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Peter von der Osten-Sacken (Hrsg. von Hans-Jürgen Becker): »Es begab sich aber zu der Zeit ...« (Leseprobe)

Die Idee zu diesem Aufsatzband und die Auswahl der Beiträge gehen auf den 2022 verstorbenen Autor selbst zurück. Im Wesentlichen ging es ihm dabei um eine bisher unveröffentlichte, vor allem für Studierende bestimmte Orientierungshilfe zum Thema »Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk«, die nun den ersten Teil des vorliegenden Bandes ausmacht. Die über dieses kleine Jesusbuch hinaus ausgewählten, mit einer Ausnahme schon früher an verschiedenen Orten gedruckten Aufsätze umspannen den weiten Zeitraum von der Berliner Antrittsvorlesung 1976 bis in das Jahr 2016. Sie sind sämtlich von bleibendem Interesse und haben ihre Gültigkeit und Aktualität nicht eingebüßt.

Die Idee zu diesem Aufsatzband und die Auswahl der Beiträge gehen auf den 2022 verstorbenen Autor selbst zurück. Im Wesentlichen ging es ihm dabei um eine bisher unveröffentlichte, vor allem für Studierende bestimmte Orientierungshilfe zum Thema »Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk«, die nun den ersten Teil des vorliegenden Bandes ausmacht.
Die über dieses kleine Jesusbuch hinaus ausgewählten, mit einer Ausnahme schon früher an verschiedenen Orten gedruckten Aufsätze umspannen den weiten Zeitraum von der Berliner Antrittsvorlesung 1976 bis in das Jahr 2016. Sie sind sämtlich von bleibendem Interesse und haben ihre Gültigkeit und Aktualität nicht eingebüßt.

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<strong>Peter</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Osten</strong>-<strong>Sacken</strong><br />

<strong>»Es</strong> <strong>begab</strong> <strong>sich</strong> <strong>aber</strong><br />

<strong>zu</strong> <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> …<strong>«</strong><br />

Aufsätze <strong>zu</strong>m Neuen Testament


Vorwort<br />

Die Idee <strong>zu</strong> diesem Aufsatzbandwie auch die Auswahl <strong>der</strong> Beiträge gehen auf den<br />

2022 verstorbenen Autor selbst <strong>zu</strong>rück. Anfangs war dabei nur aneine für<br />

Studierende bestimmte Orientierungshilfe <strong>zu</strong> »Jesus und seine Welt, die Evangelien<br />

und das Echo in seinem Volk<strong>«</strong> gedacht, die nun KapitelIdes vorliegenden<br />

Bandes umfasst. Sie ist lei<strong>der</strong> unvollständig geblieben, denn im Rahmen <strong>von</strong> I.3<br />

(»Ein Rebell des messianischen Reiches<strong>«</strong>) war ein weiterer Abschnitt mit dem<br />

Titel »Der erzählte Jesus<strong>«</strong> vorgesehen, in dem es beispielhaftumdie Konflikte am<br />

Sabbat gehen sollte. Obwohl dies nun fehlt, bilden doch die vorhandenen Teile<br />

eine in <strong>sich</strong> geschlossene, in dieser Form bisher unveröffentlichte Einheit.<br />

Über dieses kleine Jesusbuch hinaus dachte <strong>der</strong> Autor bald an eine Erweiterung<br />

und suchte da<strong>zu</strong> im Rückblick auf sein umfangreiches Oeuvre eineReihe<br />

<strong>von</strong> Aufsätzen heraus, die ihm beson<strong>der</strong>s am Herzen lagen. Sie umspannen den<br />

weiten <strong>Zeit</strong>raum <strong>von</strong> <strong>der</strong> Berliner Antrittsvorlesung 1976 bis in das Jahr 2016.<br />

Diese mit einer Ausnahme (»Antijudaismus im Neuen Testament? Das Beispiel<br />

<strong>der</strong> paulinischen Briefe<strong>«</strong>) bereits gedruckten Arbeiten sind sämtlich <strong>von</strong> bleibendem<br />

Interesse und haben ihre Gültigkeit und Aktualität nicht eingebüßt. So<br />

erscheint <strong>der</strong> schonvor 33 Jahren erstmals veröffentlichte Beitrag »Der Wille <strong>zu</strong>r<br />

Erneuerung des christlich-jüdischen Verhältnisses in seiner Bedeutung für biblische<br />

Exegese und Theologie<strong>«</strong> hier nach dem Wunsch des Verfassers unter<br />

leicht verän<strong>der</strong>tem Titel als ein die Sammlung abschließen<strong>der</strong> »Ausblick<strong>«</strong>.<br />

Die Einteilung inKapitel und Unterabschnitte geht ebenfalls auf den Autor<br />

<strong>zu</strong>rück. Er wollte das Buch als ein in <strong>sich</strong> <strong>zu</strong>sammenhängendes Ganzes verstanden<br />

wissen. Darum habe ich mich auch bemüht, die Einzelbeiträge in formaler<br />

Hin<strong>sich</strong>t weitgehend aneinan<strong>der</strong> an<strong>zu</strong>gleichen und die fortlaufenden<br />

Anmerkungen durch Verweise aufeinan<strong>der</strong> <strong>zu</strong> beziehen. Dabei wurden einige<br />

offenkundige Versehen stillschweigend korrigiert und fehlende Angaben nachgetragen.<br />

Die Aufsätze wurden <strong>aber</strong> nicht aktualisiert, etwa durch den Eintrag<br />

neuerer Literatur, son<strong>der</strong>n spiegeln den jeweiligen Stand <strong>der</strong> Diskussion wi<strong>der</strong><br />

und bleiben damit auch Wegmarken auf <strong>der</strong> Lebensbahn ihres Verfassers als<br />

Exeget und Theologe. Möge sein Andenken fruchtbar und gesegnet sein.<br />

Göttingen, imJuli 2023<br />

<strong>Hans</strong>-<strong>Jürgen</strong> <strong>Becker</strong>


Inhalt<br />

I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem<br />

Volk<br />

1. Begriff und Abgren<strong>zu</strong>ng, Problematik und Aufgabe einer<br />

neutestamentlichen <strong>Zeit</strong>geschichte .......................... 13<br />

2. Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte in Grundzügen ............... 25<br />

2.1. Das Imperium Romanum als Rahmen und Bedingungsgefüge .. 25<br />

2.2. Die <strong>Zeit</strong> des Zweiten Tempels .......................... 34<br />

3. »Ein Rebell des messianischen Reiches<strong>«</strong> ...................... 41<br />

3.1. Zum Trägerkreis <strong>von</strong> Namen und Erinnerung .............. 41<br />

3.2. Jesu Reden und Handeln .............................. 44<br />

3.3. Leiden und Toddes Nazareners ......................... 50<br />

3.4. Die Evangelien ...................................... 52<br />

4. Die Aufnahme des verlorenen Sohnes ........................ 59<br />

4.1. Der Nazarener in seinem Volk: Reflexe aus dem Neuen<br />

Testament ......................................... 59<br />

4.2. Desinteresse an Jesus: Das jüdische Altertum .............. 60<br />

4.3. Jüdische Perspektiven auf Jesus im Mittelalter ............. 61<br />

4.4. Jüdisches Fragen nach Jesus seit <strong>der</strong> Aufklärung ............ 63<br />

4.5. Claude G. Montefiore und Leo Baeck ..................... 69<br />

4.6. VonJoseph Klausner <strong>zu</strong> Jacob Neusner ................... 77<br />

4.7. David Flusser o<strong>der</strong> Grenzen und Gewinn <strong>der</strong> neuen<br />

Wahrnehmung des Nazareners ......................... 87<br />

II. Streifzüge durch das Neue Testament, beginnend im Alten<br />

1. »Am Anfang war …<strong>«</strong> ..................................... 91<br />

1.1. Zur Frage nach dem Anfang ........................... 91<br />

1.2. Die Schöpfungsgeschichte und ihr Anfang ................. 94<br />

1.3. Die Auslegung des Anfangs <strong>der</strong> Bibel im antiken Judentum ... 96<br />

1.4. Zum Johannes-Evangelium ............................. 105<br />

2. Der Teufel als Schriftgelehrter .............................. 107<br />

2.1. Text und Literatur ................................... 107<br />

2.2. Tendenzen <strong>der</strong> Auslegung ............................. 110<br />

2.3. Biblisch-jüdischer Horizont und Gründe <strong>der</strong> Geschichte ....... 111<br />

2.4. Die Gestaltung ...................................... 116<br />

2.5. Text und Kontext .................................... 119


8 Inhalt<br />

2.6. Schriftgelehrte als Teufelskin<strong>der</strong> ........................ 121<br />

2.7. Phantasie und Wahrheit ............................... 122<br />

3. Das Vaterunser als Zugang <strong>zu</strong>m Matthäusevangelium ........... 127<br />

4. Antijudaismus im Neuen Testament? ........................ 149<br />

4.1. Antijudaismus – ein bequemer und unbequemer, ein<br />

notwendiger und problematischer, ein hin<strong>der</strong>licher und<br />

hilfreicher Begriff ................................... 149<br />

4.2. Antijudaismus im Neuen Testament? ..................... 152<br />

4.3. Orientierungspunkte für eine Verwandlung des<br />

christlich-jüdischen Verhältnisses ....................... 158<br />

5. Leistung und Grenze <strong>der</strong> johanneischen Kreuzestheologie ........ 163<br />

5.1. Das Problem ....................................... 163<br />

5.2. Grundzüge <strong>der</strong> johanneischen Christologie ................ 167<br />

5.3. Jesus und die Juden .................................. 174<br />

5.4. Der Zusammenhang <strong>von</strong> Leistung und Grenze <strong>der</strong><br />

johanneischen Kreuzestheologie ........................ 183<br />

III. Aus <strong>der</strong> Forschungsgeschichte<br />

1. Lessings »Nathan<strong>«</strong> und das Neue Testament ................... 191<br />

1.1. Einleitung ......................................... 191<br />

1.2. Figuren, Stoffe, Hintergründe .......................... 193<br />

1.3. Lessing in Theologenurteil – das Beispiel Karl Barth ......... 199<br />

1.4. Nathans Nähe <strong>zu</strong>m Neuen Testament ..................... 204<br />

1.5. Grenzen und Herausfor<strong>der</strong>ungen <strong>der</strong> Lessingschen Option .... 210<br />

2. Rück<strong>zu</strong>g ins Wesen und aus <strong>der</strong> Geschichte ................... 215<br />

3. Liebe, mehr noch: Gerechtigkeit ............................ 235<br />

3.1. Zum Verständnis des Themas .......................... 235<br />

3.2. Biographisch-chronologischer Rahmen ................... 238<br />

3.3. Hermann L. Stracks Wirken und Werk ................... 243<br />

3.4. Hermann L. Strack – ein Lernen<strong>der</strong>? ..................... 261<br />

IV. Ausblick<br />

1. Der Wille <strong>zu</strong>r Neugestaltung des christlich-jüdischen Verhältnisses<br />

in seiner Bedeutung für biblische Exegese und Theologie ......... 267<br />

1.1. Einleitung: Hermeneutische Eckdaten .................... 267<br />

1.2. Leiden und Tod – »um deinetwillen<strong>«</strong> in Ps 44, bei Paulus und in<br />

rabbinischer Tradition ................................ 272<br />

1.3. Jüdische Bibelauslegung als Hilfe <strong>zu</strong>m Verständnis<br />

neutestamentlicher Christologie am Beispiel des<br />

Johannesprologs .................................... 282


Inhalt 9<br />

1.4. Neutestamentliche Christologie als Hilfe <strong>zu</strong>m Verständnis<br />

jüdischer Bibelauslegung .............................. 286<br />

1.5. Tora und Evangelium als Gegenwart Gottes imWort ......... 289<br />

Nachweise <strong>der</strong> Erstveröffentlichungen ........................... 295<br />

Bibelstellenregister (Auswahl) ................................. 297


I. Jesus und seine Welt, die<br />

Evangelien und das Echo<br />

in seinem Volk


1. Begriff und Abgren<strong>zu</strong>ng,<br />

Problematik und Aufgabe einer<br />

neutestamentlichen<br />

<strong>Zeit</strong>geschichte<br />

Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte, verstanden als Bezeichnung einer Forschungsdisziplin<br />

o<strong>der</strong> literarischen Gattung, ist bleibend mit dem Namen <strong>von</strong><br />

Matthias Schneckenburger (1804–1848) verbunden 1 ,auch wenn die <strong>von</strong> ihm auf<br />

den Begriff gebrachte Arbeitinvielerlei Hin<strong>sich</strong>tweiter <strong>zu</strong>rückreicht 2 .Inseinen<br />

1862 posthum erschienenen »Vorlesungen über Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte<strong>«</strong><br />

hat er sowohl die Aufgaben und Intentionen des Forschungszweiges in<br />

einer weit über seine <strong>Zeit</strong> hinaus wirksamen Weise formuliert als auch implizit<br />

die bis heute <strong>zu</strong> beobachtenden historisch-theologischen Probleme dieser Disziplin<br />

erkennen lassen. So zielt die Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte darauf ab,<br />

die volks-, kultur- und religionsgeschichtlichen Verhältnisse jener <strong>Zeit</strong> dar<strong>zu</strong>stellen,<br />

in die das Auftreten Jesu, <strong>der</strong> <strong>von</strong> ihm ausgelösten messianischen Bewegung<br />

und seiner <strong>sich</strong> rasch ausbreitenden Gemeinden fällt, einschließlich <strong>der</strong><br />

sozialgeschichtlich relevanten Bedingungen. Diese Verhältnisse kommen insoweit<br />

<strong>zu</strong>r Darstellung, als sie in irgendeiner ursächlichen, erhellenden Beziehung<br />

<strong>zu</strong> neutestamentlichen Zusammenhängen stehen. Im Blick auf das jüdische Volk<br />

geht es dabei um die Darlegung <strong>der</strong> politischen,sozialen und religiösen Zustände<br />

etwa <strong>von</strong> den Makkabäerkriegen (ab 166 v. Chr.) bis <strong>zu</strong>m zweiten jüdisch-römischen<br />

Krieg unter Bar Kochba (132–135). Beide zeitlichen Begren<strong>zu</strong>ngen sind<br />

1<br />

2<br />

M. Schneckenburger, Vorlesungen über Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte, hg. <strong>von</strong> T.<br />

Löhlein, Frankfurt a. M. 1862.<br />

Vgl. etwa H. Prideaux, Alt- und Neues Testament. In eine Connection mit <strong>der</strong> Jüden und<br />

benachbarten Völker Historie gebracht, I–II, Dresden 1726; J.J.I. Döllinger, Heidenthum<br />

und Judenthum. Vorhalle <strong>zu</strong>r Geschichte des Christentums, Regensburg 1857,vor allem<br />

auch die Etablierung <strong>der</strong> geschichtlichen Erklärung des Neuen Testaments im 18./<br />

19. Jahrhun<strong>der</strong>t. W.G. Kümmel (Das Neue Testament. Geschichte <strong>der</strong> Erforschung seiner<br />

Probleme, Freiburg /München 1958) erwähnt Schneckenburgers »<strong>Zeit</strong>geschichte<strong>«</strong> nicht,<br />

son<strong>der</strong>n bezeichnet die spätere <strong>von</strong> Hausrath (I–III, 1868–1874) als erste (261); richtig<br />

dagegen S. Heschel, Der jüdische Jesus und das Christentum. Abraham Geigers Herausfor<strong>der</strong>ung<br />

an die christliche Theologie (engl. 1998), Berlin 2001, 308.


14 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

allerdings insofern relativ, als einerseits die Ereignisse und Folgen <strong>der</strong> Makkabäerzeit<br />

die Hellenisierung des Vor<strong>der</strong>en Orients im 4./3. Jh. v.Chr. <strong>zu</strong>r Vorausset<strong>zu</strong>ng<br />

haben, an<strong>der</strong>erseits ein beträchtlicher Teil <strong>der</strong> literarischen Zeugnisse,<br />

die für die Darstellung einzelner Gruppen und Bewegungen <strong>der</strong><br />

neutestamentlichen <strong>Zeit</strong> unverzichtbar sind, über die <strong>Zeit</strong> Bar Kochbas hinausreichen<br />

(Samaritaner, Gnosis, Pharisäer). Insgesamt steht die Neutestamentliche<br />

<strong>Zeit</strong>geschichte im Dienst des Bestrebens, ein geschichtliches Verständnis Jesu<br />

und des frühen Christentums und damit des Evangeliums als dessen Mitte <strong>zu</strong><br />

gewinnen.<br />

Der Begriff »Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte<strong>«</strong> ist nicht unproblematisch. Er<br />

erweckt den Eindruck, als gäbe es eine durchdas Neue Testament geprägte o<strong>der</strong><br />

auf seinen Inhalt <strong>zu</strong>geschnittene <strong>Zeit</strong>geschichte. Historisch gesehen ist das im<br />

Neuen Testament Berichtete jedoch <strong>zu</strong>nächst einmal Teil eines sehr viel umfassen<strong>der</strong>en<br />

Ganzen – <strong>zu</strong>erst des antiken Judentums, dann des alles beherrschenden<br />

Römischen Reiches. Um das angedeutete Missverständnis <strong>zu</strong> vermeiden, <strong>zu</strong> dem<br />

die Bezeichnung »Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte<strong>«</strong>verleiten kann, hat <strong>sich</strong> als<br />

weiterer Name für die Disziplin die Bezeichnung »Umwelt des Neuen Testaments<strong>«</strong><br />

eingebürgert. Auch dieser Begriff hat freilich seine Grenze, da er den<br />

Anschein erweckt, als stünde das Neue Testament einer <strong>von</strong> ihm relativ isolierten<br />

Umwelt gegenüber.<br />

Die Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte ist, indem sieüber die <strong>Zeit</strong> Jesu und <strong>der</strong><br />

frühen Gemeinden orientiert, <strong>zu</strong>m einen geschichtliche Einleitung in das Neue<br />

Testament, Hilfswissenschaft für dessen Exegese und Realeinleitung für die<br />

Kirchengeschichte 3 .Zum an<strong>der</strong>en verbindet <strong>sich</strong> mit ihr traditionell ein dezidiert<br />

apologetisch-polemisches Interesse. Dieses Interesse ist aufs Engste mit den<br />

beschriebenen historischen Intentionen verschlungen. Es manifestiert <strong>sich</strong> in<br />

dem Bestreben, das im Neuen Testament bezeugte Geschehen mit seinem Anspruch,<br />

Erfüllungsgeschehen <strong>zu</strong> sein, ernst <strong>zu</strong> nehmen und es – in welcher<br />

Abschattung auch immer – historisch als solches <strong>zu</strong> erweisen. Theologisch geschieht<br />

dies vornehmlich im Rückbe<strong>zu</strong>g auf die christologische Aussage über die<br />

Erfüllung <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> durch die Sendung des Gottessohnes in Gal 4,4, die oft gerade<strong>zu</strong><br />

<strong>der</strong> biblischen Begründung <strong>der</strong> Neutestamentlichen <strong>Zeit</strong>geschichte dient 4 .<br />

3<br />

4<br />

Siehe Schneckenburger, <strong>Zeit</strong>geschichte [o. Anm. 1], 2f.<br />

Beginnend wie<strong>der</strong>um bei Schneckenburger; vgl. die klaren Anspielungen a. a. O., 21 f.,<br />

39f., 62, 234, 237.Die Orientierung <strong>der</strong> Arbeit Schneckenburgers an Gal 4,4 ist klar vom<br />

Herausgeber <strong>der</strong> Vorlesungen, Theodor Löhlein, erkannt, wenn er urteilt, <strong>der</strong> Verfasser<br />

wolle »die Paulinische Bestimmung (Gal. 4,4) ›da die <strong>Zeit</strong> erfüllet ward‹ erweisen<strong>«</strong> (VIII).<br />

Weitere Beispiele für die Orientierung an Gal 4,4 bei P. <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Osten</strong>-<strong>Sacken</strong>, Das<br />

paulinische Verständnis des Gesetzes im Spannungsfeld <strong>von</strong> Eschatologie und Geschichte.<br />

Erläuterungen <strong>zu</strong>m Evangelium als Faktor <strong>von</strong> theologischem Antijudaismus,<br />

EvTh 37 (1977) 549–587.


