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Zvi Goldstein – Haunted by Objects - Druckservice HP Nacke KG

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DIE BESTE ZEIT<br />

Das Magazin für Lebensart<br />

Wuppertal und Bergisches Land Ausgabe 13, 2012 - 3,50 Euro<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Der Sturm - Zentrum der Avantgarde<br />

Neues Stück <strong>–</strong> letztes Stück<br />

Das letzte Stück von Pina Bausch<br />

<strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />

<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong>-Ausstellung K20<br />

Wo bleibt die Schildkröte ?<br />

Koreanische Oper in Wuppertal<br />

Vor dem Gesetz<br />

Skulpturen der Nachkriegszeit<br />

Mein Leben ist ein Tango<br />

Das CaféADA <strong>–</strong> Ort der Begegnung<br />

Magischer Heiler und Erzähler<br />

Axel Munthes Villa San Michele<br />

Im Andenken an Irene Ludwig<br />

Exponate aus der Privatsammlung<br />

Begegnung von Kunst und Natur<br />

Die Musikreihe Klangart<br />

Mäzen, Unternehmer, Politiker<br />

Portrait von Eberhard Robke<br />

Tanzträume<br />

Das Buch zum Film<br />

Kulturnotizen<br />

Kulturveranstaltungen der Region<br />

1


„Die Beste Zeit <strong>–</strong> Das Magazin für Lebensart“ erhalten Sie ab sofort:<br />

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Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />

Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen<br />

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Umschlagbild: Szenenfoto aus dem Stück „Wie das Moos<br />

auf dem Stein“ des Wuppertaler Tanztheater Pina Bausch<br />

Foto: Karl-Heinz Krauskopf<br />

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung<br />

des Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser<br />

Beiträge zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend,<br />

liegen im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte<br />

Beiträge kann keine Gewähr übernommen werden.<br />

Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der<br />

gesetzlichen Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung<br />

des Verlages.<br />

Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer<br />

oder Unterlassungen keine Haftung übernommen.<br />

epikurepikur


Editorial<br />

Von dünnem Eis und hohen Rössern<br />

Es ist, liebe Leser, schon ein Kreuz mit Leuten, die im Rausch ihrer Aufgaben<br />

vergessen, wer sie eigentlich sind, was sie in der Öffentlichkeit vertreten und<br />

wie sie in der Medienlandschaft auftreten. Wohin solche Fehleinschätzungen in<br />

Verbindung mit Überheblichkeit führen können, zeigt derzeit die Affäre um<br />

unseren Bundespräsidenten Christian Wulff. Dort geht es um den Verdacht der<br />

Vorteilsnahmen und evtl. der Gewährung solcher, um den Verdacht, diesen<br />

oder jene aus welchen Gründen auch immer vorzuziehen und andere um<br />

deren Vorteil willen vielleicht zu benachteiligen. Die Öffentlichkeit nimmt,<br />

und besonders die Medien, wenn sie betroffen sind, ein solches Verhalten übel,<br />

denn reglementieren und bevormunden läßt sich kein Presseorgan.<br />

Ähnliche Auswüchse gibt es auch im ganz Kleinen, nicht so beleuchtet wie ein<br />

Skandal um einen Spitzenpolitiker, tagtäglich im Bereich der mittelständischen<br />

Wirtschaft und <strong>–</strong> jetzt komme ich zum Punkt - leider auch in der Kultur.<br />

Einen solchen Fall will ich hier beleuchten, denn es ist schon ärgerlich,<br />

wenn dabei eine in öffentlicher Hand befi ndliche Kultureinrichtung der Stein<br />

des Anstoßes ist, deren bestellte Geschäftsführung glaubt, nach Gutsherrenart<br />

unter dem vermeintlich unantastbaren Namen und Mythos einer verstorbenen<br />

Choreographin selbstherrlich Privilege an einige vergeben zu dürfen, dafür<br />

andere mit Geringschätzung und Ausgrenzung zu behandeln. Wer jetzt noch<br />

nicht ahnt, um wen/was es sich handelt, sei aufgeklärt: es geht um das selektive<br />

Behandeln von Pressevertretern (hier unserer Fotografen) durch die Damen/<br />

Herren, die das Wuppertaler Tanztheater leiten, welches sich mit dem Namen<br />

„Pina Bausch“ schmückt.<br />

Da haben anscheinend, durch welche Leistung auch immer, einige<br />

Fotografi nnen, Fotografen und Medien ein Exklusivrecht auf Fotografi e und<br />

Berichterstattung, während andere nach Gutdünken gnädig herangewinkt oder<br />

abgewiesen werden. So hat man mit geradezu beleidigender Wertung seiner<br />

künstlerischen Arbeit dem Fotografen des Magazins „Die Beste Zeit“ für die<br />

Probenarbeit zur nächsten Neuproduktion des Tanztheaters Wuppertal sozusagen<br />

„die Linse verboten“ <strong>–</strong> es sei kein Platz mehr für ihn frei. Plätze für andere<br />

scheinen hingegen dauerhaft frei zu sein. Zweierlei Recht?<br />

Das riecht nach Vetternwirtschaft und Monopolvergabe und kann keinesfalls<br />

hingenommen werden. Die Verantwortlichen haben sich auf ein hohes Roß<br />

geschwungen und scheinen zu vergessen, daß das Eis, über das sie in stolzer<br />

Haltung reiten, sehr dünn ist. Hier ist die Aufsicht über das Tanztheater Wuppertal<br />

gefordert, nämlich die Politik und die Verwaltung dieses mit öffentlichen<br />

Geldern betriebenen Vorzeigeprojektes der Stadt Wuppertal.<br />

Lesen Sie heute noch einmal in „Die Beste Zeit“ einen Bericht über das Tanztheater<br />

Wuppertal mit Bildern unseres Fotografen Karl-Heinz Krauskopf<br />

(DGPh). Wer weiß, ob wir dazu noch einmal Lust haben werden.<br />

Ihr<br />

Frank Becker<br />

3


4<br />

Keine Angst vor Berührung<br />

Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“<br />

seit 1813<br />

Alles hat seine Zeit.<br />

Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag und Nacht 66 36 74


Inhalt<br />

Ausgabe 13, 4. Jahrgang, Januar 2012<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Ausstellung „Der Sturm <strong>–</strong><br />

Zentrum der Avantgarde“<br />

von Antje Birthälmer Seite 6<br />

Neues Stück - letztes Stück<br />

Zur Aufführung des letzten Stücks<br />

von Pina Bausch „Wie das Moos auf<br />

dem Stein“ von Heiner Bontrup Seite 10<br />

<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong> - <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />

Ausstellung K20 Grabbeplatz<br />

Kunstsammlung NRW Düsseldorf Seite 16<br />

Wo bleibt die Schildkröte?<br />

Mr. Rabbit and the Dragon King<br />

Koreanische Oper im Wuppertaler<br />

Schauspielhaus - von Fritz Gerwinn Seite 18<br />

Vor dem Gesetz<br />

Skulpturen der Nachkriegszeit<br />

und Räume der Gegenwartskunst<br />

Museum Ludwig Seite 23<br />

Mein Leben ist ein Tango<br />

Das CaféADA als Ort der Begegnung<br />

von Marlene Baum<br />

Magischer Heiler und Erzähler<br />

Seite 26<br />

Axel Munthe und der Traum von<br />

San Michele<br />

von Heiner Bontrup Seite 31<br />

Museum Ludwig Köln<br />

Exponate aus dem Wohnhaus<br />

von Irene und Peter Ludwig Seite 33<br />

TANZTRÄUME<br />

Begegnung von Kunst- und Naturschönem<br />

Die Musikreihe Klangart ging erfolgreich in<br />

die dritte Runde<br />

von Heiner Bontrup<br />

Seite 36<br />

Eine verlockende Lektüre<br />

Das Tor zur Welt <strong>–</strong> Die Fluxus-Bewegung<br />

aus dem Buch von Stella Baum Seite 40<br />

Mäzen, Unternehmer, Politiker<br />

Annäherungen an ein Portrait von<br />

Eberhard Robke<br />

von Matthias Dohmen Seite 43<br />

Neue Kunstbücher<br />

Ein Thema knapp gefasst<br />

vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 45<br />

Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />

Geschichtsbücher <strong>–</strong> Buchgeschichten<br />

vorgestellt von Matthias Dohmen Seite 47<br />

TANZ ANZ TRÄUME TRÄUM<br />

Tanzträume<br />

Jugendliche tanzen Kontakthof von<br />

Pina Bausch <strong>–</strong> Das Buch zum Film Seite 48<br />

Kulturnotizen<br />

Kulturveranstaltungen in der Region Seite 51<br />

Zwischen den Fronten<br />

Die Kriegstagebücher Gerhard Nebels,<br />

wiederentdeckt von Michael Zeller<br />

von Johannes Vesper Seite 50<br />

5


6<br />

Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />

13. März bis 11. Juni 2012<br />

Ein Überblick<br />

über die kommende Ausstellung<br />

Franz Marc, Die Blauen Fohlen, 1913<br />

Kunsthalle Emden <strong>–</strong> Stiftung Henri und<br />

Eske Nannen und Schenkung<br />

Otto van de Loo<br />

Der Sturm <strong>–</strong> Zentrum der Avantgarde<br />

Vor einhundert Jahren, am 12. März<br />

1912, eröffnete Herwarth Walden seine<br />

Galerie „Der Sturm“ in Berlin. Hiermit<br />

begann ein faszinierendes Kapitel in<br />

der Geschichte der modernen Kunst.<br />

Schon im ersten Jahr entwickelte<br />

sich die Galerie zu einem führenden<br />

Forum der Moderne in Deutschland<br />

und mit dem „Ersten Deutschen<br />

Herbstsalon“ 1913 stieg „Der Sturm“<br />

dann zur Drehscheibe der Avantgarde<br />

Europas auf. Hier waren die großen<br />

Bewegungen der Kunst vertreten: vom<br />

expressionistischen Aufbruch bis zu<br />

den unterschiedlichen Tendenzen der<br />

20er Jahre spannte sich der Bogen. Die<br />

Künstler des „Blauen Reiter“, die Futuristen,<br />

die Kubisten und die Vertreter<br />

der neuen konstruktiven Bestrebungen<br />

stellten im „Sturm“ aus. Damals heftig<br />

umstritten, gelten sie inzwischen als<br />

Klassiker der Moderne, und viele der<br />

damals gezeigten Werke befi nden sich<br />

heute in den großen Museumssammlungen<br />

der Welt.<br />

Den Ausgangspunkt unserer Beschäftigung<br />

mit dem Thema bildeten<br />

die Wuppertaler Beziehungen zum<br />

„Sturm“, die vielfältig sind. So war


Oskar Kokoschka, Bildnis Herwarth Walden, 1910<br />

Staatsgalerie Stuttgart<br />

© Fondation Oskar Kokoschka / VG Bild-Kunst, Bonn, 2011<br />

Herwarth Walden in erster Ehe mit<br />

der aus Elberfeld gebürtigen Else<br />

Lasker-Schüler verheiratet. Sie hat<br />

wohl auch den Namen der Zeitschrift<br />

„Der Sturm“ geprägt, der dann für die<br />

Galerie übernommen wurde.<br />

Unsere Ausstellung folgt sodann den<br />

großen Entwicklungen: Diese beginnen<br />

schon 1909 mit der Zusammenarbeit<br />

zwischen Herwarth Walden und dem<br />

Wiener Publizisten Karl Kraus. Kurz<br />

nach der Gründung der „Sturm“-<br />

Zeitschrift im März 1910 wurde der in<br />

Wien als „Oberwildling“ berüchtigte<br />

Kokoschka Mitarbeiter der Redaktion.<br />

1910 organisierte Walden auch die<br />

erste Einzelausstellung Kokoschkas, die<br />

in der Berliner Galerie Paul Cassirer<br />

stattfand. Ein zentrales Werk dieser<br />

Schau war Kokoschkas Walden-Porträt;<br />

dessen Charakterisierung brachte Kurt<br />

Hiller in seiner „Sturm“-Besprechung<br />

knapp und treffend auf den Punkt:<br />

„Herwarth Walden, dahineilend, als<br />

Kulturkämpfer auf dem Posten.“ Zu<br />

den weiteren von Kokoschka in Berlin<br />

Henri Rousseau, Die fröhlichen Spaßmacher (The Merry Jesters),<br />

1906, Philadelphia Museum of Art, The Louise and Walter Arensberg<br />

Collection, 1950<br />

porträtierten Persönlichkeiten gehörte<br />

der Dichter Peter Baum. Er stammte<br />

aus einer Wuppertaler Fabrikantenfamilie<br />

und war mit Else Lasker-Schüler<br />

schon seit ihrer Kindheit bekannt.<br />

In Berlin sind sie einander wiederbegegnet,<br />

und Peter Baum gehörte von<br />

Anfang an zum engeren „Sturm“-Kreis.<br />

Die Künstler des „Blauen Reiter“<br />

standen im Mittelpunkt der ersten<br />

Ausstellung des „Sturm“ im März<br />

1912. Auf Kandinsky, Marc, Macke<br />

und ihre Künstlerfreunde hatte allerdings<br />

vorher schon Richart Reiche mit<br />

Ausstellungen im Barmer Kunstverein<br />

aufmerksam gemacht. Waldens Urteil<br />

über Kandinskys Kunst „Das stärkste,<br />

was Morgen heute bietet“ ließe sich<br />

als Motto über das gesamte Ausstellungsprogramm<br />

des „Sturm“ stellen.<br />

Hauptwerke von Kandinsky, Marc,<br />

Macke, Münter, Jawlensky, Werefkin<br />

und des amerikanischen Malers Albert<br />

Bloch aus den Ausstellungen des<br />

„Sturm“ bilden auch Schwerpunkte der<br />

Wuppertaler Retrospektive, darunter<br />

z. B. sieben Bilder Kandinskys, davon<br />

allein vier aus seiner ersten „Sturm“-<br />

Kollektiv-Ausstellung von 1912.<br />

Auch die zweite, den italienischen Futuristen<br />

Boccioni, Carrà, Russolo u. a.<br />

gewidmete Ausstellung im „Sturm“ im<br />

April/Mai 1912 setzte ein Signal für das<br />

Neue: Die rhythmisch-dynamischen<br />

Kompositionen der Futuristen revolutionierten<br />

die Kunst durch ein neues<br />

ästhetisches Konzept, die „Schönheit<br />

der Schnelligkeit“.<br />

Der „Erste Deutsche Herbstsalon“, den<br />

Walden gemeinsam mit Kandinsky,<br />

Marc und Macke organisierte, erweiterte<br />

das Blickfeld auf die internationale<br />

Kunstszene. Dem naiven „Zöllner“<br />

Rousseau, in dem Kandinsky einen Gegenpol<br />

zu seiner Abstraktion erkannte,<br />

war sogar eine besondere Gedächtnisausstellung<br />

innerhalb des Herbstsalons<br />

gewidmet. Neue Namen begegneten<br />

hier mit Feininger und Mense. Delaunay,<br />

der bereits 1912 eine Einzelausstellung<br />

im „Sturm“ erhalten hatte, war<br />

einer der am stärksten repräsentierten<br />

7


8<br />

Künstler. Unsere Werkauswahl umfasst<br />

fünf Beispiele von seinen orphistisch<br />

aufgefassten Großstadtbildern, die<br />

großen Einfl uss auf Marc, Macke,<br />

Feininger u. a. ausübten, bis zu den<br />

abstrakten Kreisformen, die er erstmals<br />

im Herbstsalon vorstellte.<br />

Ebenfalls im Herbstsalon ausgestellt<br />

waren repräsentative Großformate der<br />

Pariser Kubisten Metzinger und Gleizes;<br />

parallel hierzu war die Variante des<br />

Prager Kubismus mit Beispielen u. a.<br />

von Otakar Kubin, Emil Filla und Otto<br />

Gutfreund zu sehen.<br />

Chagall, bereits im Herbstsalon vertreten,<br />

erhielt 1914 seine erste große<br />

Einzelausstellung im „Sturm“. Fortan<br />

waren Werke von ihm ständig in der<br />

Galerie zu sehen und Walden erwarb<br />

u. a. „Die fl iegende Kutsche“ für seine<br />

Privatsammlung. Weitere russische<br />

Künstler im Herbstsalon waren Alexander<br />

Archipenko, Georges Yakoulov,<br />

Michail Larionow, Natalija Gontscharowa<br />

und Sonia Delaunay-Terk.<br />

Auch als Forum für Künstlerinnen<br />

spielte der „Sturm“ eine wichtige Rolle:<br />

Neben den bekannten Malerinnen<br />

Münter, Werefkin, Gontscharowa und<br />

Delaunay-Terk stellten weitere interessante<br />

Frauen im „Sturm“ aus, darunter<br />

die niederländische Malerin Jacoba van<br />

Heemskerck. Erstmals wieder vereinigt<br />

in unserer Retrospektive sind Werke<br />

der Belgierin Marthe Donas, die 1920<br />

von ihrem Freund Archipenko in den<br />

„Sturm“ eingeführt wurde.<br />

In der Zeit des Ersten Weltkriegs setzte<br />

Walden sein Programm fort. Weiterhin<br />

wurden die „feindlichen Ausländer“<br />

Kandinsky und Chagall ausgestellt. An<br />

der neu gegründeten „Sturm“-Bühne<br />

verwirklichte Lothar Schreyer seine<br />

Vorstellung einer expressionistischen<br />

Bühnenkunst, deren Darsteller, Marionetten<br />

gleich, als kosmische Wesen<br />

erscheinen sollten. Eines der prägnantesten<br />

Bildnisse Waldens, die Büste<br />

von William Wauer, ist 1917, mitten<br />

im Krieg, entstanden. Johannes Itten,<br />

Wassily Kandinsky, Herbst II (Autumn II),<br />

1912, The Phillips Collection, Washington,<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn, 2011<br />

Albert Gleizes, Fußballspieler (Football Players), 1912/13, National Gallery of Art,<br />

Washington, Alisa Mellon Bruce Fund, 1970.11.1, © VG Bild-Kunst, Bonn


Georg Muche, Rudolf Bauer, Thomas<br />

Ring, Johannes Molzahn u. a. brachten<br />

neuartige esoterische Impulse in<br />

den „Sturm“ ein.<br />

Umbrüche zeichneten sich nach dem<br />

Krieg auch hier ab. Auf die Aufhebung<br />

alter Ordnungen zielte Schwitters mit<br />

seiner 1919 im „Sturm“ präsentierten<br />

dadaistischen Merz-Kunst ebenso wie<br />

Puni mit der spektakulären „Flucht<br />

der Formen“ in seiner Schau 1921.<br />

Deutsche Konstruktivisten wurden im<br />

Januar 1920 mit einer Ausstellung von<br />

Schlemmer, Baumeister und Dexel<br />

präsentiert. Ab Anfang der 20er Jahre<br />

war der „Sturm“ eine wichtige Anlaufstelle<br />

für die aus osteuropäischen<br />

Ländern emigrierten Künstler. Die<br />

ungarischen Konstruktivisten stellten<br />

ihre Konzepte vor: László Moholy-<br />

Nagy stellte seine Idee eines dynamisch-konstruktiven<br />

Kraftsystems vor,<br />

Lajos Kassák, László Péri und Sándor<br />

Bortnyik präsentierten Arbeiten mit<br />

einer neuartigen Bildarchitektur. Der<br />

polnische Künstler Henryk Berlewi<br />

zeigte „Mechano-Faktur“-Arbeiten,<br />

die durch Schablonen erzeugte Strukturen<br />

aufweisen. Mit Max Hermann<br />

Maxy war außerdem ein interessanter<br />

rumänischer Künstler vertreten. Einen<br />

letzten Akzent setzten die Vertreter der<br />

belgischen Avantgarde, Pierre-Louis<br />

Flouquet und Victor Servranckx, mit<br />

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Ausstellungen im „Sturm“ 1925 und<br />

