Hinter verschlossenen Türen Sexualität im Orient - [di.wan] Berlin
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12 [dī.wān] 12.2007 GESELLSCHAFT<br />
GESELLSCHAFT<br />
12.2007 [dī.wān] 13<br />
Araber – Jude – Israeli<br />
Israels Schwarze Panther oder eine kurze Geschichte der Mizrah<strong>im</strong> in Israel<br />
Ruven Abergjil, Gründer der Schwarzen Panther 2007 in Jerusalem<br />
Ruven Abergjil redet schnell,<br />
hastig und vor allem viel.<br />
Sein unbän<strong>di</strong>ger Geist spiegelt sich<br />
in seinem Gesicht wider. Ein kleiner,<br />
agiler Mann, dessen Streitbarkeit<br />
schon vielen Konflikten einen<br />
Rahmen bot: mit sich selbst, dem<br />
System, seinen Mitmenschen. Das<br />
Wort Rassismus, Hebräisch gazanut,<br />
ist ein konstanter Bestandteil<br />
seiner Sätze, wenn man mit ihm<br />
über Politik in Israel generell und<br />
<strong>di</strong>e Behandlung der Mizrah<strong>im</strong> speziell<br />
spricht.<br />
Ruven und seine Familie verließen<br />
1947 Marokko. Knapp drei Jahre<br />
verbrachte der damals Fünf- bis<br />
Siebenjährige in Transitionslagern<br />
in Südeuropa. Viele der Schwachen<br />
und Kranken seien zurückgelassen<br />
bzw. ausselektiert worden oder<br />
seien freiwillig nicht mitgekommen,<br />
erzählt er. An Probleme in Marokko<br />
können er oder seine Familie sich<br />
nicht erinnern, aber an Probleme in<br />
Israel dafür um so mehr.<br />
Kulturelle<br />
Unterdrückung<br />
Wenn er heute über <strong>di</strong>ese<br />
spricht, hat er <strong>im</strong>mer noch <strong>di</strong>esen<br />
kämpferischen Unterton, der einen<br />
ahnen lässt, was für ein wütender<br />
junger Mann Ruven gewesen sein<br />
muss, als er 1971 mit einer Handvoll<br />
anderer junger Männer aus<br />
Musrara, damals einem Jerusalemer<br />
Stadtteil für Mizrah<strong>im</strong>, <strong>di</strong>e Schwarzen<br />
Panther Israels gründete, Ha-<br />
Panter<strong>im</strong> HaShachor<strong>im</strong>. Sie und<br />
ihre bis zu 5000 Mitdemonstranten<br />
konnten sich mehr mit dem „Amerikanischen<br />
Alptraum“ von Malcom<br />
X identifizieren als mit dem Traum<br />
von der „Schweiz <strong>im</strong> Mittleren Osten“<br />
von Theodor Herzl.<br />
von Anna Esther Müller<br />
„...vielleicht sind das nicht <strong>di</strong>e Juden, von denen wir<br />
uns wünschen, dass sie herkommen, aber wir können<br />
ihnen kaum sagen nicht zu kommen...“<br />
Aus: The Zionist Executive, 5 June 1949. In: Tom Segev, “The First Israelis“<br />
Ganz spontan wurde damals<br />
sein Ein-Z<strong>im</strong>mer Haus mit seiner<br />
12-köpfigen Familie darin mit der<br />
charakterisierenden schwarzen<br />
Faust neben den Worten „HaPanter<strong>im</strong><br />
HaShachor<strong>im</strong>“ besprüht und<br />
zum Hauptquartier der jungen Bewegung<br />
gemacht. Eine der Haupterrungenschaften<br />
der Schwarzen<br />
Panther war, das Thema der Unterdrückung<br />
der Mizrah<strong>im</strong> in den<br />
formellen israelischen Diskurs gebracht<br />
und <strong>di</strong>e kulturelle Anerkennung<br />
der „orientalischen Juden“ erreicht<br />
zu haben.<br />
Der Vater des Zionismus, The-<br />
odor Herzl, hatte hingegen seinen<br />
Traum von Israel als einem „europäischen<br />
Bollwerk gegen Asien,<br />
einem Außenposten der Zivilisation<br />
<strong>im</strong> Gegensatz zum Barbarismus“<br />
beschrieben. Im Rahmen eurozentristischen<br />
Gedankenguts wurden<br />
nicht-europäische Kulturen und<br />
deren Menschen als barbarisch,<br />
unmenschlich, unzivilisiert, dumm<br />
und rückstän<strong>di</strong>g stigmatisiert. Die<br />
Mizrah<strong>im</strong> sollten durch „Umerziehung<br />