1. Begriff und Abgren<strong>zu</strong>ng, Problematik und Aufgabe ... 15<br />

Bereits Friedrich Hegel hat diese biblische Aussage pointiert in einem verwandten<br />

Zusammenhang in seiner »Philosophie <strong>der</strong> Geschichte<strong>«</strong> herangezogen,<br />

bei <strong>der</strong> Interpretation des Christentums als <strong>der</strong> absoluten Religion 5 .Wenn es<br />

teilweise erklärte Ab<strong>sich</strong>t <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong>geschichtler ist, die Gründe für den Sieg, für die<br />

Überlegenheit und Absolutheitdes Christentums <strong>zu</strong> erforschen 6 ,soliegt es nahe,<br />

an Nachwirkungen <strong>von</strong> Hegels theologisch-philosophischer Geschichtskonzeption<br />

<strong>zu</strong> denken 7 .Spuren eines an Gal 4,4 orientierten Geschichtsdenkens begegnen<br />

allerdings auch dort, wo ein solcher geschichtlicher Absolutheitserweis<br />

<strong>zu</strong>rücktritt und das Erfüllungsdenken stärker <strong>von</strong> einer Orientierung an den<br />

geschichtlichen Wegen <strong>der</strong> göttlichen Vorsehung bestimmt ist, ein Zugang, <strong>der</strong> im<br />

Einzelfall weit über den Bereich <strong>der</strong> Theologie hinausführt.<br />

In diesem Sinne bemerkenswert sind die Schlusssätze <strong>von</strong> Johann Gustav Droysen in<br />

seiner »Geschichte des Hellenismus<strong>«</strong> – umso mehr, als Johann Gottfried Her<strong>der</strong> bereits<br />

zwei Generationen <strong>zu</strong>vor in seinem geschichtsphilosophischen Klassiker einer<br />

Geschichtsauffassung eine dezidierte Absage erteilt hatte 8 ,wie sie <strong>sich</strong> wie folgt bei<br />

Droysen bekundet:<br />

»Nun endlich tritt dieser letzte und tiefste Gegensatz <strong>der</strong> Alten Geschichte [sc.<br />

zwischen <strong>der</strong> »alten Jehovahlehre<strong>«</strong> und »den hellenistischen Mächten<strong>«</strong>] Stirn an Stirn<br />

wi<strong>der</strong>einan<strong>der</strong>; es beginnt die letzte, die entscheidende Arbeit des <strong>sich</strong> erfüllenden<br />

Altertums; es vollendet <strong>sich</strong>, ›als die <strong>Zeit</strong> erfüllet war‹, in<strong>der</strong> Erscheinung des<br />

menschgewordenen Gottes, in <strong>der</strong> Lehre des Neuen Bundes, in dem jener letzte und<br />

tiefste Gegensatz überwunden sein, in dem Juden und Heiden, die Völker aller Welt, in<br />

ihrer ethnischen Kraft gebrochen und auf den To<strong>der</strong>schöpft, endlich, wie die Propheten<br />

verhießen, die Weisen geahnt, die Sibyllen, <strong>der</strong> Völker Mund, laut und lauter<br />

gerufen, Trost und Ruhe und für die verlorene Heimat hienieden eine höhere, geistige,<br />

die in dem Reiche Gottes, finden sollten.<strong>«</strong> 9<br />

5<br />

6<br />

7<br />

8<br />

9<br />

G.W.F. Hegel, Vorlesungen über die Philosophie <strong>der</strong> Geschichte. Mit einer Einführung<br />

<strong>von</strong> Theodor Litt, Stuttgart 1961, 439–461 (= Das Christentum); Rekurse auf Gal 4,4:<br />

440, 445.<br />

Siehe beson<strong>der</strong>s H. Preisker, Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte, Berlin 1937, 3.<br />

Dies gilt gerade auch für Schneckenburger, obwohl er <strong>sich</strong> gelegentlich ausdrücklich<br />

gegen Hegel wendet (vgl. <strong>Zeit</strong>geschichte [o. Anm. 1], 73f.).<br />

Vgl. J.G. Her<strong>der</strong>, Ideen <strong>zu</strong>r Philosophie <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Menschheit (1877). Wiesbaden<br />

1985, 360f., sowie als Entfaltung seiner eigenen Sicht, <strong>der</strong> Integration <strong>der</strong> Geschichte<br />

in die Naturgeschichte, vor allem 395–420.<br />

J.G. Droysen, Geschichte des Hellenismus I–III ( 2 1877/78), Tübingen 1952/53 =Ndr.<br />

München 1980, hier III, 424. Vgl. in ähnlichem Sinne die Berufung auf die zitierte<br />

Wendung aus Gal 4,4 als »Zeugnis, daß […] Gottes ewiger Ratschluß <strong>von</strong> Anbeginn <strong>zu</strong><br />

diesem Punkte hin die Völker, Juden wie Heiden, geleitet, erzogen und geweiht hat<strong>«</strong>, in<br />

<strong>der</strong> nur wenigen <strong>zu</strong>gänglich gemachten und erst posthum veröffentlichten ausführlicheren<br />

Version des Vorworts <strong>der</strong> ersten Auflage des Schlussbandes <strong>der</strong> »Geschichte<strong>«</strong>


16 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

Je nachdem, aus welcher Grundeinstellung heraus Gal 4,4 als Ansatz gewählt<br />

wird, neigen die Autoren Neutestamentlicher <strong>Zeit</strong>geschichten entwe<strong>der</strong> dahin,<br />

die nichtchristliche antike Welt <strong>zu</strong>r <strong>Zeit</strong> Jesu theologisch als Endstadium eines<br />

zielgerichteten Weges dar<strong>zu</strong>stellen, o<strong>der</strong> <strong>aber</strong> dahin, sie im Blick auf die ihnen<br />

innewohnenden Möglichkeiten als defizitär <strong>zu</strong> beschreiben, ohne dass dies in<br />

jedem Fall eine Alternative sein müsste. Gewiss begegnen beide Darstellungsweisen<br />

heute nicht mehr so unvermittelt wie früher einmal. Aber das Bestreben,<br />

die Jesuszeit als »Erfüllungszeit<strong>«</strong> <strong>zu</strong> charakterisieren, ist in mancher Variation<br />

nach wie vor wirksam – so <strong>zu</strong>m Beispiel, wenn die Umwelt als die Gemeinschaft<br />

<strong>der</strong> Fragenden und das Evangelium als Antwort entfaltet wird 10 .<br />

Überall in den <strong>zu</strong>letzt angedeuteten Zusammenhängen identifiziert <strong>sich</strong> <strong>der</strong><br />

historische Theologe bei seiner Arbeit mehr o<strong>der</strong> weniger mit <strong>der</strong> christlichen<br />

Urgeschichte als einem zeitenwendenden Geschehen. Diese Identifikation dürfte<br />

das zentrale Problem <strong>der</strong> historisch-theologischen Arbeit sein, wie sie in <strong>der</strong><br />

Neutestamentlichen <strong>Zeit</strong>geschichte betrieben wird: ImRahmen einer möglichst<br />

unvoreingenommen geleisteten historischen Forschung ist sie geleitet <strong>von</strong> einer<br />

vorgängigen christlich-theologischen Identität, und sie ist bestrebt, diese Identität<br />

ab<strong>zu</strong>klären und <strong>zu</strong> stärken. Dieser Ansatz erscheint einerseits als unvermeidlich,<br />

da Erkenntnis stets interessegeleitet ist (<strong>Jürgen</strong> H<strong>aber</strong>mas). Würde<br />

man stattdessen die Umwelt des Neuen Testaments ohne erklärende und vergleichende<br />

Einbeziehung des Neuen Testaments darstellen, so würde man den<br />

damit suspendierten Arbeitsgang, dem Neuen Testament seinen Ort in dieser<br />

Geschichte <strong>zu</strong> geben, lediglich dem Leser o<strong>der</strong> dem Zufall überlassen. An<strong>der</strong>erseits<br />

hat jener Ansatz – die Identifikation des Historikers /Theologen mit <strong>der</strong><br />

christlichen Urgeschichte und die Einbeziehung neutestamentlicher Zusammenhänge<br />

im Vergleich – desgleichen eine problematische, in Neutestamentlichen<br />

<strong>Zeit</strong>geschichten nicht selten <strong>zu</strong> beobachtende Konsequenz: Die Darstellung<br />

bestimmterVerhältnisse und Gruppen <strong>der</strong> neutestamentlichen <strong>Zeit</strong> erfolgt desto<br />

angemessener, je weniger diese unmittelbar mit dem Neuen Testament <strong>zu</strong> tun<br />

haben; sie geschieht desto verständnisloser und pejorativer, je mehr sie eine<br />

Alternative <strong>zu</strong>r christlichen Identität bilden o<strong>der</strong> diese gar in Frage stellen. Die<br />

problematischsten Zusammenhänge dieser Art sind die zahlreichen antijüdischen<br />

Passagen in Arbeiten <strong>zu</strong>r Neutestamentlichen<strong>Zeit</strong>geschichte. Sie fangen<br />

im Rahmen <strong>der</strong> behandelten Gattung wie<strong>der</strong>um bei Schneckenburger an 11 ,<strong>der</strong><br />

10<br />

11<br />

(abgedr. in III, S. IX–XXIII, Zitat S. XIIf.). – Zu Droysens allerdings nicht <strong>zu</strong> Ende geführter<br />

Ab<strong>sich</strong>t, die Geschichte des Hellenismus als Vorausset<strong>zu</strong>ng für die Entstehung<br />

des Christentums dar<strong>zu</strong>tun, vgl. A. Momigliano, Droysen zwischen Griechen und Juden<br />

(engl. 1975), in: Ders., Wege in die Alte Welt, Frankfurt a. M. 1995, 249–269, allerdings<br />

ohne Rekurs auf die zitierten Stellen mit ihrer wörtlichen Anspielung auf Gal 4,4.<br />

E. Lohse, Umwelt des Neuen Testaments (1971), Göttingen 9 1994, 5.<br />

Schneckenburger, <strong>Zeit</strong>geschichte [o. Anm. 1], 237; 240.


1. Begriff und Abgren<strong>zu</strong>ng, Problematik und Aufgabe ... 17<br />

hier wie viele nach ihm in einer langen Tradition steht 12 ,und sie reichen bis hin<br />

<strong>zu</strong> Beispielen <strong>der</strong> Gegenwart 13 .Ange<strong>sich</strong>ts dieser Tradition besteht ein erheblicher<br />

Nachholbedarf an Sensibilität und einfühlsamem Verstehen anstelle theologisch<br />

begründeter abwerten<strong>der</strong> Klassifizierung.<br />

Sensibilität und einfühlsames Verstehen sind unter an<strong>der</strong>em auch durch den<br />

Tatbestand geboten, dass das jüdische Volk, wie die Kirche, in seiner Identität bis<br />

heute wesentlich durch seine Grundlagen in <strong>der</strong> Antike geprägt ist. Die Bereitschaft,<br />

jüdischem Einspruch gegen verzeichnende Darstellungen jüdischen Lebens<br />

in neutestamentlicher <strong>Zeit</strong> Rechnung <strong>zu</strong> tragen, ist bis <strong>zu</strong>r Mitte des<br />

20. Jahrhun<strong>der</strong>ts die Ausnahme <strong>von</strong> <strong>der</strong> Regel des Beharrens bei überkommenen<br />

Urteilen und Vorurteilen. Erst nach <strong>der</strong> Erkenntnis <strong>der</strong> christlichen Schuldgeschichte<br />

im Verhältnis <strong>zu</strong>m jüdischen Volk im Horizont des Holocaust hat <strong>sich</strong> die<br />

<strong>von</strong> Vorurteilen geprägte Einstellung <strong>zu</strong> än<strong>der</strong>n begonnen. Die Kenntnisnahme<br />

jüdischer Arbeiten <strong>zu</strong>m Judentum <strong>der</strong> neutestamentlichen <strong>Zeit</strong>, ein neues Zugehen<br />

auf die Quellen des antiken Judentums und die Kooperation im Rahmen<br />

wissenschaftlicher Projekte haben in einer Reihe <strong>von</strong> Punkten teilweise <strong>zu</strong> einem<br />

an<strong>der</strong>en Bild des Judentums <strong>zu</strong>r <strong>Zeit</strong> des Neuen Testaments geführt 14 .<br />

Eine vergleichbare Neuorientierung lässt <strong>sich</strong> im Rahmen <strong>der</strong> Neutestamentlichen<br />

<strong>Zeit</strong>geschichte in <strong>der</strong> Verlagerung <strong>von</strong> <strong>der</strong> geistesgeschichtlichen<br />

Fragestellung hin <strong>zu</strong>r sozialgeschichtlichen ausmachen. Die neue sozialgeschichtliche<br />

Fragestellung knüpft vor allem an sozioökonomische und litera-<br />

12<br />

13<br />

14<br />

Vgl. G.F. Moore, Christian Writers on Jews and Judaism, HThR 14 (1921) 197–254.<br />

Siehe da<strong>zu</strong> K. Hoheisel, Das antike Judentum in christlicher Sicht, Wiesbaden 1978; K.<br />

Müller, Das Judentum in <strong>der</strong> religionsgeschichtlichen Arbeit am NT, Frankfurt a. M. /<br />

Bern 1983; C. Wiese, Wissenschaft des Judentums und protestantische Theologie im<br />

wilhelminischen Deutschland, Tübingen 1999; Heschel, Jesus [o. Anm. 2].<br />

Vgl. E.P. San<strong>der</strong>s, Judaism. Practice &Belief 63 BCE–66 CE, London /Philadelphia 1992,<br />

u. a. Es scheint bemerkenswert, dass Droysen bereits vor rund 150 Jahren ein dem<br />

Antijudaismus verwandtes Phänomen im Bereich <strong>der</strong> klassischen Altertumswissenschaft<br />

inGestalt einer Art Antihellenismus bekämpft hat. Vgl. seine Klage, dass »diese<br />

<strong>Zeit</strong> [sc. des Hellenismus] missachtet <strong>zu</strong> werden pflegt als eine große Lücke, als ein toter<br />

Fleck in <strong>der</strong> Geschichte <strong>der</strong> Menschheit, als eine ekelhafte Ablagerung aller Entartung,<br />

Fäulnis, Erstorbenheit<strong>«</strong>, eine Auffassung, die er durch seine »Geschichte des Hellenismus<strong>«</strong><br />

<strong>zu</strong> korrigieren sucht, in <strong>der</strong> dieser ihm »als ein lebendiges Glied in <strong>der</strong> Kette<br />

menschlicher Entwicklung, als Erbin und tätige Verwalterin eines großen Vermächtnisses,<br />

als die Trägerin größerer Bestimmungen, die in ihrem Schoß heranreifen sollten<strong>«</strong>,<br />

erscheint (Geschichte III [o. Anm. 9], S.X). Die Analogie zwischen Antijudaismus und<br />

Antihellenismus dürfte nicht <strong>zu</strong>letzt darin begründet sein, dass beide Male eine als<br />

Depravation verstandene geschichtliche Epoche an einer ihr vorausliegenden klassischen,<br />

idealisierten <strong>Zeit</strong> (Griechenland bzw. das Israel <strong>der</strong> Propheten) gemessen wird.


2. Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte<br />

in GrundzDgen<br />

2.1. Das Imperium Romanum als Rahmen und<br />

BedingungsgefDge 39<br />

Unter den politischen Mächten, denen das Land Israel in <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> des Zweiten<br />

Tempels untertan o<strong>der</strong> mit deneneskonfrontiert war, kommt ohne Frage Rom die<br />

größte Bedeutung <strong>zu</strong>. Als Jesus <strong>von</strong> Nazaret geboren wird, ist die politische<br />

Dominanz des Imperium Romanum im Lande zwei Generationen alt, als er öffentlich<br />

auftritt, besteht sie, wenn auch in unterschiedlichen Formen, fast<br />

100 Jahre. So liegt es in <strong>der</strong> Tatnahe, die bereits <strong>von</strong> Schneckenburger gewiesene<br />

Richtung ein<strong>zu</strong>schlagen und <strong>der</strong> Charakteristik dieser <strong>Zeit</strong> im Lande Israel eine<br />

Skizze <strong>zu</strong>m Imperium Romanum als <strong>der</strong>en Rahmen und Bedingungsgefüge<br />

voran<strong>zu</strong>stellen.<br />

39<br />

Vgl. <strong>zu</strong> diesem Abschnitt folgende Lit.: K. Brinkmann, Römische Geschichte. Vonden<br />

Anfängen bis <strong>zu</strong>r Spätantike, München 1995 (knapper, einführen<strong>der</strong> Überblick); A.<br />

Heuß, Römische Geschichte, Braunschweig 1960, Neuausg. Pa<strong>der</strong>born 2016; K. Christ,<br />

Krise und Untergang <strong>der</strong> römischen Republik (1979), Darmstadt 8 2013; Ders., Geschichte<br />

<strong>der</strong> römischen Kaiserzeit <strong>von</strong> Augustus bis Konstantin (1988), aktual. Ausg.<br />

München 5 2018; H. Bellen, Grundzüge <strong>der</strong> römischen Geschichte: Die Kaiserzeit <strong>von</strong><br />

Augustus bis Diocletian (1982); Die Spätantike <strong>von</strong> Constantin bis Justinian (1998),<br />

aktual. Ausg. Darmstadt 2010/2016; D. Kienast, Augustus. Princeps und Monarch<br />

(1982), Darmstadt 5 2014; J. Marquardt, Das Privatleben <strong>der</strong> Römer I–II (1879/1882),<br />

Leipzig 2 1886, Neuausg. Darmstadt 2016; P. Garnsey /R.Saller, Das Römische Kaiserreich.<br />

Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur (engl. 1987), Hamburg-Reinbek 1989; J. Bleicken,<br />

Verfassungs- und Sozialgeschichte des Römischen Kaiserreiches I–II (1978), Pa<strong>der</strong>born<br />

3 1994; H. Kloft, Die Wirtschaft<strong>der</strong> griechisch-römischen Welt. Eine Einführung,<br />

Darmstadt 1992; R. Muth, Einführung in die griechische und römische Religion (1988),<br />

Darmstadt 2 1998.


