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Jugend an der Wien – VorSchau - Theater an der Wien

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Ein Unternehmen <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> Holding<br />

Das neue Opernhaus<br />

<strong>Jugend</strong><br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> #5


2<br />

inhalt<br />

Glückliche spaGhetti<br />

Ein Libretto entsteht<br />

6<br />

hier bin ich !<br />

Eine Teilnehmerin erzählt<br />

10<br />

Wie aus einem teenaGer<br />

ein köniG WirD<br />

Selbstinszenierung und Bühnenkostüm<br />

12<br />

VOn Der kunst, über<br />

eine bühne zu Gehen<br />

Präsenz und Rollenentwicklung<br />

14<br />

Quietschen<br />

unD brummen<br />

Annäherung <strong>an</strong> den Opernges<strong>an</strong>g<br />

16<br />

champiOn<br />

GeOrGe FriDeric<br />

Händel heute<br />

18<br />

OpernsänGer <strong>–</strong><br />

ist Das ihr JOb?<br />

Im Gespräch mit SchülerInnen<br />

20<br />

les cOntes D’hOFFm<strong>an</strong>n<br />

Zur Oper und zum neuen Projekt<br />

22<br />

liebe leserin, lieber leser!<br />

Die l<strong>an</strong>gobardenkönigin rodelinda st<strong>an</strong>d in <strong>der</strong> saison<br />

2010/11 im mittelpunkt <strong>der</strong> <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>-projekte<br />

und um sie dreht sich auch dieses magazin. Was hat eine<br />

Gruppe <strong>Jugend</strong>licher aus händels Werk gemacht? auf basis<br />

<strong>der</strong> Oper wurden ein libretto geschrieben, händels musik<br />

erweitert, interpretationen gesucht und kostüme entworfen<br />

<strong>–</strong> in sechs monaten haben die <strong>Jugend</strong>lichen ihre Fassung<br />

von händels Version entwickelt. Wie es dazu kam, was<br />

<strong>Jugend</strong>liche von Opernges<strong>an</strong>g halten und wie oft uns Georg<br />

Friedrich händel im alltag begegnet, erfahren sie auf den<br />

seiten 6 bis 19 in diesem heft.<br />

<strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> bietet mittlerweile drei verschiedene<br />

Vermittlungsschienen für individuelle interessen <strong>an</strong>: <strong>Jugend</strong><br />

macht Oper richtet sich <strong>an</strong> <strong>Jugend</strong>liche zwischen 14 und<br />

21 Jahren, die in ihrer Freizeit gerne eine eigene Oper<br />

entwickeln und im <strong>an</strong>schluss auf <strong>der</strong> bühne im theater <strong>an</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Wien</strong> aufführen möchten. in <strong>der</strong> saison 2010/11 dien-<br />

te Rodelinda als Grundlage, 2011/12 wird die <strong>Jugend</strong>oper<br />

auf basis von Les contes d’Hoffm<strong>an</strong>nn von Jacques Offen-<br />

bach entstehen. mehr dazu lesen sie ab seite 22. Schule<br />

<strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> macht es schulklassen in sechs projekten<br />

pro saison möglich, eine Opernproduktion und <strong>der</strong>en<br />

hintergründe kennenzulernen <strong>–</strong> was in den Gesprächen<br />

zwischen künstlerinnen und schulklassen zur sprache<br />

kommt, erfahren sie auf seite 20. <strong>Jugend</strong> im Club bietet<br />

jungen Opernbegeisterten bis 26 Jahre zusätzlich zu Generalprobenbesuchen<br />

ein vielfältiges rahmenprogramm und<br />

regelmäßigen austausch.<br />

rodelinda hätte sich über die begeisterung gefreut, mit<br />

<strong>der</strong> die <strong>Jugend</strong>lichen durch das Opernhaus schwirrten. Den<br />

beat im nacken und händel im Ohr. 2:0 für George Fri<strong>der</strong>ic.<br />

Viel Freude wünscht<br />

catherine leiter<br />

<strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>


ODelinDa<br />

Grimoaldo hat Bertarido vom l<strong>an</strong>gobardischen Thron vertrieben und hält ihn<br />

für tot. Nun will er dessen Witwe Rodelinda heiraten. Sie aber bleibt dem tot<br />

geglaubten Gatten treu. Bertarido lebt jedoch noch, er kehrt verkleidet zurück,<br />

um seine Frau und sein Kind zu befreien. Grimoaldos H<strong>an</strong>dl<strong>an</strong>ger, <strong>der</strong> bösartige<br />

Garibaldo, bedroht Rodelindas Sohn und erpresst sie, Grimoaldos Antrag<br />

<strong>an</strong>zunehmen. Diese Szene beobachtet Bertarido, glaubt seine Frau untreu und ist<br />

<strong>der</strong> Verzweiflung nahe. Sie aber war nur zum Schein auf die For<strong>der</strong>ung eingeg<strong>an</strong>-<br />

gen. Als sich Rodelindas Treue erweist, eilt Bertarido in ihre Arme. Da taucht<br />

Grimoaldo auf und lässt eifersüchtig den Rivalen ins Gefängnis werfen, erkennt<br />

jenen aber nicht als seinen alten Feind. Bertarido wird von seiner reuigen Schwes-<br />

ter Eduige, die sich früher gegen ihn verschworen hatte, wie<strong>der</strong> befreit. Im Garten<br />

rettet er Grimoaldo, <strong>der</strong> erschöpft von seinen heftigen Gewissensqualen eingeschla-<br />

fen ist, das Leben: Garibaldo will seinen Herrn töten, Bertarido verhin<strong>der</strong>t es.<br />

Grimoaldo wird unter dem Eindruck <strong>der</strong> menschlichen Größe Bertaridos und <strong>der</strong><br />

Liebe des Ehepaares schließlich geläutert, so dass er dem ehemaligen Feind Familie<br />

und L<strong>an</strong>d zurückgibt.


glückliche Spaghetti<br />

Von Flavio zu Flavia: Wie die <strong>Jugend</strong>oper Rodelinda entst<strong>an</strong>d.<br />

catherine leiter<br />

im chorsaal herrscht Verwirrung. eduige, Garibaldo, Grimoaldo und co. schwirren durch den raum und<br />

werden von barockmusik begleitet. Die l<strong>an</strong>gobarden in mail<strong>an</strong>d, händel in engl<strong>an</strong>d, bertarido im exil,<br />

Flavio in not und rodelinda im theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>. Wo soll das hinführen?<br />

rodelinda ist eine starke, konsequente, treue Frau <strong>an</strong> <strong>der</strong> seite ihres m<strong>an</strong>nes bertarido, zu dem sie<br />

bedingungslos steht. bertarido, <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs noch schwach, entwickelt sich im laufe <strong>der</strong> Geschichte zum<br />

perfekten, großmütigen und bewun<strong>der</strong>nswerten helden. Die Gegenspielerin eduige ist eifersüchtig,<br />

intrig<strong>an</strong>t <strong>–</strong> und irgendwie cool. Das böse gewinnt zu beginn <strong>an</strong> macht, setzt sich aber nicht durch.<br />

am schluss steht ein happy end. trotz <strong>der</strong> Verletzungen, intrigen und Verleumdungen verzeihen alle<br />

ein<strong>an</strong><strong>der</strong> o<strong>der</strong> tun zumindest so, als wäre alles wie<strong>der</strong> gut. im Grunde hört sich das G<strong>an</strong>ze wie ein<br />

Fernsehdrama <strong>an</strong> <strong>–</strong> <strong>der</strong> stoff würde sich eignen.<br />

Die <strong>Jugend</strong>lichen im theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> berührt hauptsächlich das schicksal von rodelindas sohn<br />

Flavio: ein kind, das zwischen erwachsenen hin und her geschoben wird und spielball sowie rettungs-<br />

<strong>an</strong>ker zugleich ist. rodelinda stellt Grimoaldo eine bedingung, von <strong>der</strong> sie glaubt, dass er sie nicht erfüllen<br />

wird <strong>–</strong> wenn er sie heiraten möchte, muss er ihren sohn, den wahren thronfolger, umbringen. Flavio<br />

selbst wird we<strong>der</strong> in die entscheidung mit eingebunden noch informiert, die pläne werden in <strong>der</strong> Welt<br />

