05.01.2013 Aufrufe

Wettbewerb in der Marktwirtschaft im Licht ethischer Argumentation ...

Wettbewerb in der Marktwirtschaft im Licht ethischer Argumentation ...

Wettbewerb in der Marktwirtschaft im Licht ethischer Argumentation ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Johannes Hoffmann<br />

E<strong>in</strong>führung<br />

<strong>Wettbewerb</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Marktwirtschaft</strong> <strong>im</strong> <strong>Licht</strong> <strong>ethischer</strong> <strong>Argumentation</strong><br />

Das FNG feiert se<strong>in</strong> 10-jähriges Jubiläum. Das ist für mich als Gründungsmitglied e<strong>in</strong> guter<br />

Anlass, sich darüber zu freuen, dass das Bewusstse<strong>in</strong> für ethisches Investment auch durch<br />

die Aktivitäten des FNG deutlich gestärkt werden konnte. An<strong>der</strong>erseits zeichnet sich<br />

ebenso ab, dass mit <strong>ethischer</strong> Motivation nur e<strong>in</strong> sehr ger<strong>in</strong>ger Teil des Anlagekapitals<br />

erreicht wird. Soll sich das än<strong>der</strong>n, müssen wir – und so auch das FNG – uns dafür e<strong>in</strong>set-<br />

zen, dass die Gründe offengelegt werden und die ethisch orientierten Investoren und Fi-<br />

nanzdienstleister daraus Konsequenzen ziehen. In diese Richtung möchte ich dem FNG<br />

mit me<strong>in</strong>em Beitrag e<strong>in</strong>en H<strong>in</strong>weis für die künftige Arbeit geben und zu e<strong>in</strong>em Engage-<br />

ment ermuntern. Dafür setze ich bei e<strong>in</strong>em zentralen Pfeiler <strong>der</strong> <strong>Marktwirtschaft</strong> an,<br />

nämlich dem <strong>Wettbewerb</strong>.<br />

Kaum jemand wird bestreiten, dass <strong>Marktwirtschaft</strong> und <strong>Wettbewerb</strong> untrennbar zu-<br />

sammengehören. Die Me<strong>in</strong>ungen gehen allerd<strong>in</strong>gs ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>, wenn es um die Beurtei-<br />

lung <strong>der</strong> ethischen Qualität dieses Verhältnisses <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Wirtschaft <strong>der</strong> Bundesre-<br />

publik <strong>im</strong> Kontext globaler und liberalisierter Bed<strong>in</strong>gungen geht. Nicht zuletzt deswegen<br />

wurde vor 52 Jahren das Kartellgesetz erlassen und das Bundeskartellamt geschaffen.<br />

Anlässlich <strong>der</strong> Feier "50 Jahre Kartellgesetz" wurde von Gerhard Hennemann mit Recht<br />

darauf h<strong>in</strong>gewiesen: "Ohne Kartellverbot, Fusionskontrolle und Missbrauchsaufsicht, die<br />

fest <strong>im</strong> Gesetz gegen <strong>Wettbewerb</strong>sbeschränkungen (GWB) verankert s<strong>in</strong>d, wäre die Siche-<br />

rung effizienten <strong>Wettbewerb</strong>s heute sicherlich undenkbar, denn das Ordnungspr<strong>in</strong>zip des<br />

<strong>Wettbewerb</strong>s hat nun e<strong>in</strong>mal ke<strong>in</strong>e Lobby. Vielmehr wird es durch e<strong>in</strong>zelwirtschaftliche<br />

Interessen, die sich <strong>in</strong> Politik und Verbänden ihre Fürsprecher suchen, <strong>im</strong>mer wie<strong>der</strong> neu-<br />

en Belastungstests unterzogen." 1<br />

Die verheerenden Verwüstungen unserer natürlichen, sozialen und kulturellen Lebens-<br />

grundlagen, die <strong>der</strong> <strong>Wettbewerb</strong> <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Marktwirtschaft</strong> angerichtet hat, s<strong>in</strong>d auch nicht<br />

1 Gerhard Hennemann, Im Namen des <strong>Wettbewerb</strong>s, <strong>in</strong>: Südd. Zeitung, 14.1.2008, Nr. 11, Seite 17.


mit dem Verweis auf Josef Schumpeters "Prozess <strong>der</strong> schöpferischen Zerstörung" ethisch<br />

zu rechtfertigen. Aber davon wird <strong>im</strong> zweiten Teil des Beitrages noch die Rede se<strong>in</strong>. Hier<br />

geht es zunächst darum, die philosophischen, psychologischen Grundlagen des Wettbe-<br />

werbspr<strong>in</strong>zips anzudeuten, damit wir e<strong>in</strong> Bild von den Chancen und Risiken erhalten. Erst<br />

dann lassen sich die Rahmenbed<strong>in</strong>gungen für nachhaltigen <strong>Wettbewerb</strong> und für e<strong>in</strong>e zu-<br />

kunftsfähige <strong>Marktwirtschaft</strong> def<strong>in</strong>ieren.<br />

Me<strong>in</strong>e Ausgangsthese lautet:<br />

<strong>Wettbewerb</strong> und <strong>Marktwirtschaft</strong> müssen gemessen werden am Beitrag zur Erreichung<br />

"universaler Solidarität <strong>in</strong> Freiheit als äußerster erreichbarer Idee" 2 und am Substanzer-<br />

halt von Natur und Mitwelt zur Gewährleistung von Bioüberlebenssicherheit für alle Men-<br />

schen.<br />

Ke<strong>in</strong> ger<strong>in</strong>gerer als Albert Camus, dem die Freiheit des E<strong>in</strong>zelnen das zentrale Anliegen<br />

war, setzte sich für dessen Freiheit vehement e<strong>in</strong>, allerd<strong>in</strong>gs für Freiheit des E<strong>in</strong>zelnen <strong>in</strong><br />

Geme<strong>in</strong>schaft. Arno Widmann zeichnet folgendes Bild von Camus: "Camus maß die Ge-<br />

me<strong>in</strong>schaft daran, wie viel Freiheit sie den E<strong>in</strong>zelnen – nicht wenigen, son<strong>der</strong>n allen –<br />

ermöglichte. Die heute wie<strong>der</strong> <strong>in</strong> die Debatte geworfene Vorstellung, <strong>der</strong> Sozialstaat sei<br />

zu ersetzen durch freudig gebende Reiche, erschien ihm als e<strong>in</strong>es Denkers unwürdig. E<strong>in</strong>e<br />

Träumerei nannte er sie. Camus war ke<strong>in</strong> Träumer. Er war Realist und er liebte die Wahr-<br />

heit. Er wusste, dass, wer sagt, <strong>der</strong> <strong>Wettbewerb</strong> soll entscheiden – nicht nur ob e<strong>in</strong>e Fir-<br />

ma, son<strong>der</strong>n ob <strong>der</strong> E<strong>in</strong>zelne überlebt –, dazusagen muss, dass er bereit ist, für dieses<br />

Pr<strong>in</strong>zip über die Leichen <strong>der</strong>er zu gehen, die <strong>im</strong> <strong>Wettbewerb</strong> scheitern." 3<br />

Angesichts <strong>der</strong> absurden Entwicklung – die F<strong>in</strong>anzkrise und die Kl<strong>im</strong>akatastrophe s<strong>in</strong>d<br />

Beispiele –, <strong>in</strong> die nicht h<strong>in</strong>reichend geregelter <strong>Wettbewerb</strong> geführt hat, müssen die<br />

Gründe für Rahmenbed<strong>in</strong>gungen sowie <strong>der</strong>en Inhalte zum Gegenstand <strong>der</strong> Wirtschafts-<br />

2 Helmut Peukert, Wissenschaftstheorie – Handlungstheorie – Fundamentale Theologie. Analysen zu<br />

Ansatz und Status theologischer Theoriebildung, Düsseldorf 1976, Seite 273.<br />

3 Arno Widmann, Zum Autor Albert Camus, <strong>in</strong>: Schauspiel Frankfurt, Hrsg., Spielzeit 2009/10. Intendant:<br />

Oliver Resse, Heft Nr. 17, Seite 6f.<br />

2


theorie und Wirtschaftspraxis gemacht werden. 4 Erst dann, wenn die Ziele klar def<strong>in</strong>iert<br />

s<strong>in</strong>d, <strong>in</strong> <strong>der</strong>en Rahmen <strong>Wettbewerb</strong> zugelassen se<strong>in</strong> soll, kann <strong>Wettbewerb</strong> als Informati-<br />

onssystem wirken, das <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne universaler Solidarität fungiert, das Innovationen för<strong>der</strong>n<br />

kann, welche Zukunftsmöglichkeiten sich für Natur, Mensch und Kultur eröffnen und dass<br />

h<strong>in</strong>reichend Transparenz geschaffen wird, die dafür sorgt, dass <strong>Wettbewerb</strong> nicht als<br />

