Hinter verschlossenen Türen Sexualität im Orient - [di.wan] Berlin
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36 [dī.wān] 12.2007 12.2007 [dī.wān] 37<br />
SPECIAL<br />
toris noch. Durch das Massieren <strong>di</strong>eser Nervenenden<br />
kann also noch das gleiche Gefühl erzeugt werden.<br />
[dī.wān] Sie reden jetzt über <strong>di</strong>e ‚harmlosere‘ Form der<br />
Beschneidung?<br />
HEBA QUTB Das gilt für alle Formen der Mädchenbeschneidung<br />
außer für <strong>di</strong>e extremste Form, <strong>di</strong>e in einigen ländlichen<br />
Gebieten Afrikas ange<strong>wan</strong>dt wird; in Ägypten ist<br />
sie nicht verbreitet.<br />
[dī.wān] Wie gehen ägyptische Paare mit Familienplanung,<br />
sei es durch Verhütungsmittel oder Abtreibung,<br />
um?<br />
HEBA QUTB Das lässt sich nicht verallgemeinern. In der<br />
Oberschicht, in der das Bildungsniveau hoch ist, wird<br />
damit anders umgegangen als auf allen anderen gesellschaftlichen<br />
Ebenen. Gerade in ländlichen Gebieten ist<br />
es oft sehr wichtig, viele Kinder zu haben, da sie schon<br />
<strong>im</strong> Alter von sechs Jahren eine zusätzliche Arbeitskraft<br />
darstellen. Was Abtreibung betrifft, so ist sie absolut<br />
haram (verboten, d.R.). Doch praktiziert wird sie hier<br />
tagtäglich, da brauchen wir uns nichts vorzumachen.<br />
[dī.wān] Haben Sie mit Frauen und Männern aus polygamen<br />
Ehen zu tun – und was können Sie uns von deren<br />
Sexualleben berichten?<br />
HEBA QUTB In Ägypten? Nein, das gibt es hier eigentlich<br />
nicht. In unserer Kultur, in <strong>di</strong>esem liberalen Land, wäre<br />
das unvorstellbar! Im Gegensatz zu den Golfstaaten<br />
können wir auf eine längere Zivilisationsgeschichte<br />
zurückblicken. So wie <strong>di</strong>e Polygamie in vielen Gesellschaften<br />
praktiziert wird, läuft etwas falsch. Das ist<br />
nicht der Weg der Scharia. Die Leute denken sich nur:<br />
Ah, es ist schön, so viele Frauen zu haben. Ich würde<br />
meinen Mann umbringen, würde er eine weitere Frau<br />
heiraten wollen (lacht).<br />
[dī.wān] Als Ärztin betrachten sie Homosexualität als<br />
‚heilbare Krankheit‘. Könnten Sie <strong>di</strong>ese Position – jenseits<br />
der Religion – wissenschaftlich begründen? Und welche<br />
Heilmittel bieten Sie an?<br />
HEBA QUTB Mein Ausgangspunkt war der Koran, aber in<br />
ihm wird Homosexualität nicht als Krankheit, sondern<br />
als Sünde bezeichnet. Ich als Gläubige kann da nicht<br />
religiös argumentieren. Es ist kein Aspekt, über den<br />
man <strong>di</strong>skutieren kann, Gott hat das Thema beendet.<br />
Das heißt, wir müssen das Thema aus einer anderen<br />
Perspektive betrachten. In der Wissenschaft hat es <strong>di</strong>esbezüglich<br />
mehrere Entwicklungen gegeben. Mittlerweile<br />
wird viel darüber gestritten, ob es sich um eine<br />
Krankheit oder le<strong>di</strong>glich um eine sexuelle <strong>Orient</strong>ierung<br />
handelt, <strong>di</strong>e keinerlei Therapie bedarf. Letztlich gibt es<br />
keine endgültigen Beweise.<br />
Ich jedoch denke, dass alle Menschen durch irgendetwas<br />
in ihrer Entwicklung beeinflusst werden, was<br />
auch <strong>di</strong>e <strong>Sexualität</strong> betrifft, und dass das Problem, das<br />
für <strong>di</strong>e Entstehung von Homosexualität verantwortlich<br />
ist, hier gesucht werden muss. Es handelt sich hierbei<br />
gewissermaßen um <strong>di</strong>e Bestandteile der <strong>Sexualität</strong>:<br />
Gen der, also <strong>di</strong>e Tatsache, ob ein Junge in der Familie als<br />
Junge und ein Mädchen als Mädchen behandelt wird,<br />
<strong>di</strong>e sexuellen Erfahrungen durch das, was sie hören, lesen<br />
und was sie erleben – vor allem in der Pubertät. Die<br />
Be<strong>di</strong>ngungen verbinden sich miteinander.<br />
Ich heile viele der Leute, <strong>di</strong>e mit <strong>di</strong>esem Problem<br />
zu mir kommen. Die Heilung beansprucht viel Zeit. Ich<br />
