13.03.2024 Aufrufe

Lesen Magazin 01/2024

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

6<br />

hätte? Würde sie sogar eine andere Sprache als Türkisch sprechen?<br />

Der Sprachlosigkeit eine Stimme geben, das schafft Özlem Çimen,<br />

die heute mit ihrer vierköpfigen Familie in Zug lebt und im Kanton<br />

Luzern als Heilpädagogin arbeitet.<br />

8 Die Vergangenheit als ständige Begleiterin<br />

Auch für Aras, den Protagonisten im Roman «Da waren Tage»<br />

von Luna Ali, ist die Vergangenheit eine ständige Begleiterin. Vor<br />

zwölf Jahren kam er aus dem Norden Syriens mit seiner Familie<br />

nach Deutschland. Heute, im Jahr 2<strong>01</strong>1, ist er Anfang 20, lebt mit<br />

seiner Jugendliebe Rhea und Hund Mila zusammen und studiert im<br />

zweiten Semester Jura. Später möchte er sich auf Arbeits- und Sozialrecht<br />

spezialisieren. Sein normales Leben in Deutschland fängt<br />

an, sich zu verändern, als er eines Tages eher zufällig auf Facebook<br />

den Namen seines Cousins auf einer Liste mit Spitzeln an der Universität<br />

von Aleppo findet.<br />

Mehr und mehr wird der Konflikt zu einem Teil seines Alltags. So<br />

muss er beispielsweise auf Grillpartys oder im Hörsaal Rede und<br />

Antwort stehen, wie es mit seinem Heimatland weitergehen soll.<br />

Bei der Ausländerbehörde, während eines Praktikums in Jordanien<br />

oder als Gast einer politischen Talkshow erlebt er den Jahrestag<br />

der Revolution jedes Jahr aufs Neue als Wechselspiel zwischen<br />

Realität und Imagination. Luna Ali, selbst 1993 in Syrien geboren,<br />

studierte u. a. Kulturwissenschaften und Literarisches Schreiben<br />

am Deutschen Literaturinstitut. Die in Berlin lebende Autorin hat<br />

6<br />

Die Halbwertszeit<br />

von Glück<br />

Das Schicksal dreier starker<br />

Frauen aus verschiedenen<br />

Generationen, über Länder und<br />

Kontinente hinweg, verbindet<br />

sich auf wundersame Weise.<br />

Ein Lesevergnügen mit Glücksmomenten!<br />

Louise Pelt, Bastei Lübbe,<br />

CHF 33.90<br />

Da waren Tage<br />

8 9<br />

Für Aras, der seit über<br />

12 Jahren in Deutschland lebt,<br />

wird seine Herkunft aus Syrien<br />

immer mehr zu einem Spiel<br />

zwischen Realität und Fantasie.<br />

Ein wichtiges Buch in der<br />

heutigen Zeit!<br />

Luna Ali, S. FISCHER. Literatur,<br />

CHF 33.90<br />

7<br />

Babas Schweigen<br />

Eine junge Frau auf<br />

den Spuren ihrer Familiengeschichte:<br />

Im ostanatolischen<br />

Dorf ihrer Kindheit verweben<br />

sich Vergangenheit und Gegenwart<br />

zu einer Geschichte über<br />

Unschuld, Unterdrückung<br />

und Überleben.<br />

Özlem Çimen, Limmat,<br />

CHF 29.90<br />

Reptil<br />

Ein wilder Ritt durch das<br />

Bühnenprogramm der Musikerin,<br />

Kabarettistin, Illustratorin<br />

und Autorin. Die Menschheit<br />

ist in Gefahr! Wie kommen wir<br />

da wieder raus?<br />

Jane Mumford, Knapp Verlag,<br />

CHF 26.90<br />

8<br />

7<br />

Alle drei Erzählstränge spielen zu unterschiedlichen Zeiten und an<br />

unterschiedlichen Orten, und doch wird nach und nach klar, dass es<br />

Verbindungen zwischen ihnen gibt. Abwechselnd fächern sich<br />

die Geschichten auf, und so bleibt es bis zur letzten Zeile spannend,<br />

wie es ausgeht. Und das Glück? Das lässt sich immer wieder neu<br />

finden – allem Unglück zum Trotz.<br />

Louise Pelt ist das Pseudonym der Drehbuchautorin Lucy Astner,<br />

die für Film und Theater sowie auch Kinderbücher schreibt. Das<br />

Buch ist, so die Autorin, «für alle, die wissen, dass das Leben nicht<br />

nur aus Glücksmomenten besteht, aber trotzdem mit Hoffnung<br />

