Kulturnotizen - Druckservice HP Nacke KG
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DIE BESTE ZEIT<br />
Das Magazin für Lebensart<br />
Wuppertal und Bergisches Land Dezember/Januar 2010-2011 - 3,50 Euro<br />
Pierre Bonnard<br />
Die subtile Zerstörung der Illusion<br />
Eberhard Illner<br />
Historisches Zentrum Wuppertal<br />
Peter Schmersal<br />
Im Hier und Jetzt<br />
Kurt Rydl<br />
Der Gigant der tiefen Töne<br />
van Goghs<br />
Schön – aber falsch<br />
Performance-Nacht<br />
in Wuppertal<br />
Monika Bilstein<br />
und der Peter Hammer Verlag<br />
Schöner im Verein<br />
Bürgerschaftliches Engagement<br />
Macbeth<br />
Alptraum ohne Schlaf<br />
Karl Otto Mühl<br />
Schlechte Karten<br />
Joseph Beuys<br />
Parallelprozesse in Düsseldorf<br />
1
Dezember bis Februar<br />
Fr - So von 10 bis 17 Uhr<br />
An Feiertagen geöffnet<br />
Impressum<br />
„Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im<br />
Bergischen Land<br />
Aufl age 4.000 Exemplare<br />
Erscheinungsweise: 5 – 6 mal pro Jahr<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - Die beste Zeit<br />
Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />
Telefon 02 02 - 28 10 40<br />
E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />
V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong> und Frank Becker<br />
Jean Tinguely Skulpturen bis zum 20. Februar 2011<br />
Unsere Kulturförderung<br />
ist gut für die Sinne.<br />
Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal<br />
www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />
Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nichtstaatliche<br />
Kulturförderer Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst<br />
und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de<br />
Sparkasse. Gut für Wuppertal.<br />
Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />
Bildnachweise/Textquellen sind unter den<br />
Beiträgen vermerkt.<br />
Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht<br />
immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber<br />
wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />
zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />
Umschlagabbildung: Peter Frese,<br />
Englisches Spinnrad Ende 19. Jahrhunderts<br />
Museum für Frühindustrialisierung Wuppertal<br />
Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht<br />
sinnentstellend, liegen im Ermessen der<br />
Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge<br />
kann keine Gewähr übernommen werden.<br />
Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen<br />
innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der<br />
ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />
Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung,<br />
Irrtümer oder Unterlassungen keine<br />
Haftung übernommen.<br />
S
Editorial<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
Geht es Ihnen ähnlich? Je älter man wird, umso intensiver werden die Gefühle für den<br />
Ort, aus dem man stammt. Zurück zu den Wurzeln.<br />
Wie die große Mehrheit der Wuppertaler bin auch ich in der Landesfrauenklinik an der<br />
Vogelsangstraße zur Welt gekommen. Sehr viel ist seitdem in meinem Leben geschehen.<br />
Die Ausbildung zur Opernsängerin, die Reisen mit meinem Mann zu jedem seiner<br />
Auftritte – wesentliche Teile davon können Sie in dieser Ausgabe der ‚Besten Zeit‘ im<br />
Text ‚Der Gigant der tiefen Töne‘ von Klaus Göntzsche mit den tollen Fotos von Heinz<br />
Eschmat erfahren.<br />
Zurück zu den Wurzeln – das war auch einer der Gründe, warum mein Mann und<br />
ich vor zwei Jahren den Barmer Bahnhof gekauft haben. Dort gibt es einen Laden mit<br />
Geschichte, der förmlich nach Vergangenheit riecht – und wo schon mein Urgroßvater<br />
Josef Linz im Jahre 1921 Tabakwaren verkauft hat. Heute betreibt mein Bruder Thomas<br />
Leipoldt an dieser Stelle mit seiner Familie die Bahnhofsbuchhandlung mit Café – und<br />
Tabakwaren, wie unser Vorfahr. Nun verstehen Sie, warum wir an diesem Bahnhof mit<br />