1928.<br />

Um diese Zeit war der „Sturm“ in<br />

fi nanzielle Schwierigkeiten geraten.<br />

Nach mehreren Reisen in die Sowjetunion<br />

emigrierte Walden, der<br />

inzwischen ein Anhänger des Kommunismus<br />

geworden war, 1932 nach<br />

Moskau, womit die Geschichte dieses<br />

epochalen Gesamtkunstwerks, das auf<br />

ganz Europa ausstrahlte, endete. 1941<br />

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Robert Delaunay, Die drei Fenster, der Turm und das Rad (The Three Windows, the Tower<br />

and the Wheel), 1912, The Museum of Modern Art, New York<br />

© L & M Services B.V. The Hague 20110403<br />

Anzeige<br />

wurde Walden verhaftet und ein Opfer<br />

des stalinistischen Terrors; er starb am<br />

31. Oktober 1941 im Lager Saratow/<br />

Wolga.<br />

(Die Ausstellung ist ein Gemeinschaftsprojekt<br />

des Von der Heydt-<br />

Museums Wuppertal und des Instituts<br />

für Kunstgeschichte an der Heinrich-<br />

Heine-Universität Düsseldorf.)<br />

Antje Birthälmer<br />

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9


10<br />

Neues Stück - letztes Stück<br />

Wenn ein neues Stück von Pina Bausch<br />

auf die Bühne kam, hieß es Neues<br />

Stück. Ein Name würde sich später<br />

schon fi nden. Denn das Werk war immer<br />

ein Work in Progress. Wie das Leben<br />

selbst, das wir leben, sich immerzu<br />

neu erfi nden muss, um wahres Leben zu<br />

sein. Da Pina Bausch bei allem Wandel,<br />

der notwendig ist, sich selbst treu geblieben<br />

ist, war das auch 2009 so. Kaum<br />

jemand ahnte, dass ihr Neues Stück ihr<br />

letztes Stück sein würde. Ihr Tod überraschte<br />

viele, auch Filmemacher Wim<br />

Wenders, der an einem Portrait des<br />

Tanztheaters Pina Bausch arbeitete. Als<br />

er von ihrem Tod erfuhr, konnte er sich<br />

nicht vorstellen, den Film zu vollenden.<br />

Mit dem Tod Pina Bauschs schien alles<br />

vorbei. Bekanntermaßen vollendete<br />

Wenders den Film dann doch; er wurde<br />

zum cinematographischen Vermächtnis<br />

ihres Lebenswerks. Der Titel des Films<br />

lautet: „Pina. Tanzt. Tanzt, sonst sind<br />

wir verloren.“ Kein zufällig gewählter<br />

Titel. Denn darin schwingt ein Dennoch,<br />

ein Trotz, ein Widerstand gegen<br />

alle Kräfte des Verfalls, gegen die Macht<br />

der Verhältnisse, gegen jede Form der<br />

Resignation, vielleicht sogar gegen das<br />

Sein zum Tode. Eine Haltung zum<br />

Leben wurde deutlich, vergleichbar der<br />

Alexis Sorbas’ in Nikos Kazantzakis’<br />

gleichnamigen Roman, der im Augenblick<br />

seiner größten Niederlagen tanzt.<br />

Und diese Kraft zum Widerstand, die<br />

in Pina Bausch selbst lag und die sie<br />

mit aller Energie in ihre Stücke legte,<br />

übertrug sich nun auch auf Wenders<br />

und seinen Film.<br />

Alle Fotos aus dem Stück<br />

„Wie das Moos auf dem Stein“ (2009)<br />

von Karl-Heinz Krauskopf


Pina Bausch hat den Tanz für uns neu<br />

erfunden. Sie hat ihn aus den überkommenen<br />

Traditionen des Klassischen<br />

Balletts befreit und uns gezeigt, wie wir<br />

mit Körpern <strong>–</strong> ohne auch nur einen Satz<br />

zu sagen <strong>–</strong> Geschichten erzählen können.<br />

Und dass in der Sprache des Tanzes das<br />

Eigentliche unserer Existenz sichtbar<br />

werden kann. Ihre Stücke sind getanzter<br />

Existentialismus. Sie hat uns gezeigt: Die<br />

Hölle, das sind die anderen, aber auch<br />

wir selbst. Aber ebenso sehr können wir<br />

einander Segen sein und Erlösung. Pina<br />

Bausch hat uns in ihren Stücken vom<br />

ewigen Kampf der Geschlechter erzählt,<br />

von unseren Sehnsüchten, Wünschen,<br />

Hoffnungen, aber ebenso auch von<br />

unseren Enttäuschungen, Niederlagen,<br />

Verletzungen. Ihre Tanz-Geschichten<br />

waren komisch und tragisch, brutal und<br />

ironisch. Und zugleich auf eine sehr subtile<br />

Art auch politisch. Immer aber hat sie<br />

uns Mut gemacht, weiter zu gehen. Dass<br />

sich die Welt und auch das Verhältnis<br />

der Geschlechter verändert hat, hat Pina<br />

sehr genau registriert. In ihrem letzten<br />

Neuen Stück erzählt sie auch von diesem<br />

Wandel.<br />

Doch zugleich wurde ihr das Mittel,<br />

mit dem sie erzählt, immer mehr zum<br />

Thema: der Tanz selbst. Selten ist das<br />

deutlicher geworden als in ihrem letzten<br />

Neuen Stück. Dort feiert sie den Tanz, die<br />

Anmut der Körper und der Bewegungen,<br />

die Leichtigkeit des Scheins. Die Überwindung<br />

der realen und sozialen Gravitationskräfte.<br />

Sie kehrt damit vielleicht<br />

zurück zu dem, was der Tanz von Anbeginn<br />

war: die Erfi ndung der Schönheit<br />

aus dem Geiste der Musik.<br />

Und jetzt, da Pina Bausch tot ist? Jetzt<br />

müssen wir tanzen. Sonst sind wir verloren.<br />

Heiner Bontrup<br />

Fotos: Karl-Heinz Krauskopf<br />

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<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong> <strong>–</strong> <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />

K20 GRABBEPLATZ<br />

Kunstsammlung NRW, Düsseldorf<br />

bis 26. Februar 2012<br />

Alle Fotos:<br />

<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong> - <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />

Installationsansicht K20 Grabbeplatz<br />

Foto: Achim Kukulies<br />

© Kunstsammlung NRW<br />

Die Ausstellung <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong> ist das<br />

bisher größte Projekt des 1947 geborenen<br />

konzeptuellen Bildhauers und Autors <strong>Zvi</strong><br />

<strong>Goldstein</strong>. Als einer der ersten Künstler hat<br />

der in Jerusalem lebende <strong>Goldstein</strong> seit den<br />

späten 1970er Jahren eine künstlerische Position<br />

außerhalb, aber in Beziehung zu westlichen<br />

Kulturzusammenhängen entwickelt<br />

und die Herausforderung der globalisierten<br />

Welt mit seinem Werk angenommen.<br />

Weit über 850 höchst unterschiedliche<br />

Objekte von der Antike bis zur Gegenwart<br />

aus verschiedensten Kulturen, von der<br />

<strong>by</strong>zantinischen Münze bis zur afrikanischen<br />

Maske, sowie Bilder bilden in <strong>Haunted</strong><br />

<strong>by</strong> <strong>Objects</strong> einen dichten, komplexen und<br />

hybriden Kosmos. Ausgangspunkte der<br />

„Weltreisen im Innern meines Kopfes“ sind<br />

62 Textpassagen aus Room 205, dem neuen<br />

Buch des Künstlers. Es schildert in einer mit<br />

unterschiedlichen Elementen durchsetzten<br />

poetischen Sprache einen einminütigen<br />

Flashback in einem Hotelzimmer kurz nach<br />

dem Erwachen. Der Text ist Ausdruck eines<br />

Bewusstseinszustandes zwischen Tagtraum,<br />

Fantasie und Halluzination, in dem Fragmente<br />

des eigenen Lebens mit künstlerischen,<br />

kulturellen und philosophischen<br />

Überlegungen zu einem „Kaleidoskop“<br />

vereint sind. In einem großen Raum und<br />

bei abgedunkelter Beleuchtung erscheint<br />

jedes der Textfragmente in einem Cluster<br />

von Objekten, die sich in jeweils unterschiedlicher<br />

Weise auf diese Texte beziehen<br />

und so alle Wände überziehen. Die große<br />

Fülle der Gegenstände und die assoziationsreiche<br />

Sprache der Texte erlauben unendlich<br />

viele Einzelbeobachtungen und Verknüpfungen,<br />

ohne dass ein vorgegebenes System<br />

festen Halt und eindeutige Bezüge liefert.<br />

Manches bietet sich in höchster Klarheit<br />

dar, anderes entgleitet an den Rändern<br />

dem Zugriff. Gemäß <strong>Goldstein</strong>s künstlerischer<br />

Leitlinie gehen „Phantasie und<br />

Theorie, Konzept und Ästhetik, Kontext<br />

und Ontologie, Biografi e und Ideologie“<br />

eine gleichberechtigte Einheit „zwischen<br />

kulturell zentralen und peripheren Existenzen“<br />

ein. Als Ganzes ist <strong>Haunted</strong> <strong>by</strong> <strong>Objects</strong><br />

der großartige Versuch eines Künstlers,


der eigenen Faszination durch kulturelle<br />

Objekte und den in ihnen aufgehobenen<br />

Geschichten und Weltsichten Ausdruck<br />

zu geben. Gleichzeitig stellt die Arbeit die<br />

geläufi gen museologischen Ordnungen<br />

in Frage und es gelingt ihr, das Bild einer<br />

multidimensionalen Welt in der Epoche der<br />

Globalisierung zu zeichnen.<br />

<strong>Zvi</strong> <strong>Goldstein</strong> wurde 1947 in Transylvanien<br />

(Rumänien) geboren, emigrierte in<br />

den späten 1950er Jahren nach Israel und<br />

studierte dort Kunst, bevor er für zehn Jahre<br />

nach Mailand ging. Hier entwickelte er sein<br />

politisches, ästhetisches und anthropologisches<br />

Denken und schuf erste, mit Sprache,<br />

Fotografi e und Film operierende konzeptuelle<br />

Arbeiten, die in Italien und Deutschland<br />

ausgestellt wurden. Unzufrieden mit<br />

dem westlichen Diskurs der Postmoderne<br />

machte er jedoch 1978 Jerusalem als Ort<br />

auf der Grenze zwischen Okzident und<br />

Orient zur geografi schen und konzeptuellen<br />

Basis seiner Kunst. Er gehört damit<br />

zu den ersten Künstlern, die sich Ende der<br />

1970er Jahre mit den Konsequenzen der<br />

sich abzeichnenden Globalisierung für die<br />

zeitgenössische Kunst auseinander zu setzen<br />

begannen.<br />

Seit den 1980er Jahren hat <strong>Goldstein</strong> in<br />

den wichtigsten Museen Israels und in bedeutenden<br />

Ausstellungshäusern und Galerien<br />

Europas und Nordamerikas ausgestellt.<br />

Er nahm an den Biennalen von Venedig,<br />

Sydney, Istanbul, São Paulo, Shanghai und<br />

Herzliya sowie an der documenta in Kassel<br />

teil. Der Künstler lehrt als Professor an der<br />

Bezalel Academy for Art and Design in<br />

Jerusalem und Tel Aviv.<br />

Besonders in den 1990er Jahren führten<br />

ihn ausgedehnte Reisen zu hermetischen<br />

Gemeinschaften und vom Westen wenig<br />

beeinfl ussten Kulturen in Afrika und<br />

Asien. Mit seinem ersten Buch On Paper<br />

(Köln 2004) hat <strong>Goldstein</strong> seinem Werk<br />

eine neue, zusätzliche Dimension gegeben.<br />

Sein zweites Buch Room 205 (Köln 2010)<br />

ist ein Langgedicht, das in unterschiedlichen<br />

Schreibstilen und auf wechselnden<br />

Bewusstseinsebenen einen einminütigen<br />

Flashback beschreibt, in dem sich Erlebnisse,<br />

Spekulationen und Halluzinationen mit<br />

konkreten Beobachtungen und Objekten<br />

verschränken.<br />

Mehr Information unter<br />

www.kunstsammlung.de<br />

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Mr. Rabbit and the Dragon King<br />

im Wuppertaler Opernhaus<br />

Der Drachenkönig des Südmeeres ist krank<br />

und kann nur durch die Leber eines Hasen<br />

geheilt werden. Also macht sich der treueste<br />

aller Untertanen, Buchhalter Sumpfschildkröte<br />

auf, an Land einen Hasen zu<br />

fangen...<br />

Eine turbulente und tiefsinnige Satire<br />

auf Beamtenhochmut, Karrieresucht und<br />

Gesundheitswahn.<br />

Dies ist die Geschichte einer P’ansori, einer<br />

koreanischen Oper. P’ansori, ist eine jahrhundertealte<br />

Form vokaler Musik und von<br />

der UNESCO als einer der ‚Kulturschätze<br />

der Welt‘ offi ziell anerkannt. Es ist eine Art<br />

„Erzähltheater“: ein einzelner Sänger (oder<br />

Sängerin) trägt einen längeren epischdramatischen<br />

Text vor und wird dabei<br />

von einem Musiker auf einer Faßtrommel<br />

begleitet. Er singt und spielt also die Geschichte<br />

gleichzeitig. Achim Freyer, gerade<br />

von der Fachzeitschrift Opernwelt zum<br />

„Regisseur des Jahres“ gewählt, hat aus<br />

dieser traditionellen Form etwas aufregend<br />

Neues gemacht, ohne deren besondere Aura<br />

zu verfälschen. Er gestaltete unter Verwendung<br />

koreanischer Bildwelten und eigener<br />

Bildphantasien eine neue Bühnenästhetik,<br />

in der beide Formen sich gegenseitig erhellen<br />

und eine faszinierende gemeinsame<br />

Sprache als Brücke zwischen Ost und West<br />

sprechen.<br />

Inszenierung, Bühne, Kostüme und Licht:<br />

Achim Freyer (Foto)<br />

Textfassung:<br />

National Theatre of Korea<br />

Übersetzung:<br />

Esther Lee und Matthias R. Entreß<br />

Alle Fotos und obenstehender<br />

Einführungstext:<br />

Pressematerial der Wuppertaler Bühnen<br />

Wo bleibt die Schildkröte?<br />

Ja, wo bleibt die Schildkröte? Wieso<br />

erscheint sie nicht im Titel? Sie spielt nämlich<br />

auch eine ganz wichtige Rolle, als treueste<br />

Untertanin ihres Drachenkönigs und<br />

als Tigerbändigerin <strong>–</strong> durch die einfache<br />

Drohung, ihm in den Schwanz zu beißen<br />

(in welchen wohl?). Schließlich zeigt sie am<br />

Schluss ungewöhnliche Hartnäckigkeit,<br />

weil sie nicht glauben will, kräftig getäuscht<br />

worden zu sein.<br />

Doch der Reihe nach: Dreimal spielte<br />

das Koreanische Nationaltheater das Stück<br />

mit dem seltsamen und unvollständigen<br />

Titel, das als Pansori-Oper bezeichnet<br />

wird. Auf die Bühne gebracht hatte es der<br />

bekannte Regisseur Achim Freyer, bekannt<br />

für seine hintersinnigen und lebendigen<br />

Inszenierungen, der auch im Opernhaus<br />

anwesend war und fröhlich Sekt trank.<br />

Und man wurde nicht enttäuscht.<br />

Das Opernhaus war fest in koreanischer<br />

Hand. Die Autokennzeichen<br />

verraten, dass die Besucher von weit her<br />

gekommen waren.<br />

Wer sich schon eine halbe Stunde vorher<br />

zur Einführung (ausgezeichnet und informativ<br />

durch Matthias R. Entreß) eingefunden<br />

hatte, bekam mit, wie Pansori-Gesang<br />

in Korea im Original funktionierte. Ein<br />

einzelner Sänger, nur von einem Trommler<br />

begleitet, erzählt die Geschichte sprechend,<br />

auf alle möglichen Arten singend und vor<br />

allem mit vielen gestischen und mimischen<br />

Mitteln. Einzelnes Requisit ist ein großer Fächer.<br />

Koreaner müssen Meister der Konzentration<br />

sein, denn so ein Stück mit nur einem<br />

Darsteller-Erzähler dauert im Original um<br />

die sechs Stunden. Auch in Korea wurde<br />

seit Beginn des 20. Jahrhunderts begonnen,<br />

den Text auf mehrere Personen zu verteilen,<br />

auf die Bühne zu bringen, daraus eine Art<br />

Oper zu machen, die Changgeuk genannt<br />

wird, alles verbunden mit einer Musik, die<br />

für europäische Ohren sehr ungewöhnlich<br />

klingt.<br />

Achim Freyer hatte seine Pansori-Oper<br />

schon auf drei Stunden gekürzt, trotzdem<br />

wirkte der erste Teil, wegen vieler philosophisch-weltanschaulicher<br />

Passagen gelegentlich<br />

etwas lang (einige Zuschauer, vor allem<br />

mit jüngeren Kindern, waren nach der Pause<br />

nicht mehr anwesend). Der zweite Teil war<br />

dagegen äußerst kurzweilig.<br />

Im Stück ist der Pansori-Sänger eine<br />

überdimensionale Dame in einem blauen<br />

Kleid, die das Stück beginnt und immer<br />

wieder eingreift, und aus deren Kleid immer<br />

wieder handelnde Personen hervorkommen.<br />

Alle Personen hantieren auch mit Fächern,<br />

die Gesichter sieht man allerdings nicht, weil<br />

alle Personen Masken tragen. Einige davon<br />

erinnern an Picasso und machen darauf<br />

aufmerksam, dass immer wieder Elemente<br />

der Moderne in das Stück eingebaut sind,<br />

ebenso wie Verfremdungen, Aktualisierungen,<br />

ironische Brechungen.<br />

Das Stück: Der Drachenkönig des<br />

Südmeeres, Urquelle alles Meereslebens,<br />

ist krank, offensichtlich durch Umweltverschmutzung,<br />

denn überall liegen und<br />

hängen leere Plastikfl aschen. Sein Kostüm,<br />

sehr fantasievoll wie alle anderen Kostüme,<br />

19


20<br />

erscheint so, als ob zwei Personen darin<br />

steckten: die Füße sind ganz weit vom Kopf<br />

entfernt. Die Hofschranzen bemühen sich<br />

um den kranken König; offensichtlich sind<br />

Yin und Yang nicht im Gleichgewicht.<br />

Etliche Ärzte erscheinen, der Zuschauer<br />

erhält einen Kurzkurs in traditioneller chinesischer<br />

Medizin, leicht ironisiert, weil man<br />

die unendlich vielen kleinen Anteile nicht<br />

etwa in einem großen Topf mit genügend<br />

Wasser, sondern mit genau 1,8 Liter Wasser<br />

abkochen muss und dann 20, 30 oder 40<br />

mal nehmen muss. Das hilft dem König<br />

aber nicht, obwohl ein gläsernes Tablett mit<br />

vielen Medizinfl achen plötzlich frei in der<br />

Luft schwebt und man beiläufi g erfährt, dass<br />

es in diesen Breiten nicht etwa vier, sondern<br />

fünf Himmelrichtungen gibt.<br />

Die Einnahme der Leber eines Hasen<br />

soll das Mittel sein, das den Drachenkönig<br />

heilen kann. So einer lebt aber dummerweise<br />

auf der Erde. Jemand muss also hin und<br />

ihn bewegen, zum König zu kommen und<br />

seine Leber zu opfern. Keiner der höheren<br />

Hofschranzen will das tun. Also kommt<br />

hier die dritte Hauptperson ins Spiel:<br />

Buchhalter Schildkröte wird bemüht und<br />

erklärt sich auch bereit. Da erscheint aber<br />

seine warnende Mutter, die ihn tränenreich<br />

abhalten will, sich auf die gefährliche Reise<br />

zu begeben, er sei schließlich Einzelkind in<br />

der dritten Generation (kleiner Seitenhieb<br />

auf die chinesische Bevölkerungspolitik). Als<br />

die Schildkröte sich aber weiter entschlossen<br />

zeigt und auf den Ruhm verweist, den<br />

sie erringen wird, erscheint auf einmal die<br />

komplette Familie Sumpfschildkröte und<br />

schickt ihn begeistert auf die weite Reise.<br />

Da im Südmeer aber keiner weiß, wie ein<br />

Hase aussieht, werden in einer ironischen<br />

Aktualisierung alle mögliche Maler bemüht,<br />

neben zwei Hofmalern Ai Weiwei, Andy<br />

Warhol, Dürer und Picasso. Alle versagen,<br />

Weiwei bringt nur ein großes X zustande,<br />

erst Picasso gelingt es, einen erkennbaren<br />

Hasen auf die Leinwand zu bringen, den die<br />

Schildkröte dann auch mitnimmt, um oben<br />

auf der Erde das richtige Tier erkennen zu<br />

können.<br />

Oben, in der Oberwelt, (wir sind<br />

immer noch im ersten Teil!) stellen sich die<br />

Tiere vor und suchen einen König, werden<br />

aber vom Tiger gestört. Der ist besonders<br />

fantasievoll dargestellt, nämlich durch zwei<br />

Personen, eine bildet Kopf und Vorderleib,<br />

die zweite das Hinterteil, vorne ist der herausragende<br />

Penis, hinten der Schwanz mit<br />

einer Art Morgenstern wie bei einem Dinosaurier.<br />

Die Schildkröte muss, bis sie beim<br />

Hasen angelangt ist, allerlei lebensgefährliche<br />

Abenteuer bestehen. Auch der Tiger würde<br />

sie zu gern (als Sumpfschildkrötensuppe!)<br />

fressen. Und wie gewinnt die Schildkröte?<br />

Indem sie dem Tiger androht, ihn kräftig in<br />

sein edelstes Teil zu beißen.<br />

Der Hase lässt sich dann von der<br />

Sumpfschildkröte bereden, mit in die Unterwasserwelt<br />

zu kommen. Dass seine Leber


gebraucht wird, wird ihm natürlich nicht<br />

gesagt. Gelockt wird er mit der Aussicht, unten<br />

ausgerechnet militärischer Ausbildungsleiter<br />

zu werden, in einer Welt, in der es<br />

keine Waffen oder Gewalt geben soll, anders<br />

als in der Oberwelt. Der Hase rudert bei der<br />

Fahrt nach unten zu schnell und muss von<br />

der Schildkröte korrigiert werden, damit die<br />

beiden überhaupt voran kommen.<br />

Inzwischen geht es dem Drachenkönig<br />

immer schlechter und er verlangt die Hasenleber.<br />

(Übrigens unterbricht erst an dieser<br />

Stelle eine Pause das Stück.) Und als der<br />

Hase angekommen ist, ist er sehr erstaunt,<br />

dass er nicht militärischer Ausbildungsleiter<br />

wird, sondern in einer Welt, die keineswegs<br />

so friedlich ist wie versprochen, sein Leben<br />

für eine Medizin hergeben soll.<br />

Der Hase, überall wenig geachtet und<br />

immer auf der Flucht, beweist jetzt seine<br />

Schlauheit und seinen Einfallsreichtum.<br />

Zuerst behauptet er, kein Hase, sondern<br />

ein Hund zu sein, das fi nden König und<br />

Untertanen aber viel besser (noch ein kleiner<br />

Seitenhieb: es wird ja immer wieder behauptet,<br />

dass Chinesen alles essen, was vier Beine<br />

hat.). Es verfängt auch nicht, als er vorgibt,<br />

ein Kalb oder ein Fohlen zu sein. Dann legt<br />

sich der Hase auf den Tisch und bittet den<br />

Henker, ihn aufzuschneiden; der könne<br />

dann lange suchen, denn er habe gar keine<br />

Leber. Der Henker und die mit überdimensionalen<br />

Esswerkzeugen am Tisch sitzenden<br />

Hofschranzen stimmen dem begeistert zu,<br />

doch der König, dem es ständig besser zu gehen<br />

scheint, lehnt das ab, auch weil ihm der<br />

Hase immer sympathischer wird. Er bietet<br />

ihm sogar das Du an, so dass es weitergeht<br />

mit „Drägi“ und „Hasi“. Dieser wird immer<br />

kühner und behauptet, seine Leber in der<br />

Oberwelt gelassen zu haben, eingewickelt<br />

in ein Blatt und an einem Baum hängend,<br />

um dort in der Sonne zu trocknen. Den<br />

Einwand, das gäbe es nicht, kontert er mit<br />

dem Hinweis: Ich habe drei Löcher, eins fürs<br />

große Geschäft, eins fürs kleine Geschäft<br />

und eins, um die Leber rein- und raus zu<br />

nehmen. Auch der mehrfach wiederkehrende<br />

Henker und die hungrig ihre Messer<br />

und Gabeln schwingenden Hofschranzen<br />

können nicht verhindern, dass der Drachenkönig<br />

den Hasen und die Schildkröte wieder<br />

nach oben schickt, im die am Baum hängende<br />

Leber zu holen. Oben angekommen,<br />

triumphiert Hasi und verhöhnt die brave<br />

Schildkröte. Als diese nicht glauben kann,<br />

getäuscht worden zu sein und den Hasen<br />

mehrfach bittet, ihm doch seine Leber zu<br />

geben, wird sie von diesem, der vorher so<br />

schöne hehre Geschichten erzählen konnte,<br />

als „inzestuöser Hurensohn“ beschimpft.<br />

Schließlich entleert sich der Hase geräuschvoll<br />

aus allen drei Löchern (die Leber bleibt<br />

aber im Hasen!), packt alles in einen Sack<br />

und wirft es der Schildkröte zu. „Damit<br />

kannst du deinen König heilen!“ Ob es<br />

damit gelungen ist?<br />

Damit ist das Stück zu Ende. Unterschiedliche<br />

Sprachebenen werden<br />

21


22<br />

gemischt. Vor allem im zweiten Teil dominieren<br />

Witz und Derbheit, das Tempo<br />

steigert sich und auch das Vergnügen des<br />

(leicht gelichteten) Publikums.<br />

Über die Musik, z.T. übernommen,<br />

z. T. von Freyer in Auftrag gegeben, lässt<br />

sich wenig sagen, weil sie unbekannt und<br />

ungewohnt ist. Für meine Ohren verband<br />

sie sich aber zunehmend mit der Sprache<br />

und den Aktionen auf der Bühne. Zudem<br />

war die Handlung durch die punktgenaue<br />

Übertitelung (auf deutsch und koreanisch)<br />

hervorragend nachzuvollziehen, so dass<br />

man sich voll auf das koreanische „Gesamtkunstwerk“<br />

konzentrieren konnte.<br />

Wer nicht da war, hat ein wundervolles<br />

und anregendes Theaterereignis verpasst.<br />

Der Wuppertaler Musikintendanz<br />

ist sehr zu danken, dass sie dieses Stück<br />

nach Wuppertal geholt hat.<br />

Fritz Gerwinn<br />

Unsere Kulturförderung<br />

ist gut für die Sinne.<br />

Sparkassen-Finanzgruppe<br />

Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nicht-staatliche Kulturförderer<br />

Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für<br />

die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de<br />

Sparkasse. Gut für Wuppertal.<br />

S


Skulpturen der Nachkriegszeit und<br />

Räume der Gegenwartskunst<br />

Museum Ludwig Köln<br />

bis zum 22. April 2012<br />

Andreas Siekmann<br />

Dante und Vergil gehen durch die Welt,<br />

2011<br />

Ausdrucke auf Papier und Multiplex,<br />

Modell, Mechanik<br />

Maße variabel<br />

Im Besitz des Künstlers<br />

Foto: Achim Kukulies<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />

Vor dem Gesetz<br />

Die Frage nach den grundlegenden Bedingungen<br />

des Menschseins ist von zeitloser<br />

und gleichsam dringlicher Bedeutung.<br />

Tagtäglich sind Menschenrechtsverletzungen<br />

und Angriffe auf die menschliche Würde zu<br />

beobachten - die medialen Bedingungen erlauben<br />

dabei einen scheinbar immer gründlicheren<br />

Blick. Die Ausstellung Vor dem<br />

Gesetz widmet sich in ebenso konzentrierter<br />

wie umfassender Weise dem zentralen<br />

Thema der menschlichen Existenz und ihrer<br />

Verletzlichkeit. Mit großer Unmittelbarkeit<br />

verbildlichen die Skulpturen der Nachkriegszeit<br />

und Räume der Gegenwartskunst die<br />

Auseinandersetzungen mit der Conditio<br />

Humana.<br />

Die gemeinsam mit der Siemens<br />

Stiftung organisierte Schau ist die letzte programmatische<br />

Ausstellung von Kasper König<br />

am Museum Ludwig.<br />

Titelgebende Parabel und Metapher für<br />

das Thema der Ausstellung ist Kafkas gleichnamige<br />

Kurzgeschichte. Sie erzählt, wie ein<br />

Mann vom Lande um Einlass in das Gesetz<br />

bittet. Ein Türhüter verwehrt ihm den<br />

Zugang und vertröstet ihn immer wieder auf<br />

einen möglichen späteren Zeitpunkt. Der<br />

Mann vom Lande bleibt sein ganzes Leben<br />

lang in wartender Position vom Gesetz<br />

ausgeschlossen. Der sich über die Jahre nicht<br />

verändernde Türhüter ist dabei die überzeitliche<br />

statuenhafte Gegenfi gur zum alternden<br />

Individuum, das der Mann vom Lande<br />

verkörpert.<br />

Bemerkenswert ist im Vergleich zu<br />

anderen Defi nitionen Kafkas Entwurf des<br />

Gesetzes als Raum, der betretbar und endlich<br />

ist, zu dem es einen Zugang oder von dem es<br />

einen Ausschluss gibt. Die Ausstellung greift<br />

dieses Gedankenbild auf und entwickelt<br />

eine die gesamte zweite Etage umspannende<br />

Raumsituation, in der die 28 künstlerischen<br />

Positionen sehr dezidiert ihren eigenen Ort<br />

defi nieren.<br />

Vor dem Gesetz vereint fi gurative<br />

Skulpturen der Nachkriegszeit mit aktuellen<br />

Positionen und spannt damit einen Bogen<br />

über die vergangenen sechzig Jahre. Die<br />

Katastrophe des Zweiten Weltkriegs stellt<br />

eine zentrale Zäsur im Hinblick auf Menschenrechte<br />

und Menschenwürde dar, die<br />

ausschlaggebend für das heutige Verständnis<br />

wurde und Niederschlag im ersten Artikel<br />

des Deutschen Grundgesetzes fand. Vor<br />

23


diesem Hintergrund bilden die Werke der<br />

Nachkriegszeit, die den geschundenen,<br />

verletzten und gefährdeten Menschen in<br />

großer Direktheit zeigen, den argumentativen<br />

Kern der Ausstellung. Statuen von<br />

Germaine Richier, Gerhard Marcks oder<br />

Alberto Giacometti geben dem traumatisierten<br />

Menschen Gesicht und Körper und<br />

fi nden eine künstlerische Ausdrucksform für<br />

die Sprachlosigkeit der Zeit. Sie bilden den<br />

Ausgangspunkt für die Betrachtung der zeitgenössischen<br />

Installationen von Künstlern<br />

wie Phyllida Barlow, Paul Chan oder Zoe<br />

Leonard. Im Gegensatz zu ihren historischen<br />

‚Vor-Bildern' haben diese Werke die<br />

fi gürliche Darstellung des Menschlichen<br />

weitgehend aufgegeben. In häufi g räumlicher<br />

Dimension und unter Verwendung der<br />

unterschiedlichsten Materialien nähern sich<br />

Bruce Nauman<br />

Carousel, 1988<br />

Stahl und Aluminium<br />

Höhe: 213,4 cm, Durchmesser: 550,5 cm<br />

Gemeentemuseum Den Haag<br />

Foto: Achim Kukulies<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />

Pawel Althamer<br />

Bródno People, 2010, Verschiedene<br />

Materialien, 252 x 600 x 165 cm<br />

Sammlung Goetz, Foto: Achim Kukulies<br />

© Pawel Althamer, Courtesy Samml. Goetz<br />

linke Seite:<br />

Marko Lehanka<br />

Ohne Titel (Bauerndenkmal), 1999<br />

Verschiedene Materialien (Holz bemalt,<br />

Elektrik, Glühlampen, Möbelhund,<br />

Kugelschreiber, Bootslack, Bergwiesenheu,<br />

Sense, Kompostgabel, Ton, Draht, Hirse,<br />

Stoffzigaretten, Montierlampe, Stoff,<br />

Kunsthaare, Kunstleder, Einmachglas,<br />

<strong>KG</strong>-Rohr), 453 x 80 x 88 cm<br />

Fondazione Sandretto Re Rebaudengo, Turin<br />

Foto: Achim Kukulies, © Marko Lehanka<br />

die Künstler den immer weiter aufgesplitterten<br />

und komplexen Bedingungen der<br />

menschlichen Gegenwart.<br />

Die Ausstellung Vor dem Gesetz zeigt<br />

nicht nur die anhaltende Aktualität und<br />

Aussagekraft fi gurativer Nachkriegsskulptur,<br />

sondern schärft durch den historischen<br />

Kontext vor allem den Blick für das humanistische<br />

Potential für Gegenwartskunst. In<br />

einer Zeit zunehmender Verunsicherung<br />

und Schnelllebigkeit scheint die Auseinandersetzung<br />

mit einer Kunst notwendig, die<br />

mit Ernsthaftigkeit auf der Kategorie des<br />

Menschlichen insistiert.<br />

Zur Ausstellung erscheint ein umfangreicher<br />

Katalog im Verlag der Buchhandlung<br />

Walther König mit Beiträgen von Penelope<br />

Curtis, Friedrich Wilhelm Graf, Kasper König,<br />

Thomas Macho und Thomas D. Trummer.<br />

KünstlerInnen: Pawel Althamer, Carl<br />

Andre, Phyllida Barlow, Joseph Beuys, Karla<br />

Black, Monica Bonvicini, Reg Butler, Paul<br />

Chan, Fritz Cremer, Jimmie Durham, Katharina<br />

Fritsch, Alberto Gia-cometti, Candida<br />

Höfer, William Kentridge, Marko Lehanka,<br />

Wilhelm Lehmbruck, Zoe Leonard,<br />

Giacomo Manzù, Gerhard Marcks, Marino<br />

Marini, Henry Moore, Bruce Nauman, Germaine<br />

Richier, Ulrich Rückriem, Thomas<br />

Schütte, George Segal, Andreas Siekmann,<br />

Andreas Slominski, Ossip Zadkine<br />

Eine gemeinsame Ausstellung des<br />

Museum Ludwig Köln und der<br />

Siemens Stiftung bis 22. April 2012<br />

Weitere Informationen unter<br />

www.museum-ludwig.de<br />

25


26<br />

Das CaféADA als Ort<br />

der Begegnung<br />

Mitten in Wuppertal, in einer der<br />

„ungeschminkten“ Gegenden am Fuße der<br />

Nordstadt, hat sich seit zwanzig Jahren ein<br />

Ort der besonderen Art etabliert,<br />

das CaféADA.<br />

Mein Leben ist ein Tango<br />

Kaum habe ich die unscheinbare Türe des<br />

Windfangs geöffnet, fühle ich mich aufgenommen<br />

in eine andere Welt: Eine Bar,<br />

schlichte dunkle Holztische mit Teelichtern,<br />

Caféhausstühlen und einer Tanzfl äche,<br />

an deren Rückwand auf einer kleinen<br />

Empore, wie aus einem Stück von Pina<br />

Bausch vergessen, ein Klavier lehnt. Nur<br />

wenige Gäste sind zu sehen <strong>–</strong> noch ist die<br />

Tanzfl äche leer. Mehmet Dok probiert<br />

am Mischpult den Sound, die wehmütige<br />

Stimme eines Tangosängers klagt durch<br />

den Raum. Jetzt habe ich Gelegenheit,<br />

Menschen zu sprechen, denen es tatsächlich<br />

gelungen ist, sich ihren Traum zu<br />

verwirklichen: Mehmet Dok, der sich für<br />

einen Augenblick zu uns gesellt, aus der<br />

Türkei, Inhaber des CaféADA, Jean Lau-<br />

rent Sasportes aus Frankreich, Mitglied<br />

des Tanztheaters Pina Bausch, der einen<br />

Teil des Kulturprogramms gestaltet, der<br />

Mitinitiator Yener Sözen, aus der Türkei,<br />

Jurist, Carmen aus Andalusien und César<br />

aus Argentinien, beide seit fast zwei Jahren<br />

als professionelles Tanzlehrerpaar für<br />

Tango Argentino engagiert.<br />

Farbige Scheinwerfer rücken dezent ins<br />

Licht worum sich hier alles dreht <strong>–</strong> den<br />

Tanz, sei es argentinischer Tango, Salsa,<br />

oder Rembetika. Heute ist Tangosalon,<br />

allmählich füllt sich die Tanzfl äche mit<br />

Paaren, die sich dem Argentinischen Tango<br />

hingeben, und das auf hohem Niveau.<br />

Man spürt sofort, hier geht es weniger<br />

ums Essen oder Reden, sondern um den<br />

Tanz.