muss zuerst den Zugang zu ihrer Persönlichkeit finden<br />
und wissen, was <strong>di</strong>e Ursachen für ihre Homosexualität<br />
sind – in vielen Fällen ist es sexueller Missbrauch.<br />
Viele meiner homosexuellen Patienten sind verheiratet,<br />
haben Kinder und begehren ihre Frauen. Nach meiner<br />
Behandlung ist selbst auf der Ebene der homosexuellen<br />
Tagträume und der feuchten Träume alles okay.<br />
[dī.wān] Themen wie Masturbation, Oralverkehr, Doggy-Stellung,<br />
Vorspiel und weiblicher Orgasmus sind bei<br />
islamischen Gelehrten nicht gerade weit verbreitet und<br />
genossen auch in der Interpretation von Koran und Sunna<br />
keine große Aufmerksamkeit. Wer hat vor Ihnen über<br />
<strong>di</strong>ese Themen in einem religiösen Kontext gesprochen?<br />
HEBA QUTB Gerade über das Thema Masturbation haben<br />
viele Religionsgelehrte gesprochen. Viele sind der Meinung,<br />
sie sei erlaubt, um Ehebruch oder vorehelichen<br />
Sex zu vermeiden. Was <strong>di</strong>e anderen Dinge betrifft, so<br />
habe ich gesucht und gesucht und schließlich in einem<br />
Buch über <strong>di</strong>e Scharia – ich glaube, es war von Ibn<br />
Hazm – etwas gefunden. Er wurde darin – nicht ausdrücklich<br />
– über den Doggy-Style befragt. Ob man auf<br />
<strong>di</strong>ese Weise mit seiner Frau schlafen dürfe? Ibn Hazm<br />
bejahte <strong>di</strong>e Frage.<br />
[dī.wān] Wie begründen Sie mit Koran und Sunna <strong>di</strong>e<br />
Wichtigkeit des weiblichen Orgasmus‘?<br />
Das steht <strong>im</strong> Koran.<br />
[dī.wān] Wir haben in den Artikeln von Ihnen und über<br />
Sie während der Vorbereitungen auf <strong>di</strong>eses Interview gelesen,<br />
dass Sie <strong>di</strong>e Sure Al-Baqara in <strong>di</strong>esem Sinne interpretieren.<br />
Inwiefern bezieht sich der Ausdruck „qadd<strong>im</strong>u<br />
li-anfusikum“ auf das Vorspiel und <strong>di</strong>e weibliche Lust?<br />
HEBA QUTB Das Vorspiel ist sehr wichtig für <strong>di</strong>e Lust und<br />
<strong>di</strong>e Freude am Sex. Darauf beziehen sich <strong>di</strong>ese Worte:<br />
„Stellt Euch selbst etwas voraus“. Es ist <strong>di</strong>e Rede von<br />
der Notwen<strong>di</strong>gkeit des Mannes, den Sex einzuleiten<br />
und vorzubereiten. Gott selbst befiehlt es dem Mann.<br />
Je besser der Mann das macht, um so mehr gefällt es<br />
der Frau, sie bekommt einen oder mehrere Orgasmen<br />
und das wiederum wirkt sich be<strong>im</strong> Geschlechtsverkehr<br />
positiv auf ihn aus.<br />
[dī.wān] In der ägyptischen Gesellschaft gilt Sex <strong>im</strong>mer<br />
noch als Tabuthema. Wer sollte in welcher Form dazu<br />
beitragen, dass <strong>di</strong>e Ägypter mehr über Sex wissen und<br />
offener damit umgehen können?<br />
HEBA QUTB Ich denke nicht, dass es sich hierbei noch um<br />
ein tabuisiertes Thema handelt. In meiner Praxis habe<br />
ich gewissermaßen den Sensor dafür. Anfangs kamen<br />
nur zwei Patienten pro Woche, mittlerweile bin ich<br />
über Monate <strong>im</strong> Voraus ausgebucht. Ich denke, dass<br />
gerade <strong>di</strong>e Me<strong>di</strong>en ein wichtiger Faktor dafür gewesen<br />
sind. Ein Problem jedoch stellt <strong>di</strong>e <strong>im</strong>mer noch fehlende<br />
Kommunikation über <strong>Sexualität</strong> in den Familien dar.<br />
Zwar kommen manchmal Eltern zu mir, um zu erfahren,<br />
wie sie mit ihren Kindern darüber sprechen sollen,<br />
aber das stellt eher <strong>di</strong>e Ausnahme dar.<br />
[dī.wān] Was sagen Sie zur Trennung der Geschlechter?<br />
HEBA QUTB Ich halte Geschlechtertrennung für absolut<br />
falsch! Nebenbei wird <strong>di</strong>e Trennung nicht in den religiösen<br />
Texten erwähnt. Sie ist etwas Kulturelles. Meiner<br />
Meinung nach begann das mit dem Einfluss der katholischen<br />
Kirche in Äygpten. Man kann es <strong>im</strong>mer noch<br />
daran sehen, dass alle Unisex-Schulen christlich sind<br />
(lacht und zählt all <strong>di</strong>ese Schulen auf).<br />