<strong>der</strong> erwachsenen ausgeheckt und unter sich ausgemacht. Vor allem die kindliche machtlosigkeit kommt<br />

den <strong>Jugend</strong>lichen bek<strong>an</strong>nt vor, sie identifizieren sich mit Flavio. Die Geschichte um rodelindas <strong>an</strong>-<br />

gebot sorgt für heftige Diskussionen. Wie k<strong>an</strong>n seine mutter den tod vorschlagen? Wie k<strong>an</strong>n sie sich<br />

sicher sein, dass nichts passiert? Flavios Gefühle kommen in <strong>der</strong> Oper nicht vor. seine rolle ist eine<br />

stumme rolle <strong>–</strong> in <strong>der</strong> Welt des barock hatte ein kind nichts zu sagen. kin<strong>der</strong> kamen auch in <strong>der</strong> Oper<br />

nur selten vor und wenn, d<strong>an</strong>n meist als mittel zum zweck o<strong>der</strong> als stumme Figuren. Wenige Opern be-<br />

rücksichtigen die perspektiven von kin<strong>der</strong>n und <strong>Jugend</strong>lichen. <strong>Jugend</strong>-Rodelinda auf jeden Fall.<br />

in die <strong>Jugend</strong>oper wurde ein chor integriert, <strong>der</strong> das Volk darstellt. in Rodelinda sind es sieben perso-<br />

nen, die auf <strong>der</strong> bühne agieren, in <strong>der</strong> <strong>Jugend</strong>oper hingegen spielt eine g<strong>an</strong>ze Gruppe die tragende<br />

rolle. Was wäre ein könig ohne sein Volk? Ohne die unterstützung <strong>der</strong> massen droht eine revolution<br />

und keine regierung k<strong>an</strong>n ohne <strong>der</strong>en zustimmung auf Dauer überleben. Wie aber sollte ein herrscher<br />

sein? „keineswegs darf er zu leichtgläubig o<strong>der</strong> zu mitleidig sein, aber auch nicht zu ängstlich, son<strong>der</strong>n<br />

mit klugheit und menschlichkeit maßvoll verfahren, damit ihn we<strong>der</strong> zu großes Vertrauen unvorsich-<br />

tig noch zu großes misstrauen unerträglich macht“, meint niccolò machiavelli. We<strong>der</strong> zu große brutalität<br />

noch zu viel schwäche lassen einen herrscher bestehen. Das wird Grimoaldo zum Verhängnis:<br />

er ist zu schwach und Garibaldo (in <strong>der</strong> <strong>Jugend</strong>oper: die vier bösen) zu brutal. Die bösen Gehilfen hetzen<br />

Grimoaldo auf und wollen ihn dazu bringen, Flavio tatsächlich umzubringen. Diese brutalität geht<br />

dem Volk zu weit und Grimoaldos schwäche spricht nicht für seine Führungsqualitäten. Das Volk holt<br />

zum schluss bertarido als neuen alten herrscher zurück.<br />

„Frau bauer! Frau müller! haben’s scho g’hört? Der bertarido ist tot! rodelinda tut mir leid.“ in einer<br />

improvisation <strong>der</strong> <strong>Jugend</strong>lichen im laufe <strong>der</strong> Workshop-phase treffen sich vier Waschweiber auf dem<br />

marktplatz und tauschen den neuesten klatsch und tratsch aus. Das Volk wird zum kommentator gemacht.<br />

einerseits ist es also für die legitimierung des herrschers zuständig, <strong>an</strong><strong>der</strong>erseits beobachtet<br />

es die Geschichte im herrscherhaus von außen und ist wahnsinnig neugierig. Was gibt es neues aus<br />

dem königshaus? Der marktplatz weiß es. im sogen<strong>an</strong>nten tratschchor, den ein teil des Volkes übernimmt,<br />

wird die h<strong>an</strong>dlung vor<strong>an</strong>getrieben und die Geschichte kommentiert.<br />

7


8<br />

erster tratschchOr<br />

carina: Frau bauer, Frau müller! haben’s scho g’hört?<br />

Der neue, Grimoaldo, will die Oide heiraten!<br />

Vroni: Wen, die rodelinda?<br />

sara l.: Ja, und er bietet ihr h<strong>an</strong>d und krone und reichtum und macht!<br />

Vroni: aber bertarido ist doch gerade erst gestorben?<br />

sara l.: Ja, aber deswegen ist die arme jetzt ja auch g<strong>an</strong>z alleine!<br />

sarah k.: aber Grimoaldo is jo auch a Fescher.<br />

und noch dazu reich und intelligent.<br />

<strong>an</strong>tonia: rodelinda wäre wie<strong>der</strong> königin.<br />

Vroni: und was sagt sie dazu?<br />

Wendy: sie weist ihn ab, sie sagt „lasciami la mia gloria, e tieniti il trono!“<br />

lass mir meine ehre und behalte den thron!<br />

<strong>an</strong>tonia: sie ist doch noch so traurig, weil ihr m<strong>an</strong>n tot ist.<br />

carina: ach geh, sie ist einfach zu stolz!<br />

sarah l.: zu treu!<br />

Vroni: überheblich!<br />

sarah k.: hochmütig!<br />

Wendy: Disprezza il vincitor, benché regn<strong>an</strong>te!<br />

sie verschmäht den sieger, obwohl er die macht hat!<br />

Das Volk erhält im libretto also eine wichtige rolle und ist das g<strong>an</strong>ze stück über präsent. nicht nur<br />

szenisch, auch musikalisch: Die <strong>Jugend</strong>lichen singen händel-arien, die zu chorischen sequenzen aus-<br />

gebaut werden. Das Volk in <strong>der</strong> Vielfalt seiner stimmen wird zum tragenden element. Die einzelnen<br />

rollen entwickeln sich aus improvisationen heraus <strong>–</strong> jede und je<strong>der</strong> in <strong>der</strong> Gruppe findet eine Figur für<br />

sich. aus Garibaldo werden vier böse Gehilfen, die eine rocknummer singen; aus eduige fünf Gegenspielerinnen,<br />

jede von ihnen hat ihr charakteristikum und spricht über ihre Gefühle. rodelinda bekommt<br />

zwei Freundinnen zur seite gestellt: alcina und Giulietta, welche sie im laufe <strong>der</strong> Geschichte begleiten.<br />

aus dem kleinen Jungen Flavio wird Flavia, eine zierliche tochter mit l<strong>an</strong>gem blonden haar <strong>–</strong> da<br />

im laufe <strong>der</strong> Workshops immer klarer wurde, dass ein mädchen diese rolle übernehmen wird, wurde<br />

das Geschlecht den Gegebenheiten <strong>an</strong>gepasst. Flavia erhält eine arie. ihre sicht wird dargestellt und<br />

ihre stimme gehört.<br />

Wie endet die Geschichte? „Glückliche spaghetti!“, kreischt eine <strong>der</strong> tratschladys zum abschluss und<br />

meint damit die königliche Familie. nach „mit tugend und tapferkeit ertragenem leiden“ sind nun<br />

alle erlöst und versöhnt, ziehen ihre mäntel <strong>–</strong> die zur unterscheidung von Volk und Führungsschicht<br />

dienten <strong>–</strong> aus und sind nun alle gleich. alle gleich glücklich.


hier bin ich !<br />

Wendy kok, teilnehmerin des Rodelinda-projekts, schil<strong>der</strong>t ihre eindrücke.<br />

theaterspielen macht spaß! bis vor einem Jahr hatte ich immer nur auf kleinen bühnen gespielt, doch<br />

verg<strong>an</strong>genes Jahr bekam ich die möglichkeit, beim <strong>Jugend</strong>projekt zu Der Freischütz von carl maria<br />

von Weber mitzumachen. einmal auf einer großen bühne zu stehen und einmal in einer g<strong>an</strong>z <strong>an</strong><strong>der</strong>en<br />

Gruppe zu sein, war ein tolles erlebnis. Wir haben gelernt, was bühnenpräsenz und Gruppendynamik<br />

bedeuten. in diesem Jahr sind wir einen schritt weiter geg<strong>an</strong>gen und haben schließlich auch selbst ge-<br />

sungen. Das singen hat mir Freude bereitet und mit <strong>der</strong> zeit habe ich mehr sicherheit gewonnen, öffentlich<br />

zu singen.<br />

beim ersten projekt haben wir die deutschsprachige Oper Der Freischütz in unserer selbst entwickelten<br />

Fassung aufgeführt. es war mein erstes projekt in einem Opernhaus und ich lernte, dass Opern nicht<br />

nur hohe Quieketöne und tiefe brummtöne sind, son<strong>der</strong>n auf einem text basierend die Gefühle in<br />

<strong>der</strong> melodie wie<strong>der</strong>geben. und dass m<strong>an</strong> mit ein wenig übung g<strong>an</strong>ze Opern und den sinn einzelner<br />

arien verstehen k<strong>an</strong>n. es ist wie bei heavy metal o<strong>der</strong> rock. Wenn m<strong>an</strong> es nicht gewöhnt ist, versteht<br />

m<strong>an</strong> den text und den sinn dahinter nicht und hört nur Geschrei, Quietschen o<strong>der</strong> brummen.<br />