den <strong>Orient</strong>alen“ – und somit<br />
mehrheitlich den Araber – in sich<br />
verdrängen und okzidentale Israelis<br />
werden. So <strong>di</strong>e Vorstellung. Araber<br />
waren von nun an <strong>di</strong>e Feinde –<br />
und man kann ja nicht beides sein,<br />
Freund und Feind. Viele Mizrah<strong>im</strong><br />
der ersten Generation durchlebten<br />
einen Identitätskonflikt. Wie jemanden<br />
hassen, der man ja auch<br />
selbst ist?<br />
Mit dem Oktoberkrieg 1973<br />
wurde das Mizrahi Thema wieder<br />
von der politischen Agenda gestrichen<br />
und durch Sicherheit ersetzt.<br />
Die Ära der Schwarzen Panther<br />
hatte nach drei Jahren ein schnelles<br />
Ende gefunden. Ruven Abergjil hielt<br />
„Ein Staat, in dem <strong>di</strong>e Hälfte der Bevölkerung wie Könige leben und <strong>di</strong>e andere<br />
Hälfte wie ausgebeutete Sklaven – wir werden ihn niederbrennen!“<br />
Sa´a<strong>di</strong> Martziano, einer der Führer und Hauptredner der Schwarzen Panther auf einer Demonstration in Jerusalem, 1971<br />
sich danach hauptsächlich mit sozialen<br />
Jobs über Wasser, als letztes als<br />
Streetworker mit Mizrahi Jugendlichen.<br />
2003 wurde er gefeuert. Er<br />
hatte sich mit Ehud Olmert wegen<br />
einer öffentlichen Grünanlage in Jerusalem<br />
angelegt, auf <strong>di</strong>e <strong>di</strong>eser sein<br />
Haus bauen wollte. Ehud Olmert<br />
verlor den Gerichtsprozess und Ruven<br />
Abergjil seinen Job. Mit 65 ist<br />
er nun arbeitslos und ver<strong>di</strong>ent sich<br />
sein Taschengeld mit Vorträgen an<br />
Universitäten, bei privaten Institutionen,<br />
NGOs oder Kibbutz<strong>im</strong>.<br />
Ökonomische<br />
Unterdrückung<br />
Ungefähr sechzig Jahre zuvor<br />
hatten <strong>di</strong>e Väter Israels schnell<br />
nach der Staatsgründung realisiert,<br />
dass sich der Staat in seiner jetzigen<br />
Position nicht halten konnte.<br />
Man brauchte mehr Bevölkerung,<br />
Arbeiter und eine größere Armee.<br />
Ben Gurion, der Gründungsvater<br />
Israels, erklärte in einer Knessetsitzung<br />
1949 einmal, dass der Grund,<br />
warum der junge Staat arabische<br />
Juden hole, der gleiche sei, aus dem<br />
<strong>di</strong>e USA <strong>di</strong>e Schwarzen geholt hatte:<br />
Als Arbeiter. Was somit als kulturelle,<br />
ökonomische und soziale<br />
Diskr<strong>im</strong>inierung begann, hat sich<br />
heute in einer Klassenposition verfestigt,<br />
in der <strong>di</strong>e Mizrah<strong>im</strong> neben<br />
den Äthiopischen Juden und den<br />
Palästinensern <strong>di</strong>e unteren ökonomischen<br />
Ränge der Gesellschaft<br />
bekleiden.<br />
Für <strong>di</strong>e jungen Männer aus<br />
Musrara wie Ruven war es damals<br />
schwer ihre Situation zu begreifen.<br />
Die Eltern waren damit beschäftigt<br />
mit der Familie zu überleben. „Für<br />
politischen Aktivismus blieb da keine<br />
Zeit“, erklärt Ruven. Seine Gene-<br />
ration fand sich ohne Ausbildung<br />
schnell <strong>im</strong> Sumpf der Gelegenheitsjobs,<br />
Kleinkr<strong>im</strong>inalität und Drogen<br />
wieder. Golda Meir nannte <strong>di</strong>e<br />
Panther nach einem Treffen einmal<br />
„keine netten Menschen!“ Ruven<br />
zeigt stolz grinsend <strong>di</strong>e Transkription<br />
des Gespräches.<br />
Als erklärter Anti-Zionist<br />
hatte er es nicht leicht in seinem<br />
Land – <strong>di</strong>e Panther und Ruvens<br />
Dickkopf waren eine Gefahr für<br />
das Establishment. Manche seiner<br />
Mitstreiter sind in den 70ern gar<br />
verschwunden und bis heute nicht<br />
wieder aufgetaucht. Der Staat erklärte<br />
Ruven damals, er sei kein<br />