26 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

Der politische Aufstieg Roms <strong>zu</strong>r antiken Weltmacht<br />

Das Imperium Romanum umschließt <strong>zu</strong>r <strong>Zeit</strong> des Neuen Testaments Regionen<br />

aller drei in <strong>der</strong> Antike bekannten Kontinente, Europas, Asiens und Afrikas. Ihre<br />

hervorstechende und wichtigste Verbindung bildet das Mittelmeer. Das Herrschaftsgebiet<br />

des Römischen Reichesist dementsprechend die mediterrane Welt<br />

mit den <strong>von</strong> ihr aus eroberten Gebieten des »Hinterlandes<strong>«</strong>. Spricht man vom<br />

»Römischen Weltreich<strong>«</strong>, so ist in Übereinstimmung damit jener Teil <strong>der</strong> auch<br />

bereits in <strong>der</strong> Antike sehr viel größeren »Welt<strong>«</strong> gemeint, auf den <strong>sich</strong> mediterraneuropäischer<br />

Einfluss erstreckt und <strong>der</strong> umgekehrt grundlegende Bedeutung für<br />

die europäische Geschichte gewonnen hat.<br />

Die geschichtsträchtige Etablierung Roms als beherrschende Mittelmeermacht<br />

nimmt ihren Ausgang im dritten Jahrhun<strong>der</strong>t v. Chr. Vondessen Mitte an<br />

wird zwischen <strong>der</strong> Mittelmeergroßmacht Karthago und dem <strong>sich</strong> sukzessive<br />

ausdehnenden Rom <strong>der</strong> Kampf um die Vorherrschaft imwestlichen Mittelmeer<br />

und seinen Anrainerlän<strong>der</strong>n ausgefochten. Im Gefolge des ersten Römisch-Punischen<br />

Krieges 264–241 beginnt die Herrschaft Roms auf Sizilien, Sardinien<br />

und Korsika, nach dem zweiten Römisch-Punischen Krieg 218–201 diejenige<br />

über die iberische Halbinsel. Die Zerstörung Karthagos 146 v. Chr. ist dann nur<br />

noch <strong>der</strong> späte Schlussstrich unter diese Entwicklung, an <strong>der</strong>en Ende die<br />

Gründung <strong>der</strong> Provinz Africa steht.<br />

Nach Abschluss des entscheidenden, zweiten Krieges gegen Karthago, d. h.<br />

mit dem zweiten Jahrhun<strong>der</strong>t v.Chr., beginnt eine zielstrebige AusdehnungRoms<br />

nach <strong>Osten</strong>. Bereits 190 v.Chr. stehen die Römer in Kleinasien und fügen dem<br />

griechisch-syrischen Herrscher Antiochus dem Großen(III.) eine so gravierende<br />

Nie<strong>der</strong>lage <strong>zu</strong>, dass er Kleinasien räumen muss und die Römer die dortigen<br />

politischen Verhältnisse ihren Wünschen gemäß regeln können, vor allem durch<br />

eine Übertragung weiter Gebiete an das romfreundlicheReich <strong>von</strong> Pergamon. Als<br />

dessen letzter König 133 ohne Erben stirbt, vermacht er sein Herrschaftsgebiet<br />

den Römern, die es in den nachfolgenden Jahren <strong>zu</strong>r römischen Provinz Asien<br />

umwandeln – später ein herausragendes Missionsgebiet für Paulus und an<strong>der</strong>e<br />

frühe Kün<strong>der</strong> des Evangeliums. Desgleichen wird Griechenland in <strong>der</strong> ersten<br />

Hälfte des 2. Jahrhun<strong>der</strong>ts nie<strong>der</strong>gekämpft, 148 v. Chr. in <strong>der</strong> nördlichen Hälfte<br />

die römische Provinz Makedonien gegründet, auch sie später <strong>von</strong> Paulus missionarisch<br />

erwan<strong>der</strong>t. Der Süden Achaia ist zwar desgleichen <strong>von</strong> Rom abhängig,<br />

wird jedoch erst 27 v.Chr. römische Provinz mit Korinth als Sitz des Statthalters,<br />

nach Apg 18 Ort einer denkwürdigen Begegnung zwischen dem Apostel und dem<br />

damaligen römischen Provinzgouverneur.<br />

Das 2. und 1. Jahrhun<strong>der</strong>t sind, was die östliche Mittelmeerwelt angeht,<br />

weithin durch den Nie<strong>der</strong>gang des griechisch-syrischen o<strong>der</strong> seleukidischen<br />

Reiches imNordosten des Landes Israels und des griechisch-ägyptischen o<strong>der</strong><br />

ptolemäischen Reiches im Südwesten bestimmt sowie durch eine diesen Vor-


2. Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte in Grundz7gen 27<br />

gängen korrespondierende stete Einflussnahme Roms auf die Verhältnisse im<br />

einen wie im an<strong>der</strong>en Bereich. Die entscheidende Phase fällt in die sechziger<br />

Jahre des 1. Jahrhun<strong>der</strong>ts, als die herausragende militärische Gestalt jener <strong>Zeit</strong>,<br />

Pompeius, vom römischen Senat mit den beiden Aufgaben betraut wird, dem<br />

wirtschaftsschädigenden kleinasiatischen Seeräuberunwesen im östlichen Mittelmeerraum<br />

ein Ende <strong>zu</strong> machenund die Verhältnisse im <strong>Osten</strong> des Römischen<br />

Reiches <strong>zu</strong>gunsten Roms <strong>zu</strong> regeln. Im Gefolge seiner militärisch erzwungenen<br />

Neuordnung entthronte er 64 den letzten seleukidischen Herrscher Antiochus<br />

XIII. und wandelte sein Gebiet in die römische Provinz Syrien um. 65 v.Chr., als<br />

Pompeius in Damaskus weilt, wenden <strong>sich</strong> zwei jüdische Thronprätendenten an<br />

ihn mit <strong>der</strong> Bitte um Entscheidungshilfe in ihren Thronstreitigkeiten. Als die<br />

Dinge dann nicht den <strong>von</strong> ihm vorgesehenen Verlauf nehmen,erobert Pompeius<br />

63 v.Chr. kurzerhand Jerusalem, so dass die Römer fortan auch hier – wenn auch<br />

in wechseln<strong>der</strong> Form – das Sagen haben. Im Jahre30v.Chr. schließlich fällt auch<br />

Ägypten an das RömischeReich – <strong>aber</strong> dies geschieht bereits nach Pompeius und<br />

<strong>zu</strong> einer <strong>Zeit</strong>, als <strong>sich</strong> die Verhältnisse in Rom selbstgravierend geän<strong>der</strong>t haben.<br />

Das Ende <strong>der</strong> Republik und <strong>der</strong> Anfang des Principats<br />

Das letzte Drittel des 2. unddie erste Hälfte des 1. Jahrhun<strong>der</strong>ts v.Chr. sind durch<br />

eine sukzessive Auflösung <strong>der</strong> aristokratisch geprägten republikanischen<br />

Struktur des Stadtstaates Rom bestimmt, die schließlich in langdauernden<br />

Bürgerkriegen ihren Abschluss findet. In <strong>der</strong> Folgezeit kommt es <strong>zu</strong> einem<br />

nachhaltigen Umformungsprozess, an dessen Ende die schrittweise Ausbildung<br />

des römischen Kaisertums steht. Schlüsselfiguren dieses Prozesses sind Julius<br />

Cäsar und sein Adoptivsohn Oktavian, <strong>der</strong> spätere Kaiser Augustus. Cäsar, militärisch<br />

und politisch gleichermaßen weit<strong>sich</strong>tig und durchtrieben, geht aus den<br />

Bürgerkriegen mit Crassus und Pompeius, seinen ehemaligen Bundesgenossen,<br />

in <strong>der</strong> ersten Hälfte <strong>der</strong> vierziger Jahre als Sieger hervor und herrscht<strong>von</strong> 46 an<br />

als Diktator auf Lebenszeit, d. h. bis <strong>zu</strong> seiner Ermordung durch die letzten Republikaner<br />

imJahre 44 v.Chr. Die folgenden etwa 15 Jahre waren nach einem<br />

kurzen Triumvirat mit Lepidus <strong>zu</strong>nächst durch die geteilte HerrschaftOktavians<br />

(im Westen) und Mark Antons (im <strong>Osten</strong>) bestimmt, bis <strong>der</strong> Schwebe<strong>zu</strong>stand<br />

militärisch <strong>von</strong> Oktavian31v.Chr. in <strong>der</strong> Schlacht <strong>von</strong> Actium <strong>zu</strong> seinen Gunsten<br />

entschieden wird. Als die Römer <strong>sich</strong> ein Jahr späteranschicken, Alexandria, die<br />

Hauptstadt Ägyptens, ein<strong>zu</strong>nehmen, nehmen <strong>sich</strong> die letzte ptolemäische<br />

Herrscherin Kleopatra VII.und <strong>der</strong> mit ihr liierte Mark Anton das Leben. Vonnun<br />

an ist Ägypten römische Provinz und unter an<strong>der</strong>em die unerschöpfliche<br />

Kornkammer Roms – allein in <strong>der</strong> Hauptstadt selbst werden <strong>zu</strong>r jährlichen<br />

Versorgung <strong>der</strong> Bevölkerung etwa 5Millionen Zentner Getreide benötigt.


28 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

In den nachfolgenden Jahren konsolidiert Oktavian seine Herrschaft, indem<br />

er einerseits seine praktisch monarchische Stellung <strong>sich</strong>ert, an<strong>der</strong>erseits den<br />

alten aristokratisch-republikanischen Traditionen im Rahmen seiner Alleinherrschaft<br />

verwandelt Rechnung trägt. So legt er 27 v. Chr. die vom Senat erhaltenen<br />

außerordentlichen Befugnisse nie<strong>der</strong>, <strong>der</strong> ihm im Gegen<strong>zu</strong>g den Ehrennamen<br />

Augustus verleiht und ihm nach und nach die <strong>von</strong> ihm angestrebte<br />

Stellung eines – allerdings mit außerordentlicher Machtausgestatteten – primus<br />

inter pares ermöglicht. Insgesamt folgt nach den verheerenden militärischen<br />

Auseinan<strong>der</strong>set<strong>zu</strong>ngen in den Jahrzehnten <strong>zu</strong>vor unter Augustus bis <strong>zu</strong> seinem<br />

Tode 14 n. Chr. für die Mehrheit <strong>der</strong> Bewohner des Römischen Reiches eine <strong>Zeit</strong><br />

des Friedens, die auch als eine dem Kaiser <strong>zu</strong> dankende Friedenszeit (pax Augusta)empfunden<br />

wird. Augustus hat in dem Bericht seiner Taten am Ende seines<br />

Lebens eindrücklich <strong>von</strong> seinen Leistungen Zeugnis abgelegt 40 .Doch Lob kommt<br />

ihm keineswegsnur aus <strong>der</strong> eigenen Fe<strong>der</strong> <strong>zu</strong>. Er wird mit Ehrungen überhäuft,<br />

und bereits früh errichten ihm Provinzialen wie die Vertreter (Klein⌃)Asiens einen<br />

Tempel, allerdings – so die Bedingung des Augustus selbst – <strong>zu</strong>sammen mit<br />

<strong>der</strong> Göttin Roma. Augustus hat, wie im Übrigen die meisten, nicht alle seiner<br />

Nachfolger, den Kult seiner Person auf den Ostteil des Reiches begrenzt; im<br />

Westen werden die römischen Kaiser erst nach ihrem Tode als divus,d.h.göttlich<br />

verehrt, wie etwa Cäsar nach seiner Ermordung. Eine nennenswerte weitere<br />

Ehrung bestand in <strong>der</strong> Errichtung <strong>der</strong> – noch heute in Rom <strong>zu</strong> bewun<strong>der</strong>nden –<br />

Ara Pacis Augustae auf dem Marsfeld durch den Senat <strong>zu</strong> Ehren <strong>der</strong> friedenspendenden<br />

Tätigkeit des Princeps.<br />

Nicht alle Nachfolger des Augustus in <strong>der</strong> frühen Kaiserzeit kommen mit<br />

ihrem Namen im Neuen Testament vor – die namentliche Erwähnung ist eher die<br />

Ausnahme –, <strong>aber</strong> alle haben in den frühen christlichen Schriften mehr o<strong>der</strong><br />

weniger Spuren hinterlassen:<br />

– Augustus (27. v.–14 n. Chr.) wird bekanntlich im Rahmen <strong>der</strong> Weihnachtsgeschichte<br />

erwähnt (Lk 2,1).<br />

– Sein Adoptivsohn und Nachfolger Tiberius (14–37 n. Chr.) ist <strong>zu</strong>r <strong>Zeit</strong> des<br />

Auftretens Jesu und Johannes des Täufers und damit <strong>zu</strong>gleich <strong>zu</strong>r <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong><br />

Präfektur des Pontius Pilatus 26–36 n. Chr. Cäsar und wird <strong>von</strong> Lukas ein<br />

Kapitel später hervorgehoben (Lk 3,1).<br />

– Gaius, besser bekannt unter seinem Beinamen Caligula (37–41), hat die<br />

Juden mit seinem Größenwahn an den Rand eines Aufstands gebracht und<br />

war schließlich auch den Römern so unerträglich, dass er nach vier Jahren<br />

Herrschaft ermordet wurde.<br />

– Claudius (41–54), <strong>von</strong> Hause aus eher ein gelehrter Stubenhocker, hat <strong>sich</strong><br />

dann doch als tatkräftiger Herrscher erwiesen. Im Neuen Testamentist er in<br />

40<br />

Augustus, Meine Taten /Res Gestae Divi Augusti nach dem Monumentum Ancyranum,<br />

Apolloniense und Antiochenum, hg. <strong>von</strong> E. Weber, Berlin u.a. 7 2015.


2. Neutestamentliche <strong>Zeit</strong>geschichte in Grundz7gen 29<br />

Apg 18,2 als Kaiser erwähnt, <strong>der</strong> »dieJuden<strong>«</strong> – wie es wohl <strong>zu</strong> allgemein heißt<br />

– aus Rom ausgewiesen habe, darunter auch die deshalb nach Korinth<br />

übergesiedelten Aquila und Priskilla, zwei Jesusgläubige jüdischerHerkunft,<br />

die Paulus ebenda bei seinem ersten Aufenthalt beherbergen.<br />

– Auf Claudius folgt die Schreckensherrschaft des Nero (54–68), <strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

christlichen Geschichte schaurig-traurige Bekanntheit erlangt hat: Um <strong>von</strong><br />

seiner eigenen, im Dienste <strong>von</strong> Großbauvorhaben unternommenen Brandstiftung<br />

in Rom ab<strong>zu</strong>lenken, hat er die Christenals die Schuldigenhingestellt<br />

und sie, um sie <strong>zu</strong>»strafen<strong>«</strong>, in Rom als Brandfackeln entzündet. Selber ein<br />

Muttermör<strong>der</strong>, endete er desgleichen durchMord. Nero wird verschlüsselt in<br />

<strong>der</strong> Offenbarung des Johannes erwähnt (Offb 13,10; c. 17).<br />

– Es folgt 68/69 mit Otho, Galba und Vitellius das Dreikaiserjahr mit seinen<br />

Wirren, die erst beendet werden, als Vespasian (69–79) <strong>von</strong> den Legionen im<br />

<strong>Osten</strong> <strong>zu</strong>m Kaiser ausgerufen undinRom bestätigt wird. Vespasian hatte <strong>sich</strong><br />

unter an<strong>der</strong>em in dem Krieg <strong>der</strong> Römer gegen die Juden ab 66 n. Chr. einen<br />

Namen gemacht. Zu Ende geführt wird <strong>der</strong> Krieg dann <strong>von</strong> seinem Sohn<br />

Titus. Als den Siegern des Krieges ließ <strong>der</strong> Senat für beide einen bis heute<br />

erhaltenen Triumphbogen auf dem Forum Romanum errichten.<br />

– Titus selbst, <strong>der</strong> zweite Flavierauf dem römischen Thron, hat nur zwei Jahre<br />

geherrscht (79–81).<br />

– Abgelöst wurde er <strong>von</strong> seinem jüngeren Bru<strong>der</strong> Domitian (81–96), <strong>der</strong> einerseits,<br />

vor allem außenpolitisch, ein erfolgreiches Regiment geführt hat,<br />

an<strong>der</strong>erseits insbeson<strong>der</strong>e den Christen bedrohlich geworden ist. Die Verfolgungen,<br />

die <strong>sich</strong> am Horizont <strong>der</strong> Apokalypse abzeichnen, sind aller<br />

Wahrscheinlichkeit nach Folge <strong>der</strong> Bestrebungen des Domitian, als »Herr<br />

und Gott<strong>«</strong> verehrt <strong>zu</strong> werden. Auch sein Leben ist gewaltsambeendet worden.<br />

– Mit den nachfolgenden Herrschern, schon am Rande des Neuen Testaments,<br />

beginnt nach einem kurzen Zwischenspiel des Kaisers Nerva (96–98) eine<br />

Reihe eindrücklicher Herrschergestalten, die als humanitäre Kaiser in die<br />

Geschichte eingegangen und, beginnend mit Nerva – Trajan, genealogisch<br />

durch Adoption miteinan<strong>der</strong> verbunden sind, so<br />

– Trajan (98–117),<br />

– Hadrian (117–138),<br />

– später dann, schon <strong>der</strong> »Geschichte <strong>der</strong> Alten Kirche<strong>«</strong> <strong>zu</strong>gehörig:<br />

– Antoninus Pius (138–161)<br />

– und <strong>der</strong> »Philosoph auf dem Kaiserthron<strong>«</strong>, Mark Aurel (161–181).<br />

Wieerwähnt ist die <strong>Zeit</strong> des Augustus <strong>von</strong> <strong>der</strong> Mehrheit im Römischen Reich als<br />

herausragende <strong>Zeit</strong> des Friedens erlebt und verstanden worden. Nicht <strong>zu</strong> dieser<br />