und Zuversicht auf die Welt blicken».<br />

7 Kindheitserinnerungen mit Suche nach der Herkunft<br />

Nicht mit der Frage nach dem Glück, sondern mit der Frage nach<br />

ihrer Herkunft beschäftigt sich Özlem Çimen in ihrem schmalen,<br />

aber gewichtigen Buch «Babas Schweigen». Die Ich-Erzählerin<br />

Özlem, unverkennbar die Autorin selbst, beginnt sich und schliesslich<br />

auch ihrem Vater immer mehr Fragen zu stellen, nach den<br />

Grosseltern, nach dem Heimatdorf ihrer Familie in der Türkei,<br />

und versucht, damit dem Schweigen auf den Grund zu gehen. Als<br />

schwangere Erwachsene reist sie mit ihrem Mann in das ostanatolische<br />

Dorf. In eingestreuten Rückblenden erinnert sie sich an die<br />

Sommerferien ihrer Kindheit, an den Geschmack von Aprikosen<br />

und an die vielen Verwandten ihrer grossen Familie. Nun, als<br />

Erwachsene, fügt sie Erinnerungen und Andeutungen zusammen<br />

und muss sich fragen, wie der Genozid an den Armenier*innen<br />

mit ihrer Familiengeschichte zusammenhängt.<br />

Die 1981 geborene und in Luzern aufgewachsene Özlem Çimen stellt<br />

die Fragen, die ihr Antworten zu ihrer eigenen Identität geben,<br />

die jedoch im Verborgenen liegt: der Verlust der familiären Heimat<br />

und Kultur bedingt durch politische Einflüsse, Vertreibung und<br />

Schweigen. Wäre sie heute eine andere, wenn sie all das gewusst<br />

bereits für Produktionen an verschiedenen Schauspielhäusern geschrieben.<br />

Mit diesem Buch fächert sie die drängenden Fragen nach<br />

der Bedeutung von politischem Handeln und kollektivem Begehren<br />

in unserer Gegenwart unpathetisch und verständlich auf.<br />

9 Ein wilder Ritt durch die Menschheitsgeschichte<br />

Eine Kategorie für sich und ausser Konkurrenz läuft das letzte<br />

Buch. Der Inhalt ist zwar zwischen zwei Buchdeckel gepackt, aber<br />

wenn man es aufschlägt, springt einem ganz viel entgegen: «Ein<br />

rasanter Ritt durch Janes Universum» heisst es im Vorwort. Und<br />

genau das ist es! Wer die Bühnenshows der Kabarettistin und<br />

Musikerin Jane Mumford noch nicht kennt (sie steht bereits seit<br />

über zehn Jahren auf der Bühne), bekommt jetzt einen Eindruck<br />

davon. «Reptil» heisst ihr erfolgreiches Bühnenprogramm, das 2021<br />

Premiere feierte, und aus dessen Texten sie nun ein kaltblütiges<br />

Libretto in Buchform geschrieben hat.<br />

«Ich bin einfach froh, dass es dieses Büchlein gibt. Und diese Gedanken<br />

nun einen Ort haben, an dem sie sich niederlassen können.<br />

Ein kleines Zuhause.» Dieses hat die Autorin auch gleich selbst illustriert.<br />

In 14 Kapiteln geht es in einem wilden Ritt – inhaltlich wie<br />

gestalterisch – durch die Geschichte der Menschheit und der Frage<br />

nach, warum der Mensch so unkaputtbar ist. Doch anfangs dürfen<br />

sich die Leser*innen erst einmal selbst outen und einen kleinen<br />

Steckbrief ausfüllen. Und dann geht es los: Von Scham, Schuld und<br />

grossen Gefühlen ist ebenso die Rede wie von Beton, Nippeln und<br />

«the big bang» am Ende. Ob man völlig überfordert, laut lachend<br />

oder einfach nur begeistert das Buch zuklappt – alles ist möglich.<br />

Jane Mumford, Jahrgang 1988 und Halbengländerin, liebt es, in<br />

ihrer Arbeit das Sarkastische, Rhythmische und Absurde zu kombinieren.<br />

Seit 2023 ist sie zudem auch Gastgeberin einer monatlichen<br />

Show im Millers Theater in Zürich. Es führt also kein Weg an Janes<br />

Universum vorbei!<br />

9<br />

20 <strong>Lesen</strong> <strong>Magazin</strong><br />

<strong>Lesen</strong> <strong>Magazin</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!