal einen Ruf voran.<br />

Formal handelt es sich um drei kurze Lehrgespräche, die nur aus Frage und Antwort<br />

(im Falle der zweiten Szene aus Ruf, Rückfrage und Antwort) bestehen. Die Antwort<br />

nennt Bedingungen; sie weist das Begehren nicht einfach zurück, erschwert es aber<br />

deutlich. Durch diesen offenen Schluss wird die Frage an das Publikum weitergespielt,<br />

das sich darin selbst zu prüfen vermag.<br />

57 Die Wanderung wird fortgesetzt. Unterwegs und gleichsam open air ereignen sich<br />

im Folgenden drei Begegnungen. Ein erster Anonymus, der sich der Gruppe anschließt,<br />

tritt an Jesus heran. Er ist bereit, den Bruch mit seinem bisherigen Leben zu vollziehen<br />

und das unstete Wanderleben des Lehrers zu teilen. <strong>Das</strong> Verb ἀκολουθέω fungiert hier<br />

als terminus technicus des Nachfolgegeschehens. 58 Weiß der Anonymus auch, was er<br />

da sagt? Jesus illustriert die eigene Unbehaustheit durch den Vergleich mit Füchsen<br />

und Vögeln: Der »Menschensohn« (hier im Sinne von »ich selbst« und als Ausdruck<br />

der Niedrigkeit gebraucht) ist obdachloser als jedes Tier. Zweifellos überzeichnet dieser<br />

Spruch die Situation, denn es gibt immer wieder gastliche Häuser, die der Gruppe<br />

Aufnahme gewähren. <strong>Das</strong> Wort will nur den grundsätzlichen Anspruch formulieren.<br />

Jenes Urvertrauen, das auf jede »Ausrüstung« verzichten kann (9,3) und weiß, dass<br />

Gott selbst für Spatzen, Raben, Lilien und Gras (12,6–7.24–28) sorgt, ist Signum und<br />

Voraussetzung der Nachfolge.<br />

59 <strong>Das</strong> Anliegen des Zweiten erweckt in der Parallele (Mt 8,21) den Eindruck, als<br />

bitte ein Schüler um Urlaub zur Klärung persönlicher Angelegenheiten. Bei Lk ist<br />

der Betreffende weder Schüler noch begehrt er, einer zu werden; ihn trifft der Ruf<br />

so unvermittelt, wie andere vor ihm auch schon. 454 Er ist bereit, dem Ruf Folge zu<br />

leisten; er bittet lediglich (aus verständlichen Gründen) um Aufschub, denn der Ruf<br />

kommt zur Unzeit. Für die Pietätspflicht des Sohnes gegenüber dem Vater gibt es keinen<br />

Dispens. 455 60 Die Abweisung dieser Bitte erfolgt schroff und brüskierend: Sollen<br />

doch die Toten sich selbst überlassen bleiben! Zugleich diskreditiert sie den Fragesteller.<br />

In welchem Sinne wäre denn auch er »tot«, wenn er seiner Sohnespflicht<br />

<strong>nach</strong>käme? Diese Frage lässt sich nur im Lichte der folgenden Zielsetzung beantworten:<br />

Der Ruf in die Nachfolge impliziert die Verkündigung der Gottesherrschaft. Die<br />

Gottesherrschaft aber ist der Bereich des Lebens; was ihr entgegensteht, gehört dem<br />

Bereich des Todes an. Hier muss sich der potentielle Schüler entscheiden. Weil die<br />

Beauftragung keinen Aufschub duldet, formuliert das Wort sein Anliegen in größtmög-<br />

454 Vgl. Mk 1,17.20 / Mt 4,19.21 (Brüderpaare); Mk 2,14 / Mt 9,9 / Lk 5,27 (Levi / Matthäus); Joh 1,43<br />

(Philippus).<br />

455 Sie erwächst aus dem 4. Gebot und wird in der rabbin. Auslegung mit höchster Wertigkeit<br />

versehen; vgl. Billerbeck 1, 487–489.


Weg 9,51–19,40<br />

211<br />

licher Schärfe. Dabei geht es selbstverständlich nicht darum, einen neuen Verhaltenscodex<br />

in Sachen Bestattung zu etablieren, sondern lediglich darum, die Dringlichkeit<br />

dieses Nachfolgerufes herauszustellen. Nicht das Alltägliche, sondern das Besondere<br />

und Einmalige der Situation wird in diesem weit über das Ziel hinausschießenden<br />

Wort betont.<br />

61 Ein Dritter äußert sein Nachfolgebegehren, verbindet es aber sogleich mit einer<br />

Bitte, die Erinnerungen aufruft: Als Elija den Elischa bei der Feldarbeit abrupt<br />

durch eine kleine Zeichenhandlung in die Nachfolge ruft, bittet dieser darum, sich<br />

noch von seiner Familie verabschieden zu dürfen – was ihm auch zugestanden wird<br />

(1Kön 19,19–21). 62 Diese Assoziation wird durch das folgende Wort von der »Hand am<br />

Pflug« unterstrichen: Elischa ist in 1Kön 19,19 gerade beim Pflügen; er beendet seine<br />

Arbeit, schlachtet seine Rinder für ein großes Abschiedsmahl und heizt mit den hölzernen<br />

Jochen das Feuer; auf diese Weise bricht er alle Brücken hinter sich ab. Dem dritten<br />

Anonymus wird eine entsprechende Bitte jedoch abgeschlagen. Die Antwort Jesu<br />

hat dabei sprichwörtlichen Charakter: Wer ein Projekt in Angriff nehmen will, muss<br />

<strong>nach</strong> vorn schauen. <strong>Das</strong> lässt sich am Beispiel des Pflügens besonders plausibel machen.<br />

Eine gerade Furche entsteht nur dann, wenn man einen bestimmten Zielpunkt<br />

anvisiert – nicht aber, wenn man sich an der rückwärtigen Strecke orientiert. Auch hier<br />

ist der Auftrag klar: Nachfolge und Schülerschaft haben etwas mit der Gottesherrschaft<br />

zu tun, und zwar mit ihrer Verkündigung. Der »Eignungstest« besteht deshalb in der<br />

Entschlossenheit, die Nachfolge ohne Wenn und Aber anzutreten.<br />

Die drei Szenen stellen noch einmal zwei Grundzüge von »Nachfolge« heraus. Zum<br />

einen ist Nachfolge als radikaler Bruch mit allen bisherigen Lebensverhältnissen nur<br />

für Wenige bestimmt; nicht alle, die sich dem »Wort« Jesu öffnen, werden auch zu seinen<br />

Schülern oder Schülerinnen; die Demokratisierung (und damit Nivellierung) der<br />

Begriffe »<strong>nach</strong>folgen« oder »Schüler / Schülerin sein« erfolgt erst <strong>nach</strong> Ostern. 456 Zum<br />

anderen macht Lk deutlich, dass Nachfolge / Schülerschaft immer schon die Aussendung<br />

impliziert; Schüler und Schülerinnen absolvieren nicht nur eine unverbindliche<br />

Hospitation, sondern werden in die Verkündigung der Gottesherrschaft eingeübt.<br />

3. Aussendung der Zweiundsiebzig 10,1–24 457<br />

Am Ende des Galiläateils hatte die Aussendung der Zwölf als Bild für die Sammlung<br />

Israels gestanden. Am Anfang des Weges <strong>nach</strong> Jerusalem steht die Aussendung der<br />

70/72 als Vorabbild der Völkermission. Beide Texteinheiten (9,1–6 / 10,1–24) sind eng<br />

aufeinander bezogen, wobei die zweite Aussendung die erste an Umfang und De-<br />

456 Einem solchen verallgemeinerten Verständnis von »Nachfolge« hat im 20. Jh. noch einmal D.<br />

Bonhoeffers gleichnamiges Buch (München 2 1940) Vorschub geleistet, das Nachfolge als eine Art<br />

entschiedenes Christsein interpretiert.<br />

457 <strong>Böttrich</strong>, Ideal oder Zeichen?; Hofrichter, Von der zweifachen Speisung; Krauss, Die Zahl der<br />

biblischen Völkerschaften.