Mehrheit gehört haben jene Völkerschaften diesseits und jenseits <strong>der</strong> Grenzen,<br />

mit denen Augustus selbst o<strong>der</strong> seine Beauftragten dann doch über Jahre hin


30 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

Krieg geführt haben. Wir werfen damit einen Blick auf die Grenzen des Römischen<br />

Reiches.<br />

Die geographische Erstreckung des Rçmischen Reiches, sein Aufbau<br />

und seine Verwaltung<br />

Die militärischen Operationendes Augustus dienten vornehmlich dem Ziel, dem<br />

Römischen Reich <strong>sich</strong>ere Grenzen <strong>zu</strong> verschaffen. Da<strong>zu</strong> gehörte die Nie<strong>der</strong>werfung<br />

<strong>der</strong> im Nordwesten Spaniens verbliebenen selbständigen Gebiete, die Einbeziehung<br />

<strong>der</strong> Alpen und des Voralpenlandes in das Römische Reich, die Ausdehnung<strong>der</strong><br />

Herrschaftüber den Balkan bis an die Donau und die Unterwerfung<br />

<strong>von</strong> Illyrien auf dem südwestlichen Balkan. Der Versuch, Germanien als Vorfeld<br />

<strong>der</strong> un<strong>sich</strong>eren Rheingrenze in den Griff <strong>zu</strong> bekommen, hingegen scheiterte. Er<br />

führte unter an<strong>der</strong>em <strong>zu</strong> <strong>der</strong> verheerenden Nie<strong>der</strong>lage <strong>der</strong> Römer unter Quinctilius<br />

Varus im Teutoburger Wald gegen Arminius /Hermann den Cherusker 9<br />

n. Chr. Im <strong>Osten</strong> suchten die Römer die Grenzen dadurch ab<strong>zu</strong><strong>sich</strong>ern, dass sie<br />

eine Pufferzone durch Königreiche schufen, die ungeachtet einer gewissen<br />

Selbständigkeit <strong>von</strong> Rom abhängig waren und das Imperium <strong>der</strong> Notwendigkeit<br />

enthoben, imBereich dieser Könige ein eigenes Verwaltungssystem <strong>zu</strong> etablieren.<br />

Zu diesen Königreichen gehörte etwa Judäa in <strong>der</strong> <strong>Zeit</strong> Herodes I. des Großen<br />

(37–4 v.Chr.). Ge<strong>sich</strong>ert wurden die Grenzen durch ein <strong>von</strong> Augustus eingeführtes<br />

Berufsheer <strong>von</strong> 28 Legionen mit etwa 150.000 bis 160.000 Mann, die<br />

durch Hilfstruppen <strong>der</strong> jeweiligen Region ergänzt wurden. Römer im engeren<br />

Sinne – also im Besitz des römischen Bürgerechtes – waren <strong>zu</strong>r <strong>Zeit</strong> des Augustus<br />

etwa vier Millionen Männer, Frauen und Kin<strong>der</strong>, bei geschätzten 60 Millionen<br />

Einwohnern insgesamt. Das entspricht zahlenmäßig im Großenund Ganzen etwa<br />

dem Verhältnis des Mutterlandes Italien mit 310.000 km2 <strong>zu</strong>r Fläche des gesamten<br />

Imperiums mit 3,2 Millionen km2. Wiedas Imperium Romanum letztlich<br />

ein überdimensional ausgedehnter Stadtstaatwar – die Bürger waren römische,<br />

nicht italische Bürger –,sowar Rom das Zentrumdes Reiches schlechthin, bis hin<br />

<strong>zu</strong> seiner Einwohnerzahl <strong>von</strong> etwa 1Million, eine für antike Verhältnisse unglaublich<br />

hohe Zahl. Trier, dessen römische Pracht <strong>sich</strong> noch heute ahnen und<br />

bestaunen lässt, hatte in seiner Blütezeit etwa 50.000 Einwohner.<br />

Unterteilt war das Römische Reich in Provinzen, die <strong>sich</strong> danach unterschieden,<br />

obihre Verwaltung und Nutznießung bei dem Kaiser o<strong>der</strong> dem Senat<br />

lag. Kaiserliche Provinzen waren Grenzprovinzen im engeren Sinne, mithin<br />

militärisch beson<strong>der</strong>srelevante Regionen wie vor allem Spanien, Gallien, Syrien<br />

und Ägypten. Während die senatorischen Provinzen in relativ raschem Wechsel<br />

<strong>von</strong> Mitglie<strong>der</strong>n des Senatorenstandes verwaltet wurden, wurden die kaiserlichen<br />

Provinzen in <strong>der</strong> Regel <strong>von</strong> Männern aus dem niedriger stehenden, zahlreicheren<br />

und <strong>von</strong> Augustus kräftig vermehrten Ritterstand regiert. Die Ver-


3. »Ein Rebell des messianischen<br />

Reiches<strong>«</strong> 47<br />

Konturen des irdischen Jesus und die Evangelien<br />

3.1. Zum TrEgerkreis <strong>von</strong> Namen und Erinnerung<br />

»Jesus aus jüdischer Familie<strong>«</strong> – so bezeichnet ein jüdisches Dokument aus dem<br />

16. Jahrhun<strong>der</strong>t Martin Luthers Schrift »Daß Jesus Christus ein geborener Jude<br />

sei<strong>«</strong> 48 .Doch fast scheint es, als werde diese heimelige Parole vom Nazarener<br />

selbst mit beson<strong>der</strong>em Nachdruck Lügengestraft. Denn <strong>der</strong> hat er <strong>sich</strong> <strong>von</strong> seiner<br />

Familie getrennt, eher ohne als mit <strong>der</strong>en Einverständnis, undirgendwann auch<br />

<strong>von</strong> Johannes, <strong>der</strong> wohl nicht nur sein Täufer, son<strong>der</strong>n auch sein Inspirator gewesen<br />

war. Fassen wir diese beiden Phänomene in den Blick, so begegnen wir<br />

<strong>zu</strong>erst in diesen Zusammenhängen des Elternhauses und des Täuferkreises<br />

Trennungsprozessen, die fraglos ihre schmerzliche Seite gehabt haben. Wie<br />

anstößig sein Wegjedenfalls für die Familie Jesu war, schimmert durch Überlieferungen<br />

hindurch, die in Mk 3aufbewahrtsind. Seine Verwandten suchen ihn<br />

<strong>zu</strong> ergreifen, weil sie ihn für krank halten (»Er ist <strong>von</strong> Sinnen<strong>«</strong>; Mk 3,21). Als seine<br />

Mutter undseine Brü<strong>der</strong> ihn wenig später noch einmal rufen lassen, antwortet er<br />

verletzend, indem er die ihn Umgebenden für seine Mutter undseine Geschwister<br />

erklärt (Mk 3,31–35). Er war also nicht unbedingt ein Sohn, wie ihn <strong>sich</strong> Eltern<br />

wünschen, we<strong>der</strong> die eigenen noch die an<strong>der</strong>er. Denn wie er <strong>sich</strong> <strong>von</strong> seinen<br />

eigenen Eltern getrennt hat, so verlangt er es späterauch <strong>von</strong> denen, dieerinden<br />

Kreis seiner Anhänger/innen ruft – <strong>von</strong> den Zebedäussöhnen Jakobus und Johannes,<br />

die ihren Vater mit seinen Arbeitern bei den Fischnetzen <strong>zu</strong>rücklassen<br />

47<br />

48<br />

Nach N.H. Glatzer, Geschichte <strong>der</strong> talmudischen <strong>Zeit</strong>, Berlin 1937, 162: »Er starb als<br />

Rebell des messianischen Reiches.<strong>«</strong><br />

H.H. Ben-Sasson, Jewish-Christian Disputation in the Setting of Humanism and Reformation<br />

in the German Empire, HThR 59 (1966) 369–390; Text (Ms. Mich. 121, fol. 270r)<br />

und Erläuterungen: 385–389; Text und dt. Überset<strong>zu</strong>ng auch in P. <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Osten</strong>-<strong>Sacken</strong>,<br />

Martin Luther und die Juden. Neu untersucht anhand <strong>von</strong> Anton Margarithas »Der gantz<br />

Jüdisch glaub<strong>«</strong> (1530/31), Stuttgart 2002, 36 f.


42 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

(Mk 1,19 f.), und ebenso <strong>von</strong> jenem Folgewilligen, <strong>der</strong> nachfolgen, <strong>aber</strong> doch<br />

<strong>zu</strong>erst noch seinen Vater begraben will (Mt 8,21 f. /Lk9,59 f.).<br />

Folgt man <strong>der</strong> Apostelgeschichte, so scheinen <strong>sich</strong> nach seiner geglaubten<br />

Auferweckung die Familienverhältnisse wie<strong>der</strong> eingerenkt<strong>zu</strong>haben. Nachihren<br />

Angaben gehörten Mutter und Brü<strong>der</strong> Jesu <strong>zu</strong>m Kreis <strong>der</strong>er, die zwischen<br />

Himmelfahrt und Pfingsten einmütig im Gebet dem entgegenharrten, was da<br />

kommen sollte (Apg 1,14). Sein hier noch nicht namentlich genannter Bru<strong>der</strong><br />

Jakobus avancierte später für lange <strong>Zeit</strong> <strong>zu</strong>r führenden Gestalt <strong>der</strong> Jerusalemer<br />

Urgemeinde, nach dem erstgeborenen Märtyrerbru<strong>der</strong> eine zweite starke Persönlichkeit<br />

aus dieser Nazarener-Familie 49 .Unverdächtige, enpassant notierte<br />

Angaben in den paulinischen Briefen lassen Lukas an diesen Stellen <strong>der</strong> Apostelgeschichte<br />

als einen im Prinzip <strong>zu</strong>verlässigen Tradenten erscheinen: Im Anschluss<br />

an die alte Tradition 1Kor 15,3b–5hältPaulus fest, nach Petrus und den<br />

Zwölfen sei Jesus dem Jakobus erschienen, und in 1Kor 9,5 hebt er hervor, dass<br />

die Brü<strong>der</strong> Jesu, wie die übrigen Apostel und Petrus, auf ihre Missionsreisen ihre<br />

Frauen mitnähmen. Danach ist anscheinend die ganze Familie Jesu bald nach<br />

seinem Tod<strong>von</strong> Nazaret nach Jerusalem gezogen, ihm in diesem Sinne nachgefolgt,<br />

und hat <strong>sich</strong> in den weit über die Heilige Stadt hinausführenden Dienst<br />

seines Namens gestellt. In diesem Dienst hatte sie dann naturgemäß auch an<br />

seiner Ehre teil, wie die inRichtung eines Titels gehende Bezeichnung »Bru<strong>der</strong><strong>«</strong><br />

o<strong>der</strong> »Brü<strong>der</strong> des Herrn (Kyrios)<strong>«</strong> andeutet. Die überraschende Familien<strong>zu</strong>sammengehörigkeit<br />

ist trefflich mit <strong>der</strong> Rede vom »Kalifat des Jakobus<strong>«</strong> erfasst<br />

worden 50 .AmEnde hat <strong>sich</strong> damit auch bei dieser ebenso leidensfähigen wie<br />

durchset<strong>zu</strong>ngskräftigen Familie aus Galiläa bestätigt, dass Blut dicker ist als<br />

Wasser 51 ,ohne dass damit jene an<strong>der</strong>en, ursprünglich als Familienersatz gedachten<br />

galiläischen Männer und Frauen – trotz gelegentlicher Wankelmütigkeit<br />

49<br />

50<br />

51<br />

Vgl. Apg 12,17; 15,13; 21,18f. Zur Kraft seiner Persönlichkeit, die anscheinend auch<br />

Außenstehende <strong>zu</strong> beeindrucken vermochte, und <strong>zu</strong> seinem gewaltsamen, als Märtyrertod<br />

erlittenen Ende s. Josephus, Antiquitates XX, 200; Euseb, Kirchengeschichte II,<br />

23,4 ff.<br />

C. Colpe, Das Siegel <strong>der</strong> Propheten. Historische Beziehungen zwischen Judentum, Judenchristentum,<br />

Heidentum und frühem Islam, Berlin 1990, 79–87, hier 85.<br />

C.G. Montefiore, Some Elements of the Religious Teaching of Jesus According to the<br />

Synoptic Gospels, London 1910, 108, hat das »Unjüdische<strong>«</strong> des Verhaltens Jesu <strong>zu</strong> seiner<br />

Familie hervorgehoben. Allerdings gehört die oben aufgezeigte »Nachgeschichte<strong>«</strong> <strong>zu</strong><br />

diesem ganzen Komplex hin<strong>zu</strong>, indem sie eindrücklich klar macht, dass <strong>der</strong> Nazarener<br />

mit seinem Verhalten keineswegs aus seiner Familie »entlassen<strong>«</strong> war. Möglicherweise<br />

muss man <strong>von</strong> dieser Nachgeschichte her auch noch einmal fragen, inwieweit die<br />

»Trennungsperikopen<strong>«</strong> <strong>zu</strong>mindest in <strong>der</strong> vorliegenden Form tendenziöse Geschichten<br />

sind.


3. »Ein Rebell des messianischen Reiches<strong>«</strong> 43<br />

eines Petrus und an<strong>der</strong>er – als För<strong>der</strong>erkreis des Nazareners geringer <strong>zu</strong> veranschlagen<br />

wären.<br />

Dies alles zeigt gleich auf Anhieb, dass in <strong>der</strong> historischen Rückfrage nach<br />

<strong>der</strong> Gestalt des Nazarenersnicht nur die traditionelle Frage Gewicht hat, was an<br />

Überlieferungsgut auf den historischen Jesus <strong>zu</strong>rückgeht o<strong>der</strong> sein Wirken einigermaßen<br />

verlässlich wi<strong>der</strong>spiegelt und was erst ein Resultat urchristlicher<br />

Kreativität imweitesten Sinne ist. Wie esvielmehr ein oft nicht mehr klar<br />

<strong>von</strong>einan<strong>der</strong> lösbares Ineinan<strong>der</strong> <strong>von</strong> vorösterlich Überliefertem und nachösterlich<br />

Gestaltetem gibt, so auch ein entsprechendes Ineinan<strong>der</strong> <strong>der</strong> Einmaligkeit<br />

dieser herausragenden Gestalt <strong>der</strong> Weltgeschichte, die <strong>der</strong> Nazarener ist,<br />

auf <strong>der</strong> einen Seite, und jenes aus »Verwandten und Freunden<strong>«</strong> bestehenden<br />

galiläisch-jerusalemischen Trägerkreises auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en. Es ist dieser Kreis,<br />

durch den jene einmalige Gestalt, »nach Menschenweise<strong>«</strong> geredet (Röm 6,17),<br />

den Nährboden gefunden hat, <strong>der</strong> sie <strong>zu</strong> dem gemacht hat, was sie geworden ist.<br />

Es ist dieser Kreis, <strong>der</strong> den als »Herrn<strong>«</strong> (mar / kyrios) Anerkannten und Erwarteten<br />

durch Geben und Empfangen mitgeprägt hat. Angefangen <strong>von</strong> den nach<br />

Markus erstberufenen Brü<strong>der</strong>paaren Petrus und Andreas, Jakobus und Johannes<br />

über die im Ange<strong>sich</strong>t des Kreuzestodes treuen Frauen bis hin <strong>zu</strong> Jakobus, dem<br />

Herrenbru<strong>der</strong>, undspäter dann <strong>zu</strong> Stephanus, Barnabas, Paulusund Apollos, um<br />

nur einige <strong>der</strong> bekannteren Namen <strong>zu</strong> nennen, umschloss dieser Kreis eine<br />

ausgesprochen eindrückliche Reihe <strong>von</strong> <strong>Zeit</strong>genossen. Sie alle waren auf je eigene<br />

Weise <strong>von</strong> seiner Gestalt angezogen, gewannen selbst mit ihr Kontur und<br />

waren ungeachtet aller Eigenprägung geeint durch die an den Nazarener selbst<br />

erinnernde Bereitschaft, <strong>sich</strong> in <strong>der</strong> angesagten <strong>Zeit</strong> <strong>der</strong> kommenden Gottesherrschaft<br />

im Dienste des Gottes Israels auf<strong>zu</strong>opfern 52 . Sie alle haben <strong>der</strong><br />

Überlieferung nach nicht einen Augenblick geglaubt, mit ihrer Nachfolge und<br />

JüngerschaftJesu die Familie Israels <strong>zu</strong> verlassen. Um wieviel weniger dürfte dies<br />

<strong>von</strong> dem gelten, dem sie nachgefolgt sind und <strong>der</strong> doch sein Land kaum je verlassen<br />

hat, es sei denn für Abstecher in nachbarliche Gebiete.<br />

Schwerlich lässt<strong>sich</strong> dieumschriebene unlösliche, historisch entscheidende<br />

Zusammengehörigkeit <strong>von</strong> Nazarener und Trägerkreis treffen<strong>der</strong> als durcheinen<br />

Vergleichmit dem oftals prophetisches Pendant herangezogenen Jesus, Sohn des<br />

Ananias (Jeschua ben Chananja), verdeutlichen und resümieren. Vier Jahre vor<br />

dem ersten jüdisch-römischen Krieg kommt er, »ein ungebildeter Mann vom<br />

Lande<strong>«</strong>, an einem Laubhüttenfest in den Tempel in Jerusalem, beginnt dort und<br />

dann später Tag und Nacht in den Straßen Jerusalems immer wie<strong>der</strong> dieselben<br />

Weherufe über Jerusalem, den Tempel und das ganze Volk aus<strong>zu</strong>stoßen, selbst<br />

dann unbeirrt, als er <strong>von</strong> aufgebrachten Bürgern Jerusalems geschlagen wird.<br />

Schließlich übergeben ihn die Oberen an den römischenStatthalterAlbinus, doch<br />

dort lässt er <strong>sich</strong> klaglos geißeln, verweigert dem Statthalter jede Antwort und<br />

52<br />

Vgl. C.G. Montefiore, A.a. O., 149 f.


