23.11.2012 Aufrufe

Kulturnotizen - Druckservice HP Nacke KG

Kulturnotizen - Druckservice HP Nacke KG

Kulturnotizen - Druckservice HP Nacke KG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

DIE BESTE ZEIT<br />

Das Magazin für Lebensart<br />

Wuppertal und Bergisches Land Dezember/Januar 2010-2011 - 3,50 Euro<br />

Pierre Bonnard<br />

Die subtile Zerstörung der Illusion<br />

Eberhard Illner<br />

Historisches Zentrum Wuppertal<br />

Peter Schmersal<br />

Im Hier und Jetzt<br />

Kurt Rydl<br />

Der Gigant der tiefen Töne<br />

van Goghs<br />

Schön – aber falsch<br />

Performance-Nacht<br />

in Wuppertal<br />

Monika Bilstein<br />

und der Peter Hammer Verlag<br />

Schöner im Verein<br />

Bürgerschaftliches Engagement<br />

Macbeth<br />

Alptraum ohne Schlaf<br />

Karl Otto Mühl<br />

Schlechte Karten<br />

Joseph Beuys<br />

Parallelprozesse in Düsseldorf<br />

1


Dezember bis Februar<br />

Fr - So von 10 bis 17 Uhr<br />

An Feiertagen geöffnet<br />

Impressum<br />

„Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im<br />

Bergischen Land<br />

Aufl age 4.000 Exemplare<br />

Erscheinungsweise: 5 – 6 mal pro Jahr<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - Die beste Zeit<br />

Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />

Telefon 02 02 - 28 10 40<br />

E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />

V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong> und Frank Becker<br />

Jean Tinguely Skulpturen bis zum 20. Februar 2011<br />

Unsere Kulturförderung<br />

ist gut für die Sinne.<br />

Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal<br />

www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />

Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nichtstaatliche<br />

Kulturförderer Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst<br />

und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de<br />

Sparkasse. Gut für Wuppertal.<br />

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />

Bildnachweise/Textquellen sind unter den<br />

Beiträgen vermerkt.<br />

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht<br />

immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber<br />

wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />

zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />

Umschlagabbildung: Peter Frese,<br />

Englisches Spinnrad Ende 19. Jahrhunderts<br />

Museum für Frühindustrialisierung Wuppertal<br />

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht<br />

sinnentstellend, liegen im Ermessen der<br />

Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge<br />

kann keine Gewähr übernommen werden.<br />

Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen<br />

innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der<br />

ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />

Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung,<br />

Irrtümer oder Unterlassungen keine<br />

Haftung übernommen.<br />

S


Editorial<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Geht es Ihnen ähnlich? Je älter man wird, umso intensiver werden die Gefühle für den<br />

Ort, aus dem man stammt. Zurück zu den Wurzeln.<br />

Wie die große Mehrheit der Wuppertaler bin auch ich in der Landesfrauenklinik an der<br />

Vogelsangstraße zur Welt gekommen. Sehr viel ist seitdem in meinem Leben geschehen.<br />

Die Ausbildung zur Opernsängerin, die Reisen mit meinem Mann zu jedem seiner<br />

Auftritte – wesentliche Teile davon können Sie in dieser Ausgabe der ‚Besten Zeit‘ im<br />

Text ‚Der Gigant der tiefen Töne‘ von Klaus Göntzsche mit den tollen Fotos von Heinz<br />

Eschmat erfahren.<br />

Zurück zu den Wurzeln – das war auch einer der Gründe, warum mein Mann und<br />

ich vor zwei Jahren den Barmer Bahnhof gekauft haben. Dort gibt es einen Laden mit<br />

Geschichte, der förmlich nach Vergangenheit riecht – und wo schon mein Urgroßvater<br />

Josef Linz im Jahre 1921 Tabakwaren verkauft hat. Heute betreibt mein Bruder Thomas<br />

Leipoldt an dieser Stelle mit seiner Familie die Bahnhofsbuchhandlung mit Café – und<br />

Tabakwaren, wie unser Vorfahr. Nun verstehen Sie, warum wir an diesem Bahnhof mit<br />

Herzblut hängen.<br />

Natürlich war auch die Nähe des Opernhauses ein wichtiger Faktor für den Kauf des<br />

Bahnhofs. Aber unser Interesse galt immer auch anderen Bereichen: wir sind mit vielen<br />

Malern befreundet, ich interessiere mich für Architektur und habe bei der ersten Regie<br />

meines Mannes (‚Entführung aus dem Serail‘ in Palma de Mallorca) das Licht gemacht –<br />

Licht ist für Künstler immer wichtig! Auch den Bildhauer Alfred Hrdlicka kannten wir<br />

persönlich gut. Nach seinem Tode sind seine Werke noch begehrter geworden, als sie vorher<br />

schon waren, und Tony Cragg wird weltweit geschätzt – die Werke der Beiden in der<br />

Nähe sind ebenso ein Bestandteil der ‚Kulturachse Barmen‘ wie unser Bahnhof. Diesen<br />

Begriff – ‚Kulturachse Barmen‘ – gibt es bereits seit 1989, dem Jahr der ‚Wende‘.<br />

Nun beginnt ein neuer Abschnitt im Bahnhof Barmen durch die Partnerschaft mit<br />

Martina Steimer und ihrem Forum Maximum. Auch streben wir Partnerschaften mit<br />

dem Museum für Früh-Industrialisierung und dem Engels-Haus an. Erste Gespräche sind<br />

geführt.<br />

Eines möchte ich bei dieser Gelegenheit klarstellen: es geht uns nicht um das schnelle<br />

Geld. Sonst hätten wir es mit einer Disco leichter gehabt. Wir wollen Kunst machen mit<br />

gehobenem Crossover. Die Vielfalt macht es doch nur interessanter! Wir wollen so viel<br />

Leben wie möglich – es kann gar nicht genug los sein! Dazu brauchen wir jegliche Unterstützung.<br />

Es geht um unser Wuppertal. Ich brenne auf die Kultur – und würde mich sehr<br />

freuen, wenn ich Sie anstecken könnte!<br />

Christiane Rydl<br />

3


4<br />

Keine Angst vor Berührung<br />

Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“<br />

seit 1813<br />

Alles hat seine Zeit.<br />

Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag und Nacht 66 36 74


Inhalt<br />

Heft 7 Dezember/Januar 2010-2011<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Rezension zu Pierre Bonnard<br />

von Stefan Koldehoff Seite 6<br />

Eberhard Illner<br />

und das Historisches Zentrum<br />

von Marlene Baum Seite 9<br />

Peter Schmersal<br />

Im Hier und Jetzt<br />

von Thomas Hirsch Seite 15<br />

Kurt Rydl<br />

Gigant der tiefen Töne<br />

von Klaus Göntzsche Seite 19<br />

van Gogh<br />

Schön aber falsch<br />

von Frank Becker Seite 23<br />

Wuppertaler Performance Nacht<br />

von Meike Nordmeyer Seite 25<br />

Monika Bilstein<br />

und der Peter Hammer Verlag<br />

von Frank Becker Seite 27<br />

Schöner im Verein<br />

Bürgerliches Engagement<br />

von Antonia Dinnebier Seite 31<br />

Alptraum ohne Schlaf<br />

zur Macbeth Inszenierung<br />

von Martin Hagemeyer Seite 40<br />

Schlechte Karten<br />

eine Kurzgeschichte<br />

von Karl Otto Mühl Seite 44<br />

- S. 61, sollte unter allem stehen: (c)<br />

VG Bild-Kunst, Bonn 2010 für<br />

die Werke von Joseph Beuys<br />

Neue (die Witwe Kunstbücher Beuys ist sehr heikel - da<br />

könnte Ute Klophaus ein Lied von<br />

Über Architektur<br />

singen)<br />

von Thomas Hirsch Seite 46<br />

Düsseldorfer Heimspiel<br />

Parallelprozesse<br />

von Rainer K. Wick<br />

Die Spee-Akademie<br />

Seite 48<br />

Bildungserfolg im Bergischen<br />

von Jan Filipzik Seite 52<br />

<strong>Kulturnotizen</strong><br />

von Frank Becker und<br />

Andreas Rehnolt Seite 55


6<br />

Die subtile Zerstörung der Illusion<br />

Wuppertal misstraut den<br />

immergleichen Idyllen:<br />

Das Von der Heydt-Museum zeigt<br />

Pierre Bonnard<br />

Was dem Direktor des Wuppertaler Von<br />

der Heydt-Museums, Gerhard Finckh,<br />

gelingt, seit er vor viereinhalb Jahren das<br />

Haus übernahm, ist mehr als bemer-<br />

kenswert. Seiner Vorgängerin, Sabine<br />

Fehlemann, war die eigene Sammlung<br />

meist herzlich gleichgültig. Sie kaufte lieber<br />

Ausstellungspakete ein, die auf ihrem<br />

Der Landungssteg von Cannes, Le débarcadère de Cannes, 1928-1934, Öl auf Leinwand, 43 x 56,5 cm, Hahnloser/Jaeggli Stiftung Villa Flora


