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Lesen Magazin 01/2024

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Martin Suter, fotografiert im Schiffbau Zürich. © Joel Hunn<br />

Im Diogenes Verlag in Zürich wurden wir<br />

herzlich empfangen, mit Kaffee, Süssem und<br />

Wasser. Martin Suter setzte sich in dunklem<br />

Anzug an den Tisch und wählte das «laute»<br />

Mineralwasser.<br />

Wir sind uns 1997 zum ersten Mal begegnet,<br />

an der Buchtaufe von «Small World» im<br />

Theater Neumarkt.<br />

Ich erinnere mich gut, wie nervös ich war.<br />

Damals verschrieb der Stadtarzt von Zürich<br />

allen Zivilschutzdienstleistenden «Small<br />

World» als Pflichtlektüre, damit sie die<br />

demenzkranken Menschen besser verstehen<br />

könnten.<br />

Ja, das war verrückt. Ein Professor und Alzhei<br />

merforscher in Tübingen verlangte von<br />

allen Praktikanten, dass sie dieses Buch gelesen<br />

haben ...<br />

So kam es, dass in den Regalen der Arztpraxen<br />

zwischen den Fachbüchern immer<br />

auch ein Diogenes-Buch zu sehen war.<br />

Ich weiss noch, wie ich zu einer Gedenkveranstaltung<br />

des Entdeckers Alois Alzheimer<br />

eingeladen war, um vor der Crème de la Crème<br />

der Fachwelt aus meinem Roman zu lesen.<br />

«Ich behaupte, ohne es<br />

wissenschaftlich<br />

belegen zu können, dass<br />

heute nicht weniger<br />

gelesen wird, sondern<br />

sogar mehr.»<br />

Auf Ihrer Website findet man alte und neue Texte, so auch<br />

Kolumnen mit der Kultfigur Geri Weibel, der erneut versucht,<br />

den Trends der Gesellschaft zu genügen. Ihre Website kann<br />

auch abonniert werden.<br />

Ja, aber die Abo-Zahlen sind noch bescheiden.<br />

Sie sind auch auf den sozialen Kanälen aktiv, und ich fand bei<br />

Ihnen auf X (ehemals Twitter) den Satz «Martin Suter schreibt<br />

Bücher und auch im Geheimen / So Sachen, die sich total reimen.»<br />

Als ich die Website machte, ging ich auch auf Twitter. Und um gegen<br />

die Verrohung etwas zu tun, twitterte ich nur gereimt. Daraus entstand<br />

das #poesiepingpong, bei dem viele mitmachen und das auf meiner<br />

Website animiert und gratis zu geniessen ist.<br />

Was motivierte Sie, auch in der digitalen Welt präsent zu sein?<br />

Ein Schriftsteller will nun einmal gelesen werden. Und wenn das<br />

immer mehr digital geschieht, dann eben auch dort. Ich veröffentliche<br />

dort Vergessenes und Unveröffentlichtes, schreibe zum Beispiel an<br />

«Lila, Lila» weiter oder darüber, was Allmen zwischen den Büchern<br />

treibt. Und so ganz nebenbei entsteht so ein stets wachsendes Archiv<br />

über mich, zu dem alle, die es interessiert, Zugang haben. Und der<br />

Vorteil: Auch ich.<br />

Und Geri Weibel verzweifelt heute noch?<br />

Selbstverständlich.<br />

Nicht nur das <strong>Lesen</strong> verändert sich, auch das Schreiben. Wie<br />

war das bei Ihnen? Schreibt es sich heute anders? Oder anders<br />

gefragt: Schreiben Sie genauso gern wie früher?<br />

Früher hatte ich klare Zeiten, von 9 bis 13 Uhr. Sehr gut ging das damals<br />

zu Hause in Guatemala, da es ja Pflicht war, Hausangestellte zu beschäftigen,<br />

was mir beim Schreiben entgegenkam. Die meisten Bücher<br />

sind dort entstanden.<br />

Von Anfang an am Computer?<br />

Ja. Der Roman «Melody» ist der erste Roman, den ich von Hand schrieb.<br />

Mit Griffel und Papier?<br />

Nicht ganz, wenn ich Sie sehe, wie Sie auf Ihrem Papierblock Notizen<br />

machen, hat das für mich irgendwie einen Stallgeruch. Ich schrieb mit<br />

einem Stift auf ein Tablet. Das schreibt sich viel besser als auf Papier<br />

«Die<br />

Gedächtnislagune»<br />

So lautet der Titel eines Romans von Martin Suter, der nie erscheinen wird.<br />

Über die Gründe, Erinnerungen an «Small World», ein neues Schreiberlebnis und<br />

den Nutzen von Liegestützen unterhält sich Urs Heinz Aerni mit dem Autor.<br />

Text von Urs Heinz Aerni<br />

Seit damals hat sich viel getan in der Welt,<br />

auch was die Kultur, die Buchbranche<br />

und das <strong>Lesen</strong> in der Gesellschaft betrifft.<br />

Wie nehmen Sie die Entwicklungen wahr?<br />

Ich behaupte, ohne es wissenschaftlich belegen<br />

zu können, dass heute nicht weniger gelesen<br />

wird, sondern sogar mehr.<br />

Mehr?<br />

Ja, aber nicht Bücher. Ich würde sagen, dass<br />

heute zum Beispiel im Zug mehr Menschen<br />

zu sehen sind, die irgendetwas lesen. Aber<br />

nicht Bücher und Zeitungen, sondern auf dem<br />

Handy, Tablet oder Laptop. Also die Lesegewohnheit<br />

ist anders, darum habe ich auch eine<br />

Website eingerichtet, damit <strong>Lesen</strong>de mich<br />

auch digital finden.<br />

Martin Suter wurde 1948 in Zürich<br />

geboren. Romane wie «Small World»,<br />

die «Die dunkle Seite des Mondes»<br />

oder «Der Koch» machten ihn<br />

zu einem der erfolgreichsten zeitgenössischen<br />

Autoren.<br />

www.martin­suter.com<br />

<strong>Lesen</strong> <strong>Magazin</strong><br />

Interview<br />

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