Das zweite projekt war die Oper Rodelinda, die auf italienisch verfasst worden ist und einen nicht eben<br />

einfachen inhalt erzählt. Die deutsche übersetzung und eine genaue inhalts<strong>an</strong>gabe haben uns geholfen,<br />

die vielen schwierigen Geschichten zu meistern und zu verstehen. auch die melodien spiegeln die<br />

Gefühle <strong>der</strong> personen wi<strong>der</strong> und haben es uns erleichtert, einen bogen über das stück zu sp<strong>an</strong>nen.<br />

Wir haben zunächst eine aufnahme gemeinsam im chorsaal <strong>an</strong>gehört und d<strong>an</strong>n eine cD mit den<br />

wichtigsten arien bekommen. es war schwierig und aufregend zugleich, zum ersten mal zu hause eine<br />

Opernaufnahme <strong>an</strong>zuhören. es fiel mir schwer, mich von einem italienischen text infizieren zu lassen,<br />

und es war aufregend, weil ich nicht wusste, was mich erwartet.<br />

D<strong>an</strong>n hieß es: Vorsingen. Oh Gott, das war schlimm! bis auf die, die schon gesungen hatten, wollte<br />

natürlich niem<strong>an</strong>d singen. nach dem Vorsingen ließ die sp<strong>an</strong>nung im raum nach. Wir hatten es hinter<br />

uns. beim nächsten mal s<strong>an</strong>gen wir im chor und wurden in stimmhöhen eingeteilt. Das war schwierig,<br />

da doch kaum jem<strong>an</strong>d wusste, in welcher tonlage er o<strong>der</strong> sie eigentlich singt. D<strong>an</strong>ach konnten wir<br />

mit den ersten übungen und kleineren stücken beginnen. im schauspiel achteten wir jedes mal zu<br />

beginn auf unsere bühnenpräsenz. präsenz ist wichtig auf <strong>der</strong> bühne, ohne sie geht gar nichts. präsenz<br />

bedeutet, den eigenen körper zu spüren und jede haltung bewusst wahrzunehmen. präsenz heißt: hier<br />

bin ich! schaut her: hier stehe ich! Wir lernten laut zu sprechen und die bewegungen nicht zu klein<br />

zu machen. Denn die bühne ist groß <strong>–</strong> größer als jede <strong>an</strong><strong>der</strong>e bühne, auf <strong>der</strong> ich je gespielt habe.<br />

Wir spielten im selben bühnenbild, das auch die „Großen“ verwendet haben, und wir f<strong>an</strong>den es alle<br />

super. Wir mussten zunächst Verhaltensregeln unterschreiben, damit wir überhaupt in diesem bühnenbild<br />

spielen durften. aber das war kein Drama. es gibt einfach regeln, die m<strong>an</strong> einhalten muss. in unserer<br />

starken Gruppe konnten sich alle einbringen, ihre meinungen und ideen mitteilen. m<strong>an</strong>che haben sich<br />

weniger eingebracht als <strong>an</strong><strong>der</strong>e, aber das hat sich bis zum ende <strong>der</strong> produktion immer wie<strong>der</strong> gew<strong>an</strong>delt.<br />

ich habe mich wahnsinnig auf die aufführung gefreut, und ich habe auch den unterschied zwischen<br />

<strong>der</strong> aufführung vor schülerinnen und <strong>der</strong> aufführung vor erwachsenen gemerkt. Die schulaufführung<br />

war schwieriger zu spielen. sehr schwierig sogar. aber wir haben so gut gespielt, dass am ende <strong>der</strong><br />

g<strong>an</strong>ze saal leise war! ich bin stolz auf uns und es hat viel spaß gemacht. am besten haben mir die<br />

proben gefallen. Wir haben die sätze beim singen verwechselt und uns m<strong>an</strong>chmal gleich komplett ver-<br />

plappert. Wir haben get<strong>an</strong>zt und wir hatten ruhige minuten. auch das <strong>an</strong>himmeln des klavierspielers<br />

hat nicht gefehlt. Das war so super und ich freue mich auf das nächste Jahr, auf neue leute, eine neue<br />

Oper und neue erfahrungen!<br />

11


Wie auS einem teenager<br />

ein könig Wird<br />

Von <strong>der</strong> selbstinszenierung <strong>der</strong> <strong>Jugend</strong>lichen zum inszenierten bühnenkostüm für die rolle.<br />

axel e. schnei<strong>der</strong>, kostüme <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong><br />

kleiDer machen leute<br />

speziell bei <strong>Jugend</strong>lichen, die sich in einer W<strong>an</strong>dlungen unterworfenen phase ihres lebens befinden, hat<br />

kleidung einen großen stellenwert. Das interesse <strong>an</strong> aktuellen modetrends ist bei mädchen und bur-<br />

schen gleichermaßen vorh<strong>an</strong>den. es scheint wichtig, sich <strong>an</strong> vorgegebenen trends und dem damit<br />

verbundenen image zu orientieren, um sich einen platz in <strong>der</strong> Gemeinschaft zu sichern. so wird ein<br />

kleidungsstück zur ausdrucksmöglichkeit, sich selbst zu präsentieren. und in <strong>der</strong> <strong>Jugend</strong> ist dieses<br />

entdecken <strong>der</strong> eigenen persönlichkeit eine wichtige erfahrung, die ausgelebt werden muss.<br />

Denn das, was die einzelnen tragen, zeigt einerseits, welcher Gruppe sie sich zugeordnet sehen möch-<br />

ten und <strong>an</strong><strong>der</strong>erseits <strong>–</strong> meist unbewusst <strong>–</strong> wer sie sich wünschen zu sein. in <strong>der</strong> pubertät ist dies auf<br />

<strong>der</strong> Ged<strong>an</strong>ken- und Gefühlsebene beson<strong>der</strong>s stark zu sehen. auf dem Weg vom kind zum erwach-<br />

senen müssen sich junge menschen neu erfinden, finden und mit sich in einkl<strong>an</strong>g kommen. hier hat<br />

die Orientierung <strong>an</strong> mitschülerinnen und Gleichaltrigen oberste priorität. m<strong>an</strong> möchte <strong>an</strong><strong>der</strong>s sein als<br />

die eltern. rebellion und em<strong>an</strong>zipation von den elterlichen Werten sind zwingend nötig, um die eige-<br />

nen Werte zu finden. in <strong>der</strong> kleidung zeigt sich dies am augenscheinlichsten. ich denke, dass jede<br />

Generation <strong>Jugend</strong>licher eltern hat, die <strong>der</strong>en kleidung entsetzlich finden (müssen). in dieser ablehnung<br />

finden die teenager exakt die bestätigung, die sie möchten: <strong>an</strong><strong>der</strong>s sein, eine eigene Welt auf-<br />

bauen <strong>–</strong> natürlich mit <strong>an</strong><strong>der</strong>en Gleichaltrigen. Wenn heute oft über das phänomen des markenwahns<br />

bei <strong>Jugend</strong>lichen geklagt wird, möchte ich nur darauf hinweisen, dass diese „Dazugehörigkeitsetiketten“<br />

bis zu unserem tod unbewusst weiter gelebt werden. und immer wurden.


umsetzunG<br />

bei unserem Rodelinda-projekt st<strong>an</strong>d einerseits die beschäftigung mit aktuellen modetrends im mittelpunkt,<br />

<strong>an</strong><strong>der</strong>erseits jene mit historischer kleidung aus <strong>der</strong> entstehungszeit des Werkes. Die aufgabe,<br />

klar zu unterscheidende Gruppen auf <strong>der</strong> bühne zu haben, war uns wichtig, da während des gesam-<br />

ten stücks alle mitwirkenden immer auf <strong>der</strong> bühne zu sehen waren.<br />

Diese punkte berücksichtigend, war rasch klar, dass die kostüme für die <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>-auffüh-<br />

rung eine Verschränkung von einerseits klar ersichtlichen chiffren durch Farbgebung und stil haben<br />

mussten <strong>–</strong> die eleg<strong>an</strong>te, helle Welt von rodelinda, die aggressive, zwielichtig <strong>an</strong>mutende Welt des<br />