Weg durch die Republik dann eben auch<br />

in Wuppertal Halt machten. Oder sie<br />

ließ für viel Geld Von-bis-Ausstellungen<br />

zusammenstellen, in denen Museen aus<br />

©VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

anderen Städten ihre mehr oder minder<br />

leuchtenden Highlights präsentieren<br />

durften. Die Publikumsresonanz blieb<br />

über Jahre hinweg trotzdem so übersichtlich,<br />

dass der städtische Kulturausschuss<br />

irgendwann zur Kenntnis nehmen<br />

musste, dass in die Besucherstatistiken<br />

auch Cafébesucher und Handwerker<br />

mit einberechnet worden waren, die das<br />

Museum nur für Renovierungsarbeiten<br />

betreten hatten.<br />

Gerhard Finckh arbeitet dagegen mit der<br />

eigenen Sammlung, zu der großartige<br />

Hauptwerke der klassischen Moderne gehören.<br />

Wuppertal war vor dem Krieg eine<br />

Industriestadt mit progressiven Unternehmern,<br />

die bedeutende Privatsammlungen<br />

zusammentrugen. In den Villen der Stadt<br />

hingen van Goghs letztes Selbstbildnis<br />

und Cézannes „Junge mit roter Weste“.<br />

Den Einfl uss dieser Sammler auf das<br />

Kunstklima der Stadt dokumentierte<br />

Finckh vor zwei Jahren in der identitätsstiftenden<br />

Ausstellung „Der expressionistische<br />

Impuls“.<br />

Vor allem aber konzentrierte sich der<br />

Kunsthistoriker auf das, was er in der eigenen<br />

Sammlung vorfand. Einige kleine,<br />

kaum museale Ölskizzen von Renoir im<br />

Wuppertaler Bestand boten ihm vor drei<br />

Jahren Anlass zu einer Renoir-Ausstellung.<br />

Der Schritt war mutig, bedeutende<br />

Werke fehlten weitgehend - trotzdem<br />

strömten die Besucher. Zwei Jahre später<br />

wagte sich Finckh an Claude Monet, von<br />

dem das Von der Heydt-Museum einige<br />

kapitale Bilder besitzt. Wieder reiste er<br />

durch kleinere Museen in der Schweiz<br />

und in Frankreich und fragte einige bedeutende<br />

Werke in den großen Häusern<br />

der Welt an, um eine sehenswerte Ausstellung<br />

zusammenzusuchen.<br />

Die erstklassige Sammlung in Wuppertal<br />

nutzte er dabei erneut mit großem<br />

Geschick als Verhandlungsmasse: Gibst<br />

Du mir Deinen Renoir, bekommst<br />

Du meinen Kirchner. Mehrere Rouen-<br />

Kathedralen, eine imposante Reihe von<br />

Waterloo-Bridge-Bildern und verschiedene<br />

bedeutende Landschaftsgemälde<br />

ergänzten den Gemäldegrundstock, den<br />

das Pariser Marmottan-Museum aus<br />

dem Nachlass des Malers zur Verfügung<br />

gestellt hatte, und ließen die erste ernstzunehmende<br />

deutsche Monet-Retrospektive<br />

seit mehreren Jahrzehnten entstehen.<br />

In diesem Herbst nun geht es in Wuppertal<br />

um Pierre Bonnard. Der in Paris<br />

lebende Kurator Peter Kropmanns hat<br />

einen 180 Gemälde, Zeichnungen,<br />

Grafi ken und Fotografi en umfassenden<br />

Bilderparcours zusammengestellt, der auf<br />

angenehme Weise die Balance zwischen<br />

Kunstgenuss und Kunstdidaktik hält.<br />

Kabinette zum im Paris des ausgehenden<br />

19. Jahrhunderts beliebten Japonismus<br />

oder zum Einfl uss der Fotografi e beschreiben<br />

die Inspirationsquellen von Bonnards<br />

frühen Gemälden.<br />

Danach folgt die Wuppertaler Ausstellung<br />

klug jenen Sachthemen, die sich als roter<br />

Faden durch sein Oeuvre ziehen: den<br />

Familienbildern, die auf dem Wohnsitz<br />

in Savoyen, in Arcachon und später in<br />

der Normandie entstehen. Den Akten,<br />

für die Bonnards Ehefrau, aber auch seine<br />

Geliebten Modell stehen. Den berühmten<br />

Badewannenbildern, mit denen er<br />

das schon von Edgar Degas und Henri<br />

Matisse bearbeitete Boudoir-Thema der<br />

Klassischen Moderne variierte. Zahlreiche<br />

Leihgaben stammen aus einer<br />

Privatsammlung aus Marseille, bei der es<br />

sich wohl um die Familie des Künstlers<br />

handelt; eine zweite Gruppe lieh ein<br />

New Yorker Privatsammler aus, der sich<br />

erfreulicherweise entschieden hat, die<br />

Leinwände ungerahmt an die Wände<br />

hängen zu lassen.<br />

Kropmanns stellt Bonnard inhaltlich als<br />

den Chronisten des ausgehenden bürgerlichen<br />

Zeitalters. Zwar sind für ihn die<br />

wachsende Großstadt und der Umbruch<br />

durch die Industrialisierung anders als bei<br />

den Impressionisten - wie gerade in einer<br />

fulminanten Schau in Essen zu sehen ist<br />

- kein direktes Thema. Auf die Kraft der<br />

Landschaft und der Idylle allein will sich<br />

aber auch Bonnard nicht mehr verlassen.<br />

Er entscheidet sich häufi g für den Blick<br />

von innen nach außen: durch Fenster,<br />

über Balkone und Balustraden, die die<br />

Illusion vom ewigen Arkadien eher subtil<br />

zerstören. Später werden Spiegel die<br />

Grenze zwischen den Sphären markieren.<br />

Auch die großen Familienbilder, von<br />

7


8<br />

denen eines zur Wuppertaler Sammlung<br />

gehört, sind eigentlich Interieurs<br />

mit ungewöhnlicher Lichtführung und<br />

Perspektive.<br />

Formal allerdings bleibt Bonnard in Wuppertal<br />

zeitlebens dem Impressionismus<br />

verhaftet, den er zwar variiert, von dem<br />

er sich aber bis zu seinem Tod im Januar<br />

1947 nie wirklich trennt. Es sind zu viele<br />

Landschaftsbilder, die diesen Eindruck<br />

verfestigen. Und es fehlen mehr jener<br />

Werke, in denen eine tiefere Wirklichkeit<br />

zum Vorschein kommt, die Bonnard als<br />

Anhänger der symbolistischen Bewegung<br />

ausweist und so schwer in die Kunstgeschichte<br />

einordnen lässt. Im kommenden<br />

Herbst werden die Verhältnisse im Von<br />

der Heydt-Museum dann wieder klarer:<br />

Mit Alfred Sisley will Gerhard Finckh als<br />

nächstes wieder einen klassischen Impressionisten<br />

zeigen.<br />

Stefan Koldehoff<br />

Stehender Akt, Rückenansicht<br />

Nu debout vu de dos, 1913<br />

Öl auf Leinwand, 80 x 51 cm<br />

©VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />

Die Wicken<br />

Le pois de senteur, 1912<br />

Öl/Leinw., 51 x 77 cm, Privatbesitz<br />

©VG Bild-Kunst, Bonn 2010


Ich bin noch Archivar der alten Garde<br />

Eberhard Illner und das<br />

Historische Zentrum Wuppertal<br />

mit dem Museum<br />

für Frühindustrialisierung<br />

1774 ritt der 25 jährige Goethe von Düsseldorf<br />

nach Elberfeld, um dort Johann Heinrich<br />

Jung, genannt Stilling, wieder zu sehen.<br />

Die beiden hatten sich in Straßburg kennen<br />

gelernt, wo Jung-Stilling Medizin studierte.<br />

Er ließ sich zunächst als praktischer und<br />

dann als Augenarzt in Elberfeld nieder.<br />

Goethe hat ihm dringend geraten, seine<br />

„Lebensgeschichte“ aufzuschreiben, deren<br />

ersten Band er dann ohne Jung-Stillings<br />

Wissen herausgab. 1789 hat sich dieser in<br />

seinem Buch „Häusliches Leben“ an seine<br />

Eindrücke vom Wuppertal erinnert:<br />

„Den Sommer übersieht man das ganze<br />

Thal zwey Stunden hinauf, bis an die<br />

Märkische Gränze, mit leinen Garn wie<br />

beschneyt, und das Gewühl von thätigen<br />

und sich glücklich nährenden Menschen<br />

ist unbeschreiblich: alles steht voll einzelner<br />

Häuser; ein Garten, ein Baumhof stößt<br />

an den andern und ein Spaziergang durch<br />

dieses Thal ist paradiesisch.“<br />

An diese Beschreibung könnte man beim<br />

Betrachten des Modells denken, das sich<br />

im Museum für Frühindustrialisierung in<br />

Barmen befi ndet.<br />

Im Alter erinnert sich Goethe in „Dichtung<br />

und Wahrheit“: „Wir besuchten Elberfeld<br />

und erfreuten uns an der Rührigkeit<br />

so mancher wohlbestellten Fabriken.<br />

Hier fanden wir unseren Jung, genannt<br />

Stilling, wieder (.....). Die betriebsame<br />

Gegend gab einen beruhigenden Anblick,<br />

weil das Nützliche hier aus Ordnung und<br />

Reinlichkeit hervortrat.“<br />

Goethes Lebenszeit von 1749 bis 1832<br />

entspricht ziemlich genau der Zeit der<br />

Frühindustrialisierung. Zwölf Jahre vor<br />

seinem Tod wurde Friedrich Engels in<br />

Barmen geboren, und 1804 rollte die erste<br />

mit Dampfkraft betriebene Eisenbahn.<br />

Goethe war ein sehr genauer Beobachter<br />

der rasanten Entwicklungen seiner Zeit.<br />

In „Wilhelm Meisters Wanderjahre“,<br />

einem seiner Spätwerke, klingt es nicht<br />

mehr nach „beruhigendem Anblick“:<br />

„(...) es war nicht zu leugnen, das Maschinenwesen<br />

vermehre sich immer im Lande<br />

und bedrohe die arbeitsamen Hände nach<br />

und nach mit Untätigkeit.“ Weiter heißt<br />

es: „Das überhandnehmende Maschinenwesen<br />

quält und ängstigt mich, es wälzt<br />

9


10<br />

Museumsstationen Spinnen und Weben<br />

Jacquardwebstuhl, 19. Jahrhundert<br />

sich heran wie ein Gewitter, langsam,<br />

langsam; aber es hat seine Richtung genommen,<br />

es wird kommen und treffen.“<br />

Diese radikalen Veränderungen durch<br />

die Industrialisierung werden im „Historischen<br />

Zentrum“ in der Engelsstraße<br />

in Barmen anschaulich. Das Museum<br />

ist zwar den meisten Wuppertalern ein<br />

Begriff, doch viele haben diese überaus<br />

interessanten Häuser noch nie besucht.<br />

Es lohnt sich, in die Geschichte des Wuppertales<br />

einzutauchen und zu sehen, wie<br />

unsere Vorfahren gelebt, gedacht und vor<br />

allem gearbeitet haben und wie die Industrialisierung<br />

dieses Tal bis heute prägt.<br />

Eberhard Illner leitet seit 2008 mehrere<br />

städtische Institutionen: das Stadtarchiv,<br />

die Naturwissenschaftlichen Sammlungen<br />

des (leider eingelagerten) Fuhlrottmuseums<br />

und das Historische Zentrum in Barmen<br />

samt Kalktrichterofen Eskesberg und<br />

den Manuelskotten. Illners Vorgänger,<br />

Michael Knieriem, hat dieses Museum<br />

so benannt, weil es das Engels-Haus, das<br />

Museum für Frühindustrialisierung mit<br />

seinen Außenstellen und neuerdings den<br />

Ankerpunkt Industriekulturrouten und<br />

ein Bistro umfasst, in dem jedermann<br />

willkommen ist.<br />

Illner wirkt in seiner aufgeschlossenen Art<br />

gar nicht so, wie man sich einen „Archivar<br />

der alten Garde“ vorstellen würde. Dessen<br />

Tätigkeit schildert er folgendermaßen:<br />

„Vormittags wurde archiviert und nachmittags<br />

schrieb man wissenschaftliche<br />

Beiträge. Akten versteht man eigentlich<br />

nur, wenn man das historische Umfeld<br />

kennt. Neben dem Ordnen, Erschließen<br />

und Verzeichnen von Akten gehört ebenso<br />

zu den Tätigkeiten eines Archivars wie<br />

Beiträge zur Stadtgeschichte zu schreiben.<br />

In sofern ist der Archivar auch Stadthistoriker.“<br />

Mit dem Wuppertal ist Illner seit langem<br />

verbunden: In seiner Dissertation über<br />

„Bürgerliche Organisierung in Elberfeld<br />

1775 bis 1875“ hat er sich mit den<br />

Vereinen in dieser Zeit befasst und deren<br />

religiöse, politische und soziale Bedingungen<br />

anschaulich aufgearbeitet. Dieses<br />

Werk entstand 1981 in einem Zimmer<br />

im Engels-Haus - damals konnte Illner<br />

nicht ahnen, dass er hier einmal Hausherr<br />

sein werde.<br />

Nach der Promotion führte Illners Weg<br />

zunächst an das Stadtarchiv Marburg und<br />

dann nach Koblenz ans Bundesarchiv.<br />

„Das war die Zeit, in der ich am meisten<br />

gelernt habe, zum Beispiel wurden dort<br />

die Hitlertagebücher auf ihre Echtheit<br />

geprüft.“<br />

1986 ging er an das Historische Archiv<br />

der Stadt Köln und übernahm dort die<br />

Abteilung Sammlungen, Photographie<br />

und Nachlässe. 1990 – 1995 leitete er ein<br />

Projekt zur Zeitzeugenbefragung und zur<br />

Quellendokumentation des kulturellen<br />

Lebens der Stadt Köln nach 1945. Über<br />

den im Kulturarchiv bereits bestehenden<br />

Bestand von etwa 300 Archiven hinaus<br />

kamen in den folgenden Jahren mehr als<br />

400 Projekte hinzu. Dazu gehörten unter<br />

anderem die Nachlässe des Komponisten<br />

Jacques Offenbach, des Literaturwissenschaftlers<br />

Hans Mayer, des Schriftstellers<br />

Heinrich Böll und des in Elberfeld gebürtigen<br />

Dirigenten Günther Wand. Daraus<br />

ergab sich die Zusammenstellung einer<br />

Projektgruppe, die sich aus ganz unterschiedlich<br />

qualifi zierten Mitarbeitern aus<br />

den verschiedensten wissenschaftlichen<br />

Disziplinen konstituierte, darunter Kunst,<br />

Musik, Literatur und Philosophie. Auch<br />

ein großes Fotoarchiv gehörte dazu, und<br />

seither gilt Illners besonderes Interesse<br />

diesem Medium. Das Kölner Archiv war


nicht nur ausgezeichnet wegen seiner<br />

besonderen Bestände, sondern dort arbeiteten<br />

Doktoranden und Habilitanden aus<br />

der ganzen Welt. Dank dieser Zusammenarbeit<br />

hat sich ein reger wissenschaftlicher<br />

Austausch entwickelt, und es sind<br />

wichtige Freundschaften entstanden. Diese<br />

überaus lebendige Tradition des wissenschaftlich<br />

tätigen Archivars wurde seit den<br />

80er Jahren zunehmend abgebaut. Im<br />

Zuge der Rationalisierung von Arbeitsplätzen<br />

galten Archivare als „überfl üssige<br />

Paradiesvögel.“ Heute nennen sie sich<br />

Public Records Manager und beschränken<br />

sich auf die reine Aktenverwaltung, ohne<br />

auf die Inhalte zu schauen. So ist es für<br />

die Stadt Wuppertal ein Glücksfall, mit<br />

Eberhard Illner einen so überaus vielseitigen<br />

Museumsleiter berufen zu haben.<br />

Was hat Illner vorgefunden?<br />

Da ist besonders zu erwähnen die alte<br />

Freundschaft zu Michael Knieriem, der<br />

das Museum bis 2003 so gestaltet hat, wie<br />

es sich gegenwärtig präsentiert. Gemeinsam<br />

mit Knieriem hat Illner zahlreiche<br />

Projekte verwirklicht, wie z.B. die große<br />

Ausstellung „Michels Erwachen“ im<br />

Haus der Jugend 1998. 2007 konzipierte<br />

und organisierte Illner auf Grund eines<br />

wissenschaftlichen Gutachtens eine Veranstaltung<br />

über den Kunstsammler Dr.<br />

Eduard Freiherr von der Heydt als Person<br />

der Zeitgeschichte in der Historischen<br />

Stadthalle Wuppertal.<br />

„Das Museum für Frühindustrialisierung<br />

ist Michael Knieriems Werk“, sagt Eberhard<br />

Illner. Knieriem hat dafür gesorgt,<br />

dass die ehemalige Kannegießersche<br />

Fabrik, die zuletzt den Wuppertaler Bühnen<br />

als Lager gedient hatte, als Museum<br />

hergerichtet wurde und später noch die<br />

Remise der benachbarten ehemaligen<br />

Spedition hinzugewonnen werden konnte.<br />

„Er ist Forscher mit dem besonderen<br />

Talent, Objekte so zu präsentieren, dass<br />

sie den Betrachter ansprechen“. Anne<br />

Roerkohl, Spezialistin für Filmdokumente<br />

und historische Dokudramen, entwickelte<br />

gemeinsam mit Knieriem das Präsentationsmodell<br />

für das Museum. Dazu gehören<br />

einige besondere Attraktionen, die<br />

den Besucher sofort fesseln: Durch einen<br />

„Zeittunnel“ hindurch schreitend erfährt<br />

man anschaulich die Abhängigkeit und<br />

Bestimmtheit des modernen Menschen<br />

durch die Uhr. Diese Strenge der Zeit-<br />

Englisches Spinnrad Ende des 19. Jahrhunderts<br />

Kontor eines Textilunternehmers<br />

planung ist die Folge der Mechanisierung<br />

im 19. Jahrhundert, denn die Maschine<br />

arbeitet nur dann effektiv, wenn sie so<br />

intensiv wie möglich eingesetzt wird.<br />

Dazu sind absolute Pünktlichkeit und<br />

Zuverlässigkeit der Arbeiter unerlässlich.<br />

So lange sie zu Hause arbeiteten, konnten<br />

die Heimwerker ihre Zeit weitgehend<br />

selbst bestimmen; das änderte sich mit<br />

dem Aufkommen der Fabriken. Nun unterliegt<br />

der Arbeitnehmer dem Diktat der<br />

Stechuhr. „Zeit ist Geld“ wird der neue<br />

Wahlspruch. Der moderne Mensch hat<br />

sich daran gewöhnen müssen; wir können<br />

uns kaum mehr vorstellen, dass vor dem<br />

Zeitalter der Industrialisierung die Zeit in<br />

jedem Dorf eine andere war.<br />

Am Ende des „Zeittunnels“ erwartet<br />

den Besucher ein besonderes Erlebnis.<br />

Nachdem man einen stockfi nsteren<br />

Raum betreten hat, wird es plötzlich sehr<br />

hell, und man fi ndet sich umgeben von<br />

zahllosen laut ratternden Webstühlen,<br />

es wird unerträglich heiß, der Holzfußboden<br />

vibriert, und man begreift, dass<br />

hier durch multimediale Animation die<br />

Arbeitsbedingungen in einer Weberei des<br />

19. Jahrhunderts eindrucksvoll simuliert<br />

werden. Nur der unerträgliche Geruch<br />

nach heißen Tierfetten, mit denen die<br />

11


12<br />

Maschinen geölt wurden, fehlt. Jetzt<br />

ist der Besucher sensibilisiert für die<br />

unmenschlich harten Arbeitsbedingungen<br />

zu Beginn der Industrialisierung. Man<br />

erfährt anschaulich, wie rasant sich die<br />

Mechanik der Spinn- und Webmaschinen<br />

weiter entwickelt hat. Kinder wurden als<br />

besonders billige Arbeitskräfte eingesetzt,<br />

weil manche Maschinen „kinderleicht“<br />

zu bedienen waren. Wegen ihrer geringen<br />

Körpergröße mussten Kinder, unter den<br />

laufenden Maschinen kriechend, den Boden<br />

sauber halten und unter Lebensgefahr<br />

Reparaturen durchführen.<br />

Wie lebendig diese schlimmen Lebensumstände<br />

vermittelt werden, kann man<br />

zum Beispiel an einem ganz normalen<br />

Vormittag im November erleben: Kurz<br />

hintereinander besuchen drei Schulklassen<br />

das Museum für Frühindustrialisierung.<br />

Als außerschulischer Lernort ist es<br />

sehr beliebt, und Führungen sind lange<br />

im Voraus ausgebucht. Neben einer<br />

Pädagogin, die an drei Tagen ins Museum<br />

abgeordnet ist, helfen engagierte<br />

ehrenamtliche Mitarbeiter. Schülern einer<br />

vierten Klasse wird hautnah vermittelt,<br />

wie der Alltag ihrer Altersgenossen im<br />

Zeitalter der Frühindustrialisierung ausgesehen<br />

haben könnte: Kann man sich vorstellen,<br />

jeden Tag 30 Kilometer zwischen<br />

ratternden Webstühlen auf Holzschuhen<br />

zurückzulegen? Oder wie mühsam es ist,<br />

einen großen Korb voller Baumwolle zu<br />

tragen? Ein Junge bekommt die „Güte“,<br />

das kellenartige Gerät der Bleicher, in<br />

die Hände und soll das schwere Holz so<br />

schwingen, dass sich das Wasser darin<br />

18 Meter weit über das Garn ergießen<br />

könnte, und das 14 Stunden am Tag!<br />

Die Kinder erfahren auch, wie gefährlich<br />

es war, wenn eine brennende Öllampe<br />

umfi el und die hölzernen Böden und<br />

Treppen Feuer fi ngen! Man hat später<br />

Holztreppen durch steinerne ersetzt, denn<br />

die häufi gsten Unfälle von Kindern im<br />

Textilgewerbe passierten durch Verbrennen<br />

und Ertrinken.<br />

8o% der Bevölkerung verdiente mit<br />

Spinnen und Weben den kargen Lebensunterhalt,<br />

Männer, Frauen und Kinder.<br />

Eine Gruppe älterer Schüler referiert zu<br />

ausgewählten Themen. Am Beispiel eines<br />

Modells des Gebietes um das Engels-<br />

Haus in der ursprünglichen Bebauung<br />

mit Bleicherwiesen erläutert eine<br />

Schülerin, dass Friedrich Engels’ Urgroßvater<br />

dort Arbeiterhäuser errichten ließ<br />

und wie die Heimwerker allmählich zu<br />

Fabrikarbeitern wurden. Friedrich Engels<br />

schreibt 1892, dass die „kaufmännischen<br />

Kapitalisten“ die Arbeitskraft gleichsam<br />

einkauften „die einstweilen noch ihr<br />

Produktionsinstrument besaß, aber schon<br />

nicht mehr den Rohstoff. Indem er so<br />

dem Weber rechtmäßige Beschäftigung<br />

sicherte, konnte er dagegen den Lohn des<br />

Webers derart drücken, dass ein Teil der<br />

geleisteten Arbeit unbezahlt blieb.“ Aus<br />

England kam das „Trucksystem“ (engl.<br />

Truck = Tausch). Die „Kölner Zeitung“<br />

schreibt 1845: „Mancher arme Familienvater,<br />

der kaum Brot für Frau und Kinder<br />

hat, ist genötigt, in schönen, teuren<br />

Kleidern einherzugehen, da er wohl Tuch<br />

und Seide für Kleider, aber kein Geld und<br />

Brot zu erhalten weiß.“<br />

Ein weiteres Erlebnis ist eine Videoinstallation<br />

der Wupper. An einem Brückengeländer<br />

stehend schaut man auf die<br />

Wupper und folgt den Veränderungen,<br />

die der Fluss über Jahrhunderte durchlaufen<br />

hat: Zunächst ist sie klar und voller<br />

Leben, im 19. Jahrhundert verschmutzt<br />

sie zunehmend, verfärbt sich, je nachdem<br />

welche Abwässer aus den Fabriken und<br />

Färbereien ihr zugemutet wurden, um<br />

während der Bombenangriffe auf Wuppertal<br />

im Zweiten Weltkrieg buchstäblich<br />

in Flammen zu stehen.<br />

Man erfährt von den Unterschieden im<br />

Leben, Arbeiten und Glauben zwischen<br />

Arbeitern und Großbürgern, indem man<br />

Einblick nehmen darf in ihre Wohn- und<br />

Arbeitsstätten. Die technischen Neuerungen<br />

des Transportwesens durch die Erfi ndung<br />

der Eisenbahn und die Anfänge des<br />

sozialen Verantwortungsbewusstseins der<br />

Bürger bilden den Abschluss der Dauerausstellung.<br />

Auch ein Museum unterliegt dem Zahn<br />

der Zeit, so ist die 2003 noch topmoderne<br />

Museumstechnik mittlerweile<br />

überholt. Illner hat zahlreiche Pläne für<br />

sein Haus. Ihm als Historiker sind einige<br />

Text- und Filmbeispiele zur Frühindustrialisierung<br />

nicht authentisch genug,<br />

weil sie sich, da die historische Quellenlage<br />

desolat ist, den tatsächlichen Gegebenheiten<br />

nur annähern können. Auch<br />

die akustische Dauerbeschallung in der<br />

Ausstellung ist veraltet. Es gibt inzwischen<br />

die Möglichkeit einer punktgenauen<br />

Beschallung, die wesentlich präziser<br />

ist und keine Mitbesucher stört. Illner<br />

wünscht sich eine technisch sichere und<br />

einfache elektronische Steuerung für sein<br />

Haus: „Ich will das Museum technisch<br />

vereinfachen, so dass es absolut zuverlässig<br />

und kostengünstiger funktioniert. Statt<br />

des Einsatzes von Beamern mit begrenzt<br />

haltbaren sehr teuren Birnen gibt es heute<br />

LCD – Technik, die selbst in taghellen<br />

Räumen scharfe Bilder liefert.“<br />

Auch für das Engels–Haus hat Illner neue<br />

Pläne. Für den unbefangenen Betrachter<br />

ist es nicht leicht, dieses Haus mit den revolutionären<br />

Ideen des berühmten Sohnes<br />

der Stadt in Verbindung zu bringen. Es ist<br />

auch nicht das Geburtshaus von Friedrich<br />

Engels, das 1943 den Bomben zum Opfer<br />

fi el, sondern das im Stil des Bergischen<br />

Spätbarocks erbaute bürgerliche Wohnhaus<br />

von Friedrich Engels’ Großvater<br />

Johann Caspar. Als die Stadt das Haus in<br />

den 60er Jahren erwerben konnte, war es<br />

völlig verwahrlost, weil man es nach dem<br />

Krieg in Kleinstwohnungen aufgeteilt<br />

hat. Das Gebäude muss dringend saniert<br />

werden, da es z.B. für Menschen mit<br />

körperlichen Einschränkungen kaum zu<br />

begehen ist. Hinzu kommt ein aktueller<br />

Aspekt: Die Stadt Trier hat sich dank<br />

einer großzügigen Zuwendung der<br />

Friedrich–Ebert–Stiftung dem Zeitgeist<br />

angepasst und das Geburtshaus von Karl<br />

Marx renoviert: 50% aller Gäste kommen<br />

aus China! Für die Chinesen sind Marx<br />

und Engels ebenso bedeutend wie für uns<br />

Goethe und Schiller. Einmal mehr zeigt<br />

sich, wie eng historische, gesellschaftliche<br />

und religiöse Aspekte miteinander<br />

verfl ochten sind, denn vor den politischen<br />

Umwälzungen seit 1989 hätte es diese<br />

Perspektive des Stadtmarketings noch<br />

nicht gegeben. Hier könnten sich bedeutende<br />

Möglichkeiten für die touristische<br />

Aufwertung von Wuppertal eröffnen.<br />

Illner beklagt, dass die Besucher chinesischer<br />

Gruppen vielfach unkoordiniert<br />

seien, zum Beispiel stünde plötzlich an<br />

einem Freitag Abend ein Bus mit Gästen<br />

aus China vor dem Haus, von deren Ankunft<br />

niemand etwas gewusst hat. Zum<br />

Glück war der Hausherr noch anwesend<br />

und konnte die Besucher durch das Museum<br />

führen. Wie schön wäre es, wenn


diese in Wuppertal übernachten könnten<br />

und ein touristisches Programmpaket<br />

vorläge! Der dazu unerlässliche Internetauftritt<br />

ist für 2011 vorgesehen.<br />

Das Engels–Haus verfügt über 30<br />

Jahre alte Schaukästen zur Biografi e von<br />

Friedrich Engels, die jedoch mehrheitlich<br />

Kopien beinhalten und nach Vorstellungen<br />

moderner Museumskonzeptionen<br />

veraltet sind. Skurril wie sie sind, haben<br />

sie inzwischen selbst musealen Charakter.<br />

„Mit Kopien kann man heutige Besucher<br />

kaum abspeisen, doch an die Originalquellen<br />

heranzukommen, ist fast unmöglich“,<br />

sagt Illner. Auch hier ist viel zu tun,<br />

jedoch in Zeiten der fi nanziellen Knappheit<br />

leider nur in ganz kleinen Schritten.<br />

Das repräsentative Engels-Haus mit seinen<br />

wunderschön ausgestatteten Räumen<br />

wird erfolgreich für Vorträge oder private<br />

Veranstaltungen wie Hochzeiten genutzt,<br />

und den Keller kann man für Feierlichkeiten<br />

mieten. Dass es Büroräume enthält<br />

und eine Wohnung ist in Illners Augen<br />

unangemessen, denn wertvolle Ausstellungsfl<br />

ächen gehen so verloren. Also gibt<br />

es auch für diesen Teil des Historischen<br />

Zentrums neue Pläne.<br />

Neu ist der „Ankerpunkt der Industriekulturrouten“<br />

im Museumsbistro auf<br />

dem ehemaligen Speditionsgelände. Die<br />

Idee dazu ist europäisch und hat sich für<br />

Wuppertal anlässlich der Regionale in<br />

Zusammenarbeit mit dem Bergischen<br />

Geschichtsverein und den regionalen<br />

und internationalen Netzwerken zur<br />

Industriekultur konkretisiert. Ähnlich<br />

wie für das Ruhrgebiet gibt es auch im<br />

Bergischen zahllose Möglichkeiten für die<br />

verschiedensten Unternehmungen. Man<br />

kann Touren und Führungen buchen und<br />

nach Wunsch für das gesamte Bergische<br />

Land zusammenstellen, da die Museen<br />

kooperieren. Die Mitarbeiter des Ankerpunktes<br />

arbeiten auch an neuen Informationstafeln<br />

für historisch bedeutende<br />

Orte in der Stadt. Im Rahmen dieses<br />

einmaligen Projektes ist Rainer Rhefus<br />

dabei, zusammen mit ehrenamtlichen<br />

Mitarbeitern in bestimmten Quartieren<br />

der Stadt Informationen von geschichtsinteressierten<br />

Bürgern zu sammeln. Diese<br />

werden wissenschaftlich ausgewertet<br />

und aufgearbeitet. Inzwischen gibt es 13<br />

Routen mit Schildern und Stelen; manch<br />

einem fallen die kleinen blauen Tafeln<br />

auf, die immer häufi ger im Stadtbild zu<br />

entdecken sind und von der Vergangenheit<br />

erzählen. Zur Zeit ist man dabei, die<br />

Nordbahntrasse zu beschildern.<br />

Illner hat ein weiteres Projekt: Im Fundus<br />

des Museums lagern vielerlei Dokumente<br />

und Originalobjekte aller Art und Größe<br />

aus vergangenen Zeiten, die dringend<br />

restauriert werden müssten. Dazu gehören<br />

Schriften, Stiche, Möbel, Uhren, Ferngläser,<br />

Maschinen und Bauteile. Illner plant<br />

eine Ausstellung dieser Stücke und sucht<br />

Paten, die sich der Restaurierung „ihres“<br />

Objektes annehmen. Als Gegenleistung<br />

erhält der Pate ein Namensschildchen<br />

und einen Eintrag, und er kann das Stück<br />

für berufl iche Zwecke ausleihen, z.B. zur<br />

Schaufenstergestaltung oder zur Werbung.<br />

Dabei geht es Illner weniger um<br />

Sponsoren als vielmehr um die persönliche<br />

Beziehung, die der Pate zu „seinem“<br />

Stück entwickeln soll. Engagement und<br />

bürgerliche Verantwortung, aber auch<br />

Freude am jeweiligen Gegenstand sind<br />

gefragt. Möge dieser Plan breite Resonanz<br />

fi nden!<br />

In den schönen Räumen für Wechselausstellungen<br />

möchte Illner mit einer Reihe<br />

von Themenausstellungen das Museum<br />

als technik- und kulturgeschichtlichen<br />

Erlebnisort präsentieren. Dass dieser Plan<br />

aufgeht, hat Illner bereits mit zwei großen<br />

Ausstellungen bewiesen, deren erste,<br />

„expedition materia“, in Zusammenarbeit<br />

mit der Junior Uni und einigen Technologieunternehmen<br />

durchgeführt wurde.<br />

Die zweite, „Licht fangen“, präsentiert die<br />

einzigartige Sammlung von Karl Heinz<br />

Steckelings zur Geschichte der Fotografi e.<br />

Die Bewältigung solcher umfangreichen<br />

Aufgaben ist angesichts von Stellenabbau<br />

und leeren Kassen nur mit Hilfe engagierter<br />

freier und ehrenamtlicher Mithelfer<br />

und großzügiger Sponsoren möglich.<br />

Erfreulicherweise kann das Museum seit<br />

13


14<br />

2008 über 25% mehr Besucher verzeichnen,<br />

dazu kommen Gäste zu über 89<br />

weiteren Veranstaltungen wie Vorträgen,<br />

Tagungen und Diskussionen oder etwa<br />

dem „public viewing“ in Kooperation<br />

mit dem WDR Köln. Illner wünscht sich<br />

noch mehr Interesse bei Familien und<br />

möchte die Attraktivität des Museums<br />

– parallel zur Dauerausstellung - durch<br />

Wechselausstellungen und durch ein weit<br />

gefächertes Programm verbessern.<br />

Eberhard Illner hat nicht nur eine Menge<br />

guter Ideen, sondern auch ein umfassendes<br />

Wissen und die nötige Ausstrahlung.<br />

Wenn er Besucher führt, werden die<br />

Zusammenhänge klar. Zum Beispiel fragt<br />

er, warum sich ausgerechnet im Wuppertal<br />

so zahlreiche Sekten gebildet haben,<br />

so viele Vereine entstanden sind und vor<br />

allem so unverdrossen fl eißig gearbeitet<br />

wurde, trotz schlimmster Lebensbedingungen.<br />

Das hängt mit pietistischen und<br />

kalvinistischen Strömungen zusammen:<br />

Wer von Gott erwählt oder verworfen ist,<br />

liegt bereits fest. Wer erwählt ist, gelangt<br />

zu Erfolg und Ansehen. Für die Verworfenen<br />

bleibt nichts als die Flucht in Sekten,<br />

von denen es bekanntlich im Wuppertal<br />

reichlich gegeben hat, die radikale Trennung<br />

von der Kirche oder der Alkohol.<br />

So heißt es in Otto Hausmanns Dichtung<br />

„Mina Knallenfalls“ um 1860:<br />

„Ich wurde an der Fuhr erzogen<br />

Mein Vater war alkoholkrank<br />

meine Mutter strickte Socken (....)“<br />

(Die Fuhr war eine verkommene Straße<br />

im Hochwassergebiet der Wupper, an der<br />

die Ärmsten der Armen hausten.)<br />

Goethe hat die religiösen Eigenarten<br />

nicht nur an seinem Freund Jung-Stilling<br />

wahrgenommen: “Sein Glaube duldete<br />

keinen Zweifel und seine Überzeugungen<br />

keinen Spott (...) und seinen Wunderglauben,<br />

der ihm so wohl zustatten kam,<br />

ließ ich unangetastet.“ 1828 schreibt der<br />

Dichter über die evangelischen Predigten<br />

von D. Krummacher, Pfarrer zu<br />

Gemarke: „In diesem Orte steht Herr<br />

Krummacher als Prediger. Sein Publikum<br />

besteht aus Fabrikanten, Verlegern und<br />

Arbeitern, denen Weberei die Hauptsache<br />

ist. (...) Die Weber sind von je her als ein<br />

abstrus–religiöses Volk bekannt,(...).“<br />

Weiter heißt es ironisch über die Manipulation<br />

der Predigten: „Man könnte<br />

Das Engels-Haus, so wie es die Wuppertaler kennen<br />

Der Salon im Engels-Haus<br />

deshalb diese Vorträge n a r k o t i s c h e<br />

P r e d i g t e n nennen; welche sich denn<br />

freilich (...) höchst wunderlich ausnehmen.“<br />

Das Historische Zentrum ist ein lebendiger<br />

Ort der Geschichtskultur des Wuppertales,<br />

die es unbedingt lohnt kennen<br />

zu lernen. Die Damen von der Aufsicht<br />

erleben das aus ihrer Sicht: Sie erzählen<br />

von einem chinesischen Besucher, der<br />

auf Empfehlung von Freunden voller<br />

Begeisterung den ganzen Tag im Museum<br />

verbracht hat. Besonders auffallend ist,<br />

wie schnell sich auch unlustige Schüler<br />

motivieren lassen: „Und wenn keine<br />

Schulklassen mehr kämen – die würden<br />

wir sehr vermissen!“<br />

Marlene Baum<br />

Fotos Peter Frese


Im Hier und Jetzt<br />

Atelierbesuch bei Peter Schmersal<br />

Peter Schmersal, Foto Thomas Hirsch<br />

In Kreuzberg, das hatten wir schon<br />

gehört, sei vieles anders. Obzwar er sein<br />

Wuppertaler Atelier an der Platzhoffstraße<br />

weiter nutzt, ist Peter Schmersal vor<br />

einigen Jahren nach Berlin-Mitte gezogen,<br />

auch dort mit Atelier. Aber während sich<br />

im Jugenstilhaus in Elberfeld, zwischen<br />

Treppenabsätzen und verwinkelten<br />

Durchgängen ein dichtes Zueinander aus<br />

Arbeits- und Lagerräumen, Situationen<br />

für die exemplarische Hängung wie auch<br />

das Gewinnen von Abstand eingestellt<br />

hat, handelt es sich in Kreuzberg um ein<br />

relativ nüchternes Studio. Ein langgestreckter<br />

Raum im dritten Stock in einem<br />

Industriebau, zweiter Hinterhof. Durch<br />

eine eingezogene Wand etwas abgetrennt,<br />

folgt ein weiterer Raum, die Vorhänge vor<br />

der Fensterfront zum Hof hin sorgen für<br />

gleichmäßiges Licht und die Gewissheit,<br />

nicht abgelenkt zu werden. Doch auch<br />

hier, Peter Schmersal „erlebt“ seine Bilder,<br />

setzt sich mit ihnen über den Malvorgang<br />

hinaus auseinander. Sie lehnen in<br />

kleineren Stapeln neben- und voreinander,<br />

mehrere Malereien sind in Arbeit,<br />

weggestellt sind Zustände, bei denen er<br />

noch nicht wisse, was er davon halten<br />

soll, auch hat Peter Schmersal Bilder von<br />

Wuppertal nach Berlin mitgenommen.<br />

Und wie in Wuppertal malt er in der Mitte<br />

des Raumes auf einer Staffelei, unter<br />

welcher der Boden durch ein Lattengerüst<br />

etwas erhöht ist. Aus einer anderen<br />

Etage ist Klavierspiel zu hören, klassische<br />

Musik. Die prosperierende Metropole mit<br />

dem pulsierenden Stadtteil Kreuzberg,<br />

wo derzeit eine „Aufwertungsmaßnahme“<br />

auf die andere folgt, also ist hier nicht zu<br />

empfi nden. – Nein, die Malerei in Berlin<br />

sei nicht anders als in Wuppertal, sagt<br />

Peter Schmersal. Gefunden hat er das<br />

Atelier über Kollegen, die ebenfalls hier,<br />

auf dem weitläufi gen Hofgelände an der<br />

Oranienstraße arbeiten. Zwar sind nun<br />

die Darstellungen von urbanen Situationen<br />

und die Landschaftsstücke, welche in<br />

den letzen Jahren in Nordrhein-Westfalen<br />

vor allem bei Karsten Greve in Köln und<br />

Horst Schuler in Düsseldorf ausgestellt<br />

waren, in den Hintergrund getreten. Dies<br />

betrifft auch die Porträts, die Schmersal<br />

15


16<br />

Matthew Barney as The Loughton Candidate,<br />

2008, Öl auf Leinwand, 115 x 95 cm<br />

teils im An- und Ausschnitt und über die<br />

Jahre mit immer den gleichen Modellen<br />

im Atelier gemalt hat, also im direkten<br />

Gegenüber: schnell und voller Risiko, infolgedessen<br />

wieder verwerfend und sofort<br />

wieder beginnend. Die so entstandenen<br />

Bildnisse sind Momentaufnahme und<br />

Verdichtung zugleich, von großer Intensität<br />

und enormer Präsenz. Der Malvorgang<br />

ist als pastose Bewegung festgehalten,<br />

in der sich Lichtrefl exe manifestieren.<br />

Und, könnte eine Gesichtshälfte oder<br />

ein Arm einen Menschen repräsentieren?<br />

Schmersals Bildnisse stellen in Frage und<br />

sind machtvolle Behauptungen, Existenz<br />

ist hier sinnliche Erfahrung. Ihn interessiere<br />

das physische Gegenüber, bei allen<br />

seinen Motiven, sagt Peter Schmersal,<br />

sachlich und gelassen im Gespräch, ohne<br />

allzu viel Worte sich seiner Sache sicher,<br />

aber sich immer wieder neuen Herausforderungen<br />

stellend. Als er ganz in Wuppertal<br />

gelebt hat, ist er mitunter in die<br />

Landschaft hinausgefahren und hat dort<br />

unter freiem Himmel gemalt. In Berlin<br />

hingegen entfällt erst mal der Gedanke an<br />

Bilder mit Landschaft, tritt anderes in den<br />

Vordergrund.<br />

Aber nach wie vor entstehen Malereien<br />

von Blumen und Interieurs, welche etwas<br />

Karges, Knappes kennzeichnet. So hat<br />

Schmersal noch in Wuppertal immer<br />

und immer wieder einen Stuhl, seitlich<br />

dahinter eine Sense gemalt, damit zur<br />

Metaphorik hin und dann wieder von<br />

ihr weggearbeitet, bis er bei der Malerei<br />

als lapidares Konstatieren von sichtlicher<br />

Wirklichkeit angekommen war... Und im<br />

Berliner Atelier stehen an der Schauwand<br />

und auf der Staffelei mittelformatige<br />

Bilder, die nichts als den leergeräumten<br />

Tisch zeigen: als Linienkonstruktion und<br />

wie im Gegenlicht, umfasst von einem<br />

pastellfarben monochromen Ton. Im<br />

Umschlag von Fläche und Raum handelt<br />

es sich um Zeichnung und Malerei, Andeutung<br />

und Ausformulierung zugleich.<br />

Schon darin, wie der Gegenstand selbst<br />

isoliert bleibt und der Umraum angelegt<br />

ist, schließen diese neuen Bilder an die anderen<br />

Sujets und deren Darstellungsweisen<br />

an, auch wenn Schmersal den bildnerischen<br />

Vortrag, weiterhin die plastischen<br />

Aufwerfungen des Sujets da geradezu umkehrt.<br />

Eine gewisse Zeitlosigkeit – welche<br />

ja schon die ausschließliche Hinwendung<br />

zum „klassischen „ Metier“ der Malerei,<br />

allen neuen Medien zum Trotz, kennzeichnet<br />

– ist noch den Motiven eigen. Die<br />

Dinge auf seinen Bildern gibt es jedenfalls<br />

seit Jahrhunderten: Sie sind grundsätzliche<br />

Phänomene unseres Daseins, genommen<br />

Herbst oder Die Traubenernte (Goya), 2009, Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm


aus ihrem Zusammenhang. Hingegen handelt<br />

die malerische Schilderung selbst mit<br />

Zeit, erlebt als faktische Realität im Hier<br />

und Jetzt. – Schon diese Bilder belegen, dass<br />

Peter Schmersal, der 1952 in Wuppertal<br />

geboren wurde und seit 1990 auf Ausstellungen<br />

vertreten ist, einer der wichtigen<br />

realistischen Maler hierzulande ist.<br />

Bilder der Kunstgeschichte<br />

Ein aktuelles Thema sind die Malereien<br />

nach Bildern der Kunstgeschichte. Früher<br />

eher die Ausnahme und als einzelne in die<br />

Ausstellungen integriert, stellen sie seit<br />

einiger Zeit das Hauptanliegen von Peter<br />

Schmersal dar. Die Auswahl der Vorlagen,<br />

die er im vergrößerten oder verkleinerten<br />

Format, aber stets als Ganzes wiedergibt,<br />

erfolgt eher intuitiv aus seinem spezifi<br />

schen Interesse als Maler und in der<br />

Hinwendung auf malerische Überlegungen.<br />

Sie schließt die zeitgenössische Kunst<br />

nicht aus, und in einem Fall bezieht sich<br />

Schmersal sogar auf ein Filmstill. Zu<br />

sehen ist, wie im Scheinwerferlicht, ein<br />

Selbstporträt von Matthew Barney aus<br />

Eva (Lucas Cranach der Ältere), 2008, Öl auf Leinwand, 135 x 95 cm<br />

seinem fi lmischen „Cremaster“-Zyklus:<br />

Aufrecht, in seitlicher Stellung, das Haupt<br />

zum Betrachter gewendet. Vielleicht ist<br />

Schmersals Malerei überhaupt die angemessene<br />

bildnerische Übertragung für<br />

den virulenten Surrealismus, aus dem das<br />

fi lmische Werk von Barney seine Energie<br />

gewinnt.<br />

Ein Unterschied zur Malerei der früheren<br />

Werkgruppen liegt auf der Hand. Hier<br />

nun ist das „Modell“ bereits eine Reproduktion,<br />

etwa aus Zeitungen, welche<br />

die Kunstwerke teils in s/w abbilden.<br />

Schlussendlich aber ist sekundär, ob<br />

der Betrachter das „Vorbild“ (er)kennt.<br />

Schmersals Malerei erwächst aus sich<br />

heraus und steht für sich. Sein autonomes<br />

Zitieren greift dabei unterschiedliche<br />

Gattungen der Malereigeschichte auf, mit<br />

einem besonderen Interesse für Figurendarstellungen.<br />

Als Schwerpunkte erweisen<br />

sich die altdeutsche Malerei (Lukas<br />

Cranach, Martin Schongauer, Hans Baldung<br />

Grien) und die spanischen Meister<br />

(Goya und Velázquez). Schmersal hält<br />

den Spagat der genauen Wiedergabe und<br />

der Freiheit des Malens: mit der Entscheidung<br />

zur Veränderung der Farbigkeit wie<br />

auch zur Reduktion oder zur Aussparung<br />

bis hin zu einem leeren „Fleck“ auf der<br />

Leinwand.<br />

Natürlich könnte man im einzelnen<br />

untersuchen, wie sich die Vorlage aus der<br />

Kunstgeschichte verändert hat, welche<br />

Partien Schmersal summiert und welche<br />

er neu übersetzt hat, also wie er von mal<br />

zu mal reagiert. Auch wie er einerseits<br />

in der Flächigkeit der fotomechanischen<br />

Wiedergabe bleibt, andererseits aber das<br />

Vor-Bild bereits als Gegenüber versteht<br />

und die Figuren als handelnde, körperhafte<br />

Wesen begreift – und wie er das<br />

Geschehen als Ereignis im (Farb-) Raum<br />

setzt. Zu den großartigsten Beispielen<br />

gehört seine Malerei zu „Innozenz X.“<br />

nach Velázquez. Natürlich, sagt Peter<br />

Schmersal, habe er Velázquez’ Gemälde<br />

im Original gesehen. Die Papst-Darstellungen<br />

von Francis Bacon sind ihm<br />

ebenso vertraut – und zugleich löst er<br />

sich von den motivischen Vorläufern und<br />

erfasst das Bild als Malerei und schafft<br />

aus dessen konstitutiver Anlage Eigenes.<br />

Der Rock des Papstes ist bei Schmersal<br />

17


18<br />

goldgelb fl irrendes, leuchtendes Gefi eder,<br />

noch im Kontrast zum Purpur und zu<br />

allem Rot. Das Gesicht wirkt gerade in<br />

seiner Längung aufmerksam und unmittelbar.<br />

Obzwar etwas seitlicher als bei<br />

Velázquez positioniert, ist hier Innozenz<br />

X. doch näher am Betrachter. Und erst<br />

recht bei Schmersal thront Innozenz X.<br />

und vermittelt so geistige Größe. Dazu<br />

ist der Umraum weiter abstrahiert, mit<br />

dem Pinsel in Farbbahnen gezogen, noch<br />

mit der Andeutung möglicher Schatten.<br />

Schmersals Gemälde ist eine Malerei über<br />

Malerei, eine anregende, hochgebildete<br />

Lehrstunde über ihre Gegenwärtigkeit<br />

und ihre Präsenz durch die Geschichte<br />

hindurch, welche anhand des Motivs in<br />

ihrer Historizität unterstrichen ist. Und es<br />

ist Porträtmalerei über eine Porträtmalerei<br />

– auch hier gilt, was Raimund van Well<br />

über Schmersals Malerei vorm menschlichen<br />

Modell geschrieben hat: dass es<br />

sich um „ein[en] wirklich[en] Beitrag zur<br />

Wirklichkeit des anwesenden Menschen“<br />

handle (Kat. Köln 1999, S. 48). Nun<br />

aber wird die Frage von Anwesenheit<br />

und Abwesenheit auf die Spitze getrieben.<br />

Neu angegangen wird die Differenz<br />

von Realität und Vorstellung, noch als<br />

Nachbild aus der Erinnerung. Und<br />

angesprochen ist schließlich das prekäre<br />

Verhältnis von Werktreue und Interpretation,<br />

von Original und Zitat, unvermittelt<br />

und vermittelt: Wie sehr können wir den<br />

überlieferten Bildern trauen oder ist nicht<br />

erst das neue Bild – fern jeder damaligen<br />

Auftragsmalerei, auch mithin „Schönmalerei“<br />

– authentisch? Natürlich fordert<br />

Schmersals zeitgenössisches Meisterwerk<br />

darüber hinaus zur Auseinandersetzung<br />

mit der Kunstgeschichte und deren Konditionen<br />

auf.<br />

Für andere Bilder wendet sich Schmersal<br />

dem Figureninventar der frühen Malerei<br />

zu. Mit den Gestalten der klassischen<br />

Mythologie und des Alten Testaments<br />

kommt augenblicklich eine weitere<br />

Refl exionsebene hinzu, die den Kanon<br />

der Visualisierung des Nicht-Visualisierbaren<br />

anspricht. Schmersal entwirft die<br />

überlieferten Figuren als Malerei zwischen<br />

Individualität und Typus mit den<br />

entsprechenden Attributen. Die Ikonographie<br />

und die Symbole – schon die<br />

Schlange oder ein Amor – werden für ihn<br />

Innozenz X. (Velázquez), 2009, Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm<br />