Jerusalem 19,41–21,38<br />

383<br />

dem Aufenthalt Jesu in der Stadt stehen von Anfang an sowohl der Jubel der Schüler<br />

als auch die Ahnung künftiger Bedrängnisse.<br />

C. Jerusalem 19,41–21,38 810<br />

Mit der Ankunft Jesu in Jerusalem beginnt der dritte und kürzeste Teil seines geographisch<br />

gegliederten öffentlichen Auftretens. Nun ist er am Ort jenes Geschehens angelangt,<br />

das in der Passions- und Ostergeschichte von seiner Vollendung handelt. 811 Nach<br />

Jerusalem kommt Jesus im Rahmen der lkn. Erzählung (als Erwachsener) zum ersten<br />

Mal, wenngleich dieser Ort als Zielpunkt seiner Wanderungen schon lange angekündigt<br />

und vorbereitet wird. 812 Dem Publikum ist die Stadt wohlbekannt: Hier hatte die<br />

Erzählung begonnen (1,8–9), hier hatten die Eltern das vorgeschriebene Reinigungsopfer<br />

dargebracht (2,22–23); hier hatte der Zwölfjährige schon zu Füßen der Lehrer<br />

Israels gesessen (2,46). Somit schließt sich ein Kreis. Die frohe Botschaft, die bei der<br />

Geburt des Kindes erstmals in Judäa und Jerusalem erklang, kehrt in Gestalt des Verheißungsträgers<br />

selbst in die Tempelstadt zurück. <strong>Das</strong> weckt die Erwartung, dass es<br />

hier auch zu einer Entscheidung gegenüber seiner Botschaft kommen müsse.<br />

Während sich Lk auf dem langen Weg <strong>nach</strong> Jerusalem vor allem aus dem Reservoir<br />

von Q und Sondergut bedient hatte, kehrt er nun wieder zum Markustext zurück. Nur<br />

Anfang (19,41–44) und Ende (21,34–38) dieser Einheit gestaltet er auf eigenständige<br />

Weise. Ging es in Galiläa vorzugsweise um Grundlegungen und auf dem Weg um Entscheidungen,<br />

so ist Jerusalem solchen Episoden vorbehalten, die von Polarisierungen<br />

handeln. Am Anfang steht die Klage Jesu über Jerusalem (19,41–44), die schon weit<br />

über Passion und Ostern hinaus auf die künftige Zerstörung der Stadt im Jahre 70<br />

blickt. Mit einem Konflikt im Tempel führt sich Jesus ein (19,45–46); wichtige Blöcke<br />

stellen die »Jerusalemer Streitgespräche« (20,1–44) und die »große Endzeitrede« (21,5–<br />

36) dar. <strong>Das</strong> Bild des Lehrers, der trotz zunehmender Bedrohung auch in Jerusalem die<br />

Zustimmung des »Volkes« erfährt (21,37–38), beschließt den Abschnitt.<br />

<strong>Das</strong> Thema des Endes und der Parusieerwartung gewinnt in Jerusalem an Intensität<br />

und Dringlichkeit. Auf dieser Themenlinie stellen die »kleine Endzeitrede« (17,20–<br />

18,8) und die »große Endzeitrede« (21,5–36) eine Verklammerung zwischen Wegphase<br />

und Jerusalemteil dar. Eine Rückbindung an die Erzählung vom Ursprung Jesu erfolgt<br />

über den Tempel, der erneut eine zentrale Rolle als Ort der Heilsoffenbarung Gottes<br />

spielt. Der Tempel ist der erste Punkt, den Jesus in der Stadt aufsucht (19,45); die Streitgespräche<br />

werden als Lehre im Tempel eingeführt (20,1); die folgenden Lehrgespräche<br />

beziehen sich ebenfalls auf den Tempel (20,45–21,4); die große Endzeitrede wird von<br />

einer Bemerkung über das Tempelgebäude ausgelöst (21,5); das abschließende Sum-<br />

810 Bachmann, Jerusalem und der Tempel; Galor / Bloedhorn, The Archeology of Jerusalem; Jeremias,<br />

Jerusalem zur Zeit Jesu; Küchler, Jerusalem.<br />

811 Jerusalem wird dabei zum Scharnierpunkt zwischen <strong>Evangelium</strong> und Apostelgeschichte; von<br />

hier aus lässt Lk auch die Geschichte der frühen Christenheit beginnen.<br />

812 Vgl. 9,31.51.53; 13,22.33; 17,11; 18,31; 19,11.28.


384 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

marium fasst noch einmal die Lehre Jesu im Tempel zusammen. Adressat ist dabei<br />

nicht mehr die unbestimmte »Schar« (ὄχλος) wie in Galiläa oder auf dem Weg, sondern<br />

durchgängig »das Volk« (λαός), was stets an das Gottesvolk im Ganzen denken lässt<br />

(so 21,38); allein die beiden Lehrgespräche (20,45–21,4) und die große Endzeitrede sind<br />

an die Schüler gerichtet – jedoch so, dass auch »das Volk« dabei zuhört (20,45). Die<br />

Nachstellungen von Seiten der Gegner häufen sich in Jerusalem, der Takt wird kürzer<br />

(19,47–48; 20,19; 20,20.26). 813 Auf diese Weise rückt die Passion am Ort ihres Geschehens<br />

immer näher.<br />

Jerusalem ist die Stadt Jesu. Mit ihr verbindet ihn, wie jeden anderen frommen Juden<br />

auch, eine besondere Geschichte und eine emotionale Beziehung. Den Tempel, für<br />

dessen Integrität er eintritt, verteidigt er als Ort des Gebetes und der Gottesbegegnung.<br />

Die Stadt stellt für ihn als einen Galiläer jedenfalls kein fremdes oder gar feindliches<br />

Terrain dar. In religiöser Hinsicht ist Jesus in Jerusalem »zu Hause«. <strong>Das</strong>s er hier ein<br />

gewaltsames Ende finden wird, verdankt sich weniger der Ablehnung seiner Botschaft<br />

durch die Jerusalemer als vielmehr dem Heilswillen Gottes, der nur hier und nicht im<br />

abseitigen Galiläa zu seiner Vollendung gelangen kann.<br />

1. Klage über Jerusalem 19,41–44 814<br />

(41) Und als er näher kam, sah er die Stadt und weinte über sie, (42) sagend: »Wenn<br />

(doch) auch du an diesem Tag erkannt hättest das, (was) zum Frieden (führt)! Nun<br />

aber ist es verborgen vor deinen Augen. (43) Denn es werden Tage über dich kommen,<br />

da werden deine Feinde einen Wall um dich aufschütten und dich ringsum<br />

einschließen und dich von überall her bedrängen. (44) Und sie werden dich niederreißen<br />

und deine Kinder in dir, und sie werden nicht Stein auf Stein lassen in dir,<br />

weil du nicht die Zeit deiner Heimsuchung erkannt hast.«<br />

Die Klage Jesu steht wie ein Vorzeichen vor dem Jerusalemteil. Der Prophet aus Nazaret<br />

erkennt beim Anblick der Stadt, welches Geschick ihr bevorsteht. Mit den Tränen, die<br />

er weint, bringt er seine Anteilname und Solidarisierung zum Ausdruck. Die Katastrophe<br />

Jerusalems trifft auch ihn, der ein Kind des Gottesvolkes Israel ist. In der großen<br />

Endzeitrede wird er das Schreckensszenario weiter ausmalen (21,20–24) und den Ton<br />

seiner Klage auf dem Weg zur Hinrichtung (23,27–31) erneut aufnehmen.<br />

Lk hat die »Verfluchung« des Feigenbaumes (Mk 11,12–14.20–25 / Mt 21,18–22), die<br />

bei Mk die Tempelaktion umrahmt und ihr bei Mt folgt, ausgelassen. Soll die Klage<br />

über Jerusalem, die er seinem Sondergut entnimmt, diese Feigenbaumepisode etwa<br />

ersetzen? Lässt er sie aus, weil er den Feigenbaum schon auf dem Weg als Gleichnis<br />

für die Chance zur Umkehr platziert hatte (13,6–9)? Darüber ist viel spekuliert worden.<br />

Immerhin hat es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass Lk das naheliegende Missver-<br />

813 Frühere Bedrohungen vgl. in 4,29; 6,11; 11,53–54; 13,31.<br />

814 Aus, Jesus’ Weeping; Gaston, No Stone on Another; Osten-Sacken, Jesu Weinen über sein Volk;<br />

Reicke, Synoptic Prophecies.