Mehrmals in der Woche kommen sie<br />

hierher aus dem gesamten Ruhrgebiet, ja,<br />

aus Holland <strong>–</strong> Verkäufer, Intellektuelle,<br />

Vertreter, Lehrer, sogar Pfarrer, Menschen<br />

aller Altersstufen, Anfänger und Fortgeschrittene.<br />

Wuppertal ist zur Hochburg des Tango<br />

geworden, seit Mehmet Dok, Jean Laurent<br />

Sasportes und Yener Sözen 1992 das<br />

CaféADA eröffnet haben.<br />

Jean Laurent Sasportes und Mehmet Dok<br />

hatten sich bereits im Vorgängercafé des<br />

ADA kennengelernt. Schon damals kamen<br />

sie gern hierher, „wir haben uns wie<br />

auf einer Insel gefühlt, man dachte, man<br />

sei geographisch weit weg.“ Jean Laurent<br />

Sasportes hat die obere Etage als Probenraum<br />

genutzt und ihm war klar, dass<br />

dies der ideale Raum für Aufführungen,<br />

Konzerte und Ausstellungen sei. Als Mehmet<br />

Dok das Lokal übernahm, sahen sie<br />

die Zeit gekommen, ihre Vorstellungen<br />

von einem Ort der Begegnung in die Tat<br />

umzusetzen: Die Idee war ein Tangosalon.<br />

Die Initiatoren waren sicher, dass<br />

Wuppertal gerade wegen seiner Offenheit<br />

der geeignete Ort sei, ihre Träume<br />

Wirklichkeit werden zu lassen, und so<br />

war es <strong>–</strong> „Diese Stadt hat uns das möglich<br />

gemacht“, meint Mehmet Dok. ADA<br />

ist türkisch und bedeutet „Insel“, das<br />

Inselgefühl, die Vorstellung, an einem<br />

ganz und gar außergewöhnlichen Ort zu<br />

sein, hat man noch immer, obgleich oder<br />

gerade weil der Raum so schlicht ist. Es<br />

liegt an der besonderen Atmosphäre des<br />

CaféADA und an den Menschen, die man<br />

dort treffen kann.<br />

Ursprünglich befand sich hier in der<br />

Wiesenstraße ein Möbellager mit einer<br />

Diskothek und einem darüber liegenden<br />

Veranstaltungssaal. Man tanzte auf unebenem<br />

Betonboden mit herausstehenden<br />

Eisenträgern, während das Regenwasser<br />

vom Dach in bereitgestellte Wassereimer<br />

tropfte. Das alles konnte der Begeisterung<br />

für den Tango wenig anhaben, doch als<br />

das CaféADA einem Supermarkt weichen<br />

sollte, wussten dies namhafte Persönlichkeiten<br />

der Stadt Wuppertal zu verhindern.<br />

Mit Landesmitteln konnte das ADA bis<br />

2007 seine Räumlichkeiten erweitern und<br />

professionalisieren, ohne sein besonderes<br />

Flair zu verlieren. Ein öffentlicher Platz<br />

27


28<br />

mit Parkfl ächen, Boulebahn und Außengastronomie<br />

entstand, und wenn es das<br />

wuppertaler Wetter zulässt, kann man<br />

sogar draußen tanzen.<br />

So hat der Tango seinen Platz im CaféA-<br />

DA gefunden: Die ersten Tangokurse<br />

waren schnell ausgebucht. Pina Bausch<br />

kam oft mit ihren Tänzern, „hier war sie<br />

immer entspannt, hier konnte sie ganz<br />

privat sein“, sagt Yener Süzen. In ihrem<br />

Stück „Bandoneon“ 1980 wurde zwar<br />

Tango musiziert, aber nicht getanzt. Als<br />

sie für „Nur Du“ 1996 den berühmten<br />

argentinischen Tangotänzer Tete Rusconi<br />

engagierte, gab es im CaféADA die ersten<br />

Tangoworkshops. Carsten Heveling erinnert<br />

sich an den Humor und an den Stolz<br />

von Tete Rusconi, der seine Herkunft als<br />

echter „Porteno“ nie verleugnete und nicht<br />

mehr zu bremsen war, wenn er sich eine<br />

Tanguera geschnappt hatte und zu tanzen<br />

begann, und alle hingerissen waren.<br />

Mein Leben ist ein Tango<br />

Tango tanzen ist Ausdruck eines Lebensgefühls,<br />

einer Überzeugung, einer<br />

Philosophie. „Mein Leben ist ein Tango“,<br />

zitiert Carmen eine argentinische Redensart.<br />

Tatsächlich spiegelt der Tango<br />

das Leben <strong>–</strong> das eines Einzelnen, eines<br />

Paares oder der Gesellschaft. Parallel zum<br />

Blues und zum Jazz in New Orleans hat<br />

sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts in<br />

den fi nstersten Hafenvierteln von Buenos<br />

Aires und Montevideo entlang der Mündung<br />

des Rio Plata aus dem Elend und<br />

der Einsamkeit der Einwanderer aus aller<br />

Welt der Tango Argentino entwickelt.<br />

Und deshalb kann man weder beim Blues<br />

noch beim Tango fragen, welcher denn<br />

nun der ursprüngliche sei.<br />

Die Einwanderer brachten ihre eigenen<br />

Tänze und ihre Instrumente mit, und so<br />

haben zum Beispiel Einfl üsse afrikanischer<br />

Musik, die kubanische Habanera<br />

oder der deutsche Walzer Eingang gefunden<br />

in den Tango. Die ursprünglichen<br />

Instrumente waren Geige, Flöte und<br />

Gitarre, bis aus Deutschland das Bandoneon<br />

hinzu kam.<br />

Weil unter den Einwanderern erheblicher<br />

Frauenmangel herrschte, wurde der Tango<br />

häufi g von Männern getanzt. César<br />

erzählt, dass daher einer der Männer die<br />

Rolle der Frau übernehmen musste <strong>–</strong> und<br />

erst, wenn dieser sich bedingungslos führen<br />

ließ, konnte er zum wahren Tanguero<br />

aufsteigen. Es war wohl auch so, dass<br />

Männer vorsichtshalber untereinander<br />

übten, um sich vor den Frauen nicht<br />

bloßzustellen. Argentinischer Tango ist<br />

eine wehmütige, melancholische Musik<br />

und wie der Blues Ausdruck von Gefühlen<br />

wie Verlassenheit, Liebesschmerz oder<br />

Heimweh. Doch wie im Blues ist die<br />

Melancholie nie hoffnungslos oder Selbstzweck,<br />

sondern immer zugleich Ausdruck<br />

ungebrochener Hoffnung und Lebenslust<br />

<strong>–</strong> irgendwie muss es weitergehen.<br />

Während der Militärdiktatur war in


Argentinien das Tangotanzen verboten,<br />

da den Machthabern das enge Miteinander<br />

von Menschen aller Schichten<br />

auf der Tanzfl äche bedrohlich erschien,<br />

doch seit etwa fünfzig Jahren erlebt der<br />

Argentinische Tango weltweit ungeahnten<br />

Aufschwung. Er unterscheidet sich vom<br />

Tango als Standardtanz durch den weichen<br />

Fluss der Bewegungen, die choreographische<br />

Freiheit und die Tanzhaltung.<br />

Wie der Jazz entwickelt er sich ständig<br />

weiter und spiegelt durch immer neue<br />

Stilarten gesellschaftliche Veränderungen.<br />

Auch wenn „Tango“ sich nicht aus dem<br />

lateinischen tangere = berühren ableitet,<br />

was umstritten ist, bedeutet dieser Tanz<br />

ebenso die reale körperliche Berührung<br />

wie deren strengste Stilisierung. César<br />

ist sich sicher, dass allein schon die enge<br />

Umarmung, in der Tango Argentino<br />

getanzt wird, für viele Menschen „ein<br />

Schritt ins Ungewisse ist. Wir alle sehnen<br />

uns nach körperlicher Nähe, doch fällt es<br />

uns zugleich schwer, die sichere Distanz<br />

aufzugeben. Wer umarmen kann, kann<br />

auch Tango tanzen.“<br />

Die Umarmung zweier Menschen birgt<br />

Möglichkeit und Herausforderung zugleich.<br />

Sie ist elementarer Ausdruck nach<br />

emotionalen Bedürfnissen wie Ruhe,<br />

Wärme, Nähe, Trost, Freude, Lust, Liebe,<br />

sie kann am Beginn einer Beziehung<br />

stehen aber auch an deren Ende. Sie kann<br />

sogar Ausdruck von In-Besitznahme,<br />

Feindschaft, Kampf, ja, Tod sein. Der<br />

Reiz des Tango Argentino liegt in den<br />

Gegensätzen wie intensiver körperlicher<br />

Nähe und zugleich disziplinierter Körperhaltung,<br />

Selbstbewusstsein bei gleichzeitiger<br />

Selbstvergessenheit, geladener<br />

Spannung bei gleichzeitiger Leichtigkeit,<br />

oder dem Fluss der großen Bewegung<br />

und deren Verzögerung bis zum abrupten<br />

Innehalten, von Virtuosität und Intimität.<br />

Diese Gegensätze in Harmonie zu überführen,<br />

bewirken die herbe Eleganz und<br />

den erotischen Zauber des Tango Argentino.<br />

Carmen und César möchten nichts<br />

von der viel zitierten Leidenschaft wissen,<br />

die sich angeblich im Tango ausdrückt,<br />

schon gar nicht im Tango Argentino;<br />

hoch geschlitzte Kleider und eitle Effekte<br />

sind dessen Sache nicht, zumal dieser nur<br />

ein kleiner Teil der umfassenden Kultur<br />

des Tango in Argentinien ist. Mit Sexualität<br />

hat der Tango Argentino nichts zu tun.<br />

„Tango Argentino bedeutet eine ständige<br />

Suche nach der Vervollkommnung von<br />

Bewegungen, das wird nie langweilig und<br />

dauert ein ganzes Leben“, ergänzt César.<br />

Tango tanzen vollzieht sich in bestimmten<br />

Ritualen: Carmen sagt, dass früher<br />

selbstverständlich immer der Mann<br />

geführt hat, die Frau folgte seinen Vorgaben.<br />

Heute, im Zeitalter der Emanzipation<br />

ist das anders, auch im Tanz<br />

gibt die Frau nicht unbedingt nach, sie<br />

darf sogar eigene Vorschläge einbringen.<br />

Umgekehrt muss der moderne Mann<br />

Carmen und César<br />

29


30<br />

unter Umständen erst wieder lernen, seine<br />

Dame zu führen. César meint, als Lehrer<br />

entdecke man schnell die Persönlichkeit<br />

des Tänzers und könne ihm helfen, sich<br />

zu befreien und Selbstvertrauen zurückzugewinnen,<br />

selbst wenn das zuweilen viel<br />

Zeit und Geduld erfordert.<br />

Ein Tangotänzer, der das CaféADA von<br />

Anbeginn begleitet hat, erzählt, dass<br />

natürlich der Mann die Frau auffordert,<br />

doch „besonders in argentinischen Tangosalons<br />

steht das auch der Frau zu, allerdings<br />

gilt es für den Mann, blitzschnell<br />

auf einen Wimpernschlag zu reagieren.<br />

Wer in ein Tangolokal kommt, signalisiert<br />

Tanzbereitschaft. Früher, als hier noch<br />

alle an einem langen Tisch saßen, war das<br />

einfacher, man tanzte mit verschiedenen<br />

Partnern. Allerdings muss man erst die<br />

Tänze mit dem Kavalier der Dame abwarten<br />

und dann herausfühlen, ob man mit<br />

ihr tanzen darf. Sie schon nach ein oder<br />

zwei Tänzen an den Tisch zurückzuführen<br />

wäre sehr unhöfl ich. Wie eine Frau sich<br />

anfühlt weiß man vorher nie, sie kann<br />

gut trainiert aber ganz hart sein oder sehr<br />

wohlbeleibt und trotzdem tanzen wie eine<br />

Feder.“<br />

Tango Argentino ist eine Kommunikation<br />

besonderer Art, es gibt weder Smalltalk<br />

noch Keep Smiling. Die Tänzer geben sich<br />

der Musik und dem Fluss der Bewegung<br />

schweigend hin. „Wenn man Glück hat,<br />

so erlebt man für ganz kurze Augenblicke<br />

das Gefühl der vollkommenen Übereinstimmung,<br />

dann kann man eigentlich<br />

nach Hause gehen,“ sagt der Tangotänzer.<br />

Aber diesen Moment der Seligkeit möchte<br />

man immer wiederfi nden, auch dann,<br />

wenn es viel Mühe und Enttäuschungen<br />

kostet. Doch dafür gibt es ja die Kurse<br />

und die professionellen Lehrer!<br />

Der Tango verbindet zwar die Menschen,<br />

aber gerade deshalb kann er manchmal<br />

auch zum Prüfstein für Beziehungen werden.<br />

Carmen und César beobachten, dass<br />

die Paare schnell merken, ob es stimmig<br />

ist oder nicht. Der Tangotänzer sagt dazu:<br />

„Ich kann mit einer Frau frühstücken und<br />

Kinder großziehen, aber es kann sein, dass<br />

ich mit ihr keinen Tango tanzen kann.“ So<br />

kann es passieren, dass Beziehungen zerbrechen<br />

oder entstehen. Auf dem Parkett<br />

zählen weder Alter, Geschlecht, Herkunft<br />

oder Einkommen, sondern allein die<br />

Qualität des Tanzens.<br />

Im Laufe der letzten 15 Jahre haben<br />

immer wieder namhafte Lehrer unterrichtet,<br />

und jeder von ihnen hat den Tango<br />

weitergebracht, so dass sich das CaféADA<br />

den Ruf als Kulturstätte für die Entwicklung<br />

des Tango erworben hat. Dazu<br />

trägt auch das inzwischen zur Tradition<br />

gewordene Tangofestival in der Historischen<br />

Stadthalle bei, dessen Veranstalter<br />

Carsten Heveling ist. Mit dem CaféADA<br />

und neuerdings dem Barmer Bahnhof<br />

als weitere Austragungsorte ist es eins der<br />

größten Festivals der Welt. Immerhin<br />

kommen fast 90% der Besucher von<br />

weit her, und darauf darf Wuppertal stolz<br />

sein. Heveling ist übrigens einer der ganz<br />

wenigen Fachleute für die Restaurierung<br />

des klassischen Tango-Bandoneons und<br />

war im ADA einer der Organisatoren der<br />

ersten Stunde.<br />

1998 wurde der Verein „Mare“ e.V.<br />

gegründet. Vorsitzender ist Yener Sözen;<br />

der verstorbene Musiker Peter Kowald war<br />

einer der Gründungsmitglieder. „ADA“<br />

ist also die „Insel“, gleichsam umgeben<br />

vom „MARE“ der kulturellen Vielfalt. Es<br />

war die Idee von Mehmet Dok und Jean<br />

Laurent Sasportes, über die Tanzkurse<br />

hinaus ein breites kulturelles Programm<br />

anzubieten. Sasportes hat die künstlerische<br />

Leitung für Theater- und Tanzveranstaltungen<br />

inne. Sein Vorrat an Ideen ist<br />

unerschöpfl ich! Neben den etablierten<br />

Häusern wünschte er sich eine kleinere<br />

Bühne, auf der man experimentieren<br />

kann, etwa wie im Tanzhaus in Düsseldorf.<br />

So bietet das CaféADA jungen<br />

Tänzern und Choreographen ein Forum<br />

für interdisziplinäres Arbeiten. Die Reihe<br />

„Ikonoclaste“ (Bildersturm) meint das<br />

Ausbrechen aus künstlerischen Normen.<br />

Der Höhepunkt des vierten „Ikonoclaste“<br />

2011 war die Aufführung „carte blanche“<br />

mit Choreographien von und mit Tänzern<br />

des Tanztheaters Pina Bausch.<br />

Neben Aufführungen gibt es Jazzkonzerte,<br />

Ausstellungen, und vieles mehr. Unlängst<br />

hat die WDR-Bigband unmittelbar<br />

nach ihrem ersten Konzert den Wunsch<br />

geäußert, einen neuen Termin zu erhalten;<br />

Peter Brötzmann tritt hier auf, und man<br />

arbeitet mit der Musikschule zusammen.<br />

Leider fehlt es immer an Geld, und immer<br />

gibt es zu viel Bürokratie. So ist der Verein<br />

dankbar, dass ehrenamtlichen Mitarbeiter<br />

helfen, das Programm zu bewältigen und<br />

die technische Abteilung des Wuppertaler<br />

Tanztheaters Unterstützung leistet, - und<br />

zuweilen fi nden sich Sponsoren.<br />

Mehmet Doks Haus ist multikulturell,<br />

man spricht Deutsch, Englisch, Spanisch<br />

und natürlich Türkisch, denn die<br />

Mitarbeiter kommen aus verschiedenen<br />

Ländern. Auf meine Frage, wie sich Tango<br />

und muslimischer Glaube vereinbaren<br />

lassen, schaut er mich überrascht an:<br />

“Eigentlich sind alle Religionen mehr oder<br />

weniger körperfeindlich, Religionen spielen<br />

im CaféADA überhaupt keine Rolle.“<br />

Immerhin ist der Tango 2009 zum Weltkulturerbe<br />

ernannt worden. Kulturarbeit<br />

ist im ADA die Begegnung mit sich selbst<br />

und mit anderen, die durch den Tango<br />

vermittelt wird. „Die Symbiose war von<br />

Anfang an da, der Geist des Hauses und<br />

der Tango gehören zusammen“, sagt Yener<br />

Sözen. So erzählt Mehmet Dok stolz, das<br />

CaféADA sei gleichsam Pinas Bauschs<br />

Wohnzimmer gewesen, und man habe<br />

sich wie eine kleine Familie gefühlt.<br />

Tatsächlich ist die Tangogemeinde wie<br />

eine Familie, jeder ist willkommen, jeder<br />

hilft jedem, jeder kann hier tun was er<br />

möchte, schweigen, reden, lesen, spielen,<br />

arbeiten, essen oder eben tanzen. Für<br />

einen Stammgast der ersten Stunde, der<br />

nicht zum Tanzen sondern als passionierter<br />

Zuschauer kommt, ist dieses Haus „ein<br />

Ort hoher künstlerischer Qualität und<br />

Authentizität, der jenseits ausgetretener<br />

Kulturpfade künstlerische Besonderheiten<br />

bietet, die sonst nirgends zu haben<br />

sind. Man wird sofort von der einmaligen<br />

Atmosphäre des Hauses umfangen und<br />

verlässt es nie ohne bereichert worden zu<br />

sein. Hier treffen die verschiedenartigsten<br />

Menschen zusammen, man muss sich nur<br />

einlassen, dann passiert immer etwas.“<br />

Das alles macht der Tango möglich. Von<br />

diesem Tanz hat Tete Rusconi gesagt: „Wir<br />

verlieren den Tango, wenn wir ihn nicht<br />

respektieren.“ Darum braucht man im<br />

CaféADA keine Sorgen zu haben, man<br />

braucht nur hinzugehen.<br />

Informationen unter www.cafeada.de<br />

Marlene Baum<br />

Fotos CaféADA


Magischer Heiler und Erzähler<br />

Axel Munthe und der Traum von<br />

San Michele<br />

Etruskische Sphinx / Loggia der Villa<br />

Axel Munthe<br />

Er verfügte über einen inneren Kompass,<br />

der ihn mit untrüglicher Sicherheit<br />

durch seinen Lebensweg leitete.<br />

Wie nur wenige Menschen hörte er<br />

auf seine innere Stimme, der er mit<br />

unbedingter Konsequenz folgte. Nur so<br />

konnte er den unglaublich erscheinenden<br />

Lebenstraum verwirklichen, „seine“<br />

Villa San Michele in Anacapri wider<br />

alle praktische Vernunft zu errichten.<br />

Die Verwirklichung seines Lebenstraumes<br />

glaubte er durch den frühen<br />

Verlust seines Augenlichtes bezahlen zu<br />

müssen. Tragischerweise konnte er aufgrund<br />

dieser Erkrankung nicht soviel<br />

Lebenszeit auf seiner Traum-Insel Capri<br />

verbringen, wie er es sich erhofft hatte.<br />

Als Axel Munthe 1949 in Stockholm<br />

im Alter von 92 Jahren starb, fand<br />

man in seiner Tasche ein Ticket nach<br />

Capri, so als habe er geahnt, dass der<br />

Tod, gegen den er als Arzt gekämpft<br />

und mit dem als Autor gerungen hatte,<br />

ihn bald ereilen würde. Er wollte wohl<br />

dort sterben, wo er das größte Glück<br />

seines Lebens gefunden hatte: 1875<br />

hatte er im Alter von nur 18 Jahren die<br />

Insel besucht und war ihrem Charme<br />

erlegen. Er hatte die Vision, auf der<br />

Insel eine Villa zu errichten und dort zu<br />

leben. Zwölf Jahre und eine erfolgreiche<br />

Karriere als „Modearzt“ später hatte<br />

er sich diesen Traum verwirklicht: ein<br />

lichtdurchfl utetes Haus in schwindelerregender<br />

Lage, hart am Abgrund und<br />

mit Blick auf Neapel, Sorrent und den<br />

Vesuv.<br />

Eng verwandt mit der Gabe, auf die<br />

eigene innere Stimme hören und ihr<br />

folgen zu können, ist die Fähigkeit,<br />

die Triebfedern und Lebensmotive<br />

anderer Menschen zu erkennen. Sein<br />

Erfolg als Arzt beruhte zu großen<br />

Teilen auf diesem „tiefen Blick“, mit<br />

dem er in die Seelen der Menschen<br />

schaute und das komplexe Zusammenspiel<br />

von Körper und Psyche<br />

intuitiv ergründete. Er konnte sich<br />

ebenso in seine Patienten aus der<br />

Hautevolee <strong>–</strong> darunter gekrönte<br />

31


32<br />

Häupter <strong>–</strong> versetzen wie in diejenigen,<br />

die aus den untersten und ärmsten<br />

Schichten kamen und die er ohne Bezahlung<br />

behandelte. So gelangen ihm<br />

auf geradezu magische Weise unerwartete<br />

Heilerfolge, die seinen Namen<br />

als „Modearzt“ begründeten. Gerade<br />

aus Perspektive der Faszination für<br />

ein einfaches und bäuerliches Leben<br />

konnte er die Überspanntheiten und<br />

Neurosen seiner Patienten aus der<br />

High Society verstehen und heilen.<br />

Nicht nur wissenschaftliche Methode,<br />

sondern vor allem die magische<br />

Fähigkeit zur Einfühlung machten ihn<br />

zu einem überaus erfolgreichen Arzt.<br />

Magisch war auch sein Verhältnis<br />

zur Natur und insbesondere zu den<br />

Tieren, die er über alles liebte. Die<br />

Hunde und Affen, mit denen er lebte,<br />

waren ihm Freunde und Wegbegleiter,<br />

zu denen er eine größere Nähe<br />

empfand als wohl zu irgendeinem<br />

Menschen. Und unter den Menschen<br />

waren ihm die vermeintlich einfachsten<br />

die liebsten. Diese hatte er auf<br />

Capri gefunden.<br />

Dieser tiefe Blick und das Gefühl für<br />

die Beseeltheit der Natur, die er sich<br />

als Mensch und Arzt in einer Zeit<br />

zunehmender Wissenschaftsgläubigkeit<br />

bewahren konnte, machten ihn<br />

zugleich zu einem Schriftsteller, der<br />

hinter die Fassaden der „objektiven“<br />

Wirklichkeit schauen konnte. Er<br />

war ein großer Fabulierer und noch<br />

hinter seinen unwahrscheinlichsten<br />

Geschichten, die er erzählte, steckte<br />

ein großes Körnchen Wahrheit. Wohl<br />

deshalb konnte „Das Lied von San<br />

Michele“ mit weltweit etwa 30 Millionen<br />

verkauften Exemplaren eines<br />

der erfolgreichsten Bücher der ersten<br />

Hälfte des 20. Jahrhunderts werden.<br />

So wie „seine“ Villa San Michele<br />

zwischen Himmel und Erde schwebt,<br />

so schwebt auch dieses Buch zwischen<br />

Dichtung und Wahrheit. Doch gerade<br />

in diesem Schwebezustand enthält die<br />

Autobiographie Axel Munthes einen<br />

reichen Schatz an Weisheit und Poesie.<br />

Er war weder der größte Arzt noch<br />

der größte Schriftsteller, den die Welt<br />

je gesehen hat; aber er war einer der<br />

Menschen, die wie nur wenige andere<br />

<strong>–</strong> durch alle Wechselfälle des Lebens <strong>–</strong><br />

sich selbst treu geblieben sind. Leben,<br />

Beruf und schriftstellerisches Werk<br />

sind bei ihm eins, verschmelzen zu<br />

einem Gesamtkunstwerk. Gerade in<br />

unseren postmodernen Zeiten, in der<br />

wir uns selbst in der Beliebigkeit des<br />

„Anything goes“ zu verlieren drohen,<br />

kann daher das „Das Buch von<br />

San Michele“ für den heutigen Leser<br />

Kompass und Orientierung sein, den<br />

Mut und die Konsequenz zu haben,<br />

den ganz eigenen Weg zu gehen.<br />

Heiner Bontrup<br />

Text und Fotos<br />

Hermes / Loggia der Villa Axel Munthe


Museum Ludwig Köln<br />

Exponate aus dem Wohnhaus<br />

von Irene und Peter Ludwig<br />

bis zum 24. Juni 2012<br />

Candida Höfer<br />

Eupener Strasse Aachen IV 2011<br />

2011, C-Print, 152 x 189,6 cm<br />

© Candida Höfer, VG Bild-Kunst,<br />

Bonn 2011<br />

Im Andenken an Irene Ludwig<br />

Vor einem Jahr, am 28. November 2010,<br />

starb unerwartet Frau Prof. Dr. h.c. mult.<br />

Irene Ludwig. In ihrem Testament verfügte<br />

sie aus ihrem Nachlass spektakuläre Schenkungen<br />

und Dauerleihgaben für das Museum<br />

Ludwig und das Museum Schnütgen.<br />

Insgesamt 528 Werke aus dem Besitz von<br />

Prof. Ludwig bereichern nun auf Dauer<br />

die Kölner Sammlungen.<br />

Neben dem herausragenden Konvolut<br />

von Werken der Russischen Avantgarde<br />

verfügte Irene Ludwig auch, neun Werke<br />

aus ihrem privaten Haus als Dauerleihgabe<br />

an das Museum Ludwig zu geben.<br />

Darunter befi ndet sich der erste Ankauf<br />

des Ehepaars Ludwig im Bereich der<br />

Klassischen Moderne: ein Frühwerk von<br />

Karl Hofer, „Nach dem Bade“, aus dem<br />

Jahr 1912. Außerdem Werke von August<br />

Macke, Fernand Léger, Henri Matisse,<br />

Lyonel Feininger, Alexej von Jawlensky,<br />

Roy Lichtenstein, Jasper Johns und Jackson<br />

Pollock.<br />

Anlässlich ihres ersten Todestages hat<br />

das Museum Ludwig einen Raum mit<br />

jenen Werken eingerichtet, die aus<br />

dem Privathaus von Peter und Irene<br />

Ludwig stammen und nun erstmals<br />

der Öffentlichkeit präsentiert werden.<br />

Ergänzt wird diese Präsentation durch<br />

drei Werke von Candida Höfer, die die<br />

privaten Räume des Ehepaars Ludwig<br />

dokumentieren.<br />

„Von 1957 an hat es uns angespornt,<br />

in Museen durch unsere Erwerbungen Akzente<br />

zu setzen, und vollends nach 1968<br />

wurde uns bewusst, was uns vorantrieb:<br />

Mit unseren Taten wollten wir Informationslücken<br />

schließen. Wir wollten in die<br />

Öffentlichkeit bringen, was Bewegung<br />

auslöste und den Blick erweiterte“, so<br />

beschrieb Peter Ludwig die Motivation<br />

des Ehepaars. Diese Sammelleidenschaft<br />

prägte aber auch ihr direktes privates<br />

Umfeld. Im 1953 gebauten Wohnhaus<br />

waren die sich heute im Museum Ludwig<br />

33


efi ndlichen Kunstwerke Teil eines<br />

beeindruckenden Gesamtensembles von<br />

Kunstschätzen aus allen Kontinenten<br />

und aus den unterschiedlichsten Zeiten.<br />

Darüber hinaus ließen Peter und Irene<br />

Ludwig beim Bau alte Türen, Glasscheiben,<br />

Gitter und Keramikkacheln als<br />

Spolien in die Architektur einsetzen.<br />

Bevor die Kunstwerke in ihren neuen<br />

Aufenthaltsort im Museum Ludwig<br />

gebracht wurden, beauftragte die Peter<br />

und Irene Ludwig Stiftung die Kölner<br />

Künstlerin und Fotografi n Candida Höfer,<br />

die Innenräume des Hauses in ihrem<br />

Originalzustand zu dokumentieren. Drei<br />

dieser Aufnahmen hat Candida Höfer in<br />

einem repräsentativen Format vergrößert.<br />

Diese Werke wurden von der Peter und<br />

Irene Ludwig Stiftung für das Museum<br />

Ludwig erworben und sind ebenfalls erstmals<br />

zu sehen.<br />

Seit den frühen 1980er Jahren<br />

fotografi ert Candida Höfer (geb. 1944)<br />

öffentliche Räume wie Museen, Bibliotheken,<br />

Wartesäle, Zoos und Kurhäuser.<br />

Die Aufgabe solcher Räume ist es<br />

normalerweise, mit ihrer Einrichtung,<br />

Architektur und Beleuchtung zu repräsentieren.<br />

Zwar ändert Höfer keines der<br />

drei Elemente bei ihrer Arbeit, aber sie<br />

wechselt die Perspektive auf die in der<br />

Regel menschenleeren Räume. Auf diese<br />

Weise vermeidet sie, die Repräsentationsfunktion<br />

fotografi sch zu wiederholen,<br />

sondern deckt stattdessen die Geschichte<br />

und die heutige Wertschätzung der Orte<br />

auf. In ihrer Reihe „Sammlerräume im<br />

Rheinland“, die sie seit mehr als zehn<br />

Jahren verfolgt, zeigt Höfer darüber<br />

hinaus, wie Privatleute mit ihren Kunstwerken<br />

leben. Der unverwechselbare<br />

Stil von Candida Höfer macht auch den<br />

besonderen und außergewöhnlichen<br />

Umgang der Eheleute Peter und Irene<br />

Ludwig mit ihrer Kunst sichtbar, wählten<br />

sie doch immer bewusst Konstellationen,<br />

in denen die Werke in den Dialog<br />

mit anderen Kunstobjekten geraten:<br />

Die kristalline Struktur eines Feininger-<br />

Gemäldes korrespondiert mit perspektivischen<br />

Konstruktionen auf niederländischen<br />

Kacheln des 17. Jahrhunderts,<br />

oder Mackes „Elisabeth und Walterchen<br />

mit Wolf“ hängt in unmittelbarer Nähe<br />

einer Madonna mit Kind aus dem 12.<br />

Jahrhundert.<br />

Roy Lichtenstein<br />

Still Life with Pitcher and Apple<br />

1972<br />

Öl und Magna auf Leinwand<br />

152 x 114 cm<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />

Alexej von Jawlensky<br />

Stilleben mit braunem Krug<br />

1909<br />

Öl auf Pappe<br />

71 x 58 cm<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />

Karl Hofer<br />

Interieur (Nach dem Bade), 1912<br />

Öl auf Leinwand, 146,5 x 114 cm<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2011<br />

linke Seite:<br />

Candida Höfer<br />

Eupener Strasse Aachen II 2011<br />

2011, C-Print, 152 x 123 cm<br />

© Candida Höfer, VG Bild-Kunst,<br />

Bonn 2011<br />

bis 24. Juni 2012<br />

Öffnungszeiten:<br />

Dienstag bis Sonntag: 10 <strong>–</strong> 18 Uhr<br />

jeden 1. Donnerstag im Monat: 10 - 22 Uhr<br />

http://www.museum-ludwig.de/<br />

35


Begegnung von Kunst- und Naturschönem<br />

Die Musikreihe Klangart ging<br />

erfolgreich in die dritte Runde<br />

Linke Seite:<br />

Mola Sylla und Childo Thomas<br />

unten:<br />

Omar Sosa 'Afreecanos'<br />

Mitten im Herzen Wuppertals, in den 70er und 80er Jahren eines der Zentren des<br />

europäischen Free Jazz, hat sich nun schon im dritten Jahr mit „Klangart“ eine außergewöhnliche<br />