zu expressiver Anverwandlung, einzigartig<br />

und reich an inhaltlichen Dimensionen.<br />

Und mit all dem erweckt Schmersal die<br />

Darstellungsweisen der Kunstgeschichte<br />

zu zeitgenössischer Vitalität. Er zeigt<br />

dabei, über welche schiere Kraft und<br />

Frische Malerei verfügt und dass sich ihre<br />

klassischen Themen und Gattungen aus<br />

sich heraus regenerieren. Innerhalb der<br />

Kette der Motive und Sujets, die Peter<br />

Schmersal im Laufe seiner Tätigkeit<br />

geschaffen hat, ist die Hinwendung auf<br />

die Darstellungen aus der Geschichte der<br />

Malerei konsequent und geht noch einen<br />

Schritt weiter. Seine Malerei ist Ausdruck<br />

von Beobachtungsgabe und rigoroser Vergegenwärtigung,<br />

sie bannt Aura und spürt<br />

die Momente sinnlicher Welt auf – auch<br />

da, wo wir nicht damit gerechnet haben.<br />

Peter Schmersal stellt vom 11. Dezember<br />

bis 26. Februar in der Galerie Horst<br />

Schuler, Citadellstr. 15 in Düsseldorf aus.<br />

www.horstschuler.com<br />

Thomas Hirsch<br />

© für alle Bilder: Atelier Peter Schmersal,<br />

Porträt: Thomas Hirsch


Der Gigant der tiefen Töne<br />

Kurt Rydl<br />

und seine Wuppertaler Ehefrau<br />

Ein Bild mit Seltenheitswert:<br />

Kurt Rydl zu Hause in Wien.<br />

Die abwechslungsreiche Geschichte des Barmer<br />

Bahnhofs hat eine neue Epoche erreicht.<br />

Martina Steimer als langjährige Prinzipalin<br />

des Forum Maximum im kuscheligen<br />

Rex-Theater in Elberfeld wird Pächterin im<br />

Barmer Bahnhof. Mit dem Auftritt von Götz<br />

Alsmann am 4.Feburar 2011 soll es losgehen.<br />

„Forum Maximum im Barmer Bahnhof“<br />

heißt die Stätte der besonderen Unterhaltung.<br />

Es trafen sich Partner, deren Interessen für die<br />

Kultur absolut kompatibel sind, auch wenn<br />

sie aus unterschiedlichen Bereichen stammen.<br />

Was die Sache eher spannender gestaltet.<br />

Hier die ausgewiesene Fachfrau Martina<br />

Steimer für die Kabarett-und Comedy-Szene.<br />

Andererseits Christiane und Kurt Rydl als die<br />

Besitzer der Immobilie mit dem Focus auf den<br />

klassischen Bereich. Wobei wir beim „Bahnhofsvorsteher“<br />

der besonderen Sorte wären.<br />

Kurt Rydl war buchstäblich wieder einmal<br />

auf der Durchreise. Angehalten hat er an<br />

seinem eigenen Bahnhof. Dem Barmer<br />

Bahnhof, den er gemeinsam mit seiner Ehefrau<br />

Christiane vor zwei Jahren für 540.000<br />

Euro gekauft hat. Er kam Anfang November<br />

2010 von einem Auftritt im „Ring des<br />

Nibelungen“ mit der Kölner Oper bei der<br />

EXPO in Shanghai und reiste weiter nach<br />

Dresden und Wien, wo er in der Semperoper<br />

und in der Staatsoper im „Rigoletto“<br />

von Verdi die Rolle des Mörders Sparafucile<br />

spielte.<br />

Sein Terminkalender ist gefüllt bis in das<br />

Jahr 2014. Allein für 2011 tauchen in<br />

seinem Terminkalender in alphabetischer<br />

Reihenfolge die Auftrittsorte Amsterdam,<br />

Dresden, London, Oviedo, Paris, Turin<br />

und Zürich auf. Das Arbeitspensum dieses<br />

Mannes ist für einen normalen Menschen<br />

kaum vorstellbar und selbst in hochkarätigen<br />

Künstlerkreisen eher selten. Aber der<br />

Kammersänger Kurt Rydl ist kein „normaler<br />

Mensch“ und in fast allen Facetten<br />

des Lebens wohl eine Rarität. „Beuteltier,<br />

Urviech und Gigant“ sind nur einige der<br />

Beschreibungen in den Medien über den<br />

Mann, der natürlich mit den legendären<br />

„Drei Tenören“ eine CD „Weihnachten<br />

der Weltstars“ aufnahm. Rydls Repertoire<br />

umfasst ca.100 Partien, 1996 wurde er<br />

zum Kammersänger ernannt, im Jahre<br />

1999 zum Ehrenmitglied der Wiener<br />

Staatsoper und allein bei den Salzburger<br />

Festspielen hat der „Megabass“ in 19<br />

Jahren über 200 Vorstellungen absolviert.<br />

Beim Wiener Opernball 2010 gab es eine<br />

19


20<br />

sehr persönliche Begegnung mit Kurt<br />

Rydl in der Loge von Thomas Gottschalk.<br />

Eindrucksvoll zu erleben auf der Homepgage<br />

www.kurt-rydl.com. Seit 1973 ist der<br />

Wiener Kurt Rydl mit einer Wuppertalerin<br />

verheiratet. Es sind enge verwandtschaftliche<br />

Bande, die nach Wuppertal geknüpft<br />

sind, denn sein Schwager ist Thomas<br />

Leipoldt, der Inhaber des „Marktes im<br />

Bahnhof Barmen“.<br />

Zu Kurt Rydls 60.Geburtstag vor drei<br />

Jahren ist ein Buch erschienen. Placido Domingo<br />

schrieb das Grußwort und bei der<br />

Präsentation in der Dresdner Semperoper<br />

hat der Oscar-Preisträger Maximilian Schell<br />

aus dem gewichtigen Werk vorgelesen.<br />

Jahrelang hat Christiane Rydl für diese 384<br />

Seiten gearbeitet.<br />

An solche Entwicklungen war nie zu<br />

denken, als sie einst nach gemeinsamen<br />

Auftritten mit Hanns Dieter Hüsch in<br />

Rheinhausen während ihres Musikstudiums<br />

in Wien auf Kurt Rydl traf – und den im<br />

Grunde anfangs gar nicht so recht mochte,<br />

ehe sie seine Stimme hörte. Ihre eigene<br />

Karriere im Mezzosopran-Fach tauschte sie<br />

nach der Heirat gegen das Management des<br />

Ehemannes. Und wie das in Künstlerkreisen<br />

so üblich ist, hat das Wien-Wuppertaler<br />

Paar zwischenzeitlich auch die Boulevardpresse<br />

des Landes ausreichend bedient. Wer<br />

keine Vergangenheit hat, der hat auch<br />

keine Zukunft. Und so kann es Christiane<br />

Rydl heute gut ertragen, wenn ihr Kurt im<br />

launigen Gespräch bei einem Glas Rotwein<br />

über seinen Wunsch der letzten Ruhestätte<br />

spricht: “Ich möchte neben der Christa<br />

Ludwig begraben werden.“ Christa Ludwig<br />

ist eine der bedeutendsten Opernsängerinnen<br />

der letzten Jahrzehnte. Sie lebt<br />

82-jährig in der Nähe Wiens.<br />

Die Liste der großen Namen der Opernwelt<br />

mit Kurt Rydls gemeinsamen<br />

Auftritten ist endlos lang, sie reicht von<br />

der am 25. Dezember 2005 verstorbenen,<br />

legendären Schwedin Birgit Nilsson bis<br />

zu aktuellen Stars wie der Lettin Elina<br />

Garanca, mit der Rydl in einer seiner<br />

Paraderollen als „Ochs auf Lerchenau“ in<br />

Wiens Staatsoper im „Rosenkavalier“ von<br />

Richard Strauss auftrat. Ruhmreich auch<br />

die Auftrittsorte, bei 90 bis 100 Auftritten<br />

pro Jahr und insgesamt rekordverdächtigen<br />

fast 3500 gesungenen Vorstellungen<br />

rund um den Erdball kaum verwunderlich<br />

- und so fi ndet sich gelegentlich die Schöner Wohnen im Hause Rydl.


22<br />

Bemerkung in den Medien, der „Mann<br />

mit der dunkelsten Stimme unter den<br />

aktiven Opern sängern“ würde am liebsten<br />

in mehreren Städten gleichzeitig auftreten.<br />

Nur der Grüne Hügel in Bayreuth war ein<br />

ziemlich kurzer Abschnitt der Karriere.<br />

Und auch die Met in New York ist ein<br />

weißer Fleck. Dabei gibt es noch eine Ruhepause<br />

im Sommer, wenn die Rydls auf<br />

ihrem Anwesen von Mallorca Kraft für die<br />

Arbeit fi nden. Ihr Zuhause aber ist Wien.<br />

Im 7. Bezirk in der Nähe des Spittelberges<br />

weist ein Klingelschild mit der Aufschrift<br />

KS (für Kammersänger) Rydl den Weg in<br />

eine Wohnung, die sich als fi lmreife Mischung<br />

von Lebens- und Arbeitsraum,<br />

Museum und Begegnungsstätte präsentiert.<br />

Der Kamin stammt aus der Toskana, ein<br />

Balken an der Decke aus dem Jahre 1743<br />

aus Kärnten, das Atrium ist von Klostergittern<br />

umgeben, und an der Wand zeugen<br />

wertvolle Bilder davon, dass hier einst der<br />

Restaurator eines bedeutenden Museums<br />

wohnte. So etwas ist heute nicht mehr einzurichten,<br />

dabei mangelt es nicht an<br />

heiteren Details. Bevor der alte Aufzug vom<br />

langen Flur in Gang kommt, öffnet die<br />

1947 in der damaligen Landesfrauenklinik<br />

an der Vogelsangstraße geborene Hausherrin<br />

ein „Guckloch“ – getarnt durch die<br />

Urkunde zur Ernennung des Ehrenmitgliedes<br />

der Wiener Staatsoper. Sie kann schon<br />

frühzeitig die Gäste begutachten...“wie die<br />

Witwe Bolte“.<br />

Nun stehen die Bässe als zwar oftmals<br />

spektakuläre Bühnenerscheinungen selten<br />

so extrem im Focus der Medien wie die<br />

Tenöre, zumal ihre Partien mitunter eher<br />

kurz sind. Gebraucht werden sie dennoch,<br />

und so kommt aus dem Munde von Kurt<br />

Rydl auch der Satz: „Die Bässe halten,<br />

was die Tenöre ver sprechen.“ Es freut ihn<br />

mächtig, dass er mit seinen über 60 Jahren<br />

unverändert voll im Saft steht und keinen<br />

Gedanken daran verschwendet, sich mit<br />

dem Begriff „kürzer treten“ zu beschäftigten.<br />

In der DVD zum Rydl-Buch ist eine<br />

Szene eingespielt, auf der er mit dem Ball<br />

am Fuß ein 60m-Solo über den Fußballplatz<br />

hinlegt: „Schließlich habe ich in der<br />

Jugend bei Rapid Wien gespielt.“ Heute<br />

bevorzugt er die Disziplin Marathon in<br />

Sachen Auftritte.<br />

Spiele mit Blicken, Christiane und Kurt Rydl.<br />

Vor dem Werk von Gottfried Helnwein.<br />

Klaus Göntzsche<br />

Fotos: Heinz Eschmat Kurt Rydl, Martina Steimer, Thomas Leipoldt und Christiane Rydl.