Macht<strong>in</strong>strument zum Schaden von Natur und Mensch <strong>im</strong> Interesse Weniger missbraucht<br />

wird.<br />

1. <strong>Wettbewerb</strong> aus <strong>der</strong> Perspektive <strong>der</strong> naturalen Bed<strong>in</strong>gungslogik für Menschse<strong>in</strong><br />

Es ist daher notwendig, sich zu vergewissern, wo die konstitutionellen und anthropologi-<br />

schen Wurzeln für <strong>Wettbewerb</strong> be<strong>im</strong> Menschen verortet s<strong>in</strong>d und welche Folgerungen<br />

sich darauf für die Rahmenordnung ergeben.<br />

Im Gegensatz zu den Tieren ist <strong>der</strong> Mensch <strong>in</strong> <strong>der</strong> Steuerung se<strong>in</strong>er Antriebe nicht durch<br />

Inst<strong>in</strong>kte best<strong>im</strong>mt. Als mit Vernunft begabtes Wesen ist er von se<strong>in</strong>em ganzen Entwurf<br />

e<strong>in</strong> normatives Wesen und <strong>im</strong> Rahmen se<strong>in</strong>er naturalen Gegebenheiten und Antriebe auf<br />

Deutung und Selbststeuerung angewiesen. Ohne hier auf E<strong>in</strong>zelheiten des Aufweises die-<br />

ser auf Steuerung angewiesenen naturalen Potenzen e<strong>in</strong>zugehen, gehören dazu die Ag-<br />

gressionspotenz sowie <strong>der</strong> Grundantrieb sozialer B<strong>in</strong>dungswille, <strong>der</strong> das Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> <strong>im</strong><br />

Gegene<strong>in</strong>an<strong>der</strong> zu sichern vermag. Nach Wilhelm Korff "erweist sich menschlicher B<strong>in</strong>-<br />

dungs- und Vergesellungswille se<strong>in</strong>en naturalen Ursprungswurzeln nach als e<strong>in</strong>e nicht<br />

m<strong>in</strong><strong>der</strong> spontane, <strong>in</strong> sich konsistente und als solche kaum weniger schwer unterdrückbare<br />

o<strong>der</strong> gar el<strong>im</strong><strong>in</strong>ierbare Antriebskraft wie die <strong>im</strong> Dienst <strong>der</strong> Selbstdurchsetzung und Selbst-<br />

behauptung des Individuums stehende Aggression. B<strong>in</strong>dungswille und Aggression stehen<br />

sonach <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em antagonistischen Zuordnungsverhältnis. Indem nun aber <strong>der</strong> B<strong>in</strong>dungs-<br />

wille die bare antisoziale Destruktionspotenz <strong>der</strong> Aggressionsneigung <strong>in</strong> Schranken weist,<br />

ohne sie doch selbst ganz auslöschen zu können, transformiert sich Aggression ihrerseits<br />

zu e<strong>in</strong>er konstruktiven Komponente auch <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf den Aufbauprozess menschli-<br />

cher Sozialisierung: Im Brechungsw<strong>in</strong>kel bei<strong>der</strong> formiert sich jenes antagonistische An-<br />

triebsfeld, mit dem überhaupt erst Individuierung <strong>in</strong> Vergesellschaftung und Vergesell-<br />

4 Vgl. Gerhard Scherhorn, Markt und <strong>Wettbewerb</strong> unter dem Nachhaltigkeitsziel <strong>in</strong>: Zeitschrift für Umweltpolitik<br />

& Umweltrecht. Beiträge zur rechts-, wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Umweltfor-<br />

3


schaftung als Vergesellschaftung von Individuen möglich wird. Insofern ist es also erst die<br />

Spannungse<strong>in</strong>heit bei<strong>der</strong> Komponenten zusammen, die das Wesen des Sozialen ausmacht<br />

und def<strong>in</strong>iert." 5 Allerd<strong>in</strong>gs hat <strong>der</strong> B<strong>in</strong>dungs- und Vergesellungswille zwei Wurzeln, "näm-<br />

lich e<strong>in</strong>mal die Vergesellungsform des re<strong>in</strong>en Mite<strong>in</strong>an<strong>der</strong> … und die Vergesellungsform<br />

des eigentlichen Füre<strong>in</strong>an<strong>der</strong>." 6 Damit ergibt sich von <strong>der</strong> naturalen Bed<strong>in</strong>gungslogik für<br />

menschliches Se<strong>in</strong> und Mitse<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Trias <strong>der</strong> Antriebe: "Der Mensch ist dem Menschen<br />

Bedürfniswesen, Aggressor und Fürsorger zugleich." 7 Dabei gilt für e<strong>in</strong>e psychisch ausge-<br />

wogene Lebensgestaltung jedes Menschen, dass er für die Realisierung se<strong>in</strong>er selbst als<br />

Mensch die gleichzeitige Teilverwirklichung aller drei Antriebe anstreben muss. Was auf<br />

<strong>der</strong> <strong>in</strong>dividuellen Ebene für e<strong>in</strong> gesundes Leben anzustreben ist, hat se<strong>in</strong>e Entsprechung<br />

auch <strong>im</strong> gesellschaftlichen Zusammenleben. Auch hier darf es ke<strong>in</strong>e Normierung geben,<br />

die e<strong>in</strong>em naturalen Impuls – z.B. <strong>der</strong> Aggression – den Vorrang gibt. Wer daher dem<br />

<strong>Wettbewerb</strong>spr<strong>in</strong>zip <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Marktwirtschaft</strong> den Vorrang gibt, bewirkt, dass Fairness ge-<br />

genüber Konkurrenten und Rücksicht gegenüber Natur und Mitwelt auf <strong>der</strong> Strecke<br />

bleibt. Soziale Verwerfungen und Umweltzerstörung, wie wir sie <strong>in</strong> <strong>der</strong> Gegenwart erle-<br />

ben, s<strong>in</strong>d die Folge. Ausdrückliche Wahrnehmung <strong>der</strong> Wirklichkeit aus <strong>der</strong> Perspektive des<br />

<strong>Wettbewerb</strong>s wird zum alle<strong>in</strong>igen Deutungspr<strong>in</strong>zip erklärt und unausdrückliche Wahr-<br />

nehmung, die <strong>der</strong> Perspektive des An<strong>der</strong>en und <strong>der</strong> Natur gerecht wird, wird verdrängt.<br />

"Mitgefühl", Compassion, wie Albert Camus <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Roman "Die Pest" for<strong>der</strong>t, bleibt<br />

auf <strong>der</strong> Strecke. Auf die Frage des Arztes Rieux, "ob Tarrou e<strong>in</strong>e Vorstellung von dem We-<br />

ge habe, den man e<strong>in</strong>schlagen müsse, um Frieden zu bekommen", antwortet Tarrou: "Ja,<br />

Mitgefühl." 8<br />

Fazit für die ethische Regulierung des <strong>Wettbewerb</strong>s:<br />

Das Ergebnis <strong>der</strong> bisher angestellten Überlegungen lässt sich <strong>in</strong> sechs humanen Grundori-<br />

entierungen zusammenfassen. 9<br />

schung, 2/2005, Seiten 135-154, hier: Seite 136.<br />

5<br />

Wilhelm Korff, Norm und Sittlichkeit. Untersuchungen zur Logik <strong>der</strong> normativen Vernunft, Ma<strong>in</strong>z 1973,<br />

Seite 88.<br />

6<br />

Ders., ebd., Seite 90.<br />

7<br />

Ders., ebd., Seite 91.<br />

8<br />

Albert Camus, Die Pest, 76. Auflage, Hamburg November 2009, Seite 289.<br />

9<br />

Vgl. Johannes Hoffmann, Konrad Ott, Gerhard Scherhorn, Hrsg., Ethische Kriterien für die Bewertung<br />

von Unternehmen – Frankfurt-Hohenhe<strong>im</strong>er Leitfaden, Frankfurt a.M./London 1997.<br />