Musikreihe etabliert, die auf magische Weise das Publikum anzieht.<br />

Es ist die wohl einmalige Melange aus Kunst, Musik und Natur, die die Besucher von<br />

Klangart so in ihren Bann zieht.<br />

Hoch über dem Tal mit einem wunderbaren<br />

Blick bis hin zu den gegenüberliegenden<br />

Höhenzügen liegt inmitten eines<br />

großen Parks die im anthroposophischen<br />

Stil erbaute Villa des Industriellen Kurt<br />

Herberts. Nach dem Tode des Großunternehmers<br />

lagen Villa und Park lange<br />

in einem Dornröschenschlaf <strong>–</strong> bis der in<br />

Wuppertal lebende britische Bildhauer<br />

Tony Cragg diesen Ort für sich entdeckte.<br />

Zwischen altem Baumbestand und<br />

exotischen Pfl anzen begegnen Besucher<br />

heute Skulpturen Craggs und anderer<br />

international renommierter Künstler. Besonders<br />

intim und fein sind die Konzerte<br />

im gläsernen Pavillon, in dem Musik auf<br />

Bildende Kunst trifft. Die gläserne Haut<br />

des Kubus wirkt wie eine Membran, die<br />

den Austausch von Kunst- und Naturschönem<br />

ermöglicht.<br />

Vom Frühjahr bis zum Spätsommer<br />

spannte die von Dieter E. Fränzel kuratierte<br />

Musikreihe mit insgesamt neun<br />

Konzerten einen musikalisch weiten<br />

Bogen von Jazz über Improvisierte bis<br />

hin zur Weltmusik. Den Auftakt bildete<br />

das Konzert des New Yorker Avantgarde<br />

Saxofonisten Rob Brown. Ekstatisch<br />

und kompromisslos energetisch lotete er<br />

im Zusammenspiel mit dem Cellisten<br />

Daniel Levin die klanglichen Spektren<br />

ihrer Instrumente bis an den jeweils<br />

äußersten Rand aus. Mit Saadet Türköz,<br />

Conny Bauer und Martin Schütz begegneten<br />

einander drei herausragende artistische<br />

Musiker <strong>–</strong> und dennoch bot ihr<br />

Konzert mit dem treffenden Titel „Song<br />

Dreaming“ weit mehr als Instrumentalakrobatik,<br />

sondern war getragen von<br />

der Magie des Gesangs Saadet Öztürks,<br />

die Weisen aus ihrer Heimat Kasach-<br />

37


38<br />

Marilyn Mazur<br />

stan sowie traditionelle Gesänge aus<br />

Armenien und der Türkei in freie Improvisation<br />

transponierte und zugleich<br />

in musikalische Poesie verwandelte.<br />

Artistisch und <strong>–</strong> im Wortsinne <strong>–</strong> atemberaubend<br />

waren die Soli des Posaunisten<br />

Conny Bauer, die sicherlich in den<br />

Grenzbereich des technisch Machbaren<br />

führten. So wie Saadet Türköz waren<br />

auch die Pianistin Irène Schweizer<br />

und der Perkussionist Pierre Favre<br />

musikalische Wegbegleiter des viel zu<br />

früh verstorbenen Wuppertaler Wegbereiters<br />

des Free Jazz Peter Kowald.<br />

1968 gründeten Favre und Schweizer<br />

gemeinsam mit Peter Kowald und dem<br />

englischen Saxophonisten Evan Parker<br />

ein Quartett. Ihrem gemeinsamen<br />

Freund Kowald widmeten die beiden<br />

Protagonisten der Freien Improvisierten<br />

Musik ihr Konzert. „Man muss nur<br />

lang genug das Gleiche machen“, sagte<br />

Pierre Favre schmunzelnd angesichts<br />

des lang anhaltenden und begeisterten<br />

Applaus’. In den späten 60er Jahren<br />

war diese Musik noch auf Unverständnis<br />

und zum Teil auf offene Ablehnung<br />

gestoßen. Doch es war sicherlich nicht<br />

nur der lange Atem, sondern auch die<br />

herausragende musikalische Qualität<br />

der beiden Musiker, die sie und ihre<br />

Art der Musik erfolgreich machten;<br />

im Skulpturenpark beeindruckte<br />

insbesondere, wie sich der Dialog der<br />

beiden zu einer rhythmischen Strömung<br />

von hoher Dichter und Energie<br />

vereinigte.<br />

Auf den Spuren John McLaughins und<br />

Joe Zawinuls, die Anfang der 1970er<br />

Jahre die Fusion von Jazz und Rock<br />

vorantrieben und damit unzählige<br />

Crossover-Projekte initiierten, wandelte<br />

das „Radio.String.Quartett.Vienna“.<br />

Das Streichquartett <strong>–</strong> allesamt klassisch<br />

ausgebildete Musiker <strong>–</strong> arrangiert Kompositionen<br />

der Jazzrock-Veteranen so,<br />

dass sie wie kammermusikalische Ausfl<br />

üge in die Neue Musik klingen: eine<br />

zum Teil frappierende Balance zwischen<br />

klassisch stringenter Klangarchitektur<br />

und improvisatorischer Fantasie, in der<br />

Geist und Swing des Originals zuweilen<br />

noch nachschwingt. Äußerst fein gewoben<br />

waren auch die Arrangements einer<br />

der zurzeit wohl interessantesten und<br />

innovativsten deutschen Jazzformationen.<br />

Das Nils Wogram Septet schaffte<br />

einen gewaltigen Spagat zwischen zum<br />

Teil mit feiner Ironie formulierten musikalischen<br />

Kopfgeburten und wilden<br />

Bebop-Explosionen.<br />

Ein Hauch des großen alten Jazz<br />

durchwehte den Skulpturenpark beim<br />

Auftritt des Open Air-Konzerts der<br />

großen Perkussionistin Marylin Mazur,<br />

bekannt durch ihre Zusammenarbeit<br />

mit Giganten des Jazz wie Miles Davis,<br />

Gil Evans, Wayne Shorter und Jan<br />

Gabarek. In ihrem Konzert mit ihrer<br />

derzeitigen Formation „Marylin Mazur’s<br />

Group“ entführte sie die Zuhörer in ihren<br />

„Celestial Circle“ und übersetzte die<br />

Rhythmen der Natur <strong>–</strong> Schmetterlings-


schlag und Vogelfl ug <strong>–</strong> in Perkussion<br />

und Jazz. Rhythmisch komplex, fi ligran<br />

und energiegeladen zugleich, setzte<br />

Mazur Drumset und Schlagwerk nicht<br />

nur perkussiv, sondern auch melodiös<br />

ein, ein wunderschöner Herzschlag, der<br />

die Gruppe zu einem im besten Sinne<br />

einfachen und zu Herzen gehenden<br />

musikalischen Ausdruck trieb. Marylin<br />

Mazurs Spiel wirkte zugleich hoch<br />

artistisch und tief inspiriert.<br />

Ein absoluter Höhepunkt war der zu<br />

Recht sowohl von Publikum und Kritik<br />

gefeierte Auftritt des kubanischen<br />

Tastenmagiers Omar Sosa, der tags<br />

zuvor in Dresden mit dem „Echo Jazz“<br />

für seine gemeinsam mit der NDR<br />

Bigband eingespielte CD „Ceremony“<br />

ausgezeichnet worden war. Im Skulpturenpark<br />

präsentierte er mit seinem<br />

Quintett „Afreecanos“ eine magische<br />

musikalische Mixtur, zusammengebraut<br />

aus afrokubanischer Musik und World<br />

Musik. Ein das Publikum immer wieder<br />

in Erstaunen versetzendes, mitreißendes<br />

instrumentales und vokales Gefl echt,<br />

in denen die Klangwelten Kubas, New<br />

Yorks, des Senegals und Mozambiks<br />

aufstrahlten. Selten hat der Rezensent<br />

„Round Midnight“ schöner und „jetziger“<br />

gehört. Der senegalesische Sänger<br />

Mola Sylla intonierte im Falsett die Melodielinie<br />

des Standards im Duett mit<br />

dem Saxofonisten Leando Saint-Hill<br />

sanft und zu Herzen gehend, getragen<br />

von wenigen und sparsam gesetzten Akkorden<br />

Omar Sosas, der das Entscheidende<br />

aussparte und gerade so innerlich<br />

hörbar machte. Große Kunst.<br />

Nach einem Ausfl ug mit dem englischen<br />

Portico Quartett in einen ebenso<br />

poppigen wie exotisch angehauchten<br />

„Post Jazz“ fand Klangart einen überaus<br />

würdigen Abschluss mit dem Auftritt<br />

der Fado-Sängerin Cristina Branco. Von<br />

allen Sängerinnen, die auf den Spuren<br />

des portugiesischen Blues wandeln,<br />

erinnert ihre Stimme am stärksten an<br />

die der 1999 verstorbenen ungekrönten<br />

Königin des Fado, an Amália Rodriguez,<br />

die Melancholie und durchbrechende<br />

Lebensfreude so unnachahmlich miteinander<br />

verbinden konnte. Branco knüpft<br />

an diese Fado-Tradition an, entwickelt<br />

aber das musikalische Erbe ihres Heimatlandes<br />

behutsam weiter, indem sie<br />

ihn mit Elementen des Bossa Nova und<br />

des Tangos kombiniert. Die Sängerin beeindruckte<br />

das Publikum nicht nur mit<br />

ihrem Gesang, sondern auch durch ihren<br />

ganz eigenen Charme, mit dem sie die<br />

Zuhörer (und hier darf man wohl auch<br />

sagen: Zuschauer) in den Bann zog.<br />

Heiner Bontrup<br />

Fotos: Karl-Heinz Krauskopf<br />

Omar Sosa<br />

Cristina Branco<br />

39


40<br />

Das Tor zur Welt<br />

Die Fluxus-Bewegung in der<br />

Rückschau<br />

Eine verlockende Lektüre<br />

»Ich denke, hier ist Happening, da kann<br />

man machen, was man will«, meinte ein<br />

Gast, den man höfl ich aus der Galerie<br />

führte. Er hatte Happening verwechselt mit<br />

einer willkommenen Gelegen heit, bei der<br />

man alles kurz und klein schlagen kann.<br />

Die Happeningbewegung entwickelte sich<br />

in New York in Opposition zur akademisch<br />

erstarrten Attitüde des »Informel«. Die jungen<br />

Künstler hassten »malerische Qualität«<br />

und »edle Lichtführung«. Sie entdeckten<br />

stattdessen die Ästhetik der Au tofriedhöfe,<br />

der Schrotthalden und der Slums. Sie<br />

stellten das hergebrachte Schöne in Frage<br />

und die gewohnten Normen auf den Kopf.<br />

Ihre Kunst war nicht mehr das, was sie sein<br />

sollte, näm lich »schön«, sondern schockierend,<br />

obszön, grausam, politisch, langweilig,<br />

aggressiv und immer interessant. Die<br />

Happeningkunst erweiterte das Bewusstsein<br />

eines jeden, der sich auf sie einließ. Auch in<br />

der unerwarteten Entwicklung der Musik<br />

war sie ein eye-opener. Dazu ein Beispiel:<br />

Der Ungar György Ligeti sagte ein Konzert<br />

von acht Minuten Dauer an. Das geladene<br />

Publikum saß gespannt, als er sich an den<br />

Flügel setzte. Doch statt zu spielen, blieb er<br />

unbeweglich sitzen. Die Leute fi ngen an zu<br />

tuscheln, zu kichern, zu krähen, zu scharren<br />

und zu pfeifen. Schließlich wurde wütend<br />

geschimpft, und die Türen knallten. Pünktlich<br />

nach acht Minuten war das Konzert<br />

beendet. Die Musik hatte nicht Ligeti<br />

gemacht <strong>–</strong> sondern das Publikum.<br />

Bazon Brock forderte 1962 den berühmten<br />

Zoodirektor Grzi mek auf, ihn gleich den<br />

anderen Primaten auszustellen (Säugetier,<br />

aufrecht …). Bedingung war: Gute<br />

Behandlung, dreimal täglich Futter, Unrat<br />

’raus, Schreibmaschine/Papier und zehn<br />

Zigaret ten. Der Professor, dem der Sinn<br />

dieser Aktion verborgen blieb, lehnte ab.<br />

Wuppertal wurde durch Rolf Jährling ein<br />

wichtiger Platz für Happenings. Angetan<br />

mit einer elenden Jacke, auf deren Rücken<br />

in fetten Lettern »PRISONER OF WAR«<br />

gedruckt stand, stran dete er 1945 in Wuppertal.<br />

Er war Architekt und fand zunächst<br />

bei seinem großen Kollegen Heinz Rasch<br />

Arbeit und in den Trümmern von Elberfeld<br />

ein armseliges Zimmer. Schnell lernte er<br />

Freunde, Autoren, Tänzer und Schauspieler<br />

kennen, und sein Zimmer wurde zum Ort<br />

heißer Diskussionen, Lesungen und bald<br />

auch Ausstellungen. Aus dieser ungezwungenen<br />

Situation heraus ergab sich nach und<br />

nach eine nebenberufl iche Galerietätigkeit,<br />

und Jährlings unsterbliches Verdienst war<br />

es, dass er als erster Galerist in Deutschand<br />

junge ausländische Künstler einlud, um hier<br />

ihre Werke vorzustellen <strong>–</strong> in der Galerie<br />

Parnass. Man kann sich heute unseren<br />

Hunger nach internationaler Kunst gar<br />

nicht mehr vorstellen.<br />

Der erste Künstler war 1950 der Amerikaner<br />

Todd Webb, Shin kichi Tajiri 1951 der<br />

nächste, 1952 folgte mit Alexander Calder<br />

ein Höhepunkt. Die Galerie Parnass war<br />

das Tor zur Welt für uns, al lerdings für die<br />

Mehrzahl der Kritiker ein Ort des Schreckens.<br />

Jährling kam mit der Happening-Bewegung<br />

1957 in Köln mit Karlheinz Stockhausen in<br />

Berührung. Er lernte den jungen Koreaner<br />

Nam June Paik kennen, der gerade bei<br />

Wolfgang Fort ner sein Musikstudium beendet<br />

hatte. Die Examensarbeit hatte er in ein<br />

Happening umfunktioniert: Vier Stunden<br />

saß er medi tierend vor seinen Heften, dann<br />

stand er auf, klatschte ein rohes Ei an die<br />

Wand, gab die leeren Blätter ab und war<br />

durchgefallen. Der deutsch/französische<br />

homme de lettre, Jean-Pierre Wilhelm,<br />

schrieb über Paik: » … er befreit die Musik<br />

von jeder Systematik, er gibt uns den reinen<br />

Klang; dazu gehört auch das Scheppern<br />

von leeren Blechdosen auf Asphalt.« Paik<br />

sagte in den frühen 60er Jahren voraus, dass<br />

Künstler sehr bald »mit Transistoren, Kondensatoren<br />

und mit Laser arbeiten werden,<br />

wie heute mit Pinsel und Violine.«<br />

Jährling erkannte Paiks Qualität und lud ihn<br />

zu einer Schau, die 1963 stattfand und für<br />

die er ein Jahr Vorbereitung brauchte. Die<br />

Firma Ibach spendierte ihm damals zwei alte<br />

Klaviere, die er total umbaute. Eines dieser<br />

Instrumente heißt »Klavier Inté gral«, es steht<br />

heute im Museum für Moderne Kunst in<br />

Wien. Auf das andere Klavier musste Joseph<br />

Beuys während der Eröff nung der Schau mit<br />

einem Hammer einschlagen. Das Publikum<br />

war entsetzt und wollte ihn daran hindern,<br />

bis man merkte, dass diese Zerstörung Teil<br />

des Konzeptes war. Die Ausstellung hieß<br />

»Exposition of Music-Electronic Television«.<br />

Paik hatte Jährlings großes Haus mit<br />

Objekten vollgestopft, in der Badewanne<br />

von Jährlings Mutter lag zum Beispiel eine<br />

grausig zugerichtete Schau fensterpuppe<br />

unter Wasser, die Beine mit hochhackigen<br />

Schuhen ragten heraus. Vor der Haustür<br />

hing ein blutiger Kuhkopf, und ein Journa-


list schrieb: »Gründlich schockiert der Koreaner<br />

N. J. Paik die Gäste der exzentrischen<br />

›Galerie Parnass‹ schon am Eingang mit<br />

einem bluttriefenden Stierschädel, an dem<br />

vorbei man sich ins Innere der Gruselhöhle<br />

winden muss. Kommt man später heraus,<br />

wirkt er schon vertraut.« Auch war von<br />

»Kunst terrorismus« die Rede, sogar die Polizei<br />

wurde bemüht. Für Paik jedoch wurde<br />

die Schau zum internationalen Durchbruch.<br />

Seine Arbeiten fi nden sich in allen<br />

bedeutenden Museen der Welt. Die Schau<br />

stand <strong>–</strong> wie üblich <strong>–</strong> vier Wochen. In dem<br />

Durcheinander empfi ng Jährling ungerührt<br />

seine Bauherren, und die Angestellten saßen<br />

wie immer an ihren Tischen.<br />

Im selben Jahr folgte Wolf Vostells<br />

berühmtestes Happening. Er hatte diese<br />

Kunstrichtung in New York kennen gelernt<br />

und wurde zu einem ihrer einfallsreichsten<br />

Vertreter. Die geplanten Aktionen für<br />

»9 Nein-Décoll/agen« waren sehr schwer<br />

zu reali sieren, denn sie fanden an sieben<br />

verschiedenen Orten statt und mussten mit<br />

diversen Behörden abgestimmt werden. Der<br />

große Konvoi (Akteure und Gäste) wurde<br />

von der Polizei durch die Stadt begleitet.<br />

Der Präsident der Bundesbahndirektion<br />

erteilte die Erlaubnis, dass zwei Lokomotiven<br />

auf dem Rangierbahnhof in Vohwinkel<br />

einen quer zum Gleis stehenden Mercedes<br />

zerquet schen durften. Und in der Abenddämmerung<br />

kletterten wir in Küllenhahn<br />

einen Steinbruch herunter und erschraken<br />

tief, als mit ohrenbetäubendem Knall ein<br />

im Fels postierter Fernseher zerschossen<br />

wurde. Später wurden wir in einer düsteren<br />

Fabrik hinter Gitter gesperrt, während<br />

Wachhunde aufgeregt durch die Gänge<br />

hechelten. Ungewohnte und makabre<br />

Erlebnisse schüt telten unsere Gemüter<br />

durcheinander. Einige waren auch sehr<br />

komisch: In einem Gartenhäuschen wurde<br />

die (vielgehasste) bild-Zeitung mit Pfeffer<br />

und Parfüm gewürzt, im Starmixer gerührt,<br />

und der Akteur versuchte den grauen Brei<br />

zu essen.<br />

Vor genau 30 Jahren fand dann das wohl<br />

berühmteste europä ische Happening statt:<br />

»24 Stunden«. In die Galerie Parnass hatte<br />

Jährling geladen: Joseph Beuys, Bazon Brock,<br />

Eckart Rahn, Nam June Paik mit Charlotte<br />

Moorman, Tomas Schmit und Wolf Vostell<br />

als Akteure. »24 Stunden« ging in die Kunstgeschichte<br />

ein und ist nach wie vor Gegenstand<br />

von Studien und Publikationen.<br />

Man muss sich hüten, Happening mit<br />

Chaos und spontaner Zerstörungswut zu<br />

assoziieren. Wenn etwas zerstört wird, so ist<br />

es geplant. So gaben wir für »24 Stunden«<br />

einen alten Staubsau ger her. Unerwartet<br />

kam er später nicht nur zurück, er war sogar<br />

repariert!<br />

Jeder der sechs Akteure hatte einen eigenen<br />

Raum, das Pub likum wanderte hin und her<br />

oder setzte sich auf den Boden und sah zu.<br />

Vostell hatte im Gartensaal hohe Gestelle<br />

bis unter die Decke gebaut, in denen junge<br />

Leute eingepfercht lagen. Er selbst hantierte<br />

auf dem Boden liegend mit ekelhaften<br />

Fleischbrocken <strong>–</strong> zusammen ergab dies die<br />

Simulation einer KZ-Situation.<br />

Bazon Brocks Aktion hieß »Spuren des<br />

Lebens«. Aus Alltags gegenständen der<br />

Familie Jährling schuf er ein Environment,<br />

an der Wand schrieb ein unsichtbares Gerät<br />

während der 24 Stun den einen Satz. Brock<br />

selbst saß auf Jährlings Schreibtisch und<br />

plauderte angeregt mit den Besuchern, falls<br />

er nicht zufällig auf dem Kopf stand.<br />

Beuys hockte auf einem unbequemen<br />

Kasten, umgeben von Knochen, Drähten,<br />

einem Notenständer, einer Brottrommel<br />

voll Fett <strong>–</strong> lauter Dingen, mit denen er<br />

arbeitete. Auffallend war ein giftgrüner Hase<br />

aus Puddingpulver. Tags zuvor musste seine<br />

Eva den Pudding kochen. Beuys wurde<br />

kribbelig, weil er nicht fest werden wollte.<br />

Schließlich rief er wütend, was damals ganz<br />

unge hörig war: »Oetker ist Scheiße!« Seine<br />

Aktion hieß: » … und in uns … unter uns<br />

… landunter, 24 Stunden.« Das Publikum<br />

drängte sich um ihn und verfolgte seine<br />

Handlungen <strong>–</strong> auch eine unserer Töchter,<br />

die sich »wegen Grippe« in der Schule abgemeldet<br />

hatte. Leider entdeckte ihr Lehrer sie<br />

im Regionalfernsehen …<br />

Paik hatte sich in der Diele der Villa eingerichtet.<br />

Er arbeitete zusammen mit der<br />

amerikanischen Cellistin Charlotte Moorman,<br />

die zwei Jahre vorher in New York das<br />

Annual Festival der Avantgarde gegründet<br />

hatte.<br />

Die Instrumente, die Paik zum Musizieren<br />

benötigte, lagen um das Klavier verstreut:<br />

Stacheldraht, Löffel, Sirenen, Papiere, ein<br />

altes Kofferradio, ein Küchensieb, Dosen,<br />

enorme Büstenhalter, ein gerupftes Huhn<br />

und andere Gegenstände.<br />

Das Happening dauerte von 0 Uhr bis 24<br />

Uhr; die ganze Zeit durchwacht hat vermutlich<br />

nur Beuys. Eventuell noch die junge<br />

Wuppertaler Fotografi n Ute Klophaus, für<br />

die das Ereignis zum Beginn einer einzigartigen<br />

Karriere wurde: Sie heftete sich an die<br />

Fersen von Beuys und dokumentierte fortan<br />

jede seiner europä ischen Ausstellungen,<br />

Installationen und Aktionen.<br />

Für die Galerie Parnass bedeutete das<br />

aufregende Ereignis zu gleich das Ende.<br />

Büro, Galerie und Wohnung wurden aufgelöst<br />

und das Haus verschlossen. Jährling<br />

ging nach Afrika, Wuppertal hatte einen<br />

Glanzpunkt verloren! Die einst brisante,<br />

geschmäh te und verhöhnte Kunstform<br />

interpretiert man heute gelassen und<br />

erkennt die fruchtbaren Spuren, die sie<br />

in Musik, Literatur, in Theater, Kino und<br />

Tanz hinterlassen hat. Wir in Wuppertal<br />

brauchen nur an Pina Bausch zu denken.<br />

Vor 30 Jahren war jedes Happening noch<br />

Anstoß zu wütenden Diskussionen. Ein<br />

Journa list brachte die Stimmung auf den<br />

Punkt mit dem Ausruf: »Den Unfug sollte<br />

man verbieten!«<br />

Textauszug<br />

mit freundlicher Genehmigung TOP Magazin<br />

Stella Baum<br />

Kunst ist unwiderstehlich<br />

Feuilletons<br />

NordPark<br />

Stella Baum<br />

Kunst ist unwiderstehlich<br />

Feuilletons<br />

Herausgegeben von Marlene Baum und<br />

Donat de Chapeaurouge<br />

November 2011, Euro 15,00 [D]<br />

Englische Broschur, 188 S.<br />

Nordpark Verlag<br />

ISBN: 978-3-935421-76-8<br />

41


42<br />

Stella Baum, 1921 in Porz bei Köln<br />

geboren, ist in Köln und Wuppertal<br />

aufgewachsen. Nach dem Abitur arbeitete<br />

sie im Forschungslabor von Gerhard<br />

Domagk bei I. G. Farben. 1944 heiratete<br />

sie Gustav Adolf Baum, das Ehepaar hatte<br />

vier Kinder. In den 50er Jahren begannen<br />

TANZ ANZ TRÄUM TRÄUME<br />

Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch.<br />

Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal, 2011<br />

120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover<br />

ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - Friedrich-Engels-Allee 122<br />

