05.01.2013 Aufrufe

Propriozeptive Unterempfindlichkeit - Kinder- und Jugendhilfe ...

Propriozeptive Unterempfindlichkeit - Kinder- und Jugendhilfe ...

Propriozeptive Unterempfindlichkeit - Kinder- und Jugendhilfe ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Propriozeptive</strong> <strong>Unterempfindlichkeit</strong><br />

Im Aktenstudium stieß ich auf den Begriff „propriozeptive<br />

<strong>Unterempfindlichkeit</strong>“ im Zusammenhang mit<br />

den beschriebenen Wahrnehmungsstörungen eines<br />

Kindes. In der Beschäftigung damit stellte ich fest,<br />

wie interessant ich den Bereich der Wahrnehmungsentwicklung<br />

<strong>und</strong> ihrer Störungen finde <strong>und</strong> ich wurde<br />

auch sehr nachdenklich. Ich vermute, dass mindestens<br />

eins der <strong>Kinder</strong>, ich bisher im Zusammenhang<br />

mit meiner Arbeit in der <strong>Kinder</strong>- <strong>und</strong> <strong>Jugendhilfe</strong><br />

betreut habe, in diesem Bereich Einschränkungen<br />

hatte <strong>und</strong> eine andere oder zusätzliche Förderung<br />

gebraucht hätte, dies aber nicht erkannt worden war,<br />

weder von mir noch von den anderen Fachleuten.<br />

Verhalten bei <strong>Kinder</strong>n mit Störungen der propriozeptiven<br />

Wahrnehmung<br />

Typisches Verhalten <strong>und</strong> Merkmale von <strong>Kinder</strong>n bei<br />