Grimoaldo und die klischees beim tratschchor <strong>–</strong> und <strong>an</strong><strong>der</strong>erseits den <strong>Jugend</strong>lichen und dem stück<br />

dienlich sein sollten. Die ausstattung wurde aus dem theater-kostümfundus, bekleidungs- und secondh<strong>an</strong>d-Geschäften<br />

und nicht zuletzt auch aus den privaten klei<strong>der</strong>kästen unserer Darstellerinnen den<br />

entwürfen entsprechend zusammengestellt und adaptiert. in einem steten Dialog mit den <strong>Jugend</strong>lichen<br />

entwickelte sich ein Gesamtbild. schnell übergeworfene mäntel fungierten für die Verw<strong>an</strong>dlung <strong>der</strong><br />

individuen zur masse.<br />

Das war nicht je<strong>der</strong>m<strong>an</strong>ns sache: Die eine f<strong>an</strong>d ihren m<strong>an</strong>tel hässlich, <strong>der</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>e das material <strong>der</strong><br />

Jacke kratzig. schließlich ließ sich dennoch immer ein kompromiss finden, mit dem alle zufrieden waren.<br />

eine ähnliche situation stellte die maske <strong>der</strong> einzelnen Darstellerinnen dar <strong>–</strong> war <strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs noch<br />

unzufriedenheit über Frisur o<strong>der</strong> make-up zu hören, legten sich im probenprozess auch diese stimmen.<br />

sobald die <strong>Jugend</strong>lichen ein<strong>an</strong><strong>der</strong> gegenseitig auf <strong>der</strong> bühne erlebten, war klar, dass nicht nur einzelne,<br />

son<strong>der</strong>n alle gemeinsam diese Rodelinda-Welt darstellten. Was den umg<strong>an</strong>g mit den kostümen<br />

<strong>an</strong>bel<strong>an</strong>gt, waren die <strong>Jugend</strong>lichen exakt gleich diszipliniert und undiszipliniert wie die erwachsenen.<br />

theater eben!


Von <strong>der</strong> kunSt, über<br />

eine bühne zu gehen<br />

beate Göbel, Workshops & regie <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong><br />

kurz nach <strong>der</strong> schauspielausbildung, in meinem ersten festen engagement am theater, hatte ich ein<br />

prägendes erlebnis. Wir hatten schon über mehrere Wochen ein stück mittels improvisation entwickelt.<br />

ich war immer sehr spont<strong>an</strong> und konnte wun<strong>der</strong>bare szenen entwickeln, war aber damals noch nicht<br />

in <strong>der</strong> lage, die improvisierten elemente am nächsten tag ebenso frisch, lebendig und frei wie<strong>der</strong>zu-<br />

geben. ich konnte einfach den augenblick <strong>der</strong> improvisation nicht im vollen umf<strong>an</strong>g erfahren, wusste<br />

nicht genug über meine impulse und die impulse, die mich umgaben, so dass ich die improvisierte<br />

situation am nächsten tag nicht wie<strong>der</strong>herstellen konnte. ich bekam <strong>an</strong> einem tag ein lob und am<br />

nächsten tag löste mein bemühen bei <strong>der</strong> regie Wut<strong>an</strong>fälle aus. ich wußte nicht mehr weiter, hatte<br />

keine mittel <strong>an</strong> <strong>der</strong> h<strong>an</strong>d. nach fünf Wochen spielte ich alle meine szenen im hintersten bühnenwinkel<br />

und löste immer noch missfallen aus. es kam <strong>der</strong> tag, <strong>an</strong> dem ich mir sicher war, dass ich gekündigt<br />

würde. ich traf mich noch in <strong>der</strong> Früh mit einem kollegen, dem es scheinbar ähnlich erging. Wir tr<strong>an</strong>ken<br />

gemeinsam einen kaffee und versicherten ein<strong>an</strong><strong>der</strong>, dass uns eine kündigung nichts <strong>an</strong>haben könne.<br />

Die probe beg<strong>an</strong>n und wir mussten alle nachein<strong>an</strong><strong>der</strong> im kostüm die 20 meter breite bühne über-<br />

queren. nun kam ich <strong>an</strong> die reihe. bei jedem schritt erwartete ich den Wut<strong>an</strong>fall mit gleichzeitigem<br />

rauswurf. in <strong>der</strong> bühnenmitte war immer noch kein rausschmiss da und in meine erwartung mischte<br />

sich ein: „Das k<strong>an</strong>n ja nicht sein.“ ich wartete weiter. mit jedem schritt steigerte sich meine Verwun-<br />

<strong>der</strong>ung, und als ich am ende dieser bühnenüberquerung immer noch mein engagement in <strong>der</strong> tasche<br />

hatte, verst<strong>an</strong>d ich die Welt nicht mehr und wusste gleichzeitig, das ich einem bühnengeheimnis be-<br />

gegnet war. Was war passiert?<br />

Die bewusstheit über die Ged<strong>an</strong>ken, die mir kamen, hatte mir zu einer präzisen bühnenüberquerung<br />

verholfen, und in <strong>der</strong> ständigen erwartung des rigorosen rauswurfs war ich gleichzeitig mit dem<br />

raum verbunden. Die klarheit <strong>der</strong> Ged<strong>an</strong>ken verb<strong>an</strong>d mich natürlich mit meinen Gefühlen und die<br />

tatsache, dass ich nur von schritt zu schritt lebte und mich dabei erlebte, konzentrierte den Vorg<strong>an</strong>g<br />

des Gehens auf das Wesentliche. ich blieb lebendig von augenblick zu augenblick. ich war mit dem<br />

publikum, das ja in diesem beson<strong>der</strong>en Fall nur aus dem regisseur best<strong>an</strong>d, in intensivem kontakt,<br />

immer auf <strong>der</strong> hut und gleichzeitig auf <strong>der</strong> lauer. meine bereitschaft, eine eventuelle kündigung <strong>an</strong>-<br />

zunehmen, öffnete meine sinne, meinen körper. ich hatte keine festen meinungen und wesentlich we-<br />

niger starre bezugspunkte als sonst.<br />

natürlich muss m<strong>an</strong> nicht in solch eine extremsituation kommen, um zu lernen, eine bühne zu überqueren<br />

und sich dabei präsent, wach und lebendig zu erleben. ein Darsteller, eine Darstellerin muss<br />

aber lernen, immer mehr bewusstheit über die Ged<strong>an</strong>ken zu finden, denn wenn m<strong>an</strong> in jedem augen-<br />

blick des Denkens bewusst lebt, können die Gefühle auf natürliche Weise zum Vorschein kommen. Gefühle<br />

sind Ged<strong>an</strong>ken, sind Ged<strong>an</strong>ken mit viel energie. Wer über die Gefühle auf <strong>der</strong> bühne nachdenkt,<br />

wird zum Gef<strong>an</strong>genen <strong>der</strong> eigenen Gefühle, verliert die Freiheit des augenblicks und den kontakt zum<br />

körper, da die Ged<strong>an</strong>ken, die Gefühle mit dem körper verbunden sind. und hat m<strong>an</strong> erst einmal den<br />

kontakt zum körper verloren, d<strong>an</strong>n ist m<strong>an</strong> auch im raum verloren und eine eigentlich simple bühnen-<br />

überquerung wird zu einem umständlichen und künstlichen Gewaltakt. Wer einmal die lebendigkeit<br />

des Gehens erfahren hat und sich für die Vielfalt <strong>der</strong> impulse in jedem augenblick öffnen konnte, wird<br />

sich immer wie<strong>der</strong> und immer leichter den unterschiedlichen bühnensituationen öffnen können und<br />

vielleicht eines tages sogar einfach auf <strong>der</strong> bühne still stehen bleiben können und dabei sich und das<br />

publikum zutiefst bewegen.<br />

15


16<br />

QuietSchen und brummen<br />

catherine leiter<br />

Geschichten werden singend erzählt: Der Ges<strong>an</strong>g ist das charakteristikum <strong>der</strong> Oper und gleichzeitig<br />

das, was diese kunstform im ersten moment artifiziell erscheinen lässt. Die empfänglichkeit für das<br />

singende erzählen und erzählende singen ist eine <strong>der</strong> wichtigsten Voraussetzungen für ein positives<br />

Verhältnis von <strong>Jugend</strong>lichen zur Oper.<br />

im laufe des <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>-projekts habe sie verst<strong>an</strong>den, „dass Opern nicht nur hohe Quieketöne<br />

und tiefe brummtöne sind, son<strong>der</strong>n auf einem text basierend die Gefühle in <strong>der</strong> melodie wie<strong>der</strong>geben“,<br />

meint die 17-jährige Wendy kok über ihre <strong>an</strong>näherung <strong>an</strong> den Ges<strong>an</strong>g in <strong>der</strong> Oper. Operngeherinnen<br />

halten das für selbstverständlich, für die jugendlichen neulinge ist es nicht immer offensichtlich.<br />