Herzblut hängen.<br />
Natürlich war auch die Nähe des Opernhauses ein wichtiger Faktor für den Kauf des<br />
Bahnhofs. Aber unser Interesse galt immer auch anderen Bereichen: wir sind mit vielen<br />
Malern befreundet, ich interessiere mich für Architektur und habe bei der ersten Regie<br />
meines Mannes (‚Entführung aus dem Serail‘ in Palma de Mallorca) das Licht gemacht –<br />
Licht ist für Künstler immer wichtig! Auch den Bildhauer Alfred Hrdlicka kannten wir<br />
persönlich gut. Nach seinem Tode sind seine Werke noch begehrter geworden, als sie vorher<br />
schon waren, und Tony Cragg wird weltweit geschätzt – die Werke der Beiden in der<br />
Nähe sind ebenso ein Bestandteil der ‚Kulturachse Barmen‘ wie unser Bahnhof. Diesen<br />
Begriff – ‚Kulturachse Barmen‘ – gibt es bereits seit 1989, dem Jahr der ‚Wende‘.<br />
Nun beginnt ein neuer Abschnitt im Bahnhof Barmen durch die Partnerschaft mit<br />
Martina Steimer und ihrem Forum Maximum. Auch streben wir Partnerschaften mit<br />
dem Museum für Früh-Industrialisierung und dem Engels-Haus an. Erste Gespräche sind<br />
geführt.<br />
Eines möchte ich bei dieser Gelegenheit klarstellen: es geht uns nicht um das schnelle<br />
Geld. Sonst hätten wir es mit einer Disco leichter gehabt. Wir wollen Kunst machen mit<br />
gehobenem Crossover. Die Vielfalt macht es doch nur interessanter! Wir wollen so viel<br />
Leben wie möglich – es kann gar nicht genug los sein! Dazu brauchen wir jegliche Unterstützung.<br />
Es geht um unser Wuppertal. Ich brenne auf die Kultur – und würde mich sehr<br />
freuen, wenn ich Sie anstecken könnte!<br />
Christiane Rydl<br />
3
4<br />
Keine Angst vor Berührung<br />
Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“<br />
seit 1813<br />
Alles hat seine Zeit.<br />
Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag und Nacht 66 36 74
Inhalt<br />
Heft 7 Dezember/Januar 2010-2011<br />
Von der Heydt-Museum<br />
Rezension zu Pierre Bonnard<br />
von Stefan Koldehoff Seite 6<br />
Eberhard Illner<br />
und das Historisches Zentrum<br />
von Marlene Baum Seite 9<br />
Peter Schmersal<br />
Im Hier und Jetzt<br />
von Thomas Hirsch Seite 15<br />
Kurt Rydl<br />
Gigant der tiefen Töne<br />
von Klaus Göntzsche Seite 19<br />
van Gogh<br />
Schön aber falsch<br />
von Frank Becker Seite 23<br />
Wuppertaler Performance Nacht<br />
von Meike Nordmeyer Seite 25<br />
Monika Bilstein<br />
und der Peter Hammer Verlag<br />
von Frank Becker Seite 27<br />
Schöner im Verein<br />
Bürgerliches Engagement<br />
von Antonia Dinnebier Seite 31<br />
Alptraum ohne Schlaf<br />
zur Macbeth Inszenierung<br />
von Martin Hagemeyer Seite 40<br />
Schlechte Karten<br />
eine Kurzgeschichte<br />
von Karl Otto Mühl Seite 44<br />
- S. 61, sollte unter allem stehen: (c)<br />
VG Bild-Kunst, Bonn 2010 für<br />
die Werke von Joseph Beuys<br />
Neue (die Witwe Kunstbücher Beuys ist sehr heikel - da<br />
könnte Ute Klophaus ein Lied von<br />
Über Architektur<br />
singen)<br />
von Thomas Hirsch Seite 46<br />
Düsseldorfer Heimspiel<br />
Parallelprozesse<br />
von Rainer K. Wick<br />
Die Spee-Akademie<br />
Seite 48<br />
Bildungserfolg im Bergischen<br />
von Jan Filipzik Seite 52<br />
<strong>Kulturnotizen</strong><br />
von Frank Becker und<br />
Andreas Rehnolt Seite 55
6<br />
Die subtile Zerstörung der Illusion<br />
Wuppertal misstraut den<br />
immergleichen Idyllen:<br />
Das Von der Heydt-Museum zeigt<br />
Pierre Bonnard<br />
Was dem Direktor des Wuppertaler Von<br />
der Heydt-Museums, Gerhard Finckh,<br />
gelingt, seit er vor viereinhalb Jahren das<br />
Haus übernahm, ist mehr als bemer-<br />
kenswert. Seiner Vorgängerin, Sabine<br />
Fehlemann, war die eigene Sammlung<br />
meist herzlich gleichgültig. Sie kaufte lieber<br />
Ausstellungspakete ein, die auf ihrem<br />
Der Landungssteg von Cannes, Le débarcadère de Cannes, 1928-1934, Öl auf Leinwand, 43 x 56,5 cm, Hahnloser/Jaeggli Stiftung Villa Flora
Weg durch die Republik dann eben auch<br />
in Wuppertal Halt machten. Oder sie<br />
ließ für viel Geld Von-bis-Ausstellungen<br />