Jerusalem 19,41–21,38<br />

385<br />

ständnis, der »Fluch« über den Feigenbaum könne auf Israel bezogen werden, vermeiden<br />

wollte. Die Klage setzt einen anderen Akzent: sie droht nicht mit dem Gericht,<br />

sondern betrauert, was bevorsteht; sie klagt nicht an, sondern bekundet Empathie; sie<br />

zieht keine vorschnellen Schlüsse, sondern stellt die kommenden Ereignisse in den<br />

Horizont von Gottes unbegreiflichem Handeln.<br />

Formal fügt sich die Klage in das Schema der prophetischen Unheilsansage gegen<br />

Städte ein, wie sie etwa schon in Lk 10,13–15 erklungen war. 815 Dabei wird das Unheil<br />

auf ein konkretes Verhalten zurückgeführt und als dessen Folge beschrieben – sei es,<br />

um noch zur Umkehr aufzurufen, oder sei es, um die Unabänderlichkeit des Geschehens<br />

zu begründen. Im vorliegenden Falle bleibt die Begründung jedoch auffällig allgemein:<br />

Jerusalem hat »nicht erkannt«: zum einen »was zum Frieden führt«, zum<br />

anderen »die Zeit seiner Heimsuchung«. Beide Aussagen rahmen die Klage (19,42.44).<br />

Ihre Unbestimmtheit öffnet einen weiten Interpretationsspielraum. »Dieser Tag« und<br />

»die Zeit der Heimsuchung« gehen jedenfalls über die unmittelbare Ankunft Jesu hinaus.<br />

Sie zielen im weitesten Sinne auf Gottes Geschichte mit der Stadt, deren Ausgang<br />

längst schon beschlossene Sache ist.<br />

Nach einer knappen Überleitung (41) wird die Unheilsansage unter dem Aspekt<br />

von Vergangenheit und Gegenwart als verpasste Chance eingeführt (42): »wenn du<br />

hättest« / »nun aber ist«. Die Zukunft kommt daraufhin mit einer detaillierten Beschreibung<br />

von Eroberung und Zerstörung zur Sprache (43–44) und endet mit einer<br />

Begründung des Geschehens.<br />

41 Diese letzte Annäherung kann nur den längeren Abstieg ins Kidrontal vor dem kurzen<br />

Aufstieg zu einem der Tore meinen. Dabei steht fortwährend der überwältigende<br />

Panoramablick auf die Stadt vor Augen. Jesus wird von seinen Gefühlen überwältigt<br />

und weint; 816 für die Zeugen der Szene müssen seine Tränen zeichenhaften Charakter<br />

gewinnen. Im Kontext jener liturgischen Landschaft, die seit dem 4. Jh. am Ölberg<br />

entsteht, ist der Ort dieser Klage im 6. Jh. mit einer Kapelle (Dominus flevit) markiert<br />

worden. 817<br />

42 Die Klage Jesu beginnt mit einem Irrealis, der einen unerfüllbaren Wunsch formuliert.<br />

Der Wunsch betrifft eine Erkenntnis, zu der Jerusalem hätte gelangen können,<br />

jedoch nicht gelangt ist. Sie hat dem<strong>nach</strong> schon eine Vorgeschichte. Was aber ist<br />

der Gegenstand dieser versäumten Erkenntnis? <strong>Das</strong>, »was zum Frieden führt«. Darin<br />

klingt ein Wortspiel mit der Bedeutung des Namens Jerusalem als einer »Stadt des<br />

Friedens« an. Gott selbst, der ein »Gott des Friedens« ist, 818 hat Jerusalem zu einer<br />

Platzhalterin des göttlichen Friedens unter den Völkern gemacht. Wird die Stadt dieser<br />

Rolle gerecht? Hat sie erkannt, was dazu taugt, diesen Frieden gegenüber aller Welt zu<br />

bekunden? <strong>Das</strong> Friedensprogramm Gottes, im Gloria der Engel auf den Hirtenfeldern<br />

vor Betlehem aller Welt von neuem verkündet (2,14), hat in Jerusalem noch kein Gehör<br />

815 Berger, Formgeschichte, 195–196 sowie 200.<br />

816 Vgl. Joh 11,33–35 (Jesus weint um seinen Freund Lazarus).<br />

817 Küchler, Jerusalem, 831–844.<br />

818 Vgl. oben zu 2,14.


386 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

gefunden. Die Ankunft dessen, der dieses Friedensprogramm verkörpert, konfrontiert<br />

die Stadt des Friedens und der Heilsoffenbarung Gottes mit ihrem Versäumnis. Scheinbar<br />

kann sich die Rede von »diesem Tag« nur auf den gerade beschriebenen Tag der<br />

Ankunft Jesu beziehen, an dem sich zeigt, was »vor ihren Augen verborgen ist«. Aber<br />

noch hat Jesus die Stadt gar nicht betreten; noch befindet er sich unter den Festpilgern<br />

außerhalb ihrer Mauern; noch hatte »die Stadt« gar keine Gelegenheit, seine Botschaft<br />

zu hören. Die Klage schaut voraus. In prophetischer Weitsicht zieht Jesus ein Fazit aus<br />

der bisherigen Geschichte Jerusalems und sagt der Stadt ihr künftiges Geschick an, das<br />

die Folge einer langen Zeit des Unfriedens und der Konflikte, der Verfehlungen und<br />

der mangelnden Erkenntnis Gottes ist. An »diesem Tag« werden die großen Zusammenhänge<br />

klar. <strong>Das</strong>s man den Propheten aus Nazaret nicht angemessen begrüßt hätte,<br />

ist jedenfalls nicht der Grund für die künftige Katastrophe Jerusalems. Seine Ankunft<br />

macht nur das längst schon beschlossene Geschick der Stadt offenbar – vielleicht in der<br />

Hoffnung, es möge doch noch eine Zeit der Umkehr bleiben (13,6–9). Denn der Gedanke<br />

einer »Verhärtung«, wie er in den Unheilsverheißungen der Propheten verbreitet<br />

ist, klingt hier gerade nicht an. Der unerfüllte Wunsch bringt vielmehr die tiefe und<br />

bleibende Verbundenheit Jesu mit Jerusalem auf bewegende Weise zum Ausdruck.<br />

43–44 Nach der Klage über einst und jetzt schweift der Blick in die Zukunft. Die<br />

kommenden »Tage« beschreiben die Belagerung und Zerstörung Jerusalems in einer<br />

stereotypen Drastik, wie sie jeder Kriegsberichterstattung zu eigen ist: Jerusalem und<br />

seine Bewohnerschaft werden eingeschlossen, bedrängt, »niedergerissen« (zerstört<br />

bzw. getötet); die Stadt wird geschleift. Daran ist nichts zu finden, was für die Ereignisse<br />

des Jahres 70 spezifisch wäre; auch der Tempel findet keine besondere Erwähnung.<br />

Aber natürlich steht genau diese Tragödie allen denen vor Augen, die ca. 20 Jahre<br />

später diese Klage Jesu hören oder lesen. <strong>Das</strong>s »kein Stein auf dem anderen« bleiben<br />

werde, nimmt später die große Endzeitrede auf (21,6); die dortige Ankündigung von<br />

Jerusalems Ende (21,20–24) bleibt ähnlich vage und ist dennoch mit der gleichen konkreten<br />

Assoziation unterlegt. Wie zu Beginn gibt die Klage auch zum Schluss noch<br />

einmal eine Begründung an. Die Stadt hat die Chance bzw. die »Zeit (καιρός) ihrer<br />

