13.03.2024 Aufrufe

Lesen Magazin 01/2024

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Es war später Herbst. Thomas Bucheli, der Chef der Wettersendung<br />

Meteo von SRF ging Richtung Saal zu einer Veranstaltung in<br />

Uz nach. Das war vor ein paar Jahren. Dabei fielen ihm die vielen<br />

Störche auf dem Kirchendach auf, die nicht nach Afrika gezogen<br />

sind. Ein weiterer Beweis für den Wandel unseres Klimas. Bucheli<br />

machte in dem Gespräch vor Publikum einen interessanten Vergleich.<br />

Wenn es am Abendessen mal zum Familienkrach kommt,<br />

so sei das ein Gewitter oder eben ein Wetter. Wenn jedoch regelmässig<br />

am Tische gestritten würde, dann müsse man von einem<br />

problematischen Klima reden.<br />

1<br />

2<br />

Natur. Folgender Satz leuchtet ein: «Da der Mensch als Produkt der<br />

Evolution ein Teil der Natur ist und als Körperwesen mitten in ihr<br />

lebt, kann er den Gesamtzusammenhang der Natur nicht verstehen;<br />

denn dazu müsste er eine Position ausserhalb der Natur oder der<br />

Welt einnehmen, was in der Sprache der europäischen Tradition<br />

mit der ‘Position Gottes’ bezeichnet wird.» Diese Schlussfolgerung<br />

stammt aus dem Buch «Homo destructor – Eine Mensch-Umwelt-<br />

Geschichte» 2 von Werner Bätzing. Eine Lektüre für alle, die verstehen<br />

möchten, warum wir bis heute mit dem Naturschutz nicht<br />

weiter sind.<br />

Das Klima –<br />

Neue Bücher<br />

zu einem<br />

brennenden<br />

Thema<br />

Bücher helfen, besser zu verstehen,<br />

Handlungen zu überdenken und trotz<br />

allem Hoffnung zu schöpfen.<br />

Text von Urs Heinz Aerni<br />

«Klimakrise» ist eigentlich<br />

ein falscher Begriff, denn<br />

die Krise betrifft uns Menschen,<br />

nicht das Klima.<br />

Schon 1979 fand die erste Weltklimakonferenz in Genf statt. Fachleute<br />

machten sich damals schon Sorgen, was mit unserem Klima<br />

geschieht. «Klimakrise» ist eigentlich ein falscher Begriff, denn die<br />

Krise betrifft uns Menschen, nicht das Klima.<br />

Heute spüren es alle Menschen durch die zunehmenden Wetterextreme.<br />

Hitze und lange Trockenperioden wechseln sich mit<br />

Starkregen, Stürme und Überschwemmungen ab. Niemand, der<br />

die Entwicklungen auf der Welt und ihre Auswirkungen auf<br />

die Biodiversität beobachtet, lässt es kalt. Die einen reagieren mit<br />

Protesten, andere sammeln Unterschriften und wieder andere<br />

schreiben lesenswerte Bücher dazu.<br />

Ein Geschäft. Aber für die Natur?<br />

Der Churer Luca Mondgenast und der Zürcher Alex Tiefenbacher<br />

kommen aus der IT-Branche respektive Umweltwissenschaften<br />

und stellen sich die Frage, wie gut das System funktioniert, mit<br />

dem Schweizer Unternehmen Geld für Klimaschutzprojekte bezahlen,<br />

ohne selbst aktiv agieren zu müssen. «CO2-Ausstoss zum<br />

Nulltarif – Das Schweizer Emissionshandelssystem und wer davon<br />

profitiert» 1 . Die Europäische Union und die Schweiz setzen<br />

im Kampf gegen die Klimakrise auf das Emissionshandelssystem<br />

(EHS). Es ist ein wichtiges Klimaschutzinstrument und gilt für<br />

Industrieanlagen wie Zement- und Stahlwerke, Raffinerien und<br />

Pharmakonzerne. Diese müssen für jede Tonne Treibhausgas ein<br />

entsprechendes Emissionsrecht vorweisen oder mit anderen Unternehmen<br />

eines aushandeln. Doch das Buch zeigt: Von 2<strong>01</strong>3 bis 2020<br />

bezahlten die grössten Umweltverschmutzer über das EHS mit<br />