Wenn laien arien imitieren, reißen sie den mund weit auf und suchen sich ihr bestes Vibrato zu entlocken.<br />

Opernges<strong>an</strong>g wirkt für viele <strong>Jugend</strong>liche gekünstelt, m<strong>an</strong>chmal auch komisch. Der stimmlichsingende<br />

ausdruck von <strong>Jugend</strong>lichen orientiert sich hauptsächlich <strong>an</strong> den stilen <strong>der</strong> pop- und rock-<br />

musik, welche sich vom klassischen Ges<strong>an</strong>g unterscheiden. Der stimmapparat wird <strong>an</strong><strong>der</strong>s benutzt,<br />

die technik unterscheidet sich und ein Genrewechsel ist für sängerinnen meist schwierig. profis singen<br />

Opernarien <strong>an</strong><strong>der</strong>s als nicht speziell geschulte stimmen, aber das experimentieren mit <strong>der</strong> eigenen<br />

stimme schärft auch die hörgewohnheiten.<br />

„<strong>an</strong>f<strong>an</strong>gs konnte ich mir nicht erklären, was so m<strong>an</strong>che Opernbesucherinnen <strong>an</strong> arien begeistert. ich<br />

war erst begeistert, als ich meine jugendlichen kolleginnen arien von händels Rodelinda singen hörte.<br />

ab diesem moment war Oper für mich greifbar. ich habe verst<strong>an</strong>den, dass jede und je<strong>der</strong> mit übung<br />

und Freude singen lernen k<strong>an</strong>n. meine begeisterung reichte so weit, dass ich mittlerweile selbst<br />

Ges<strong>an</strong>gsunterricht nehme, was ich mir nun wirklich nie erträumt hätte“, stellt sarah l<strong>an</strong>g fest, eine <strong>der</strong><br />

Rodelinda-teilnehmerinnen.<br />

Vielleicht wird sarah ihre Geschichten in zukunft auch singend erzählen, auf jeden Fall aber offener und<br />

interessierter lauschen, wenn <strong>an</strong><strong>der</strong>e singen.


champion george Fri<strong>der</strong>ic<br />

Joh<strong>an</strong>nes penninger<br />

am 28. mai 2011 ließen sich hun<strong>der</strong>t millionen Fernsehzuschauerinnen weltweit auf den abend mit<br />

einer hymne von Georg Friedrich händel einstimmen. Zadok the Priest aus den Coronation Anthems<br />

ist, in <strong>der</strong> zeitgeistigen adaption des komponisten tony britten, die offizielle hymne <strong>der</strong> Fußball<br />

champions league. Drei Jahrhun<strong>der</strong>te nach ihrer entstehung hat händels musik noch immer dieselbe<br />

Wirkung. in dreihun<strong>der</strong>t Jahren aber wird sich niem<strong>an</strong>d mehr darum kümmern, dass ein herr namens<br />

pedro rodríguez mit seinem tor in <strong>der</strong> 27. minute den 3:1 sieg des Fc barcelona über m<strong>an</strong>chester united<br />

eingeleitet hat.<br />

seit 1727 erkl<strong>an</strong>g die melodie in unverän<strong>der</strong>ter Gestalt auch während <strong>der</strong> rituellen salbung bei je<strong>der</strong><br />

englischen krönung. traditionell halten vier ritter des hosenb<strong>an</strong>dordens, des höchsten und edelsten<br />

ritterordens engl<strong>an</strong>ds, für die Dauer <strong>der</strong> salbung eine art sonnenschirm über das haupt des neuen<br />

monarchen.<br />

Ob royale Würdenträger o<strong>der</strong> könige <strong>der</strong> unterhaltungsindustrie: beide brauchen die musik von Georg<br />

Friedrich händel, um eigene Wirkung zu entfalten. Der in halle geborene komponist durfte ruhm<br />

und erfolg schon zu lebzeiten erfahren. Wenige künstlerinnen erleben dieses privileg. händel war ein<br />

m<strong>an</strong>n von Welt: als zw<strong>an</strong>zigjähriger verließ er Deutschl<strong>an</strong>d, reiste nach italien und ließ sich schließlich<br />

in london nie<strong>der</strong>. sein Geburtsl<strong>an</strong>d sah er nur auf reisen wie<strong>der</strong>. er schrieb seine briefe auf Fr<strong>an</strong>zösisch,<br />

seine Opern auf italienisch und sprach mit seinen zeitgenossen englisch. er nahm risiken in kauf,<br />

gründete eigene Opernunternehmen und ging mit ihnen wie<strong>der</strong> pleite. Der kosmopolit wurde als Georg<br />

Friedrich händel geboren und starb als George Fri<strong>der</strong>ic h<strong>an</strong>del. er wurde in <strong>der</strong> altehrwürdigen<br />

Westminster abbey beigesetzt und unmittelbar d<strong>an</strong>ach errichtete m<strong>an</strong> ihm zu ehren ein Denkmal.<br />

aber auch händels name wäre längst vergessen, hätte er nicht musik komponiert, die ihn zu lebzeiten<br />

berühmt machte und die nach seinem tod nie vergessen wurde. er ist einer <strong>der</strong> wenigen<br />

komponisten <strong>der</strong> Geschichte, dessen musik bis heute kontinuierlich aufgeführt wird. bei eigenen<br />

händelfesten wurden im 19. Jahrhun<strong>der</strong>t chöre von 300 mitwirkenden und Orchester mit 250 musizierenden<br />

gebildet. Wenn händels berühmtes Halleluja erklingt, d<strong>an</strong>n erhebt sich traditionell auch die<br />

königin von engl<strong>an</strong>d. Die liste <strong>der</strong> Filme und Fernsehserien, in denen dieser berühmteste seiner<br />

chöre ertönt, ist ohne ende: Das Halleluja würzt Spice World ebenso wie es <strong>der</strong> Braut, die sich nicht<br />

traut mut verleiht. Der Club <strong>der</strong> toten Dichter hört händels Wassermusik und wenn wie in Vier Hoch-<br />

zeiten und ein Todesfall in einem Film geheiratet wird, ertönt händels Arrival of the Queen of Sheba.<br />

Der legendäre regisseur st<strong>an</strong>ley kubrick ließ seine epische literaturverfilmung Barry Lyndon fast gänzlich<br />

von <strong>der</strong> sarab<strong>an</strong>de aus <strong>der</strong> vierten cembalo-suite von händel begleiten, um das 18. Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

auch musikalisch einzuf<strong>an</strong>gen. Barry Lyndon war ein kommerzielles Desaster, er ist <strong>der</strong> einzige Film<br />

kubricks, <strong>der</strong> seine produktionskosten nicht einspielen konnte. Doch er war kubricks persönlicher lieblingsfilm.<br />

ein hosenschnei<strong>der</strong> f<strong>an</strong>d <strong>an</strong> <strong>der</strong> schlichten wie gewaltigen melodie ebenfalls Gefallen und<br />

setzte sie in den Werbespots zur präsentation <strong>der</strong> neuheit „engineered Je<strong>an</strong>s“ in einem futuristischen<br />

setting unter dem motto „Odyssey <strong>–</strong> Freedom to move“ ein.<br />

nur händels Opern wurden l<strong>an</strong>ge nicht gespielt, ehe sie das frühe 20. Jahrhun<strong>der</strong>t wie<strong>der</strong> für die bühne<br />

entdeckte. Die oft höfischen konstellationen haben dabei mehr mit unserer realität und unseren utopien<br />

zu tun, als sich auf den ersten blick offenbart. händels Opern sind voll von starken Frauen wie rodelinda<br />

und zärtlichen männern, die Frauen nicht überlegen sein wollen. männerrollen, die von Frauen<br />

gesungen werden, und Frauenrollen, die von männern verkörpert werden, waren keine seltenheit. Das<br />

zeitalter des barock liebte die kontraste, das spiel mit Gegensätzen und tauchte tief in scheinwelten ein,<br />

von denen es kein gewagter schritt zur heutigen Virtual reality, zum leben in l<strong>an</strong>dschaften 2.0 ist. händels<br />

musik ist und bleibt sowieso von atemberauben<strong>der</strong> Wirkung, berührt unmittelbar und wird auch die<br />

kommenden Jahrhun<strong>der</strong>te die menschliche existenz begleiten und bewegen. spätestens beim nächsten<br />

spiel <strong>der</strong> champions league, <strong>der</strong>en einziger, wahrer und dauerhafter champion George Fri<strong>der</strong>ic heißt.<br />

Illustration: Yellow Submarine-Händel von Christi<strong>an</strong> Korherr<br />