Heimsuchung« nicht erkannt. Der Begriff der »Heimsuchung« (ἐπισκοπή) kehrt von<br />

der Zukunft wieder in Gegenwart und Vergangenheit zurück. Er bezeichnet in seiner<br />

Grundbedeutung weniger das Gerichtshandeln Gottes als die positive Zuwendung zu<br />

seinem Volk (7,16). Seit der Verkündigung der Geburt Jesu und seinem öffentlichen<br />

Auftreten in Galiläa hat diese »Heimsuchung« Gottes in Israel zunehmend Gestalt gewonnen.<br />

Lk setzt voraus, dass sie Kreise gezogen und längst auch schon Jerusalem<br />

erreicht hat. 819 Insofern beschränkt sich »die Zeit« auch nicht auf den Tag der Ankunft<br />

Jesu, sondern schließt die gesamte bisher erzählte Geschichte mit ein. Die Chance Jerusalems<br />

ist längst schon verstrichen. Jesus kommt gleichsam zu spät und kann das<br />

künftige Unheil nur noch beweinen.<br />

819 Vgl. 4,44; 5,17; 6,17; 7,17.


Jerusalem 19,41–21,38<br />

387<br />

Die Klage eines galiläischen Propheten über das Geschick Jerusalems fügt sich ein in<br />

die Tradition prophetischer Unheilsankündigungen in Israel. Sie ist Teil einer langen<br />

Geschichte Gottes mit seinem Volk, in der die Katastrophen zu Wendepunkten und zu<br />

Chancen der Umkehr werden, ohne die Treue Gottes zu seinem Volk je grundsätzlich<br />

in Frage zu stellen. Dennoch ist diese Klage Jesu immer wieder zum Ausgangspunkt<br />

anti-jüd. Interpretationen geworden. Vollzieht nicht der Untergang Jerusalems das<br />

göttliche Gericht über die Heilige Stadt, weil sie ihren wahren König nicht erkannt<br />

und gebührend empfangen hat? Ein solches Verständnis drängt sich auf, wenn man<br />

zwischen dem »Einzug« Jesu und seiner Unheilsansage einen Kausalzusammenhang<br />

sieht. Doch ein solcher liegt nicht vor. Auf der Erzählebene gehören die Proklamation<br />

im Zug der Festpilger und die Passionsereignisse in der Stadt zwei verschiedenen Einheiten<br />

an; zudem erfährt Jesus sowohl bei seiner Ankunft Zuspruch und Widerspruch<br />

als auch bei seiner Verkündigung im Tempel Zustimmung und Nachstellung. Auf der<br />

theologischen Ebene sind das Geschick der Stadt und das gewaltsame Ende Jesu Teil<br />

sehr viel größerer geschichtlicher Zusammenhänge. Sie folgen einem Plan, <strong>nach</strong> dem<br />

alles so geschehen »muss«, was gerade die Leidensankündigungen deutlich machen.<br />

Auch diese letzte Phase des Auftretens Jesu ist gleichermaßen bestimmt »zur Offenbarung<br />

für die Völker und zur Herrlichkeit des Volkes Israel« (2,32).<br />

2.Tempelaktion 19,45–46 820<br />

(45) Und <strong>nach</strong>dem er in den Tempel hineingegangen war, begann er, die Händler<br />

hinauszuwerfen, (46) zu ihnen sagend: »Es steht geschrieben: ›Mein Haus soll ein<br />

Haus des Gebetes sein, ihr aber habt es zu einer Höhle von Räubern gemacht!‹«<br />

Die Überschriften in Übersetzungen und Kommentaren bezeichnen die folgende Aktion<br />

Jesu gern als »Tempelreinigung«, was jedoch zu falschen Assoziationen führt. Zur<br />

Zeit der röm. Besatzung ist der Tempelbezirk sicherheitspolitisch ein hochsensibler<br />

Bereich, der unter verschärfter Beobachtung steht. Eine Art »Sturm auf den Tempel«<br />

oder eine Aktion, die das gesamte Areal einbezieht, wäre um das Jahr 30 herum völlig<br />

undenkbar. Was Jesus im Tempel tut, lässt sich erneut nur <strong>nach</strong> Art einer prophetischen<br />

Zeichenhandlung verstehen. Sie findet statt an einem begrenzten Ort und unterstreicht<br />

durch eine große Geste den Anspruch, den der Prophet an das Gotteshaus richtet.<br />

Der Plural »die Händler« ist allein der Bedeutungsperspektive des Lk geschuldet,<br />

der die Bühne erweitert und das Treiben als Ganzes in den Blick nimmt.<br />

Lk hat die Episode gestrafft und auf einen einzigen Satz mit angehängtem Zitat reduziert.<br />

Mk 11,15–18 / Mt 21,12–16 schmücken diese Zeichenhandlung Jesu aus: neben<br />

den Händlern nennen sie auch noch die Tische der Wechsler und die Sitze der Taubenverkäufer;<br />

Mk fügt hinzu, Jesus habe auch den Transport von Gefäßen durch den<br />

820 Ådna, Jerusalemer Tempel und Tempelmarkt; ders., Jesu Stellung zum Tempel; Barrett, The<br />

House of Prayer and the Den of Thieves; Casey, Culture and Historicity; Schnider / Stenger,<br />

Johannes und die Synoptiker; Trautmann, Zeichenhafte Handlungen, 78–131.


388 Wirksamkeit 4,14–21,38<br />

Tempel unterbunden; Mt erwähnt in diesem Zusammenhang noch die Heilung von<br />

Blinden und Lahmen sowie die Hosianna-Rufe der Kinder, die den Unwillen der Hohenpriester<br />

und Schriftgelehrten erregen. Joh 2,13–22 bietet die ausführlichste Fassung:<br />

hier ist die Geschichte an den Anfang der Wirksamkeit Jesu verlegt und wird das<br />

Hauptereignis seiner ersten Reise zum Passafest; Joh erweitert den Handel im Tempelbereich<br />

zu einem regelrechten Jahrmarkt, bei dem selbst Rinder und Schafe feilgeboten<br />

werden, weshalb Jesus auch zu einer Peitsche greifen muss; den Wechslern schüttet er<br />

bei Joh zudem die Münzen aus und spricht die Taubenverkäufer direkt an; der dramatischen<br />

Aktion folgt sodann noch ein Disput, in dem »die Juden« <strong>nach</strong> Jesu Legitimation<br />

fragen und daraufhin mit seinem provokanten Tempelwort konfrontiert werden. 821<br />

Gegenüber der Joh-Fassung wirkt Lk besonders karg und erweckt den Eindruck, das<br />

Geschehen allein des zitierten Prophetenwortes wegen erinnern zu wollen.<br />

In der Auslegungsgeschichte hat der »Tempelmarkt« für sehr viel Empörung gesorgt<br />

und musste dabei immer wieder als Beleg für die Dekadenz des Jerusalemer Kultgeschehens<br />

herhalten. 822 Doch Kult und Kommerz gehörten schon immer zusammen.<br />

Opfernde, die von weiter her kommen, müssen ihre Gaben auch irgendwo erwerben<br />

können. Die Geldwechsler sorgen dafür, Münzen mit anstößigen Prägungen vom heiligen<br />

Bezirk fernzuhalten. Mehr ist in diesem Zusammenhang auch nicht gemeint. Die<br />

prophetische Kritik Jesu richtet sich lediglich darauf, dass die notwendigen kommerziellen<br />

Abläufe die Gottesbegegnung zu überlagern drohen. Denn auch ein »Haus des<br />

Gebetes« ist der Tempel schon immer gewesen.<br />

Ihrem Charakter als Zeichenhandlung gemäß verbindet die Episode eine öffentliche<br />

Inszenierung (45) mit einem korrespondierenden Wort (46). <strong>Das</strong> Wort wiederum<br />

besteht aus einem Schriftzitat, was der Handlung gerade an diesem Ort ihre besondere<br />