Staatsbürger. Bis 1996 besaß er le<strong>di</strong>glich<br />
ein „Laissez passer“-Papier,<br />
einen Pass für Flüchtlinge, wie ihn<br />
„75% der Todesfälle in der israelischen Armee während der<br />
zweiten Intifada kamen aus periphären sozialen Gruppen“<br />
Yagil Levy, in einem Artikel über <strong>di</strong>e Israeli Defense Force, 2006<br />
auch viele Palästinenser haben. Ein<br />
Jude in Israel, als Flüchtling <strong>im</strong> Ausland<br />
auf Reisen.<br />
Heute sieht Ruven seinen Ausweg<br />
in einem politischen Bündnis<br />
von Palästinensern und Mizrah<strong>im</strong><br />
„um das zionistische Ashkenazi<br />
Establishment zu Frieden und Gerechtigkeit<br />
zu zwingen.“ Aber gerade<br />
unter Mizrah<strong>im</strong> hat er es schwer<br />
mit seiner Einstellung. Viele von ihnen<br />
wählen heute <strong>di</strong>e rechte Volkspartei<br />
Likud und <strong>di</strong>e religiös-rechte<br />
Mizrahi Partei Shas. Manche nennen<br />
ihn daher naiv. Andere Mizrahi<br />
Aktivisten sehen in seinen Vorstellungen<br />
eher einen schönen Traum.<br />
Auch wenn sie ihn auf kultureller<br />
Ebene nachvollziehen können, so<br />
halten sie ihn politisch doch für unrealistisch.<br />
Dass irgend<strong>wan</strong>n <strong>di</strong>e Palästinenser<br />
den Kurs <strong>di</strong>eser beiden Länder<br />
best<strong>im</strong>men werden, glauben ja<br />
viele, von den Rechten bis zu den<br />
Linken, mit jeweils anderen Interpretationen<br />
und Lösungsvorschlägen.<br />
Ruven selbst geht es um seine<br />
teilweise verloren gegangenen Wurzeln,<br />
Idealismus und Gerechtigkeit.<br />
Aufgehört zu kämpfen hat er jedenfalls<br />
nicht. Besonders wenn es um<br />
Politik geht. Er drückt seine Zigarette<br />
aus und muss zum nächsten<br />
politischen Treffen. „Alles Anti-<br />
Zionisten!“ hebt er stolz hervor und<br />
grinst schon wieder. Shalom.<br />
Aschkenaz<strong>im</strong>: Juden aus Mittel- und Osteuropa<br />
Sephard<strong>im</strong>: Juden aus Spanien und Portugal, nach den Vertreibungen 1492 auch<br />
M arokko, Griechenland und Türkei<br />
Mizrah<strong>im</strong> (<strong>di</strong>e „Östlichen“ oder „<strong>Orient</strong>alen“): Juden aus der islamisch geprägten Welt<br />
Die Bezeichnung „Mizrah<strong>im</strong>“ für <strong>di</strong>e Juden aus der islamisch geprägten Welt wurde erst<br />
nach der Staatsgründung Israels eingeführt. Heute sind sie neben den Aschkenaz<strong>im</strong><br />
eine der Gruppen der jü<strong>di</strong>schen Gesellschaft <strong>im</strong> Land. Bis in <strong>di</strong>e Mitte der 80er Jahre<br />
hat das israelische Statistikbüro <strong>di</strong>e Juden bei ihrer Ein<strong>wan</strong>dung nach Erez Israel (hebr.<br />
Aliya) der Herkunft des Vaters entsprechend unterschiedlich behandelt. Wohlhabende<br />
Juden aus dem „entwickelten“ West-Europa waren eher willkommen als <strong>di</strong>e zumeist<br />
verarmten Juden Nord-Afrikas und des Nahen Ostens. Für <strong>di</strong>e europäischen Juden<br />
wurden spezielle Fördermittel bereit gestellt, während <strong>di</strong>e arabischen Juden schlechtere<br />
Wohnorte <strong>im</strong> Lande zugewiesen bekamen. Heute lebt allein eine halbe Million<br />
marokkanischer Juden in Israel, <strong>di</strong>e weiterhin eine starke Bindung an ihre He<strong>im</strong>at mit<br />
eigener Kultur pflegen.<br />
Für alle, <strong>di</strong>e nachschlagen wollen<br />
www.hila-equal-edu.org.il<br />
www.adva.org (u.a. „Israel: A Social Report, 2005“)<br />
The Alternative Information Center (www.alternativenews.org)<br />
• weitere Links und Infos ab 2008 auf der [<strong>di</strong>.<strong>wan</strong>]-Homepage