Zwei im Wuppertaler Von der<br />

Heydt Museum jahrzehntelang<br />

als Gemälde Vincent van Goghs<br />

gehütete Stilleben wurden jetzt als<br />

Fälschungen entlarvt<br />

Dr. Gerhard Finckh (links) und<br />

Restaurator Andreas Iglhaut<br />

Schön – aber falsch<br />

Man könnte salopp sagen: Wo van Gogh<br />

drauf steht, muß auch van Gogh drin<br />

sein. Zwei Bilder aus dem Bestand des<br />

Städtischen Wuppertaler Von der Heydt<br />

Museums, die jahrzehntelang als echte<br />

Gemälde des niederländischen Impressionisten<br />

galten, in den letzten Jahrzehnten<br />

aber mit Zweifeln belastet waren, sind<br />

nun durch ein Gutachten von Oda van<br />

Maanen und Ella Hendriks vom Institut<br />

Collectie Nederland (am van Gogh-Museum)<br />

als nicht von der Hand van Goghs<br />

eingestuft worden.<br />

Damit bewahrheitet sich der Verdacht,<br />

daß der Kunstsammler und Mäzen<br />

August von der Heydt, der das Gemälde<br />

„Stilleben mit Bierkrug und Früchten“<br />

1928 bei der Galerie Abels in Köln und<br />

das Bild „Vase mit Blume, Kaffeekanne<br />

und Früchten“ bei Goldschmidt & Co.<br />

in Frankfurt erworben hat, Schwindlern<br />

oder zumindest einem grandiosen Irrtum<br />

aufgesessen ist. Besonders pikant daran<br />

ist, daß beide Gemälde keine Signatur<br />

tragen und lediglich Vincent van Gogh<br />

„zugeschrieben“ wurden. Wer in der Kette<br />

der Besitzer nun als erster einem Fälscher<br />

oder auch nur einem Betrüger aufgesessen<br />

ist, wird wohl nicht mehr feststellbar<br />

sein. Es ist wie mit dem falschen Fünfzigmarkschein,<br />

der vom jeweiligen Besitzer<br />

solange hastig weitergereicht wird, bis<br />

der Schwindel auffällt. Betrüger ist damit<br />

jeder der Zwischenbesitzer bzw. Händler.<br />

Das Nachsehen hat der Letzte. Auch<br />

ist nicht mehr zu ermitteln, was August<br />

von der Heydt für die Bilder bezahlt hat.<br />

Fest steht allerdings, daß ganz offenbar<br />

der Wunsch einen echten van Gogh zu<br />

besitzen, zumindest den letzten Besitzer<br />

blind für die beschämende Wahrheit<br />

gemacht hat.<br />

Zwar hatte der van-Gogh-Experte Jacob<br />

Baart de la Faille 1928 beide Gemälde in<br />

sein Werkverzeichnis der Arbeiten van<br />

Goghs aufgenommen, doch rührte sich<br />

1976 hinsichtlich der „Vase mit Blumen“<br />

erster Zweifel, geäußert von Bogomila<br />

Welsh-Ovcharov. Der Journalist und van-<br />

Gogh-Biograph Stefan Koldehoff unter-<br />

23


24<br />

Post aus Amsterdam<br />

strich die Zweifel im Jahr 2003 und setzte<br />

noch darauf, dass auch das „Stilleben mit<br />

Bierkrug und Früchten“ nicht echt sei.<br />

Dr. Gerhard Finckh, Direktor des Von<br />

der Heydt-Museums seit 2006, entschloß<br />

sich, mit der üblichen Geheimniskrämerei<br />

und Eitelkeit der Museen zu brechen,<br />

wenn Fälschungen aufgedeckt oder<br />

vermutet werden. Zur wissenschaftlichen<br />

Klärung des Kunststreits schickte er<br />

2008 beide in Rede stehenden Bilder zur<br />

(kostenlosen) Untersuchung nach Amsterdam.<br />

Die Gutachten unterstreichen<br />

– wenn auch ein wenig schwammig mit<br />

Begriffl ichkeiten wie „untypisch“, „was<br />

man in Werken von van Gogh erwarten<br />

würde“ und „bisher bei van Gogh nicht<br />

gefunden“– die Annahme, beide Gemälde<br />

seien nicht von van Gogh gemalt. Ein<br />

wenn auch winziges Hintertürchen lassen<br />

die Gutachten durch ihre vorsichtige<br />

Formulierung dennoch offen. Gerhard<br />

Finckh sieht es pragmatischer: „Die<br />

Bilder sind leider nicht lediglich falsche<br />

Zuschreibungen, sondern Fälschungen,<br />

nicht von van Gogh und ihr Wert fällt<br />

damit ins Bodenlose. Wir werden sie<br />

dennoch in unserem Magazin behalten<br />

und gelegentlich zeigen.“<br />

Literatur:<br />

- Stefan Koldehoff - „Vincent van Gogh“,<br />

© 2003 DuMont, Köln, 303 Seiten mit<br />

vielen s/w und farbigen Illustrationen und<br />

Anmerkungen<br />

Nora und Stefan Koldehoff<br />

„Wem hat van Gogh sein Ohr geschenkt?“<br />

(Alles, was sie über Kunst nicht wissen)<br />

© 2007 Eichborn Berlin, 388 Seiten<br />

Frank Becker (Fotos und Text)<br />

Dr. Gerhard Finckh<br />

mit den falschen van Goghs


Unterwegs zur neuen Kunst<br />

Großer Andrang bei der<br />

Wuppertaler Performance-Nacht<br />

Gemeinsam mit Steve Buchanan<br />

präsentiert Heike Fiedler eine Performance<br />

im „Ort“ an der Luisenstraße.<br />

Kreuz und quer, vom Boden bis weit<br />

in die Höhe sind breite rote Bänder<br />

gespannt im Hinterhof der ehemaligen<br />

Bandfabrik Huppertsberg an der Opphofer<br />

Straße. Eine Stoffbahn führt vom Hof<br />

ins Treppenhaus und hinauf bis in das<br />

Atelier Barczat. Hier beginnt am frühen<br />

Abend die Wuppertaler Performance-<br />

Nacht, veranstaltet vom Kulturbüro<br />

Wuppertal. Sieben Performances an<br />

sieben Orten stehen auf dem Programm.<br />

Die Aufführungen sind zeitlich nacheinander<br />

angeordnet, sodass die Besucherschar<br />

wie bei einer Stadt-Rallye von einem<br />

Ort zum anderen ziehen kann, ohne<br />

etwas zu verpassen. Ein langer Abend mit<br />

aktueller Performance-Kunst, die es aktiv<br />

zu erlaufen und zu erkunden gilt – das<br />

kommt an. Insgesamt sind weit mehr als<br />

400 Besucher auf der Kultur-Route in<br />

Elberfeld unterwegs.<br />

Wie schon der Hinterhof ist auch das<br />

Atelier Barczat durchzogen von roten<br />

Bändern. Schauspielerin Caroline Keufen<br />

trägt Ausschnitte aus dem Text „Portrait<br />

des Meidosems“ von Henri Michaux vor.<br />

Dabei windet sie sich an den Stoffbahnen<br />

entlang, hängt sich an sie, kriecht über<br />

den Boden, krabbelt auf einen langen<br />

Holztisch. Musikerin Ute Völker bewegt<br />

sich mit ihrem Akkordeon ebenfalls durch<br />

den Raum und entwickelt hingetupfte<br />

Klänge. Künstlerin Diemut Schilling<br />

projiziert Live-Aufnahmen der Aktion<br />

auf die Wände und sorgt für Licht- und<br />

Sound-Effekte. So entsteht ein dichtes<br />

Zusammenspiel von Text, Bewegung,<br />

Klang und Projektion.<br />

Schon an dieser ersten Station der<br />

Performance-Nacht herrscht großer Andrang.<br />

Längst nicht alle Besucher haben<br />

die Aufführung sehen können. Spontan<br />

entscheiden sich die drei Wuppertaler<br />

Künstlerinnen daher zu einer erneuten<br />

Umsetzung. Doch zuvor stellt sich David<br />

J. Becher als Guide des Abends vor. „Performance<br />

hat immer etwas mit Bewegung<br />

zu tun. Sie sind nicht nur Zuschauer, Sie<br />

sind mit dabei“, ruft er dem Publikum zu.<br />

Humorvoll und gut informiert übernimmt<br />

der Schauspieler des Vollplaybacktheaters<br />

von nun an die Führung zu den<br />

25


26<br />

Im Licht der Kunst improvisiert Almut Kühne.<br />

Veranstaltungsorten und zieht mit der<br />

ersten Gruppe los zur Hebebühne an der<br />

Mirkerstraße.<br />

In dem kleinen Bühnenraum der ehemaligen<br />

Tankstelle haben Regisseurin Marlin<br />

de Haan und Animationsdesignerin Vanessa<br />

Eder 30 Stunden verbracht. Sie haben<br />

dort gelernt, gespielt, gekocht, geschlafen<br />

und sich dabei fi lmen lassen. Während<br />

sie mit schwarzer Schlafmaske regungslos<br />

an der Seite stehen, präsentieren sie nun<br />

dem Publikum das unmittelbar zuvor<br />

entstandene Bildmaterial: rhythmisch aufeinanderfolgende<br />

Standbilder und somit<br />

ein Konzentrat ihres Aufenthaltes. Die<br />

Zuschauer erhalten damit einen unmittelbaren<br />

Rückblick auf das Experiment, auf<br />

eine frische, gewitzte Studie zum Thema<br />

Zeit und Durchhaltevermögen.<br />

Bei der nächsten Etappe steigt die Zahl<br />

der Besucher weiter an. Im Olga, Raum<br />

für Kunst, stehen sie dicht gedrängt,<br />

andere hocken auf dem Boden. „Den Ort<br />

hier wollte ich schon längst kennenlernen“,<br />

sagt eine Zuschauerin. Klar wird<br />

spätestens hier: Ein besonderer Vorteil<br />

dieser Art von Veranstaltung ist, dass<br />

nicht nur die Aufführungen, sondern<br />

ebenso die verschiedenen Kunsträume<br />

viele Neugierige anlocken. An der Station<br />

Nummer 3 hat Katharina Schmitt auf<br />

fünf Leinwänden eine Videoinstallation<br />

eingerichtet, die eine fl iegende weiße<br />

Taube vor blauem Himmel zeigt. Der<br />

Betont nachlässig singt der Berliner Künstler Christoph Dettmeier.<br />

Flügelschlag ist im leicht verfremdeten<br />

Ton zu hören. Ausgehend von diesem<br />

atmosphärischen Feld gestaltet Milton<br />

Camilo einen weich fl ießenden Tanz. Geschmeidig<br />

lässt er seine Arme schwingen<br />

– ein unspektakulärer aber feinsinniger<br />

Beitrag zur Performance-Nacht.<br />

Für seinen Auftritt im Neuen Kunstverein<br />

an der Hofaue hat Christoph Dettmeier<br />

seiner speziellen Country-Show den Titel<br />

„Peace in the Valley“ gegeben. Betont<br />

nachlässig singt der Berliner Künstler zu<br />

diversen Western-Songs, zeigt wirkungsvoll<br />

verlangsamt typische Cowboy-Posen,<br />

faselt wirr, doch mit Hintersinn über den<br />

Zusammenhang von Landschaft und Psychologie<br />

und präsentiert eindrucksvolle<br />

schwarz-weiß Dias. Mit seinen Aufnahmen<br />

spürt er der Western-Melancholie in<br />

heutiger Zeit nach. Er fi ndet sie in den<br />

Industrie-Brachlandschaften in Detroit,<br />

Istanbul oder Halle an der Saale. Die<br />

Performance löst Begeisterung und Kopfschütteln<br />

beim Publikum aus. Das verwundert<br />

nicht, denn die Show changiert<br />

verstörend zwischen Ironie, ernsthafter<br />

Auseinandersetzung und blankem Trash.<br />

Der „Ort“ an der Luisenstraße ist die<br />

nächste Station der Performance-Nacht.<br />

Der Raum ist klein, der Andrang groß,<br />

sodass auch hier spontan eine zweite<br />

Aufführung ins Programm eingepasst wird.<br />

Das Genfer Künstlerpaar Heike Fiedler und<br />

Steve Buchanan entwickelt eine packende<br />

Performance aus Worten, Versen und Phrasen,<br />

Geräuschen, Klängen und Bewegung.<br />

Zu intensiven Spracherkundungen und<br />

Videokompositionen von Fiedler bespielt<br />

Buchanan sein selbst erfundenes elektronisches<br />

Boden-Instrument „2nd line“. Der<br />

Musiker läuft und tänzelt federnd auf der<br />

Trittfl äche, kniet und schlägt mit Klöppeln.<br />

So bezieht er die gestische Bewegung in die<br />

faszinierende Performance mit ein.<br />

Ein Berliner Trio ist für die vorletzte Etappe<br />

im Kunstraum Grölle pass:projects zuständig.<br />

Künstler Helge Leiberg zeichnet<br />

und pinselt auf zwei Overhead-Projektoren<br />

zur Musikimprovisation von Sängerin<br />

Almut Kühne und Gitarrist Lothar Fiedler.<br />

Aufmerksam verfolgen die Besucher<br />

das impulsive Zusammenspiel, obwohl<br />

auch an dieser Station die Sitzplätze rar<br />

sind und für viele zu später Stunde das<br />

Stehen allmählich beschwerlich wird.<br />

Doch unermüdlich ziehen einige Kunstfreunde<br />

auch jetzt noch weiter zur fi nalen<br />

Party in den Arrenberg’schen Höfen. Dort<br />

ist bereits viel los, zur Tanzmusik von DJ<br />

STINGL projiziert GLUEH rhythmische<br />

Grafi ken und Bilder in den Raum. Es ist<br />

längst weit nach Mitternacht. Wer die<br />

gesamte Performance-Nacht geschafft hat,<br />

ist nun wohl viel zu müde zum Tanzen,<br />

dafür aber voller neuer Eindrücke nach<br />

einem facettenreichen Kunst-Marathon.<br />

Meike Nordmeyer<br />

Fotos: Antje Zeis-Loi


Geschichten mit und ohne Worte<br />

Der Peter Hammer Verlag<br />

und die Verlegerin Monika Bilstein<br />

im Portrait<br />

Peter Hammer, soviel vorweg, ist ein<br />

Phantom. Schon im 17. Jahrhundert<br />

erfunden von Verlegern, die sich von der<br />

Zensur gegängelt, verfolgt und um die<br />

Freiheit der Meinung und der Literatur<br />

gebracht sahen. Der Name gehörte<br />

niemandem - und allen, die sich hinter<br />

einem Pseudonym verbergen mußten,<br />

um veröffentlichen zu können, was der<br />

strengen staatlichen Überwachung, der<br />

Schere des Zensors vermutlich zum<br />

Opfer gefallen wäre.<br />

Die Zensur war längst abgeschafft als<br />

1966 in Wuppertal aus dem 1951<br />

von Hermann Ehlers in Oldenburg<br />

gegründeten Verlag mit dem biederen<br />

Namen (und dem biederen Programm)<br />

„Jugenddienst-Verlag e.V.“ der „Peter<br />

Hammer Verlag“ wurde, doch der neue<br />

Name transportierte die gute Tradition<br />

des Unangepaßten. Johannes Rau<br />

(1931-2006), der 1953 die Aufgaben<br />

von Hermann Ehlers übernahm, hätte<br />

eigentlich nach Oldenburg gehen sollen.<br />

Wegen dringender familiärer Pfl ichten<br />

Raus gestattete Ehlers den Umzug des<br />

Verlages nach Wuppertal. Das war keine<br />

große Sache, erinnerte sich Hermann<br />

Schulz der schon 1960 in der Nachfolge<br />

von Eberhard Robke als Vertreter<br />

Johannes Raus in den Verlag eingetreten<br />

war, einmal in einem Interview, denn<br />

das ganze Unternehmen paßte damals<br />

noch in einen VW-Bus, mit dem der<br />

Ortswechsel auch abgewickelt wurde.<br />

Als Rau seines zunehmenden politischen<br />

Engagements wegen - er wurde<br />

Vorsitzender der SPD-Fraktion im<br />

NRW-Landtag, später Ministerpräsident<br />

und schließlich Bundespräsident<br />

- 1967 aus dem Verlag ausschied, hatte<br />

Hermann Schulz, dem die seit 1961<br />

dynamisch fortschreitende Veränderung<br />

vom christlich-sozial orientierten<br />

Broschüren-Verlag zum anspruchsvollen<br />

und politisch engagierten linksliberalen<br />

(notabene unabhängigen) Literaturverlag<br />

zu verdanken war, ohnehin längst<br />

27


28<br />

die Fäden in der Hand. Er hatte ab<br />

1961 das angestaubte Programm radikal<br />

umgestellt, mit Büchern zum 3. Reich<br />

mutig ein zu dieser Zeit noch ungern<br />

beackertes Themenfeld aufgegriffen<br />

und als einer der ersten im Westen den<br />

sowjetischen Schriftsteller Jewgeni Jewtuschenko<br />

verlegt. Diese Weitsicht sollte<br />

sich später bezahlt machen.<br />

1966 erfolgte, um ein deutliches Zeichen<br />

zu setzen, mit Zustimmung des<br />

Aufsichtsrates unter dessen Vorsitzendem<br />

Johannes Schlingensiepen neben<br />

dem noch inaktiv weiter bestehenden<br />

Jugenddienst Verlag die Neugründung<br />

des „Peter Hammer Verlag“, und 1967<br />

wurde Hermann Schulz zum Verlagsleiter<br />

gewählt. Aus dem „e.V.“ wurde eine<br />

GmbH mit einem wachsenden Stamm<br />

von Gesellschaftern - über 400 sind es<br />

heute. Auch der Personalbestand nahm<br />

zu, der Verlag beschäftigte in den Zeiten<br />

des Booms der 60er und 70er Jahre bis<br />

zu 16 Mitarbeiter, zu denen u.a. auch<br />

der Essayist und Lyriker Arnim Juhre<br />

zählte.<br />

Hermann Schulz blieb am Puls der Zeit,<br />

bereiste auf der Suche nach neuen Stoffen<br />

und neuen Stimmen Lateinamerika<br />

und Afrika und verschaffte in seinen 35<br />

Jahren als Verlagsleiter dem Peter Ham-<br />

mer Verlag einen glänzenden Namen<br />

als der Verlag für Literatur aus und über<br />

Lateinamerika und Afrika.<br />

Große Namen und große Erfolge<br />

verbinden sich mit der Geschichte des<br />

Verlages, der Nobelpreisträger, Träger<br />

des Friedenspreises des Deutschen<br />

Buchhandels und vielfach mit Preisen<br />

aller Sparten überhäufte Autoren und<br />

Illustratoren entdeckte und hervorbrachte<br />

und sich stets durch sein Understatement<br />

auszeichnete.<br />

1968 erschienen die Psalmen des nicaraguanischen<br />

Lyrikers Ernesto Cardenal,<br />

der 1980 den Friedenspreis des Deutschen<br />

Buchhandels bekam und nach der<br />

sandinistischen Revolution von 1979-<br />

1990 Kultur- und Erziehungsminister<br />

Nicaraguas war. Cardenal ist dem Peter<br />

Hammer Verlag bis heute verbunden.<br />

Noch immer kommt der mittlerweile<br />

85 Jahre alte Autor zu Lesereisen nach<br />

Deutschland. Ähnlich verhält es sich mit<br />

Eduardo Galeano, dessen Schlüsselwerk<br />

„Die offenen Adern Lateinamerikas“<br />

seit 1973 bis heute im Programm ist<br />

und jetzt in einer neuen Übersetzung<br />

erscheint – „Ein Standardwerk, das<br />

seinesgleichen nicht fi ndet“, so Monika<br />

Bilstein, seit August 2001 Leiterin des<br />

Verlages. Gioconda Belli, deren Buch<br />

„Die bewohnte Frau“ (1989) mit weit<br />

über 1 Mio. verkaufter Exemplare<br />

ungebrochenen Erfolg hat und die sich<br />

mit Ex-Kanzler Helmut Schmidt den<br />

Preis „Politisches Buch des Jahres“ der<br />

Friedrich-Ebert-Stiftung teilt, gehört<br />

ebenfalls zu den Entdeckungen des Peter<br />

Hammer Verlages, zu dem sie regelmäßigen<br />

Kontakt unterhält. Bellis erotische<br />

Gedichte (1978) und ihr von Wolf<br />

Erlbruch illustriertes Buch „Die Werkstatt<br />

der Schmetterlinge“ (1994) sind<br />

gleichfalls Verkaufsschlager von Dauer.<br />

Auf einer Reise durch 14 afrikanische<br />

Staaten, die der Etablierung einer Literatur-Reihe<br />

„Dialog Afrika“ dienen sollte,<br />

begegnete Hermann Schulz 1979 in<br />

Nigeria das Werk Wole Soyinkas, den er<br />

in das literarische Programm aufnahm.<br />

Soyinka erhielt 1986 als erster Afrikaner<br />

den Literatur-Nobelpreis. Als ähnlich<br />

verdienstvoll erwies sich die Entdeckung<br />

von Ngugi wa Thiong´o, dessen „Verbrannte<br />

Blüten“ heute als „die Buddenbrooks<br />

Schwarzafrikas“ gerühmt wird.<br />

Andere afrikanische Autoren, die durch<br />

den deutschen Peter Hammer Verlag<br />

Geltung bekamen, sind Patrice Nganang<br />

mit „Hundezeiten“, Desmond Tutu,<br />

der wie Cardenal den Friedenspreis des<br />

Deutschen Buchhandels bekam und


der posthum zu Ruhm gelangte Aniceti<br />

Kitereza, dessen Buch „Die Kinder der<br />

Regenmacher“ das Afrika vor der weißen<br />

Annexion beschreibt. Aniceti Kiterezas<br />

ostafrikanischer Roman ist der Anfang<br />

einer „klassischen“ Literatur Afrikas, das<br />

erst sehr spät zu einer literarischen Sprache<br />

fand. Ein Gegenstück dazu ist die in<br />

den USA lebende Nigerianerin Sefi Atta,<br />

die als Vertreterin der modernen afrikanischen<br />

Literatur gilt. Ihre Bücher „Sag<br />

allen, es wird gut“ und „It´s My Turn“<br />

erscheinen in deutscher Übersetzung im<br />

Peter Hammer Verlag.<br />

Doch der Verlag beschäftigte sich durchaus<br />

auch sehr nah an der deutschen<br />

Wirklichkeit mit aktuellen Fragen, Problemen<br />

und Literaturen. 1974 wurde das<br />

erste ehrliche deutsche Aufklärungsbuch<br />

„Zeig mal!“ wegen seiner unverschleierten<br />

fotografi schen Darstellungen zum<br />

Aufreger des Jahres. Das Buch ist längst<br />

vergriffen, doch so begehrt, daß bis heute<br />

Anfragen eingehen und der Antiquariatshandel<br />

es als sehr wertvoll einstuft.<br />

Für die Fotos hatte Schulz damals den<br />

Top-Fotografen Will McBride gewinnen<br />

können. Schon 1973 hatte der Peter<br />

Hammer Verlag ein Aufklärungsbuch<br />

veröffentlicht, dessen Programm im Titel<br />

steckte: „Anders als bei Schmetterlingen“.<br />

Hier kamen die Illustrationen von<br />

Heinz Edelmann, der Ikone der Pop-<br />

Art, der auch das „Beatles Songbook“<br />

illustrierte und den Kult-Trickfi lm „The<br />

Yellow Submarine“ zeichnete. Der Deutsche<br />

Art Director´s Club verlieh dem<br />

Buch seine Goldmedaille.<br />

Und weil wir gerade von Illustratoren<br />

sprechen: auch auf dem Sektor „Bilderbuch“<br />

entwickelte sich der Peter<br />

Hammer Verlag zur Talentschmiede, die<br />

Zeichner und Graphiker zu Ruhm und<br />

Karriere führte. Fast nicht zu zählen sind<br />

die Auszeichnungen Wolf Erlbruchs für<br />

u.a. „Das Bärenwunder“, „Vom kleinen<br />

Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm<br />

auf den Kopf gemacht hat“ (in 30 Sprachen<br />

erschienen), „Der Adler, der nicht<br />

fl iegen wollte“, „Leonard“, „Die fürchterlichen<br />

Fünf“, „Frau Meier, die Amsel“<br />

und „Nachts“: Deutscher Jugendlitera-<br />

turpreis samt Sonderpreisen, Gutenbergpreis,<br />

Hans-Christian-Andersen-Preis<br />

u.a.m.. Zum Standard gehören schon<br />

Wolf Erlbruchs Kinderzimmer-Kalender<br />

und sein „Familienplaner“. Erlbruchs<br />

Stil - er hat als Hochschullehrer in Wuppertal<br />

viele Talente gefördert, die heute<br />

auf seinen Spuren wandeln – wurde oft<br />

kopiert, „...aber wir haben das Original“,<br />

so Monika Bilstein.<br />

Zu den ganz großen Zeichen-Talenten<br />

der „jungen Garde“, die der Peter Hammer<br />

Verlag entdeckt und gefördert hat,<br />

gehören Nadia Budde, die seit 2000 mit<br />

ihren wundervollen Kinderbuch- Illustrationen<br />

(„Eins zwei drei Tier“, „Trauriger<br />

Tiger toastet Tomaten“, „Unheimliche<br />

Begegnungen auf Quittenquart“)<br />

Preise abräumt. Auch Tobias Krejtschi,<br />

Dorota Wünsch, Wiebke Oeser und<br />

Christiane Pieper gehören u.a. zum<br />

Kreis der brillanten Zeichner. Mit den<br />

„Geschichten ohne Worte“ hat Monika<br />

Bilstein ein Genre des reinen Bilderbuchs<br />

(auch für Erwachsene) eingeführt,<br />

das völlig ohne Text auskommt und den-<br />

29


30<br />

noch eine komplexe Geschichte erzählt.<br />

Béatrice Rodriguez´ „Der Hühnerdieb“<br />

ist ein ganz besonders charmantes<br />

Beispiel.<br />

In der Zeit zwischen den großen Erfolgen<br />

erlebte der Verlag 1988 sein größte Krise:<br />

Vergleich, Stellenabbau, Neuorganisation.<br />

Fast zwei Jahre lang waren nur Hermann<br />

Schulz und seine 1987 eingetretene<br />

spätere Stellvertreterin Monika Bilstein<br />

„der Verlag“. 1990 konnte wieder eine<br />

Sekretärin eingestellt werden, 1996 die<br />

Pressereferentin Claudia Putz, die bis<br />

heute dem Verlag treu ist, schließlich<br />

eine Vertriebsleiterin. Es ging wieder<br />

aufwärts. Der Trend blieb, und als Hermann<br />

Schulz 2001 ausschied, übernahm<br />

Monika Bilstein mit Zustimmung der<br />

Gesellschafter-Versammlung die Leitung.<br />

Vier Frauen „stemmen“ jetzt die Verlagsarbeit,<br />

Arbeiten an Texten werden z.T.<br />

extern vergeben.<br />

Monika Bilstein, eine Frau von sportlich-eleganter<br />

Erscheinung, ist mit<br />

spontanem Humor und großer Herzlichkeit<br />

gesegnet. Mit offenem Blick und<br />

mit einnehmendem Wesen strahlt sie<br />

Zuversicht und Zufriedenheit mit dem<br />

Erreichten aus. Seit etwas mehr als neun<br />

Jahren liegt das Schicksal des prosperierenden<br />

Unternehmens nun in ihren<br />

Händen, das Paket an Aufgaben die sie<br />

bewältigt, ist beachtlich: Verlagsleitung,<br />

Programmgestaltung, Finanzen und<br />

Lizenzen. Etwa 25 bis 30 neue Produktionen<br />

pro Jahr kann das Programm mit<br />

den Schwerpunkten Afrika – Lateinamerika<br />

– Kinder-/Bilderbuch – bieten, dazu<br />

Sachbücher zu wechselnden Themen.<br />

Ein Beispiel dafür ist Jens Soentgens im<br />

Herbstprogramm 2010 erscheinendes<br />

„Von den Sternen bis zum Tau“ - Eine<br />

Entdeckungsreise durch die Natur. Illustriert<br />

von Vitali Konstantinov erklärt der<br />

407 Seiten starke Halbleinen-Band auf<br />

feinstem Papier mit Lesebändchen 120<br />

Phänomene des Lebens und bietet Experimente<br />

dazu an. Ein Schmuckstück,<br />

das griffi g Wissen vermittelt – und „Eine<br />

Sternstunde meines Verlegerinnen-<br />

Lebens“, wie Monika Bilstein glücklich<br />

kommentiert.<br />

Dem bewährten Programm treu und mit<br />

Geschick für Neues führte Monika Bil-<br />

stein den Verlag zurück in die schwarzen<br />

Zahlen, der Tradition verbunden wird<br />

sie das Unternehmen „Peter Hammer<br />

Verlag“ Konzern-unabhängig halten und<br />

der Devise folgen: „Frei bleiben“. Das<br />

macht den Charakter dieses nun in fast<br />

45 turbulenten Jahren gereiften Verlages<br />

aus, der stolz auf eine ungewöhnliche<br />

und ungewöhnlich erfolgreiche Geschichte<br />

zurückblicken kann.<br />

„Es liegt uns sehr daran, Bücher zu<br />

machen, die man auch aufgrund ihrer<br />

Gestaltung gerne in die Hand nimmt...“,<br />

betont Monika Bilstein, der man anmerkt,<br />

daß die Bücher eine Herzensangelegenheit<br />

sind „...und ich höre immer<br />

wieder gerne den Satz: Sie machen so<br />

schöne Bücher“. Gerne, Frau Bilstein:<br />

Sie machen wirklich wunderschöne<br />

Bücher!<br />

Weitere Informationen gibt es unter:<br />

www.peter-hammer-verlag.de und<br />

http://hammer.txt9.de/<br />

Monika Bilstein (*1958)<br />

Nach dem Abitur 1977 Ausbildung zur<br />

Sortimentsbuchhändlerin. Tätigkeit im<br />

Buchhandel, danach in der Universitätsbibliothek<br />

Wuppertal.<br />

Nebenher Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin<br />

für Spanisch.<br />

Seit 1987 im Peter Hammer Verlag tätig,<br />

ab 1993 als Prokuristin, seit August 2001<br />

als Verlagsleiterin und Geschäftsführerin.<br />

Workshops und Vortragstätigkeiten in<br />

Hanoi, Teheran, Tel Aviv, Barcelona und<br />

Guadalajara für die Frankfurter Buchmesse<br />

und das Goethe-Institut in Beirut, Riga<br />

und Moskau.<br />

Vorstandsmitglied von litprom - Gesellschaft<br />

zur Förderung der Literatur aus<br />

Afrika, Asien und Lateinamerika; von<br />

2007 bis 2009 Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft<br />

von Jugendbuchverlagen.<br />

Seit August 2010 Vorstandsmitglied der<br />

Kurt Wolff Stiftung.<br />

Frank Becker<br />

Fotos Monika Bilstein, Frank Becker<br />

Buchumschläge: Peter Hammer Verlag<br />

Lichtbogen<br />

Frank Marschang e.K.<br />

Karlstraße 37<br />

42105 Wuppertal<br />

Tel. 0202.244 34 40<br />

Fax 0202.244 34 39<br />

www.lichtbogen-wuppertal.de<br />

info@lichtbogen-wuppertal.de<br />

COSMIC LEAF DORIDE TERRA<br />

EGLE


Bürgerschaftliches Engagement<br />

für öffentliches Grün in Wuppertal<br />

Barmer Anlagen,<br />

Eingang Heinrich-Jansen-Straße<br />

Schöner im Verein<br />

Der folgende Text wirft einen Blick in die<br />

Geschichte des bürgerschaftlichen Einsatzes<br />

für öffentliches Grün, das im 19.<br />

Jahrhundert erblühte. Vor allem mit dem<br />

Aufkommen der Verschönerungsvereine<br />

entstand eine wirkungsvolle Organisationsform,<br />

die deutliche grüne Spuren in<br />

der Wuppertaler Stadtlandschaft hinterlassen<br />

hat.<br />

Bürgerschaftliches Engagement steht<br />

gegenwärtig hoch im Kurs. Bürger opfern<br />

Freizeit und Geld für öffentliche Ziele<br />

und bringen sich aktiv ins Gemeinwesen<br />

ein. Was lange als Ergänzung staatlicher<br />

Aufgaben betrachtet wurde, soll in<br />

Zeiten leerer Staatskassen zunehmend<br />

dort einspringen, wo öffentliche Haushalte<br />

ausfallen. Dabei wird aber auch das<br />

zivilgesellschaftliche Moment bewusst:<br />

Der Bürger handelt mündig und selbstbewusst<br />

im öffentlichen Raum und setzt<br />

eigenständige Akzente neben behördliches<br />

Handeln.<br />

Als klassisches Betätigungsfeld der Bürger<br />

gelten Kranken- und Armenpfl ege, die<br />

aus den Gemeinden heraus geleistet<br />

wurden. Das 19. Jahrhundert entdeckte<br />

das öffentliche Grün als ein Thema, das<br />

weder im Blickfeld der Kirchen noch der<br />

Kommunen lag. Es entwickelte sich zu<br />

einem geradezu idealen Feld bürgerschaftlichen<br />

Engagements, da es vielschichtige<br />

Interessen verbindet. Sie reichen von<br />

hygienischen und pädagogischen Anliegen<br />

über Grundstücksverwertung und<br />

Stadtentwicklung bis zur Organisation<br />

des gesellschaftlichen Lebens und Repräsentationsbedürfnissen<br />

der bürgerlichen<br />

Schicht.<br />

Verschönerungsvereine und ihre<br />

Parkanlagen<br />

Der Einsatz des Bürgers für öffentliches<br />

Grün fand in den Verschönerungsvereinen<br />

einen Höhepunkt. Verschönerungsvereine<br />

freilich gelten heute als verstaubte<br />

Einrichtungen aus vergangener Zeit. Die<br />

Forschung würdigt dieses bedeutende<br />

Freiraumthema bislang nicht ausführlicher.<br />

Die von den Vereinen geschaffenen<br />

Parkanlagen wurden allein unter gestalterischen<br />

Aspekten behandelt. Andere<br />

Vereinstätigkeit, sowie organisatorische<br />

und stadtplanerische Bereiche ihrer Arbeit<br />

wurden noch nicht fundiert beleuchtet.<br />

Auch fehlt es an Überblick über die<br />

Wirksamkeit und regionale Verbreitung<br />

der Verschönerungsvereine.<br />

31


32<br />

Die Vorraussetzung für diese Bewegung<br />

bildete das Erstarken des Bürgertums.<br />

Von der Aufklärung geistig vorbereitet<br />

trug die Napoleonische Beendigung des<br />

Ständestaates dazu ebenso bei, wie der<br />

wirtschaftliche Erfolg der politisch noch<br />

weitgehend entmündigten Bürger. Im<br />

Vereinswesen wurde seit dem späten 18.<br />

Jahrhundert das gemeinsame nicht-staatliche<br />

Handeln von Privatpersonen „geübt“.<br />

Den Rahmen aus Regeln und Zielen gab<br />

man sich selbst und praktizierte schon<br />

ein Stück Demokratie, bevor sie verfassungsrechtlich<br />

gesicherte Staatsgrundlage<br />

wurde.<br />

In den Städten gehörte ein explosives Bevölkerungswachstum<br />

zum Industrialisierungsprozess,<br />

der die Lebensverhältnisse<br />

der Bewohner dramatisch beeinträchtigte.<br />

Grünfl ächen und Verschönerungsmaßnahmen<br />

sollten Ausgleich schaffen, den<br />

Aufenthalt an frischer Luft in der Freizeit<br />

ermöglichen und Zonen vor der expandierenden<br />

Bebauung sichern.<br />

1835 gründete sich „Verein zur Erhaltung<br />

und Beförderung von Schönheiten<br />

vaterländischer Fluren“ als frühesten Verschönerungsverein<br />

ermittelt. Noch früher<br />

war der „Patriotische Verein zur Verschönerung<br />

Dresdens“, der 1817 entstanden<br />

war. Vor allem seit den 60er Jahren des<br />

19. Jahrhunderts folgten Wellen von<br />

Die Anlagen des Verschönerungs-Vereins zu Barmen<br />

Vereinsgründungen, die das anhaltende<br />

Interesse an der Gestaltung des eigenen<br />

Lebensumfeldes sowohl in Städten als<br />

auch auf dem Lande zeigen.<br />

Der 1. Weltkrieg bzw. das Ende des<br />

Kaiserreiches bildeten einen schweren<br />

Einschnitt in das Wirken der Verschönerungsvereine.<br />

Nach Drittem Reich und 2.<br />

Weltkrieg sind viele Vereine verschwunden,<br />

die übrigen meist verarmt. Dennoch<br />

gibt es noch eine Reihe von Verschönerungsvereinen,<br />

die meist ohne großes<br />

Aufsehen ihrer Traditionsarbeit nachgehen.<br />

Nicht alle haben ihren Schwerpunkt<br />

auf Parkanlagen, wie der 1869 ins Leben<br />

gerufene „Verschönerungsverein für das<br />

Siebengebirge“, für den der Naturschutz<br />

eine wichtige Rolle spielt. Manche unterstützen<br />

die Kommune bei der Pfl ege<br />

öffentlicher Parks, andere sind selbst Besitzer<br />

von Parks. Der Bremen Bürgerpark<br />

etwa ist noch heute im Besitz des 1865<br />

gegründeten „Bürgerparkvereins“ und<br />

gilt mit 202 ha als der größte Privatpark<br />

Deutschlands.<br />

Gärten fürs Volk – Volksgarten und<br />

Stadtgarten<br />

Lange waren regelrechte Parkanlagen<br />

dem Adel vorbehalten. „(...) die eigentliche<br />

Geburtsstunde des öffentlichen<br />

Stadtgrüns kam erst, als im späten 18.<br />

Jahrhundert und mit der Ausbreitung der<br />

Aufklärung neue soziale und moralische<br />

Auffassungen in den Vordergrund traten,<br />

als das wiedererstarkende Bürgertum<br />

seine Forderungen anmeldete und als die,<br />

im Gefolge veränderter Wirtschaftsweisen<br />

und wachsender Bevölkerung, zunehmende<br />

‚Verstädterung’ neue Bedürfnisse schuf.<br />

Nun erst forderte man die Möglichkeit<br />

jederzeitigen, ungehemmten Naturgenusses,<br />

forderte man Grünanlagen, in denen<br />

die Bürger nicht nur geduldet waren,<br />

sondern in denen sie Heimatrecht haben<br />

sollten.“ (Hennebo)<br />

Es war der Theoretiker Hirschfeld, der<br />

diese Parks unter der Bezeichnung „Volksgarten“<br />

1785 als eigene Kategorie in die<br />

Gartenkunst einführte: „Diese Volksgärten<br />

sind, nach vernünftigen Grundsätzen<br />

der Polizey, als ein wichtiges Bedürfniß<br />

des Stadtbewohners zu betrachten.“.<br />

Hirschfeld bezog sich auf einige bereits<br />

bestehende Anlagen, die der Bevölkerung<br />

von Fürsten zugeeignet worden waren, so<br />

1766 der Wiener Prater. In Deutschland<br />

gilt Kurfürst Karl Theodor als erster Initiator<br />

eines Parks für die Bürger, als er 1789<br />

beschloss, die Anlage des später sogenannten<br />

Englischen Gartens „zur allgemeinen<br />

Ergötzung“ anlegen zu lassen.<br />

Als erster Stadtpark in Deutschland wird<br />

jedoch meist der Klosterberge Park angeführt.<br />

Jedenfalls gilt er als erster Park, den<br />

eine Kommune für ihre Bürger anlegen<br />

ließ. Peter Joseph Lenné hatte 1824 dazu<br />

seine Denkschrift „Über die Einrichtung<br />

eines Volksgartens bei der Stadt Magdeburg“<br />

verfasst. Auch war Köln nicht minder<br />

früh, als es 1826 den „Stadtgarten“<br />

schuf. Dieser Grünfl äche nahm sich der<br />

1822 eigens dafür gegründete Verschönerungsverein<br />

an.<br />

Gärten von Bürgern für Bürger –<br />

Bürgerparks<br />

Noch früher sind allerdings die Anlagen<br />

in Aachen und Elberfeld entstanden, die<br />

2007 bereits ihr 200-jähriges Jubiläum<br />

feiern konnten. Es verbindet den Aachener<br />

Lousberg und die Elberfelder Hardt,<br />

dass hier Initiative und Geld weder vom<br />

Fürst noch von der Kommune kamen. Es<br />

waren vielmehr bürgerschaftliche Initiativen,<br />

denen sich die Anlage der Parks auf<br />

devastierten Allmende-Flächen im Rheinland<br />

verdankt. Die Geschichte der Gartenkunst<br />

hat den Typus des „Bürgerparks“


als Kategorie noch nicht ausformuliert.<br />

Gestalterisch sind die von Verschönerungsvereinen<br />

geschaffenen Grünanlagen<br />

unter dem Thema „Stadtpark“ mitbehandelt<br />

worden. Das Verständnis des öffentlichen<br />

Parks unterscheidet selten, ob er<br />

von einem Fürsten, einer Gemeinde oder<br />

einem Verein angelegt wurde. Aus dem<br />

Blickwinkel der Zivilgesellschaft handelt<br />

es sich dabei allerdings um gravierende<br />

Differenzen, die Rolle des Bürgers im<br />

Staat betreffend.<br />

Von welchem Selbstbewusstsein kündet<br />

die Initiative des selbst keineswegs vermögenden<br />

Arztes Stephan Anton Diemel, als<br />

er die Idee einer öffentlichen Promenade<br />

im Elberfelder Stadtrat verkündete und<br />

die Erlaubnis erbat, hierfür Geld zu sammeln!<br />

Ein abgewirtschaftetes Gelände, das<br />

nur noch als Judenbegräbnis-, Richtstätte<br />

und Steinbruch benutzbar schien, war<br />

man bereit, einem so kühnen Plan zur<br />

Verfügung zu stellen. So stimmte der<br />

Stadtrat zu „dass, wo eine solche Anlage<br />

bey dem hierselbst herrschenden Holzmangel<br />

nicht allein nützlich, dabei auch<br />

der Hardter Boden zu anderst füglich<br />

nicht gebraucht werden könne, sodann<br />

auch diese Anlage zum Vergnügen des<br />

Publikums gereiche.“ Und tatsächlich<br />

schaffte Diemel es, genügend Geld bei<br />

vermögenden Mitbürgern zu sammeln,<br />

die im Angesicht der Kontinentalsperre<br />

manch’ andere Sorgen gehabt haben dürften,<br />

um den bis heute beliebten Spaziergang<br />

auf der Hardt zu realisieren.<br />

Diese Tradition ist es, an die die Verschönerungsvereine<br />

anknüpfen.<br />

Vereintes Schönmachen in Wuppertal<br />

Die Städte Elberfeld und Barmen im Tal<br />

der Wupper nahmen in der Industrialisierung<br />

eine Vorreiterrolle ein. Früher<br />

als andernorts waren hier Zuwachs an<br />

wirtschaftlicher Kraft, an Bevölkerung<br />

und neuen städtischen Aufgaben zu<br />

verzeichnen. Die beiden mit der Textilindustrie<br />

groß gewordenen Städte Elberfeld<br />

und Barmen verfügten in der Gründerzeit<br />

über erhebliche Reichtümer.<br />

Barmer Verschönerungsverein<br />

Es war im erst 1808 mit Stadtrechten<br />

versehenen Barmen, wo sich 1864<br />

einige Fabrikanten zur Gründung<br />

des Verschönerungsvereins zu Bar-<br />

men zusammenfanden. Sofort nahm<br />

man am Südhang des Tals eine erste<br />

Parkanlage in Angriff. Geld musste<br />

gesammelt, Grundstücke erworben und<br />

Pläne geschmiedet werden. Die Barmer<br />

Anlagen wuchsen schnell über das<br />

anfänglich erworbene Bleichergut mit<br />

dem Forsthaus hinaus. Neue Grundstückskäufe<br />

ermöglichten den Plan des<br />

renommierten Düsseldorfer Hofgartendirektors<br />

Joseph Clemens Weyhe<br />

für die so genannten Unteren Anlagen.<br />

Zustiftungen, Vermächtnisse und<br />

Ankäufe erweiterten das Parkgrundstück<br />

über Jahrzehnte. Peter Schölgen,<br />

ein Mitarbeiter des Vaters Maximilian<br />

Friedrich Weyhe, wurde 1870 als Leiter<br />

des Gartens eingestellt. Er plante auch<br />

die Erweiterungen.<br />

Die Aufgaben wuchsen durch den Bau<br />

weiterer Parks, aber auch weil der Verein<br />

im Auftrag der Stadt die Pfl ege sämtlicher<br />

öffentlichen Anlagen in Barmen<br />

übernahm. In Krisenzeiten organisierte<br />

er zudem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />

in großem Stil. Erst nach dem 2.<br />

Weltkrieg zog sich der Verein auf die<br />

Barmer Anlagen als seinen Kernbesitz<br />

zurück. Mit einer Fläche von ca. 100<br />

ha gelten sie heute als zweitgrößter<br />

Privatpark Deutschlands. Der Barmer<br />

Verschönerungsverein zählt knapp 1.000<br />

Mitglieder.<br />

Elberfelder Verschönerungsverein<br />

Elberfeld zog 1870 mit der Gründung<br />

eines Verschönerungsvereins nach. Lange<br />

Zielformulierungen sparte man sich und<br />

formulierte in § 1 des Gründungsstatuts<br />

knapp: „Der Verein bezweckt im allgemeinen<br />

die Verschönerung der Stadt und<br />

ihrer Umgebung.“ Dann ist noch von<br />

Wegen und Gegenständen des Schönheitssinns<br />

die Rede, größere Anlagen werden<br />

vorsichtig in Erwägung gezogen. Aus<br />

dem Statut spricht der Geist erfolgreicher<br />

Geschäftsleute, die keine großen Worten<br />

machen, sondern die Handlungsfähigkeit<br />

des Vereins im Auge haben.<br />

Kaum konstituiert legte der Elberfelder<br />

Verschönerungsverein ein Atem beraubendes<br />

Tempo vor und machte sich an<br />

die erste Parkgründung: Auf dem westlich<br />

der Stadt gelegenen Nützenberg wurde<br />

eine Grünfl äche geschaffen. Ihr folgten<br />

in schnellem Schritt Friedenshöhe und<br />

Friedrichsberg (1878) sowie der Mirker<br />

Hain (1879) und der Kaiser Wilhelm<br />

Hain. Die Anlagen wurden meist im<br />

Verbund mit der Stadt Elberfeld angelegt,<br />

der Grundstücksbestand beider zusammengeführt.<br />

Zentrale Figur des Verschönerungsvereins<br />

war der langjährige Vorsitzende<br />

Bankier August von der Heydt. Er bereicherte<br />

Vereinsvermögen und Stadtbild<br />

auch durch zahlreiche private Stiftungen.<br />

Sein Landhaus, die sogenannte Königs-<br />

33


34<br />

Elberfeld 1906<br />

höhe sowie großfl ächigen Waldbesitz auf<br />

dem Kiesberg ließ er nach seinem Tod<br />

der Stadt Elberfeld zukommen.<br />

Nach dem 2. Weltkrieg war das Vereinsvermögen<br />

auf die Grundstücke zusammengeschmolzen,<br />

der Verein bestand nur<br />

noch auf dem Papier und wurde 1952/53<br />

aufgelöst und der Besitz satzungsgemäß<br />

an die Stadt Wuppertal übergeben.<br />

Nordstädter Bürgerverein<br />

Als die Barmer Anlagen schon fast 30<br />

Jahre bestanden, gründete sich 1893<br />

ein weiterer Verein mit dem Ziel, auch<br />

auf der gegenüberliegenden Seite des<br />

Tales Grün zu schaffen. Der Nordstädtische<br />

Bürgerverein Barmen suchte dem<br />

reichen Barmer Verschönerungsverein<br />

nachzueifern. Waren dort die Reichen<br />

der Stadt bereits alt eingesessene Mitglieder,<br />

so bildete die Klientel des neuen<br />

Vereins neben den örtlichen Brauerei-<br />

Besitzern vor allem der Mittelstand. Der<br />

Plan für einen Nordpark nahm bald<br />

Form an, doch reichten die Vereinsmittel<br />

nicht zum Erwerb der Flächen. Er wurde<br />

der Stadt Barmen erfolgreich angetragen.<br />

Der Verein steckte das von ihm gesammelte<br />

Geld in die 1895 fertig gestellte<br />

Parkanlage. Als Nordstädter Bürgerver-<br />

ein ist er bis heute mit seinen ca. 1.000<br />

Mitgliedern tatkräftiger Unterstützer der<br />

Stadt bei Pfl ege und Verbesserung des<br />

Nordparks.<br />

Weiteres Bürger-Engagement<br />

Bis zur Jahrhundertwende gründeten<br />

sich Verschönerungsvereine auch in den<br />

anderen damals selbständigen Städten<br />

auf Gebiet der heutigen Stadt Wuppertal.<br />

Wenngleich die von ihnen begründeten<br />

Parkanlagen noch vorhanden sind, ist<br />

über der Geschichte der Verschönerungsvereine<br />

in Cronenberg, Langerfeld und<br />

Vohwinkel fast nichts bekannt. Sämtliche<br />

Unterlagen scheinen bei den Luftangriffen<br />

des 2. Weltkriegs verbrannt zu sein.<br />

Allein der 1869 gegründete Ronsdorfer<br />

Verschönerungsverein besteht noch und<br />

ist bis heute Besitzer der 1875 gestalteten<br />

Ronsdorfer Anlagen.<br />

Auch andere Vereine haben sich des<br />

Themas der Grünfl ächen angenommen.<br />

So gründete der Unternehmer Reinhard<br />

Schmidt 1880 den Hardt-Verein, der<br />

sich für eine Erweiterung der Hardt,<br />

jenes frühen Bürgerparks einsetzte<br />

und bis 1937 bestand. Der Gelpetaler<br />

Verschönerungsverein, betreibt seit 1896<br />

die Erschließung der Gelpe für Erholungszwecke,<br />

das Tal eines Bachs, der bis<br />

dahin vor allem wegen seiner Wasserkraft<br />

geschätzt worden war.<br />

Die Gründung des Zoologischen<br />

Gartens dagegen geschah jenseits des<br />

Vereinswesens. Vielmehr formierte<br />

sich 1879 eine Aktiengesellschaft, um<br />

die notwendigen Mittel aufzubringen.<br />

Stiftungen von Grünfl ächen erfolgten<br />

in früherer Zeit meist an die Verschönerungsvereine.<br />

Eine eigentliche Park-<br />

Stiftung entstand erst 2001 mit der<br />

Öffnung des vormals privaten Vorwerk-<br />

Parks, der sich an die Barmer Anlagen<br />

anschließt. Der Park der Herberts-Villa<br />

in Unterbarmen wird seit 2008 von der<br />

Cragg Foundation als Skulpturenpark<br />

Waldfrieden für Publikum geöffnet.<br />

Wie im Zoo wird hier ein Eintrittsgeld<br />

erhoben. Schließlich sind noch die<br />

Fördervereine zu erwähnen, die sich in<br />

Wuppertal jedoch auch erst in jüngerer<br />

Zeit zur Unterstützung von Zoo und<br />

Botanischem Garten zusammenfanden.