4


Wie dargelegt, gehen wir hier von <strong>der</strong> überhistorischen bzw. anthropologischen Tatsache<br />

aus, dass die Menschen für e<strong>in</strong>e vernunftmäßige Lenkung ihres Handelns durch jeweils<br />

e<strong>in</strong>an<strong>der</strong> entgegen gesetzte Antriebe herausgefor<strong>der</strong>t werden. Zum Beispiel Aggression<br />

versus Fürsorge, <strong>Wettbewerb</strong> versus Kooperation etc. Zwischen diesen Polen von Antrie-<br />

ben, noch dazu <strong>in</strong> unübersichtlicher Lage, muss <strong>der</strong> Mensch mit Hilfe se<strong>in</strong>er Vernunft<br />

vermitteln. Dabei ist es denkbar, dass er sich an Grundnormen orientiert wie: "Du sollst<br />

niemanden töten!" o<strong>der</strong> "Du sollst de<strong>in</strong>e Versprechen halten!". Es ist aber auch möglich,<br />

dass er sich unkritisch an gesellschaftlichen dom<strong>in</strong>anten Leitbil<strong>der</strong>n orientiert, die <strong>im</strong> Ge-<br />

gensatz zu Grundnormen stehen. Dies aufzudecken und bewusst zu machen, ist e<strong>in</strong>e zent-<br />

rale Intention e<strong>in</strong>er ethischen Bewertung von Unternehmen.<br />

Welchen Fragen müssen sich Unternehmen anhand <strong>der</strong> Grundorientierungen aus ethi-<br />

scher Perspektive stellen?<br />

1. Rücksicht und Fairness trotz Konkurrenz<br />

2. Diskursbereitschaft statt Positionalität<br />

3. Begrenzung partieller Interessen durch Respekt vor dem Geme<strong>in</strong>wohl<br />

4. Selbstbegrenzung <strong>im</strong> Wachstum<br />

5. Kreativität mit Verantwortung<br />

6. Verzicht auf das Recht des Stärkeren<br />

2. Ethische Kritik des <strong>Wettbewerb</strong>srechtes<br />

Das <strong>Wettbewerb</strong>srecht aus e<strong>in</strong>er ethischen Perspektive <strong>in</strong> den Blick zu nehmen, verlangt<br />

zunächst e<strong>in</strong>mal, das <strong>Wettbewerb</strong>srecht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>en eigenen Zielsetzungen zur Kenntnis zu<br />

nehmen. Dabei konzentriere ich mich zunächst auf das deutsche <strong>Wettbewerb</strong>srecht, deu-<br />

te vergleichend auf die gesetzlichen Regelungen an<strong>der</strong>er Län<strong>der</strong> h<strong>in</strong> und ziehe den Bogen<br />

zum Geme<strong>in</strong>schaftsrecht, <strong>der</strong> Europäisierung des <strong>Wettbewerb</strong>srechts.<br />

2.1 Das Gesetz gegen unlauteren <strong>Wettbewerb</strong> (UWG)<br />

Ohne auf die Rechtsentwicklung <strong>im</strong> E<strong>in</strong>zelnen e<strong>in</strong>zugehen, möchte ich auf das Gesetz ge-<br />

gen unlauteren <strong>Wettbewerb</strong> (UWG) vom 7.6.1909 h<strong>in</strong>weisen, das "für fast e<strong>in</strong>hun<strong>der</strong>t<br />

5


Jahre die gesetzliche Grundlage des deutschen Lauterkeitsrechts" 10 bildete. Es war mit<br />

e<strong>in</strong>er Generalklausel ausgestattet, die es ermöglichte, "mit Hilfe e<strong>in</strong>es unverän<strong>der</strong>t ge-<br />

bliebenen Gesetzwortlautes Sachverhalte zu erfassen, die das Vorstellungsvermögen ei-<br />

nes Juristen <strong>der</strong> Jahrhun<strong>der</strong>twende bei weitem überstiegen hätte." 11 Die Generalklausel<br />

von 1909 <strong>im</strong><br />

§ 1 lautet: "Wer <strong>im</strong> geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des <strong>Wettbewerb</strong>s Handlungen<br />

vorn<strong>im</strong>mt, die gegen die guten Sitten verstoßen, kann auf Unterlassung und Schadener-<br />

satz <strong>in</strong> Anspruch genommen werden." Im Zuge <strong>der</strong> Anpassung an das Geme<strong>in</strong>schaftsrecht<br />

<strong>in</strong> den 90er Jahren kam es zu e<strong>in</strong>er Liberalisierung. Im neuen UWG von 2004 werden ent-<br />

sprechend <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ien 84/450/EWG als Schutzzwecke e<strong>in</strong>mal <strong>der</strong> Schutz <strong>der</strong> Mitbe-<br />

werber und <strong>der</strong> Schutz <strong>der</strong> Verbraucher genannt und es wird ausdrücklich auch auf das<br />

"Interesse <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit" <strong>in</strong> § 1 S. 2 UWG verwiesen, allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>schränkend lei<strong>der</strong><br />

nur <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf e<strong>in</strong>en "unverfälschten <strong>Wettbewerb</strong>". Nach Köhler wird <strong>der</strong> "Schutz<br />

sonstiger Allgeme<strong>in</strong><strong>in</strong>teressen (wie z.B. Umweltschutz, Gesundheitsschutz, Schutz <strong>der</strong><br />

Rechtspflege, Arbeitnehmerschutz) nicht als Aufgabe des <strong>Wettbewerb</strong>srechts angese-<br />

hen." 12<br />

Nach Ackermann ist allerd<strong>in</strong>gs die "soziale Funktion des <strong>Wettbewerb</strong>srechts zu beachten,<br />

die die Rechtsprechung seit langem betont und aus <strong>der</strong> sie <strong>in</strong> zunehmendem Maße recht-<br />

liche Folgerungen für die Beurteilung von <strong>Wettbewerb</strong>shandlungen gezogen hat." 13 Dar-<br />

über h<strong>in</strong>aus ist nach Rittner/Kulka die Bedeutung <strong>der</strong> Generalklausel § 1 UWG dar<strong>in</strong> zu<br />

sehen, dass sie "die bruchlose E<strong>in</strong>beziehung verfassungs- und EG-rechtlicher Maßstäbe <strong>in</strong><br />

die wettbewerbsrechtliche Beurteilung ermöglicht. Die Drittwirkung <strong>der</strong> Grundrechte (vgl.<br />

dazu oben § 1 Rn. 49) kann sich – soweit erfor<strong>der</strong>lich – <strong>im</strong> Zivilrecht praktisch nur <strong>im</strong><br />

Rahmen von Generalklauseln wie eben § 3 UWG entfalten. In gleicher Weise können Vor-<br />

10 <strong>Wettbewerb</strong>srecht und Kartellrecht. Gesetz gegen den unlauteren <strong>Wettbewerb</strong>, Preisangabenverordnung,<br />

Markengesetz, Markenverordnung, Geme<strong>in</strong>schaftsmarkenverordnung, Gesetz gegen <strong>Wettbewerb</strong>sbeschränkungen<br />

sowie die wichtigsten wettbewerbsrechtlichen <strong>in</strong>ternationalen Übere<strong>in</strong>kommen<br />

und Vorschriften <strong>der</strong> Europäischen Geme<strong>in</strong>schaft. Textausgabe mit ausführlichem Sachverzeichnis und<br />

e<strong>in</strong>er E<strong>in</strong>führung von Professor Dr. Helmut Köhler, 27., neu bearbeitete Auflage, Stand 1. März 2007, X.<br />

11 Ackermann, Brunhilde, <strong>Wettbewerb</strong>srecht. Unter Berücksichtigung europarechtlicher Bezüge, Ber-<br />

l<strong>in</strong>/Heidelberg 1997, Seite 1.<br />

12 <strong>Wettbewerb</strong>srecht und Kartellrecht, a.a.O., XII.<br />

13 Ackermann, a.a.O., Seite 5.<br />

6


gaben des EG-Rechts (vgl. dazu oben § 1 Rn. 10 ff.) bei <strong>der</strong> Interpretation <strong>der</strong> General-<br />

klausel Beachtung f<strong>in</strong>den, ohne dass <strong>im</strong> Fall von Konflikten zwischen deutschem und eu-<br />

ropäischem Recht sogleich das Gesetz geän<strong>der</strong>t werden müsste. Diese Funktion <strong>der</strong> Ge-<br />

neralklausel verdient angesichts <strong>der</strong> zunehmenden Überlagerung des e<strong>in</strong>fachen Gesetzes-<br />

rechts gegen unlauteren <strong>Wettbewerb</strong> durch das Verfassungs- und EG-Recht beson<strong>der</strong>e<br />