42285 Wuppertal - Telefon 0202 - 28 10 40<br />

verlag@hpnackekg.de<br />

die Baums eine avantgardistische Kunstsammlung<br />

aufzubauen, wozu selbstverständlich<br />

Kontakte zu Künstlern, Galeristen,<br />

Museen und Sammlern gehörten.<br />

Von 1970 bis 1979 war Stella Baum im<br />

Vorstand des Kunst und Museumsvereins<br />

Wuppertal. 1976 und 1980 publizierte<br />

sie die Bücher »Der verborgene Tod.<br />

Auskünfte über ein Tabu« und »Plötzlich<br />

und unerwartet. Todesanzeigen«. In der<br />

Folgezeit schrieb sie regelmäßig für das<br />

Frankfurter Allgemeine Magazin und<br />

andere Zeitschriften. 1976 wurden Stella<br />

und Gustav Adolf Baum zu den ersten<br />

Ehrenbürgern der neu gegründeten Bergischen<br />

Universität in Wuppertal ernannt.<br />

Stella Baum starb 2006.<br />

Stella Baum <strong>–</strong> eine Frau voll Witz und<br />

Ironie und einem beneidenswerten Schreibtalent,<br />

das sie erst in fortgeschrittenem Alter<br />

nutzte. Dann aber gleich für die FRANK-<br />

FURTER ALLGEMEINE ZEITUNG, den<br />

SPIEGEL, EMMA und den Fischer Verlag.<br />

Mit Neugierde schaute sie in die Nischen<br />

der Gesellschaft, hinterfragte Tabuisiertes<br />

und Ungewöhnliches, schrieb über Tod<br />

und Prostitution.<br />

Entscheidend waren die Begegnungen<br />

mit der zeitgenössischen Kunst, die<br />

Freundschaft mit Künstlern der Avantgarde,<br />

ihren Galeristen und Museumsleitern.<br />

Stella und Gustav Adolf Baum<br />

förderten Künstler wie Joseph Beuys und<br />

Klaus Rinke <strong>–</strong> nicht nur durch Ankäufe<br />

<strong>–</strong>, als deren Werke noch weitgehend<br />

unbekannt waren.<br />

Der Kauf von Kunst war Stella Baum<br />

wichtiger als der Erwerb einer ersten<br />

Waschmaschine. Die Erlebnisse mit<br />

Künstlern und Galeristen sind höchst<br />

amüsant zu lesen. Sie vermitteln einen<br />

lebendigen Blick auf die Zeit der sechziger<br />

und siebziger Jahre, als die deutsche<br />

Kunstavantgarde, sowohl die heutigen<br />

»Großmeister« als auch ihre Galeristen,<br />

laufen lernte.


Annäherungen an ein Porträt von<br />

Eberhard Robke<br />

Mäzen, Unternehmer, Politiker<br />

An Fabrikanten, die sich für Kunst interessieren,<br />

an Politiker, die in die Wirtschaft<br />

gehen, oder an Kultur-Politiker ist<br />

man gewöhnt. Warum soll ein Mensch<br />

nur eindimensional gestrickt sein? Aber<br />

jemanden zu fi nden, der sein Leben<br />

lang, wenn auch mit unterschiedlichen<br />

Gewichtungen, ein erfolgreicher Unternehmer,<br />

ein geachteter Kunstmäzen und<br />

ein homo politicus war und ist, geschieht<br />

nicht alle Tage.<br />

Ein Wuppertaler, der sich in der Welt<br />

auskennt und immer wieder in die<br />

Heimatstadt zurückgekehrt ist: Eberhard<br />

Robke wurde am 25. November 1936<br />

in Wichlinghausen geboren und lebt<br />

heute am Katernberg. Sein Vater, der als<br />

Kriegsgefangener 1945 auf einem Transport<br />

in die UdSSR verhungerte, besaß<br />

ein Malergeschäft. 1957 starb die Mutter.<br />

Eberhard Robke geht, familiär bedingt,<br />

mit der Mittleren Reife vom Gymnasium<br />

ab, studiert aber berufsbegleitend Volks-<br />

und Betriebswirtschaft an einer Wuppertaler<br />

Akademie. „Berufsbegleitend“ heißt<br />

in diesem Fall, dass er 1958 bis 1960 als<br />

rechte Hand und Prokurist von Johannes<br />

Rau tätig war, dem damaligen Geschäftsführer<br />

des Jugenddienst- (und heutigen<br />

Peter-Hammer-) Verlages. Mit dem<br />

befreundeten „Bruder Johannes“ kreuzen<br />

sich noch oft die Wege: Robke ist Raus<br />

Nachfolger als Jungsozialistenchef, beide<br />

gingen in die damalige Gesamtdeutsche<br />

Volkspartei und erhielten am selben Tag,<br />

dem 1. Juni 1957, vom SPD-Ortsverein<br />

Wichlinghausen ihr Parteibuch überreicht,<br />

Rau war sein Trauzeuge, der Altbundespräsident<br />

besucht 2002 das von<br />

Robke nach der Wende übernommene<br />

und konsolidierte Glaswerk Ernstthal.<br />

Aber wir greifen vor.<br />

Gemeinsam mit Dr. Willfried Penner<br />

kommt Robke 1969 in den Rat der<br />

Stadt, dem er 15 Jahre angehören wird,<br />

davon 1982 bis 1984 in herausgehobener<br />

43


44<br />

Funktion als Vorsitzender der SPD-<br />

Fraktion. Drei Jahrzehnte, von 1964<br />

an, besitzt er im Kulturausschuss des<br />

Rates Sitz und Stimme. Beim Amtsverzicht<br />

von Oberbürgermeister Gottfried<br />

Gurland 1984 trägt ihm die SPD dessen<br />

Nachfolge an, doch Robke, zu sehr<br />

eingespannt in den Verpackungsbetrieb<br />

Pohli, sagt ab.<br />

Irgendwann Mitte der 1960er Jahre<br />

<strong>–</strong> Rau strebte ja ebenfalls nach Höherem<br />

<strong>–</strong> war Robke der Verlag, bei dem er<br />

Persönlichkeiten wie Helmut Thielecke,<br />

Hermann Ehlers, Gustav Heinemann<br />

und Adolf Scheu kennenlernte, „zu klein“<br />

geworden. Erfolgreich und ausgewählt<br />

unter 40 Bewerbern, trat er 1963 bei<br />

dem Verpackungsgroßhändler Pohli ein.<br />

„Seniorpartner sucht Nachfolger“ stand<br />

über der in der FAZ, der „Welt“ und dem<br />

„Generalanzeiger“ geschalteten Anzeige.<br />

Der neue Mitgesellschafter bewies eine<br />

glückliche Hand: Betrug der Umsatz<br />

1966 rund 2,7 Millionen DM, beläuft er<br />

sich heute auf 136 Millionen Euro.<br />

1981 lässt sich Robke bei Pohli als<br />

alleiniger Geschäftsführer in die Pfl icht<br />

nehmen, als der Seniorpartner verstirbt.<br />

Das Unternehmen wächst und wächst.<br />

Dann die Wende. Hat er bisher nur mit<br />

Glasfl aschen gehandelt, steigt er nun in<br />

deren Produktion ein und übernimmt<br />

1993 den in die roten Zahlen gewirtschafteten<br />

Volkseigenen Betrieb (VEB)<br />

Glaswerk Ernstthal in der gleichnamigen<br />

thüringischen Gemeinde. Es wird eine<br />

Erfolgsstory für Robke, seine Tochter<br />

Bettina, die am Aufbau des Unternehmens<br />

von Anfang an beteiligt ist, die<br />

Belegschaft und die ganze Region.<br />

Als glücklich erweist sich auch Robkes<br />

Engagement für den Kunst- und Museumsverein,<br />

den er 21 Jahre geleitet hat.<br />

Zu seiner Verabschiedung am 22. August<br />

2009 fanden Oberbürgermeister Peter<br />

Jung, der Direktor des Von-der-Heydt-<br />

Museums, Dr. Gerhard Finckh, und der<br />

Nachfolger im Amt des KMV-Vorsitzenden,<br />

Dr. Joachim Schmidt-Hermesdorf,<br />

lobende Worte für den Kunstkenner.<br />

Auf dem Cover der Einladungskarte sieht<br />

man Eberhard Robke vor dem Gemälde<br />

„Harlekin“ von Alfred Leithäuser, einem<br />

Künstler, der, 1898 in Barmen geboren,<br />

in München lebte und arbeitete, 1978<br />

den Von-der-Heydt-Preis der Stadt<br />

Wuppertal erhielt, bevor er ein Jahr<br />

später starb. Bereits Robkes Eltern <strong>–</strong> die<br />

Mutter war weitläufi g mit dem Maler<br />

verwandt <strong>–</strong> besaßen einen Leithäuser.<br />

Mittlerweile hat die Renate und Eberhard<br />

Robke Stiftung eine ganze Reihe von<br />

Gemälden, Zeichnungen und Skulpturen<br />

dem Museum oder dem Kunstverein<br />

übereignet, zuletzt noch, in der (Kunst-)<br />

Öffentlichkeit stark beachtet, Arbeiten er<br />

Georgierin Tamara K. E. und des Dänen<br />

Per Kirke<strong>by</strong>.<br />

Der Geschichten sind viele. Wie diejenige,<br />

in der die hochbetagte Inge Erbslöh,<br />

Tochter von Adolf Erbslöh, dem Vonder-Heydt-Museum<br />

rund 200 Grafi ken<br />

des Meisters schenken wollte. Also<br />

machen sich die damalige Direktorin<br />

Sabine Fehlemann und der seinerzeitige<br />

KMV-Vorsitzende Robke aus Wuppertal<br />

beziehungsweise aus Italien auf den Weg<br />

nach München. Wir schreiben das Jahr<br />

1997. Eberhard Robke kann lebhaft<br />

schildern, wie nervös die Museumschefi n<br />

wurde und darauf bestand, „dass wir<br />

die Mappen gleich mitnehmen“. In der<br />

bayerischen Landeshauptstadt wurden<br />

dann zwei Koffer erstanden, die groß<br />

genug waren, die wertvollen Grafi ken<br />

aufzunehmen, und ab ging es im Flieger<br />

nach Düsseldorf.<br />

Sicherlich ist Eberhard Robkes Leben in<br />

den letzten Jahren ruhiger und beschaulicher<br />

geworden. Manchen Abend sitzen<br />

Waltraud und Eberhard Robke im<br />

Wohnzimmer und lesen sich abwechselnd<br />

Romane und Abhandlungen vor<br />

<strong>–</strong> zur Zeit von Giuseppe Tomasi di Lampedusa<br />

bis Heinrich Heine. Seit 2007 ist<br />

er zum zweiten Mal verheiratet, nachdem<br />

zwei Jahre zuvor seine erste Frau<br />

verstorben war. Aber noch heute lässt er<br />

sich werktäglich die Umsatz- und weitere<br />

Zahlen von Pohli und der Glashütte auf<br />

seien iPad spielen, verfolgt die Politik<br />

in Wuppertal und darüber hinaus über<br />

die Lektüre von Zeitungen und Zeitschriften,<br />

lässt sich, so er sich zu Hause<br />

aufhält, keine größere Vernissage in<br />

seiner Heimatstadt entgehen. Man kennt<br />

ihn: im Rathaus, im SPD-Ortsverein, als<br />

Unternehmer und als Mäzen. Bleib uns<br />

noch lange erhalten, Eberhard.<br />

Matthias Dohmen


Neue Kunstbücher<br />

Ein Thema, knapp gefasst<br />

Vorgestellt von Thomas Hirsch<br />

Manche Kunstbücher haben etwas ausgesprochen<br />

Pragmatisches, das sich fast konträr<br />

zur Erwartung des Bilderreichen, fein<br />

Gestalteten gerade in diesem publizistischen<br />

Genre verhält. Die Bilder sind dann eher als<br />

Teil des Ganzen reproduziert und die Grenze<br />

zwischen Feuilleton und Wissenschaft ist<br />

mitunter schwer zu ziehen. Dem Metier des<br />

Kunstbuches hat nur bedingt gut getan, dass<br />

die Grafi ker eine solche Macht über ihren<br />

Look gewonnen haben und die Museumsleute<br />

und Kunsthistoriker wohl bereitwillig<br />

ihre Begeisterung für das Einzelbild aus der<br />

Hand gegeben haben.<br />

Das scheint auch dem Katalogbuch<br />

„Gesamtkunstwerk Expressionismus“,<br />

erschienen bei Hatje Cantz anlässlich<br />

einer Ausstellung auf der Mathildenhöhe<br />

Darmstadt, zugrunde zu liegen. Aber hier<br />

basiert die Integration der Bildenden Kunst<br />

in den Text- und den grafi schen Korpus auf<br />

einer profunden inhaltlichen Idee. Vorgestellt<br />

wird die Epoche des Expressionismus<br />

in Deutschland mit allen ihren Gattungen,<br />

neben der Bildenden Kunst mit der Literatur,<br />

dem Theater, dem Film, dem Tanz und<br />

der Architektur, auch der Musik und dem<br />

Design. Eine Intention ist, die Wechselwirkungen<br />

und Parallelentwicklungen der<br />

Gattungen herauszuarbeiten. Als Maß dient<br />

die Zeitspanne von 1905 bis 1925, also die<br />

Zeit vor und zwischen den Kriegen, der<br />

wirtschaftlichen Zusammenbrüche und<br />

der glanzvollen Feste des großstädtischen<br />

Bürgertums zwischen Neuerfi ndung des<br />

Gesamtkunstwerk Expressionismus, 512 S.<br />

mit 467 Abb., geb. mit Schutzumschlag,<br />

31 x 25,6 cm, Hatje Cantz, 58,<strong>–</strong> Euro<br />

Individuums und rauschhafter Erfahrung.<br />

Strukturiert wird das Buch durch 16<br />

Textbeiträge, die sich auf einzelne Aspekte<br />

konzentrieren. Die Abbildungen aus den<br />

unterschiedlichen Genres verhalten sich als<br />

atmosphärischer Bilderbogen, integriert sind<br />

auch Beispiele der Literatur. Auch wenn die<br />

Artikel, die meisten von echten Spezialisten,<br />

gelungen sind und die Auswahl der<br />

Abbildungen hilfreich ist, so wirkt das Buch<br />

im ganzen doch leicht chaotisch. Bei aller<br />

Stringenz im komparativistischen Ansatz<br />

und der Hinwendung zum Lese-Buch: Vielleicht<br />

hätte man den Bildern mehr Raum<br />

lassen sollen: als Struktur, zur Beruhigung,<br />

zur visuellen Verdeutlichung, als Werke für<br />

sich...<br />

Demgegenüber zeichnet sich das Katalogbuch<br />

„Die Entdeckung des Menschen“<br />

im Hirmer Verlag durch Gelassenheit und<br />

Großzügigkeit aus <strong>–</strong> auch wenn es selbst<br />

ebenfalls nur bedingt den Kunstwerken<br />

den hinreichenden Platz einräumt, diese<br />

vielmehr in den Text eingliedert. Als Abschiedsausstellung<br />

von Karl Schütz, dem<br />

bisherigen Direktors des Kunsthistorischen<br />

Museums Wien, konzipiert, widmet sie<br />

sich dem Porträt in der deutschen Kunst<br />

um 1500 mit den Meistern Lucas Cranach,<br />

Albrecht Dürer und Hans Holbein im<br />

Gravitationszentrum, um das herum weitere<br />

Künstler mit exzellenten Werken vorgestellt<br />

sind. Auch hier folgt der Ablauf einzelnen<br />

Texten; zu den Autoren gehören Stephan<br />

Kemperdick und Johannes Sander <strong>–</strong> also auf<br />

das Hochkarätige der Kunstwerke wird mit<br />

der Liste maßgeblicher Experten reagiert.<br />

Tatsächlich setzt das Buch an einem zentralen<br />

Thema der Kunstgeschichte an: an der<br />

Emanzipation der Kunst an der Schwelle<br />

von der Gotik zur Renaissance. Das Porträt<br />

erweist sich nun als wichtiges Genre;<br />

dargestellt sind nicht mehr ausschließlich<br />

biblische Szenen und kirchliche Persönlichkeiten,<br />

sondern auch die weltlichen Fürsten<br />

und reichen Patrizier als Auftraggeber sowie<br />

wissenschaftliche, gesellschaftliche Größen<br />

und (vor allem bei den Zeichnungen) das<br />

Bürgertum. Zum Ausdruck kommt das<br />

erstarkte Selbstbewusstsein des Bürgertums<br />

und die weitere Etablierung des Künstlers<br />

als autonomer Berufsstand. In diesen<br />

Kunstwerken nun ist der Mensch Individuum;<br />

festgehalten werden Wahrheit und<br />

Idealisierung, im Hinblick auf die spätere<br />

Erinnerung. Oder gesellschaftlicher Stand<br />

Dürer <strong>–</strong> Cranach <strong>–</strong> Holbein, Das deutsche<br />

Porträt um 1500, 350 S. mit ca. 340<br />

Farbabb., geb., Hardcover, 28,5 x 24,5 cm,<br />

Hirmer, 39,90 Euro<br />

wird vor Augen geführt; dann wieder zeigen<br />

die Künstler Schönheit und die Schönheit<br />

und Weisheit des Alters. Zwischen idealtypischer<br />

Stilisierung vor neutralem Grund<br />

und präzisem Realismus entfaltet sich um<br />

1500 ein Spektrum an Ausdrucksmöglichkeiten.<br />

Das Buch zur Ausstellung trägt<br />

Züge einer Enzyklopädie, auch weil es<br />

sich nicht auf Malerei beschränkt, sondern<br />

Skulptur, Zeichnung, den Kupferstich und<br />

die Glyptik einbezieht <strong>–</strong> und mit einem<br />

Mal wird deutlich, was für einen Schatz an<br />

Kunst man hier, zusammengefasst zwischen<br />

zwei Buchdeckeln, vor sich hat. Ausgestellt<br />

waren die Meisterwerke <strong>–</strong> mit etwas unterschiedlicher<br />

Gewichtung <strong>–</strong> außer in Wien<br />

in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung<br />

in München 2011/12. Der Spagat zwischen<br />

ästhetischer Anschaulichkeit und Präzision<br />

der wissenschaftlichen, aber verständlichen<br />

Vermittlung gelingt nun im Buch.<br />

Aber sind es nicht vielleicht doch die<br />

Themenausstellungen heutiger Kunst, die<br />

sich ganz den schönen Dingen widmen<br />

können, bei denen Opulenz und grafi sche<br />

Finesse einen weiteren <strong>–</strong> inhaltlichen <strong>–</strong> Sinn<br />