propriozeptiver Wahrnehmungsstörung:<br />

- Schwierigkeiten bei der Dosierung <strong>und</strong> Planung<br />

von Bewegungen<br />

- unabsichtliches Anstoßen anderer <strong>Kinder</strong>, was<br />

häufig zu Konflikten führt<br />

- schlaffe Körperspannung, Gelenke lassen sich<br />

überdehnen<br />

- verlaufen sich leicht, erkennen Wege auch in bekannter<br />

Umgebung nicht wieder<br />

- Ordnung machen <strong>und</strong> halten ist schwierig<br />

- Gestörte Kraftdosierung, immer zu fest<br />

- oft stampfender Gang<br />

- suchen sich starke Körperreize, tragen gerne<br />

schwere Dinge, oft Autoaggression<br />

- Erlernen von Buchstaben (unterschiedliche<br />

Schriftgröße, Richtung) fällt schwer<br />

- Ertasten <strong>und</strong> Zuordnen derselben Form ist problematisch<br />

- Probleme mit Knöpfen etc.<br />

- Bewegungen können nicht spontan gestoppt werden<br />

- beim Malen werden Begrenzungslinien übermalt<br />

- unbewusstes Ausgleichen von Untergr<strong>und</strong>veränderung<br />

ist schwer möglich<br />

- langsames Arbeiten, oft ineffektiv<br />

- Störungen in der Feinmotorik<br />

- Anziehen komplizierter Kleidungsstücke wird vermieden<br />

- Ausdrucksarme Mimik, diese führt oft zu sozialen<br />

Konsequenzen<br />

Ursache ist eine Störung in der Tiefensensibilität.<br />

Tiefensensibilität (propriozeptives System)<br />

Die Tiefensensibilität ist einer der Sinne ebenso wie<br />

das Hören, Sehen, der Gleichgewichtssinn <strong>und</strong> der<br />

Tastsinn.<br />

Die Sinnesorgane des propriozeptiven Systems sind<br />

die Sehnen, Muskeln, Knochenhäute u.a., in denen<br />

sich Spannungsrezeptoren sowie Sehnen- <strong>und</strong> Muskelspindeln<br />

befinden. Diese nehmen die entsprechenden<br />

Reize auf <strong>und</strong> geben Informationen an das<br />

Gehirn weiter. Die Tiefenwahrnehmung reguliert die<br />

Muskelspannung, den Krafteinsatz <strong>und</strong> das Gewicht<br />

von Objekten, z.B. über die Stellung des Körpers im<br />

Raum, wie sich die Körperteile bewegen <strong>und</strong> zueinander<br />

stehen, sie dient der Muskelregulation sowie<br />

der Abschätzung der für eine Bewegung notwendige<br />

Muskelkraft.<br />

Neben diesem Einfluss auf die Bewegungen <strong>und</strong><br />

das Körperschema beeinflusst die Tiefenwahrnehmung<br />

auch die visuelle Wahrnehmung, da sie wichtige<br />

Impulse aus der Augenmuskulatur über die<br />

Form- <strong>und</strong> Raumwahrnehmung liefert.<br />

Eine wichtige Bedeutung hat die Tiefenwahrnehmung<br />

auch für die Emotionen:<br />

Impulse, die durch Muskelkontraktionen erzeugt<br />

werden, wirken auf den Hypotalamus. Dieser Teil<br />

des Gehirns ist für den Hormonhaushalt <strong>und</strong> die<br />

Steuerung des vegetativen Nervensystems verantwortlich.<br />

Sie wirken sich so auf den emotionalen Zustand<br />

des Kindes aus.<br />

Störung des propriozeptiven Systems<br />

Bei einer Störung werden Informationen über die<br />

Spannung <strong>und</strong> die Lageveränderung der Muskulatur<br />

<strong>und</strong> Gelenke ungenau <strong>und</strong> <strong>und</strong>ifferenziert übertragen.<br />

Die Eigenwahrnehmung ist daher unzureichend.<br />

Bei einer Störung der Tiefenwahrnehmung<br />

ist das Körpergefühl nicht differenziert. Einzelne<br />

Körperteile können im Körperschema fehlen. Möglicherweise<br />

werden einzelne Körperteile nicht oder<br />

nur nach Aufforderung benutzt. Das Erlernen komplexer<br />

Bewegungsabläufe dauert länger <strong>und</strong> die<br />

Automatisierung von Bewegungen ist erschwert.<br />

Die Dosierung des Krafteinsatzes <strong>und</strong> eine gezielte<br />

<strong>und</strong> gesteuerte Bewegung sind beeinträchtigt.<br />

Häufig treten Probleme in der Figur-Gr<strong>und</strong>-Wahrnehmung<br />

auf, da die Differenzierung einzelner Reize<br />

<strong>und</strong> ihre Bedeutungsgebung gestört sind.<br />

Wie kommt es zu dieser Wahrnehmungsstörung?<br />

Es gibt laut aktuellem Forschungsstand zwei mögli-<br />

Auf dem Bild ist ein Foto versteckt. Kannst du es finden?<br />

Manchmal ist für die Augen unsichtbar, was „drinsteckt“!<br />

Ausgabe 75 10 KIM


che Ursachen:<br />

1. Es liegt eine frühkindliche Hirnschädigung vor,<br />

während oder nach der Geburt durch z.B. Sauerstoffmangel,<br />

Blutungen, Infektionen, genetische<br />

Disposition u.a. verursacht. Der Aufbau der Gehirnstrukturen<br />

<strong>und</strong> / oder ihre biochemische Funktionsweise<br />

ist dadurch so verändert, dass die Reifung<br />

der entsprechenden funktionellen Hirnorgane<br />

mangelhaft oder verzögert stattfindet.<br />

2. Erfahrungsmangel: Dieser entsteht z.B. durch<br />

eine schwere Körperbehinderung, die es dem<br />

Kind unmöglich macht, sich selbst genügend Reize<br />

zuzuführen, aber auch durch Vernachlässigung<br />

oder Überbehütung, die das Kind hindern,<br />

Erfahrungen zu sammeln. Als Hemmend erweisen<br />

sich für ein Kind auch ständig neue Situationen<br />

oder Personen, auf die es sich einstellen<br />

muss.<br />

Durch diese Ursachen kann es dazu kommen, dass<br />

die Synapsen im Gehirn die Reize nicht genügend<br />

weiterleiten oder die Bahnung <strong>und</strong> Hemmung bestimmter<br />

Reize nicht ordnungsgemäß (<strong>und</strong> dieses<br />

„ordnungsgemäß“ öffnet die Tür zu dem gesamten<br />

Feld der Wahrnehmung <strong>und</strong> Reizverarbeitung, aber<br />

das lasse ich hier mal weg) stattfindet, so dass eine<br />

Störung der Reizverarbeitung entsteht.<br />

Möglich ist auch eine Wechselwirkung mit einer<br />

anderen Störung, insbesondere des taktil-kinästhetischen<br />

Systems, da dies die wesentliche Gr<strong>und</strong>lage<br />

für Wahrnehmung <strong>und</strong> Wahrnehmungsentwicklung<br />

bildet.<br />

Was tun in der Arbeit der Profifamilie ® ?<br />

Hilfreich ist es, das Problem so früh wie möglich zu<br />

erkennen, um das Kind so früh wie möglich gut zu<br />

fördern <strong>und</strong> um sek<strong>und</strong>äre Folgen einer Wahrnehmungsstörung<br />