Hervorhebung." 14<br />

Was die Vorstellung vom Verbraucher betrifft, so wird wie <strong>im</strong> Geme<strong>in</strong>schaftsrecht "von<br />

e<strong>in</strong>em durchschnittlich <strong>in</strong>formierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnitts-<br />

verbraucher" 15 ausgegangen.<br />

Für e<strong>in</strong>e angemessene Betrachtung des <strong>Wettbewerb</strong>srechtes ist es wichtig, auf den Wan-<br />

del <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rechtsprechung aufmerksam zu machen. Mit zunehmendem Umweltbewusst-<br />

se<strong>in</strong> nutzen <strong>Wettbewerb</strong>er die Möglichkeit, gegebenenfalls die Umwelt-, Sozial- und Kul-<br />

turverträglichkeit ihrer Verfahren und Produkte <strong>in</strong> <strong>der</strong> Werbung e<strong>in</strong>zusetzen. Wenn das<br />

wegen des emotionalen Bezuges nicht <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne irreführen<strong>der</strong> Werbung gemäß § 3 UWG<br />

beurteilt werden soll, muss <strong>der</strong> umweltbewusste Kaufmann als <strong>Wettbewerb</strong>er nachwei-<br />

sen, dass "die Richtigkeit se<strong>in</strong>er Angaben nicht <strong>in</strong> Zweifel zu ziehen ist." 16 Demgegenüber<br />

brauchen <strong>Wettbewerb</strong>er, die bei <strong>der</strong> Herstellung ihrer Produkte umweltschädliche Ver-<br />

fahren anwenden o<strong>der</strong> auch umweltschädliche Produkte auf den Markt br<strong>in</strong>gen und mit<br />

niedrigeren Preisen als <strong>der</strong> umweltbewusste Mitbewerber nicht befürchten, dass er we-<br />

gen irreführen<strong>der</strong> Werbung zur Rechenschaft gezogen wird. Hier hat sich auf dem H<strong>in</strong>ter-<br />

grund des gewachsenen Umweltbewusstse<strong>in</strong>s nach Brunhilde Ackermann bei den höchst-<br />

richterlichen Entwicklungen e<strong>in</strong> Wandel vollzogen. Während bisher "umweltbezogene<br />

Werbung wegen ihres emotionalen Bezuges bereits dem Grundsatz nach geeignet ist, die<br />

Kaufentscheidung des Verbrauchers <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er den Grundsätzen des Leistungswettbewerbs<br />

wi<strong>der</strong>sprechenden Weise zu bee<strong>in</strong>flussen" 17 , wird dies jetzt aus e<strong>in</strong>em an<strong>der</strong>en Blickw<strong>in</strong>-<br />

kel gesehen, nämlich: "Ist die Richtigkeit <strong>der</strong> Angaben nicht <strong>in</strong> Zweifel zu ziehen, können<br />

sie nicht ohne weiteres als unsachliche, wettbewerbswidrige Bee<strong>in</strong>flussung des Käufer-<br />

14 Rittner, Fritz/Kulka, Michael, <strong>Wettbewerb</strong>s- und Kartellrecht. E<strong>in</strong>e systematische Darstellung des deutschen<br />

und europäischen Rechts, 7., völlig neu bearbeitete Auflage, Heidelberg/München Landsberg,<br />

Berl<strong>in</strong> 2008, Seite 46.<br />

15 Ebd., X.<br />

16 Ackermann, a.a.O., Seite 122.<br />

17 Ackermann, a.a.O., Seite 122.<br />

7


publikums gewertet werden." 18 Auf die Bedeutung dieses Tatbestandverständnisses wer-<br />

de ich aus <strong>ethischer</strong> Perspektive noch Bezug nehmen.<br />

"Dieser differenzierten Betrachtung kann nur zugest<strong>im</strong>mt werden: Investiert e<strong>in</strong> Unter-<br />

nehmen Zeit, Geld, Energie <strong>in</strong> erheblichem Ausmaß mit dem Ziel, se<strong>in</strong>e Produkte, se<strong>in</strong>e<br />

Produktionsverfahren umweltfreundlicher/umweltgerechter zu gestalten o<strong>der</strong> engagiert<br />

sich e<strong>in</strong> Unternehmen durch Sponsor<strong>in</strong>g von Umweltprojekten, darf es ihm <strong>im</strong> Rahmen<br />

se<strong>in</strong>er Kommunikationsgrundrechte nicht verwehrt se<strong>in</strong>, <strong>in</strong> sachlicher Weise darauf auch<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Werbung h<strong>in</strong>zuweisen. Wollte man ihm dies versagen, wäre <strong>der</strong> Umwelt, die zu<br />

Recht als hohes Gut gesehen wird, e<strong>in</strong> Bärendienst geleistet, da positiv zu erachtende<br />

Investitionen und Innovationen mit hoher Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit unterblieben. Der Impetus<br />

für den 'ordentlichen Kaufmann', <strong>der</strong> Maßstab des Leistungswettbewerbs ist, wäre – dürf-<br />

te er über se<strong>in</strong>e guten Taten nicht reden – weitgehend beseitigt. Umweltwerbung ist,<br />

wenn sie auf wahren Gegebenheiten beruht, <strong>im</strong> Kern positiv zu beurteilen. Es müssen<br />

daher über die re<strong>in</strong>e Information über Anstrengungen/Bemühungen/Erfolge zur Erzielung<br />

höherer Umweltgerechtigkeit h<strong>in</strong>aus zusätzliche Elemente h<strong>in</strong>zukommen, um Wettbe-<br />

werbswidrigkeit zu begründen, sei es e<strong>in</strong> übermäßiger suggestiver Appell, <strong>der</strong> e<strong>in</strong>e hohe<br />

psychologische Anlockwirkung begründet, sei es, dass zusätzliche Kriterien h<strong>in</strong>zukommen,<br />

die auch bei an<strong>der</strong>en Formen <strong>der</strong> Werbung <strong>der</strong>en Unzulässigkeit begründen (Belästigung,<br />

Täuschung etc.)." 19<br />

2.2 Das Gesetz gegen <strong>Wettbewerb</strong>sbeschränkungen, Kartellrecht (GWB)<br />

Während das UWG die Lauterkeit des <strong>Wettbewerb</strong>s vor unlauteren <strong>Wettbewerb</strong>smetho-<br />

den schützen soll, hat das GWB die Aufgabe, die Freiheit des <strong>Wettbewerb</strong>s gegen Be-<br />

schränkungen zu bewahren. Das GWB ist aus <strong>der</strong> Wertmax<strong>im</strong>e des Grundgesetzes herge-<br />

leitet, das die Garantie <strong>der</strong> Entfaltung <strong>der</strong> freien menschlichen Persönlichkeit zur Grund-<br />

lage hat. 20<br />

Beide Gesetze, also das UWG sowie das GWB s<strong>in</strong>d Privatrecht. Dennoch gilt das Privat-<br />

recht nicht absolut, son<strong>der</strong>n ist verortet <strong>in</strong> den Grundrechten als objektive Werteord-<br />

nung. "Ke<strong>in</strong>e Norm des Privatrechtes darf <strong>im</strong> Wi<strong>der</strong>spruch zur Grundrechtsordnung ste-<br />

18 Dies., ebd.<br />

19 Ackermann, a.a.O. Seite 122 f.<br />

8


hen, sie muss stets <strong>in</strong> ihrem S<strong>in</strong>ne ausgelegt werden" (BVerf GE 42, 143, 148 "Deutsch-<br />

landmagaz<strong>in</strong>"). 21<br />

Fazit: Das Gesetz gegen unlauteren <strong>Wettbewerb</strong> als auch das Gesetz gegen Wettbe-<br />

werbsbeschränkungen vermag zwischen den <strong>Wettbewerb</strong>ern für Schutz <strong>der</strong> unmittelbar<br />

Beteiligten zu sorgen. In gewisser Weise kann damit auch dem Schutzbedürfnis <strong>der</strong><br />

Verbraucher entsprochen werden. Beide Gesetze sollen sicherstellen, dass <strong>der</strong> <strong>im</strong> GG ga-<br />

rantierten freien Entfaltung <strong>der</strong> Persönlichkeit/<strong>der</strong> <strong>Wettbewerb</strong>er <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Marktwirt-<br />

schaft e<strong>in</strong> h<strong>in</strong>reichen<strong>der</strong> Bed<strong>in</strong>gungsrahmen gegeben wird, dass dem Geme<strong>in</strong>wohl auf<br />

bestmögliche Weise aufgeholfen wird. Mit <strong>der</strong> Rückb<strong>in</strong>dung des <strong>Wettbewerb</strong>srechts an<br />

das GG o<strong>der</strong> wie es <strong>in</strong> <strong>der</strong> Generalklausel von 1909 heißt "an die guten Sitten" sowie an<br />

das Verfassungs- und EG-Recht ist klargestellt, dass das <strong>Wettbewerb</strong>srecht ke<strong>in</strong>en Selbst-<br />

zweck darstellt, son<strong>der</strong>n Instrument zur bestmöglichen Realisierung von Bio-Überlebens-<br />

sicherheit für Mensch und Mitwelt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Marktwirtschaft</strong> se<strong>in</strong> soll. 22<br />