[dī.wān] Wie verhält es sich mit Ländern wie z.B. Jemen<br />
oder Sau<strong>di</strong>-Arabien, in denen es keinen katholischen<br />
Einfluss, aber eine strenge Geschlechtertrennung gibt?<br />
HEBA QUTB Ich sprach über mein Land. Auf der arabischen<br />
Halbinsel herrscht eine ganz andere Kultur vor, wirklich<br />
eine ganz andere, nämlich <strong>di</strong>e beduinische Kultur,<br />
in der <strong>di</strong>e Frauen voll verschleiert sein müssen. Aber<br />
mein Land ist seit langem offen und liberal <strong>im</strong> Gegensatz<br />
zu den gerade erwähnten Ländern. Die Idee der<br />
Geschlechtertrennung wurde bei uns erst durch <strong>di</strong>e Katholiken<br />
eingeführt.<br />
[dī.wān] Islamische Grundlagen können nicht angeführt<br />
werden?<br />
HEBA QUTB Es gibt <strong>di</strong>ese Trennung nur in der Moschee.<br />
Aber daneben gibt es keine Bereiche, in denen sie islamisch<br />
legit<strong>im</strong>iert wäre.<br />
[dī.wān] Viele junge arabische Männer haben in Bezug<br />
auf vorehelichen Sex <strong>di</strong>e Einstellung: Ich darf, was<br />
meine Schwester niemals dürfte. Wie bewerten Sie <strong>di</strong>ese<br />
Doppelmoral?<br />
HEBA QUTB Doppelmoral ist <strong>im</strong>mer schlecht! Sex außerhalb<br />
bzw. vor der Ehe ist absolut haram! Doch er wird<br />
praktiziert – von jungen Männern und leider <strong>im</strong>mer<br />
mehr auch von jungen Frauen.<br />
[dī.wān] Sie waren <strong>di</strong>e erste ägyptische Ärztin, <strong>di</strong>e eine<br />
Praxis für Sexualberatung eröffnet hat. Wie bewerten<br />
Sie Ihren Einfluss und was erhoffen Sie sich für sich selbst<br />
und <strong>di</strong>e Gesellschaft?<br />
HEBA QUTB Ich behaupte, dass mein Einfluss bisher sehr<br />
groß gewesen ist, vor allem nach meiner TV-Show. Momentan<br />
arbeite ich an drei neuen Büchern, vier habe ich<br />
bisher veröffentlicht. Eines der neuen Bücher ist eine<br />
Art Enzyklopä<strong>di</strong>e für Eheleute, in der alles steht, was sie<br />
über <strong>Sexualität</strong> wissen sollten. Das zweite widmet sich<br />
der Sexualerziehung von Kindern und das dritte dem<br />
Unterschied zwischen männlicher und weiblicher <strong>Sexualität</strong>.<br />
Bücher darüber werden dringend benötigt.<br />
[dī.wān] Was könnten <strong>di</strong>e Ägypter bezüglich <strong>Sexualität</strong><br />
von den Europäern, was <strong>di</strong>e Europäer von den Ägyptern<br />
lernen?<br />
HEBA QUTB Jeder weiß alles (lacht). Interessanterweise<br />
sind <strong>di</strong>e Erfahrungen und Probleme mit <strong>Sexualität</strong><br />
überall auf der Welt ähnlich. Wir sind eben alle Menschen.<br />
Was Ägypten betrifft, so denke ich, dass sich <strong>im</strong><br />
Umgang damit sehr viel verbessert hat, es jedoch noch<br />
<strong>im</strong>mer an der Kommunikation über Sex zwischen den<br />
Partnern mangelt. Sie reden nicht darüber, was ihnen<br />
gefällt und auch nicht darüber, was sie stört. Sicherlich<br />
funktioniert das zwischen westlichen Partnern besser.<br />
Vielleicht ist es da aber auch schon zu viel. Für <strong>di</strong>ese<br />
wünschte ich mir natürlich, dass auf Sex außerhalb<br />
bzw. vor der Ehe verzichtet würde, dessen negativer<br />
Einfluss <strong>im</strong> Übrigen ja auch bewiesen ist: Denn wenn<br />
jemand schon mit z<strong>wan</strong>zig oder dreißig Partnern vor<br />
seiner Heirat geschlafen hat, so hat er viele Erfahrungen<br />
gemacht und zu hohe Ansprüche. In seiner Ehe wird<br />
er sich stän<strong>di</strong>g beschweren und mit seiner Frau unzufrieden<br />
sein, weil sie seine Wünsche vielleicht nicht so<br />
erfüllt, wie er es gewohnt gewesen ist, und umgekehrt<br />
gilt das natürlich auch für <strong>di</strong>e Frau..<br />
Wir danken Ihnen für <strong>di</strong>eses interessante Gespräch.<br />
Die Fragen stellten<br />
Nora Wothe und Alexander Kalbarczyk.<br />
Kaufberatungen, Kairo<br />
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