Schöne Ziele<br />

In den Mittelpunkt ihres Wirkens stellten<br />

die Vereine des 19. Jahrhunderts den<br />

Erholungsgedanken: „Bewegung, Genuß<br />

der freyen Luft, Erholung von Geschäften,<br />

gesellige Unterhaltung ist die Bestimmung<br />

dieser Oerter“. Parks sollten den Stadtbewohner<br />

nach der Mühe des Tages mit<br />

anmuthigen Bildern und Empfi ndungen<br />

erquicken. Später, als Cholera-Epidemien<br />

das städtische Leben zum Sicherheitsrisiko<br />

für ihre Bewohner machte, traten hygienische<br />

Argumente hinzu. Es zeigt sich<br />

aber nicht allein ein Fürsorge-Gedanke,<br />

sondern auch Sicherheitsaspekte wurden<br />

erwogen: Öffentliche Grünanlagen ziehen<br />

den Stadtbewohner, „indem sie ihn auf die<br />

Schauplätze der Natur locken, unmerklich<br />

von den unedlen und kostbaren Arbeiten<br />

der städtischen Zeitverkürzung ab“<br />

Ganz aufklärerisch betrachtet Hirschfeld<br />

das Erholungsangebot in Parkanlagen<br />

noch weitergehend als Bildungsmöglichkeit<br />

für rohe Städternaturen. Sie<br />

„gewöhnen ihn allmälig an das wohlfeile<br />

Vergnügen, an die sanftere Geselligkeit,<br />

an ein gesprächiges und umgängliches<br />

Wesen“. Davon verspricht er sich eine<br />

Annäherung der Stände: „Die verschiedenen<br />

Stände gewinnen, indem sie sich<br />

hier mehr einander nähern, auf der einen<br />

Seite an anständiger Sittsamkeit und<br />

scheuloser Bescheidenheit, und auf der<br />

andern an herablassender Freundlichkeit<br />

und mittheilender Gefälligkeit.“ Während<br />

er Volksgärten auch aus polizeilicher<br />

Sicht empfi ehlt, changiert die in Aussicht<br />

gestellte Erholungsmöglichkeit also<br />

zwischen hygienischem Argument und<br />

demokratischem Angebot.<br />

In den Worten der Vereine klingt das<br />

etwas schlichter. Der Nordstädtische<br />

Bürgerverein beispielsweise hebt in seiner<br />

Denkschrift hervor: „Den wärmsten<br />

Dank der gegenwärtigen wie der kommenden<br />

Geschlechter haben die Schöpfer<br />

jener Anlagen verdient; haben sie doch<br />

einen Ort geschaffen, an dem der Müde<br />

Ruhe und Erquickung und der Genesende<br />

Stärkung fi nden und alle die Reize der<br />

Natur genießen können, und wo auch<br />

der wenig bemittelte Bürger sich in der<br />

freien Zeit dem Naturgenusse hingeben<br />

kann. Große Kreise unserer Bevölkerung<br />

werden durch sie den engen und oft mangelhaften<br />

Wohnungen auf längere oder<br />

kürzere Zeit entzogen, dem Wirtshaus<br />

entrissen und zur Freude an der Natur<br />

wiedergewonnen.“<br />

Waldvermehrung<br />

Das oberste Ziel der Verschönerungsvereine<br />

im Wuppertal galt der Vermehrung des<br />

Waldes, der durch die Industrialisierung<br />

stark beansprucht war. Der Waldkranz,<br />

der die Höhenzüge um das Tal bewachsen<br />

hatte, war bereits gelichtet. Nun sollte<br />

er vor drohender Bebauung gerettet<br />

und, wo nötig, wieder aufgeforstet<br />

werden. Aus heutiger Sicht freilich ist<br />

schwer zu entscheiden, ob das Ziel der<br />

Waldvermehrung ein wirklich ökonomischer<br />

Faktor oder bloß ein in den<br />

Vordergrund gespieltes Argument ist,<br />

das den auf Ertrag gepolten Kaufl euten<br />

in Verein und Stadtrat die Zustimmung<br />

zu den Parkplänen erleichtern sollte.<br />

Solches empfi ehlt Schmidlin in seinem<br />

Buch „Die Bürgerliche Gartenkunst“<br />

ausdrücklich. Sicher ist, dass z. B. der<br />

Barmer Nordhang bereits abgeholzt und<br />

in Teilen zur Heide geworden war. Die<br />

tatsächlich erfolgten Wiederaufforstungsmaßnahmen<br />

erzielten erst über viele<br />

Jahrzehnte und mehrere Aufforstungen<br />

die heute anzutreffende Qualität eines<br />

Buchenwaldes.<br />

Gestalterisch jedenfalls sind viele Anlagen<br />

dieser Ära als regelrechte Waldparks<br />

zu bezeichnen, ein Begriff, der bislang<br />

noch nicht genauer ausformuliert und<br />

historisch belegt worden ist. Der heutige<br />

Waldzustand vieler Parkanlagen aus dem<br />

19. Jahrhundert ist also nicht immer auf<br />

fehlende Pfl ege zurückzuführen. Die<br />

Gaststätte Kaiserhöhe auf dem Elberfeld<br />

Nützenberg warb gar mit dem Slogan<br />

„Schattige Wald-Anlagen“. Auch der<br />

Park auf dem Friedrichsberg wurde schon<br />

bei der Projektierung als „Waldanlage“<br />

bezeichnet. An einem regelrechten Arboretum<br />

hingegen scheint man sich im Tal<br />

der Wupper jener Zeit nicht versucht zu<br />

haben.<br />

Grün in die Stadt<br />

Der Hauptschwerpunkt der Vereinstätigkeit<br />

lag in der Stadt, wo es galt, Grün vor<br />

der Bebauung zu retten. Emil Rittershaus<br />

hat dem Barmer Verschönerungsverein<br />

1889 ein Gedicht zum 25-jährigen<br />

Jubiläum gewidmet, in dem es heißt: „Ein<br />

Kranz von Wäldern hält umschlungen<br />

das Tal der Heimat rings herum“. Den<br />

Kranz zu erhalten, bildete ein hohes Ziel,<br />

an dem die Vereine festhielten. Ritterhaus<br />

spricht davon, dass das der Arbeit abgerungene<br />

Fleckchen Erde zu einem Garten<br />

werden solle.<br />

Der große Verdienst der Verschönerungsvereine<br />

in Wuppertal besteht darin, eine<br />

erstaunliche Zahl ausgedehnter Grünfl ä-<br />

35


36<br />

chen geschaffen zu haben. Sie ziehen sich<br />

die Hänge des Tales hinauf und versprachen<br />

damit damals gute Luft und freie<br />

Aussicht. Zur Zeit ihres Baus lagen sie<br />

sämtlich außerhalb der später zusammengeschlossenen<br />

Städte, sind mittlerweile<br />

aber von Bebauung umgeben. So ist es<br />

gelungen, grüne Inseln in die Stadt zu<br />

bringen. Von bemerkenswerter Gestaltung<br />

sind die Hardt und die Barmer<br />

Anlagen, während die übrigen eher die<br />

Qualität von Waldparks haben. 12 große<br />

Landschaftsparks bzw. zu Erholungszwecken<br />

angelegte Wälder mit einer Größe<br />

von jeweils mehr als 20 ha sind heute fast<br />

vollständig erhalten. Eine solche Bilanz<br />

bürgerschaftlichen Engagements darf<br />

einzigartig genannt werden.<br />

Wege bahnen<br />

Die Verschönerungsvereine legten<br />

viele Kilometer an Wegen nicht nur in<br />

Parkanlagen, sondern auch in Tälern und<br />

Wäldern an. Sie bahnen der Bevölkerung<br />

Wege an, die sich weniger der direkten<br />

Verbindung zweier Orte als dem Spaziergehen<br />

widmeten. Der Elberfelder Verschönerungsverein<br />

nennt als wesentliches<br />

Ziel seiner Arbeit: „Wege, welche sich zu<br />

Spaziergängen eignen, in der Umgebung<br />

zu verbessern oder neu anzulegen“.<br />

Kunst in die Stadt<br />

Zu den Verschönerungen, die die<br />

Vereine ihrer Stadt zudachten, gehörten<br />

auch Kunstwerke, die im öffentlichen<br />

Raum, in Parkanlagen und auf Plätzen<br />

Aufstellung fanden. Der Elberfelder<br />

Verschönerungsverein machte es sich u.<br />

a. zur Aufgaben, „in der Stadt selbst auf<br />

die Entfernung einzelner Gegenstände,<br />

welche den Schönheitssinn verletzen oder<br />

dem Verkehre hinderlich sind, hinzuwirken“.<br />

Einprägsamer als die Entfernung,<br />

war freilich die Einfügung von Kunstwerken<br />

in den Stadt- oder Parkraum, wozu<br />

oft Geburtstage und Jubiläen den Anlass<br />

gaben. So stiftete der Verein z.B. den Jubiläumsbrunnen<br />

auf dem Neumarkt 1895<br />

anlässlich seines 25-jährigen Bestehens.<br />

Oft wurden Kunstwerke auch von Mäzenen<br />

der Stadt oder den Vereinen gestiftet,<br />

so der Gedenkstein, den der Vorsitzende<br />

August von der Heydt dem Verein zum<br />

gleichen Anlass im Mirker Hain setzte.<br />

Zur Dreihundertjahrfeier schenkte er der<br />

Weyerbuschturm<br />

Stadt den Gerechtigkeitsbrunnen auf<br />

dem heutigen Platz der Republik. Die<br />

Firma Vorwerk & Sohn stiftete wiederum<br />

zu ihrem eigenen 100-jährigen<br />

Jubiläum den Brunnen in den Barmer<br />

Anlagen zwischen Toelleturm und Luftkurhaus.<br />

Ansichtssache<br />

Anschauen - Ausschauen<br />

Der Aussicht maß man im 19. Jahrhundert<br />

eine hohe Bedeutung bei. Obgleich<br />

die Höhenzüge um das Tal der Wupper<br />

keinen Mangel an Aussichten bieten, ist<br />

eine außerordentliche Lust am Bau von<br />

Aussichtstürmen zu verzeichnen. Sie<br />

verdoppelt das Vergnügen, indem die<br />

Türme gleichsam als Point de vue die<br />

Ansicht der Parkanlage bereichern, in die<br />

sie gestellt wurden. Zur Aussicht tritt die<br />

Ansicht. Mehrere hölzerne Bauwerke z.B.<br />

auf Königs- und Friedenshöhe, Friedrichs-<br />

und Nützenberg hielten Wind und<br />

Wetter nur kurz Stand und verschwanden<br />

wieder oder wurden durch steinerne<br />

Nachfolger ersetzt. Es kam zur einer<br />

regelrechten Konkurrenz, in der sich die<br />

Gönner gegenseitig zu Schenkungen<br />

animierten, mit denen Sie sich freigiebig<br />

zeigten, aber auch sich und dem Namen<br />

ihrer Familie ein Denkmal setzten. Heute<br />

zählt Wuppertal fünf solcher Bauwerke,<br />

die meist aus Stiftungen hervorgegangen<br />

sind. Elisen- (1838) und Bismarckturm<br />

(1907) stehen auf der Hardt, der erstere<br />

entstand als privates Observatorium aus<br />

einer Windmühle, der zweite wurde als<br />

Landmarke und Denkmal errichtet. Der<br />

Barmer Verschönerungsverein erhielt den<br />

Toelleturm (1887) auf dem höchsten<br />

Punkt der Barmer Anlagen, der Elberfelder<br />

Verschönerungsverein dagegen den<br />

Weyerbuschturm (1898) in der Parkanlage<br />

Nützenberg. Beide wurden von<br />

Fabrikantenfamilien gestiftet, wie der<br />

Von der Heydt-Turm (1892) auf dem<br />

Kiesberg durch einen Bankier.<br />

Gemeinwesen im Blick<br />

Was die Aussicht in den Blick rückt, ist<br />

zwar auch die umliegende Landschaft,<br />

malerische Szenen und landwirtschaftlich<br />

Idylle. Doch vorrangig guckt der Bürger<br />

in seiner Freizeit auf den Ort der Arbeit<br />

zurück. Der Ausblick auf die Bebauung<br />

wird keineswegs durch Bepfl anzung verdeckt,<br />

sondern wirkungsvoll inszeniert. So<br />

berichtet ein Reisender über den Besuch<br />

der Elberfelder Hardt 1810: „Aber man<br />

hat dort kunstvoll, und ich sage durchaus<br />

auch mit Geschmack, mehrere Rundwege<br />

angelegt, damit sich hier an den<br />

Sonntagen jene zahlreichen Grüppchen<br />

von ehrbaren und arbeitsamen Familien<br />

treffen können, die herkommen, um den<br />

Anblick des von ihnen selbst geschaffenen<br />

Werkes zu genießen, um ihrem Kindern<br />

die Häuser, die Gärten, die Rasenplätze,<br />

die Werkstätten, die Fabriken und Geschäftshäuser<br />

dieses Gewerbe treibenden<br />

Volkes zu zeigen, das auf eigne Rechnung<br />

arbeitet und das eines Tages von seinen<br />

Kindern wiederum Sorgfalt, Umsicht und<br />

vorbildhaftes Verhalten verlangen wird.“<br />

Erika Schmidt fasst zusammen: „Einerseits<br />

war der Park als Welt des Schönen,<br />

des Luxus und der Muße aus der Welt<br />

des Hässlichen und der Funktionalität<br />

deutlich ausgegrenzt. Andererseits war<br />

die Welt der Arbeit, wo der im Park zur<br />

Schau gestellte Wohlstand erwirtschaftet


wurde, über verklärende Distanz hinweg<br />

in die Parkszenerie einbezogen.“<br />

Stadtentwicklung<br />

Es wäre verkürzt, nur von einer Rettung<br />

eines „Fleckchens Erde“ vor der Bebauung<br />

zu sprechen. Vielmehr bildeten die<br />

neu geschaffenen Grünfl ächen eine ideale<br />

Voraussetzung, angrenzende Flächen<br />

als Wohngebiete zu entwickeln. Meist<br />

waren es die engsten Vereinsmitglieder,<br />

die als Besitzer der umliegenden Grundstücke<br />

von der Aufwertung ehemaliger<br />

Bleichergüter oder landwirtschaftlicher<br />

Flächen zu Parkanlagen profi tierten. Mit<br />

dem zivilisierten Grün entstand das, was<br />

wir heute eine „Adresse“ nennen. An die<br />

Barmer Anlagen schließen sich zwei der<br />

bis heute teuersten Wohnviertel Wupper-<br />

Dicke-Ibach-Treppe<br />

tals an. Der Nützenberg-Park bereitete<br />

die hochwertigen Vermarktung des Briller<br />

Viertels, des ersten reinen Wohngebietes<br />

in Elberfeld, vor, das sich noch heute<br />

wenig preiswerter Beliebtheit erfreut.<br />

Interessant ist auch die enge Verzahnung<br />

von Grünfl ächen und Bebauung, indem<br />

die Parks sich ins Stadtgebiet öffnen, wie<br />

die steil bergan auf den Nützenberg-Park<br />

zulaufende Sadowastraße. Eingänge sind<br />

oftmals im Straßenraum sichtbar und wirkungsvoll<br />

inszeniert, wie die Zuwegung zu<br />

den Barmer Anlagen über den Mittelstreifen<br />

der heutigen Heinrich-Jansen-Allee<br />

mit der doppelreihigen Lindenallee. Der<br />

Pavillon der Dicke-Ibach-Treppe wirkt<br />

nach innen und außen als Blickfang und<br />

verbindet damit Park und Straßenraum<br />

nicht nur fußläufi g, sondern auch visuell.<br />

Die Wohnbebauung schmückt sich mit<br />

dem Park, in dem sie gar nicht liegt. Wo<br />

Grünanlagen die Gegend für Wohnbe-<br />

bauung aufwerten, werden sie von dieser<br />

Nachbarschaft quasi als Zubehör benutzt.<br />

Der Park vor der Tür rückte die städtische<br />

Villa ans Herrenhaus auf dem Lande.<br />

Bei Anlage des Nordparks freilich war<br />

der Bedarf an hochpreisigen Wohnlagen<br />

erschöpft, angrenzend an die Grünanlage<br />

entstanden nun Siedlungen für<br />

verschiedene Ansprüche. Der Wohnhof<br />

Klingelholl bietet Mietwohnungen in<br />

einer Dreiseitanlage. Die an dörfl ichen<br />

Strukturen orientierte Siedlung Nordpark<br />

enthält neben Wohnungen auch Reihenhäuser<br />

als Eigentum. Die Wohnkolonie<br />

Am Nordpark schließlich bildet eine repräsentative<br />

Wohnlage mit Fernblick, die<br />

villenartige Häuser zu einer schlossartigen<br />

Anlage gruppiert.<br />

Brachfl ächen transformieren<br />

Anders liegt der Fall bei alten Gewerbegebieten,<br />

die zunächst einmal als für Erholungszwecke<br />

gänzlich ungeeignet scheinen<br />

und doch plötzlich gerade hierfür in<br />

Anspruch genommen wurden. Den tiefen<br />

Bachtälern rund um Wuppertal hatte<br />

seit Jahrhunderten das Metallgewerbe<br />

einen akustischen und visuellen Stempel<br />

aufgedrückt. Nun entstanden Ausfl ugslokale<br />

in oder neben alten Kotten, Stauteiche,<br />

die wochentags Hämmer antrieben,<br />

lockten am Wochenende zu Kahnfahrten.<br />

Verschönerungsvereine waren aktiv an<br />

der Transformation von Gewerbegebieten<br />

und Brachfl ächen beteiligt. Wenngleich<br />

sie ein naturnahes Gestaltungsideal<br />

verfolgten und sich gegen gesundheitliche<br />

und landschaftliche Schäden der Industrialisierung<br />

wendeten, zeigten sich die<br />

Vereine keineswegs industriefeindlich.<br />

Nutzbauten wurden nicht durch Pfl anzungen<br />

kaschiert, sondern oft genug stolz<br />

präsentiert und bestaunt.<br />

An der Gelpe etwa, einem Bach am Rande<br />

des Wuppertaler Ortsteils Cronenberg,<br />

nutzten Betriebe in so dichter Folge die<br />

Wasserkraft, wie an kaum einer anderen<br />

Stelle im Deutschen Reich. Ende des 19.<br />

Jahrhunderts begann man die pittoreske<br />

Qualität des tiefen Bachtals mit seinen<br />

Felshängen, dem plätschernden Wasser,<br />

aber auch den schwer arbeitenden<br />

Werkstätten zu schätzen. Der Umbau zum<br />

Naherholungsgebiet begann mit Unterstützung<br />

des Gelpetaler Verschönerungs-<br />

vereins. „Der Verein bezweckt Verschönerungen<br />

aller Art. Als seine nächsten<br />

Aufgaben wird er betrachten, die Anlage<br />

solcher Wege im Gelpethale, welche zur<br />

Annehmlichkeit und Bequemlichkeit des<br />

Publikums beitragen können, entweder<br />

anzuregen, selbständig auszuführen oder<br />

deren Ausführung zu unterstützen.“ Noch<br />

heute setzen sich mehrere Vereine für die<br />

Erhaltung der Erholungsqualität des Tals<br />

und der Erinnerung an die mittlerweile<br />

untergegangene Gewerbetätigkeit ein.<br />

Eine große Attraktion bildeten auch neue<br />

Infrastrukturbauten wie die Müngstener<br />

Brücke oder die Ronsdorfer Talsperre, die<br />

dem Naherholungsgebiet des Gelpetals<br />

weiteren Auftrieb gaben. Das 1897 fertig<br />

gestellte Stahlbauwerk der höchsten Eisenbahnbrücke<br />

Deutschlands zog mit seinen<br />

107 m Höhe Touristenscharen an. So entwickelte<br />

sich mit Beginn des Brückenbaus<br />

das seit dem 16. Jahrhundert gewerblich<br />

genutzte Tal zum beliebten Ausfl ugsziel.<br />

Ähnlich offensiv ging man mit den Talsperren<br />

um, die zur Wasserversorgung der<br />

stark angewachsenen Städte in nahegelege-<br />

37


38<br />

nen Tälern gebaut wurde. Nachdem die<br />

damals selbständige Stadt Ronsdorf am<br />

oberen Ende der Gelpe 1898 eine Talsperre<br />

errichtet hatte, eröffnete in ihrer<br />

Nähe eine Ausfl ugsgaststätte. Die Bürger<br />

waren stolz auf ihre Errungenschaft, die<br />

als dritte Trinkwassersperre Deutschlands<br />

noch keineswegs zu den Selbstverständlichkeiten<br />

einer Kleinstadt zählte.<br />

Selbstverständnis<br />

Werte vermitteln<br />

Vor allem durch Aufstellung von<br />

Skulpturen brachten die Vereine ihren<br />

Wertekanon zum Ausdruck. Schon<br />

Hirschfeld empfi ehlt „Bildsäulen verstorbener<br />

Wohltäter, Denkmäler von<br />

wichtigen Vorfällen und Begebenheiten<br />

mit lehrreichen Inschriften“, „die das<br />

Volk an sein einheimisches Verdienst, an<br />

die Wohlthätigkeit seiner Patrioten, an<br />

das Glück seiner Nationalbegebenheiten<br />

erinnern“, aber auch „die Statue, die<br />

Büste oder die Denksäule des malenden<br />

Dichters, und des dichtenden Malers,<br />

des Lehrers der Naturschönheit und<br />

ihres Nachbilders“ sei in öffentlichen<br />

Gärten angemessen.<br />

Fritz Rohde, Friedrichsberg 1883; Stadt Wuppertal<br />

Typisch für den bürgerlichen Denkmalkult<br />

des 19. Jahrhunderts ist das Andenken an<br />

Personen und Ereignisse. Der Schmuck des<br />

Stadtraums verbindet sich mit der Ehrung<br />

des Individuums und die Würdigung seiner<br />

Leistung mit politischer Aussage. Themen<br />

bilden etwa das Wirken des Vereins selbst,<br />

wenn ehemaliger Vorsitzender oder Vereinsjubiläen<br />

gedacht wird. Der Barmer Verschönungsverein<br />

setzte seinem verstorbenen Mitglied,<br />

dem Fabrikanten und Dichter Emil<br />

Rittershaus ein Denkmal in den Barmer Anlagen.<br />

Das Wilberg-Denkmal auf der Hardt<br />

hält die Erinnerung an einen ausgezeichneten<br />

Pädagogen Elberfelds wach. Wie Bildung<br />

gehörte auch der christliche Glauben zu<br />

den Grundfesten des Bürgertums im 19.<br />

Jahrhundert. Kriegerdenkmäler brachten die<br />

patriotische Gesinnung zum Ausdruck, so<br />

der 1869 in den Barmer Anlagen aufgestellte<br />

Obelisk für die Gefallenen von 1864 und<br />

1866. Auch Bäume, z.B. Friedenseichen und<br />

Schiller linden, wurden eingesetzt, um Werte<br />

symbolisch zu vermitteln.<br />

Die Aufstellung von Denkmälern erfolgte<br />

nicht immer durch die Vereine selbst, son-<br />

dern war auf dem Vereinsgelände oftmals<br />

von weiteren Vereinigungen oder Spender<br />

initiiert. In einigen Parkanlagen häuften im<br />

Laufe der Jahre geradezu die Gedenkstätten.<br />

Gesellschaftliche Bühne bereiten<br />

Schon die frühen bürgerschaftlichen Initiativen<br />

für Grün sind von dem Wunsch nach<br />

Freiräumen für gesellschaftliche Begegnung<br />

geprägt. Man wollte im Park wandeln,<br />

um zu sehen und gesehen zu werden, um<br />

einander zu treffen und sich gemeinsam<br />

aufzuhalten. Auch sollten Erfrischungen<br />

den Spaziergang abrunden. Anfänglich<br />

übernahmen es oft nahegelegene Bauernhöfe,<br />

das Publikum mit Milch und Stuten<br />

zu bewirten.<br />

Auf der Hardt gab es schon bald eine Einsiedelei,<br />

die ein entsprechendes Angebot<br />

für den bereithielt, der den steilen Aufstieg<br />

von Elberfeld hinter sich hatte und den<br />

Ausblick genießen wollte. Später eröffnete<br />

der Gastronom Himmelmann-Pothmann<br />

auf einem weiter unten gelegenen Plateau<br />

den „Pavillon zum neutralen Boden“. Der<br />

Barmer Verschönerungsverein vereinigte<br />

auf seinem Gebiet gleich mehrere solcher<br />

Gebäude, die von der Milchkuranstalt


über eine Meierei bis zur Stadthalle und<br />

zum Luftkurhaus reichte. Im Nordpark<br />

verpachtet man das Sommerhaus des Vorbesitzers<br />

mit dem zugehörigen Bauernhaus<br />

an einen Gastwirt.<br />

Den Höhepunkt geselligen Lebens<br />

erreichten die Parks jedoch erst mit dem<br />

Bau von Gesellschaftshäusern, die nicht<br />

nur Gaststätten, sondern das Herz der<br />

Anlagen bildeten. Auf der Hardt plante<br />

Siesmayer die Neue Hardt um eine solche<br />

Gastronomie herum. Mit Auffahrten<br />

und Treppenanlagen, Teppichbeeten und<br />

Brunnen lag das später errichtete Bergische<br />

Haus äußerst prominent. Ausgedehnte<br />

Biergärten auf beiden Seiten und ein Musikpavillon<br />

schlossen sich an das Haus an.<br />

Nicht weniger prominent bereitete Joseph<br />

Clemens Weyhe den Bauplatz der Barmer<br />

Stadthalle vor, für den er ein erhöhtes Plateau<br />

reservierte. Die talseitig umlaufende<br />

Terrasse beschattete eine vierreihige Allee.<br />

In diesen Gebäuden fanden auch Feier,<br />

Bälle und öffentliche Ereignisse statt.<br />

Die Stellung der solchermaßen hervorgehobenen<br />

Parkgastronomie darf sich mit der<br />

des Schlosses im adeligen Garten vergleichen.<br />

Das Bürgertum setzte das Gesellschaftshaus<br />

an die Stelle des Schlossbaus.<br />

Damit stellte es sich selbstbewusst an die<br />

zentrale Stellung in der Gesellschaft und<br />

beansprucht, die Position des Adels zu<br />

übernehmen. Anstelle einer Einzelperson<br />

residiert im Herzen des bürgerschaftlichen<br />

Parks die aus Vielen zusammengesetzte<br />

bürgerliche Öffentlichkeit.<br />

Gemeinschaftsleistungen<br />

Partner der Stadt<br />

Die Bürger vertreten ihre Unabhängigkeit<br />

von Fürsten, Ämtern und Regierungen<br />

selbstbewusst, ihre Vereine erhalten sich<br />

neben den Organisationen der öffentlichen<br />

Hand und haben nur im Notfall vor, in<br />

diesen aufzugehen. Dennoch arbeiten<br />

Verschönerungsvereine und Stadtverwaltungen<br />

Hand in Hand. Satzungsgemäß ist<br />

die Mitgliedschaft von Bürgermeistern und<br />

Stadtratsmitgliedern in den Vereinsvorständen<br />

verankert.<br />

Beim Flächenankauf ergänzt man sich,<br />

so dass die Besitzverhältnisse in einzelnen<br />

Anlagen wie ein Flickenteppich anmuten.<br />

Doch die Gestaltung versteht die zusammengefügten<br />

Flächen als Einheit und<br />

formt sie zu einem Park ohne Rücksicht<br />

auf Besitzgrenzen zwischen Verschönerungsverein<br />

und Stadt.<br />

In Barmen blieben Planung, Bau und<br />

Pfl ege der Vereinsanlagen in der Hand des<br />

Verschönerungsvereins. Auch die städtischen<br />

Grünfl ächen pfl egt er bis 1935 und<br />

kann insofern als Vorläufer des Gartenamts<br />

betrachtet werden.<br />

Umgekehrt entwickelte es sich in Elberfeld,<br />

wo der Verschönerungsverein zunehmend<br />

Planung und Pfl ege an die Stadt gegen<br />

Entgelt abgab, die 1890 das Amt des Stadtgärtners<br />

schuf. Dessen Aufgabe war keineswegs<br />

die Verrichtung von Gartenarbeit,<br />

sondern ist eher als Position eines Gartenamtsleiters<br />

zu verstehen. Th. Ruprecht war<br />

der erste, der dieses Amt inne hatte. Von<br />

ihm sind Planungen für die Parkanlagen<br />

Nützenberg und Hardt bekannt. 1904<br />

folgte ihm Fritz Rohde, von dem Entwürfe<br />

für den Friedrichsberg vorliegen.<br />

Privatinitiative bündeln<br />

Eine wichtige Leistung der Verschönerungsvereine<br />

bestand auch darin, die vielen<br />

Zuwendungen ganz unterschiedlicher Art<br />

zusammenzufügen. So konnten große<br />

Projekte wie die Anlage ganzer Parks selten<br />

mit einer Spende bewältigt werden. Es war<br />

vielmehr die Sammlung vielen Einzelbeiträge<br />

verschiedenster Größe, die dem Verein<br />

eine ganz andere Handlungsfähigkeit<br />

verlieh, als ein einzelner Bürger sie hätte<br />

aufbringen können. Stolz listen die Vereine<br />

in ihren Jubiläumsschriften ist einzelnen<br />

Zuwendungen auf.<br />

Auch durch Überlassung oder Erbschaft<br />

von Grundstücken fl oss Privatvermögen<br />

an die Verschönerungsvereine. Besonders<br />

hochherzig ist der Fall des Juweliers August<br />

Freytag, der dem Vorstand des Elberfelder<br />

Verschönerungsvereins angehört hatte.<br />

Er hinterließ diesem seinen Sommersitz<br />

mit dem von einem angesehenen Gartenkünstler<br />

gestalteten Park, der seither die<br />

benachbarte Vereinsanlage Friedrichsberg<br />

erweitert.<br />

Eine Bedeutung erlangten auch Kleinspenden,<br />

die nicht nur in monetärer<br />

Form, sondern auch als Arbeitsleistung,<br />

Kuchenspende oder musikalischer Beitrag<br />

zu Vereinsereignissen zum Großen und<br />

Ganzen beitrugen. Umgekehrt schufen die<br />

vom Verein propagierten Ziele sozusagen<br />

Gelegenheiten, zum Spender zu werden.<br />

Das Sagen freilich blieb in allen Vereinen<br />

fest in der Hand der Honoratioren. Bei<br />

aller Demokratie stand der Weg in den<br />

Vorstand so wenig jedem offen, wie dort<br />

Frauen gern gesehen waren. Der Beitrag,<br />

den jeder leisten konnte und sollte, war<br />

insofern in mancher Hinsicht vordefi niert.<br />

In manchem Verein haben sich solche<br />

altväterlichen Strukturen gar bis heute<br />

gehalten.<br />

Antonia Dinnebier<br />

39


Macbeth in Wuppertal<br />

Spielzeit 2010/11<br />

Inszenierung: Claudia Bauer<br />

Bühne & Kostüme:<br />

Patricia Talacko / Bernd Schneider<br />

Musik: Charles Petersohn<br />

Dramaturgie: Sven Kleine<br />

Fotos: Uwe Stratmann<br />

Die Besetzung: Macbeth: Holger Kraft<br />

Lady Macbeth: Sophie Basse<br />

Hexe, Banquo, Pförtner, Macduffs Sohn,<br />

Der junge Siward: Daniel Breitfelder<br />

Hexe, König Duncan, Macduff, Mörder,<br />

Seyton: Marco Wohlwend<br />

Hexe, Prinz Malcolm, Pförtner, Lady Macduff,<br />

Mörder: Sebastian Stert<br />

links: Holger Kraft<br />

unten: Holger Kraft, Sophie Basse<br />

Alptraum ohne Schlaf<br />

Erst am Ende ist Stille<br />

Erst am Ende ist Stille. Nur wabernder<br />

Nebel über Blutlachen, Babykörper auf<br />

zerknüllten Decken. So zeigt sich die<br />

Bühne nach den knapp zwei Stunden<br />

der aktuellen „Macbeth“-Inszenierung<br />

im Wuppertaler Kleinen Schauspielhaus.<br />

Claudia Bauer hat für Shakespeares<br />

Tragödie ein alptraumhaftes Szenario<br />

geschaffen, in dem die Titelfi gur<br />

niemals zur Ruhe kommt.<br />

Macbeth tötet seinen König, der als<br />

Gast in seinem Haus schläft, er „tötet<br />

den Schlaf“, wie es heißt, und leidet<br />

fortan an Schlafl osigkeit. Die Inszenierung<br />

legt den Fokus auf diese Rastlosigkeit,<br />

mit der er von einem Verbrechen<br />

zum nächsten wankt – der Ausschaltung<br />

des Mitwissers Banquo und seines Sohnes,<br />

dem Auftragsmord an der Familie<br />

von Macduff, der zum Widerstand rüstet.<br />

Dem dient ein Kunstgriff, der das<br />

gesamte Stück prägt: Daniel Breitfelder,<br />

Marco Wohlwend und Sebastian Stert<br />

sind nicht nur die drei langhaarigen Hexen,<br />

die Macbeth voraussagen, er werde<br />

König sein; vielmehr nehmen sie von<br />

König Duncan als debilem Grabscher<br />

bis hin zu den gedungenen Mördern<br />

auch alle weiteren Rollen ein. Murmelnd<br />

und gestikulierend begleiten sie<br />

die Handlung im Hintergrund, ehe sie<br />

sich mit kleinen Kostümwechseln blitzschnell<br />

in die verschiedenen Figuren<br />

verwandeln – der Übergang ist fl ießend.<br />

Dadurch entsteht der Eindruck, daß<br />

das Böse durchgängig präsent ist und<br />

Macbeth in seinem Bann.<br />

Brüchige Souveränität<br />

Holger Kraft in der Titelrolle macht<br />

deren Zerrissenheit sichtbar. Von<br />

Selbstsicherheit zu Wahnvorstellungen,<br />

von kühlem Kalkül zu Besinnungslosigkeit<br />

ist Macbeth kaum jemals Herr<br />

41


42<br />

Sebastian Stert, Daniel Breitfelder,<br />

Holger Kraft, Marco Wohlwend<br />

der Situation. Doch auch seine Gattin<br />

zeigt Schwäche: Sophie Basse gibt Lady<br />

Macbeth nicht dämonisch, wenn sie<br />

auch ihren Mann zur Ausführung der<br />

Tat drängt. „Weg mit dem Mitleid - das<br />

- das darf da nicht sein“, beschwört sie<br />

sich selbst zu Beginn fast stammelnd.<br />

Im Griff zu haben scheinen sich die<br />

Eheleute auf Macbeths Krönungsfeier,<br />

wo es zu einer absurden Plauderrunde<br />

kommt: Beim Kaffee tauscht man sich<br />

mit Banquo aus über dessen Sohn („der<br />

ist aber sehr klein für sein Alter, hm?“)<br />

und die Vorzüge des Stillens („spart ja<br />

auch Babynahrung“). Man darf vermuten,<br />

daß solche Szenen aus Improvisation<br />

entstanden sind. In ihrer Flapsigkeit<br />

muß man sie nicht mögen; aber sie<br />

vermitteln doch den Eindruck der<br />

brüchigen Souveränität von Macbeth<br />

und seiner Frau, die sich kurzzeitig ihrer<br />

Sache sicher sind.