Genau an <strong>der</strong> Stelle kann die ethische Frage gestellt werden: S<strong>in</strong>d die Rahmenbed<strong>in</strong>gun-<br />

gen des <strong>Wettbewerb</strong>srechts so gestaltet, dass Bio-Überlebenssicherheit für Mensch und<br />

Mitwelt <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Marktwirtschaft</strong> global geschützt wird, damit Menschwerdung <strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>-<br />

schaft <strong>im</strong> Mitse<strong>in</strong> mit <strong>der</strong> Schöpfung weltweit gel<strong>in</strong>gt?<br />

Die kapitalistische <strong>Marktwirtschaft</strong> be<strong>in</strong>haltet die systematische Begünstigung des Kapi-<br />

tals bzw. <strong>der</strong> Superreichen bei gleichzeitiger systematischer Ausbeutung von Natur- und<br />

Sozialkapital. Hier geht es nicht um "die subjektive Wahrnehmung, was gerecht" ist, son-<br />

<strong>der</strong>n um Sozialverträglichkeit und Fairness, wenn Vorstände etwa wie bei Josef Acker-<br />

mann das 300-fache von dem kassieren, was die Bank e<strong>in</strong>em Bankberater gibt. Dies zu<br />

e<strong>in</strong>em Zeitpunkt, als das Institut Deutsche Bank gerade knapp 5 Milliarden Euro Verlust<br />

h<strong>in</strong>nehmen musste. O<strong>der</strong> wie bei Konzernchef Herbert Ha<strong>in</strong>er, <strong>der</strong> das 5500-fache von<br />

dem verdient, was "e<strong>in</strong>e Näher<strong>in</strong> bei e<strong>in</strong>em Zulieferer <strong>in</strong> Vietnam" 23 verdient. Das ist<br />

20 Art. 1,2 GG.<br />

21 Ackermann, a.a.O., Seite 129.<br />

22 Johannes Hoffmann, Zur Bedeutung <strong>der</strong> Kulturverträglichkeit; <strong>in</strong>: Hoffmann, J./Ott, K./Scherhorn, G.,<br />

Hrsg., Ethische Kriterien für die Bewertungen von Unternehmen. Frankfurt-Hohenhe<strong>im</strong>er Leitfaden,<br />

Frankfurt 1997, 263-291, hier: Seite 291.<br />

23 Südd. Zeitung, 4.4.08, Nr. 79, Seite 31.<br />

9


schamlos und verstößt gegen das Sittengesetz und ist dann lt. Grundgesetz gesetzwid-<br />

rig. 24<br />

Schließlich ist auf die Häufung von bekannt gewordenen Korruptionsfällen h<strong>in</strong>zuweisen.<br />

Hierdurch wird <strong>Wettbewerb</strong> ausgehebelt und nicht zuletzt Demokratie gefährdet. Die<br />

Münchner Personalberatung CGC hat "unter Führungskräften und Personalberatern" e<strong>in</strong>e<br />

Erhebung durchgeführt. Unter an<strong>der</strong>em äußerten 44 % aller Befragten, dass "gesetzes-<br />

treue Firmen Nachteile <strong>im</strong> Konkurrenzkampf" 25 hätten. 56 % seien auch eher durch den<br />

Imageschaden beunruhigt, <strong>der</strong> durch die Berichterstattung entstanden sei, als durch die<br />

Korruption selbst. Die Zunahme von Korruption und auch die Aufdeckung von Korrupti-<br />

onsfällen hat dazu geführt, dass <strong>in</strong> Anlehnung an Vorgaben <strong>der</strong> Europäischen Union, des<br />

Europarates und <strong>der</strong> Vere<strong>in</strong>ten Nationen das Bundeskab<strong>in</strong>ett <strong>im</strong> Mai 2007 e<strong>in</strong>e Än<strong>der</strong>ung<br />

des Strafgesetzbuches beschlossen hat, damit Korruption auch <strong>im</strong> <strong>in</strong>ternationalen Rah-<br />

men bekämpft werden kann (Quelle: Bus<strong>in</strong>ess Keeper AG, Newsletter IV/2007, 2.).<br />

2.3. Die Fakten <strong>im</strong> <strong>Licht</strong>e <strong>ethischer</strong> Kriterien<br />

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Gesetzes gegen <strong>Wettbewerb</strong>sbeschränkungen<br />

und des 50-jährigen Bestehens des Bundeskartellamtes wird man bei <strong>der</strong> Frage nach ethi-<br />

schen Kriterien zunächst auf die historischen Wurzeln aufmerksam machen, <strong>in</strong> denen das<br />

<strong>Wettbewerb</strong>srecht entstanden ist und denen es se<strong>in</strong>e Gestaltung verdankt. Nur so wer-<br />

den auch die Schwierigkeiten, die Verän<strong>der</strong>ungen, die Erfolge und Misserfolge dieser In-<br />

stitution verständlich. 26 Angesichts des Jubiläums liegt die Vermutung nahe, das Konzept<br />

<strong>der</strong> Sozialen Markwirtschaft von Ludwig Erhard und Alfred Müller-Armack sei <strong>der</strong> Grund,<br />

auf dem das <strong>Wettbewerb</strong>srecht basiert. Trotz mancher H<strong>in</strong>weise, dass das zutreffen<br />

könnte, ist nach Christoph Buchhe<strong>im</strong> <strong>der</strong> Ursprung <strong>im</strong> odoliberalen Denken des Freibur-<br />

ger Ökonomen Walter Eucken zu sehen, <strong>der</strong> bereits 1941 die Position vertrat: "Sämtliche<br />

wirtschaftspolitischen Maßnahmen sollten auf e<strong>in</strong>en Zielpunkt ausgerichtet werden, da<br />

e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>heitliches Ordnungspr<strong>in</strong>zip für das Funktionieren <strong>der</strong> Wirtschaft unentbehrlich<br />

sei." 27 E<strong>in</strong> Mitbegrün<strong>der</strong> dieser Schule, Franz Böhm, schrieb zu diesem Thema: "dass<br />

24 Vgl. Prantl, Heribert, Moral und Gier, <strong>in</strong>: Südd. Zeitung, 11.12.07, Nr. 285, Seite 4.<br />

25 Bus<strong>in</strong>ess Keeper AG. Mit System gegen Korruption, Newsletter I/2008, Nr. 2, Seite 2.<br />

26 Hennemann, Gerhard, Im Namen des <strong>Wettbewerb</strong>s, <strong>in</strong>: Süddeutsche Zeitung, 14.1.08, Nr. 11, 17.<br />

27 Buchhe<strong>im</strong>, Christoph, Soziale <strong>Marktwirtschaft</strong>, <strong>in</strong>: FAZ, 21.6.07, Nr. 141, Seite 9.<br />

10


<strong>Wettbewerb</strong> e<strong>in</strong>e öffentlich-rechtliche Veranstaltung sei, die vom Staat zum Zwecke <strong>der</strong><br />

Ordnung <strong>der</strong> Märkte e<strong>in</strong>gesetzt wird." 28 Man war <strong>der</strong> Ansicht, "wirklicher Leistungswett-<br />

bewerb sei nur dann gegeben, wenn ihn e<strong>in</strong> starker und unparteiischer Staat überwache<br />

…". Wenn dies gegeben sei, seien beide Voraussetzungen erfüllt, nämlich Schutz gegen<br />

Schwächung des <strong>Wettbewerb</strong>s durch den Staat und e<strong>in</strong>e soziale Ausrichtung <strong>der</strong> Wirt-<br />

schaft, dann sei "die durch <strong>Wettbewerb</strong> gekennzeichnete <strong>Marktwirtschaft</strong> als solche sozi-<br />

al." 29<br />

Ohne auf die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg e<strong>in</strong>zugehen, ist festzuhalten, dass<br />

auf <strong>der</strong> genannten Basis 1957 das Gesetz gegen <strong>Wettbewerb</strong>sbeschränkungen (GWB) <strong>im</strong><br />

Parlament verabschiedet wurde.<br />

2.4 Fazit und alternative Möglichkeiten<br />

Woh<strong>in</strong> hat uns die Dekonstruktion des universalen Geltungsanspruchs <strong>im</strong> H<strong>in</strong>blick auf die<br />

Realisierung von Menschenrechten geführt? Das größte H<strong>in</strong><strong>der</strong>nis für e<strong>in</strong>e nachhaltige<br />

Verbesserung <strong>der</strong> Menschenrechtssituation <strong>in</strong> <strong>der</strong> Welt s<strong>in</strong>d die monetären Rahmenbe-<br />

d<strong>in</strong>gungen und Strukturen, die das neoliberale Wirtschaftssystem ausgeprägt hat. Sie s<strong>in</strong>d<br />

