Frankfurt in Takt - HfMDK Frankfurt
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Lernen und Institution<br />
Über Chancen und Konflikte im Spannungsfeld von Hochschulstrukturen<br />
und lernendem Individuum<br />
Seit Jahrzehnten hat sich Prof. em. Gerhard Mantel <strong>in</strong>tensiv mit<br />
den Fragen der Optimierung von Lehre <strong>in</strong> der Musikausbildung<br />
beschäftigt, Bücher dazu verfasst und zu diesem Thema <strong>in</strong>ternational<br />
referiert – e<strong>in</strong> guter Grund, den e<strong>in</strong>stigen Celloprofessor der<br />
<strong>HfMDK</strong> um e<strong>in</strong>en Leitartikel für diese Ausgabe zu bitten. Was Gerhard<br />
Mantel nachfolgend beschreibt, entstammt der Perspektive<br />
e<strong>in</strong>es Musikers, der lange Jahre an unserer Hochschule unterrichtet<br />
hat. E<strong>in</strong>ige se<strong>in</strong>er Ausführungen s<strong>in</strong>d sicherlich auch <strong>in</strong> die Ausbildung<br />
der Darstellenden Kunst übertragbar. Und natürlich freuen<br />
wir uns, dass e<strong>in</strong>ige se<strong>in</strong>er Vorschläge bereits E<strong>in</strong>gang <strong>in</strong> die Lehre<br />
an der <strong>HfMDK</strong> gefunden haben – e<strong>in</strong> Zeichen dafür, dass sich<br />
unsere Hochschule weiterentwickelt.<br />
Die Redaktion<br />
Die Organisation des Studiums an e<strong>in</strong>er Musikhochschule trifft<br />
auf e<strong>in</strong> grundsätzliches Problem. E<strong>in</strong>erseits muss für e<strong>in</strong>e optimale<br />
Verwaltung das Pr<strong>in</strong>zip gelten, dass alle Vorgänge so glatt und reibungslos<br />
wie möglich ablaufen. Dem steht diametral die Tatsache<br />
gegenüber, dass Lernprozesse sich pr<strong>in</strong>zipiell ungleichmäßig, nichtl<strong>in</strong>ear,<br />
<strong>in</strong> Schüben entwickeln; darüber h<strong>in</strong>aus weisen sie <strong>in</strong>dividuell<br />
gänzlich verschiedene Profile auf.<br />
Dieser Spagat fällt e<strong>in</strong>er Hochschule schwer. Oft hat die Frage,<br />
wie „der Laden am besten läuft“, Vorrang vor der Frage, wie „e<strong>in</strong><br />
junger Mensch am besten lernt“. Der Studierende kann sie meist<br />
nicht selbst beantworten; er vertraut auf die Erfahrung der Institution.<br />
So ergibt sich, dass Innovationen es schwer haben, realisiert<br />
zu werden, da sie ja außer an f<strong>in</strong>anzielle Grenzen auch an solche<br />
menschlichen Beharrungswillens stoßen.<br />
Lernphasen<br />
Die Hochschulausbildung e<strong>in</strong>es Studenten beg<strong>in</strong>nt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Phase<br />
se<strong>in</strong>er Lernbiographie, <strong>in</strong> der die wichtigsten Grundzüge <strong>in</strong>strumentalen<br />
Könnens eigentlich schon abgeschlossen se<strong>in</strong> sollten.<br />
E<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d braucht die Anleitung durch feste Bezugspersonen. Mit<br />
elf Jahren braucht es die Führung, mit neunzehn h<strong>in</strong>gegen die Anregung,<br />
ja die Herausforderung. Stattdessen bekommt e<strong>in</strong> junger<br />
<strong>Frankfurt</strong> <strong>in</strong> <strong>Takt</strong> 09/1<br />
l<strong>in</strong>ks: Autor Gerhard Mantel<br />
rechts: E<strong>in</strong>zelunterricht als Spagat<br />
(im Bild der Viol<strong>in</strong>unterricht von<br />
Prof. Walter Forchert): E<strong>in</strong>erseits soll<br />
der Studierende die fachliche Autorität<br />
des Lehrers schätzen, andererseits<br />
muss er genügend Freiraum spüren,<br />
um se<strong>in</strong>e eigene Künstlerpersönlichkeit<br />
zu entfalten.<br />
Erwachsener oft die Führung, als wäre er e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d. So wird die<br />
Entwicklung h<strong>in</strong> zur Autonomie durch zu große Abhängigkeit vom<br />
Lehrer (von beiden Seiten gewollt) sogar oft gebremst. Eigenverantwortliches<br />
Handeln, autodidaktisches Experimentieren (dazu<br />
gehört auch „produktives partielles Scheitern“) wird beh<strong>in</strong>dert.<br />
Das Kommunikations-Muster „K<strong>in</strong>d – Erwachsener“ (als Verhältnis<br />
zwischen Schüler und Lehrer) wird um acht bis zehn Lebensjahre<br />
„nach oben“ verschoben. In der Lernphase des Studiums müssten<br />
Bewusstse<strong>in</strong>sprozesse mehr im Vordergrund stehen gegenüber<br />
e<strong>in</strong>er früheren k<strong>in</strong>dlichen Phase, wo unbewusste, „implizite“ Lernkanäle<br />
(Imitation, Bilder, Assoziationen, Ausprobieren durch re<strong>in</strong>e<br />
Wiederholung) die dom<strong>in</strong>ierende Rolle spielen. Oft fehlt dann das<br />
Gleichgewicht zwischen Intuition und Reflexion (wir s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong>e<br />
künstlerisch-wissenschaftliche Hochschule!).<br />
Zur „Reflexion“ gehören fünf Felder:<br />
1. Kenntnisse lernpsychologischer Bed<strong>in</strong>gungen („Üben“)<br />
im spezifischen <strong>in</strong>strumentalen Bereich,<br />
2. grundsätzliche physiologische Kenntnisse der<br />
vernetzten <strong>in</strong>strumentalen Bewegungsabläufe,<br />
3. ästhetisches Wissen über die Wirkung von Musik<br />
(„wie entsteht Ausdruck?“),<br />
4. physikalisches Wissen über das Instrument,<br />
5. kommunikatives Wissen über die Wirkung von Unterricht.<br />
Wir sehen: Der Musikhochschule fällt e<strong>in</strong>e Verantwortung zu,<br />
die über die „Pflege” von Hochbegabungen weit h<strong>in</strong>ausgeht!<br />
Aufnahmeprüfungen<br />
Wie aussagekräftig s<strong>in</strong>d Aufnahmeprüfungen? Sie stellen e<strong>in</strong>e<br />
Querschnittsbeurteilung für den Moment der Prüfung dar. Für den<br />
großen Bereich der Instrumental- und Gesangspädagogik sowie für<br />
den Bereich der Schulmusik jedoch gibt e<strong>in</strong> kurzes Vorspiel kaum<br />
H<strong>in</strong>weise auf die notwendige methodische und kommunikative<br />
Eignung e<strong>in</strong>es Kandidaten für das Studienziel der Lehrtätigkeit.