Legitimation verleiht.<br />

45 Der Tempel ist der erste Ort, den Jesus in Jerusalem aufsucht. Doch die Information,<br />

dass er dort »hineingegangen« sei, erfolgt eher beiläufig. Lk kommt sofort auf das zu<br />

sprechen, was Jesus im Tempel tut. Gedacht ist vermutlich an den weitläufigen »Vorhof<br />

der Heiden«, der durch die umfangreichen Bauarbeiten unter Herodes dem Großen<br />

erweitert worden war und ausreichend Raum für Begegnungen sowie vielfältige Angebote<br />

bereithielt. Lk fasst alle, die hier etwas feilzubieten haben, unter dem Begriff<br />

»die Händler« (οἱ πωλοῦντες) zusammen. Bei ihren Waren denkt er weder an Souvenirs<br />

noch an Catering, sondern an das, was man dort zum Vollzug privater Opfer benötigte,<br />

also vor allem Wechselmünzen und kleine Opfertiere wie etwa Tauben (2,24). Jesus<br />

»beginnt«, sie »hinauszuwerfen«. Vermutlich steht er, umringt von seinen Schülern,<br />

bei einem der Händler, den er verbal und auch handgreiflich attackiert. Mehr lässt sich<br />

kaum vorstellen, denn sonst wären die Solidarität der Händler sowie der Zugriff der<br />

Tempelpolizei zu erwarten. Wort und Geste genügen jedoch schon, um die Aufmerksamkeit<br />

der Augenzeugen zu erregen. 46 Den »Händlern« gegenüber begründet Jesus<br />

821 Möglicherweise stand Joh hier die synopt. Abfolge von Tempelaktion und Jerusalemer<br />

Streitgesprächen mit der »Autoritätsfrage« am Anfang vor Augen.<br />

822 Vgl. zur Auslegungsgeschichte ausführlich Ådna, Jerusalemer Tempel.


Jerusalem 19,41–21,38<br />

389<br />

sein Vorgehen mit einem Schriftzitat, das er auch als solches einleitet. Es beginnt mit<br />

einem Ausschnitt aus Jes 56,7: dort heißt es, dass der Tempel in der Heilszeit »ein Bethaus<br />

für alle Völker« genannt werde solle; Lk lässt den Bezug auf die Völker aus und<br />

konzentriert sich auf die Gegenwart – denn ein »Haus des Gebetes« war der Tempel in<br />

Israel schon immer. Man erinnert sich auch an die Szene aus 1,10: das Volk steht im<br />

Tempel und betet. Der zweite Teil des Zitates spielt auf das Bild in Jer 7,11 vom Tempel<br />

als einer »Höhle von Räubern« an, was dort pauschale Polemik ist, hier aber gut zu<br />

dem kritisierten Geschäftsinteresse der Händler passt. Die Aktion ergreift gleichsam<br />

Partei für Gott; »sein Haus« ist auch das Haus des Propheten aus Nazaret. Nicht Kritik<br />

am Tempel, sondern Leidenschaft für diesen besonderen Ort ist der Auslöser für das<br />

Handeln Jesu.<br />

Im Tempel wird sich Jesus auch in den folgenden Tagen aufhalten. Er ist für ihn nicht<br />

nur Haus des Gebetes, sondern auch Ort der Lehre. Von dem Versuch einer »Übernahme«<br />

kann jedoch gar keine Rede sein. Überall da, wo man den politischen, revolutionären<br />

Jesus konstruieren wollte, verstand man die Tempelaktion als einen gescheiterten<br />

Putschversuch. 823 Doch dafür liefert der Text keinen einzigen Anhaltspunkt. 824 Zumindest<br />

Lk hat diese Episode so nicht verstanden und deshalb auch alle entsprechenden<br />

Signale vermieden. Für ihn bereitet Jesu erstes, prophetisch markantes Auftreten im<br />

Tempel vor allem die Bühne für die folgenden Streitgespräche vor.<br />

3. Summarium der Lehre Jesu 19,47–48 825<br />

(47) Und er lehrte täglich im Tempel. Die Hohenpriester und Schriftgelehrten aber<br />

versuchten, ihn umzubringen, und die Ersten des Volkes auch. (48) Aber sie fanden<br />

nichts, was sie tun konnten, denn das ganze Volk hing zuhörend an ihm.<br />

Ein Summarium, das die Lehrtätigkeit Jesu im Tempel, die Nachstellung der Autoritäten<br />

und die Zuneigung des Volkes zusammenfasst, verbindet die Tempelaktion mit<br />

den Jerusalemer Streitgesprächen. Von hier aus spannt sich ein Bogen hin zu einem<br />

vergleichbaren Summarium (21,37–38), das die Lehrtätigkeit Jesu in Jerusalem und<br />

damit diesen letzten Abschnitt seines öffentlichen Auftretens beschließt.<br />

47 Der erste, von einer zeichenhaften Aktion begleitete Gang in den Tempel wird fortan<br />

zur täglichen Gewohnheit. Wieder ist der weitläufige »Vorhof der Heiden« im Blick,<br />

in dem sich ein buntes und neugieriges Publikum tummelt und der über viele Rückzugsorte<br />

in den schattigen Säulengängen verfügt. Die Händler sind wohl auch weiter-<br />

823 Den prominentesten Entwurf liefert Eisler, ΙΗΣΟΥΣ ΒΑΣΙΛΕΥΣ.<br />

824 Allenfalls Joh 2,17 könnte mit dem Zitat von Ps 69,10 (»Der Eifer für dein Haus hat mich<br />

gefressen«) an zelotische Aktionen erinnern; doch gerade Joh ist frei von allem politischen<br />

Aktivismus.<br />

825 Berger, Formgeschichte, 331–333; Grangaard, Conflict and Authority.


Jerusalem 19,41–21,38<br />

431<br />

Jerusalemer Wirksamkeit schweigt sich der Evangelist Lk aus. 907 Die spätere liturgische<br />

Konzeption des Osterfestkreises hat dafür (<strong>nach</strong> dem Vorbild des Mk) den Rahmen<br />

einer Woche veranschlagt, wobei von der Ankunft am »Palmsonntag« bis zur Verhaftung<br />

am »Gründonnerstag« nur noch drei Tage übrigbleiben. Die Erinnerung an Jerusalem<br />

wird zunehmend von dem gewaltsamen Ende Jesu dominiert. Doch auch dieser<br />

Teil löst beides ein, was Simeon einst im Tempel über das Kind vorausgesagt hatte: es<br />

ist bestimmt »zum Fall und zum Aufstehen vieler in Israel, und zu einem Zeichen, dem<br />

widersprochen wird« (2,34).<br />

III. Vollendung 22,1–24,53<br />

Der letzte große Abschnitt (22,1–24,53) handelt von der Vollendung Jesu. Er umfasst<br />

die Passionsgeschichte und die Nachrichten von der Auferweckung. Den Abschluss<br />

markiert die Erzählung von der »Himmelfahrt«, die als letzter Erscheinungsbericht<br />

schon eine Brücke zur Apg baut. Tod und Auferweckung Jesu bilden in diesem Abschnitt<br />

eine literarische Einheit. Dafür gibt es gute theologische Gründe. Bereits die<br />

älteste Bekenntnistradition (z. B. 1Kor 15,3–8) formuliert ihre Kernaussage in dem<br />

Zweitakt von »gestorben und auferstanden«. 908 <strong>Das</strong> eine gibt es nicht ohne das andere.<br />

Erst im Licht von Ostern lässt sich der Karfreitag begreifen, und umgekehrt. Daran<br />

hat sich die liturgische Tradition schon früh angeschlossen. In der »heiligen Woche«<br />

zwischen Palmsonntag und Ostern liegt die Keimzelle dessen, was vom 5. Jh. an dann<br />

als »Kirchenjahr« feste Gestalt gewinnt.<br />

Die Vollendung Jesu am Schluss erscheint als Gegenstück zu seinem Ursprung am<br />

Anfang. Der Menschwerdung Gottes in dem Kind von Betlehem entspricht die Auferweckung<br />

des Gekreuzigten am Ostermorgen. Was die christologischen Konzepte der<br />

Frühzeit in der Sendung des Sohnes, in seiner Erniedrigung und Erhöhung oder in der<br />