92 Millionen Franken nur einen Bruchteil ihrer Klimakosten. Die<br />

meisten Emissionsrechte bekamen sie geschenkt. Einige Konzerne<br />

erhielten sogar mehr Gratisrechte, als sie für ihre Treibhausgase<br />

bräuchten. Müssten sie wie die Schweizer Haushalte und kleinere<br />

und mittlere Unternehmen für ihre Emissionen die normale<br />

CO2-Abgabe bezahlen, hätte sie das 2,9 Milliarden gekostet.<br />

Fazit: Das System funktioniert nicht.<br />

Eine andere Weltgeschichte<br />

Warum tut sich der Mensch so schwer, der Natur, von der er abhängig<br />

ist, nicht besser Sorge zu tragen? Ein Grund könnte darin<br />

bestehen, dass der Mensch immer oft das Wort «Umwelt» verwendet<br />

und damit eine Art Grenze zieht, zwischen sich und der<br />

5<br />

3<br />

4<br />

Eine saftige Rechnung<br />

«Würde die Natur ihre Leistung in Rechnung stellen, würde kein Industriezweig<br />

Gewinne einfahren.» Es wäre wohl eine saftige Rechnung,<br />

die sich die Menschheit nicht leisten könnte. Martin Häusler<br />

nimmt mit seinem Buch «Unsere entscheidenden Jahre» 3 die Wut<br />

der jungen Menschen auf und veranschaulicht, dass in der Tat<br />

ein radikaler Handlungsbedarf besteht, wenn wir auf der Fahrt in<br />

die Katastrophe das Steuer noch herumreissen möchten. Die Fakten<br />

sind bekannt, die Auswirkungen sichtbar und doch geschieht nichts<br />

oder zu wenig. Wenn die Bauern unzufrieden sind, blockieren sie<br />

die Strassen mit Traktoren. Warum darf dann nicht auch die junge<br />

Generation Strassen und Pisten besetzen um ihrer Sorge um ihre<br />

Zukunft kund zu tun?<br />

Abenteuer und Ängste im 21. Jahrhundert<br />

Pierre Ducrozet wurde 1982 in Lyon geboren und jetzt liegt sein<br />

2020 veröffentlichter Roman «Le Grand vertige» mit dem Titel<br />

«Welt im Taumel» 4 vor. Darin wird ein kreativer Geist des<br />

ökologischen Denkens mit einem Team von Weltenbummlern<br />

und Wissenschaftlern auf die Suche nach dem Schlüssel zur Rettung<br />

des Planeten losgeschickt. «Sie betrachten den See, die Steine,<br />

die bald schon das eingebüsste Land zurückgewinnen werden.<br />

Auch die Häuser werden fortwehen. Alles wird wieder von vorne<br />

beginnen.» Ob dieses Zitat ein Happy End verspricht? Während die<br />

einen um die Welt reisen, haben andere Angst vor geschlossenen<br />

Räumen wie die Inuit auf Grönland und was ist «Chronophobie»?<br />

Richtig, die Angst vor der Zeit, die eine Helga-Maria im Roman<br />

«Samota» 5 von Volha Hapeyeva hat.<br />

Eine weitere nachdenklich machende Frage wird in diesem Roman<br />

auch gestellt: Warum kommt so vielen Menschen die Fähigkeit<br />

der Empathie abhanden? Das <strong>Lesen</strong> von guten Büchern lässt nicht<br />

nur auf gute neue Seiten hoffen, sondern auch ebensolche Zeiten.<br />

Und wenn es zu Hause mal am Mittagsessen laut werden sollte,<br />

dann handelt sich hoffentlich nur um ein kleines Unwetter.<br />

1<br />

2<br />

3<br />

4<br />

5<br />

CO 2-Ausstoss zum Nulltarif<br />

Alex Tiefenbacher, Rotpunktverlag, CHF 25.90<br />

Homo destructor<br />

Werner Bätzing , C.H. Beck, CHF 41.90<br />

Unsere entscheidenden Jahre<br />

Martin Häusler, Europa Verlag, CHF 39.90<br />

Welt im Taumel<br />

Pierre Ducrozet, Kommode Verlag, CHF 29.90<br />

Samota<br />

Volha Hapeyeva, Droschl, CHF 34.90<br />

28 <strong>Lesen</strong> <strong>Magazin</strong> Nebenthema<br />

Nebenthema<br />

29

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!