Atemlose Inszenierung überzeugt<br />

Daß alles in Wahrheit ein Alptraum für<br />

Macbeth ist, daran besteht dabei kein<br />

Zweifel. Beängstigend gut getroffen<br />

wird die eigentümliche Wahrnehmung<br />

des Träumens, als Macbeth erneut die<br />

Hexen aufsucht, um Klarheit über seine<br />

Zukunft zu gewinnen: Obszön scheinen<br />

sie ein Kind und eine Pfl anze zur<br />

Welt zu bringen - als Symbol für die<br />

scheinbaren Garantien, Macbeth werde<br />

unbesiegt bleiben von jedem, der „von<br />

einer Frau geboren“ wurde und solange<br />

„die Wälder von Burnam“ sich nicht auf<br />

sein Schloß „zubewegen“.<br />

Die Gewaltdarstellung gehört hingegen<br />

nicht zum Schockierendsten der Inszenierung.<br />

Zwar wird auch in Wuppertal mit<br />

Theaterblut nicht gespart; aber die Täter<br />

tragen es für alle ersichtlich per Sprühdose<br />

und keineswegs realistisch auf ihre Opfer<br />

auf, sodaß man dabei zuschauen kann,<br />

wie die Morde gespielt werden. Auch dies<br />

fügt sich in seiner Vermischung der Realitätsebenen<br />

in das Gesamtbild ein.<br />

Macbeth ist eine Gestalt, die zwischen<br />

Schicksal und eigenem Willen schuldig<br />

wird. Die atemlose Inszenierung überzeugt,<br />

indem sie diese Getriebenheit<br />

vorführt.<br />

Martin Hagemeyer<br />

Fotos Uwe Stratmann<br />

43


44<br />

Foto: Frank Becker<br />

Karl Otto Mühl<br />

Schlechte Karten einem Foto sehen, das ich noch habe und<br />

Natürlich habe seit über vierzig Jahren<br />

mit ihr und dem Vater zu tun, nämlich,<br />

seit beide in kurzem Abstand nacheinander<br />

gestorben sind. Ich führe oft Gespräche<br />

mit ihnen. Manches würde ich gerne<br />

nachholen. Etwa so, dass der Sohn vor sie<br />

tritt, den Arm um die Schultern seiner<br />

Frau gelegt, und sagen würde: Mutter, das<br />

ist sie. Wir kümmern uns um dich.<br />

Aber so war es nicht. Der Sohn hatte<br />

keine Frau, und er hing wie ein Kind an<br />

seiner Mutter, die er ein Leben lang zu<br />

verlieren fürchtete. Die Gefahr des Verlustes<br />

bestand wirklich seit vierzig Jahren.<br />

Damals war er Sechs, der Vater dienstlich<br />

seit Monaten in einer anderen Stadt.<br />

Der Vater hatte ihr einen Schallplattenkasten<br />

mit Arm geschickt, und auf<br />

dem wurde immer wieder „Träumerei“<br />

von Schumann gespielt. Mit diesem<br />

Kasten, mir und einem halben Dutzend<br />

Nachbarskindern zog sie in den nahen<br />

Tannenwald. Wir setzten uns auf den<br />

nadelbedeckten Waldboden, der Kasten<br />

jammerte vor sich hin. Sie trug eine weiße,<br />

kurzärmlige Bluse, das kann ich auf<br />

von dem ich nicht weiß, wer es geknipst<br />

hat.<br />

Der Waldboden war schon kühl. Das war<br />

der Grund, dass sie am nächsten Tag erkältet<br />

war und fi eberte.<br />

Das Fieber nahm täglich zu. Plötzlich bekam<br />

sie heftige Gelenkschmerzen, konnte<br />

nicht mehr aufstehen. Es blieb ihr und<br />

mir nichts übrig, als in die Zweizimmerwohnung<br />

der Schwiegermutter zu ziehen,<br />

die in einem grauverputzten Arbeiterhaus<br />

lebte, dass noch heute steht.<br />

Das aber war vor achtzig Jahren. Es besuchte<br />

sie Dr. Bär, ein freundlicher, jüdischer<br />

Arzt, aber ich weiß nicht, ob er viel<br />

für sie tun konnte. Ihre Schultern wurden<br />

in Watte eingepackt, aber die Schmerzen<br />

hielten noch länger an. Sie lag auf dem<br />

Sofa in der Wohnstube, ich auf der hölzernen<br />

Eckbank am Fenster. Während der<br />

ganzen Nacht hörte ich ihr Stöhnen. Ich<br />

war froh, wenn der Morgen kam und die<br />

Großmutter Babette einen großen Becher<br />

Kathreiner-Kaffee brachte. Ich glaube, es<br />

hat mir gegen die Langeweile gereicht, den


ganzen Tag durch das Fenster im fünften<br />

Stockwerk nach unten zu blicken, auf die<br />

Leute, die vorbeigingen, auf die Kleingärten,<br />

auf den grünen Ludwigs-Donau-Main-<br />

Kanal, in dem ich schon oft auf dem Rücken<br />

meines Vaters geschwommen war.<br />

Als ihre Schmerzen abgeklungen waren,<br />

gingen wir in unser kleines Einfamilien-<br />

Reihenhaus zurück. Aber meine Mutter<br />

hatte jetzt einen Herzklappenfehler, der sie<br />

für ihr Leben zu einem Herzkrüppel machte.<br />

Das hat sie nicht daran hindern können,<br />

ihr Leben lang zu arbeiten, daheim, im<br />

Krieg als Leiterin eines Fischgeschäfts, und<br />

stets im lebhaften Kontakt mit Freundinnen<br />

und Bekannten. Mein Vater war treu,<br />

aber mürrisch, die Leute verstanden jedoch<br />

auf dem Umweg über sie, dass er liebenswert<br />

war.<br />

Als Kindermädchen in den Zwanziger Jahren<br />

hatte sie nur einen Abend in der Woche<br />

frei, und da ging sie ins Kino. Ein Wunder,<br />

dass sie einen Mann fand, das wurde mein<br />

Vater. Aber eigentlich mussten sie sich immer<br />

schon gekannt haben, so kam es mir<br />

vor.<br />

Nicht, dass sie es mir so ausführlich erzählt<br />

hatte, aber ich kannte ihre Vergangenheit<br />

als wäre es meine aus vielen, kurzen Erwähnungen.<br />

Ich sehe sie noch heute vor mir als<br />

barfüßiges Mädchen in der Oberpfalz. Sie<br />

hat im Wald mit anderen Kindern Beeren<br />

gesammelt, da kommt der Förster heran.<br />

Die Kinder stellen sich an den Wegrand<br />

und grüßen aufmerksam.<br />

Barfuß geht sie in die Klosterschule. Wenn<br />

sie geschwatzt hat, muss sie die Hände ausstrecken,<br />

und die Ordensschwester schlägt<br />

mit einem Stock darauf. Sie wohnt mit der<br />

Mutter bei der Tante, bis die Mutter einen<br />

Mann fi ndet, der sie heiratet. Er ist Porzellanmaler<br />

und lernt sie in der Porzellanfabrik<br />

kennen, wo sie als Packerin arbeitet.<br />

In der Schule bekommt meine Mutter,<br />

das uneheliche Kind, in jedem Fach eine<br />

Eins, nur nicht im Singen. Zwar singt sie<br />

hingebungsvoll, am liebsten das Lied von<br />

der Gärtnersfrau, die weint, aber angeblich<br />

stimmen die Töne nicht. Als die Schulzeit<br />

zu Ende geht, möchte der Lehrer sie auf ein<br />

Lehrerseminar schicken, aber der Pfarrer ist<br />

dagegen. Ihm missfällt, dass der Stiefvater,<br />

ein Sozi, inzwischen Vorstand im Konsumverein<br />

geworden ist, und außerdem ist<br />

sie ein uneheliches Kind, das immer erst<br />

beliebt sein muss, ehe es so mitmachen darf<br />

wie alle anderen. Also wird nichts daraus,<br />

sie muss in die Fabrik.<br />

Das alles scheint nicht zu schaden. Sie ist<br />

und bleibt ein fröhlicher Mensch, der über<br />

alles in der Welt Bescheid weiß, und zwar<br />

von Natur aus. Was sie nicht erfährt oder<br />

liest, denkt sie sich aus.<br />

So war auch ihre Mutter. Die hat schon<br />

Preise gewonnen für Werbeverse, die sie bei<br />

Wettbewerben von Firmen eingesandt hat.<br />

Großmutters Vorfahren machten zwar keine<br />

Verse, aber sie zogen mit dem Malersack<br />

auf dem Rücken von Kloster zu Kloster<br />

und boten ihre Kunst an. In manchen<br />

Klöstern der Oberpfalz ist sie heute noch<br />

zu sehen.<br />

Meine Mutter bleibt nicht lange Packerin,<br />

sondern geht als Kindermädchen zu einer<br />

Fabrikantenfamilie in die Großstadt. An<br />

einem Kino-Abend, dem einzig möglichen<br />

in der Woche, lernt sie ihren Mann<br />

kennen. Er hat schon früh seine Haare<br />

verloren, aber er hat blitzende Zähne, einen<br />

Bausparvertrag und ist ein zuverlässiger<br />

Maschinenschlosser. So beginnt das nächste<br />

große Abenteuer ihres Lebens. Schon bald<br />

lernt sie noch einen wichtigen Menschen<br />

kennen, nämlich mich.<br />

Ich erlebe nichts, was sie nicht miterlebt.<br />

Ich bin das einzige Kind, und sie ist nun auf<br />

lange Jahrzehnte hin nur Hausfrau in einem<br />

kleinen Haushalt, und dazu noch krank;<br />

mein Leben ist ihre Zukunft, und ihre Unternehmungen<br />

gipfeln im Umräumen von<br />

Schränken oder in Koch-Experimenten.<br />

Und dennoch sehe ich heute, dass sie es<br />

weit gebracht hätte, wenn sie auch nur die<br />

geringste Chance gehabt hätte.<br />

Ich hatte die Überzeugung, dass ich der<br />

Einzige war, der ihr Herz besaß. Mein<br />

Vater war ein stiller Mann, der meistens<br />

etwas gekränkt wirkte. Meine Überzeugung<br />

wurde nicht dadurch beeinträchtigt, dass<br />

ich sie und ihn sonntagmorgens fröhlich<br />

schwatzend nebeneinander im Doppelbett<br />

liegen sah, dass sie sonntags zusammen<br />

spazieren gingen, dass sie Abend für Abend<br />

in der kleinen Dachkammer beieinander<br />

waren. Das schien mir so selbstverständlich<br />

wie der Sonnenaufgang und es beeinträchtigte,<br />

wie gesagt, meine Überzeugung nicht.<br />

Es machte die Welt ein wenig sicherer. In<br />

Krankheitsphasen war ich freilich immer<br />

der Erste, der den Arzt holte oder sie später<br />

bei Herzanfällen ins Krankenhaus schaffte.<br />

Aber wir waren freilich auch Rivalen, der<br />

Vater und ich. Ich war der bessere Beschützer,<br />

glaubte ich, tat mehr für sie, beschützte<br />

sie tatsächlich auch nicht selten vor seiner<br />

Ruppigkeit und Rücksichtslosigkeit. Bis in<br />

die Nachkriegsjahre teilte er ihr das Wirtschaftgeld<br />

zu. Es bedurfte langer Verhandlungen,<br />

bis ich ein paar neue Schuhe bekam.<br />

Aber ich sah auch nicht, dass er der getreue,<br />

stille Eckehart war, der bescheidene Mann,<br />

der auf Auseinandersetzungen mit dem besserwisserischen<br />

Sohn verzichtete. Er hätte<br />

mit bescheideneren Mitteln auf geduldige<br />

Art auch für sie gesorgt.<br />

Ich war ein Muttersohn, jedoch einer, der<br />

das tat, was er für richtig hielt oder nicht<br />

lassen konnte, aber schließlich doch der<br />

Sohn meiner Mutter, der von ihr das Leben<br />

gelernt hatte.<br />

Es kam der Zweite Weltkrieg. Der Sohn<br />

blieb für viele Jahre weg, der Mann blieb<br />

da. Die Stadt wurde zerbombt, Tausende<br />

starben. Die verbrannten und geschrumpften<br />

Leichen lagen am Straßenrand, der<br />

Mann musste zum Aufräumkommando.<br />

Sie leitete ein kleines Fischgeschäft. Manche<br />

Freunde berichteten später von dem einen<br />

oder anderen kleinen Fisch, den sie ihnen<br />

zugesteckt hatte.<br />

Und dann, nach vielen Jahren, hatte sie<br />

wieder einmal einen richtig lebensbedrohenden<br />

Anfall. Wasser hatte sich im<br />

Lungenraum angesammelt. Sie verdrehte<br />

die Augen und verlor das Bewusstsein. Der<br />

Sohn rannte im Laufschritt drei Kilometer<br />

weit, um den Arzt zu holen. Im Hause hatte<br />

damals niemand Telefon.<br />

Das Krankenhaus hatte keinen Platz, aber<br />

für einen Privatpatienten eben doch. Der<br />

Sohn hatte einige Hundert Mark Erspartes,<br />

die reichten und verschafften ihr einen völlig<br />

anderen sozialen Status. Chefarzt und<br />

Oberärztin standen lächelnd an ihrem Bett,<br />

Schwestern verwöhnten sie, und gerettet<br />

war sie auch. Eine lange Periode der Unsterblichkeit<br />

lag vor ihr, dem Mann und<br />

dem Sohn, die Sonne strahlte in das helle<br />

Krankenzimmer. Als sie wieder in ihre Wohnung<br />

zurückkehrte, sagte die Nachbarin zu<br />

ihr: „Für Geld blasen sie dir Zucker in´n<br />

Arsch.“<br />

45


46<br />

Nie mehr fi el sie zurück in das Lebensgefühl<br />

des rechtlosen, unehelichen Mädchens<br />

aus der Oberpfalz. In den kommenden<br />

Monaten fuhr ich sie fast täglich mit dem<br />

Auto, das ich von der Firma bekommen<br />

hatte, nach Dienstschluß und am Wochenende<br />

durch die schönsten Landschaften. Sie<br />

schaute mit glänzenden Augen hinaus und<br />

freute sich.<br />

Und dann geschah es doch. Sie bekam Fieber,<br />

die Verdauung funktionierte nicht. Einlauf,<br />

Abführmittel, nichts half. Wieder kam<br />

sie ins Krankenhaus, und dort fand man<br />

erst heraus, was sie schon seit Jahren als<br />

zweite, schwere Krankheit hatte – Darmkrebs.<br />

Der Arzt hatte es nicht erkannt.<br />

Schon zwei Stunden nach ihrer Einlieferung<br />

wurde sie operiert. Draußen warteten<br />

Mann und Sohn. Der Arzt kam heraus und<br />

sagte: „Wir haben sie gleich wieder zugemacht.<br />

Es war schon alles schwarz.“<br />

„Wie lang hat sie noch zu leben?“ fragte ich.<br />

„Höchstens noch bis morgen.“<br />

Der Vater und ich saßen an ihrem Bett, als<br />

sie am Nachmittag langsam erwachte. „War<br />

es Krebs?“<br />

„Ach, Unsinn!“ sagte ich empört. „Nur<br />

Darmverschluss.“ Sie nickte lächelnd und<br />

beruhigt. Es war besprochen worden, dass<br />

sie keine Herzmittel bekommen sollte, aber<br />

Dolantin. Ich hoffe, es hat sie glücklich<br />

gemacht. Bevor sie am Abend einschlief,<br />

bestand sie noch darauf, dass Vater und ich<br />

mit Essen und Tee versorgt wurden. Dann<br />

fuhren wir in meinem kleinen Auto nach<br />

Hause, bis ein Anruf kam – „es wird bald<br />

zu Ende sein“.<br />

Sie war bewußtlos, atmete schwerer und<br />

mit immer größeren Intervallen. Der unentbehrlichste<br />

Mensch auf der Welt starb.<br />

Als sie zu atmen aufgehört hatte, gingen<br />

wir hinaus – ich kehrte an der Türe noch<br />

einmal um, küsste sie auf die Stirn und fl üsterte<br />

ihr etwas zu.<br />

Wieder fuhren wir nach Hause. Trostlosigkeit<br />

im Gesicht meines Vaters, dem das<br />

Licht seines Lebens genommen war; mir<br />

liefen die Tränen über die Wangen. Heute<br />

erinnere ich mich an den Satz eines jüdischen<br />

Emigranten: „Ich bin jetzt Neunzig,<br />

aber die Mutter fehlt mir immer noch.“<br />

Karl Otto Mühl<br />

Neue Kunstbücher<br />

Über Architektur<br />

vorgestellt von Thomas Hirsch<br />

Zunehmend hat sich die Architektur nicht<br />

nur als wichtiger Aspekt unserer urbanen<br />

Wahrnehmung und unseres Wohlbefi ndens<br />

erwiesen, sondern auch als eigene<br />

Gattung der visuellen Kunst etabliert.<br />

Konsequenterweise spiegelt sich dies in der<br />

Menge an Buchveröffentlichungen, auch<br />

den Ausstellungen heutiger Tage wider.<br />

Konstatiert bzw. destilliert werden spezifi<br />

sche (monographische) Handschriften<br />

zur Ästhetik und Funktionalität, dann der<br />

Zustand im Städtebau zwischen Tradition,<br />

gewachsener Struktur und globaler<br />

Avantgarde, wobei noch die zunehmende<br />

Nomadisierung der Bevölkerung und ein<br />

wachsendes Interesse für andere Kulturen<br />

mitschwingen ... Die Architektur hat sich<br />

damit aus den Reservaten der fachspezifi<br />

schen Theorie und der Kunstgeschichte<br />

„befreit“ und setzt sich nun zugleich einer<br />

kritischen Rezeption aus – sie ist Allgemeingut.<br />

Derartige Überlegungen berührt schon<br />

eine recht klar umfasste kulturgeschichtliche<br />

– komparativistische – Untersuchung,<br />

die das Fenster als Moment der Architektur<br />

in seiner Relevanz, Bildhaftigkeit und<br />

Bedeutung begreift. Spätestens seit der<br />

deutschen Romantik ist dessen Stellung<br />

Rolf Selbmann: Die Kulturgeschichte des<br />

Fensters, 222 S. mit 126 farb. Abb., geb.<br />

mit Schutzumschlag, 24,7 x 17,5 cm,<br />

Reimer, 39,- Euro<br />

zwischen baulichem Element, metaphysischer<br />

Vermittlung von Innen und Außen<br />

und metaphorischem Ausblick in die Ferne<br />

offensichtlich. Das Buch „Die Kulturgeschichte<br />

des Fensters“ geht dem nach,<br />

indem der Autor Rudolf Selbmann – als<br />

professioneller Literaturwissenschaftler<br />

– neben die Kunst die Literatur und in<br />

Ansätzen auch den Film setzt. Das Vorgehen<br />

an sich ist sinnvoll und sein Buch ist<br />

eine relativ kurzweilige Stoffsammlung.<br />

Es reicht freilich nur selten in die Tiefe,<br />

hat noch etwas Zerstreutes, zwar nicht<br />

Beliebiges, aber bisweilen doch wenig Ergiebiges.<br />

Schnell gesagt, ein Verschenkbuch<br />

der Kulturinteressierten, aus dem man<br />

noch einiges lernen kann. Also, zumal zu<br />

Weihnachten: Gut.<br />

Eine ganz andere Intensität und Leidenschaft<br />

kennzeichnet demgegenüber Bruno<br />

Tauts „Nippon mit europäischen Augen<br />

gesehen“: die Rückübersetzung seiner<br />

Aufzeichnungen nach mehr als einem<br />

dreiviertel Jahrhundert. Taut schildert<br />

mit dem geschulten Blick der Architekturkoryphäe<br />

und mit dem Staunen des<br />

Auswärtigen skizzenartig, wissbegierig, nie<br />

langweilig, dabei sehr kenntnisreich seine<br />

Eindrücke vor Ort. Seine Ausführungen<br />

werden unterstützt durch eigene, oft laienhafte<br />

Fotografi en, die Tauts Möglichkeiten<br />

Bruno Taut: Nippon mit europäischen<br />

Augen gesehen, 215 S. mit 210 s/w-Abb.,<br />

Broschur, 24 x 17 cm, Gebr. Mann Verlag,<br />

59,- Euro


geschuldet sind, sowie (qualitativ bessere)<br />

Fremdaufnahmen: Sie zeigen Beispiele der<br />

profanen und kultischen Architektur in<br />

Japan, aber auch vergleichende Bauten der<br />

klassischen Antike bis hin zu Tauts eigenen<br />

Siedlungsanlagen. Weiterhin fi nden sich,<br />

entsprechend zu seinen Notizen, Aufnahmen<br />

vom alltäglichen Leben in Japan,<br />

welches den damaligen Europäern recht<br />

fremd war. Daran zeigt sich, dass Taut<br />

die Baukunst in der Gesellschaft verortet.<br />

Nebenbei ist die Entstehungsgeschichte<br />

dieses Buches bemerkenswert. Nach dem<br />

Reichstagsbrand am 1. März 1933 hatte<br />

Bruno Taut mit seiner Lebensgefährtin<br />

Deutschland fl uchtartig per Schiff verlassen<br />

und war in Japan freundschaftlich<br />

aufgenommen worden. Dazu gehört der<br />

Auftrag des Meiji Shobo Verlages an den<br />

berühmten Gast schon nach zwei Monaten<br />

Aufenthalt, seine Erkenntnisse zum<br />

Städtebau niederzuschreiben. Bereits 1934<br />

erschien in Japan die Erstausgabe, die Taut<br />

später ergänzt hat, als er seinen Aufenthalt<br />

in Japan verlängern konnte und dort bis zu<br />

seinem Tod 1938 blieb. Japan wurde für<br />

ihn zur Herzensangelegenheit.<br />

Dieses Buch ist zweierlei. Es ist eine gut<br />

lesbare, von kritischer Hochachtung<br />

geprägte Refl ektion zu Japan, zu seiner<br />

Geschichte und Kultur, die den Städtebau<br />

und die Architektur fokussiert. Zudem<br />

vermittelt es Bruno Tauts eigene Haltung<br />

und Verantwortung bei seiner Tätigkeit als<br />

Architekt. In Deutschland fast unbekannt,<br />

könnte dieses Buch schon den Japan-Interessierten<br />

überhaupt interessieren. Ergänzt<br />

um ein Glossar, ist es ein tiefschürfender<br />

und hilfreicher Zugang zu diesem so<br />

fernen Land.<br />

War sich Bruno Taut der Veröffentlichung<br />

seiner Aufzeichnungen bereits<br />

beim Aufschreiben sicher, so musste Ernst<br />

Scheidegger bei einem in etwa vergleichbaren<br />

Unterfangen bis jetzt warten. Es geht<br />

um Chandigarh – eine richtig spannende<br />

Sache, damals und aus der heutigen<br />

Perspektive. Die indische Regierung hatte<br />

mehrere europäische Architekten um Le<br />

Corbusier beauftragt, eine eigene Stadt zu<br />

bauen mit den erforderlichen kommunalen<br />

Einrichtungen, welche den Architekten<br />

unterschiedlichen Spielraum zur Selbstverwirklichung<br />

ließen. Schon während der<br />

Bauphase, angeregt von der Konzeption<br />

Chandigarh 1956, Fotografi en von Ernst<br />

Scheidegger, 269 S. mit 140 farb. u. 135 s/w-<br />

Abb., geb. mit Schutzumschlag, 27 x 26 cm,<br />

Scheidegger & Spiess, 55,- Euro<br />

zu Chandigarh hatte Ernst Scheidegger<br />

als Dokumentarfotograf die Idee, diese<br />

und künftige architektonische Großunternehmungen<br />

mit Veröffentlichungen zu<br />

begleiten, bei denen Fotografi en und Texte,<br />

auch Entwurfszeichnungen der Architekten<br />

zusammentreffen. Vergeblich hat er<br />

sich deswegen an einen Verlag gewandt.<br />

– Was früheren Leserschaften dadurch<br />

entging, das teilt nun „Chandigarh 1956“<br />

mit, erschienen in Scheideggers eigenem<br />

Verlag, wobei dies aber keineswegs die<br />

Bedeutung dieser Monographie schmälert.<br />

Im Gegenteil spürt man die Genauigkeit,<br />

die Suche nach der richtigen Umsetzung<br />

in Buchform, über fünf Jahrzehnte später.<br />

Dazu tragen auch die (neuen) Texte<br />

bei, die der Bedeutung von Chandigarh<br />

nachgehen und die Rolle der Architekturfotografi<br />

e ausloten. Daneben stehen<br />

die Aufnahmen von Scheidegger, teils in<br />

Farbe, die auch Bausituationen und eindrucksvolle<br />

Genreszenen der Bevölkerung<br />

berücksichtigen und ebenso die Leistung<br />

der einzelnen Architekten bei den verschiedenen<br />

Bauten wie Gericht oder Universität<br />

herausarbeiten. Scheidegger vermittelt hier<br />

zwischen dem objektiven Blick von Außen<br />

und den Ideen der Architekten selbst und<br />

spricht implizit die Differenz europäischer<br />

Sichtweisen zum Leben in Indien an. Heute<br />

sehen wir, welche Tragweite Chandigarh<br />

hatte und können vielleicht Erkenntnisse,<br />

Parallelen zu heutigen Modellen von Stadt<br />

und Urbanität ableiten – und erkennen,<br />

wie fein und umfassend sich Scheidegger<br />

diesen Fragen genähert hat.<br />

Auf eine andere, aberwitzige, in ihrem<br />

Zeitgeistigen bewusst nervige Weise<br />

verschafft sich eine vierte Neuerscheinung<br />

Raum: „Metahaven: Uncorporate<br />

Identity“. „Metahaven“, das in Brüssel<br />

und Amsterdam ansässige Design Studio,<br />

ist äußerst engagiert mit seinen Entwürfen<br />

zwischen Fiktion und Realität<br />

in der Verknüpfung von Werbemarken<br />

mit gesellschaftlichen Themen und<br />

geopolitischen Konfl ikten. Ein zentrales<br />

Projekt war „Sealand“, auch dies eine<br />

Art Planstadt, vor allem aber fi ktionaler<br />

Staat, nunmehr als Archetypus für nichts<br />

anderes als die Zukunft. Propagiert wird<br />

dafür eine Plattform im internationalen<br />

Gewässer – als unabhängiger Staat noch<br />

mit eigenen Briefmarken, Personalausweis<br />

etc. Natürlich ist auch dies Provokation,<br />

die jeder Vorstellung von Identität<br />

eine andere entgegensetzt. Dabei ist das<br />

dickleibige Buch selbst ein künstlerischer<br />

Beitrag mit der Tendenz zum Designobjekt,<br />

zu verstehen auch als Arbeitsbuch<br />

oder Konzeptalbum, Stoffsammlung<br />

mit zahlreichen (englisch abgedruckten)<br />

Interviews und theoretischen Texten in<br />

Magazin-artiger Grafi k. Ein unangenehmer<br />

Dschungel also, aber mit einigen<br />

berauschenden Momenten nuancierender<br />

Sicht zur Globalisierung und – natürlich<br />

– zur Verantwortung der Medien, die<br />

unsere Wahrnehmung präparieren: von<br />

Design und Städtebau heute.<br />

Metahaven: Uncorporate Identity, engl., 608 S.,<br />

durchgehend farbig, Broschur, 24 x 17 cm,<br />

Lars Müller Publishers, ca. 48,- Euro<br />

47


48<br />

„Joseph Beuys. Parallelprozesse“<br />

in der Kunstsammlung<br />

Nordrhein-Westfalen<br />

Joseph Beuys, um 1980<br />

Düsseldorfer Heimspiel<br />

Hohepriester eines radikal neuen<br />

Kunstbegriffs oder dreister Provokateur,<br />

sensibler Zeichner oder Protagonist einer<br />

kruden Materialästhetik, Messias einer<br />

besseren Gesellschaft oder politischer<br />

Phantast, Schamane oder Scharlatan – an<br />

Beuys (1921–1986) haben sich schon<br />

immer die Geister geschieden, und auch<br />

die aktuelle Werkschau in der Düsseldorfer<br />

Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen<br />

dürfte bei allem Publikumsinteresse daran<br />

kaum etwas ändern. Und das, obwohl der<br />

Künstler längst einen festen Platz in der<br />

Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des<br />

20. Jahrhunderts hat, die Forschungsliteratur<br />

Regale füllt und in den Medien<br />

über Beuys mehr als über jeden anderen<br />

Künstler berichtet wird.<br />

Nachdem sich der im Juni verstorbene<br />

Gründungsdirektor und langjährige Leiter<br />

der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen<br />

Werner Schmalenbach stets geweigert<br />

hatte, den jahrzehntelang in Düsseldorf<br />

lebenden und arbeitenden Beuys in<br />

seinen Räumen auszustellen, richtete sein<br />

Nachfolger Armin Zweite dem rheinischen<br />

Avantgarde-Künstler im Jahr 1991<br />

eine große und seinerzeit vielbeachtete<br />

Ausstellung unter dem Titel „Natur, Materie,<br />

Form“ ein. Nun sucht sich fast zwei<br />

Jahrzehnte danach Zweites erst kürzlich<br />

in die rheinische Metropole gekommene<br />

Nachfolgerin Marion Ackermann im<br />

Rahmen der diesjährigen Düsseldorfer<br />

Quadriennale an der damaligen Ausstellung<br />

zu messen, indem sie Beuys unter<br />

dem Motto „Parallelprozesse“ präsentiert.<br />

Ihr Ziel ist es, die Vielgestaltigkeit und<br />

Vielschichtigkeit des Beuysschen Œuvres<br />

darzustellen und dessen „komplexe<br />

Vernetzungsstrukturen … sichtbar und<br />

sinnlich erfahrbar“ zu machen. So geht<br />

es um die Parallelitäten von Zeichnung<br />

und Bildhauerei, von Installationen und<br />

Performance, von künstlerischem Denken<br />

und politischem Handeln; und um die<br />

Konvergenz all dieser Aspekte in dem von<br />

Beuys postulierten „erweiterten Kunstbegriff“,<br />

der die – letztlich uneinlösbare –<br />

Aufhebung der Differenz von Kunst und<br />

Leben bedeutet.<br />

Mit einem klaren, der Chronologie<br />

verpfl ichteten und zugleich thematisch<br />

gliedernden Konzept versucht die Düsseldorfer<br />

Ausstellung, Beuys dem Besucher<br />

näherzubringen. Die Darbietung des<br />

Materials kreist um jeweils exemplarisch<br />

ausgewählte Artefakte, die für die entsprechende<br />

Werkphase signifi kant sind. Den<br />

Auftakt bildet der „Torso“ (Abb. 2) von<br />

1949/51, eine Arbeit, die in der Akademiezeit<br />

von Joseph Beuys entstand und<br />

die sich, obwohl vermutlich von seinem<br />

Lehrer, dem Bildhauer Ewald Mataré<br />

angeregt, doch in ihrem vermeintlichen<br />

Nonfi nito (sie befi ndet sich bis heute<br />

auf dem Modellierbock und bildet mit<br />

ihm gleichsam eine Einheit), deutlich<br />

von den straffen, geschlossenen Formen<br />

des Lehrers unterscheidet. So zeugt der<br />

Abb. 2, Torso, 1949-51


Abb. 3, Ohne Titel, 1957-58<br />

„Torso“ von Fragilität, Verletzlichkeit<br />

und Vergänglichkeit, und schon früh sind<br />

damit ein zentrale Themen des späteren<br />

Œuvres von Beuys angeschlagen.<br />

Gut dokumentiert sind in Düsseldorf die<br />

frühen Zeichnungen des Künstlers (Abb.<br />

3), die Mensch und Tier (vorwiegend<br />

Hase und Hirsch) thematisieren - Blätter,<br />

die in ihrer scheinbaren Unfertigkeit<br />

und in ihrem unakademischen Erscheinungsbild<br />

unverwechselbar sind. Eduard<br />

Beaucamp hat schon dem jungen Beuys<br />

bescheinigt, daß er in seinen Zeichnungen<br />

versuche, „die Formalisierungen der<br />

modernen Kunst rückgängig zu machen<br />

und in der Kunst so etwas wie die Einheit<br />

allen Lebens wiederherzustellen.“<br />

Fett und Filz<br />

Symbole des Lebens bzw. des Lebendigen<br />

sind zwei Materialien, die geradezu<br />

Markenzeichen des Künstlers geworden<br />

sind und sich vom herkömmlichen<br />

Materialfundus eines Bildhauers radikal<br />

unterscheiden: Fett und Filz (Abb. 4).<br />

Bei einigen sog. Naturvölkern spielt Fett<br />

im Rahmen von Beschwörungsriten eine<br />

besondere Rolle, wo es zusammen mit<br />

Blut Bestandteil magischer Substanzen<br />

oder auch bestimmendes Element von<br />

Ritualobjekten selbst sein kann – so etwa<br />

in afrikanischen Fetischskulpturen. Mag<br />

auch bei Beuys das Fett zuweilen die<br />

Qualität des Magischen annehmen, so hat<br />

es für ihn vor allem als organisches Mate-<br />

rial und als Material, das Prozeßhaftigkeit<br />

anschaulich werden läßt (Erstarren und<br />

Zerfl ießen und umgekehrt) eine besondere<br />

Bedeutung. Es ist für ihn Energieträger,<br />

wie auch Filz für ihn ein Energiespeicher<br />

ist. Beide Materialien ziehen sich als<br />

Konstanten durch sein Werk und treten<br />

zuweilen auch miteinander kombiniert<br />

gemeinsam auf.<br />

Immer wieder wird zum Verständnis der<br />

Beuysschen Arbeiten auf Biografi sches<br />

Abb. 4, Filzkreuz, 1965<br />

Abb. 6, Stripes from the house of the shaman 1964–72, 1980<br />

zurückgegriffen, mit Vorliebe auf die<br />

Erzählung des Künstlers, er sei im Krieg<br />

als deutscher Sturzkampffl ieger von russischer<br />

Flak getroffen worden und mit dem<br />

Flugzeug abgestürzt; Krimtataren hätten<br />

ihn, der mit schweren Verletzungen den<br />

Absturz überlebt hatte, entdeckt und<br />

tagelang gepfl egt, indem sie seine Wunden<br />

mit tierischem Fett behandelt und<br />

ihm mit Filzbandagen Wärme gespendet<br />

hätten; in dieser Zeit habe er starke<br />

Abb. 5, Eurasienstab, 1968-69<br />

49


50<br />

Abb. 7, The Pack (Das Rudel), 1969<br />

Eindrücke durch die fremde Landschaft<br />

und die Lebensgewohnheiten der ihm<br />

unbekannten Menschen empfangen, die<br />

sein späteres künstlerisches Tun maßgeblich<br />

beeinfl ußt hätten, insbesondere was<br />

Phänomene wie Ritual und Schamanismus<br />

anbelangt. Tatsächlich handelt es sich<br />

hier aber um eine der Selbststilisierung<br />

dienende Geschichtsklitterung, denn<br />

es gilt als erwiesen, daß Beuys bereits<br />

einen Tag nach seinem Absturz von den<br />

Tataren an ein deutsches Suchkomman-<br />

do überstellt wurde. Gleichwohl deutet<br />

die künstlerische Nutzung von Fett und<br />

Filz auf Prägungen hin, die mit seinen<br />

(traumatischen) Erfahrungen im Zweiten<br />

Weltkrieg in Zusammenhang gebracht<br />

werden können, und Werktitel wie<br />

„Transsibirische Bahn“, „Eurasienstab“<br />

(Abb. 5), „Sibirische Symphonie“ oder<br />

„Stripes from the house of the shaman<br />

1964–72“ (Abb. 6) weisen ebenfalls in<br />

diese Richtung.<br />

Die großen Installationen:<br />

Abb. 8, Blitzschlag mit Lichtschein auf<br />

Hirsch, 1958–85<br />

Abb. 9, Palazzo Regale, 1985<br />

Der Schwerpunkt der Düsseldorfer Werkschau<br />

liegt auf den großen Installationen<br />

des Künstlers wie „The pack (Das Rudel)“<br />

(1969, Abb. 7), „Fond IV/4 (1970/71),<br />

„Zeige Deine Wunde“ (1974/75), „Straßenbahnhaltestelle“<br />

(1976), „Blitzschlag<br />

mit Lichtschein auf Hirsch“ (1958–85,<br />

Abb. 8) oder „Palazzo Regale“ (1985,<br />

Abb. 9). Das sind Environments, die<br />

eindrucksvoll nicht nur Beuys’ eigenwillige<br />

Materialästhetik, sondern auch seine<br />

individuelle, hochgradig idiosynkratische<br />

Symbolwelt dokumentieren. Daß letztere<br />

sich auch Jahrzehnte nach Entstehung<br />

dieser raumgreifenden Installationen<br />

nicht immer spontan und umstandslos<br />

erschließt, liegt auf der Hand. Bis heute<br />

ist das Beuyssche Œuvre in hohem Maße<br />

kommentarbedürftig geblieben. Zwar war<br />

Beuys selbst immer bemüht, seinen außerordentlich<br />

hermetischen ästhetischen<br />

Idiolekt durch fortwährende Eigenkommentare<br />

vor der Gefahr der Fehldeutung<br />

zu bewahren, wobei er solcherlei Begleitrhetorik<br />

– ganz im Sinne seines ganzheit-


Abb. 10, Honigpumpe am Arbeitsplatz,<br />

Inszenierung in der Ausstellung ‚Parallelprozesse‘<br />

lichen Denkens – als Bestandteil seiner<br />

„Plastischen Theorie“ begriff: „Denken<br />

ist Plastik, Sprechen ist Plastik und sollte<br />

betrachtet werden wie ein Kunstwerk.“<br />

Gleichwohl ist es nicht unproblematisch,<br />

die Selbstkommentare des Künstlers als<br />

Werkschlüssel zu benutzen, und da die<br />

Ausstellung kaum fl ankierendes Material<br />

zum Werkverständnis anbietet, empfi ehlt<br />

sich unbedingt das mit mehr als 400<br />

Seiten umfangreiche Katalogbuch, das<br />

fundierte Beiträge zahlreicher Autoren zu<br />

den unterschiedlichsten Werkaspekten<br />

enthält.<br />

Kritische Einwände<br />

Als Mitstreiter der Fluxus-Bewegung<br />

ging es Beuys seit den Sechziger Jahren<br />

des letzten Jahrhunderts immer seltener<br />

um das statische Einzelwerk, sondern<br />

zunehmend um Prozessuales, und zwar<br />

zunächst noch im Radius künstlerischer<br />

Praxis, dann – diesen transzendierend<br />

– im Sinne übergreifender sozialer<br />

Prozesse und politischer Aktionen. Dies<br />

ist ein Aspekt, der in der Düsseldorfer<br />

Ausstellung deutlich zu kurz kommt.<br />

Zwar werden einige hochinteressante<br />

fi lmische Dokumentationen diverser,<br />

zum Teil schamanistisch inspirierter<br />

Fluxus-Performances gezeigt, doch alles<br />

Abb. 11, Honigpumpe am Arbeitsplatz,<br />

Originalinstallation auf der ‚documenta<br />

6‘, Kassel 19<br />

scheint wie geronnen und eingefroren,<br />

und die unterkühlt museale, klinisch<br />

reine Atmosphäre kommt einem Begräbnis<br />

erster Klasse gleich. So erscheint zum<br />

Beispiel das Arrangement „Honigpumpe<br />

am Arbeitsplatz“ (1977, Abb. 10) als<br />

sinnlose Akkumulation ausgedienter<br />

Gerätschaften. Von den lebendigen<br />

Vorgängen, die einst auf der „documenta<br />

6“ in Kassel stattfanden, ist nichts mehr<br />

erfahrbar. Wurden seinerzeit zur Visualisierung<br />

biologischer (und ökonomischer)<br />

Kreisläufe zwei Tonnen Honig durch ein<br />

Schlauchsystem gepumpt und gleichzeitig<br />

100 kg Fett von einer motorgetriebenen<br />

Walze verfl üssigt, so ist davon heute nur<br />

noch ein trauriger Haufen funktionsloser<br />

Relikte geblieben (Abb. 11). – Konturlos<br />

bleibt in Düsseldorf auch Beuys’ theoretisches<br />

Konzept, wie es sich in seiner<br />

„Plastischen Theorie“ artikuliert. Im Mittelpunkt<br />

dieser sog. Plastischen Theorie<br />

steht die Idee von der „sozialen Skulptur“,<br />

was nichts anderes bedeutet, als daß es<br />

Beuys als einem genuinem Bildhauer<br />

nicht länger nur darum ging, einzelne<br />

Bildwerke zu formen, sondern die Gesellschaft<br />

als ganzes einem durchgreifenden<br />

Gestaltungs- und Transformationsprozeß<br />

zu unterziehen. Ihm galt die „Kunst als<br />

die eigentliche revolutionäre Kraft“, „als<br />

eigentliche Basis für das gesellschaftliche<br />

Tun“. Daß das für ihn mehr bedeutete als<br />

eine bloße Utopie, macht sein politisches<br />

(auch parteipolitisches) Engagement seit<br />

den späteren Sechziger Jahren deutlich,<br />

von der „Gründung der Deutschen<br />

Studentenpartei“ und der - an Gedanken<br />

des Anthroposophen Rudolf Steiner und<br />

Ideale der Französischen Revolution anschließenden<br />

- „Organisation für direkte<br />

Demokratie durch Volksabstimmung“ bis<br />

hin zu seiner Mitarbeit bei den „Grünen“.<br />

Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist<br />

ein Besuch der Ausstellung unbedingt<br />

lohnend, weil zur intensivierten Auseinandersetzung<br />

mit einem der interessantesten<br />

und kontroversesten Künstler<br />

der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert<br />

anregend. Gelegenheit dazu besteht noch<br />

bis zum 16. Januar 2011.<br />

Joseph Beuys. Parallelprozesse<br />

11.09.2010 – 16.01.2011<br />

K20 Grabbeplatz und Schmela Haus<br />

Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-<br />

Westfalen<br />

Grabbeplatz 5<br />

40213 Düsseldorf<br />

Katalog<br />

Zur Ausstellung „Joseph Beuys. Parallelprozesse“<br />

erscheint der gleichnamige<br />

Katalog, mit Texten von Marion<br />

Ackermann, Gottfried Boehm, Wilfried<br />

Kuehn, Isabelle Malz, Maja Naef und<br />

Johannes Stüttgen sowie einem Interview<br />

mit Marina Abramovic, 432 Seiten,<br />

280 Abbildungen in Farbe, gebunden,<br />

herausgegeben von der Kunstsammlung<br />

Nordrhein-Westfalen, Verlag Schirmer/<br />

Mosel, München, 49,90 Euro<br />

Weitere Informationen auf der nervtötenden<br />

Internetseite der Kunstsammlung<br />

NRW: www.kunstsammlung.de<br />

Rainer K. Wick<br />

Fotos: Kunstsammlung NRW<br />

© VG Bild-Kunst,<br />

Bonn 2010 für die Werke von Joseph Beuys<br />

51


52<br />

Ein Bildungserfolg auch im Bergischen<br />

Die SPEE-Akademie<br />

Friedrich Spree von Langenfeld<br />

Friedrich Spee von Langenfeld, der<br />

Dichter, Theologe, humanistischer Denker<br />

und mutiger Tatmensch als Namens-<br />

Geber der SPEE-Akademie.<br />

Wenn irgendwo etwas fehlt oder schlecht<br />

läuft, dann kann man sich entweder<br />

beschweren – oder man macht es einfach<br />

besser. So ungefähr lässt sich die Einstellung<br />

von Jochen Zoerner-Erb auf den<br />

Punkt bringen. „Seit Jahren muss überall<br />

gespart werden. Angebote werden gekürzt<br />

oder fallen ganz weg“, erklärt er und sieht<br />

von dieser Entwicklung vor allem ältere<br />

Menschen betroffen. „Was in dieser Stadt<br />

gefehlt hat, ist ein Angebot, dass sich<br />

ausdrücklich an Menschen in der zweiten<br />

Lebenshälfte richtet“, sagt der gelernte<br />

Theatermann und gebürtige Wuppertaler.<br />

Lange Zeit ist er als Regisseur und<br />

Intendant durch die Welt gereist, hat Inszenierungen<br />

in Kairo, Zagreb, Paris und<br />

München geleitet. Viel hat er gesehen<br />

und ist am Ende doch wieder in Wuppertal<br />

gelandet, wo er Musiktheater wie die<br />

Stücke „Sonnenreise“ und „Halleluja - Hi<br />

Mr Händel“ produzierte. „Es ist dieses<br />

einzigartige Flair der Stadt, das mich nach<br />

all den Jahren wieder hier hin gezogen<br />

hat.“<br />

Jochen Zoerner-Erb ist einer der<br />

Menschen, die sich engagieren, etwas tun<br />

und verändern wollen. Das ist auch der<br />

Grund, warum er vor knapp fünf Jahren<br />

die Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal<br />

mit begründet hat und seit drei Jahren ihr<br />

Vorsitzender ist. Über die Ziele der Akademie<br />

gibt das kostenlose Programmheft<br />

eine eindeutige Auskunft. „Soziale, kulturelle<br />

und politische Bildungsangebote für<br />

Menschen in der zweiten Lebenshälfte“<br />

steht dort geschrieben. Und das ist auch<br />

genau das, worum es Jochen Zoerner-Erb<br />

geht. „Wer heute fünfzig, sechzig oder<br />

siebzig Jahre alt ist, der ist noch fi t, der<br />

möchte was erleben und lernen. Was wir<br />

machen, ist, genau diese bestehende Lücke<br />

im Angebot der Stadt zu füllen und<br />

etwas anzubieten.“ Wer Lust hat, kann<br />

sich Vorträge über die schwierige Finanzlage<br />

der Kommunen anhören, gemeinsam<br />

mit Spitzenköchen ein leckeres Menü<br />

zaubern, Gesprächen am Kamin mit dem<br />

ehemaligen Oberbürgermeister Dr. Hans<br />

Kremendahl lauschen oder sich im Atelier<br />

der Malerin Eva-Maria Schoofs umschauen.<br />

Dass ein Großteil der Angebote dabei<br />

kostenfrei ist, ist für den 61-Jährigen<br />

selbstverständlich. „Unser Engagement<br />

stützt sich vor allem auf ehrenamtliche<br />

Arbeit.“<br />

Mit ihrem Angebot steht die<br />

Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal<br />

nicht alleine da. Sie ist eingebunden in<br />

ein Netzwerk von Akademien, das sich<br />

Der Wuppertaler Spee-Vorstand vor der MUNDUS-Seniorenresidenz: v.l.n.r.: Jochen Zoerner-Erb, Renate Nick-Pfl ugbeil, Jochen Phillips,<br />

Joachim Krug, Marianne Ronneberger, Bernd Lamprecht, Detlev Schmitz u. Michael Kozinowski, Foto Andreas Fischer


Kamingespräch mit Hans Kremendahl, Wuppertaler Ex-OB, Foto Manuel Suarez-Ruiz<br />

über ganz Deutschland erstreckt und das<br />

seinen Ausgangspunkt in der Gründung<br />

der ersten Spee-Akademie 1996 in Düsseldorf<br />

durch Bernhard Lamprecht hat.<br />

Nach Düsseldorf folgten weitere Gründungen<br />

in Mönchengladbach, Berlin<br />

und Hamburg. Heute gehören zu diesem<br />

Netzwerk auch Akademien in Kiel, Bonn<br />

oder Frankfurt. Im Bergischen Land gibt<br />

es seit Jahren eine enge Zusammenarbeit<br />

mit den Städten Remscheid und Solingen,<br />

in denen ebenfalls eigenständige<br />

Spee-Akademien aktiv sind. „Uns ist es<br />

wichtig, unser Angebot möglichst vielen<br />

Menschen zugänglich zu machen“, erklärt<br />

Zoerner-Erb.<br />

Mit der Idee und der Intention,<br />

Bildungsangebote für ältere Menschen zu<br />

organisieren, hätten die bundesweit derzeit<br />

elf Akademien sicherlich durchaus im<br />

Sinne ihres prominenten Namensgeber<br />

gehandelt, dem Moraltheologen, Lyriker<br />

und Schriftsteller Friedrich Spee, geboren<br />

1591 in Kaiserswerth bei Düsseldorf. Der<br />

Mann, über den man heute sagt, er sei<br />

ein „mutiger Tatmensch“ gewesen, trat<br />

als 19-Jähriger gegen den Willen seiner<br />

Eltern in den Jesuitenorden ein und stellte<br />

sein Leben fortan in den Dienst des Allgemeinwohls<br />

und des gelebten Idealismus.<br />

Als einer der ersten wandte sich er gegen<br />

die Hexenfolterung, arbeitete als Seelsorger,<br />

betreute und pfl egte Pestkranke und<br />

war als eigenständiger und zugleich recht<br />

origineller Dichter des Barock aktiv, von<br />

dem unter anderem das Werk „Trutznachtigall“<br />

stammt und zahlreiche Kirchenlieder<br />

in uneren Gesangsbücern zu fi nden<br />

sind. „Wir haben seinen Namen für<br />

unsere Akademie gewählt, weil uns sein<br />

Lebenswerk und sein persönliches soziales<br />

Engagement vorbildlich erscheinen“, sagt<br />

Zoerner-Erb. Einverstanden mit dieser<br />

Namensgebung waren übrigens auch die<br />

Nachkommen des adeligen Theologen,<br />

die heute noch im Schloss Heltorf bei<br />

Düsseldorf im Stadtteil Angermund<br />

leben.<br />

Fünf Jahre gibt es die Spee-Akademie<br />

in Wuppertal bereits, was für ihren Vorsitzenden<br />

allerdings kein Grund ist, auf<br />

dem Status quo zu verharren. „Anfang des<br />

Jahres sind wir zu einem gemeinnützigen<br />

Verein geworden. Das ermöglicht uns<br />

zum Beispiel die einfachere Akquirierung<br />

von Spendengeldern, so dass wir hoffen,<br />

unser Angebot in Zukunft noch weiter<br />

ausbauen zu können.“ Denn das Ausscheiden<br />

aus dem Beruf bei gleichzeitigem<br />

Anstieg der Lebenserwartung stellt aus<br />

seiner Sicht eine große Herausforderung<br />

für unsere Gesellschaft dar. „Es geht<br />

darum, dass Menschen im Ruhestand<br />

ihre Zeit als erfüllt betrachten und Lust<br />

haben, ihren Hobbies nachzugehen,<br />

alte Kenntnisse aufzufrischen oder ihre<br />

kreativen Fähigkeiten zu erweitern.“ Die<br />

Friedrich Spee-Akademie sieht Jochen<br />

Zoerner-Erb dabei auch als Möglichkeit<br />

für ältere Menschen, sich aktiv am gesell-<br />

schaftlichen Dialog zu beteiligen.<br />

Mehr als 60 Veranstaltungen bietet<br />

die Akademie in Wuppertal im laufenden<br />

Semester an und blickt dabei auch auf<br />

einige Highlights in der Vergangenheit<br />

zurück. „Der Vortrag des Professors für<br />

Ästhetik, Bazon Brock, in den Räumen<br />

des Finanzamts war sicherlich solch<br />

ein Highlight, auf das wir auch heute<br />

noch stolz sind“, erklärt Zoerner-Erb.<br />

Der Vortrag des bekannten und durchaus<br />

streitbaren Professors lockte rund<br />

130 Menschen in die oberste Etage des<br />

Finanzamtes, die knapp zwei Stunden<br />

gebannt lauschten und am Ende<br />

tosenden Applaus spendeten. „Mit dieser<br />

Veranstaltung haben wir eine Menge<br />

Menschen erreicht und ihnen einiges<br />

zum Nachdenken mit auf den Weg nach<br />

Hause gegeben“, grinst Zoerner-Erb.<br />

Stolz macht ihn dabei vor allem, dass die<br />

ganze Veranstaltung nicht einen Cent<br />

gekostet hat und auch die Teilnahme<br />

kostenlos war. Ehrenamt halt.<br />

Längst sind sich die derzeit rund 100<br />

Mitglieder der Friedrich-Spee-Akademie<br />

auch ihrem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />

Einfl uss bewusst. Anmeldungen<br />

neuer Mitglieder der Akademie<br />

gibt es beinahe täglich. „Wir bilden eine<br />

wichtige Schnittstellte zwischen der<br />

immer jüngeren und dynamischeren<br />

Wirtschaft auf der einen und den älteren<br />

Menschen in dieser Stadt auf der anderen<br />

Seite“, sagt Zoerner-Erb. Aus diesem<br />

Grund soll es im Frühjahr nächsten Jahres<br />

auch das erste Business-Breakfast geben,<br />

das die Spee-Akademie gemeinsam mit<br />

ihrem langjährigen Kooperationspartner,<br />

der Wuppertaler Commerzbank und der<br />

Bertelmann Stiftung, ausrichten wird.<br />

„Dort wollen wir die Wirtschaftszweige<br />

versammeln, die sich vor allem für ältere<br />

Menschen interessieren, und uns als Mittler<br />

und Ansprechpartner präsentieren“,<br />

erklärt Zoerner-Erb. „Denn ohne uns<br />

ältere Menschen wird es in Zukunft nicht<br />

mehr so ohne weiteres gehen.“ Und dass<br />

diese längst nicht mehr nur eine schweigende<br />

Mehrheit dieser Gesellschaft sind,<br />

sondern sich selbstbewusst und engagiert<br />

präsentieren und organisieren, zeigt die<br />

Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal.<br />

www.fsa-online.eu<br />

Jan Filipzik<br />

53


54<br />

Die ungewöhnliche Chronik einer Sporthalle<br />

Mit Themen seiner Heimatstadt Wuppertal<br />

hat sich der Journalist Klaus Göntzsche in<br />

den letzten Jahren immer wieder mit ungewöhnlichen<br />

Publikationen als Herausgeber<br />

auf den Markt gewagt. Im November 2003<br />

erschien das Buch zur Serie der Wuppertaler<br />

Rundschau „Sprungbrett Wuppertal“ mit<br />

den Geschichten zahlreicher Sänger und<br />

Schauspieler von Barbara Auer bis Rosel<br />

Zech, deren Karrieren eng mit Wuppertal<br />

verbunden waren. „Sprungbrett Wuppertal“<br />

war zeitlich eingerahmt von den beiden<br />

Bänden über ungewöhnliche Läden mit<br />

dem Titel „Wuppertals wa(h)re Könige und<br />

Laden-Hüter“. Längst sind diese „Schätzchen“<br />

vergriffen und werden gesucht.<br />

Zuletzt war der in den Nachkriegsjahren in<br />

Wichlinghausen aufgewachsene, gelernte<br />

Industriekaufmann der Autor des im<br />

Leipziger Stadt-Bild-Verlages erschienenen<br />

und von der Buchhandlung von Mackensen<br />

produzierten Bildbandes zum 400-jährigen<br />

Jubiläum von Elberfeld. Erste Buch-Erfahrungen<br />

sammelte er schon vor 40 Jahren im<br />

Alfred Lau-Verlag mit den Werken „Ich über<br />

mich“ und „Wuppertal und wir.“<br />

Gute Laune bei der Präsentation. Von links<br />

Barbara Neusel-Munkenbeck, Klaus Göntzsche,<br />

Klaus Homberg (Alte Bergbahn) und<br />

Robert Schmidt (Runkel & Schmidt).<br />

Nun ist ein neues Produkt auf dem Markt.<br />

Eine 270 Seiten umfangreiche Chronik<br />

zum 50-jährigen Jubiläum der Sporthalle<br />

Heckinghausen. Gedruckt und layoutet<br />

im Hause <strong>Nacke</strong>, dem Klaus Göntzsche<br />

seit den 70-er Jahren eng verbunden ist.<br />

Sein 1982 gegründeter Informationsdienst<br />

Galopp Intern wird dort im 28.Jahrgang<br />

gedruckt.<br />

Marcel Reich-Ranicki in einen Zusammenhang<br />

mit diesem Jubiläum zu bringen,<br />

mag auf den ersten Blick absurd erscheinen.<br />

Doch der Literaturpapst hat ungewollt die<br />

letzte Entscheidungshilfe zum Erscheinen<br />

dieser Chronik geliefert, als er in einer<br />

Die Chronik: an einem „Originalschauplatz“ im Tor der Halle präsentiert. Von links:<br />