zu vermeiden, z.B. Verhaltensauffälligkeiten.<br />

Also: Beobachten, besprechen in der Erziehungskonferenz,<br />

möglicherweise dann weitere Wege beschreiten:<br />

- Hilfe von Fachleuten, z.B. durch Ergotherapie,<br />

Motopädie, Frühförderung o.ä., sofern dies als<br />

sinnvoll erachtet <strong>und</strong> verschrieben wird. Es gibt<br />

Ergotherapeuten, die sich besonders auf Wahrnehmungsstörungen<br />

<strong>und</strong> sensorische Integration<br />

spezialisiert haben.<br />

GfS Oldenburg<br />

Westerburger Weg 30<br />

26197 Huntlosen<br />

Tel.: +49 (0)4487 / 750256<br />

Fax: +49 (0) 4487 / 750987<br />

E-Mail: gfs.oldenburg@profifamilie<br />

Ansprechpartner:<br />

- Frau Schmackpfeffer<br />

- Frau Heimberg<br />

- Das Kind in der Profifamilie ® annehmen <strong>und</strong> dabei<br />

unterstützen, sich mit sich selbst im Einklang zu<br />

fühlen. Möglicherweise ist es wichtig, eigene Erwartungen<br />

herunterzuschrauben, was das Kind<br />

können oder lernen sollte, weil es dazu zur Zeit<br />

noch nicht in der Lage ist <strong>und</strong> nicht sein kann aufgr<strong>und</strong><br />

der Wahrnehmungsstörung!<br />

- Gestalten eines für das Kind passenden klaren<br />

Rahmens <strong>und</strong> Alltags, auch mit klaren Regeln <strong>und</strong><br />

Grenzen, dies gibt dem Kind Sicherheit, Halt <strong>und</strong><br />

Orientierung.<br />

- Umwelt des Kindes gezielt gestalten je nach Art<br />

der Wahrnehmungsstörung. So können zu viele<br />

Reize durch viele Personen, plötzliche Änderungen<br />

des Tagesplans, Geräusche, zu hohe Erwartungen<br />

oder auch eine Krankheit bewirken, dass<br />

das Kind die Übersicht verliert <strong>und</strong> emotional<br />

überreagiert.<br />

- Signale des Kindes erkennen lernen, die Überoder<br />

Unterforderung zeigen<br />

- Signale des Kindes beobachten, welche Reize es<br />

sich sucht, um sich eine Empfindung zu verschaffen<br />

- Eine entsprechende Fachperson, die das Kind<br />

kennenlernt, wird sicher dann hilfreiche individuelle<br />

Möglichkeiten für genau dieses Kind entwickeln,<br />

die im Alltag umgesetzt werden können!<br />

Und: Bevor man anfängt, „herumzudoktorn“, braucht<br />

man eine f<strong>und</strong>ierte Diagnostik, wofür die erste Ansprechperson<br />

der <strong>Kinder</strong>arzt ist <strong>und</strong> in der Folge<br />

Entwicklungsdiagnostik o.ä. stattfinden kann. Denn<br />

(im übertragenen Sinne): Wenn ein Kind nicht gehorchen<br />

will, nützt ihm kein Hörgerät <strong>und</strong> wenn es<br />

nicht hören kann, helfen ihm keine Ansprachen!<br />

Literatur:<br />

Anna Jean Ayres: „Bausteine der kindlichen Entwicklung“;<br />

Springer Verlag Berlin, Heidelberg etc, 3.<br />

Auflage 1998<br />

Karen Heimberg<br />

Erziehungsleiterin<br />

GfS Oldenburg<br />

Ausgabe 75 11 KIM

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!