19


20<br />

„opernSänger <strong>–</strong> iSt daS ihr Job?“<br />

catherine leiter<br />

künstler/innenGespräche in Der saisOn 2010/11:<br />

Begleitend zu den Schulprojekten finden regelmäßig Gespräche mit verschiedenen, <strong>an</strong> den jeweiligen<br />

Produktionen beteiligten KünstlerInnen statt. Einzelne o<strong>der</strong> mehrere Schulklassen haben die Möglichkeit,<br />

sich mit ihnen auszutauschen und Fragen zu stellen.<br />

ariadne auf naxos (Oktober ’10): Tenor Erik Årm<strong>an</strong>, Flötist Andreas Pl<strong>an</strong>yavsky<br />

la finta giardiniera (November ’10): Bariton Michael Nagy, Regisseur David Alden<br />

il postino (Dezember ’10): Dirigent Jesús López-Cobos<br />

castor et pollux (J<strong>an</strong>uar ’11): Regisseurin Mariame Clément<br />

the rape of lucretia (Februar ’11): Dirigentin Si<strong>an</strong> Edwards<br />

rodelinda (März ’11): Sopr<strong>an</strong>istin D<strong>an</strong>ielle de Niese, Countertenor Matthias Rexroth<br />

Job, arbeit, beruf o<strong>der</strong> berufung <strong>–</strong> in einem sind sich die künstlerinnen im Gespräch mit den schul-<br />

klassen einig: neben talent und Fleiß braucht es viel Wille und überzeugung, eine künstlerische<br />

laufbahn zu verfolgen <strong>–</strong> und vor allem viel Freude <strong>an</strong> <strong>der</strong> sache. Die am häufigsten gestellte Frage <strong>der</strong><br />

schülerinnen ist die nach dem Gehalt. „Wie viel verdient m<strong>an</strong> denn als Opernsängerin/Dirigentin/<br />

regisseurin?“ m<strong>an</strong>che <strong>der</strong> jungen Opernbesucherinnen haben den eindruck, hier wird im Grunde<br />

genommen nur ein hobby ausführlicher verfolgt. „Opernsänger <strong>–</strong> ist das ihr Job?“, lautete einmal<br />

die Frage eines 14-jährigen schülers. ihm war nicht klar, dass m<strong>an</strong> davon leben könne und nicht tags-<br />

über zusätzlich in einem büro arbeiten o<strong>der</strong> schulklassen unterrichten müsse. im Gespräch mit den<br />

verschiedenen künstlerinnen wird jedoch schnell klar, wie viel arbeit dahinter steckt.<br />

Die meisten im theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> tätigen künstlerinnen sind freischaffend, also nicht <strong>an</strong> das haus<br />

gebunden beziehungsweise in einem ensemble ver<strong>an</strong>kert, wie etwa <strong>an</strong> repertoirehäusern. über die<br />

Vor- und nachteile einer Fix<strong>an</strong>stellung versus selbstständigkeit diskutierten <strong>der</strong> tenor erik Årm<strong>an</strong>, <strong>der</strong><br />

jahrel<strong>an</strong>g in ensembles tätig war und jetzt seine Freiheit liebt, und Flötist <strong>an</strong>dreas pl<strong>an</strong>yavsky, mit-<br />

glied des OrF radio-symphonieorchester <strong>Wien</strong>, in einem <strong>der</strong> künstlerinnengespräche im rahmen<br />

von <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>. regelmäßiges Gehalt, fixe kr<strong>an</strong>ken- und sozialversicherung und Ortsgebundenheit<br />

stehen <strong>der</strong> freien tätigkeit gegenüber, welche sich eher durch wechselnde häuser, immer neue<br />

kolleginnen und eigenständige entscheidungen auszeichnet.<br />

Obwohl ständiges reisen interess<strong>an</strong>t klingt, k<strong>an</strong>n es auch <strong>an</strong>strengend und nervenaufreibend sein, berichtet<br />

die regisseurin mariame clément. mit ihrem halbjährigen baby war es nicht immer einfach, als<br />

sie es in den probenpausen stillen musste und nachts oft l<strong>an</strong>ge wach gehalten wurde. „aber es geht<br />

auch“, meint die 34-jährige und macht den <strong>Jugend</strong>lichen im publikum mut, Familie und beruf zu<br />

vereinbaren. sie selbst ist nach jahrel<strong>an</strong>gen hospit<strong>an</strong>zen im theater- und Opernbetrieb regisseurin<br />

geworden. Durch eine gute Gelegenheit zum richtigen zeitpunkt konnte sie ihr erstes eigenes stück<br />

inszenieren. mariame clément zeichnet sich beson<strong>der</strong>s durch ihre Genauigkeit und ihre durch-<br />

dachten konzepte aus, „ich bin immer gut vorbereitet und ich weiß, was ich will“, sagt sie. Dadurch hätte<br />

sie selten probleme gehabt mit „machohaften Opernsängern“, wonach ein schüler fragte <strong>–</strong> sol<strong>an</strong>ge sie<br />

gut arbeite und entschieden reagiere, sei es egal, ob sie regisseur o<strong>der</strong> regisseurin sei.<br />

auch si<strong>an</strong> edwards, eine <strong>der</strong> wenigen Dirigentinnen, betont die entschlossenheit. Wer vor einem Orchester<br />

stehe, dürfe nicht ständig <strong>an</strong> allem zweifeln, was <strong>an</strong> welcher Geste wie wirke und wie <strong>an</strong>komme.


Catherine Leiter und Mariame Clément im Gespräch mit SchülerInnen<br />

sie liebe einfach die musik und wolle sie zum klingen bringen. natürlich sei es in einem männerdominierten<br />

metier als Frau nicht immer einfach, doch sie habe keine gröberen schwierigkeiten gehabt, sich<br />

durchzusetzen.<br />

einfach ist es auch für Opernsängerinnen nicht immer. sein Glück sei es gewesen, in <strong>der</strong> musikalischen<br />

Früherziehung gel<strong>an</strong>det zu sein, meint <strong>der</strong> 34-jährige bariton michael nagy. seine leidenschaft für<br />

musik st<strong>an</strong>d außer Frage, trotzdem war es ein harter Weg, sänger zu werden. Diese tätigkeit jetzt<br />

ausüben zu können, mache ihn glücklich. Die junge sopr<strong>an</strong>istin D<strong>an</strong>ielle de niese wusste schon<br />

immer, dass sie auf <strong>der</strong> bühne stehen wolle. bereits als kind habe sie viel gesungen, im teenager-<br />

alter eine Fernsehshow mo<strong>der</strong>iert und mit 18 Jahren wurde sie bereits in das programm für junge<br />

sängerinnen <strong>an</strong> <strong>der</strong> metropolit<strong>an</strong> Opera in new York aufgenommen. ihre begeisterung für junge nachwuchstalente<br />

beziehungsweise neue Opernbesucherinnen sieht m<strong>an</strong> ihr <strong>an</strong>.<br />

matthias rexroth erklärt im Gespräch mit den <strong>Jugend</strong>lichen seine Ges<strong>an</strong>gstechnik und ergänzt die<br />

ausführungen mit ges<strong>an</strong>glichen experimenten. eine countertenorstimme hören einige von ihnen zum<br />

ersten mal. Der altus erzählt von den herausfor<strong>der</strong>ungen, denen sich Opernsängerinnen heutzutage<br />

stellen müssen. <strong>an</strong> <strong>der</strong> rampe stehen und schön singen reiche nicht, m<strong>an</strong> müsse zusätzlich während<br />

des singens stühle zertrümmern, Wände hochklettern o<strong>der</strong> sich am boden wälzen <strong>–</strong> und das, obwohl<br />

m<strong>an</strong> die atemluft zum singen bräuchte.<br />

Der sp<strong>an</strong>ische Dirigent Jesús lópez-cobos k<strong>an</strong>n sich noch gut <strong>an</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong>e zeiten erinnern, als ausschließlich<br />

die ges<strong>an</strong>gliche leistung im Vor<strong>der</strong>grund st<strong>an</strong>d. er ist ein alter hase im Opernbetrieb und erzählt,<br />

dass er mit plácido Domingo bereits musiziert hat, als den tenor noch niem<strong>an</strong>d k<strong>an</strong>nte. Die inszenierungen<br />

haben sich über die Jahre verän<strong>der</strong>t und regisseurinnen sind <strong>an</strong>spruchsvoller geworden, was die<br />

schauspielerische leistung <strong>der</strong> sängerinnen <strong>an</strong>geht. Die leidenschaft für die Oper ist geblieben.<br />

21


leS conteS d’hoFFm<strong>an</strong>n<br />

karin bohnert, Dramaturgin theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong><br />