Ergebnis sozialer Prozesse <strong>in</strong> den Gesellschaften <strong>der</strong> reichen Industrienationen und sie<br />

können und müssen geän<strong>der</strong>t werden, wenn <strong>der</strong>en Zustand von den Menschen als<br />

zerstörerisch erfahren wird und die natürlichen, sozialen und kulturellen Lebensgrundla-<br />

gen gefährdet ersche<strong>in</strong>en. Es breitet sich die Erkenntnis aus, dass die heutige Form des<br />

Wirtschaftswachstums nicht mehr <strong>der</strong> Wohlfahrt <strong>der</strong> Menschen und <strong>der</strong> Erhaltung ihrer<br />

natürlichen Mitwelt dient, son<strong>der</strong>n zum Selbstzweck avanciert ist und nur noch <strong>der</strong> Ver-<br />

mehrung <strong>der</strong> Geldvermögen dient, den Wohlstand aber, richtig gerechnet, eher verm<strong>in</strong>-<br />

<strong>der</strong>t, als erhöht. 30 Wir müssen fragen: Wie s<strong>in</strong>d die monetären Strukturen als Sollbruch-<br />

stelle wandelbar und <strong>in</strong> welcher weise kann Ethik e<strong>in</strong>en Beitrag liefern?<br />

Zunächst ist gegen jede Mythenbildung anzugehen. Beispielsweise gegen den Mythos: "In<br />

<strong>der</strong> freien <strong>Marktwirtschaft</strong> sorgt die unsichtbare Hand für das Geme<strong>in</strong>wohl." 31<br />

28<br />

Ders., ebd.<br />

29<br />

Ders., ebd.<br />

30<br />

Vgl. Michael Neuner und Lucia Reisch, Hrsg., Konsumperspektiven. Verhaltensaspekte und Infrastruktur,<br />

Berl<strong>in</strong> 1998.<br />

31<br />

Vgl. Schütz, Mathias/Wirth, Stephan und Bode Eiko, Lügen <strong>in</strong> <strong>der</strong> Chefetage. Gesammelte Unwahrheiten<br />

aus dem Management, 1. Aufl., We<strong>in</strong>he<strong>im</strong> 2007, Seiten 261-265.<br />

11


E<strong>in</strong> weiterer Mythos, <strong>der</strong> entlarvt und bekämpft werden muss, ist die Technik- und Wis-<br />

senschaftsgläubigkeit, dass die <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Marktwirtschaft</strong> auftretenden Schäden durch neue<br />

technische o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e wissenschaftliche Lösungen repariert werden können. 32 Aktuelles<br />

Beispiel für die Technikgläubigkeit ist die Verlängerung <strong>der</strong> Laufzeit von Atomreaktoren<br />

durch die schwarz-gelbe Regierung unter <strong>der</strong> Führung von Kanzler<strong>in</strong> Angela Merkel.<br />

Schließlich ist gegen den Wachstumsmythos anzugehen, <strong>der</strong> da lautet: nur durch Wachs-<br />

tum ist <strong>der</strong> Sozialstaat und e<strong>in</strong>e nachhaltige Entwicklung f<strong>in</strong>anzierbar und nur durch<br />

Wachstum können die hohen Staatsschulden getilgt werden.<br />

E<strong>in</strong>e zweite Möglichkeit besteht dar<strong>in</strong>, die Privilegierung des Wirtschaftskapitals <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

kapitalistischen <strong>Marktwirtschaft</strong> auf se<strong>in</strong>e Rationalität h<strong>in</strong> zu testen. 33 In <strong>der</strong> Projektgrup-<br />

pe "Ethik <strong>der</strong> Technik" <strong>in</strong>nerhalb <strong>der</strong> <strong>in</strong>terdiszipl<strong>in</strong>ären Arbeitsgruppe Technikforschung<br />

wurde e<strong>in</strong>e Skala entwickelt, die von "Rationalität" bis "Irrationalität" aufgespannt ist.<br />

Dabei wird u.a. zwischen "starker" und "schwacher" Irrationalität unterschieden. Starke<br />

Irrationalität liegt dann vor, wenn <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Entscheidungskontext e<strong>in</strong>e Perspektive abso-<br />

lut gesetzt wird. Das ist <strong>im</strong> Rahmen <strong>der</strong> Anwendung von UWG und GWB zu bedenken. Da<br />

UWG und GWB nie Selbstzweck s<strong>in</strong>d, son<strong>der</strong>n Mittel für das Funktionieren e<strong>in</strong>er sozialen<br />

und ökologischen <strong>Marktwirtschaft</strong>, muss geprüft werden, <strong>in</strong>wieweit <strong>der</strong> letzte Zweck o<strong>der</strong><br />

auch <strong>der</strong> universale Wert, nämlich Erhaltung e<strong>in</strong>er <strong>Marktwirtschaft</strong>, die Bio-Überlebens-<br />

sicherheit für alle Menschen und universale Solidarität <strong>in</strong> Freiheit garantiert werden soll.<br />

Wie ich zu zeigen versuchte, wird dies durch die Regelung <strong>in</strong> UWG und GWB faktisch nur<br />

<strong>in</strong> Teilbereichen realisiert, etwa bei <strong>der</strong> Berücksichtigung des Verbraucherschutzes. Dage-<br />

gen ist vom kapitalistischen Kontext her gesehen die Ermöglichung e<strong>in</strong>er sozialen und<br />

ökologischen <strong>Marktwirtschaft</strong> systematisch ausgeblendet. Durch die Absolutsetzung des<br />

Wirtschaftskapitals wird die Substanz von Geme<strong>in</strong>wohl, von Umwelt und Natur, sowie die<br />

Substanz kultureller Werte geschädigt, ja vernichtet. Das ist aus <strong>ethischer</strong> Sicht für die<br />

Bio-Überlebenssicherheit e<strong>in</strong>e <strong>im</strong> höchsten Grade irrationale Praxis.<br />

Irrationalität durch die Praxis von UWG und GWB ist darüber h<strong>in</strong>aus auch dadurch gege-<br />

ben, dass kontroverse Wirtschaftspraktiken wie Korruption, Öko- und Sozialdump<strong>in</strong>g <strong>im</strong><br />

32 Hoffmann, Johannes, Hrsg., Irrationale Technikadaptation als Herausfor<strong>der</strong>ung an Ethik, Recht und<br />

Kultur. Interdiszipl<strong>in</strong>äre Studien, Frankfurt 1997.<br />

12


Zuge des <strong>Wettbewerb</strong>s damit begründet werden, dass man <strong>im</strong> Rahmen e<strong>in</strong>er globalen<br />

Wirtschaft nicht mehr für Wirtschaftswachstum sorgen könne. Faktisch wird damit <strong>der</strong><br />

Rationalitätskontext "Wirtschaftswachstum" benutzt, um e<strong>in</strong> Handeln <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em völlig an-<br />

<strong>der</strong>en Rationalitätskontext zu rechtfertigen.<br />

Das gleiche gilt für die <strong>Argumentation</strong> mit <strong>der</strong> "unsichtbaren Hand". Gerade hier wird aus<br />

e<strong>in</strong>em dem UWG und GWB völlig fremden Rationalitätszusammenhang die Legit<strong>im</strong>ation<br />

hergeleitet, soziale und ökologische Ziele und die Erhaltung <strong>der</strong> Substanz von Sozial- und<br />

Kulturkapital außer Betracht zu lassen.<br />

Schließlich ist die Praxis von UWG und GWB anhand des ethischen Pr<strong>in</strong>zips <strong>der</strong> Doppel-<br />

wirkung e<strong>in</strong>er Handlung zu befragen. Nach Peter Knauer handelt es sich "be<strong>im</strong> Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong><br />

Doppelwirkung e<strong>in</strong>er Handlung um das Grundpr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> gesamten Ethik." 34<br />

Das Pr<strong>in</strong>zip geht <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er ursprünglichen Fassung auf Thomas v. Aqu<strong>in</strong> zurück, wobei die-<br />

ser bereits auf Aristoteles zurückgreift, ihn verarbeitet und weiter entwickelt. 35<br />

Be<strong>im</strong> Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Doppelwirkung wird davon ausgegangen, dass es ke<strong>in</strong>e Handlung ohne<br />

Doppelwirkung bzw. weiterer Wirkungen gibt, die unbemerkt und unbeabsichtigt e<strong>in</strong>tre-<br />

ten o<strong>der</strong> auch solche Wirkungen, die erkannt und bewusst <strong>in</strong> Kauf genommen o<strong>der</strong> auch<br />

verursacht werden. Das trifft auch für Entscheidungen zu, die <strong>im</strong> Rahmen von UWG und<br />

