Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Martin Suter, fotografiert im Schiffbau Zürich. © Joel Hunn<br />
Im Diogenes Verlag in Zürich wurden wir<br />
herzlich empfangen, mit Kaffee, Süssem und<br />
Wasser. Martin Suter setzte sich in dunklem<br />
Anzug an den Tisch und wählte das «laute»<br />
Mineralwasser.<br />
Wir sind uns 1997 zum ersten Mal begegnet,<br />
an der Buchtaufe von «Small World» im<br />
Theater Neumarkt.<br />
Ich erinnere mich gut, wie nervös ich war.<br />
Damals verschrieb der Stadtarzt von Zürich<br />
allen Zivilschutzdienstleistenden «Small<br />
World» als Pflichtlektüre, damit sie die<br />
demenzkranken Menschen besser verstehen<br />
könnten.<br />
Ja, das war verrückt. Ein Professor und Alzhei<br />
merforscher in Tübingen verlangte von<br />
allen Praktikanten, dass sie dieses Buch gelesen<br />
haben ...<br />
So kam es, dass in den Regalen der Arztpraxen<br />
zwischen den Fachbüchern immer<br />
auch ein Diogenes-Buch zu sehen war.<br />
Ich weiss noch, wie ich zu einer Gedenkveranstaltung<br />
des Entdeckers Alois Alzheimer<br />
eingeladen war, um vor der Crème de la Crème<br />
der Fachwelt aus meinem Roman zu lesen.<br />
«Ich behaupte, ohne es<br />
wissenschaftlich<br />
belegen zu können, dass<br />
heute nicht weniger<br />
gelesen wird, sondern<br />
sogar mehr.»<br />
Auf Ihrer Website findet man alte und neue Texte, so auch<br />
Kolumnen mit der Kultfigur Geri Weibel, der erneut versucht,<br />
den Trends der Gesellschaft zu genügen. Ihre Website kann<br />
auch abonniert werden.<br />
Ja, aber die Abo-Zahlen sind noch bescheiden.<br />
Sie sind auch auf den sozialen Kanälen aktiv, und ich fand bei<br />
Ihnen auf X (ehemals Twitter) den Satz «Martin Suter schreibt<br />
Bücher und auch im Geheimen / So Sachen, die sich total reimen.»<br />
Als ich die Website machte, ging ich auch auf Twitter. Und um gegen<br />
die Verrohung etwas zu tun, twitterte ich nur gereimt. Daraus entstand<br />
das #poesiepingpong, bei dem viele mitmachen und das auf meiner<br />
Website animiert und gratis zu geniessen ist.<br />
Was motivierte Sie, auch in der digitalen Welt präsent zu sein?<br />
Ein Schriftsteller will nun einmal gelesen werden. Und wenn das<br />
immer mehr digital geschieht, dann eben auch dort. Ich veröffentliche<br />
dort Vergessenes und Unveröffentlichtes, schreibe zum Beispiel an<br />
«Lila, Lila» weiter oder darüber, was Allmen zwischen den Büchern<br />
treibt. Und so ganz nebenbei entsteht so ein stets wachsendes Archiv<br />
über mich, zu dem alle, die es interessiert, Zugang haben. Und der<br />
Vorteil: Auch ich.<br />
Und Geri Weibel verzweifelt heute noch?<br />
Selbstverständlich.<br />
Nicht nur das <strong>Lesen</strong> verändert sich, auch das Schreiben. Wie<br />
war das bei Ihnen? Schreibt es sich heute anders? Oder anders<br />
gefragt: Schreiben Sie genauso gern wie früher?<br />
Früher hatte ich klare Zeiten, von 9 bis 13 Uhr. Sehr gut ging das damals<br />
zu Hause in Guatemala, da es ja Pflicht war, Hausangestellte zu beschäftigen,<br />
was mir beim Schreiben entgegenkam. Die meisten Bücher<br />
sind dort entstanden.<br />
Von Anfang an am Computer?<br />
Ja. Der Roman «Melody» ist der erste Roman, den ich von Hand schrieb.<br />
Mit Griffel und Papier?<br />
Nicht ganz, wenn ich Sie sehe, wie Sie auf Ihrem Papierblock Notizen<br />
machen, hat das für mich irgendwie einen Stallgeruch. Ich schrieb mit<br />
einem Stift auf ein Tablet. Das schreibt sich viel besser als auf Papier<br />
«Die<br />
Gedächtnislagune»<br />
So lautet der Titel eines Romans von Martin Suter, der nie erscheinen wird.<br />
Über die Gründe, Erinnerungen an «Small World», ein neues Schreiberlebnis und<br />
den Nutzen von Liegestützen unterhält sich Urs Heinz Aerni mit dem Autor.<br />
Text von Urs Heinz Aerni<br />
Seit damals hat sich viel getan in der Welt,<br />
auch was die Kultur, die Buchbranche<br />
und das <strong>Lesen</strong> in der Gesellschaft betrifft.<br />
Wie nehmen Sie die Entwicklungen wahr?<br />
Ich behaupte, ohne es wissenschaftlich belegen<br />
zu können, dass heute nicht weniger gelesen<br />
wird, sondern sogar mehr.<br />
Mehr?<br />
Ja, aber nicht Bücher. Ich würde sagen, dass<br />
heute zum Beispiel im Zug mehr Menschen<br />
zu sehen sind, die irgendetwas lesen. Aber<br />
nicht Bücher und Zeitungen, sondern auf dem<br />
Handy, Tablet oder Laptop. Also die Lesegewohnheit<br />
ist anders, darum habe ich auch eine<br />
Website eingerichtet, damit <strong>Lesen</strong>de mich<br />
auch digital finden.<br />
Martin Suter wurde 1948 in Zürich<br />
geboren. Romane wie «Small World»,<br />
die «Die dunkle Seite des Mondes»<br />
oder «Der Koch» machten ihn<br />
zu einem der erfolgreichsten zeitgenössischen<br />
Autoren.<br />
www.martinsuter.com<br />
<strong>Lesen</strong> <strong>Magazin</strong><br />
Interview<br />
9