Figur von Abstieg und Aufstieg zu beschreiben versuchen, kommt bei Lk in narrativer<br />

Gestalt zur Darstellung. Noch einmal werden jene Motive gebündelt, die von Anfang<br />

an die Erzählung durchzogen haben. <strong>Das</strong> betrifft z. B. die Nachfolge, die Standhaftigkeit<br />

in Bedrängnissen, das Gebet, die Rolle des Geistes Gottes, das Mahl als Zentrum<br />

von Gemeinschaft, Vertrauen auf Gott, die Rolle von Frauen, Selbstrücknahme und<br />

Statusverzicht oder die Haltung derer, die auf dem Weg sind. So endet die Erzählung<br />

offen und verlangt da<strong>nach</strong>, weitererzählt und fortgeschrieben zu werden.<br />

907 Während Mk/Mt noch die eine oder andere unbestimmte Zeitangabe (am folgenden Tag,<br />

in der Frühe, wenn es spät wurde, wiederum, usw.) machen, belässt es Lk für den gesamten<br />

Jerusalemaufenthalt bis zum Beginn des Passafestes bei der Wendung »an einem dieser Tage«<br />

(20,1).<br />

908 Diese Zusammengehörigkeit zeigt sich auch in den Leidensankündigungen; Wolter, <strong>Lukas</strong> HNT,<br />

687, verweist zudem auf das Kontrastschema in den Petrusreden der Apg (»den habt ihr getötet –<br />

den hat Gott auferweckt«).


432 Vollendung 22,1–24,53<br />

A. Passion 22,1–23,56 909<br />

Biographisches Erzählen in der Antike geht davon aus, dass sich im Tod großer Persönlichkeiten<br />

noch einmal ihr Leben spiegelt und dass der Tod somit zum Deuteschlüssel<br />

für ein Gesamtverständnis des zurückliegenden Lebens wird. 910 In diesem Sinne stellt<br />

auch Lk das gewaltsame Ende Jesu dar: als vorbildliches Martyrium, das dem hellen.<br />

Modell edlen Sterbens näher kommt als bei Mk/Mt. Jesu Tod fügt sich ein in das Bild<br />

seiner »Proexistenz«, die Leben und Sterben gleichermaßen umfasst. 911 Durchgängig<br />

bleibt Jesus der Handlungssouverän; noch im Augenblick grausamster Schändung<br />

weiß er, selbstbestimmt zu agieren und mit Worten tiefen Gottvertrauens sein Leben<br />

zu beenden. Wahre Menschlichkeit und göttliche Hoheit verbinden sich in dieser Darstellung<br />

bereits zu einem theologisch reflektierten Gesamtbild. Neben den Skandal des<br />

Kreuzes tritt sein Triumph. Damit steht der lkn. Passionsbericht zwischen Mk/Mt auf<br />

der einen und Joh auf der anderen Seite.<br />

Literarisch schließt sich Lk in diesem Teil wieder eng an Mk an. <strong>Das</strong> hat zunächst<br />

mit den Ereignissen selbst zu tun, die in einen engen zeitlichen Rahmen eingepasst<br />

sind und deshalb weniger Gestaltungsspielraum lassen als bei den Episoden auf dem<br />

Weg. <strong>Das</strong> Zeitschema verdichtet sich: 22,1 datiert den Beginn der Erzählung auf die<br />

Nähe des Passafestes; von 22,7 an lässt sich das Tagesschema dann bis zum Ostertag<br />

<strong>nach</strong>zeichnen; immer wieder werden auch Stunden des Tages genannt und sogar<br />

beziffert (23,44). Zugleich fallen zahlreiche Eigenheiten auf. Sie betreffen z. B. die<br />

Darstellung des letzten Mahls als eines gegliederten Symposiums mit anschließenden<br />

Tischgesprächen, die Schilderung des Prozessverlaufs unter Einfügung einer weiteren<br />

Verhandlung vor Herodes Antipas, die Arbeit am Bild des Petrus, die Abmilderung des<br />

Schülerversagens oder die Entlastung der Römer. Eine Reihe von Sondergutstücken<br />

verleihen der Erzählung ihr besonderes Profil, wie z. B. die Rückkehr des Satans auf<br />

die Handlungsebene, ein weiteres Auftragswort an Petrus, die Erinnerung an die Ausrüstungsregel,<br />

der (textlich unsichere) Gebetskampf in Getsemani, die Heilung des abgeschlagenen<br />

Ohrs bei der Verhaftung, der Blickkontakt zwischen Petrus und Jesus im<br />

Hof des Hohenpriesters, die mehrfache Feststellung der Unschuld Jesu, die dreimalige<br />

Ablehnung der Passa-Amnestie, die Worte an die klagenden Frauen auf dem Kreuzweg,<br />

das Gebet für die Peiniger und die Seelsorge am Kreuz, schließlich das letzte Gebet<br />

und die Betroffenheit der Menge. Die Salbungsgeschichte, bei Mk/Mt/Joh als prophetische<br />

Zeichenhandlung einer Frau im Blick auf den bevorstehenden Tod Jesu erzählt,<br />

909 Beck, »Imitatio Christi« and the Lukan Passion Narrative; Bovon, The Lukan Story of the Passion<br />

of Jesus; Brown, Death of the Messiah; Green, Death of Jesus; Harrington, The Lukan Passion<br />

Narrative; Kany, Der lukanische Bericht von Tod und Auferstehung Jesu; Klein, Die lukanischjohanneische<br />

Passionstradition; Kraus, <strong>Das</strong> jüdische <strong>Evangelium</strong>; Neyrey, The Passion According<br />

to Luke; Reinbold, Der älteste Bericht über den Tod Jesu; Schneider, Passion Jesu; Soards, Passion<br />

according to Luke.<br />

910 Vogel, Commentatio mortis.<br />

911 <strong>Böttrich</strong>, Proexistenz.


Passion 22,1–23,56<br />

433<br />

hatte Lk bereits im Galiläateil platziert und zu einer Umkehrgeschichte gestaltet<br />

(7,36–50). Zudem gibt es gerade hier zahlreiche Berührungen mit Joh. 912<br />

Dieser Befund hat eine umfangreiche Diskussion über die Quellen des Lk ausgelöst.<br />

Kann man alle Besonderheiten allein auf die Hand des Evangelisten zurückführen,<br />

oder muss man mit schriftlichen und mündlichen Sonderüberlieferungen rechnen,<br />

denen er verpflichtet ist? Lag ihm gar ein abweichender Bericht vor, den er der Darstellung<br />

des Mk vorzog? Solche Überlegungen bleiben spekulativ. 913 Konsens besteht<br />

darüber, dass Lk auch hier Mk zum Vorbild hat. Alle Einzelheiten sind am einfachsten<br />

der literarischen und theologischen Gestaltungskraft des Lk zuzuschreiben. Manche<br />

aus Mk/Mt vertrauten Einzelzüge vermisst man auch. Hätten wir nur Lk, so wüssten<br />

wir nichts von den dreißig Silberstücken, dem Namen Getsemani, der Dornenkrone<br />

und dem Purpurgewand oder dem gewürzten Wein am Kreuz.<br />

Die Gliederung der Passionsgeschichte ergibt fünf größere Blöcke: der erste und<br />

kleinste (22,1–6), der als Auftakt fungiert, schließt an die Jerusalemer Lehrtätigkeit Jesu<br />

an und markiert die Eskalation des längst schon schwelenden Konfliktes; der zweite<br />

(22,7–38) beschreibt das letzte Mahl Jesu mit seinen Schülern; der dritte (22,39–65)<br />

handelt von der Auslieferung Jesu; der vierte (22,66–23,25) ist dem Prozess vorbehalten;<br />

der fünfte (23,26–56) schildert Kreuzigung und Grablegung. Der Übergang zum<br />