GWB beurteilt und entschieden werden. Bisher werden die <strong>Wettbewerb</strong>shandlungen<br />

nicht unter <strong>der</strong> Perspektive betrachtet, ob sie als unbeabsichtigte o<strong>der</strong> auch beabsichtigte<br />

Nebenwirkung Geme<strong>in</strong>güter schädigen und die Substanz von Natur-, Sozial- und Kultur-<br />

kapital ersatzlos aufzehren.<br />

Wenn dieses Pr<strong>in</strong>zip konsequent <strong>im</strong> Rahmen von UWG und GWB berücksichtigt wird,<br />

werden die Externalisierung von Kosten und die Abwälzung dieser Kosten auf Umwelt und<br />

Gesellschaft verh<strong>in</strong><strong>der</strong>t und Externalisierung von Nutzen für alle Wirtschaftssubjekte zur<br />

Bed<strong>in</strong>gung gemacht.<br />

3. Vorschläge für die gesetzlichen Än<strong>der</strong>ungen be<strong>im</strong> <strong>Wettbewerb</strong><br />

33 Hoffmann, Johannes, Hrsg, Ethische Vernunft und technische Rationalität, Frankfurt 1992.<br />

34 Knauer, Peter, Handlungsverflechtungen. Neue Fundamentalethik aus dem Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Doppelwirkung,<br />

Frankfurt, ohne Jahrgang, zitiert nach Internetmanuskript, Seite 7.<br />

Vgl. auch: Habersack, Michael, Audiatur et altera pars. Vom Pr<strong>in</strong>zip <strong>der</strong> Doppelwirkung e<strong>in</strong>er Handlung<br />

am Beispiel <strong>der</strong> aktuellen Kl<strong>im</strong>apolitik. Sem<strong>in</strong>ararbeit <strong>im</strong> Sem<strong>in</strong>ar: Was heißt ethisch argumentieren?.<br />

35 Vgl. Aristoteles Physik III, 5, 196b und Metaphysik XI, 8, Seite 1065a.<br />

13


Dies ließe sich mit wenigen Gesetzesän<strong>der</strong>ungen erreichen, die nun vorgestellt werden.<br />

Die Än<strong>der</strong>ungsvorschläge wurden <strong>in</strong> <strong>der</strong> Projektgruppe Ethisch-Ökologisches Rat<strong>in</strong>g <strong>der</strong><br />

Universität Frankfurt erarbeitet und zusammengefasst. In den Ausführungen haben die<br />

Überlegungen zu e<strong>in</strong>er Ethik des <strong>Wettbewerb</strong>s und zur Kritik des <strong>Wettbewerb</strong>srechtes<br />

E<strong>in</strong>gang gefunden.<br />

Hier <strong>der</strong> Wortlaut:<br />

„Nachhaltige Entwicklung braucht Gesetze für nachhaltigen <strong>Wettbewerb</strong><br />

Unsere Gesetze verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n den Ressourcenschutz!<br />

Wie lange noch soll das <strong>Wettbewerb</strong>srecht den <strong>Wettbewerb</strong> auch dort schützen, wo Un-<br />

ternehmen sich durch Abwälzung (Externalisierung) von Kosten auf Umwelt und Gesell-<br />

schaft Vorteile gegenüber Mitbewerbern verschaffen, die diese Kosten selbst tragen, um<br />

die natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen zu erhalten? Wie lange noch soll das Akti-<br />

engesetz den Vorstand alle<strong>in</strong> auf das Vermögens<strong>in</strong>teresse <strong>der</strong> Aktionäre verpflichten,<br />

aber nicht auf den Schutz des Natur- und Sozialkapitals?<br />

Bis heute ist unsere Wirtschaftsordnung darauf e<strong>in</strong>gestellt, dass je<strong>der</strong> sich an den natur-<br />

gegebenen Geme<strong>in</strong>gütern bereichern kann, als seien sie <strong>im</strong> Überfluss vorhanden o<strong>der</strong> als<br />

gelte das Recht des Stärkeren. Im Schutz <strong>der</strong> <strong>Wettbewerb</strong>sgesetze werden Kosten ge-<br />

spart, Preise verbilligt und Qualitäten überhöht, <strong>in</strong>dem die Substanz <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>güter<br />

verzehrt wird: Schadgase belasten das Kl<strong>im</strong>asystem, die Weltmeere werden überfischt,<br />

<strong>der</strong> fruchtbare Boden erodiert, die Gesundheit von Mensch und Tier wird belastet,<br />

menschliche Beziehungen werden durch Güter verdrängt, Menschenrechte missachtet.<br />

Alle Geme<strong>in</strong>güter s<strong>in</strong>d stark bedroht; die meisten s<strong>in</strong>d dem Zeitpunkt schon relativ nahe,<br />

an dem ihre Gefährdung nicht mehr zurückgedreht werden kann.<br />

Nachhaltiger <strong>Wettbewerb</strong> muss e<strong>in</strong>klagbar werden !<br />

Solange <strong>der</strong> Substanzverzehr durch Gesetze abgesegnet bleibt, die den externalisierenden<br />

<strong>Wettbewerb</strong> schützen, wird es nicht zu nachhaltiger Entwicklung kommen. Denn diese<br />

kann nur durchgesetzt werden, wenn die Ausbeutung von Geme<strong>in</strong>gütern <strong>im</strong> <strong>Wettbewerb</strong><br />

als e<strong>in</strong> unzulässiges Mittel <strong>der</strong> Kostene<strong>in</strong>sparung betrachtet wird. Rechtlich ist das auch<br />

deshalb geboten, weil <strong>der</strong> Schutz des externalisierenden <strong>Wettbewerb</strong>s <strong>in</strong> Deutschland<br />

14


e<strong>in</strong>en Verstoß gegen Art. 14 Abs. 2 des Grundgesetzes darstellt. Dieser for<strong>der</strong>t den Ge-<br />

setzgeber auf, das Privateigentum so zu regeln, dass se<strong>in</strong> Gebrauch zugleich dem Wohl<br />

<strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit dient. 36 Diesem Gebot kommt <strong>der</strong> Gesetzgeber am ehesten nach, wenn<br />

er Regeln erlässt, die von <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit selbst, den Institutionen <strong>der</strong> Zivilgesellschaft<br />

vor allem, e<strong>in</strong>geklagt werden können. E<strong>in</strong> Vorbild dafür f<strong>in</strong>det sich <strong>im</strong> Gesetz gegen den<br />

unlauteren <strong>Wettbewerb</strong>.“<br />

Die Vorschläge <strong>im</strong> E<strong>in</strong>zelnen:<br />

• Die beliebige Verfügung über das Eigentum nach § 903 BGB muss unter den Vorbehalt<br />

gestellt werden, dass <strong>der</strong> Eigentümer die Kriterien <strong>der</strong> Natur- und Sozialverträglichkeit<br />

beachtet. 37 O<strong>der</strong> an<strong>der</strong>s formuliert: „Der Eigentümer e<strong>in</strong>er Sache kann, soweit nicht<br />

das Gesetz, Rechte Dritter o<strong>der</strong> zw<strong>in</strong>gende Erfor<strong>der</strong>nisse des Schutzes <strong>der</strong> natürlichen<br />

Geme<strong>in</strong>güter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Volksgesundheit entgegenstehen, mit <strong>der</strong> Sache nach Belieben<br />

verfahren und an<strong>der</strong>e von je<strong>der</strong> E<strong>in</strong>wirkung ausschließen.“ 38<br />

• Externalisierung muss <strong>in</strong> die verbotenen <strong>Wettbewerb</strong>shandlungen nach § 4 des Geset-<br />

zes gegen den unlauteren <strong>Wettbewerb</strong> (UWG) aufgenommen werden, etwa durch ei-<br />

nen zusätzlichen Absatz 12, <strong>in</strong> dem best<strong>im</strong>mt wird, dass unlauter <strong>im</strong> S<strong>in</strong>ne von § 4<br />

handelt (und daher auch von e<strong>in</strong>em <strong>Wettbewerb</strong>er auf Unterlassung <strong>in</strong> Anspruch ge-<br />

nommen werden kann), wer sich dadurch e<strong>in</strong>en <strong>Wettbewerb</strong>svorteil verschafft, dass<br />

er „zw<strong>in</strong>gende (o<strong>der</strong> auch anerkannte) Erfor<strong>der</strong>nisse des Schutzes <strong>der</strong> natürlichen Ge-<br />

me<strong>in</strong>güter o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Volksgesundheit missachtet“, und sich so Vorteile gegenüber den-<br />

jenigen Mitbewerbern verschafft, die die natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen<br />

