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Hinter verschlossenen Türen Sexualität im Orient - [di.wan] Berlin

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46 [dī.wān] 12.2007 12.2007 [dī.wān] 47<br />

Al-Jazeera-Korrespondent<br />

Aktam Sul<strong>im</strong>an in <strong>Berlin</strong><br />

„Die Araber können es<br />

sich nicht leisten, blind zu sein!“<br />

Das Al Jazeera Büro in <strong>Berlin</strong>, Friedrichsstraße<br />

Der Korrespondent des <strong>Berlin</strong>er Al-Jazeera-Büros Aktam<br />

Sul<strong>im</strong>an über deutsche und arabische Fehlwahrnehmung des<br />

Holocausts, das Bild vom „Mercedes-Land“ in der arabischen<br />

Welt und seinen Traumberuf.<br />

Der arabische Sender Al Jazeera war 1996 <strong>im</strong> Emirat Qatar als<br />

Spross des arabischen BBC-Ressorts gegründet worden und<br />

eroberte seitdem in Windeseile <strong>di</strong>e arabische Me<strong>di</strong>enwelt.<br />

[dī.wān] Herr Sul<strong>im</strong>an, wie arbeiten Sie in Ihrer Korrespondenz<br />

hier in <strong>Berlin</strong> für Al Jazeera?<br />

SULIMAN Das ist eine ganz normale Fernsehkorrespondenz,<br />

<strong>di</strong>e sich vor allem in hektischen Zeiten wie jetzt<br />

zum G8 Gipfel nicht von anderen Fernsehkorrespondenzen<br />

unterscheidet.<br />

[dī.wān] Wer wählt <strong>di</strong>e Themen aus, über <strong>di</strong>e Sie aus<br />

Deutschland berichten?<br />

SULIMAN Sehen Sie, jeder Journalist hat ja so eine Schnittmenge<br />

von Themen <strong>im</strong> Kopf. Er beobachtet <strong>di</strong>e Szene<br />

und dann spielt es natürlich noch eine Rolle, was das<br />

Haus sagt. Aber meistens geht <strong>di</strong>e Absprache mit der<br />

Zentrale in Qatar glatt, also der Ausgleich zwischen<br />

Ansagen von dort und Vorschlägen von uns. Wir haben<br />

zum Beispiel einen Beitrag über den Karneval der Kulturen<br />

erwirkt. Das ist natürlich ein sehr deutsches Phänomen,<br />

aber es waren ja auch Araber beteiligt und über<br />

<strong>di</strong>ese Perspektive haben wir den Beitrag aufgezogen.<br />

[dī.wān] Gibt es Themen, <strong>di</strong>e Sie nicht durchbekommen?<br />

SULIMAN Wir wollten einmal eine Sendung zu Homosexualität<br />

machen, und zwar eine, bei der man <strong>di</strong>e Thematik<br />

nicht reißerisch darstellt, sondern ihr 20 Minuten einräumt,<br />

so dass sie nicht le<strong>di</strong>glich <strong>di</strong>e bestehenden Vorurteile<br />

bestätigt. Wir wollten richtig informieren und zeigen,<br />

dass Homosexualität überall ein Phänomen ist und wie<br />

damit speziell in Deutschland umgegangen wird. Aber<br />

das hat Qatar nicht angenommen – es war zu heikel.<br />

[dī.wān] Wie läuft <strong>di</strong>e Zusammenarbeit zwischen Korrespondenz<br />