Ostertag in 24,1 erfolgt ohne größere Zäsur und fügt beide Teile auch literarisch eng<br />

zusammen.<br />

1. Eskalation 22,1–6 914<br />

(1) Es näherte sich aber das Fest der ungesäuerten Brote, das Passa genannt wird.<br />

(2) Und die Hohenpriester und Schriftgelehrten suchten, wie sie ihn beseitigen<br />

könnten, denn sie fürchteten das Volk.<br />

(3) Es fuhr aber der Satan in Judas, der Iskariot genannt wird, der zur Zahl der<br />

Zwölf gehörte. (4) Und er ging weg und besprach sich mit den Hohenpriestern<br />

und Hauptleuten, wie er ihn an sie ausliefern könnte. (5) Und sie wurden froh<br />

und vereinbarten, ihm Silbergeld zu geben. (6) Und er stimmte zu. Und er suchte<br />

<strong>nach</strong> einer günstigen Gelegenheit, um ihn an sie auszuliefern abseits der Schar (des<br />

Volkes).<br />

Zum Auftakt der Passionsgeschichte verstärkt Lk die Drohkulisse. 915 <strong>Das</strong> gelingt ihm<br />

vor allem durch einen gezielten Eingriff in seine Mk-Vorlage. Dort stand zwischen dem<br />

912 Eine vollständige Auflistung bietet Wolter, <strong>Lukas</strong> HNT, 690.<br />

913 Ausführlich dazu Harrington, Lukan Passion Narrative.<br />

914 <strong>Böttrich</strong>, Rätsel der Judasgestalt; Huber, Passa und Ostern.<br />

915 Die erstmals in 6,11 ausgesprochene Tötungsabsicht verdichtet sich im Jerusalemteil: direkt in<br />

19,47 (<strong>nach</strong> der Tempelaktion) und 20,19 (<strong>nach</strong> dem Winzergleichnis); indirekt durch Fangfragen<br />

wie in 20,2 (Autoritätsfrage), 20,20.26 (Kaisersteuer).


434 Vollendung 22,1–24,53<br />

Tötungsbeschluss der Autoritäten und der Aktion des Judas die Erzählung von Jesu<br />

Salbung in Betanien durch eine Frau, die in prophetischer Klarsicht auf sein Begräbnis<br />

vorausweist (Mk 14,3–9 / Mt 26,6–13). Diese Episode hatte Lk schon <strong>nach</strong> vorn<br />

gezogen (7,36–50) und von ihrem Bezug auf die Passionsereignisse gelöst. Dadurch<br />

aber rücken der Tötungsbeschluss der Autoritäten und die Aktion des Judas zusammen<br />

und erscheinen als die beiden Seiten ein und derselben Medaille. Während das<br />

Bestreben der Hohenpriester und Schriftgelehrten auf der geschichtlichen Ebene<br />

angesiedelt ist, wird an der Rückkehr des Satans, der von Judas Besitz ergreift, die<br />

übergeschichtliche, mythische Ebene sichtbar. Strategisches Denken und widergöttliche<br />

Macht finden zusammen. Damit ist eine neue Qualität in der Entwicklung des<br />

Konfliktes erreicht.<br />

1 Die zeitliche Bestimmung, mit der die Passionsgeschichte einsetzt, hat Bedeutung.<br />

<strong>Das</strong> Passafest ist das wichtigste der drei Wallfahrtsfeste im jüd. Festkalender. 916 In ihm<br />

sind zwei Feste aus der Frühzeit Israels miteinander verschmolzen: das Fest des Weidewechsels<br />

im Frühjahr (Pessach) und das siebentägige Fest der Gerstenernte (Mazzot),<br />

in dessen Mittelpunkt der Verzehr ungesäuerten Brotes steht. Darauf spielt die<br />

Bezeichnung ἑορτὴ τῶν ἀζύμων (»Fest der Ungesäuerten«) an. Zur Zeit Jesu beginnt<br />

das Fest am 15. Nisan (etwa April) und dauert acht Tage; sein theologischer Sinngehalt<br />

besteht in der Erinnerung an den Exodus, also an ein Befreiungsgeschehen, das zum<br />

Urdatum für das Selbstverständnis Israels wird. Deshalb schlachtet man am Vortag<br />

auch die Passalämmer, die im Rahmen des sogen. Sedermahles mit Einbruch der Dunkelheit<br />

(zu Beginn des ersten Festtages) im familiären Kreis oder in der jeweiligen Pilgergemeinschaft<br />

verzehrt werden. Die Passionsgeschichte wird von den Evangelisten<br />

in das Licht jenes theologischen Horizonts gestellt, der das Passafest prägt. <strong>Das</strong> trifft<br />

auf die historischen Umstände (wie die Logistik einer »Massenveranstaltung« oder die<br />

Vorgabe liturgischer Abläufe) ebenso zu wie auf die theologische Sinndeutung des Festes<br />

(etwa in der Symbolik des Passamahls oder im Befreiungshandeln Gottes). Nach Lk<br />

hatte Jesus schon einmal als Zwölfjähriger das Passafest besucht (2,41–52); seine Eltern<br />

taten das jährlich (2,41); in der erzählten Geschichte seit seinem öffentlichen Auftreten<br />

in Galiläa ist es jedoch der erste Besuch, 917 was die Bedeutung der Ereignisse noch einmal<br />

steigert. 2 Die Nähe des Festes signalisiert für die Autoritäten Handlungsbedarf,<br />

denn die große Zahl religiös euphorisierter Wallfahrer in der Stadt stellt von jeher ein<br />

Sicherheitsrisiko dar, das vor allem die röm. Besatzung in Alarmbereitschaft versetzt.<br />

Mit den »Hohenpriestern und Schriftgelehrten« werden die Verantwortungsträger des<br />

Tempels aktiv. Ihr Dilemma besteht jedoch <strong>nach</strong> wie vor in jener Situation, die ihnen<br />

seit der Ankunft Jesu in Jerusalem die Hände bindet: <strong>Das</strong> Volk steht auf der Seite Jesu.<br />

3 Die Lösung des Dilemmas kommt durch einen Perspektivenwechsel in den Blick.<br />

Von neuem betritt der Satan die Bühne. Nach jener dramatischen Szene in der Wüste<br />

hatte er »bis zu einem bestimmten Zeitpunkt« (ἄχρι καιροῦ) von Jesus ablassen müssen<br />

916 <strong>Das</strong> sind Sukkot (Laubhüttenfest), Pessach (Ostern) und Schawuot (Wochenfest / Pfingsten); das<br />

erste kommt nur in Joh 7 vor, die beiden letzteren sind für Lk bestimmend.<br />

917 Anders verfährt Joh, <strong>nach</strong> dem Jesus mehrfach das Passafest besucht.


Passion 22,1–23,56<br />

435<br />

(4,13). Fortan spielte er keine Rolle mehr; allein seinen Sturz vermerkt Lk einmal en<br />

passant (10,18). Doch der angedeutete »Kairos« scheint nun gekommen zu sein. Der<br />

Satan agiert nicht direkt, sondern bemächtigt sich des Judas, der zum engsten Schülerkreis<br />

Jesu gehört. Als »einer von den Zwölf« 918 gehört er zu den Multiplikatoren<br />

der Sammlung Israels. Er teilt das unstete Wanderleben Jesu, hört seine Vorträge und<br />

sieht seine Heilungen, empfängt besondere Belehrungen im kleinen Kreis und wird<br />

mit den anderen zur Verkündigung des <strong>Evangelium</strong>s ausgesandt, erhält Autorität über<br />

die Dämonen und begleitet seinen Lehrer auf dem Gang <strong>nach</strong> Jerusalem. 919 Warum<br />

er jetzt die Seiten wechselt, bleibt ein Rätsel. 920 Versucht er, auf eigene Rechnung zu<br />

konspirieren und die Ereignisse voranzutreiben, oder tut er das sogar mit dem Wissen<br />

Jesu? Lk löst das Rätsel nicht auf, deutet aber an, dass Judas in ein Spiel hineingezogen<br />

wird, das größer ist als er und das ihn zugrunde richten wird. Vom Satan instrumentalisiert<br />