36 Ähnlich sagt die Grundrechte-Charta <strong>der</strong> EU <strong>in</strong> Artikel 17: „Die Nutzung des Eigentums kann gesetzlich<br />

geregelt werden, soweit dies für das Wohl <strong>der</strong> Allgeme<strong>in</strong>heit erfor<strong>der</strong>lich ist,“ und ergänzt <strong>in</strong> Artikel 37,<br />

dass gemäß „dem Grundsatz <strong>der</strong> nachhaltigen Entwicklung“ e<strong>in</strong> hohes Umweltschutzniveau und die<br />

Verbesserung <strong>der</strong> Umweltqualität sichergestellt werden müssen.<br />

37 Siehe etwa Hoffmann, Johannes, Ott, Konrad & Scherhorn, Gerhard (Hrsg.): Ethische Kriterien für die<br />

Bewertung von Unternehmen. Frankfurt-Hohenhe<strong>im</strong>er Leitfaden. Frankfurt a. M. 1997: IKO - Verlag für<br />

<strong>in</strong>terkulturelle Kommunikation.<br />

Diese Formulierung hätte nach Prof. Dr. Thomas Raiser, Humboldtuniversität Berl<strong>in</strong>, den Vorteil, das<br />

Anliegen deutlich zum Ausdruck zu br<strong>in</strong>gen und kann so auch zur Me<strong>in</strong>ungsbildung <strong>im</strong> Volk und bei den<br />

politisch Verantwortlichen beitragen. Auf <strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Seite führt sie, falls Zweifel an <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>verträglichkeit<br />

e<strong>in</strong>es best<strong>im</strong>mten Eigentumsgebrauchs aufkommen o<strong>der</strong> darüber e<strong>in</strong> Streit entsteht, dazu,<br />

dass <strong>der</strong>jenige, <strong>der</strong> sich auf die Geme<strong>in</strong>schädlichkeit beruft, darlegen muss, dass es wirklich zw<strong>in</strong>gende<br />

Gründe s<strong>in</strong>d, welche den angegriffenen Gebrauch des Eigentums untersagen.<br />

15


schützen, <strong>in</strong>dem sie diese Kosten selbst tragen. 39 Das UWG soll ja verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass Un-<br />

ternehmen die Nachfrager durch bloß vorgespiegelte Leistungen für sich gew<strong>in</strong>nen. E<strong>in</strong><br />

durch Externalisierung von Kosten erreichter Preis- o<strong>der</strong> Qualitätsvorsprung ist <strong>in</strong> die-<br />

sem S<strong>in</strong>n nicht weniger unlauter – und dem Allgeme<strong>in</strong>wohl nicht weniger abträglich –<br />

als e<strong>in</strong>e Täuschung <strong>der</strong> Nachfrager durch irreführende Werbung o<strong>der</strong> Ausnutzung von<br />

Unerfahrenheit. 40<br />

• Flankierend müssen befristete Vere<strong>in</strong>barungen zwischen Unternehmen, die die Inter-<br />

nalisierung von bisher abgewälzten Kosten absichern, <strong>in</strong> § 7 (1) Gesetzes gegen Wett-<br />

bewerbsbeschränkungen (GWB) sowie Art. 81 (3) des EU-Vertrags vom Kartellverbot<br />

ausgenommen werden. Das GWB soll ja verh<strong>in</strong><strong>der</strong>n, dass Unternehmen ihren Gew<strong>in</strong>n<br />

dadurch steigern, dass sie Preisunterbietung o<strong>der</strong> Qualitätsüberbietung untere<strong>in</strong>an<strong>der</strong><br />

ausschalten. Es n<strong>im</strong>mt aber Vere<strong>in</strong>barungen vom Kartellverbot aus, <strong>in</strong> denen Unter-<br />

nehmen Aufwendungen zur Verbesserung (z.B. Rationalisierung) <strong>der</strong> Produktion bzw.<br />

des Angebots verabreden. E<strong>in</strong>e Ausnahme muss auch für Verabredungen gelten, <strong>in</strong><br />

denen Unternehmen sich darüber verständigen, bisher externalisierte Kosten künftig<br />

selbst zu tragen.<br />

• § 93 AktG sollte um den Satz ergänzt werden: „Zu den Sorgfaltspflichten e<strong>in</strong>es Vor-<br />

standsmitglieds gehört es auch, sich über zw<strong>in</strong>gende Erfor<strong>der</strong>nisse <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>verträg-<br />

lichkeit se<strong>in</strong>er Entscheidungen o<strong>der</strong> ihrer Auswirkungen auf die Volksgesundheit h<strong>in</strong>-<br />

reichend zu <strong>in</strong>formieren und sie zu beachten.“ Der Unternehmensvorstand muss <strong>in</strong> §<br />

76 (1) des Aktiengesetzes (AktG) sowie <strong>in</strong> Art. 4.1.1 des Deutschen Corporate Gover-<br />

nance Kodex auch auf den Schutz <strong>der</strong> naturgegebenen und <strong>der</strong> gesellschaftlichen Ge-<br />

me<strong>in</strong>güter verpflichtet werden, die unsere Lebens- und Produktionsgrundlagen bilden<br />

(des Natur- und Sozialkapitals). So bekommt <strong>der</strong> Vorstand gegenüber klagenden Akti-<br />

onären e<strong>in</strong>e Rechtsgrundlage für vertretbare Aufwendungen zugunsten des Umwelt-<br />

schutzes, <strong>der</strong> Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen o<strong>der</strong> <strong>der</strong> gesellschaftlichen Integration, und die Zi-<br />

39 E<strong>in</strong>e entsprechende Def<strong>in</strong>ition <strong>der</strong> Externalisierung gehört auch <strong>in</strong> die „Schwarze Liste“ <strong>der</strong> Richtl<strong>in</strong>ie<br />

2005/29/EU über unlautere Geschäftspraktiken <strong>im</strong> B<strong>in</strong>nenmarktverkehr.<br />

40 Externalisierungsstrategien von Unternehmen könnten dann – etwa mit Hilfe <strong>der</strong> Zentralstelle zur Bekämpfung<br />

des unlauteren <strong>Wettbewerb</strong>s (www.wettbewerbszentrale.de) – von Mitbewerbern angeklagt<br />

werden, die sich durch diese Strategien benachteiligt fühlen und die Benachteiligung durch ihren eigenen<br />

E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> die Kosten des strittigen Produktionsverfahrens nachweisen können.<br />

16


vilgesellschaft gew<strong>in</strong>nt e<strong>in</strong>e Chance, das Unternehmen daran zu er<strong>in</strong>nern, dass es auf<br />

nachhaltige Entwicklung verpflichtet ist.<br />

• In dem Kreditwesengesetz (KWG) und dem Investmentgesetz (InvG) muss den Unter-<br />

nehmensleitern und Anlageberatern die Pflicht auferlegt werden, auch über bekannte<br />

geme<strong>in</strong>schädliche o<strong>der</strong> gesundheitsschädliche Folgen <strong>der</strong> Produktionsmethoden, wel-<br />

che das die Auslagepapiere ausgebende Unternehmen anwendet, sowie über alterna-<br />

tive Anlagemöglichkeiten zu <strong>in</strong>formieren. Ferner sollten die Unternehmensleiter und<br />

Anlageberater verpflichtet werden, die Sparer und Investoren anhand e<strong>in</strong>es zertifizier-<br />

ten Nachhaltigkeitsrat<strong>in</strong>g darüber zu <strong>in</strong>formieren, <strong>in</strong>wieweit die <strong>in</strong> Betracht kommen-<br />

den Anlageprodukte den Kriterien <strong>der</strong> Natur- und Sozialverträglichkeit genügen. Erst<br />

dadurch kann ethische Geldanlage mit <strong>der</strong> Zeit zur allgeme<strong>in</strong>en Norm werden.“ 41<br />

Wenn diese rechtspolitischen Anliegen umgesetzt würden, wäre das e<strong>in</strong> wichtiger Beitrag<br />

für den Pr<strong>im</strong>at <strong>der</strong> Politik vor dem kapitalistischen F<strong>in</strong>anzkapital, für den Pr<strong>im</strong>at <strong>der</strong> Poli-<br />

tik vor e<strong>in</strong>em von Lobbyisten betriebenen Kapitalismus. Politik würde so aus ihrer Hand-<br />

lungsunfähigkeit befreit und geöffnet für Utopien und Visionen für den Aufbau e<strong>in</strong>er zu-<br />

kunftsfähigen <strong>Marktwirtschaft</strong>, den Erhalt <strong>der</strong> Substanz unseres Natur-, Sozial- und Kul-<br />

turkapitals und den Schutz <strong>der</strong> Geme<strong>in</strong>güter. Hier würde ich mir e<strong>in</strong> Engagement des FNG<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Zukunft wünschen.<br />

41 Siehe: www.ethisches-consult<strong>in</strong>g.de/Appell<br />

17

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!