„On est gr<strong>an</strong>d par l’amour et plus gr<strong>an</strong>d par les pleurs!“ <strong>–</strong> „m<strong>an</strong> ist groß durch die liebe und<br />

größer noch durch tränen!“, empfiehlt die von großem chor und allen solisten gesungene apotheose<br />

am ende <strong>der</strong> Oper dem in Verzweiflung und trunkenheit bef<strong>an</strong>genen Dichter e. t. a. hoffm<strong>an</strong>n. er hat<br />

gerade sein <strong>–</strong> <strong>an</strong>geblich viertes <strong>–</strong> liebesdebakel erlebt: Die Frau, die er liebt, die sängerin stella, wird<br />

von seinem Wi<strong>der</strong>sacher lindorff weggeführt. Der spruch von tränen und Größe soll den Dichter trösten:<br />

zwar klappt es bei ihm nicht mit <strong>der</strong> liebe, aber für sein Dichtertum ist unglück ohnehin die<br />

größere ch<strong>an</strong>ce. aus seinem kummer, seinen tränen k<strong>an</strong>n er nun wie<strong>der</strong> große kunst schaffen, so wie<br />

er es schon die g<strong>an</strong>ze Oper über vorgeführt hat. aus je<strong>der</strong> gescheiterten liebesgeschichte wurde eine<br />

erzählung, <strong>der</strong> seine zuhörerinnen gesp<strong>an</strong>nt folgten. eine reaktion <strong>der</strong> Figur hoffm<strong>an</strong>n auf jenen<br />

guten rat mit den tränen und <strong>der</strong> Größe teilt das libretto allerdings nicht mit <strong>–</strong> das zu entscheiden<br />

ist aufgabe des regisseurs. Worin liegt das Glück des lebens? in <strong>der</strong> liebe o<strong>der</strong> in <strong>der</strong> kunst? Darin,<br />

ein leben in <strong>der</strong> realität zu führen, mit liebe und menschlicher nähe, o<strong>der</strong> darin, als künstler ruhm zu<br />

ernten, indem m<strong>an</strong> die eigene unerfüllte sehnsucht nach dem leben in kunst umzuw<strong>an</strong>deln vermag?<br />

und wieso sind liebe und kunst eigentlich Gegensätze? Vor <strong>der</strong> deutschen rom<strong>an</strong>tik konnte ein Dich-<br />

ter sehr wohl ein bürgerliches leben führen und dabei große kunst produzieren <strong>–</strong> Joh<strong>an</strong>n Wolfg<strong>an</strong>g<br />

von Goethe lebte das in perfektion vor. Die deutsche rom<strong>an</strong>tik setzte künstlertum in Gegensatz zu<br />

(spieß-)bürgerlichkeit.<br />

Die bedrohliche „bürgerlichkeit“ konkretisiert sich in Les contes d’Hoffm<strong>an</strong>n in einem bösewicht, <strong>der</strong><br />

stets eifersüchtig hoffm<strong>an</strong>ns Glück hintertreibt: seine urerscheinung ist <strong>der</strong> rat lindorff, als „rat“<br />

ist er ein pragmatiker, ein m<strong>an</strong>n des Geldes. in den erzählungen hoffm<strong>an</strong>ns taucht er auf als bös-<br />

artiger puppenbauer, dämonischer arzt und diabolischer zuhälter <strong>–</strong> in diesen Formen enthüllt er seine<br />

teuflische natur, die unter <strong>der</strong> bürgerlichen Oberfläche des „rats“ versteckt ist. aber es gibt noch eine<br />

<strong>an</strong><strong>der</strong>e dauernde begleiterin hoffm<strong>an</strong>ns: Die muse, scheinbar hoffm<strong>an</strong>ns beschützerin. sie will hoffm<strong>an</strong>n<br />

g<strong>an</strong>z für sich, er soll nur seiner kunst leben, die sie verkörpert. Wie lindorff arbeitet sie <strong>an</strong> <strong>der</strong><br />

Verhin<strong>der</strong>ung von hoffm<strong>an</strong>ns liebesglück, aber sie begreift außerdem die Vergeblichkeit seiner<br />

träume. Denn hoffm<strong>an</strong>n macht es den beiden liebesverhin<strong>der</strong>ern leicht: auf seiner suche nach liebe<br />

fällt er stets auf seine eigenen F<strong>an</strong>tasien herein, schon das erste abenteuer mit Olympia macht es deut-<br />

lich: er projiziert auf die leblose puppe alle seine Wünsche von glücklicher zweisamkeit („ah, vivre à<br />

deux“) und nimmt nicht wahr, dass diese Geliebte überhaupt gar keine eigene persönlichkeit besitzt <strong>–</strong><br />

vielleicht wirkt sie auch gerade deshalb <strong>an</strong>ziehend auf ihn. auch bei den <strong>an</strong><strong>der</strong>en übersieht er die ei-<br />

gentlichen naturen <strong>der</strong> Frauen: <strong>an</strong>tonia, die sängerin, will ihr eigenes künstlertum behaupten, Giulietta,<br />

die kurtis<strong>an</strong>e, spiegelt hoffm<strong>an</strong>n liebe nur vor <strong>–</strong> sie ist Gef<strong>an</strong>gene Dapertuttos und liebt in Wahrheit den<br />

zwerg pitichinaccio.<br />

Diese drei abenteuer werden von einem das trinken preisenden Dichter mitgeteilt. eine solche erzählsituation<br />

wirft recht schnell die Frage auf, ob diese Geschehnisse nur ausgeburten eines umnebelten<br />

schriftsteller-hirns sind: ist alles wirklich so geschehen? Glaubt hoffm<strong>an</strong>n selbst dar<strong>an</strong>? sind die drei<br />

Frauen die erzählerisch aufgespaltene stella, wie die muse es einmal <strong>an</strong>merkt? erfindet hoffm<strong>an</strong>n<br />

das alles bewusst? aber zu <strong>an</strong>f<strong>an</strong>g tritt für das publikum sichtbar die muse auf und verw<strong>an</strong>delt sich<br />

in hoffm<strong>an</strong>ns Freund nicklausse. lindorff kommt auf die bühne, begleitet von dem musikalischen<br />

motiv, das sich die g<strong>an</strong>ze Oper über mit dem auftreten des bösewichts verbindet <strong>–</strong> ist er nun ein<br />

w<strong>an</strong>dlungsfähiger teufel o<strong>der</strong> nicht? Wo beginnen hoffm<strong>an</strong>ns erzählungen, wo beginnt die Figur<br />

hoffm<strong>an</strong>n zu erzählen? Was ist realität, was ist Wahrheit, was ist Wahn <strong>–</strong> und was davon wünschen wir<br />

uns, sollte wahr sein?<br />

23


24<br />

Dieses komplizierte Gebilde hinterließ Jacques Offenbach (20. 6. 1819 in köln; † 5. 10. 1880 in paris)<br />

<strong>der</strong> Opernwelt auf seinem sterbebett. er war als junger m<strong>an</strong>n von köln zum studium nach paris gekommen,<br />

als cellist und Dirigent lernte er bei verschiedenen Orchestern das zeitgenössische Opern-<br />

repertoire bestens kennen. ab 1855 führte er in seinem eigenen theater, den bouffes-parisiens, eigene<br />

kleine satirisch-geistreiche stücke mit Dialog und Ges<strong>an</strong>g auf, die begeistert aufgenommen wur-<br />

den. Orphée aux enfers (Orpheus in <strong>der</strong> Unterwelt) machte ihn 1858 europaweit bek<strong>an</strong>nt <strong>–</strong> die Operette<br />

war erfunden. Darin hielt er <strong>der</strong> feinen Gesellschaft den spiegel vor, und sie ließ sich gern von ihm<br />

verspotten. aber Offenbach wollte auch eine „richtige“ Oper schaffen. ein erster Versuch, Les Fées du<br />

Rhin (Die Rheinnixen) fiel 1864 durch. um 1875 beg<strong>an</strong>n Offenbach <strong>an</strong> <strong>der</strong> arbeit von Les contes<br />

d’Hoffm<strong>an</strong>n, diesmal sollte es ein erfolg werden. aber immer wie<strong>der</strong> musste Offenbach das bereits<br />

komponierte überarbeiten, denn ständig än<strong>der</strong>ten sich die bedingungen: Die titelrolle mutierte von<br />

einer bariton- zu einer tenorpartie, die besetzung für die muse wechselte dreimal, zweimal ging das<br />

vorgesehene theater pleite. Derweil komponierte Offenbach noch zwölf Operetten und ging auf<br />

tournee durch die usa. so dauerte die arbeit Jahre und schließlich starb Offenbach, als er <strong>an</strong> den<br />

letzten kompositionen für Les contes arbeitete. Die uraufführung <strong>an</strong> <strong>der</strong> pariser Opéra comique f<strong>an</strong>d<br />

nur mehr in verstümmeltem zust<strong>an</strong>d statt <strong>–</strong> die Direktoren f<strong>an</strong>den die Oper zu l<strong>an</strong>g: Vieles wurde<br />

gestrichen, die rolle <strong>der</strong> muse verschw<strong>an</strong>d fast völlig, <strong>der</strong> Venedig-akt gänzlich, musikstücke wurden<br />

verschoben. Offenbachs erben zerstreuten seine h<strong>an</strong>dschriften, daher waren Les contes d’Hoffm<strong>an</strong>n<br />

von <strong>der</strong> uraufführung im Februar 1881 <strong>an</strong> ein Fragment. erst in den letzten Jahren scheint es nach<br />

jahrzehntel<strong>an</strong>ger kleinarbeit gelungen zu sein, eine <strong>an</strong>näherungsweise „originalgetreue“ Fassung, d. h.<br />

so wie sich es Offenbach auf seinem sterbebett vorgestellt hatte, herzustellen.