44 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

hört nicht auf, über Jerusalem <strong>zu</strong> wehklagen, bis <strong>der</strong> Römer ihn schließlich für<br />

verrückt erklärt und laufen lässt. Er <strong>aber</strong> erhebt weiter über lange Jahrehin sein<br />

Klagegeschrei in Jerusalem, ohne denen <strong>zu</strong> fluchen, die ihn schlagen, und denen<br />

<strong>zu</strong> danken, die ihm <strong>zu</strong> essen geben, bis er, bei <strong>der</strong> Belagerung <strong>der</strong> Stadt auf ihren<br />

Mauern <strong>von</strong> einem römischen Wurfgeschoss getroffen, mit dem Ruf auf den<br />

Lippen stirbt: »Und wehe auch mir!<strong>«</strong> 53 .Erist gegeißelt und geschmäht worden, hat<br />

im Dienst seiner Sache ein gewaltsames Ende gefunden und mit allem Recht<br />

behalten – und ist in all seiner Einsamkeit doch nur deshalb nicht dem völligen<br />

Vergessen anheimgefallen, weil Josephus über jenen Krieg geschrieben hat, <strong>der</strong><br />

<strong>zu</strong>r Zerstörung <strong>von</strong> Stadt und Tempel und <strong>zu</strong>r Verheerung des Volkes führte. Wie<br />

hätte die Zukunft Jesu ausgesehen ohne einen Petrus, selbst wenn er ihn verleugnet<br />

hat, und ohne all die an<strong>der</strong>en?<br />

3.2. Jesu Reden und Handeln<br />

Vielleicht schon durch die <strong>Zeit</strong> beim Täufer eingeübt, begann Jesus irgendwann<br />

nach seiner Taufe ein Leben als Wan<strong>der</strong>lehrer o<strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>prophet <strong>zu</strong> führen,<br />

eine Existenz wie die <strong>der</strong> Sperlinge unter dem Himmel und <strong>der</strong> Lilien auf dem<br />

Felde: »Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen, noch um euren Leib, was<br />

ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben mehr als die Nahrung und<strong>der</strong> Leib mehr als<br />

die Kleidung? Seht auf die Vögel des Himmels, sie säen nicht, noch ernten sie,<br />

noch fahren sie in dieScheune, und euer himmlischer Vater ernährtsie doch. Seid<br />

ihr nicht viel mehr als sie?<strong>«</strong> (Mt 6,25 f.). Ohne diese völlige Sorglosigkeit ist das<br />

Auftreten Jesu kaum erklärbar. Sie mochteihn umso mehrbestimmt haben, als er<br />

wie Johannes <strong>der</strong> Täufer überzeugt war, dass Gott in äußerst naher <strong>Zeit</strong> <strong>zu</strong>gunsten<br />

seines Volkes handeln und seine endzeitliche Herrschaft aufrichten werde,<br />

richtend und rettend: »Die HerrschaftGottesist nahe herbeigekommen. Kehrt um<br />

[…]<strong>«</strong>, mit diesen Worten ist Jesus nach Markus <strong>zu</strong> Beginn aufgetreten (1,14 f.). Die<br />

Gewissheit dieser Nähe dürfte ins Zentrum seines Handelns undRedens führen –<br />

so wie sie wohl bereits seine eigene Umkehr ausgelöst hat, die durch ihre Besiegelung<br />

durch die Johannestaufe dokumentiert wird.<br />

Jesus hat nicht als Einzelgänger gelebt, auch wenn er wie Johannes <strong>der</strong> Täufer<br />

unverheiratet war. Nach dem Verlassen <strong>der</strong> Familie folgt die Gemeinschaft mit<br />

<strong>der</strong> Täufergruppe, nach <strong>der</strong> Trennung <strong>von</strong> dieser sammelt er eine Gruppe <strong>von</strong><br />

Jüngern um <strong>sich</strong>, vielleicht auch <strong>von</strong> Jüngerinnen. Der Kreis scheint gemischt<br />

gewesen <strong>zu</strong> sein. Sympathisanten <strong>der</strong> Aufstandsbewegung, Kranke, Fischer,<br />

anrüchige Zolleinnehmer, Sün<strong>der</strong> aller Art sind <strong>der</strong> Überlieferung nach in ihr<br />

vertreten. Wie die Gemeinde <strong>von</strong> Qumran, wie Johannes <strong>der</strong> Täufer, wie die<br />

Pharisäer ruft Jesus auf seine Weise <strong>zu</strong>r Umkehr ange<strong>sich</strong>ts des göttlichen Ge-<br />

53<br />

Josephus, Bellum Judaicum VI, 300–308.


3. »Ein Rebell des messianischen Reiches<strong>«</strong> 45<br />

richts, und wie bei diesen allen hat die Umkehr auch bei ihm eine bestimmte,<br />

konkreteGestalt. Siebesteht in <strong>der</strong> Nachfolge auf seinem Weg, in <strong>der</strong> Bindung an<br />

seine Person, auch wenn dieser Wegnicht <strong>zu</strong>m Zwangfür alle wird. Die Gruppen,<br />

an die <strong>sich</strong> Jesus gewandt hat, sind vornehmlich – wenn auch nicht ausschließlich<br />

– die Randsiedler, wie sie in seinem Jüngerkreis vertreten sind. Vielleicht hat er<br />

gemeint, dass sie seine Botschaft<strong>von</strong> <strong>der</strong> Nähe Gottesamehesten hören würden,<br />

vielleicht auch war er <strong>der</strong> Überzeugung, dass sie sie am nötigsten hätten. Jedenfalls<br />

muss sein Wirken unkonventionell, ebenso ärgerlich wie anziehend<br />

gewesen sein. Sollte er, wie in Abständen behauptet wird, <strong>der</strong> Gruppe <strong>der</strong> Pharisäer<br />

o<strong>der</strong> dem Kreis <strong>der</strong> Essener angehört haben, so allenfalls versuchs- und<br />

zeitweise, vergleichbar dem Probelauf des jüdischen Geschichtsschreibers Josephus<br />

durchdie verschiedenen zeitgenössischen Gruppeneine Generation nach<br />

ihm (vgl. Vita 7–10). Schwerlich hat <strong>sich</strong> Jesus jedoch als Pharisäer o<strong>der</strong> Essener<br />

eingemeinden lassen, sosehr er auch in diesem o<strong>der</strong> jenem Einzelpunkt einer<br />

dieser beiden Gruppen nahe gestanden hat. In seiner Gesamthaltung lässt er <strong>sich</strong><br />

vielmehr, wie angedeutet, am ehesten in die Nähe des Täuferkreises rücken. Doch<br />

wird auf diesen Zusammenhang noch einmal <strong>zu</strong>rück<strong>zu</strong>kommen sein.<br />

Ein wesentlicher Teil des Gemeinschaftslebens Jesu war fraglos das gemeinsame<br />

Essen. Dass er mit Sün<strong>der</strong>n und Zöllnern Tischgemeinschaftgehalten<br />

hat, hat man ihm nachhaltig vorgeworfen, wie er selbst ineinem Wort <strong>zu</strong> erkennen<br />

gibt, in dem er seine <strong>Zeit</strong>genossen als Spielver<strong>der</strong>ber kritisiert: »Johannes<br />

(<strong>der</strong> Täufer) ist gekommen, ohne <strong>zu</strong> essen und <strong>zu</strong>trinken (d. h. als Asket), und<br />

man sagt: Er ist besessen. Der Menschensohn (Jesus selbst) ist gekommen, isst<br />

und trinkt, und man sagt: Seht, ein Fresser und Säufer, ein Freund <strong>von</strong> Zöllnern<br />

und Sün<strong>der</strong>n.<strong>«</strong> (Mt 11,18 f.). Diese Mahlgemeinschaft mit <strong>der</strong> Annahme<strong>der</strong>er, die<br />

als unrein und unfein galten, soll anscheinend erfahrbar machen – gewissermaßen<br />

verleiblichen –, was im Zentrum <strong>der</strong> Lehre und Verkündigung Jesu <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> HerrschaftGottes steht: Es ist die Gewissheit, Gottes Kommen stehe so nahe<br />

bevor, dass es die Gegenwart bereits heilsam berührt. Mit seiner Praxis, seinem<br />

Handeln, will Jesus etwas <strong>von</strong> <strong>der</strong> Zuwendung Gottes abspiegeln, die dann noch<br />

wirbt, wenn Menschen bereits das Handtuch werfen. Wie nahe er die erlösende<br />

Gottesherrschaftgeglaubt hat, geht am klarsten aus seiner Interpretation seines<br />

heilenden Tuns hervor, insbeson<strong>der</strong>e seiner exorzistischen Fähigkeiten: »Wenn<br />

ich mit dem Finger Gottes die Dämonen austreibe, dann ist die HerrschaftGottes<br />

(schon) <strong>zu</strong> euch gekommen<strong>«</strong> (Lk 11,20; vgl. Mt 12,28). So hat er anscheinend<br />

Kranke geheilt und mit Sün<strong>der</strong>n gegessen, um sie die Zuwendung des Himmels<br />

spüren <strong>zu</strong> lassen und sie <strong>zu</strong>r Heimkehr <strong>zu</strong>m Gott Israels <strong>zu</strong> bewegen.<br />

Nicht nur die eigenen Taten, durch die <strong>der</strong> Nazarener die Nähe <strong>der</strong> Gottesherrschaft<br />

anzeigte, gehören <strong>zu</strong> den beson<strong>der</strong>en Konturen seines Auftretens,<br />

vielmehr auch die Art und Weise, wie er im Allgemeinen <strong>von</strong> dieser Herrschaft<br />

redete, vornehmlich in <strong>der</strong> Redeform des Gleichnisses, <strong>der</strong>en er <strong>sich</strong> beson<strong>der</strong>s<br />

gern bedient hat. Ihre jesuanische Ausprägung ist vor allem durch das Moment


4. Die Aufnahme des verlorenen<br />

Sohnes 59<br />

J7dische Zug:nge auf Jesus in Geschichte und<br />

Gegenwart<br />

4.1. Der Nazarener in seinem Volk: Reflexe aus dem<br />

Neuen Testament<br />

Die ersten drei Evangelien überliefern eine bekannte Schlüsselszene. Jesus ist auf<br />

seinen Wan<strong>der</strong>ungen mit seinen Jüngern durch das Land Israel im äußersten<br />

Norden angekommen, in <strong>der</strong> Nähe<strong>der</strong> Stadt Cäsarea Philippi. Vondaanwendet<br />

er <strong>sich</strong> in Richtung Jerusalem. Doch bevor er mit den Jüngern aufbricht, fragt er<br />

sie: »Für wen halten die Menschen mich?<strong>«</strong> Die Jünger antwortendem Sinn nach:<br />

Die einen für den enthaupteten und wie<strong>der</strong>gekehrten Johannes den Täufer, an<strong>der</strong>e<br />

für den wie<strong>der</strong>gekehrten Propheten Elia, wie<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e für einen an<strong>der</strong>en<br />

<strong>der</strong> Propheten. Jesus nimmt die Antwort kommentarlos <strong>zu</strong>r Kenntnis und will<br />

mehr wissen: »Und ihr, für wen haltet ihr mich?<strong>«</strong> Darauf bekenntPetrus: »Du bist<br />

<strong>der</strong> Christus!<strong>«</strong>, <strong>der</strong> Messias 60 .<br />

Petrus, die an<strong>der</strong>en Jünger, die Menschen, nach <strong>der</strong>en Meinung Jesus fragt,<br />

all dies sind Juden seiner <strong>Zeit</strong>, und so begegnet hier auf einen Schlag gleich eine<br />

ganze Reihe <strong>von</strong> jüdischen Auffassungen Jesu. Aufs Ganze gesehen glie<strong>der</strong>n sie<br />

<strong>sich</strong> in die beiden Möglichkeiten: entwe<strong>der</strong> eine prophetische Gestalt o<strong>der</strong> <strong>aber</strong><br />

<strong>der</strong> Messias. Im Johannesevangelium fügt Nikodemus eine Variante hin<strong>zu</strong>. Ein<br />

hochrangiger Jude seiner <strong>Zeit</strong>, kommt er des Nachts <strong>zu</strong> Jesus und reiht ihn<br />

freimütig ein als »Lehrer, <strong>der</strong> <strong>von</strong> Gott gekommen ist<strong>«</strong>. Gemeinsam ist allen<br />

diesen Auffassungen, dass sie Jesus positiv würdigen, auch wenn die Ranghöhe,<br />

die ihm <strong>zu</strong>gemessen wird, unterschiedlicher Art ist.<br />

59<br />

60<br />

Zur Verwendung des Motivs vom verlorenen Sohn (Lk 15) in diesem Zusammenhang vgl.<br />

S. Ben-Chorin, Jesus im Judentum, Wuppertal 1970, 45; allerdings wird hier, an<strong>der</strong>s als<br />

bei Ben-Chorin, bewusst <strong>von</strong> »Aufnahme<strong>«</strong> statt »Heimkehr<strong>«</strong> gesprochen. Angemessener<br />

erscheint Ben-Chorins vielfach rezipierte Rede <strong>von</strong> seiner »Heimholung<strong>«</strong> (A. a. O., 7); man<br />

könnte auch <strong>von</strong> Integration sprechen.<br />

Mk 8,27–30; Lk 9,18–21; Mt 16,13–20.


60 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

Daneben präsentieren die Evangelien eine an<strong>der</strong>e Seite <strong>von</strong> Auffassungen<br />

Jesu durch seine <strong>Zeit</strong>genossen. Sie ist nicht durch mehr o<strong>der</strong> weniger große<br />

Einmütigkeit gekennzeichnet, son<strong>der</strong>n durch Konflikte. So erzählen die ersten<br />

drei Evangelien in einer Reihe<strong>von</strong> knappen Geschichten, Jesus habe in <strong>der</strong> Kraft<br />

Gottes Dämonen ausgetrieben. Dass er diese Gabe besaß, wird in den Evangelien<br />

auch <strong>von</strong> seinen Gegnern nicht bestritten. Nur bestimmen sie ihre Herkunft<br />

an<strong>der</strong>s: Er sei selber vom Teufel besessen und treibe die Dämonen in seinem<br />

Namen aus. Im Johannesevangelium ist dieser Konflikt noch einmal gesteigert,<br />

und die Verteufelungen sind wechselseitig. Die Gegner beschuldigen Jesus, er<br />

habe einen Dämon, während er ihnen entgegenhält: »Euer Vater ist <strong>der</strong> Teufel!<strong>«</strong><br />

Hier, in dem in <strong>der</strong> wechselseitigen Polemik extremenvierten Evangelium, wird<br />

Jesus dann auch einmal das Judesein abgesprochen mit dem Vorwurf, er sei ein<br />

Samaritaner.<br />

Eine konfliktvolle Perspektive auf den Nazarener überliefern die Evangelien<br />

freilich nicht nur im Blick auf seine Gegner. Vielmehr erstrecken <strong>sich</strong> die Auseinan<strong>der</strong>set<strong>zu</strong>ngen<br />

bis hinein in den Jüngerkreis. Nachdem Petrus Jesus bei<br />

Cäsarea Philippi als Messias bekannthat, gebietet <strong>der</strong> Meister ihm, <strong>zu</strong> schweigen,<br />

und klärt ihn über den wahren Wegdes Messias auf: Der Menschensohn müsse<br />

viel leiden und verworfen und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen.<br />

Trotz dieser hoffnungsvollen Aus<strong>sich</strong>tist das fürPetrus <strong>zu</strong> viel. Er beginnt Jesus<br />

<strong>zu</strong> bedrohen, mehr noch <strong>aber</strong> Jesus ihn: »Weiche hinter mich, Satan, denn du<br />

trachtest nicht nach dem, was Gottes, son<strong>der</strong>n was <strong>der</strong> Menschen ist.<strong>«</strong> Alles das,<br />

was mit diesen knappen Strichen aus dem Neuen Testament in Erinnerung gerufen<br />

worden ist, ist eine Veranschaulichung <strong>der</strong> festen Verwurzelung Jesu in<br />

seinem Volk, gerade auch bei allem Wi<strong>der</strong>streit <strong>der</strong> Meinungen. Bei keiner <strong>der</strong><br />

berührten Überlieferungen war ein Nichtjude dabei, auch wenn – in Anlehnung<br />

an den Apostel Paulus inRöm 9–11 gesagt – das Ja <strong>der</strong> einen und das Nein <strong>der</strong><br />

an<strong>der</strong>en irgendwann bewirkt haben, dass das Evangelium <strong>zu</strong> den Heiden o<strong>der</strong><br />

Völkern gelangt ist.<br />

4.2. Desinteresse an Jesus: Das jDdische Altertum<br />

Das Meiste, was wir über die <strong>Zeit</strong> Jesu wie überhaupt über die Geschichte <strong>der</strong><br />

Juden in <strong>der</strong> Antike wissen, verdanken wir Fleiß und Energie des jüdischen<br />

Historikers Josephus. Als er im letzten Drittel des 1. Jahrhun<strong>der</strong>ts seine Geschichte<br />

des jüdischen Volkes schreibt, blickt er bereits auf die Anfänge des<br />

Christentums <strong>zu</strong>rück. Inseine Schil<strong>der</strong>ung des 1. Jahrhun<strong>der</strong>ts nahm er einen<br />

Abschnitt über den dort ehrenvoll bedachten TäuferJohannes auf 61 ,desgleichen<br />

einen respektvollen Passus über Jakobus, den Bru<strong>der</strong> Jesu, <strong>der</strong> lange <strong>Zeit</strong> die<br />

61<br />

Antiquitates XVIII, 116–119.