Klaus Göntzsche, der BTV-Vorsitzende Wolfgang Killing, Ulrich Mittag und Oberbürgermeister<br />

Peter Jung. Fotos: Bettina Osswald<br />

Fernsehsendung über die Gründe des<br />

Verfassens von Büchern sagte: “Jubiläen<br />

gehen immer.“<br />

Als diese im Jahre 1960 eröffnet wurde, war<br />

Das <strong>Nacke</strong> Chronik-Team mit dem Herausgeber.<br />

Von links: Frank Schelter, Sandra<br />

Wawrziniok, Klaus Göntzsche, HansPeter<br />

<strong>Nacke</strong> und Manfred Elstner.<br />

das für Wuppertal ein fast epochales Ereignis.<br />

Die heute im bereits „gesetzten Alter“<br />

befi ndliche Nachkriegsgeneration lebte mit<br />

dieser Halle. Als Besucher aller wichtiger<br />

Wuppertaler Hallen-Veranstaltungen oder<br />

als Nutzer für den eigenen Schul-und Vereinssport.<br />

Wer sich das Verzeichnis der dort<br />

ausübten Sportarten anschaut, der kommt<br />

aus dem Staunen nicht heraus, was in dieser<br />

Halle so alles stattgefunden hat. Vieles davon<br />

ist in Vergessenheit geraten. Nicht vergessen<br />

sind unzählige große Handballspiele<br />

des LTV, des TV Beyeröhde und auch des<br />

WSV. Die Basketballdamen des Barmer TV<br />

haben dort viele Jahre lang dominiert und<br />

begeistert. Die Hochsprungmeetings des<br />

BTV sind noch heute ein Höhepunkt jeden<br />

Jahres. Mittlerweile haben die Kinder und<br />

Enkelkinder der Gründergeneration diese<br />

Halle erlebt. Über zwei Jahre hat die Arbeit<br />

von Ulrich und Nils Mittag im Stadtarchiv<br />

und an vielen anderen Quellen gedauert.<br />

Die Recherche hat allen Beteiligten neben<br />

dem großen Aufwand aber auch Freude<br />

bereitet, denn immer wieder tauchten<br />

Veranstaltungen mit ungewöhnlichen Menschen<br />

auf, die nicht mehr in Erinnerung<br />

geblieben waren.<br />

KLAUS GÖNTZSCHE | ULRICH MITTAG<br />

50 JAHRE 1960 - 2010<br />

SPORTHALLE HECKINGHAUSEN<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />

50 Jahre Sporthalle Heckinghausen<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />

ISBN 978-3-942043-74-8 19,80€


<strong>Kulturnotizen</strong><br />

Kunstmuseum Ahlen zeigt Druckgraphik<br />

von Georges Braque<br />

Ahlen - Das Kunstmuseum im westfälischen<br />

Ahlen zeigt seit Samstag eine Ausstellung<br />

mit Druckgraphik des französischen<br />

Künstlers Georges Braque<br />

Braque (1882–1963) gehört zu den wichtigsten<br />

Malern der französischen Moderne,<br />

hieß es in einer Ankündigung des Museums.<br />

Zusammen mit Pablo Picasso begründete<br />

der Maler 1908 den Kubismus. Die<br />

bis zum 6. Februar nächsten Jahres laufende<br />

Schau refl ektiert Braques künstlerisches<br />

Schaffen, beginnend mit Stilleben aus den<br />

20er Jahren bis hin zu Grafi ken von 1963.<br />

Präsentiert werden insgesamt rund 150<br />

druckgraphische Werke des bedeutenden<br />

französischen Malers, die ursprünglich aus<br />

einer Pariser Privatkollektion stammen.<br />

Georges Braque, Amaryllis, 1958<br />

Bei den Exponaten handelt es sich<br />

um zumeist farbige Lithographien, Radierungen,<br />

illustrierte Malerbücher sowie einige<br />

seltene Keramiken. Seit den frühen<br />

1920er Jahren hat sich Braque intensiv<br />

mit den künstlerischen Möglichkeiten der<br />

druckgraphischen Verfahren beschäftigt.<br />

Insbesondere im Medium der Lithographie<br />

offenbaren sich nach Angaben der Kuratoren<br />

das koloristische Talent des Künstlers<br />

und seine einzigartige Bildsprache, die<br />

sich in umfangreichen Werkfolgen und<br />

zyklischen Themenvariationen artikuliert.<br />

Picasso und Braque lernten sich 1907<br />

in Paris kennen. Insgesamt sechs Jahre<br />

dauerte die einzigartige, sich gegenseitig<br />

befruchtende künstlerische Zusammenarbeit<br />

des Spaniers und des Franzosen,<br />

hieß es unmittelbar vor der Eröffnung der<br />

Ausstellung.<br />

Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs<br />

und freitags von 14 bis 18 Uhr, donnerstags<br />

von 14 bis 20 Uhr sowie samstags und<br />

sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.kunstmuseum-ahlen.de<br />

Klingenmuseum Solingen zeigt<br />

Ausstellung zu Brieföffnern<br />

Solingen - „Brieföffner - Ein Beitrag<br />

zur Schreibkultur“ lautet der Titel einer<br />

Ausstellung, die ab dem 21. November<br />

im Klingenmuseum der Stadt Solingen zu<br />

sehen sein wird. In Zeiten, als Briefe und<br />

Depeschen noch die wichtigsten Kommunikationsmittel<br />

waren, entwickelte sich<br />

- mit der Erfi ndung des Briefumschlags<br />

- der Brieföffner zu einem beliebten und<br />

liebevoll gestalteten Gegenstand, hieß es<br />

am Donnerstag in einer Ankündigung<br />

der bis zum 10. April nächsten Jahres<br />

laufenden Schau.<br />

Zu sehen sind rund 300 Exponate,<br />

welche die Geschichte der Brieföffner zwischen<br />

1850 und heute zeigen. Die Präsentation<br />

geschieht nach Museumsangaben<br />

in Zusammenarbeit mit einem Sammler<br />

und der Fachhochschule Düsseldorf. Diese<br />

steuert für die Ausstellung studentische<br />

Projekte zu Brieföffner-Entwürfen bei.<br />

Brieföffner<br />

Die Ausstellung ist täglich (außer<br />

montags) von 10 bis 17 Uhr und freitags<br />

von 14 bis 17 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.klingenmuseum.de<br />

Die Etrusker - Die Entdeckung<br />

ihrer Kunst seit Winckelmann<br />

Museum August Kestner Hannover<br />

zeigt die Geschichte der Erforschung<br />

der Kunst und Kultur der Etrusker<br />

Hannover - Die Kunst und Kultur<br />

der Etrusker fasziniert das Publikum<br />

bis heute, wie der Erfolg verschiedener<br />

anderer Ausstellungen zu diesem Thema<br />

Johann Joachim Winkelmann<br />

in den vergangenen Jahren verdeutlicht.<br />

Im Unterschied zu diesen Ausstellungen<br />

widmet sich das Museum August<br />

Kestner vom 25. November 2010 bis<br />

27. Februar 2011 der Entdeckung und<br />

Erforschung der oft rätselhaften Kunst<br />

der Etrusker seit dem 18. Jahrhundert.<br />

Durch die umfangreichen Publikationen<br />

etruskischer Denkmäler von Thomas<br />

Dempster (1579-1629) und Francesco<br />

Gori (1691-1757) und durch die Gründung<br />

der Etruskischen Akademie in<br />

Cortona erfuhr ihre Erforschung einen<br />

großen Aufschwung. In seiner „Geschichte<br />

der Kunst des Altertums“ (1764) hat<br />

Johann Joachim Winckelmann (1717-<br />

1768) erstmals versucht, die Entwicklung<br />

der etruskischen Kunst und ihre Stilperioden<br />

darzustellen. Viele Fragen wurden<br />

in dieser Zeit gestellt: So die nach dem<br />

Fundort und damit, ob alles, was in der<br />

Toskana gefunden wurde, etruskisch sei;<br />

gefragt wurde erstmals nach der Herkunft<br />

der in Etrurien, aber auch in Kampanien<br />

gefundenen griechischen Vasen, die bisher<br />

als etruskisch galten, ebenso wie die Frage<br />

nach den Unterschieden zwischen dem<br />

archaischen Stil der Griechen und der<br />

Etrusker sowie der römischen Nachahmung.<br />

Die Ikonographie etruskischer Götter<br />

und der Mythen in ihrem Verhältnis zu<br />

den griechischen wurde untersucht und<br />

erste bemalte Gräber mit wunderbaren<br />

etruskischen Wandmalereien freigelegt.<br />

Die im 18. Jahrhundert diskutierten<br />

55


56<br />

<strong>Kulturnotizen</strong><br />

Fragen werden in der Ausstellung im<br />

Licht der heutigen Forschung beleuchtet<br />

und mit zahlreichen Denkmälern<br />

veranschaulicht, die aus der Sammlung<br />

August Kestners stammen, der bereits im<br />

ersten Drittel des 19. Jahrhunderts selbst<br />

in Etrurien gegraben hat.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.kestner-museum.de<br />

„Fuß gefaßt ?“<br />

Ein großformatiges Gemälde „Fuß,<br />

grün-blau“ der Wuppertaler Künstlerin<br />

Doris Oberschachtsiek konfrontiert Passanten<br />

und Autofahrer mit dieser Frage.<br />

Dazu haben Barbara Held und Boris<br />

Meißner in einer gemeinsamen Kunst-<br />

Fuß gefasst<br />

Aktion mit der benachbarten Städtischen<br />

Katholischen Grundschule Wichlinghausen<br />

bunte Fußabdrücke von 21 Kindern<br />

gefertigt. Sie hängen im zweiten Schaufenster<br />

des Heine-Kunst-Kiosk und sind<br />

Auftakt zur nächsten Installation „ANGE-<br />

KOMMEN in WUPPERTAL“ ab Mitte<br />

Dezember.<br />

„Fuß gefaßt ?“ eine ebenso eindringliche<br />

wie notwendige Frage nicht an Wichlinghauser<br />

und Oberbarmer gestellt.<br />

So verweisen die Namen der Kinder (9 bis<br />

11 Jahre alt) in schönster Aktualität auf<br />

die lokale Bevölkerungsvielfalt.<br />

www.b-held-kunst.de<br />

www.bbk-bergischland.de<br />

„Bilder einer Metropole - Die<br />

Impressionisten in Paris“<br />

Essen - Die Ausstellung „Bilder einer<br />

Metropole - Die Impressionisten in Paris“<br />

im Essener Folkwang-Museum wurde<br />

gut vier Wochen nach ihrer Eröffnung<br />

bereits von 100.000 Besuchern<br />

gesehen. Die Zahl ist seither kräftig<br />

gestiegen. Das Museum wies auf die<br />

großzügigen Sonderöffnungszeiten hin<br />

und empfahl Besuchern am späteren<br />

Nachmittag oder abends zu kommen,<br />

um lange Wartezeiten zu vermeiden.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

bis 20 Uhr und freitags bis 22.30<br />

Uhr geöffnet.<br />

Die Schau zeigt rund 80 Gemälde<br />

der berühmtesten Impressionisten wie<br />

Manet und Pissarro, Monet und Renoir<br />

und der bedeutendsten Zeitgenossen<br />

wie Caillebotte, Luce oder Goeneutte.<br />

Zugleich konzentriert sie sich mit 125<br />

Fotografi en der Zeit, darunter Meisterwerke<br />

von Gustave Le Gray, Edouard<br />

Baldus, Charles Marville, Henri Rivière<br />

oder Eugène Atget auf die entscheidenden<br />

Momente der Stadtfotografi e.<br />

Camille Pissarro Avenue de IOpéra soleil matinée dhiver<br />

Die Ausstellung ist noch bis zum<br />

30.1.2011 zu sehen.<br />

Internet: www.museum-folkwang.de<br />

Weitere 100.000 Euro Denkmalschutzmittel<br />

für Immanuelskirche<br />

Wuppertal/Bonn - Mit weiteren<br />

100.000 Euro unterstützt die Deutsche<br />

Stiftung Denkmalschutz die Restaurierungsarbeiten<br />

an der Wuppertaler<br />

Immanuelskirche. Der entsprechende<br />

Fördervertrag werde am kommenden<br />

Sonntag an den Trägerverein Immanuelskirche<br />

e.V. übergeben, teilte die Stiftung<br />

am Donnerstag in Bonn mit. Damit hat<br />

die Stiftung das Gotteshaus mit insgesamt<br />

750.000 Euro bei der Sanierung gefördert.<br />

Nunmehr können auch die dringenden<br />

Arbeiten an der Umzäunung sowie<br />

der Abschluß der Fassadensanierung an<br />

der Ostseite und die Steinmetzarbeiten an<br />

den südlichen Seitenportalen fertiggestellt<br />

werden.<br />

Die dreischiffi ge Hallenkirche<br />

wurde von 1867 bis 1869 erbaut. Der<br />

neogotische Sandsteinbau, außen mit<br />

Grauwackesteinen verblendet, wurde<br />

am Todestag des Reformators Calvin,<br />

am 27. März 1869 eingeweiht. Zur<br />

Ausstattung der Kirche gehört die 1967<br />

eingebaute Karl-Schuke-Orgel, die zu<br />

den klangschönsten und mit 54 Registern<br />

auch zu den größten der Region<br />

gehört. Die Immanuelskirche erhielt in<br />

den 1930er Jahren besondere Bedeutung<br />

als ehemalige Gemeindekirche der 1702<br />

gegründeten Evangelisch-reformierten<br />

Gemeinde Barmen-Gemarke im Kampf<br />

der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus.<br />

Seit 1946 ist die Kirche Heimstätte der<br />

Kantorei Barmen-Gemarke, die sie heute<br />

auch besonders benutzt. Durch die Aufgabe<br />

der Kirchennutzung im Jahre 1981<br />

drohte der Abriß, konnte aber verhindert<br />

werden. Seither wird die Kirche nach<br />

umfangreichen Sanierungsarbeiten von einem<br />

Trägerverein für Kulturveranstaltungen<br />

genutzt. Neben ihrer städtebaulichen<br />

Bedeutung gilt die Immanuelskirche auch<br />

als gelungenes Beispiel für die Umnutzung<br />

eines säkularisierten Sakralbaus.<br />

Kunstmuseum Mülheim/Ruhr würdigt<br />

Max Ernst und Frankreich<br />

Mülheim/Ruhr - Aus Anlass der Ausstellung<br />

Transfer France-NRW stellt das<br />

Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr<br />

ab dem 21. November den Künstler<br />

Max Ernst als Grenzgänger vor. Die<br />

Schau mit dem Titel „Max Ernst und<br />

Frankreich“ läuft nach Angaben des<br />

Museums vom Donnerstag bis zum 9.<br />

Januar kommenden Jahres. Ernst habe<br />

den fruchtbaren Austausch mit Frankreich<br />

gesucht, hieß es vor dem Start der<br />

Ausstellung. So verließ der Künstler<br />

1922 Köln, um nach Paris umzusiedeln<br />

und sich dort den Surrealisten zuzuwenden.<br />

1953 kehrte er aus Amerika wieder<br />

nach Frankreich zurück.<br />

Ergänzt um ausgewählte Leihgaben<br />

werden in der Schau drei Werke von<br />

Ernst vorgestellt, die in Frankreich entstanden<br />

und mit der Entdeckung neuer<br />

Techniken und Themen verbunden sind.<br />

So wird die 1924 in der Bretagne zufällig<br />

entwickelte Technik der Frottage erstmals<br />

in den Blättern der „Histoire Naturelle“<br />

angewendet. Eine Hommage an den<br />

Astronomen Ernst Wilhelm Leberecht


Max Ernst<br />

Tempel, der den Planeten Maximiliana<br />

entdeckte, stellt das 1964 in Paris verlegte<br />

gleichnamige Mappenwerk dar.<br />

Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs<br />

und freitags von 11 bis 17 Uhr,<br />

donnerstags von 11 bis 21 Uhr sowie<br />

samstags und sonntags von 10 bis 17 Uhr<br />

geöffnet.<br />

Internet: www.kunstmuseum-mh.de<br />

Museum Abteiberg zeigt Kirchner,<br />

Heckel, Nolde und Beckmann<br />

Mönchengladbach - Das Museum Abteiberg<br />

in Mönchengladbach präsentiert<br />

seit Sonntag Zeichnungen und Graphiken<br />

von Max Beckmann, Ernst Ludwig<br />

Kirchner, Erich Heckel und Emil Nolde.<br />

Wie ein Sprecher des Museums mitteilte,<br />

handelt es sich um Arbeiten aus dem eige-<br />

Ernst Ludwig Kirchner<br />

nen Bestand der Graphischen Sammlung,<br />

die nach vielen Jahren erstmals wieder<br />

präsentiert werden.<br />

Die ausgestellten Werke entstanden in<br />

einem Zeitraum von etwa 15 Jahren, das<br />

früheste stammt aus dem Jahr 1909. Eine<br />

Ausnahme bildet der späte Holzschnitt<br />

„Drei Akte im Wald“ von Ernst Ludwig<br />

Kirchner, der im Jahr 1935 entstand. Die<br />

Ausstellung läuft bis zum 16. Januar<br />

nächsten Jahres.<br />

Das Museum ist dienstags bis sonntags<br />

von 10 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.museum-abteiberg.de<br />

Arp-Museum zeigt die Ausstellung<br />

„Traumanatomie“<br />

Remagen - Das Arp Museum im Bahnhof<br />

Rolandseck in Remagen präsentiert<br />

ab dem 19. November die Ausstellung<br />

„Traumanatomie“. Der Dichter, Maler<br />

und Bildhauer Hans Arp (1886 bis 1966)<br />

war einer der bedeutendsten Vertreter der<br />

künstlerischen Avantgarde, die zu Beginn<br />

des 20. Jahrhunderts innerhalb kurzer<br />

Zeit die Kunst für immer revolutionierte,<br />

hieß es in einer Vorankündigung der<br />

Schau. So war der Künstler Mitbegründer<br />

der Dada-Beweung und stand in den<br />

1920er Jahren in engem Austausch auch<br />

mit den Surrealisten in Paris.<br />

Arp gilt zudem als Pionier der organisch-abstrakten<br />

Formensprache, die sich<br />

an der Metamorphose, an den stetigen<br />

Wachstums- und Wandlungsprozessen<br />

der Natur orientiert. Die bis zum 1. Mai<br />

kommenden Jahres laufende Schau lädt<br />

die Besucher ein, die unterschiedlichen<br />

Aspekte von Arps künstlerischem Schaffen<br />

zu entdecken. Mit etwa 100 Papierarbeiten,<br />

Reliefs und Plastiken setzt diese erste<br />

umfassende Sammlungspräsentation im<br />

Neubau des Museums gezielte Akzente.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.arpmuseum.org<br />

Peter Krämer<br />

WP/StB<br />

Andreas Niemeyer<br />

WP/StB<br />

Thomas Pintzke<br />

StB<br />

Katrin Schoenian<br />

WP/StB<br />

Dr. Jörg Steckhan<br />

RA/WP/StB<br />

Peter Temmert<br />

WP/StB<br />

Susanne Schäfer<br />

StB<br />

Stephan Schmacks<br />

StB<br />

VIEL<br />

MEHR<br />

ALS<br />

NUR<br />

STEUERN<br />

RINKE TREUHAND GmbH Wirtschaftsprüfungs-/Steuerberatungsgesellschaft<br />

Wall 39 – 42103 Wuppertal – 0202 2496-0<br />

Unternehmensberatung – Wirtschaftsprüfung – Steuerberatung – Personalvermittlung – Marketing<br />

57


58<br />

Tonleiter.<br />

Zeitgenössische Klassik im Skulpturenpark<br />

Waldfrieden<br />

Donnerstag, 16.12.2010 um 19:00 Uhr<br />

im Pavillon >NACHTSTÜCKE<<br />

Werke der zeitgenössischen Komponisten<br />

Huw Watkins (*1976), Toshio<br />

Hosokawa ( *1955), Jörg Widmann<br />

(*1973), George Crumb (*1929) und<br />

Detlev Glanert (*1960).<br />

Mit Ulrike Nahmmacher und Martin<br />

Roth (Violine), Nora Niggeling (Viola),<br />

Susanne Müller-Hornbach (Violoncello),<br />

Gerald Hacke (Klarinette) und Florence<br />

Millet (Klavier).<br />

Skulpturenpark Waldfrieden - Hirschstraße<br />

12 - 42285 Wuppertal<br />

www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />

Tonleiter Nachstücke im Skulpturenpark Waldfrieden<br />

Die Nacht mit ihren reichhaltigen Facetten<br />

bildet den Spannungsbogen dieses<br />

Abends. Er beginnt in Huw Watkins<br />

Dream in einer meditativen Stimmung<br />

im Wechsel mit alptraumhaften Visionen<br />

und lässt dann alle klaren Zusammenhänge<br />

durch fratzenhafte Erscheinungen<br />

in Hosokawas Nacht Klängen verwischen.<br />

Eine Fieberfantasie kann in der<br />

Nacht eine noch viel größere Wirkung<br />

entfalten, vor allem, wenn sie von Jörg<br />

Widmann geschrieben ist, der diese Phantasie<br />

wie magnetisch auf einen Moment<br />

Schumann‘scher Musik zulaufen lässt<br />

und den Zuhörer zum Schluss verstört<br />

erwachen lässt. Detlev Glanert entlässt<br />

seinen Nachtschwärmer schließlich in<br />

eine expressive und sinnliche Nacht.<br />

TONLEITER - Zeitgenössische Klassik<br />

im Skulpturenpark Waldfrieden, am<br />

16. Dezember 2010 mit Nora Niggling,<br />

Susanne Müller-Hornbach, Martin Roth,<br />

Florence Millet, Ulrike Nahmmacher und<br />

Gerald Hacke (v.l.n.r.).<br />

Deutscher Kulturrat mahnt Erhalt<br />

der Bonner Oper an<br />

Bonn/Berlin - Der Deutsche Kulturrat<br />

in Berlin hat am Dienstag den Erhalt der<br />

Bonner Oper angemahnt. Er reagierte<br />

damit auf Äußerungen des Bonner Oberbürgermeisters<br />

Jürgen Nimptsch vom<br />

vergangenen Wochenende, das Bonner<br />

Opernhaus infolge der desolaten Finanzsituation<br />

der Stadt aufzugeben. Bonner<br />

Opernliebhaber könnten in die Nachbarstadt<br />

Köln fahren, um dort Opern zu<br />

sehen, hatte Nimptsch erklärt.<br />

Der Geschäftsführer des Deutschen<br />

Kulturrates, Olaf Zimmermann, lehnte<br />

dies am Dienstag als „äußerst bedenklich“<br />

ab.<br />

„Starke Städte brauchen starke Kultur-<br />

Kraftwerke! In Zeiten der Finanzkrise<br />

muß die ein oder andere Stadt sicherlich<br />

ihren Gürtel enger schnallen. Allerdings<br />

dürfen solche Maßnahmen keinesfalls<br />

dazu führen, daß das kulturelle Profi l<br />

einer Stadt immer stärker verwässert<br />

wird,“ so Zimmermann. Die Identität<br />

einer Stadt hänge nach seinen Worten<br />

unmittelbar mit ihren Kulturleistungen<br />

zusammen.<br />

NRW-Kulturministerin hält Landestheater<br />

für unverzichtbar<br />

Düsseldorf - NRW-Kulturministerin<br />

Ute Schäfer (SPD) hat die künstlerische<br />

Arbeit der vier nordrhein-westfälischen<br />

Landestheater in Castrop-Rauxel,<br />

Detmold, Dinslaken und Neuss als<br />

„unverzichtbar“ bezeichnet. Bei einem<br />

Treffen mit den Intendanten in Düsseldorf<br />

erklärte die Ministerin am 20.<br />

November, „als produzierende Häuser mit<br />

ho hem ästhetischem Anspruch haben die<br />

Landestheater große Bedeutung für das<br />

Land, für die jeweilige Stadt und zugleich<br />

für zahlreiche andere Kommunen, die<br />

keine eigenen Theaterangebote oder kein<br />

eigenes Theater haben.“<br />

Durch starke Ensemblearbeit böten die<br />

Bühnen in all diesen anderen Städten ein<br />

Künstlerteam, mit dem sich das Publikum<br />

identifi zieren könne. Laut Schäfer<br />

sind die vier Landestheater ein gutes<br />

Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit<br />

des Landes und der Kommunen.<br />

„Wir alle wissen: Das Miteinander von<br />

Land, Kreisen, Städten und Gemeinden<br />

ist für alle Kultureinrichtungen von großer<br />

Bedeutung. Daher haben wir uns im<br />

Koalitionsvertrag klar dazu verpfl ichtet,<br />

mit dem Stärkungspakt Stadtfi nanzen die<br />

Basis für eine nachhaltige Entschuldung<br />

der Kommunen zu schaffen. Das wird<br />

auch den Theatern zugute kommen“,<br />

versicherte die Politikerin.<br />

In Nordrhein-West falen gibt es vier<br />

Landestheater, die Theater und kulturelle<br />

Bildung in die Kommunen und Gemeinden<br />

jenseits der städtischen Zentren<br />

bringen: das Westfälische Landestheater<br />

Castrop-Rauxel, das Landestheater Detmold,<br />

die Burghofbühne Dinslaken und<br />

das Rheinische Landesthe ater Neuss. Am<br />

27. November erhalten die Landestheater<br />

den nationalen, undotierten Theaterpreis<br />

„Der Faust“ als Auszeichnung des<br />

Präsidenten der Deutschen Akademie der<br />

Darstellenden Künste. Der Preis macht<br />

auf die Leistungskraft und künstlerische<br />

Ausstrahlung der Theater aufmerksam.<br />

Er wird vom Deutschen Bühnenverein<br />

ge meinsam mit den Bundesländern, der<br />

Kulturstiftung der Länder und der Akademie<br />

der Darstellenden Künste vergeben.<br />

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet<br />

Täglich neu – mit großem Archiv<br />

Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografi e – Reise<br />

Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb<br />

www.musenblaetter.de


Der Tipp für alle<br />

ab 60<br />

Mit dem BärenTicket sind Sie im ganzen<br />

VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und<br />

in der 1. Klasse.<br />

Weitere Infos im MobiCenter<br />

Tel.: 0202 569-5200<br />

www.wsw-online.de<br />

60

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!