(vgl. auch Joh 13,2) wird er zum Spielball fremder Mächte. Judas trägt von Haus<br />

aus einen klangvollen und ehrenhaften Namen; sein Beiname »Iskariot« (᾽Ισκαριώθ<br />

bzw. ᾽Ισκαριώτης), der ihn von einem anderen Judas im Zwölferkreis unterscheidet<br />

(6,16), deutet möglicherweise seine judäische Herkunft (»Mann aus Kerijot«) an. 4 Judas<br />

sucht die Autoritäten auf. Lk gesellt den Hohenpriestern statt der Schriftgelehrten<br />

die Hauptleute (στρατηγοί) der Tempelpolizei hinzu, die für den Zugriff verantwortlich<br />

sind. Mit ihnen berät Judas den Modus der »Auslieferung«. Die Terminologie ist bewusst<br />

gewählt. <strong>Das</strong> Verb παραδίδωμι heißt grundsätzlich »übergeben, hingeben, ausliefern«<br />

und erst im weiteren Sinne »verraten«. Gott ist es, der seinen Sohn »dahingibt«<br />

(z. B. Röm 8,32); auch Jesus selbst »gibt sich dahin« (z. B. Gal 2,20). Insofern gewinnt<br />

das Verb im Kontext einer soteriologischen Deutung des Todes Jesu zentrale Bedeutung.<br />

921 In den Leidensankündigungen ist es längst eingeführt (9,44; 18,32; 24,7). Für<br />

die Tat des Judas wird es mit Bedacht aufgenommen. Judas hat teil an der »Dahingabe<br />

Jesu«, die zum Heil der Menschheit dienen wird. Er bringt einen Stein ins Rollen, ohne<br />

zu wissen, was er damit auslöst. Noch deutlicher als in dieser kurzen Auftaktszene<br />

ließe sich die Tragweite (und Tragik) des »Judas-Problems« kaum vorstellen. 5 Die Autoritäten<br />

erkennen in dem Überläufer eine Chance, die ihnen auch etwas wert ist. Die<br />

Summe des vereinbarten Geldes (ἀργύριον) wird nicht genannt; allein Mt 26,15 führt<br />

hier unter Verweis auf Sach 11,12 die fortan berüchtigten 30 Silberstücke ein. 6 Man<br />

wird sich einig. Gegenstand der Vereinbarung ist die Mitteilung einer günstigen Gelegenheit<br />

(εὐκαιρία), zu der Jesus des Schutzes der Volksmenge (ὄχλος) entbehrt. Hier<br />

kann Judas sein Insiderwissen nutzen.<br />

Mit der Rückkehr des Satans und dem Seitenwechsel des Judas kompliziert sich die<br />

Lage. Die Erinnerung an interne Konflikte und Spannungen, die sich bis hin zu De-<br />

918 Vgl. Mk 14,10.20.43; davon abhängig sind Mt 26,14 und Lk 22,47; eigenständig ist Joh 6,71.<br />

919 Rückblickend bestätigt Lk noch einmal, dass auch Judas »das Los dieses Dienstes empfangen«<br />

habe (Apg 1,17); seine Funktion bezeichnet er <strong>nach</strong> Ps 109,8 als »Aufsichtsamt« (Apg 1,20);<br />

»Dienst und Apostolat« gesteht ihm das folgende Gebet zu (Apg 1,25).<br />

920 Exkurs 30: Judas.<br />

921 Popkes, Christus traditus.


436 Vollendung 22,1–24,53<br />

nunziation und Apostasie auswachsen, lässt sich nicht unterdrücken. Der vorliegende<br />

Text setzt sich damit auseinander. Auch die »Kerngemeinde« ist nicht frei von Brüchen<br />

und Verwerfungen. Noch weiß die frühe Christenheit um die Aporien dieser Situation<br />

und gesteht Judas die Tragik eines schwer zu durchschauenden Geschickes zu. Doch in<br />

der Überlieferung des Stoffes setzt schon bald ein Prozess ein, bei dem die Judasfigur<br />

zunehmend eingeschwärzt und schließlich zum Inbegriff alles Bösen und Gottfeindlichen<br />

stilisiert wird.<br />

2. Symposion 22,7–38 922<br />

Mahlszenen spielen in der lkn. Erzählung eine wichtige Rolle. Immer wieder sitzt Jesus<br />

zu Tisch, immer wieder wird auch das eschatologische Mahl in den Blick genommen.<br />

Diese große Motivlinie, auf der die Stichworte »essen und trinken« dominieren, 923<br />

kommt in dem Jerusalemer Symposium zu ihrem Höhepunkt. Hier bündelt Lk noch<br />

einmal, was er schon vielfach vorbereitet hat. Die Mahlpraxis Jesu stellt einen Rahmen<br />

dar, in dem die Gegenwart des Heils auf besonders elementare Weise spürbar wird.<br />

Deshalb verwendet er auch auf die Darstellung jenes Passamahles, das Jesus mit seinen<br />

Schülern hält, besondere Sorgfalt. Im Blick auf die Vorbereitung (7–13) schließt er sich<br />

noch eng an Mk an; die Durchführung des Mahles (14–20) entwirft er bereits neu;<br />

über Mk/Mt hinaus aber fügt er schließlich noch Tischgespräche (21–38) an, wie sie für<br />

ein anständiges Festmahl unerlässlich sind. Was unter diesen Gesprächen Platz findet,<br />

wird bei Mk/Mt schon auf dem Weg in die Nacht oder in anderen Zusammenhängen<br />

besprochen. Den größten Eingriff vollzieht Lk dadurch, dass er die Ankündigung des<br />

Verrats, die bei Mk/Mt den Deuteworten vorausgeht, denselben <strong>nach</strong>ordnet und an den<br />

Anfang der Tischgespräche stellt. So entsteht bei Lk das wohl geordnete, wenngleich<br />

immer noch knapp und sparsam entworfene Bild eines achtbaren Symposiums. Gelebte<br />

Gemeinschaft, Selbstrücknahme und Lebenshingabe werden auf exemplarische<br />

Weise thematisiert, sodass man die Einheit auch als »Gottesdienstordnung, Gemeindeordnung,<br />

Lebensordnung« beschrieben hat. 924 Auf jeden Fall konnte sich die frühe<br />

Christenheit an der lkn. Fassung des Mahlberichts bei der Ausprägung ihrer eigenen<br />

Mahlpraxis gut orientieren.<br />

2.1 Mahlvorbereitung 22,7–13 925<br />

(7) Es kam aber der Tag der ungesäuerten Brote, an dem das Passalamm geschlachtet<br />

werden musste. (8) Und er sandte Petrus und Johannes aus, sprechend: »Geht<br />

922 Bösen, Jesusmahl; Klinghardt, Gemeinschaftsmahl und Mahlgemeinschaft; Kollmann, Ursprung<br />

und Gestalten; Löhr, Abendmahl; Schröter, Abendmahl; Schürmann, Abendmahlsbericht; Smith,<br />

From Symposium to Eucharist.<br />

923 <strong>Böttrich</strong>, Proexistenz.<br />

924 Schürmann, Abendmahlsbericht.<br />

925 Bösen, Der letzte Tag, 122–128; Green, Preparation.


<strong>Christfried</strong> <strong>Böttrich</strong>, Jahrgang 1959, ist Professor für Neues<br />

Testament an der Theologischen Fakultät der Universität<br />

Greifswald. Seine Forschungsschwerpunkte betreffen die Auslegung<br />

des Neuen Testaments im Kontext des frühen Judentums,<br />

die Exegese des <strong>Lukas</strong>evangeliums sowie das weite Feld<br />

biblischer Apokryphen.<br />

Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek<br />

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der<br />

Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten<br />

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<strong>Das</strong> Buch wurde auf alterungsbeständigem Papier gedruckt.<br />

Gesamtgestaltung: Zacharias Bähring, Leipzig<br />

Druck und Binden: BELTZ Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza<br />

ISBN 978-3-374-07488-4 // eISBN (PDF) 978-3-374-07489-1<br />

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