4. Die Aufnahme des verlorenen Sohnes 61<br />

Urgemeinde in Jerusalem leitete 62 .Über Jesus <strong>von</strong> Nazaret <strong>aber</strong> hat er <strong>sich</strong> allem<br />

Anschein nach ausgeschwiegen. Was <strong>sich</strong> trotzdem findet, ist in seiner Echtheit<br />

umstritten, in<strong>der</strong> vorliegenden Form in jedem Fall ein sekundärer Text und<br />

insgesamt wohl doch eher ein späterer Nachtrag <strong>von</strong> christlicher Seite, die die<br />

Schriften des Josephus überlieferte 63 .Das, was <strong>sich</strong> bereits am Ende des 1. Jahrhun<strong>der</strong>ts<br />

bei ihm zeigt, ist mehr o<strong>der</strong> weniger charakteristisch für das gesamte<br />

jüdische Altertum. In den außerordentlich umfangreichen jüdischen Literaturwerken<br />

aus dieser <strong>Zeit</strong> findet <strong>sich</strong> mehr o<strong>der</strong> weniger eine Handvoll <strong>von</strong> Stellen,<br />

die <strong>sich</strong> – oft muss man ergänzen: vielleicht – auf Jesus beziehen. Als Nachrichten<br />

über ihn im historischenSinne sind sie ohne Bedeutung, da sie durchweg<br />

polemischer Natur sind. Greifbar werden vor allem polemische Äußerungen<br />

gegen die christliche Behauptung <strong>der</strong> Jungfrauengeburt Jesu. Sie wird durch die<br />

Gegenbehauptung entkräftet, Jesus sei unehelicher Herkunft 64 .<br />

Wenn die jüdische Überlieferung Jesus mehro<strong>der</strong>weniger totschweigt, dann<br />

kommen dafür mehrere Gründe in Betracht. Zum einen hat er für Juden keine<br />

Bedeutung, weil man die christliche Auffassung <strong>von</strong> ihm als Messias für einen<br />

Irrtum hält. Zum an<strong>der</strong>en will man die eigenen Gemeinden gegen das aufstrebende<br />

und sukzessive mächtiger werdende Christentum abschotten. Und<br />

schließlich empfiehlt es <strong>sich</strong> nicht gerade, <strong>sich</strong> im Umfeld eines solchen einflussreicher<br />

werdenden Christentums all<strong>zu</strong> polemisch gegen dessen zentrale<br />

Gestalt <strong>zu</strong>äußern.<br />

4.3. JDdische Perspektiven auf Jesus im Mittelalter<br />

Im Rahmen christlicher Geschichtsschreibung meint <strong>der</strong> Begriff »Mittelalter<strong>«</strong><br />

grob gerechnet etwa die <strong>Zeit</strong> <strong>von</strong> 500 bis 1500, <strong>von</strong> <strong>der</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ung bis <strong>zu</strong>r<br />

Reformation. Das jüdische Mittelalter erstreckt <strong>sich</strong> demgegenüber bis ins<br />

18. Jahrhun<strong>der</strong>t, mitten in die Aufklärung hinein. In diesem <strong>Zeit</strong>raum wird die<br />

jüdische Sicht Jesu <strong>zu</strong> einem nennenswerten, wenn auch nur schwermessbaren<br />

Teil durch ein Volksbuch bestimmt, dessen Spuren <strong>sich</strong> bis in das frühe Mittelalter<br />

<strong>zu</strong>rückverfolgen lassen, das sogenannte Toledot Jeschu, d. h. Ursprünge,<br />

Herkunft o<strong>der</strong> Geschichte Jesu 65 .Esknüpft andie früher erwähnten Einzel-<br />

62<br />

63<br />

64<br />

65<br />

Antiquitates XX, 200–202.<br />

Das sog. Testimonium Flavianum, Antiquitates XVIII, 63–64. Siehe hier<strong>zu</strong> und <strong>zu</strong>m<br />

Folgenden J. Maier, Jesus <strong>von</strong> Nazareth in <strong>der</strong> talmudischen Überlieferung, Darmstadt<br />

1978.<br />

Zur talmudischen Polemik vgl. auch P. Schäfer, Jesus im Talmud, Tübingen 2007.<br />

Siehe S. Krauss, Leben Jesu nach jüdischen Quellen, Berlin 1902; G. Schlichting, Ein<br />

jüdisches Leben Jesu. Die verschollene Toledot-Jeschu-Fassung Tamu-mucad. Einleitung,<br />

Text, Überset<strong>zu</strong>ng, Kommentar, Motivsynopse, Bibliographie, Tübingen 1982; Toledot


62 I. Jesus und seine Welt, die Evangelien und das Echo in seinem Volk<br />

überlieferungen über die vermeintlich uneheliche Herkunft Jesu an, malt sie<br />

erzählerisch aus und ergänzt sieumweitere Elemente.Insgesamt stellt die kleine<br />

Schrift eine Art Anti-Evangelium dar, in dem Jesus durchweg unter negativem<br />

Vorzeichen gedeutet wird: Er sei nicht durchden Heiligen Geist geboren, son<strong>der</strong>n<br />

im Geist <strong>der</strong> Unreinheit, habe seine – auch in diesem Volksbuch nicht bestrittenen<br />

– Wun<strong>der</strong> nicht in <strong>der</strong> KraftGottes vollbracht, son<strong>der</strong>n in <strong>der</strong> Kraftfrem<strong>der</strong><br />

Mächte, d. h. durch Zauberei mit dem unrechtmäßig angeeigneten göttlichen<br />

Namen usw. So erscheint Jesus als Irrlehrer, <strong>der</strong> seine Jünger <strong>zu</strong>m Abfall verführt<br />

habe und <strong>der</strong> am häufigsten mit dem Beinamen »Tola<strong>«</strong> bzw. »Talui<strong>«</strong> bezeichnet<br />

wird, d. h. – nach seinem schmählichen Kreuzestod – als »Gehängter<strong>«</strong> (vgl. 5.<br />

Mose 21,23; Gal 3,13). Wenn man dies als Christ liest und mehr o<strong>der</strong> weniger<br />

ernst nimmt, ist es ohne Frage schmerzlich. Nur wird man im selben Atem<strong>zu</strong>g <strong>zu</strong><br />

bedenken haben, dass <strong>sich</strong> in diesem Bild Jesu <strong>zu</strong> einem beträchtlichen Teil indirekt<br />

das wi<strong>der</strong>spiegelt, was Christen Juden im Mittelalter in langen Jahrhun<strong>der</strong>ten<br />

an Verleumdung, Raub, Mord und Totschlag, an Vertreibungen,<br />

Zwangsbekehrungen, Zwangstaufen, Verbrennung und ähnlichem schreiendem<br />

Unrecht angetan haben. Wie hätten sie an<strong>der</strong>s über ihn denken sollen, den sie<br />

durch Kirche und christliche Gesellschaft imMittelalter immer wie<strong>der</strong> nicht als<br />

Herrn des Lebens, son<strong>der</strong>n des Todes erfuhren? Dennoch bezeichnet jenes<br />

Volksbuch »Toledot Jeschu<strong>«</strong> nur eine Linie jüdischer Auffassungen Jesu. Eine ganz<br />

an<strong>der</strong>e ist bei dem mittelalterlichen Religionsphilosophen und Arzt Moses<br />

Maimonides (1135–1204) überliefert, <strong>der</strong> die meiste <strong>Zeit</strong> seines Lebens in<br />

Ägypten wirkte. Er versteht Christentum und Islam (und mit ihnen Jesus und<br />

Mohammed), <strong>zu</strong>mindest in einer Phase seines Wirkens, als Bewegungen, die mit<br />

<strong>der</strong> Verbreitung <strong>der</strong> Bibel unddes göttlichen Gesetzes den Wegfür den erst noch<br />

kommenden Messias bereiten 66 .<br />

Man könnte weitere Spuren verfolgen, die <strong>sich</strong> zwischen diesen beiden Polen<br />

bewegen, wie sie durch jenes Volksbuch einerseits, Maimonides an<strong>der</strong>erseits<br />

dargestelltwerden.Das Bild würde dann noch differenzierter ausfallen, indem es<br />

durch argumentierende polemische Literatur bereichert würde. Mit solcher polemischen<br />

Literatur haben <strong>sich</strong> Juden gegen Christen und Kirche und ihren<br />

Wahrheitsanspruch <strong>zu</strong>r Wehr gesetzt. Sie lenkten den Blick ihrer christlichen<br />

Kontrahenten auf ihr jüdisches Erbe in den Schriften des Neuen Testaments und<br />

kritisierten <strong>von</strong> dorther die weitere dogmatische Entwicklung in<strong>der</strong> Kirche<br />

(Trinität, Inkarnation usw.). Hier ist also in einer gewissen Verfremdung ein<br />

Stück Gespräch o<strong>der</strong> Disput erkennbar, in dem <strong>von</strong> jüdischer Seite aus jüdischen<br />

66<br />

Yeshu: The Life Story of Jesus. Two Volumes and Database. Volume I: Introduction and<br />

Translation, hg. u. übers. v. M. Meerson u. P. Schäfer, Tübingen 2014.<br />

Mischne Tora, Hilchot Melachim 11,4.


4. Die Aufnahme des verlorenen Sohnes 63<br />

Elementen<strong>der</strong> christlichen Überlieferung nachgegangen worden ist. Aber das ist<br />

hier nur an<strong>zu</strong>deuten 67 .<br />

4.4. JDdisches Fragen nach Jesus seit <strong>der</strong> AufklErung<br />

Der Zugang auf Jesus jüdischerseits, wie er insbeson<strong>der</strong>e für liberale jüdische<br />

Kreise kennzeichnend ist, beginnt mit einem vertraulichen christlich-jüdischen<br />

Gespräch in den sechziger Jahren des 18. Jahrhun<strong>der</strong>ts. Darin äußerte <strong>sich</strong> <strong>der</strong><br />

Berliner Aufklärer Moses Mendelssohn nach langem Zögern vor seinem christlichen<br />

Besucher, dem Schweizer Theologen Johann Caspar Lavater, mit Hochachtung<br />

über den Nazarener, wenn er seine Wertschät<strong>zu</strong>ng auch mit <strong>der</strong> Einschränkung<br />

verband, sofern Jesus »nichts mehr als ein tugendhafter Mann<strong>«</strong> habe<br />

sein wollen 68 .Diese Äußerung mag Christen zwar vergleichsweise blass erscheinen.<br />

Das dürfte <strong>sich</strong> jedoch än<strong>der</strong>n, sobald man als geschichtlichen Hintergrund<br />

den angedeuteten Tatbestand einbezieht, dass jüdisches Jesusverständnis<br />

über lange Jahrhun<strong>der</strong>te hin durch die SchriftToledot Jeschu bestimmt<br />

war. Zu einem an<strong>der</strong>en Verständnis Jesu, wie es <strong>sich</strong> bei Mendelssohn andeutet,<br />

vermochte man nur <strong>zu</strong>kommen, wenn man <strong>sich</strong> <strong>von</strong> dem Jesusbild dieses<br />

Volksbuches getrennt hatte, und so findet <strong>sich</strong> denn auch bei dem Berliner<br />

Aufklärer in demselben Zusammenhang die dezidierte Stellungnahme: »Das<br />

Toledoth Gischu [= Jeschu] ist eine Mißgeburt aus den <strong>Zeit</strong>en <strong>der</strong> Legenden und<br />

ihrer würdig, wird auch <strong>von</strong> meinen Mitbrü<strong>der</strong>n dafür erkannt<strong>«</strong> 69 .Essollte <strong>zu</strong><br />

denken geben, dass die neue Einstellung <strong>zu</strong> Jesus jüdischerseits kein Resultat<br />

kirchlichen Lebens, son<strong>der</strong>n gerade <strong>der</strong> Aufklärung, also außerhalb des kirchlichen<br />

Ein<strong>zu</strong>gsbereichs aufgekeimt ist. Doch halten wir vor allem den Ausgangspunkt<br />

fest, <strong>von</strong> dem jüdisches Ringen um einen neuen Zugang <strong>zu</strong> Jesus<br />

bestimmt ist. Die Schicht, die man jüdischerseits <strong>zu</strong> durchstoßen hat, um den<br />

Nazarener neu in den Blick <strong>zu</strong> fassen, ist eben jenes jahrhun<strong>der</strong>telange und in<br />

bestimmtem Sinn durchaus begründete Verständnis Jesu als eines Abtrünnigen<br />

und Irrlehrers, eines Feindes und nicht eines Freundes des jüdischen Volkes.<br />

Mit <strong>der</strong> Äußerung Moses Mendelssohns glimmt bereits im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

für einen Moment auf, was auf jüdischerSeite dann im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t <strong>zu</strong> einer<br />

ersten thematischen Entfaltung kommt. Etwa <strong>zu</strong>r selben <strong>Zeit</strong>, d. h. im 18. Jahrhun<strong>der</strong>t,<br />

beginnt auch im Bereich des Christentums ein neuesFragen nach dem<br />

Nazarener. Die aufklärerische<strong>Zeit</strong>genossenschaftbei<strong>der</strong> Seiten kommt vor allem<br />

67<br />

68<br />

69<br />

Siehe da<strong>zu</strong> H. Trautner-Kromann, Shield and Sword. Jewish Polemics against Christianity<br />

and the Christians in France and Spain from 1100–1500, Tübingen 1993<br />

Moses Mendelssohn’s gesammelte Schriften III, Leipzig 1843, Ndr. Hildesheim 1972,<br />

105.<br />

A.a. O., 103.


II. StreifzDge durch das<br />

Neue Testament,<br />

beginnend imAlten


1. »Am Anfang war ...<strong>«</strong><br />

Biblisch-j7dische und biblisch-christliche<br />

Schçpfungsgewissheit<br />

1.1. Zur Frage nach dem Anfang<br />

»Am Anfang war …<strong>«</strong> o<strong>der</strong> auch nur »Am Anfang …<strong>«</strong> – selbst wer unter den<br />

<strong>Zeit</strong>genossen nicht täglich mit <strong>der</strong> Bibel umgeht, dürfte mit dieser Wendung<br />

alsbald zwei Bibelstellen assoziieren, die <strong>sich</strong> wie <strong>von</strong> selbst aufdrängen: den<br />

Anfang <strong>der</strong> Bibel überhaupt mit ihrem Auftakt »Am Anfang schuf Gott Himmel<br />

und Erde<strong>«</strong> und den Anfang des Evangeliums nach Johannes mit seinem nicht<br />

weniger gewichtigen: »Am Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und<br />

<strong>von</strong> Gottes Art war das Wort – dieses war am Anfang bei Gott.<strong>«</strong> Beide Male wird<br />

ganz am Anfang des Werkes auf den Anfang überhaupt reflektiert; und nicht nur<br />

nimmt dabei Joh 1auf Gen 1Be<strong>zu</strong>g – im Griechischen heißt esjeweils gleichlautend<br />

en archê –, vielmehr hat dieser Auftakt Schule gemacht bis weit ins<br />

Säkulare hinein.<br />

»Im Anfang war das Gewürz<strong>«</strong>, beginnt Stefan Zweig seine meisterliche Biographie<br />

des Weltumseglers Magellan und benennt damit aufs treffendste den<br />

treibenden Motor und das Ziel <strong>der</strong> intensiven Suche nach einem Seeweg nach<br />

Indien in westlicher RichtungamBeginn des 15. Jahrhun<strong>der</strong>ts 151 .Mit <strong>der</strong> Formel<br />

»Im Anfang war die Beziehung<strong>«</strong> bringt Martin Buber 1923 die Grundlage seines<br />

»dialogischen Prinzips<strong>«</strong> auf den Begriff 152 .Und mit dem mehrakademischen Titel<br />

»Am Anfang war Erziehung<strong>«</strong> hat Alice Miller die Neugier auf ihre Psychoanalyse<br />

<strong>der</strong> Kindheit <strong>zu</strong> wecken gesucht 153 .<br />

In erfrischen<strong>der</strong> Unmittelbarkeit ist demgegenüber Vaclav Havel <strong>zu</strong>m alten<br />

Johannes <strong>zu</strong>rückgekehrt, indem ereinem Essayband den Titel »Am Anfang war<br />

das Wort<strong>«</strong> gab und in <strong>der</strong> dort aufgenommenen Rede anlässlich <strong>der</strong> Verleihung<br />

des Friedenspreises des deutschen Buchhandels 1989 den Logos als Fundament<br />

151<br />

152<br />

153<br />

S. Zweig, Magellan. Der Mann und seine Tat (1938), Frankfurt a. M. 2022, 13.<br />

M. Buber, Das dialogische Prinzip (1923), München 10 2006, 22.<br />

A. Miller, Am Anfang war Erziehung, Frankfurt a. M. 1980.


92 II. Streifz7ge durch das Neue Testament, beginnend im Alten<br />

<strong>der</strong> condition humaine entfaltete 154 .Erentschied <strong>sich</strong> damit provozierend an<strong>der</strong>s<br />

als jener Meister des Wortes, dem wir die wohl bekannteste Reflexion auf Joh 1,1<br />

verdanken. So sehnt <strong>sich</strong> Faust im ersten Teil <strong>von</strong> Goethes Werk nach Offenbarung,<br />

»die nirgends würdiger und schöner brennt als in dem Neuen Testament<strong>«</strong>.<br />

Und nachdem er deshalb Johannes aufgeschlagen hat, um ihn ins »geliebte<br />

Deutsch<strong>«</strong> <strong>zu</strong> übersetzen, heißt es im Selbstgespräch:<br />

»Geschrieben steht: ›Im Anfang war das Wort!‹ Hier stock‹ ich schon! Werhilft mir<br />

weiter fort? Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen, Ich muß es an<strong>der</strong>s<br />

übersetzen, Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin. Geschrieben steht: Im Anfang<br />

war <strong>der</strong> Sinn. Bedenke wohl die erste Zeile, Daß deine Fe<strong>der</strong> <strong>sich</strong> nicht übereile. Ist es<br />

<strong>der</strong> Sinn, <strong>der</strong> alles wirkt und schafft? Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft! Doch,<br />

auch indem ich dieses nie<strong>der</strong>schreibe, Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht<br />

bleibe. Mir hilft<strong>der</strong> Geist! Auf einmal seh’ ich Rat Und schreibe getrost: Im Anfang war<br />

die Tat!<strong>«</strong> 155<br />

Diese Überset<strong>zu</strong>ng ist keineswegs so rasch <strong>von</strong> <strong>der</strong> Hand <strong>zu</strong> weisen, wie man im<br />

Gefolge <strong>der</strong> paulinisch-lutherischen Rechtfertigungslehre an<strong>zu</strong>nehmen geneigt<br />

sein könnte, doch soll die Aufmerksamkeit für einen Moment noch einmal <strong>der</strong><br />

Zeile gelten: »Ist es <strong>der</strong> Sinn, <strong>der</strong> alles wirkt undschafft?<strong>«</strong>Denn treffen<strong>der</strong> als hier<br />

lässt <strong>sich</strong> schwerlich umschreiben, wonach <strong>der</strong> fragt und worauf <strong>der</strong> hinauswill,<br />

<strong>der</strong> den Anfang ergründet. Werihn <strong>zu</strong> bestimmen sucht, hat mehr im Sinn als<br />

einen <strong>Zeit</strong>punkt – er will das Prinzip erfassen, das die Welt im Innersten <strong>zu</strong>sammenhält<br />

und auch <strong>zu</strong>sammenhalten soll. Eben deshalbentschließt <strong>sich</strong> Faust<br />

<strong>zu</strong>m Schluss für die Überset<strong>zu</strong>ng <strong>von</strong> logos mit »Tat<strong>«</strong> – »Ich kann das Wort so hoch<br />

unmöglich schätzen!<strong>«</strong><br />

Ehe wir uns unmittelbar Joh 1und <strong>zu</strong>vor Gen 1und verwandten Zusammenhängen<br />

<strong>zu</strong>wenden, ist ein weiterer Bereich <strong>zu</strong>mindest <strong>zu</strong> berühren, <strong>der</strong><br />

desgleichen <strong>zu</strong> den bekannten Beispielen dafür gehört, dass die Frage nach <strong>der</strong><br />

archê konstitutives Element nahe<strong>zu</strong> je<strong>der</strong> Art des Ringens um eine begründete<br />

Weltauffassung ist. Etwa <strong>zu</strong>r selben <strong>Zeit</strong>, da Priesterkreise in Jerusalem Gen 1<strong>zu</strong><br />

Papier bringen, ringen an <strong>der</strong> Westküste Kleinasiens die ersten griechischen<br />

Philosophen auf ihre Weise um denselben Gegenstand wie die Schöpfungsge-<br />

154<br />

155<br />

V. Havel, Am Anfang war das Wort, Reinbek 1990. Diese Rückkehr erscheint umso<br />

klären<strong>der</strong>, als es <strong>der</strong>zeit einen gerade<strong>zu</strong> inflationären Gebrauch <strong>der</strong> Wendung gibt – bis<br />

hin <strong>zu</strong> Filmtitel (»Am Anfang war das Feuer<strong>«</strong> /Jean Jacques Annaud) und Titelblatt einer<br />

Studieninformation (»Am Anfang war <strong>der</strong> Apfel<strong>«</strong> /Fb6<strong>der</strong> Hochschule <strong>der</strong> Künste<br />

Berlin).<br />

Goethes Sämmtliche Werke, Bd. 5, 1881, 30 f.