26<br />

mitWirkenDe JuGenDliche rODelinDa<br />

miriam aigner, christoph <strong>an</strong>zböck, lina sophie Daller, nilufar Dehgh<strong>an</strong>zadeh, Vivi<strong>an</strong> haring,<br />

<strong>an</strong>tonia höppel, res hoy, Valerie idinger, h<strong>an</strong>nah sophia Jöchtl, carina kiricsi, Wendy kok, benny könig,<br />

Veronika könig, sarah kropiunik, benjamin al<strong>an</strong> kubaczek, Julia lackner, sarah l<strong>an</strong>g, christi<strong>an</strong> margol,<br />

marcelo peralta, milena pumberger, pia ruttner, lidia saarinen, barbara schnöpf, astrid stöger,<br />

laurence strasser, simon Val<strong>der</strong>rama, Viola Waldeck, milena kristina Wendt<br />

unterstützung Violine / Violoncello: Josip matičić, ute Groh<br />

team JuGenD <strong>an</strong> Der <strong>Wien</strong><br />

Gesamtkonzept, Inszenierung: catherine leiter<br />

Schauspiel & Inszenierung: beate Göbel<br />

Musikalische Leitung: Joh<strong>an</strong>nes mertl<br />

Kostüme: axel e. schnei<strong>der</strong><br />

Lichtdesign: Fr<strong>an</strong>k storm<br />

Szenische Mitarbeit: rainer Vierlinger<br />

impressum:<br />

theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> <strong>–</strong> intend<strong>an</strong>t Di rol<strong>an</strong>d Geyer | medieninhaber und herausgeber: Vereinigte bühnen <strong>Wien</strong> Ges.m.b.h. <strong>–</strong> Generaldirektor mag. thomas Drozda<br />

ein unternehmen <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> holding | theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>, linke <strong>Wien</strong>zeile 6, 1060 <strong>Wien</strong> | tel. (+43/1) 588 30-660 | catherine.leiter@theater-wien.at | www.theater-wien.at<br />

Für den inhalt ver<strong>an</strong>twortlich: intend<strong>an</strong>t Di rol<strong>an</strong>d Geyer<br />

redaktion: catherine leiter, Joh<strong>an</strong>nes penninger | theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>-team: karin bohnert, sylvia hödl, axel e. schnei<strong>der</strong>, sabine seisenbacher, philipp Wagner<br />

produktion: tina Osterauer | Grafik: <strong>an</strong>na Graf | herstellung: Walla Druck, 1050 <strong>Wien</strong> | redaktionsschluss: 26. august 2011<br />

än<strong>der</strong>ungen und irrtümer vorbehalten | DVr 0518751<br />

bilDnachWeis:<br />

coversujet: Figurinen Flavia und Freundin © axel e. schnei<strong>der</strong> // szenenfotos Rodelinda s. 3: <strong>an</strong>tonia höppel, milena pumberger © rolf bock / s. 4/5: milena kristina Wendt,<br />

ensemble <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> © rolf bock / s. 6: simon Val<strong>der</strong>rama, milena pumberger, milena kristina Wendt, miriam aigner, benjamin al<strong>an</strong> kubaczek © Jakob Winkler / s. 9:<br />

Veronika könig, sarah l<strong>an</strong>g, carina kiricsi © rolf bock // maskenfoto s. 10: <strong>an</strong>drée lauterbour schminkt Wendy kok © Jakob Winkler // szenenfoto Rodelinda s. 12: ensemble<br />

<strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> © rolf bock // Fotos s. 14: res hoy © Jakob Winkler / s. 15: simon Val<strong>der</strong>rama, res hoy, benjamin al<strong>an</strong> kubaczek, miriam aigner, christi<strong>an</strong> margol © Jakob<br />

Winkler / Figurinen Garibaldo o<strong>der</strong> Die bösen Gehilfen s. 15: © axel e. schnei<strong>der</strong> // szenenfoto Rodelinda s. 16: ensemble <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> © rolf bock // illustration s. 18:<br />

christi<strong>an</strong> korherr // Foto s. 21: © Jakob Winkler // Figurinen zu Les contes d’Hoffm<strong>an</strong>n s. 22-25: © axel e. schnei<strong>der</strong> // Foto s. 26: © Jakob Winkler //


<strong>Jugend</strong> <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> <strong>–</strong> <strong>VorSchau</strong><br />

Das neue <strong>Jugend</strong> macht Oper-projekt widmet sich nach Rodelinda von Georg Friedrich händel <strong>der</strong><br />

Opéra f<strong>an</strong>tastique Les contes d’Hoffm<strong>an</strong>n von Jacques Offenbach. Die <strong>Jugend</strong>lichen sind wie<strong>der</strong> <strong>an</strong> den<br />

entstehungsprozessen beteiligt, werden in die verschiedenen bereiche eingebunden und suchen ihre<br />

interpretation. Die rollen werden von den und für die teilnehmenden <strong>Jugend</strong>lichen entwickelt. ein<br />

schwerpunkt liegt auf dem Ges<strong>an</strong>g; Vorkenntnisse werden nicht vorausgesetzt. Die musik <strong>der</strong> Oper<br />

dient als Grundlage und wird für die <strong>Jugend</strong>lichen adaptiert sowie mit elektronischen klängen und<br />

pop-elementen erweitert. im laufe des projekts erhalten die teilnehmerinnen schauspiel- und<br />

Ges<strong>an</strong>gstraining als Vorbereitung für die aufführung. auch im Orchestergraben wirken <strong>Jugend</strong>liche<br />

mit, instrumentale spielfreude und können sind dafür die ideale Voraussetzung. Darüber hinaus ist die<br />

mitarbeit als assistentin in den bereichen produktion, regie und kostüme möglich.<br />

Schule <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> und <strong>Jugend</strong> im Club starten ab september 2011 mit neuem programm.<br />

kOntakt & inFOrmatiOn:<br />

jugend<strong>an</strong><strong>der</strong>wien@theater-wien.at<br />

www.theater-wien.at<br />

tel.: +43 (0) 1 58830-616<br />

Weblog: jugend<strong>an</strong><strong>der</strong>wien.wordpress.com<br />

Facebook: <strong>Jugend</strong> <strong>an</strong><strong>der</strong> <strong>Wien</strong><br />

termine JuGenDOper les cOntes D’hOFFm<strong>an</strong>n<br />

<strong>an</strong>meldung für mitwirkende: bis 6. Oktober 2011<br />

jugend<strong>an</strong><strong>der</strong>wien@theater-wien.at<br />

einführungsver<strong>an</strong>staltung:<br />

Freitag, 7. Oktober, 17.00 uhr im theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong><br />

Vorstellungen:<br />

mittwoch, 28. märz: premiere 18.00 uhr<br />

Donnerstag, 29. märz: schulvorstellung 11.00 uhr<br />

karten<br />

Vorverkauf <strong>an</strong> <strong>der</strong> tageskasse im theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong><br />

und am <strong>Wien</strong>-ticket pavillon sowie per telefon und internet.<br />

Schriftliche bestellungen:<br />

theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>, linke <strong>Wien</strong>zeile 6, 1060 <strong>Wien</strong><br />

internet: www.theater-wien.at (Online-bestellungen nur mit kreditkarte)<br />

kartentelefon 01/58885:<br />

täglich von 8 bis 20 uhr<br />

27


Ein Unternehmen <strong>der</strong> <strong>Wien</strong> Holding<br />

hauptsponsor<br />

theater <strong>an</strong> <strong>der</strong> <strong>Wien</strong>

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