machen könnten? Freilich sind die Ausstellungen<br />

selbst oft eine zweischneidige Sache.<br />

Auch Künstler, die eigentlich zu einem<br />

Thema wenig bis nichts zu sagen haben<br />

und dieses vielleicht nur mit einer Arbeit<br />

aufgreifen, werden zu einer derartigen Schau<br />

eingeladen. Und dies führt in der Folge<br />

45


46<br />

dazu, dass wir bestimmte Künstler lediglich<br />

von Themenausstellungen zu sehr unterschiedlichen,<br />

manchmal auch schwammig<br />

formulierten Themen bzw. Fragestellungen<br />

kennen. Die Gefahr der Beliebigkeit ist also<br />

groß.<br />

Dem ist auch die Ausstellung „Weltraum.<br />

Die Kunst und ein Traum“ <strong>–</strong> gleichfalls zu<br />

einer Ausstellung in Wien, und zwar in der<br />

dortigen Kunsthalle <strong>–</strong> ausgesetzt. Aber im<br />

Katalog nimmt die zeitgenössische Kunst<br />

nur einen Teil der Darstellung ein. In der<br />

multimedial angelegten Ausstellung müssen<br />

sich die Arbeiten der Künstler von Michael<br />

Snow bis Mariko Mori und Björn Dahlem<br />

gut gemacht haben und die verschiedenen<br />

Aspekte zum Kontext zwischen Recherche<br />

und Einfühlung, Ironie und Utopie verdichtet<br />

haben. Zwar sind Charles & Ray Eames<br />

hier vertreten, aber die ZERO-Künstler<br />

oder, für die jüngere Kunst, Björn Melhus<br />

sind ausgelassen, vielleicht auch vergessen<br />

worden... Wichtig ist die Kontextualisierung<br />

im Katalog, der noch der Mythisierung<br />

der Astro- und Kosmonauten oder den<br />

Aspekten der Aufhebung der Schwerkraft<br />

nachgeht und eine Anthologie literarischer<br />

Texte bereithält. Der Clou aber ist die<br />

Gestaltung. Attraktiv im Goldumschlag mit<br />

dunkelblauer Schrift, entspricht das Buch<br />

instinktiv dem Themenbereich Weltraum<br />

und Raumfahrt. Und es gehört mit zu den<br />

schönsten Kunstbüchern des vergangenen<br />

Jahres.<br />

Weltraum. Die Kunst und ein Traum, 320<br />

S., üwg. farb. Abb., geb., Broschur mit<br />

Siebdruck, 25 x 20 cm, Verlag für Moderne<br />

Kunst, 40,- Euro<br />

Oceanomania:<br />

Souvenirs of Mysterious Seas. A Mark<br />

Dion Project, 192 S. mit farbigen Papieren<br />

und durchgehend Farb- und s/w-Abbildungen,<br />

geb., Hardcover mit Prägung,<br />

30,4 x 22 cm, Mack, 50,- Euro<br />

Schöner ist (nur) „Oceanomania“ <strong>–</strong><br />

schon im Titel dieses Buches steckt das ganze<br />

Programm zwischen Akkuratheit und der<br />

Besessenheit, die zur Durchsetzung nötig ist.<br />

Die Ausstellung, die im ozeanographischen<br />

Museum und dem Nationalmuseum in<br />

der Villa Paloma in Monte Carlo zu sehen<br />

war, und das Buch sind ein Kunstprojekt<br />

des Amerikaners Mark Dion, das nicht mit<br />

Reizen und Attraktionen geizt. Es verwebt<br />

Kulturgeschichte mit zeitgenössischer<br />

bildender Kunst, es stammt aus der Welt<br />

der Wunderkammern und Schatzkisten und<br />

ist doch eine Sache der Forschungslabore<br />

unserer Tage. Gewiss ist es fast eine Umkehrung<br />

von „Der Weltraum“ <strong>–</strong> nun geht es in<br />

die Tiefe und hier wird die Idee der Ästhetik<br />

weiter getrieben, auch hier wird Gold<br />

eingesetzt, als geprägte Schriftfarbe und als<br />

Goldschnitt. Mark Dion, der selbst zu den<br />

wichtigen Künstlern an der Schnittstelle von<br />

Naturwissenschaft und Transformation der<br />

Natur gehört, hat ein ernstes Anliegen thematisiert,<br />

die Ausbeutung der Meere und das<br />

Aussterben der Tierrassen. Schönheit und<br />

Zerstörung sind das zentrale Begriffspaar,<br />

vorgetragen von Künstlern wie Bernard Buffet,<br />

Matthew Barney und Katharina Fritsch<br />

und auch mit reichlich Referenztexten, leider<br />

alles nur auf englisch. Aber „Oceanomania“<br />

ist fabelhaft. Es ist wahrscheinlich das<br />

schönste Buch des vergangenen Jahres.


Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />

Vorgestellt von Matthias Dohmen<br />

1.300 Stichwörter auf rund 350 Seiten:<br />

„Das Politiklexikon“ von Klaus Schubert,<br />

Professor für Politikwissenschaft in<br />

Münster, und Martina Klein, Historikerin<br />

aus Datteln, informiert den politisch<br />

interessierten Bundesbürger kurz, knapp<br />

und präzise. Das Werk enthält Begriffe<br />

aus der aktuellen Politik, der jüngeren<br />

Geschichte und der Ideengeschichte.<br />

Leider fehlt ein Register, so dass man<br />

etwa den „kalten Krieg“ oder die Friedensbewegung<br />

vergeblich sucht und bei<br />

„verwandten“ Begriffen fündig werden<br />

muss. Eine gedrängte, nützliche Übersicht<br />

verschaffen die „Zeitleisten“ zur<br />

Geschichte Deutschlands „ab 1945“<br />

beziehungsweise „ab 1949“ sowie zur europäischen<br />

Integration. Das arge Problem<br />

der Proportionen: Der FDP widmen die<br />

Autoren zwei Drittel des Raums, den die<br />

SPD einnimmt.<br />

Klaus Schubert/Martina Klein, Das Politiklexikon.<br />

Begriffe, Fakten, Zusammenhänge,<br />

Bonn: J. H. W. Dietz 5. erw. Aufl . 2011.<br />

349 S., 19,90 Euro<br />

Grandios: Ein Rahmenthema sowie<br />

Forschungsberichte und Sammelrezensionen<br />

vereinigt auch der 51. Band (2011)<br />

des „Archivs für Sozialgeschichte“<br />

der Friedrich-Ebert-Stiftung in Bonn.<br />

21 Autoren beschäftigen sich mit dem<br />

Schwerpunkt „Säkularisierung und Neuformierung<br />

des Religiösen“. Der Bogen<br />

wird weit gespannt, sowohl thematisch<br />

als auch regional und oft vergleichend.<br />

So stehen Beiträge über die „katholische<br />

Welle der ‚Stunde Null‘“ im Nachkriegs-<br />

Deutschland, -Italien und -Frankreich<br />

und dem „Wandel des katholischen<br />

Friedensengagements in den USA und<br />

der Bundesrepublik“ neben Aufsätzen<br />

über „Kirchliche Präsenz in der Fabrik:<br />

Das Experiment der französischen<br />

Arbeiterpriester“ und der „kirchlichen<br />

Wahrnehmung ‚des Islam‘ seit den<br />

1960er Jahren“.<br />

Bemerkenswert: die Sammelrezension zur<br />

deutschen Vereinigung aus den „Jubiläumsjahren“<br />

2009 und 2010 sowie der<br />

Forschungsbericht „Zur Geschichte des<br />

Hörens“.<br />

Archiv für Sozialgeschichte. Bd. 51 (2011),<br />

Bonn: J. H. W. Dietz 2011. 782 S., 68,00<br />

Euro<br />

Mitunter etwas umständlich und<br />

langatmig, aber dennoch verdienstvoll<br />

ist die feministisch inspirierte Arbeit<br />

der fi nnischen Autorin Katriina Lehto-<br />

Bleckert über Ulrike Meinhofs „Weg<br />

zur Terroristin“. Der Historikerin ging<br />

es darum zu zeigen, dass Meinhofs<br />

„Leben noch aus etwas anderem bestand<br />

als ‚nur‘ der Mitgliedschaft in der<br />

berühmt-berüchtigten RAF“ (S. 13).<br />

Die bisherige Wahrnehmung „einer intellektuellen<br />

Frau“ sei nicht zuletzt im<br />

Gefolge der immer wieder nachgebeteten<br />

Darstellung ihres Ex-Ehemannes<br />

Klaus Rainer Röhl zu sehr männlich<br />

geprägt.<br />

Über zehn Jahre hat sich Lehto-Bleckert<br />

mit Meinhof beschäftigt. Ihrem<br />

Anspruch, deren Leben nach entscheidenden<br />

Momenten wie dem Sprung<br />

aus dem Fenster (und in die Illegalität)<br />

1970 aufzuarbeiten, wird sie nur eingeschränkt<br />

gerecht. Gleichwohl: So viel<br />

Ulrike Meinhof war noch nie.<br />

Katriina Lehto-Bleckert, Ulrike Meinhof<br />

1934-1976. Ihr Weg zur Terroristin, Marburg:<br />

Tectum 2011 (= Wissenschaftliche<br />

Beiträge, Reihe Geschichtswissenschaft, Bd.<br />

12). 714 S., 29,90 Euro<br />

47


48<br />

TANZTRÄUME<br />

Jugendliche tanzen „Kontakthof“<br />

von Pina Bausch.<br />

Das Buch zum Film von Anne<br />

Linsel und Ulli Weiss.<br />

TANZ ANZ TRÄUM TRÄUME<br />

JUGENDLICHE TANZEN<br />

KONTAKTHOF<br />

VON<br />

PINA BAUSCH<br />

DAS BUCH ZUM FILM<br />

VON ANNE LINSEL UND ULLI WEISS<br />

VERLAG <strong>HP</strong> NACKE WUPPERTAL<br />

Tanzträume<br />

Jugendliche tanzen „Kontakthof“<br />

von Pina Bausch.<br />

Das Buch zum Film von Anne Linsel<br />

und Ulli Weiss<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal, 2011<br />