und Zentrale?<br />

SULIMAN Von Qatar kommen eigentlich nur sehr selten<br />

Vorschläge. Und Al Jazeera ist zwar ein großer Sender,<br />

aber arbeitet nicht so systematisch, wie man das bei<br />

vergleichbaren Häusern wie CNN oder BBC kennt. Die<br />

Zentrale hält es manchmal für Planung, wenn sie uns<br />

sagen, „da ist eine Konferenz in Tunis, geht mal hin“.<br />

Aber alles, was nach der reinen Terminansage kommt,<br />

müssen wir selbst machen. Man verlässt sich schon stark<br />

auf <strong>di</strong>e Korrespondenzen. Was übrigens auch einzigartig<br />

bei Al Jazeera ist, ist <strong>di</strong>e Wahl der Korrespondenten:<br />

Sie werden ausschließlich vor Ort rekrutiert, niemals<br />

aus Qatar entsandt. Unser Russland-Korrespondent ist<br />

Russe, der in Paris selbstverständlich Franzose und ich<br />

bin Deutscher.<br />

[dī.wān] Welches Bild von Deutschland möchten Sie in<br />

der arabischen Welt vermitteln?<br />

SULIMAN Ich will gar kein Bild vermitteln. Das ist nicht<br />

unsere Aufgabe. Aber ich hoffe, dass ein Bild entsteht,<br />

das nah an dem ist, was ich „Realität“ nennen würde.<br />

Das ergibt sich durch politische Ereignisse. Zum Beispiel<br />

gab es zur Zeit des „Neins“ von Schröder zum<br />

Irak-Krieg um 2002/03 ein sehr positives Deutschland-<br />

Bild in der arabischen Welt. Es ist natürlich klar, dass<br />

auch Deutschland all <strong>di</strong>ese Sicherheitspakete geschnürt<br />

hat und es auch in Deutschland für Araber unbequem<br />

INTERVIEW<br />

wurde, aber Schröder hat <strong>di</strong>e außenpolitische Haltung<br />

Deutschlands sehr gut verkauft. Er ist eben ein charmanter<br />

Typ und sehr beliebt in der arabischen Welt.<br />

[dī.wān] Und wie sehen Sie persönlich <strong>di</strong>e Wahrnehmung<br />

Deutschlands in der arabischen Welt, <strong>di</strong>e Wahrnehmung<br />

deutscher Geschichte?<br />

SULIMAN Deutschland wird <strong>im</strong>mer noch vor allem als<br />

Wirtschaftsmacht wahrgenommen. Was Arbeitslosigkeit<br />

hier für <strong>di</strong>e Deutschen bedeutet, wird nicht verstanden<br />

– man bekommt dann oft zu hören „ist doch<br />

gut, ihr bekommt ja wenigstens Arbeitslosengeld, bei<br />

uns sterben <strong>di</strong>e Leute“ und das st<strong>im</strong>mt natürlich. Jedes<br />

Land hat seine eigenen Probleme. Aber Deutschland<br />

bleibt in den Augen der Araber das „Mercedes-Land“.<br />

[dī.wān] Wie beeinflusst der Holocaust als Teil deutscher<br />

Geschichte das Gesamtbild von Deutschland?<br />

SULIMAN Es gibt natürlich Missverständnisse in der Wahrnehmung<br />

und einen Mangel an Informationen.<br />

[dī.wān] Einen Mangel an Informationen sieht man ja<br />

auch auf der Seite Europas und der USA.<br />

SULIMAN Ja, aber der Westen kann sich das auch leisten.<br />

Amerika ist Weltmacht, Europa ist geistig und wirtschaftlich<br />

sehr aktiv. Die Araber hingegen existieren<br />

nicht wirklich – weder politisch, ökonomisch noch kulturell.<br />

Sehen Sie, <strong>di</strong>e arabische Welt übersetzt jährlich so<br />

viele Bücher wie <strong>di</strong>e Türkei. Die arabische Welt ist in der<br />

Krise und da kann man es sich nicht leisten, blind zu sein.<br />

Da ist für <strong>di</strong>ese Fehlwahrnehmungen einfach kein Platz.<br />

[dī.wān] Was ist mit Fehlwahrnehmungen und Klischees<br />

auf unserer Seite?<br />

SULIMAN Bezogen auf das Beispiel Holocaust: Da haben<br />

<strong>di</strong>e Araber das Problem, dass sie den Holocaust gar<br />

nicht wahrnehmen können, ohne auf <strong>di</strong>e Gegenwart zu<br />

gucken und auf das israelisch-palästinensische Verhältnis.<br />

Die Deutschen wiederum können Nahost-Konflikte<br />

nicht wahrnehmen, ohne in <strong>di</strong>e Vergangenheit zu gucken.<br />

Beides ist verhängnisvoll.<br />

[dī.wān] Wie ist denn <strong>di</strong>e Reaktion aus der deutschen<br />

Bevölkerung gegenüber Al Jazeera?<br />

SULIMAN Nach dem 11. September erlebten wir eine regelrechte<br />

Hysterie. Al Jazeera wurde zunächst nur als<br />

Sender von Terror-Botschaften wahrgenommen. Das<br />

hat sich ein bisschen gelegt. Aber es gibt <strong>im</strong>mer noch<br />

<strong>di</strong>e Sichtweise, dass Al Jazeera Sensationsjournalismus<br />

betreibt. Ich denke eher, dass manche mit Al Jazeera<br />

Sensationsjournalismus betreiben.<br />

[dī.wān] Was bedeutet <strong>di</strong>e Arbeit bei Al Jazeera für Sie?<br />

SULIMAN Dieser Job ist für jeden ein Traum. Das ist <strong>di</strong>e<br />

höchste Ebene, <strong>di</strong>e man erreichen kann, hohes journalistisches<br />

Niveau und viel Freiheit bei der Arbeit. Ideal vor<br />

allem, wenn man <strong>im</strong> Ausland lebt und <strong>di</strong>e Verbindung zur<br />

arabisch-islamischen Welt nicht ganz abreißen lassen will.<br />

Die Fragen stellte Julia Gebert <strong>im</strong> Juni 2007

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