1. »Am Anfang war ...<strong>«</strong> 93<br />

schichte, um die Frage »nach dem Woher, dem Ursprung aller Dinge<strong>«</strong> 156 und in<br />

diesem Sinne nach <strong>der</strong> archê des Kosmos 157 .Von dieser Frage geleitet, suchen sie<br />

nach dem Bleibenden, Beständigen hinter <strong>der</strong> Vielfalt, wie sie den Sinnen begegnet,und<br />

trachten denkend»in <strong>der</strong> Beschaffenheit <strong>der</strong> Wirklichkeit selbst den<br />

Schlüssel <strong>zu</strong> finden, <strong>der</strong> das Geheimnis ihrer verborgenenStruktur erschließt<strong>«</strong> 158 .<br />

Nach Aristoteles kennzeichnet spätereben diese Frage nach <strong>der</strong> archê,nach dem,<br />

»woraus alles Seiende entsteht und wohinein es wie<strong>der</strong> vergeht<strong>«</strong>, überhaupt die<br />

Arbeit des Philosophen 159 .Die Antworten <strong>der</strong> Vorsokratiker können hier auf <strong>sich</strong><br />

beruhen bleiben. Nur scheint erinnernswert, dass sie dem Stofflich-Geistigen<br />

o<strong>der</strong> Stofflich-Lebendigen, das sie als archê bestimmen, auch den Titel »Gott<strong>«</strong> o<strong>der</strong><br />

»das Göttliche<strong>«</strong> beilegen 160 .<br />

Alles Angedeutete lässt <strong>sich</strong> vielleicht nicht besser bündeln als mit einigen<br />

Sätzen des Paläontologen G. Siegmund, dessen Fach per definitionem auf die<br />

Frage nach dem Anfang abonniert ist: »Die Frage nach dem ›Anfang‹ gehört <strong>zu</strong><br />

den Urfragen des Menschen. Bezeichnen<strong>der</strong>weise stellen dieältesten Mythen <strong>der</strong><br />

Menschheit <strong>zu</strong>m großen Teil Versuche einer Beantwortung <strong>der</strong> Frage nach dem<br />

Ursprung des Menschen dar; sie handeln vom Stamm-Vater, dem Ur-Heros, <strong>von</strong><br />

dem <strong>sich</strong> alle Mitglie<strong>der</strong> eines Stammes herleiten und mit dem sie <strong>sich</strong> irgendwie<br />

identifizieren. Vorallen an<strong>der</strong>en Fragen eignet <strong>der</strong> Frage nach dem Ersten, dem<br />

Anfang, ein beson<strong>der</strong>es Gewicht.Denn sie fragt nicht nur nach dem <strong>Zeit</strong>punkt wie<br />

den Umständen des Geschehens; sie schließt vielmehr die beson<strong>der</strong>e Frage nach<br />

dem ›Ur‹-Zustand des Gefragten in <strong>sich</strong>. Beim Fragen nach dem ›Ur-Sprung‹ wird<br />

erwartet, dass <strong>von</strong> <strong>der</strong> Eigenart des Entstehens Licht auf das Entstandene selbst<br />

fällt; seine ›Ur‹-Wesenheit, d. h. sein Wesen in ursprünglicher Reinheit ohne<br />

nachträgliche Überwachsungen und Entstellungen, <strong>zu</strong>gleich seine Bedeutung<br />

wird – so hofft man – dabei mit erfasst 161 .<br />

156<br />

157<br />

158<br />

159<br />

160<br />

161<br />

W. Jaeger, Die Theologie <strong>der</strong> frühen griechischen Denker (1953), Ndr. Stuttgart 2009, 35.<br />

Vgl. <strong>zu</strong>r Sache auch W.K. Guthrie, Die griechischen Philosophen (engl. 1950), Göttingen<br />

2 1960, 19 ff.<br />

Als erster hat anscheinend Anaximan<strong>der</strong> das Wort archê in diesem Sinne gebraucht.<br />

Siehe den Nachweis <strong>von</strong> Jaeger, Theologie, 35 ff.<br />

A.a. O., 34.<br />

Metaphysik A3,983b, 6ff. Vgl. H. Diels, Die Fragmente <strong>der</strong> Vorsokratiker, Reinbek 1957,<br />

10.<br />

Vgl. Jaeger, Theologie [o. Anm. 156], 36.45.196 f.<br />

G. Siegmund, Der Glaube des Urmenschen, Bern /München 1962, 5.


94 II. Streifz7ge durch das Neue Testament, beginnend im Alten<br />

1.2. Die Schçpfungsgeschichte und ihr Anfang<br />

»Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.<strong>«</strong> Zu diesem ersten Satz <strong>der</strong> Schöpfungsgeschichte<br />

steht die Fortset<strong>zu</strong>ng in erheblicher Spannung. Denn im Unterschied<br />

<strong>zu</strong>m allerersten Satz wird <strong>von</strong> <strong>der</strong> Erschaffung <strong>von</strong> Himmel und Erde<br />

strenggenommen nicht »Am Anfang<strong>«</strong> gesprochen, son<strong>der</strong>n erst am zweiten und<br />

dritten Tag. Voran geht die Scheidung <strong>von</strong> Licht und Finsternis und ihre Benennung<br />

als Tagund Nacht. Diese Spannung ist beson<strong>der</strong>s aufschlussreich, wenn<br />

man jene kurzen Sätze hin<strong>zu</strong>nimmt, die zwischen dem allerersten Satz und<br />

denen über die Erschaffung des Lichts am ersten Tagstehen: »Und die Erde war<br />

Tohuwabohu und Finsternis über <strong>der</strong> Urflut, und <strong>der</strong> Geist Gottesschwebte über<br />

den Wassern<strong>«</strong> (1,2). Wenn denn Himmel und Erde erst am zweiten und dritten Tag<br />

erschaffen werden, hätten die Erzähler <strong>der</strong> Schöpfungsgeschichte dann nicht<br />

tatsächlich anfangen müssen: »Am Anfang war die Erde Tohuwabohu und<br />

Finsternis […]<strong>«</strong>? Die bisherigen Beispiele <strong>zu</strong>r Bedeutung des Anfangs helfen erkennen,<br />

warum die Erzähler logisch vielleicht hätten so anfangen müssen, <strong>aber</strong><br />

es theologisch in keinem Fall gekonnt und gewollt haben. Die Verbindung des<br />

Anfangs mit »Chaos, Abgrund, Öde und Leere<strong>«</strong> hätte diesen Kennzeichnungen<br />

<strong>der</strong> Welt <strong>zu</strong> Beginn <strong>der</strong> Schöpfung einen uneinholbaren Vorsprung gegebenund<br />

das Gegenteil bewirkt <strong>von</strong> dem, was die Erzählung will: einprägen, dass das<br />

Allererste, was in <strong>der</strong> Schrift über diese unsere Welt <strong>zu</strong> sagen ist, lautet: »Am<br />

Anfang schuf Gott […]<strong>«</strong>. Das ist ihre Signatur, nicht <strong>aber</strong> Abgrund, Öde, Leere.<br />

Dies <strong>zu</strong> sagen ist für die Erzähler <strong>von</strong> solchem Gewicht, dass sie die nun beobachtbare<br />

Spannung in Kauf nehmen, dass Gen 1mit <strong>der</strong> Erwähnung <strong>der</strong> Erschaffung<br />

<strong>von</strong> Himmel und Erde beginnt, obwohl tatsächlich die betreffenden<br />

Schöpfungsakte selber erst am zweiten und dritten Tag folgen. Damit wird <strong>der</strong><br />

erste Satz <strong>der</strong> Bibel in seinem vollen theologischen Gewicht kenntlich. Er ist eine<br />

umgreifende Glaubens- o<strong>der</strong> Vertrauensaussage: Was die Welt, die Schöpfung,<br />

<strong>von</strong> ihrem Beginn her kennzeichnet, ist das Schaffen Gottes. Man kann hierin ein<br />

ganzes »Evangelium<strong>«</strong> im wörtlichen Sinne, gute Kunde, finden. Jemand bekennt<br />

sein Vertrauen, das er in <strong>der</strong> Welt, in <strong>der</strong> er lebt, gefunden hat, und indem er es<br />

bekennt, ermutigt er an<strong>der</strong>e <strong>zu</strong>m Zutrauen ange<strong>sich</strong>ts dessen, dass gilt: »Am<br />

Anfang schuf Gott […]<strong>«</strong>. Werfein hinhört auf dies bereschit, en archê, <strong>der</strong> wird<br />

bereits hier vernehmen, dass den Menschen alles aufgetragen sein mag, nurnicht<br />

die Zerstörung <strong>der</strong> Schöpfung.Wer sie betreibt, stellt <strong>sich</strong> vielmehr nach Ausweis<br />

<strong>von</strong> Gen 1auf die Seite jener Mächte, die durch die Schöpfung überholt werden.<br />

So ist ein »Nach uns die Sintflut<strong>«</strong> allein schon durchdas kleine Sätzchen Gen 1,1<br />

ausgeschlossen. Und ebenso lässt <strong>sich</strong> vielleichtbereits hier erahnen, dass dort,<br />

wo die Schöpfung <strong>sich</strong> aus<strong>sich</strong>tslos in <strong>sich</strong> selbstverschlossen hat unddennoch


1. »Am Anfang war ...<strong>«</strong> 95<br />

nicht fahren gelassenwird, biblisch alles auf einen neuen Anfang drängt – sei es<br />

in Gestalt <strong>von</strong> Wie<strong>der</strong>geburt, sei es in Gestalt <strong>von</strong> Neuschöpfung 162 .<br />

Greifen wir für einen Moment noch einmal Martin Bubers Definition auf: »Im<br />

Anfang war die Beziehung.<strong>«</strong> Obwohl in Gen 1,1 noch nicht die Erschaffung des<br />

Menschen erwähntwird, vermag diese Definition doch ein Stück weit <strong>zu</strong> helfen,<br />

eine wesentliche Struktur <strong>von</strong> Gen 1im Unterschied etwa <strong>zu</strong>m Ringen umdie<br />

archê bei den Vorsokratikern <strong>zu</strong> erfassen. Während bei diesen archê und Gott<br />

identisch sind und aus dieser Einheit die Welt erklärt wird, ist archê nach Gen 1<br />

sachlich qualifizierter <strong>Zeit</strong>punkt des Handelns Gottes, <strong>der</strong> durchdies Handeln die<br />

Beziehung Schöpfer-Schöpfung stiftet. Die archê setzt mit dem Schaffen Gottes<br />

ein, so dass <strong>sich</strong> Bubers Satz ergänzen lässt: Am Anfang war die durch das<br />

Schaffen Gottes begründete Beziehung des Schöpfers <strong>zu</strong>r Schöpfung.<br />

Wirkönnen <strong>von</strong> hier aus eine weitere, <strong>zu</strong>r Erkenntnis <strong>der</strong> Eigenart <strong>von</strong> Joh 1<br />

wichtige Beobachtung anschließen. Gen 1beginnt mit einem Tätigkeitsverb:<br />

bereschit bara / en archê epoiêsen – erinnert sei an Fausts befreienden Ausruf:<br />

»Am Anfang war die Tat!<strong>«</strong> Joh 1weicht hier<strong>von</strong> ab. Statt einer Form des Tätigkeitsverbs<br />

»schaffen<strong>«</strong> haben wir eine solche des Hilfsverbs »sein<strong>«</strong>: en archê ên ho<br />

logos – »Am Anfang war das Wort<strong>«</strong>. Die Aussage ist damit statischer gefasst, das<br />

zeitliche Moment in archê tritt stärker <strong>zu</strong>rück. Erst nachdem <strong>der</strong> Verfasser <strong>von</strong><br />

Joh 1inden ersten beiden Versen insgesamt vier Seinsaussagen formuliert hat,<br />

wechselt er im dritten Vers <strong>zu</strong> Geschehens- bzw. Schöpfungsaussagenimengeren<br />

Sinne über.<br />

Schließlich eine letzte, wie<strong>der</strong>um eng anschließende Beobachtung. Zwar ist<br />

in Gen 1gleich <strong>zu</strong> Beginn <strong>von</strong> einem Tun Gottes die Rede. Dies Handeln o<strong>der</strong><br />

Agieren ist jedoch in <strong>der</strong> Schöpfungsgeschichte ganz wesentlich als schaffendes<br />

Reden o<strong>der</strong> Sprechen expliziert. Es ist als schaffendes Befehlen dargestellt,<br />

übereinstimmend mit dem geläufigen Stichwort <strong>von</strong> <strong>der</strong> Schöpfung durch das<br />

Wort. Das schöpferische Reden Gottesbildet jeweils den Auftakt, abgelöst durch<br />

Aussagen, die Tunund benennen <strong>zu</strong>m Inhalt haben. Wenn Gottesschöpferisches<br />

Wirken als effektives Reden dargestellt ist, so kommt darin <strong>zu</strong>gleich eine<br />

Hochschät<strong>zu</strong>ng des Menschen als eines mit Sprache <strong>begab</strong>ten Wesens <strong>zu</strong>r Geltung.<br />

Gott erschafftdie Welt durch das Wort und handelt mit <strong>der</strong> Welt durchsein<br />

Wort, das allen Teilen <strong>der</strong> Schöpfung gilt, <strong>aber</strong> in beson<strong>der</strong>er Weise Anrede an den<br />

sprach<strong>begab</strong>ten Menschen ist. In diesem Sinne ist die Schöpfungsgeschichte<br />

dankerfüllte Antwort <strong>der</strong> angeredeten menschlichen Geschöpfe – erinnert sei<br />

noch einmal an das anfangs hervorgehobene Motiv des Vertrauens, durch das die<br />

Schöpfungsgeschichte insgesamt bestimmt ist.<br />

162<br />

Der vorangehende Abschnitt über den Anfang <strong>der</strong> Schöpfungsgeschichte in Anlehnung<br />

an meinen Beitrag: Mann und Frau in Schöpfung und Neuschöpfung, in: P. <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Osten</strong>-<br />

<strong>Sacken</strong>, Anstöße aus <strong>der</strong> Schrift. Arbeiten für Pfarrer und Gemeinden, Neukirchen-Vluyn<br />

1981, 33–42, bes. 35.


2. Der Teufel als Schriftgelehrter<br />

Die Versuchung Jesu in den Evangelien<br />

2.1. Text und Literatur<br />

Ein erstes Mal steht für den Erwählten alles auf dem Spiel: Der, <strong>der</strong> gerade getauft,<br />

als Gottessohn beglaubigt und mit dem Geist aus <strong>der</strong> Höhe <strong>begab</strong>t worden<br />

ist, wird <strong>von</strong> eben diesem Geist in die Wüste geführt und dort vom Teufel auf die<br />

Probe gestellt 192 .Markus, <strong>der</strong> älteste Evangelist, begnügt <strong>sich</strong> mit <strong>der</strong> purenNotiz<br />

über die Versuchung Jesu durch den Satan und ihre Dauer <strong>von</strong> 40 Tagen 193 .Nach<br />

wenigen Wendungenschließt er den kurzen Passusbereits mit den Worten:»Und<br />

er war mit den Tieren, und die Engel dienten ihm<strong>«</strong> (Mk 1,13). Mit diesen verhaltenen<br />

Hinweisen auf die Gefährdung des Versuchten undauf das bewahrende<br />

Geleit aus <strong>der</strong> Himmelswelt ist es bereits getan.<br />

Dort, wo Markus am Ziel ist, setzen Matthäus und Lukas überhaupt erst<br />

richtig ein, indem bei ihnen jene Versuchung Jesu folgt, an die vor allem man<br />

denkt, wenn dieses Stichwort fällt (Mt 4,1–11 /Lk4,1–13). Beide Evangelisten<br />

haben <strong>sich</strong> bei ihrer Gestaltung <strong>der</strong> Episode eineÜberlieferung <strong>zu</strong>nutze gemacht,<br />

die sie in<strong>der</strong> zweiten Quelle vorfanden, die sie über Markus hinaus gemeinsam<br />

haben. Bereits dort erzählte die Geschichte nicht nur stilgemäß <strong>von</strong> <strong>der</strong> anfänglichen,<br />

exemplarischen Bewährung, gleichsam vom Härtetest des Gottessohnes<br />

am Beginn seines Weges nach seiner Taufe. Vielmehr war dort auch<br />

bereits ihre Hintergründigkeit angelegt. Matthäus und Lukas haben sie ungehin<strong>der</strong>t<br />

<strong>zu</strong>r Geltung kommen lassen, indem sie den vorgefundenen Stoff ungekürzt<br />

aufgenommenhaben, jedoch nicht ohne ihm jeweils ihren eigenen Stempel<br />

auf<strong>zu</strong>drücken.<br />

Die 40 Tage erscheinen bei beiden als Fastenzeit, nach <strong>der</strong>en Abschluss Jesus<br />

hungert. Hier wie da ist mit dieser Feststellung das Stichwort für das Auftreten<br />

des wi<strong>der</strong>göttlichen Versuchers gegeben. Die Konfrontation zwischen ihm und<br />

192<br />

193<br />

Siehe Mk 1,12–13a.<br />

Siehe Mk 1,13b.


