01.01.2013 Aufrufe

Ausgabe April 2003 - Landesärztekammer Brandenburg

Ausgabe April 2003 - Landesärztekammer Brandenburg

Ausgabe April 2003 - Landesärztekammer Brandenburg

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Editorial<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

die „Süddeutsche Zeitung“ titelte am 22. Februar <strong>2003</strong>: „Ministerin<br />

will Macht der Ärzte brechen“ – was für eine knallige<br />

Titelzeile, was für eine journalistische Fehlleistung der Formulierung,<br />

vielleicht aber auch: was für eine gesundheitspolitische<br />

Fehlleistung der Gesundheitsministerin.<br />

„Macht brechen“ – Du, lieber Himmel – welche Macht denn?<br />

Vermutlich sind mit „den Ärzten“ die Kassenärztlichen Vereinigungen<br />

gemeint. Eine Dummheit oder besser Eselei erster<br />

Güte: Die Kassenärztlichen Vereinigungen wurden zwar als<br />

Kampforganisationen der Kassenärzte (heute: Vertragsärzte)<br />

gegen die ökonomische Macht der Krankenkassen (gesetzliche<br />

Krankenversicherungen) gegründet, sind aber seit langem,<br />

in den besseren Jahren der Bundesrepublik Deutschland<br />

als Körperschaften öffentlichen Rechts zu zwitterhaften Institutionen<br />

mutiert, die neben Abrechnungs- und Kontrollaufgaben<br />

auch zwischen Gesundheitspolitik und den Ärzten vor Ort vermitteln<br />

müssen! Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben<br />

vor langer Zeit ihre Macht, den Krankenkassen den Gehorsam<br />

zu verweigern – d. h. deren ökonomische Zumutungen beim<br />

Mitteleinsatz am Patienten und bei den Arzthonoraren zu widerstehen<br />

– gegen das Monopol der ambulanten Behandlung<br />

eingetauscht. Die Bindung dieses Monopols der ambulanten<br />

Behandlung an den Verzicht auf Arbeitsverweigerung mit Hinnahme<br />

aller Bedingungen seitens der Gesundheitspolitik und<br />

der Krankenkassen (Friedenspflicht) macht die Widerstandskraft<br />

der Kassenärztlichen Vereinigungen gegenüber der Gesundheitspolitik<br />

eher schwach, denn mächtig.<br />

Die „Macht der Ärzte“ liegt in ihrer Kompetenz, in ihren<br />

Kenntnissen von Krankheit und Tod, in ihrem sozialen Engagement<br />

und in ihrer (sie oft selbst beschädigenden) Arbeitsbereitschaft!<br />

Natürlich gibt es – wie in jeder anderen Profession<br />

(z. B. PolitikerInnen) – auch inkompetente Ärzte.<br />

Von Hippokrates her ist der Arzt vor allem anderen dem Patienten<br />

verpflichtet und die Erfüllung dieser Verpflichtung ist an<br />

die Freiheit des Arztes gebunden, jene Freiheit, die zum Teil<br />

98 <strong>Brandenburg</strong>isches Ärzteblatt 4/<strong>2003</strong> 13. Jahrgang<br />

mit den Begriffen Eigenverantwortung und Therapiefreiheit<br />

umschrieben werden kann. Selbst die so gern beklagte<br />

Hierarchie in den Krankenhäusern begründete niemals – auch<br />

nicht in der Staatsmedizin der DDR – eine Befehlsgewalt der<br />

Vorgesetzten. Immer war der Arzt als Einzelperson seinem<br />

ärztlichen Gewissen und dem Patienten höher verpflichtet als<br />

irgendwelchen anderen Vorschriften, außer Verfassung und<br />

Strafrecht.<br />

Wenn der neue Gesetzentwurf zur (wievielten?) Gesundheitsreform<br />

die Kassenärztlichen Vereinigungen in Staatsorgane<br />

transformiert und die niedergelassenen Kollegen in angestellte<br />

Kassenärzte verwandelt, endet die Existenz des Arztes als<br />

freier Beruf in Deutschland. Selbst im Krankenhaus war der<br />

viel gescholtene, letztlich auch angestellte Chefarzt in seinen<br />

medizinischen Entscheidungen justiziabel frei und jeder Kollege<br />

weiß, wie viel Sturheit bis Zivilcourage für den Erhalt dieser<br />

Freiheit nötig war und ist. Als vertragsgebundene Angestellte<br />

der gesetzlichen Krankenversicherungen könnten die<br />

Ärzte die Freiheit der Berufsausübung verlieren, und auch in<br />

den Krankenhäusern deutet sich dieser Paradigmenwechsel<br />

in den neuen Chefarzt-Musterverträgen an.<br />

Welches Szenario ist zu erwarten? – die so genannten „Besserverdienenden“<br />

werden – falls noch möglich – die gesetzlichen<br />

Krankenversicherungen verlassen und in die privaten<br />

Krankenversicherungen wechseln, das wird komparativ das<br />

System der Privatärzte und Privatkrankenhäuser fördern. Am<br />

Ende ist das System der gesetzlichen, solidarischen Krankenversicherungen,<br />

das sogar die Weltwirtschaftskrise 1929 bis<br />

1931 überlebt hatte, nachhaltig beschädigt. Das vollzieht sich<br />

auch, weil die sozialdemokratisch-grüne Koalition bisher unfähig<br />

war, mit den Ärzten (als wesentlichen Vertretern der<br />

Heilberufe) einen konstruktiven Dialog zu führen, einen Dialog,<br />

der sinnvolle Reformen ermöglicht und vielleicht die solidarische<br />

Finanzierung des Gesundheitssystems erhalten hätte.<br />

Es ist menschliche Hybris, wenn Politikerinnen oder Politiker<br />

glauben, dass sie in der Lage wären, die Patientenbetreuung<br />

zu verbessern. Das können nur diejenigen, die in Gesundheitsberufen<br />

arbeiten! Der Ausschluss der Ärzte aus dem Reformprozess<br />

durch Diskreditierung und Verleumdung wird das<br />

gegenwärtige System mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit<br />

beschädigen, wenn nicht zerstören – viel Zeit<br />

bleibt nicht mehr!<br />

Ihr<br />

Manfred Kalz

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!