120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover<br />

ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro<br />

Tanzträume<br />

Ein Jahr nach seiner Premiere legt die<br />

Wuppertaler Kulturjournalistin Anne Linsel<br />

nun das Buch zu ihrem Film „Tanzträume.<br />

Jugendliche tanzen ‚Kontakthof’ von Pina<br />

Bausch“ mit Fotografi en von Ulli Weiss vor.<br />

Zahlreichen Aufnahmen, die während der<br />

Proben entstanden, sind Originalzitate aller<br />

Beteiligten zur Seite gestellt. Zusammen<br />

mit Szenefotografi en des von Jo Ann Endicott<br />

und Bénédicte Billiet einstudierten<br />

Stücks geben sie ein berührendes Zeugnis<br />

eines der letzten großen Projekte der 2009<br />

verstorbenen Choreographin wieder. Im<br />

Zentrum der aufwendig gestalteten Dokumentation<br />

steht der Abdruck des letzten<br />

Interviews von Pina Bausch vor ihrem<br />

Tod. Ein Überblick über die wichtigsten<br />

Presse-Stimmen zur Filmpremiere während<br />

der Biennale im Jahr 2010 vermittelt die<br />

deutschlandweite Begeisterung von „Tanzträume“,<br />

die Festivalliste dokumentiert den<br />

großen weltweiten Erfolg des Films.<br />

„Etwas von sich selber zeigen, sich überwinden...“<br />

Dieses Grundprinzip ihrer choreographischen<br />

Arbeit forderte Pina Bausch<br />

mit Gewinn auch von ihren jugendlichen<br />

Tänzern. Das 1978 uraufgeführte Stück<br />

über das stets prekäre Verhältnis zwischen<br />

Männern M und Frauen wurde im Jahr 2000<br />

mit m Laien, mit Damen und Herren ab 65<br />

Jahren J einstudiert, bevor 2007 die Arbeit<br />

mit m Schülerinnen und Schülern verschiedener<br />

n Wuppertaler Schulen und Schulformen<br />

begann. b „Ihr müsst Ihr selbst bleiben, mit<br />

all a den Qualitäten und Raffi nessen, die ein<br />

Mensch M hat,“ ermutigte die Choreographin<br />

die d über 40 Jugendlichen aus Wuppertal,<br />

ihre i Ängste zu überwinden, etwas auszuprobieren<br />

b und das Stück zu ihrem eigenen zu<br />

machen. m Am Ende der Proben war aus den<br />

Jugendlichen J - teilweise mit Migrationshintergrund<br />

t -, die sich vorher kaum kannten,<br />

<strong>–</strong> eine feste freundschaftlich verbundene<br />

Gemeinschaft G geworden.<br />

Pina Bausch kam 1973 auf Bitten<br />

des d damaligen Generallintendanten der<br />

Wuppertaler W Bühnen nach Wuppertal. Von<br />

Beginn B an begleitete Anne Linsel die Arbeit<br />

Pina Bauschs journalistisch; „Kontakthof“<br />

war immer eines ihrer Lieblingsstücke.<br />

Das Vertrauen, das in der langjährigen<br />

Zusammenarbeit gewachsen war, bildete<br />

die Basis für die äußerst sensible fi lmische<br />

Begleitung der Proben zu „Kontakthof“.<br />

Zusammen mit Kameramann Rainer<br />

Hoffmann hatte Anne Linsel ein Jahr lang


50<br />

Flutra Ajvazi, Kira Clemens, Philipp<br />

Danisch, Timo Dieckmann, David Erler,<br />

Maria Färber, Margarita Fast, Anastasia<br />

Friesen, Marvin George, Soeren Keup, Jonas<br />

Kieran Kosmoll, Lydia Kumi, Jan Lade,<br />

Kim Christin Lörken, Katja Manke, Safet<br />

Mistele, Jaqueline Palilla, Lennard Pfennig,<br />

Jonas Quatuor, Mona Remfort, Ramona<br />

Rexfort, Alexandros Sarakasidis, Katharina<br />

Schüller, Andy Sichui, Björn Tappert, Joy<br />

Wonnenberg<br />

exklusiv die Arbeit der Jugendlichen begleitet.<br />

Den großen Erfolg der Premiere von<br />

„Tanzträume“ erlebte Pina Bausch indes<br />

nicht mehr.<br />

Die überwiegend farbigen Fotografi -<br />

en von Ulli Weiss spiegeln nicht minder<br />

eindrucksvoll die Intensität der Arbeit mit<br />

den Jugendlichen wider. Nahaufnahmen<br />

der Tanzfi guren sprechen von aufbrechenden<br />

Gefühlen; Porträtstudien der konzentrierten<br />

Gesichter wechseln mit Ansichten<br />

des Ensembles. In ihnen entfaltet sich der<br />

große Spielraum zwischen zarter Erotik<br />

und kindlicher Verspieltheit, Anmut und<br />

Gewalt, Angst und Vitalität, den die jungen<br />

Protagonisten überzeugend auszuloten<br />

wissen. Nicht zuletzt zeigt die Dokumentation<br />

der Inszenierung, wie „Nähe und sogar<br />

körperliche Berührungen unter Schülern<br />

und zwischen Schülern und Lehrern“, die<br />

„fühlbare, einfühlsame Zuneigung [...]<br />

ohne jede Zudringlichkeit, Überwältigung<br />

oder gar Machtmissbrauch“ (Peter von<br />

Becker) möglich sind und trägt damit nicht<br />

unerheblich zu einer aktuellen Debatte bei.<br />

Anne Linsel lebt in ihrer Geburtstadt<br />

Wuppertal. Nach dem Studium der Kunst<br />

und Kunstgeschichte arbeitet sie bis heute<br />

regelmäßig für den Hörfunk. Sie war für<br />

„Die Zeit“ und die „Süddeutsche Zeitung“<br />

tätig und moderierte von 1984-1989 das<br />

Magazin „aspekte“ im ZDF. Sie drehte über<br />

20 Dokumentarfi lme für WDR, ARD,<br />

ZDF und ARTE. Anne Linsel ist Mitglied<br />

des P.E.N.-Zentrums der Bundesrepublik<br />

Deutschland und Gründungsmitglied der<br />

Kulturpolitischen Gesellschaft. Sie war<br />

Mitglied in diversen Literaturjurys u. a. des<br />

Kultusministeriums NRW <strong>–</strong> Förderpreis<br />

NRW Literatur, Künstlerdorf Schöppingen,<br />

Ernst-Meister-Lyrikpreis Hagen, Nelly-<br />

Sachs- Preis Dortmund. 2007 erhielt sie<br />

den Preis der Enno-und-Christa-Springmann-Stiftung.<br />

Ulli Weiss ist in Bonn geboren und im<br />

Rheinland aufgewachsen. Von 1961-1969<br />

hat sie als Angestellte der Deutschen Lufthansa<br />

in Bonn und München gearbeitet.<br />

1970 wurde sie Assistentin von Otto<br />

Steinert, bei dem sie von 1971-1976 an<br />

der Folkwangschule für Gestaltung Essen-<br />

Werden Fotografi e studierte. Ihr Examen<br />

machte Weiss über Freie Theater-Ensemble<br />

in Europa. Sie zog nach Berlin, wo sie als<br />

freiberufl iche Fotografi n und Bildjournalistin<br />

arbeitete. Im Herbst 1976 holte Pina<br />

Bausch sie erstmals für Aufnahmen ihres<br />

Tanzabends „Die sieben Todsünden“ zum<br />

Tanztheater Wuppertal. Seitdem vielfältige<br />

kontinuierliche Zusammenarbeit im<br />

Bereich Fotografi e und Publikationen.<br />

2010 erhielt sie den Enno-und-Christa-<br />

Springmann-Preis.<br />

Fotos: Ulli Weiss


Kulturnotizen<br />

Wuppertaler Autoren bilden auch im<br />

Frühjahr/Sommersemester 2012 einen<br />

Schwerpunkt im Programmangebot<br />

der Friedrich-Spee-Akademie (FSA)<br />

Wuppertal. Das Gesamtprogramm wird<br />

wiederum im Arcadia-Hotel neben der<br />

Historischen Stadthalle und zwar am 11.<br />

März, 16 Uhr, vorgestellt.<br />

Den Anfang macht am Dienstag, 20.<br />

März, 16 Uhr, Hans Werner Otto. Seine<br />

Lesung fi ndet, wie auch alle weiteren, im<br />

Kaminzimmer der Mundus- Seniorenresidenz<br />

am Laurentius- Platz statt. Es folgt<br />

am 10. April, ebenfalls ein Dienstag, am<br />

gleichen Ort zur gleichen Zeit Christiane<br />

Gibiec, die mit ihrem Krimi „Türkischrot“,<br />

der im 19. Jahrhundert in Barmen<br />

spielt, seit Anfang 2008 Furore macht.<br />

Dritter im Bunde der heimischen Autoren,<br />

die im Rahmen der FSA-Reihe zur<br />

Lesung eingeladen wurden, ist am 8. Mai<br />

der 1956 in Köln geborene Ulrich Land,<br />

der in Hattingen lebt. Schließlich kommt<br />

am 12. Juni Falk Andreas Funke in der<br />

Mundus- Seniorenresidenz zu Wort.<br />

Die Lesenachmittage, deren Besuch<br />

wie alle FSA-Veranstaltungen kostenlos<br />

ist, sind im laufenden Frühjahr-/Sommersemester<br />

am zweiten Dienstag in den<br />

Monaten März bis Juni 2012, jeweils um<br />

16 Uhr. Im abgelaufenen zweiten Halbjahr<br />

2011 lasen auf Einladung der FSA<br />

und auf Anregung des Verbands Wuppertaler<br />

Schriftsteller bereits Karl-Otto<br />

Mühl, Safeta Obhodjas, Michael Zeller<br />

und Hermann Schulz.<br />

Ein weiterer literarischer Höhepunkt<br />

im FSA- Frühjahrsprogramm 2012 ist am<br />

Donnerstag, 10. Mai, 16 Uhr, ebenfalls<br />

in der Mundus- Seniorenresidenz, ein<br />

Kamingespräch zwischen dem Vorsitzenden<br />

der FSA, Jochen Zoerner-Erb und<br />

Marlene Baum. Dabei geht es um das<br />

von Marlene Baum mitherausgegebene<br />

Buch „Kunst ist unwiderstehlich“ ihrer<br />

Mutter Stella Baum. Texte aus diesem<br />

Buch, das bereits in der „ausverkauften“<br />

City-Kirche vorgestellt wurde, werden<br />

von dem Schauspieler Peter Hoffmann<br />

gelesen. (Joachim Krug).<br />

Brecht-Bearbeitung der Wuppertaler<br />

Autorin Dorothea Müller<br />

„So nett“<br />

Unter diesem Titel hat die Wuppertaler<br />

Autorin Dorothea Müller, Mitglied des<br />

Verbands deutscher Schriftsteller, das siebte<br />

Sonett von Bertholt Brecht bearbeitet.<br />

Heraus kam ein nicht ganz so netter, eher<br />

sarkastischer Text, den „Die Zeit“ kürzlich<br />

unter der Rubrik „Klassische Lyrik, neu<br />

verfasst“ veröffentlichte, in der Ausgabe<br />

43 vom 20. Okt. 2011. Ganz anderer<br />

Natur ist der Prosatext „Begegnung“,<br />

den die Autorin zur Anthologie „Alles ist<br />

möglich - auch das Unmögliche“ beisteuerte.<br />

Er schildert einen Aufenthalt in der<br />

Rehaklinik für Krebskranke. Das Buch ist<br />

vor kurzem im St. Benno Verlag, Leipzig<br />

erschienen.<br />

Verband Deutscher Schriftsteller in<br />

ver.di, Bezirksgruppe Wuppertal - Bergisches<br />

Land<br />

Museum Ludwig Köln<br />

Ichundichundich.<br />

Picasso im Fotoporträt<br />

24.09.2011 bis 22.01.2012<br />

An der Legende von Picassos schillernder<br />

Persönlichkeit haben Fotografi en einen<br />

großen Anteil. Das Antlitz des Jahrhundertkünstlers<br />

ist fast bekannter als sein<br />

OEuvre. Trotz der Fülle der existierenden<br />

Porträts wurde bislang nicht die Frage<br />

nach der Spannung zwischen Picassos<br />

Wunsch nach kontrollierter Selbstdarstel-<br />

Brassai, Picasso vor Henri Rousseaus Portrait<br />

„Jadwiga“, 1932 © bpk-Bildagentur<br />

für Kunst, Kultur und Geschichte<br />

lung und den Ansprüchen und Vorstellungen<br />

der Fotografen gestellt. Erstmals<br />

untersucht diese Ausstellung den konzeptionellen<br />

Anteil Picassos an den Aufnahmen<br />

seiner Person: Wie wirkungsvoll waren<br />

die Strategien eines Künstlers, der seine<br />

Frauen und seine Arbeit, seine Scharaden<br />

und seine politische Haltung öffentlich<br />

machte und sein Privatleben in von ihm<br />

bestimmten Ausschnitten zur Konsolidierung<br />

eines Personenkults benutzte? Ob<br />

und in welchem Maß vermochten sich die<br />

Fotografen mit ihrer je eigenen fotografi -<br />

schen Bildsprache gegen die dominierende<br />

Präsenz des Porträtierten durchzusetzen?<br />

Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag:<br />

10 <strong>–</strong> 18 Uhr<br />

jeden ersten Donnerstag im Monat:<br />

10 <strong>–</strong> 22 Uhr<br />

http://www.museum-ludwig.de/<br />

Museum für Kunst<br />

und Kulturgeschichte Dortmund<br />

1 m³ <strong>–</strong> Fotografi en von<br />

Christian Diehl<br />

28.01.2012 - 15.04.2012<br />

© Christian Diehl: Fotografi e aus dem<br />

Projekt 1m³ Halde<br />

Wie ein Maulwurf gräbt sich Christian<br />

Diehl durch Erde. Nicht irgendwelche<br />

Erde, sondern einen Kubikmeter Acker,<br />

Wald, Halde und Watt. Er hat jeweils genau<br />

einen Kubikmeter Erdreich ausgehoben<br />

und durchforstet nun den gesamten<br />

Bereich nach Fotoobjekten. Nach und<br />

nach entsteht so aus einer „repräsentativen<br />

Stichprobe“ ein Überblick zu den<br />

Wesensmerkmalen des Bodens.<br />

Welche Pfl anzen und -teile, welche<br />

Lebewesen, welche Gesteinsbrocken<br />

und welche anderen Details sind dort<br />

51


52<br />

verborgen? Diehl inszeniert mit seiner<br />

Kamera eine komplette Durchleuchtung<br />

des Fotogegenstandes. Nach den Prinzipien<br />

einer sachlichen Fotografi e fi ndet eine<br />

Art wissenschaftliche Dokumentation<br />

mit künstlerischen Obertönen statt. Sie<br />

beleuchtet und streift dabei viele Nachbargebiete<br />

wie Geologie, Botanik und<br />

Zoologie.<br />

Die einzelnen Bilder sind Versatzstücke<br />

aus einem Ganzen, die wie ein Gefüge<br />

direkt und assoziativ aufeinander zugeordnet<br />

sind, da als verbindende Klammer<br />

immer der Ausgangs- und Sammelpunkt<br />

in dem einen, präzisen und nach Lage<br />

und Herkommen genau identifi zierbaren<br />

Erdblock gegenwärtig ist. Jede der Fotografi<br />

en ist jedoch nicht nur Fragmentbild,<br />

sondern gleichzeitig ein herausgehobenes<br />

Einzelstück mit allen ästhetischen Aspekten,<br />

wie sie zu einem Kunstwerk gehören.<br />

28.01.2012 - 15.04.2012<br />

http://www.dortmund.de<br />

Museum Ostwall<br />

Das Drama der Farben und Formen<br />

Zum 100. Geburtstag Harry Fränkels im<br />

Rahmen der Sammlungspräsentation<br />

„Der zweite Blick<br />

27.11.2011 - 10.06.2012<br />

Harry Fränkel, Siebdruck VI/68, 1968<br />

Zum 100. Geburtstag Harry Fränkels<br />

präsentiert das Museum Ostwall ein<br />

Kabinett mit ausgewählten Werken des<br />

Dortmunder Künstlers. In zwei aufeinander<br />

folgenden Ausstellungen werden vom<br />

27. November 2011 bis 26. Februar 2012<br />

vor allem Holz- und Linolschnitte aus der<br />

Nachkriegszeit bis zum Beginn der 1960er<br />

Jahre gezeigt. Vom 28. Februar bis 10.<br />

Juni 2012 sind Siebdrucke aus den Jahren<br />

1968/69 zu sehen.<br />

In seinen frühen, expressiven Holzschnitten<br />

verarbeitet Fränkel die Gräuel des<br />

Krieges. Nach und nach werden seine Arbeiten<br />

jedoch abstrakter; seine Bildsprache ent-<br />

wickelt einen eigenen Rhythmus. Mitte der<br />

1950er Jahre vollzieht Fränkel den Wechsel<br />

von der abstrakten zur absoluten Malerei<br />

und setzt Farben und Formen zu spannungsreichen<br />

oder harmonischen Kompositionen<br />

zusammen. In den Jahren vor seinem<br />

Tod entstehen farbintensive Siebdrucke, in<br />

denen er u. a. mit optischen Phänomenen<br />

und Variationen experimentiert.<br />

Weitere Informationen:<br />

www.dortmund.de<br />

Stilblüte Schloss Lüntenbeck.<br />

Knospe, Spaten und Feines<br />

Erstmalig wird am 24./25. März 2012<br />

in Wuppertal der Markt für Gartenkultur,<br />

Lebensart & Feines stattfi nden. Aus<br />

dem Winterschlaf erwachend richten sich<br />

die Sinne in den Freiraum. Der Schnee<br />

schmilzt, die Pfl anzzeit beginnt und die<br />

ersten Knospen strecken sich der Sonne<br />

entgegen. Die Stilblüte bietet alles, um<br />

sich in Haus und Garten auf die kommende<br />

Saison einzurichten. Das Angebot<br />

des Marktes reicht von Blühendem,<br />

Grünem und Dekorativem bis hin zu<br />

Möbeln, Werkzeug und Kulinarischem.<br />

Die Originalität der Ware ist, neben<br />

der Qualität, übrigens das wesentliche<br />

Kriterium zur Auswahl der Händler. Die<br />

Stilblüte Schloss Lüntenbeck präsentiert<br />

hochwertige Produkte zum Thema<br />

Gartenkultur aus den Bereichen Pfl anzen,<br />

Gartengerät, -möbel und -accessoires.<br />

Öffnungszeiten: 24./25. März 2012,<br />

Samstag und Sonntag von 11 bis 18 Uhr.<br />

Eintritt: 4.<strong>–</strong> Euro.<br />

www.schloss-luentenbeck.de<br />

Käthe Kollwitz Museum Köln<br />

„WO IST DIE NEUE FORM FÜR DEN<br />

NEUEN INHALT?"<br />

12. Januar bis 25. März 2012<br />

Der Zusammenhang von Technik<br />

und Motiv im Werk von Käthe<br />

Kollwitz<br />

Das Käthe Kollwitz Museum Köln öffnet<br />

seine Graphik-Schubladen für eine rund 50<br />

Arbeiten umfassende Schau, die auf spannende<br />

Weise den für Kollwitz elementaren<br />

Zusammenhang von Medium und Motiv<br />

nachvollziehbar macht. Präsentiert werden<br />

vor allem äußerst seltene Zustandsdrucke in<br />

allen von ihr verwandten Techniken <strong>–</strong> von<br />

der Radierung über die Lithographie bis<br />

zum Holzschnitt. Die Aufl agen der Druckgraphikerin<br />

Käthe Kollwitz sind weltweit<br />

einem großen Publikum bekannt. Doch<br />

darüber hinaus existieren zahlreiche Probedrucke<br />

<strong>–</strong> viele davon Einzelexemplare <strong>–</strong> mit<br />

denen sie die schrittweise Entwicklung eines<br />

Motivs über verschiedene Stadien hinweg<br />

dokumentierte.<br />

Die Frage nach einer dem Inhalt angemessenen<br />

Form stellte sich die Künstlerin<br />

vor allem gegen Ende des Ersten Weltkrieges.<br />

Fast keine Druckgraphik entstand<br />

während der erschütternden Kriegserlebnisse,<br />

was ihre Ratlosigkeit in diesem<br />

Punkt belegt. Erst nach Kriegsende macht<br />

sie sich wieder auf die Suche nach der<br />

„richtigen“ Technik. So arbeitete sie sich<br />

bei dem Gedenkblatt für Karl Liebknecht,<br />

dessen Ermordung sich am 19. Januar<br />

jährt, oder den Blättern der Folge Krieg<br />

über zum Teil mehrere Jahre förmlich an<br />

allen Techniken ab, dem Tief-, Flach- und<br />

Hochdruck, ehe sie zu einer endgültigen<br />

Fassung fand.<br />

Die in diesem Prozess entstandenen<br />

Zustandsdrucke bilden einen Sammlungsschwerpunkt<br />

des Kölner Kollwitz<br />

Museums. Die Arbeitsweise der Künstlerin<br />

zu erforschen und für Besucher nicht nur<br />

nachvollziehbar, sondern wirklich erfahrbar<br />

zu machen, betrachtet das Museum als eine<br />

seiner wichtigsten Aufgaben. Zu diesem<br />

Zweck sind über Jahre hinweg aus aller<br />

Welt Zustandsreihen in allen Techniken<br />

zusammengeführt worden, die nun erstmals<br />

in dieser Gänze zu sehen sein werden.<br />

Zwei Tote, 1920, Holzschnitt Kn 158 IV


Kulturnotizen<br />

Mütter. Blatt 6 der Folge „Krieg“, 1921 <strong>–</strong><br />

Anfang 1922, Holzschnitt Kn 176 III<br />

Die Witwe I, Blatt 4 der Folge „Krieg“<br />

1921 <strong>–</strong> Anf. 1922, Holzschnitt Kn 175 Vb<br />

für alle Werke der Künstlerin: © VG Bild-<br />

Kunst, Bonn 2012<br />

The art of tool making<br />

Durch die spannende Nebeneinanderreihung<br />

der Zustände, die dadurch ersichtlichen<br />

Verwerfungen und Hinzufügungen,<br />

die Veränderungen im Ausdruck, die sich<br />

durch unterschiedliche Techniken ergeben <strong>–</strong><br />

durch all dies erschließt sich dem Besucher<br />

das endgültige Werk der Künstlerin in<br />

seiner ganzen Tiefe.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

http://www.kollwitz.de/<br />

Museum für Kunst-<br />

und Kulturgeschichte Dortmund<br />

500 Jahre Gerhard Mercator<br />

Vom Weltbild der Renaissance zum<br />

Kartenbild der Moderne<br />

Der Universalgelehrte Mercator<br />

(1512<strong>–</strong>1594) war der erste Kartograph,<br />

der die Welt in ihrer Gesamtheit betrachtete<br />

und Karten für große Räume<br />

wie z.B. Staaten oder Erdteile hochgenau<br />

selbst erstellte. Seine bemerkenswerten<br />

Fähigkeiten im Kupferstich schufen Globen,<br />

Welt- und Detailkarten in bis dahin<br />

nie gekannter Qualität. Sein Atlas prägte<br />

unser heutiges Kartenverständnis maßgeblich.<br />

Die Sonderausstellung ist einzelnen<br />

Aspekten Mercators Schaffens und seinen<br />

Auswirkungen auf die Kartographie und<br />

Navigation bis heute gewidmet.Neben<br />

originalen Globen wird an weiteren<br />

Exponaten die Entwicklung zum heutigen<br />

Globusbild aufgezeigt. Der Mercatoratlas<br />

aus dem Jahre 1595 bildet ein zentrales<br />

Ausstellungsstück und erschließt sich dem<br />

Gerhard Mercator<br />

Besucher als virtueller Atlas. Spätere Karten<br />

dokumentieren die Veränderung der Landschaft,<br />

die Verstädterung, die Ausbreitung<br />

der Großindustrie sowie den Rückbau<br />

und das gegenwärtige Flächenrecycling.<br />

Auf der Zeitachse von 1835 bis heute soll<br />

dem Betrachter die Karte als Zeitdokument<br />

nahe gebracht werden. Stadtpläne<br />

spielen spätestens seit der Verbreitung des<br />

„Navis“ eine wichtige Rolle im Alltag. Der<br />

Wandel der Stadt vom Mittelalter über die<br />

Industrialisierung bis zum gegenwärtigen<br />

Strukturwandel wird mit Kartenbeispielen<br />

nachvollziehbar gemacht.<br />

Im alltäglichen Leben kommen<br />

Menschen immer wieder mit Karten als<br />

Informationsmedium in Kontakt. Dabei<br />

53


54<br />

dient die Karte als Orientierungsmedium,<br />

als Zeitdokument, als Kunstobjekt und natürlich<br />

die elektronische Karte als aktuelles,<br />

technisches Hilfsmittel. Die Entstehung<br />

und Entwicklung dieses Mediums wird in<br />

der Sonderausstellung anhand originaler<br />

Exponate und vielen Mitmachstationen<br />

verdeutlicht und widmet sich auch neuesten<br />

Trends wie dem GEO-Caching.<br />

Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs,<br />

freitags und sonntags von 10.00-<br />

17.00 Uhr, donnerstags von 10-20 Uhr<br />

sowie samstags von 12-17 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.museendortmund.de/mkk<br />

Max Ernst Museum<br />

Niki de Saint Phalle - Spiel mit mir<br />

15.1. <strong>–</strong> 3.6.2012<br />

Niki de Saint Phalle (1930-2002) zählt<br />

mit ihrem umfangreichen Schaffenswerk<br />

wohl zu den bedeutendsten Künstlerinnen<br />

des 20. Jahrhunderts. Sie hat ein faszinierendes<br />

Werk hinterlassen, dessen Einfalls-<br />

und Abwechslungsreichtum seinesgleichen<br />

sucht. Bereits die frühen Gemälde der<br />

1950er Jahre, die sich u.a. an naiver Malerei<br />

orientieren, sowie die Assemblagen,<br />

in denen die Künstlerin Anfang der 60er<br />

Jahre alltägliche Gegenstände zu bunten<br />

Klebebildern kombiniert, sind Ausdruck<br />

dafür. Ausgehend davon entwickelt sie die<br />

sogenannten Schießbilder, in denen sie<br />

ihre bewegte Biografi e verarbeitet. Die mit<br />

Farbbeuteln präparierten und mit einem<br />

Gewehr beschossenen Reliefs sind jedoch<br />

nicht nur ein aggressiver Akt der Zerstö-<br />

Niki de Saint Phalle, Nathalie,1965, Privatsammlung,<br />

© 2012 Niki Charitable<br />

Art Foundation, Foto: © André Morain<br />

rung, sondern bilden zugleich Möglichkeiten<br />

neuer Bildfi ndungen.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 - 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.maxernstmuseum.lvr.de<br />

Museum Abteiberg Mönchengladbach<br />

— MONICA BONVICINI<br />

DESIRE DESIESE DEVISE <strong>–</strong><br />

Zeichnungen 1986 <strong>–</strong> 2012<br />

4. März - 20. Mai 2012<br />

Monica Bonvicini (*1965 in Venedig,<br />

lebt in Berlin) hat im Laufe von<br />

rund 25 Jahren ein gewaltiges Konvolut<br />

an Zeichnungen produziert. Es sind<br />

Skizzen, Entwürfe, Konzepte, aus denen<br />

ihre weltweit bekannten skulpturalen,<br />

installativen oder medialen Werke hervor<br />

gingen, sowie viele freie Arbeiten, die einen<br />

völlig eigenen Part in ihrem Oeuvre<br />

ausmachen.Bonvicinis Werk zeichnet<br />

generell eine große Varianz zwischen<br />

kraftvollen, aggressiven Ausdrucksformen<br />

und intimen psychologischen Inhalten<br />

wie Verletzbarkeit, Nacktheit, Isolation<br />

oder unterdrückter Gewalt aus. Zu diesen<br />

Themen tritt eine grundlegende Auseinandersetzung<br />

mit der menschlichen<br />

Beziehung zu Raum und Architektur. Ihre<br />

zeichnerischen Arbeiten intensiveren diese<br />

Zusammenhänge zwischen Sexualität,<br />

Macht und psychologischem Erleben, indem<br />

sie den Körper und den Menschen in<br />

die Darstellung einbeziehen, der in ihren<br />

großen räumlichen Installationen fehlt.<br />

Die Ausstellung zeigt eine Auswahl<br />

aus mehr als 1000 Blättern. Die Größe<br />

variiert von kleinen Din A6 Zetteln bis<br />

zu großformatigen Bögen. Die Zeichenmaterialien<br />

sind Bleistift, Tusche,<br />

Deckweiß, wenige Farben und häufi g<br />

Schablonen. Hinzu treten Collagematerialien,<br />

Fotografi en und gefundene<br />

Drucksachen, die in die Zeichnungen in<br />

der für Bonvicini typischen, expressiven<br />

Poetik einmontiert sind.<br />

Die Ausstellung wird gemeinsam vom<br />

Museum Abteiberg in Mönchengladbach<br />

und den Deichtorhallen Hamburg /<br />

Sammlung Falckenberg vorbereitet.<br />

Weite Informationen: www.museumabteiberg.de<br />

KLANG_ART im Skulpturenpark <strong>–</strong><br />

Programm-Vorschau 2012<br />

Im vierten Jahr bietet die Konzertreihe<br />

> KlangArt im Skulpturenpark < erneut<br />

ein Klangspektrum von zeitgenössischem<br />

Jazz und Weltmusik, aktuell mit dem<br />

Programmschwerpunkt „Klanglandschaften<br />

Afrikas“ *:<br />

Fr. 11. Mai: Ablaye Cissoko (Senegal)<br />

& Volker Goetze (New York) *<br />

Sa. 2. Juni: CHIWONISO Trio<br />

(Zimbabwe) *<br />

So. 3. Juni: HAZMAT MODINE<br />

(New York)<br />

Sa. 14. Juli: ANA MOURA (Portugal)<br />

So. 15. Juli: FATOUMATA DIAWARA<br />

& Band (Mali, Elfenbeinküste) *<br />

Sa. 18. August: SQUEEZEBAND<br />

Chico Freeman sax. (USA) <strong>–</strong> Dany Martinez<br />

git. (Cuba) <strong>–</strong> Michel Alibo bass<br />

(Martinique) - Nino G. vocal (Italien) <strong>–</strong><br />

Reto Weber percussion (Schweiz)<br />

So. 19. August: JASPER VAN’T HOF<br />

PILI PILI *<br />

Fatoumata Diawara<br />

© Foto Engelhardt Promotion


(Südafrika, Mali, Niederlande, Rußland,<br />

Rumänien)<br />

Jasper van‘t Hof - keyboards, Smagele<br />

Khumalo - vocal, Dra Diarra - percussion,<br />

Vasile Darnea - violin, Anton<br />

Peisakhov - cello, Eric van der Westen -<br />

bass, Tineke Postma - sax<br />

Information:<br />

www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />

Lothar Baumgarten<br />

Abend der Zeit <strong>–</strong><br />

Señores Naturales Yanomami<br />

Museum Folkwang 26. November 2011<br />

<strong>–</strong> 27. Mai 2012<br />

Am Ende der 1970er Jahre lebte Lothar<br />

Baumgarten unter den Yãnomãmi des Oberen<br />

Orinoco, in den Wäldern der Wasserscheide<br />

zwischen Venezuela und Brasilien.<br />

Während 18 Monaten teilte er das Leben<br />

der Indianer von Kashorawë- und Yapitawëtheri,<br />

zwei Yãnomãmi Gemeinschaften die<br />

zu klein geworden waren um sich noch gegen<br />

ihre zunehmend feindlichen Nachbarn<br />

verteidigen zu können. Dieser Umstand<br />

machte sie sehr beweglich. Baumgarten<br />

kam in Kontakt mit diesen halbsesshaft<br />

lebenden Gruppen, als sie gerade näher<br />

an den Orinoco gezogen waren um dort<br />

gemeinsam ihren neuen, großen Shapono<br />

zu bauen und umfangreiche Pfl anzungen<br />

anzulegen. Er begleitete die jagend und<br />

sammelnd durch die Wälder ziehende Gemeinschaft<br />

der 84 Yãnomãmi bei ihren täglichen<br />

Unternehmungen: Besuchen anderer<br />

Shapono zu festlichen Ritualen, der aufwendigen<br />

Pfl ege ihrer politischen Allianzen,<br />

dem ihnen bis dahin fremden Bootsbau,<br />

Urihiwë,Yanomami, © Foto L. Baumgarten<br />

Links: Pfeilspitzen (rahaka), rechts: Zeichnung<br />

in einem Skizzenbuch von Lothar<br />

Baumgarten, 1979, Wasserfarbe auf Papier<br />

© Foto Lothar Baumgarten, Museum<br />

Folkwang<br />

der täglichen Praxis der Schamanen und<br />

kriegerischen Rachezügen gegen ihre neuen<br />

und alten Nachbarn. Durch den latent praktizierten<br />

Tauschhandel unter den Yãnomãmi<br />

entstanden schon bald Notwendigkeiten<br />

des Gebens und Nehmens, die Baumgarten<br />

von ersten Objekten, zum umfangreichen<br />

Konvolut, der hier in Teilen erstmalig<br />

gezeigten Sammlung führten. Die während<br />

jener Zeit vor Ort gegen Naturalien<br />

getauschten ethnographischen Gegenstände<br />

und die ganz unerwartete Fülle entstandener<br />

24. und 25. März 2012<br />

Stilblüte<br />

Schloss Lüntenbeck Knospe, Spaten und Feines<br />

Zeichnungen der Yãnomãmi auf Papier, wie<br />

auch die umfangreichen Ton- und Filmdokumente<br />

werden in der Präsentation von<br />

fotografi schen Sequenzen begleitet, die die<br />

erlittene Nähe des erlebten Unbekannten<br />

sichtbar werden lassen. Wir sehen keine<br />

gekauften oder modellierten Bilder, sondern<br />

die Unmittelbarkeit des Vertrauten, denn<br />

neben aller Fremdheit ist ihnen menschliche<br />

Nähe offensichtlich eigen.<br />

Diese Ausstellung erzählt von einer<br />

Einlassung, der Begegnung und dem<br />

Austausch in einem gerade erst dreißig Jahre<br />

zurückliegenden Zeitraum. Sie versucht ein<br />

Bild einer Gesellschaft zu zeichnen, deren<br />

Befi ndlichkeit und Existenz von unserer<br />

Einsicht in ihre Notwendigkeiten abhängt.<br />

Auf anschauliche Weise eröffnet und<br />

führt diese außergewöhnliche Schenkung<br />

der Sammlung Baumgarten / Sugai, an<br />

die Stiftung für das Museum Folkwang im<br />

Jahre 2010, einen vormals durch Karl Ernst<br />

Osthaus, dem Begründer des Museums,<br />

aufgenommenen Dialog zwischen alter und<br />

außereuropäischer Kunst, durch Kohärenz<br />

und Umfang, wie auch in ihrer künstlerischen<br />

und kunsthistorischen Würdigung<br />

fort.<br />

http://www.museum-folkwang.de<br />

Öffnungszeiten: 11 bis 18 Uhr | Tageskarte: 4 € | Schloss Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | www.schloss-luentenbeck.de<br />

Foto: iStock, Josef Muellek<br />

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Der Tipp für alle<br />

ab 60<br />

Mit dem BärenTicket sind Sie im ganzen<br />

VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und<br />

in der 1. Klasse.<br />

Weitere Infos im MobiCenter<br />

Tel.: 0202 569-5200<br />

www.wsw-online.de<br />

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