108 II. Streifz7ge durch das Neue Testament, beginnend im Alten<br />

Jesus wird in drei Szenen entfaltet 194 .InÜbereinstimmungmit <strong>der</strong> Anknüpfung<br />

an das Hungermotiv ist die erste Szene bei beiden die gleiche. Die zweite und<br />

dritte hingegen – auf dem Tempel in Jerusalem und auf dem alles überragenden<br />

Berggipfel, so nach Matthäus – erscheinen bei beiden in umgekehrter Folge. Bei<br />

Lukas ist Jesus am Ende nichtauf dem Berg, son<strong>der</strong>n in Jerusalem, nicht auf dem<br />

Gipfel, son<strong>der</strong>n im Zentrum <strong>der</strong> Welt. Formal werden die Einheiten außer durch<br />

ihre Dreizahl durch ihre bemerkenswerte biblische Prägung <strong>zu</strong>sammengeschlossen.<br />

Sie wimmeln gerade<strong>zu</strong> <strong>von</strong> Schriftzitaten, überwiegend aus Dtn<br />

6–8, mit denen Jesus und partiell auch sein diabolischer Antipode ihre Auseinan<strong>der</strong>set<strong>zu</strong>ng<br />

führen. In <strong>der</strong> Bibelkenntnis stehen <strong>sich</strong> beide kaum nach,nur<br />

ihre Hermeneutik ist an<strong>der</strong>s.<br />

In <strong>der</strong> Regel bezeichnet man die drei mit Bibelworten bestrittenen Einheiten<br />

etwas unterkühlt als Streitgespräch 195 ;ange<strong>sich</strong>ts ihres Rahmens und ihrer<br />

Dynamik erscheinen sie eher als Streitszenen einer aufs Wesentliche konzentrierten<br />

Geschichte 196 .Sie sind in diesem Sinne Ausdruck eines Kampfes, <strong>der</strong><br />

seine Fortset<strong>zu</strong>ng – gewissermaßen auf untergeordneter teuflischer Ebene – in<br />

den Dämonenaustreibungen Jesu findet 197 . Allerdings wirft die traditionelle<br />

Charakteristik als Streitgespräch Licht auf die Entstehung dieser Geschichte, die<br />

man – im Unterschied <strong>zu</strong> älteren Auffassungen – wohl doch als erfunden bezeichnen<br />

muss 198 ,ohne dass sie darum weniger wahr wäre 199 .Sie basiert auf<br />

gediegener Schriftgelehrsamkeit, die in <strong>der</strong> Tiefe des Glaubens Israels wurzelt<br />

und diesem Glauben unter unverwechselbarem Vorzeichen nachhaltig Ausdruck<br />

verschafft.<br />

194<br />

195<br />

196<br />

197<br />

198<br />

199<br />

Mt 4,3 f.5–7.8–10 /Lk4,3f.5–8.9–12.<br />

Siehe exemplarisch R. Bultmann, Die Geschichte <strong>der</strong> synoptischen Tradition, Göttingen<br />

4 1958, mit Ergän<strong>zu</strong>ngsheft <strong>von</strong> G. Theißen u. P. Vielhauer 5 1979, 274 f.<br />

Vgl. auch die Charakteristik als »legendarisches Streitgespräch<strong>«</strong> durch J. Gnilka, Das<br />

Matthäusevangelium. I. Teil, Freiburg u. a. 1986, 83.<br />

Dies wird im Markusevangelium (da<strong>zu</strong> unten) und auch bei Lukas (4,31–37; 8,26–29;<br />

9,37–43; 11,14 f.17–23) rascher deutlich als bei Matthäus, insofern bei diesem die<br />

Exorzismen sehr viel später berichtet werden (8,28–34; 12,22–30; 15,21–28; 17,14–21).<br />

Zur Versuchung Jesu als Beginn eines Kampfes (ohne speziellen Be<strong>zu</strong>g auf die Exorzismen)<br />

vgl. E. Fascher, Jesus und <strong>der</strong> Satan, Halle 1949, 29; Green, Luke [u. Anm. 216],<br />

192 (mit Be<strong>zu</strong>g auf Lk).<br />

Siehe als älteres Beispiel dieser Einschät<strong>zu</strong>ng E. Klostermann /H.Greßmann, Matthäus,<br />

Tübingen 1909, 174 (»schriftstellerisches Erzeugnis urchristlicher Reflexion<strong>«</strong>), als<br />

jüngeres B. Gerhardsson, »An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen<strong>«</strong>. Die Legitimitätsfrage<br />

in <strong>der</strong> matthäischen Christologie, EvTh 42 (1982) 113–126, hier 120 (»Resultat<br />

fortgeschrittener schriftgelehrter Arbeit<strong>«</strong>).<br />

Siehe da<strong>zu</strong> u. S. 122 ff.


2. Der Teufel als Schriftgelehrter 109<br />

Die erwähnte Auffassung, es handle <strong>sich</strong> um authentische Jesusüberlieferung,<br />

ist <strong>von</strong> E. Fascher und an<strong>der</strong>en vertreten worden. In dichterischer Form<br />

habe Jesus selbst seinen Jüngern seine verborgenenErfahrungen mit dem Teufel<br />

vermittelt 200 .Doch hier scheint bereits <strong>der</strong> Tatbestand eine unüberwindbare<br />

Barriere, dass die Bibelzitate sämtlich auf <strong>der</strong> griechischen Überset<strong>zu</strong>ng <strong>der</strong><br />

jüdischen Bibel (mit ihren Beson<strong>der</strong>heiten) basieren, was auf eine Entstehung<br />

und Überlieferung <strong>der</strong> Episode außerhalb des Jüngerkreises hindeutet,will man<br />

nicht die These vertreten: Der Teufel spricht Griechisch. Im Übrigen bietet Fascher<br />

(7–25) einen vorzüglichen Überblick über die Auslegungsgeschichte <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Mitte des 19. bis <strong>zu</strong>r Mitte des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts, die für die <strong>Zeit</strong> bis 1970<br />

durch G. Theißen und P. Vielhauer ergänzt wird 201 .Die Deutungen in <strong>der</strong> Alten<br />

Kirche und – deutlich knapper – im Mittelalter und bei Martin Luther behandelt<br />

die bei Fascher angefertigte Dissertation <strong>von</strong> K.-P. Köppen 202 ,monographische<br />

Abhandlungen enthalten die allgemeinverständliche Arbeit <strong>von</strong> J. Dupont und die<br />

inhaltsreiche, doch den Text systematisch etwas überstrapazierende Kieler Dissertation<br />

<strong>von</strong> H. Mahnke 203 . Knappe Überblicke über verschiedene Auslegungstypen<br />

bieten die Matthäus-Kommentare <strong>von</strong> J. Gnilka 204 ,U.Luz 205 und H.<br />

Frankemölle 206 .Anneueren Auslegungen sind – noch immer eine Auswahl –<br />

außer den drei genannten Kommentaren diejenigen <strong>von</strong> R.H. Gundry 207 ,W.D.<br />

Davies /D.C. Allison Jr. 208 ,D.J. Harrington 209 ,L.Morris 210 ,W.Wiefel 211 ,P.<br />

200<br />

201<br />

202<br />

203<br />

204<br />

205<br />

206<br />

207<br />

208<br />

209<br />

210<br />

211<br />

Fascher, Satan [o. Anm. 197], 24f. Dort referiert er die betreffende Position <strong>von</strong> Heinrich<br />

Albertz (Die synoptischen Streitgespräche, Berlin 1921) und schließt <strong>sich</strong> ihr im Wesentlichen<br />

an. Auf <strong>der</strong>selben Linie bewegt <strong>sich</strong> J. Dupont, Die Versuchungen Jesu in <strong>der</strong><br />

Wüste, Stuttgart 1969, 104–126. Weitere Vertreter <strong>der</strong> Auffassung (und ihre Kritik) bei<br />

H. Mahnke, Die Versuchungsgeschichte im Rahmen <strong>der</strong> synoptischen Evangelien,<br />

Frankfurt a. M. 1978, 194 f.<br />

Theißen /Vielhauer: Ergän<strong>zu</strong>ngsheft [o. Anm. 195], 89 f.<br />

K.-P. Köppen, Die Auslegung <strong>der</strong> Versuchungsgeschichte unter beson<strong>der</strong>er Berück<strong>sich</strong>tigung<br />

<strong>der</strong> Alten Kirche, Tübingen 1961.<br />

S.o. Anm. 200.<br />

Gnilka, Matthäusevangelium [o. Anm. 196], 84 f.<br />

U. Luz, Das Evangelium nach Matthäus. 1. Teilband: Mt 1–7(1985), 5., völlig neubearb.<br />

Aufl. Zürich u.a. 2002, 222 f.<br />

H. Frankemölle, Matthäus. Kommentar 1, Düsseldorf 1994, 189.<br />

R.H. Gundry, Matthew. ACommentary on his Handbook on aMixed Church Un<strong>der</strong><br />

Persecution, Grand Rapids, Mi. 21994.<br />

W.D. Davies /D.C. Allison Jr., ACritical and Exegetical Commentary on the Gospel<br />

According to Saint Matthew. Vol. I, Edinburgh 1988.<br />

D.J. Harrington, The Gospel of Matthew, Collegeville, Min. 1991.<br />

L. Morris, The Gospel According to Matthew, Grand Rapids /Leicester 1992.<br />

W. Wiefel, Das Evangelium nach Matthäus, Leipzig 1998.


110 II. Streifz7ge durch das Neue Testament, beginnend im Alten<br />

Fiedler 212 ,R.T. France 213 (<strong>zu</strong> Matthäus) und <strong>von</strong> H. Schünemann 214 ,F.Bo<strong>von</strong> 215 ,<br />

J.B. Green 216 ,H.Klein 217 und M. Wolter 218 (<strong>zu</strong> Lukas)<strong>zu</strong>nennen. Auf sie wird für<br />

alle über die Grenzen dieses Beitrags hinausgehenden philologischen Detailfragen<br />

sowie für weitere Literatur verwiesen.<br />

2.2. Tendenzen <strong>der</strong> Auslegung<br />

In <strong>der</strong> Auslegung <strong>der</strong> letzten Jahrzehnte dominiert die messianologische o<strong>der</strong><br />

christologische Gewichtung des Textes, die vor allem <strong>von</strong> dem deutlichen Akzent<br />

bestimmt ist, <strong>der</strong> auf dem Titeldes Gottessohnes 219 und auf <strong>der</strong> Versuchung durch<br />

den teuflischen Gegenspieler liegt 220 .Verstärkt wird diese Gewichtung in <strong>der</strong><br />

Regel durch die Einbeziehung <strong>der</strong> Tauferzählung. Spätestens durch sie wird die<br />

Versuchungsgeschichte in<strong>der</strong> Tat eindeutig <strong>zu</strong> einer Episode, die <strong>von</strong> <strong>der</strong> Bewährung<br />

des Gottessohnes vor Beginn seines Wirkens durch die Treue <strong>zu</strong>dem<br />

einen, dem Gott Israels und damit <strong>zu</strong>gleich <strong>von</strong> <strong>der</strong> Treue <strong>zu</strong> seinem Auftrag<br />

erzählt 221 .Einen vergleichbar deutlichen Platz nimmt in den Kommentierungen<br />

<strong>der</strong> Tatbestand ein, dass die Perikope nachweislich <strong>der</strong> <strong>von</strong> Jesus verwendeten<br />

Zitate biblisch-theologisch <strong>von</strong> dem Zusammenhang Dtn 6–8 gespeist wird. Die<br />

Freiheit, mit <strong>der</strong> resümiert werden kann, <strong>der</strong> Gottessohn solle durch seinen<br />

Rekurs auf die Bibel als »wahrer<strong>«</strong> 222 ,»gehorsamer Israelit<strong>«</strong> 223 und als »frommer<br />

Jude<strong>«</strong>, »<strong>der</strong> Gott allein vertraut<strong>«</strong> 224 gezeigt werden, gehört <strong>zu</strong> den bemerkenswerten<br />

Kennzeichen neuerer Auslegungen. Zum Teil wird die Würdigung des<br />

durchgehenden Be<strong>zu</strong>ges auf die Bibel mit einem typologischen Verständnis <strong>der</strong><br />

Beziehung zwischen Dtn 6–8 und Jesus verbunden: Der in <strong>der</strong> Versuchung gehorsame<br />

Gottessohn stelle den (positiven) Antityp <strong>zu</strong>m (negativen) Typos Israel<br />

212<br />

213<br />

214<br />

215<br />

216<br />

217<br />

218<br />

219<br />

220<br />

221<br />

222<br />

223<br />

224<br />

P. Fiedler, Das Matthäusevangelium, Stuttgart 2006.<br />

R.T. France, The Gospel of Matthew, Grand Rapids, Mi. 1997.<br />

H. Schürmann, Das Lukasevangelium. Erster Teil, Freiburg u. a. 1969, 2 1982.<br />

F. Bo<strong>von</strong>, Das Evangelium nach Lukas (Lk 1,1–9,50), Zürich u.a. 1989.<br />

J.B. Green, The Gospel of Luke, Grand Rapids, Mi. /Cambridge, UK 2007.<br />

H. Klein, Das Lukasevangelium, Göttingen 2006.<br />

W. Wolter, Das Lukasevangelium, Tübingen 2008.<br />

Mt 4,3.6 /Lk4,3.9.<br />

Vgl. z. B. Schürmann, Lukasevangelium [o. Anm. 214], 122f.<br />

Zur Versuchung als solcher <strong>zu</strong>r Untreue gegenüber seinem messianischen Auftrag siehe<br />

u. a. Dupont: Versuchungen [o. Anm. 200], 41 und H. Seesemann, Art. peiraō usw.,<br />

ThWNT 6(1959) 23–37, hier 35.<br />

Gerhardsson, Legitimitätsfrage [o. Anm. 198], 122 f.<br />

Mahnke, Versuchungsgeschichte [o. Anm. 200], 71.103 u.ö.<br />

Klein, Lukasevangelium [o. Anm. 217], 179.


2. Der Teufel als Schriftgelehrter 111<br />

und Mose dar. Während die beiden Letzteren, insbeson<strong>der</strong>e das Volk Israel, in <strong>der</strong><br />

Wüste <strong>der</strong> Versuchung erlegen seien, habe <strong>der</strong> Gottessohn obsiegt 225 ,<strong>der</strong> damit<br />

»das wahre Israel<strong>«</strong> darstelle 226 . Ein weiterer Auslegungsstrang möchte den<br />

Aussagesinn <strong>der</strong> Perikope auf ihre paradigmatisch-paränetische Deutung festlegen<br />

und Jesus in <strong>der</strong> Versuchung als Vorbild für die glaubende Gemeinde<br />

verstehen 227 .Sowenig dies Verständnis <strong>der</strong> klaren christologischen Grundrichtung<br />

<strong>der</strong> Perikope gerecht wird, so wenig überzeugt es, wenn dem auf dieser<br />

letztgenannten Linie interpretierten Text jede paränetische Ab<strong>sich</strong>t abgesprochen<br />

wird 228 .Der aus dem rabbinischen Schrifttum geschöpfte jüdische Kommentar<br />

<strong>zu</strong>m Matthäusevangelium <strong>von</strong> S.T. Lachs plädiert in diesem Sinne dafür,<br />

keine <strong>zu</strong> ausgeprägt alternative Deutung des Textes vor<strong>zu</strong>nehmen, und nennt<br />

neben <strong>der</strong> messianologischen und ekklesiologisch-paränetischen Möglichkeit<br />

eine dritte: Er könne auch als Bewährung eines Einzelnen in seinem Kampf mit<br />

dem bösen Trieb (jezer ha-ra) verstanden werden, <strong>der</strong> nach rabbinischer Anthropologie<br />

jedem Menschen innewohne 229 .<br />

2.3. Biblisch-jDdischer Horizont und GrDnde <strong>der</strong><br />

Geschichte<br />

Warum hat man so <strong>von</strong> Jesus erzählt, als schriftgelehrtem, bibeltreuem Gottessohn,<br />

<strong>der</strong> den schriftgelehrten Teufel argumentativ aus dem Felde schlägt? Es<br />

scheint, dass <strong>sich</strong> dieAuslegung <strong>der</strong> VersuchungsgeschichteinAnknüpfung und<br />

Wi<strong>der</strong>spruch <strong>zu</strong> den skizzierten Deutungen weiter konturieren lässt, wenn man<br />

den engeren und weiteren Kontext <strong>von</strong> Dtn 6–8 und den weiteren Kontext <strong>der</strong><br />

225<br />

226<br />

227<br />

228<br />

229<br />

Beson<strong>der</strong>s ausgeprägt Dupont, Versuchungen [o. Anm. 200], 13f. u.ö.; s. ferner Mahnke<br />

[o. Anm. 200], 71f., u.ö.; Frankemölle, Matthäus [o. Anm. 206], 187; ablehnend Harrington,<br />

Matthew [o. Anm. 209], 69; Wolter, Lukasevangelium [o. Anm. 218], 185. Zur<br />

Kritik s. Gnilka, Matthäusevangelium [o. Anm. 196], 83; Green, Luke [o. Anm. 216],<br />

192 f.<br />

France, Matthew [o. Anm. 213], 128.<br />

So etwa Bultmann, Geschichte [o. Anm. 195], 274; Gnilka, Matthäusevangelium [o.<br />

Anm. 196], 91f.; Gundry, Matthew [o. Anm. 207], 54.57. Nach Gundry liegt das paradigmatische<br />

Interesse ebenso wie das an <strong>der</strong> Person des Mose auf <strong>der</strong> Linie des matthäischen<br />

Kampfes gegen eine Abwertung des Gesetzes.<br />

Wie nahe es liegt, einem solchen christologischen Text eine paränetische Note ab<strong>zu</strong>gewinnen,<br />

zeigt eindrücklich die Getsemaneperikope mit <strong>der</strong> ausdrücklichen Auffor<strong>der</strong>ung<br />

Jesu: »Wacht und betet, auf dass ihr nicht in Versuchung fallet<strong>«</strong> (Mt 26,41, vgl. Lk<br />

22,46).<br />

S.T. Lachs, ARabbinic Commentary on the New Testament: The Gospels of Matthew,<br />

Mark, and Luke, Hoboken, NJ 1987, 50.


<strong>Peter</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>Osten</strong>-<strong>Sacken</strong>, Dr. theol. Dres. h.c., 3.3.1940–28.6.2022,<br />

studierte Theologie in Göttingen, Kiel und Heidelberg. Nach Promotion<br />

(1967, <strong>zu</strong> Qumran) und Habilitation (1973, <strong>zu</strong> Paulus) an <strong>der</strong><br />

Göttinger Theologischen Fakultät war er <strong>von</strong> 1973 bis 1993 Professor<br />

für Neues Testament an <strong>der</strong> Kirchlichen Hochschule Berlin (West), sodann<br />

bis 2005 für Neues Testament und Christlich-Jüdische Studien<br />

an <strong>der</strong> Berliner Humboldt-Universität. Von 1974 bis 2007 leitete er<br />

das Institut Kirche und Judentum.<br />

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Coverbild: Teilan<strong>sich</strong>ten des Turms <strong>der</strong> Evangelischen Zionskirche <strong>zu</strong> Berlin<br />

und <strong>der</strong> Neuen Synagoge (Oranienburger Straße) <strong>zu</strong> Berlin<br />

Satz: 3w+p, Rimpar<br />

Druck und Binden: BELTZ Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza<br />

ISBN 978-3-374-07510-2 // eISBN (PDF) 978-3-374-07511-9<br />

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