zusammenstellen, in denen Museen aus<br />
©VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />
anderen Städten ihre mehr oder minder<br />
leuchtenden Highlights präsentieren<br />
durften. Die Publikumsresonanz blieb<br />
über Jahre hinweg trotzdem so übersichtlich,<br />
dass der städtische Kulturausschuss<br />
irgendwann zur Kenntnis nehmen<br />
musste, dass in die Besucherstatistiken<br />
auch Cafébesucher und Handwerker<br />
mit einberechnet worden waren, die das<br />
Museum nur für Renovierungsarbeiten<br />
betreten hatten.<br />
Gerhard Finckh arbeitet dagegen mit der<br />
eigenen Sammlung, zu der großartige<br />
Hauptwerke der klassischen Moderne gehören.<br />
Wuppertal war vor dem Krieg eine<br />
Industriestadt mit progressiven Unternehmern,<br />
die bedeutende Privatsammlungen<br />
zusammentrugen. In den Villen der Stadt<br />
hingen van Goghs letztes Selbstbildnis<br />
und Cézannes „Junge mit roter Weste“.<br />
Den Einfl uss dieser Sammler auf das<br />
Kunstklima der Stadt dokumentierte<br />
Finckh vor zwei Jahren in der identitätsstiftenden<br />
Ausstellung „Der expressionistische<br />
Impuls“.<br />
Vor allem aber konzentrierte sich der<br />
Kunsthistoriker auf das, was er in der eigenen<br />
Sammlung vorfand. Einige kleine,<br />
kaum museale Ölskizzen von Renoir im<br />
Wuppertaler Bestand boten ihm vor drei<br />
Jahren Anlass zu einer Renoir-Ausstellung.<br />
Der Schritt war mutig, bedeutende<br />
Werke fehlten weitgehend - trotzdem<br />
strömten die Besucher. Zwei Jahre später<br />
wagte sich Finckh an Claude Monet, von<br />
dem das Von der Heydt-Museum einige<br />
kapitale Bilder besitzt. Wieder reiste er<br />
durch kleinere Museen in der Schweiz<br />
und in Frankreich und fragte einige bedeutende<br />
Werke in den großen Häusern<br />
der Welt an, um eine sehenswerte Ausstellung<br />
zusammenzusuchen.<br />
Die erstklassige Sammlung in Wuppertal<br />
nutzte er dabei erneut mit großem<br />
Geschick als Verhandlungsmasse: Gibst<br />
Du mir Deinen Renoir, bekommst<br />
Du meinen Kirchner. Mehrere Rouen-<br />
Kathedralen, eine imposante Reihe von<br />
Waterloo-Bridge-Bildern und verschiedene<br />
bedeutende Landschaftsgemälde<br />
ergänzten den Gemäldegrundstock, den<br />
das Pariser Marmottan-Museum aus<br />
dem Nachlass des Malers zur Verfügung<br />
gestellt hatte, und ließen die erste ernstzunehmende<br />
deutsche Monet-Retrospektive<br />
seit mehreren Jahrzehnten entstehen.<br />
In diesem Herbst nun geht es in Wuppertal<br />
um Pierre Bonnard. Der in Paris<br />
lebende Kurator Peter Kropmanns hat<br />
einen 180 Gemälde, Zeichnungen,<br />
Grafi ken und Fotografi en umfassenden<br />
Bilderparcours zusammengestellt, der auf<br />
angenehme Weise die Balance zwischen<br />
Kunstgenuss und Kunstdidaktik hält.<br />
Kabinette zum im Paris des ausgehenden<br />
19. Jahrhunderts beliebten Japonismus<br />
oder zum Einfl uss der Fotografi e beschreiben<br />
die Inspirationsquellen von Bonnards<br />
frühen Gemälden.<br />
Danach folgt die Wuppertaler Ausstellung<br />
klug jenen Sachthemen, die sich als roter<br />
Faden durch sein Oeuvre ziehen: den<br />
Familienbildern, die auf dem Wohnsitz<br />
in Savoyen, in Arcachon und später in<br />
der Normandie entstehen. Den Akten,<br />
für die Bonnards Ehefrau, aber auch seine<br />
Geliebten Modell stehen. Den berühmten<br />
Badewannenbildern, mit denen er<br />
das schon von Edgar Degas und Henri<br />
Matisse bearbeitete Boudoir-Thema der<br />
Klassischen Moderne variierte. Zahlreiche<br />
Leihgaben stammen aus einer<br />
Privatsammlung aus Marseille, bei der es<br />
sich wohl um die Familie des Künstlers<br />
handelt; eine zweite Gruppe lieh ein<br />
New Yorker Privatsammler aus, der sich<br />
erfreulicherweise entschieden hat, die<br />
Leinwände ungerahmt an die Wände<br />
hängen zu lassen.<br />
Kropmanns stellt Bonnard inhaltlich als<br />
den Chronisten des ausgehenden bürgerlichen<br />
Zeitalters. Zwar sind für ihn die<br />
wachsende Großstadt und der Umbruch<br />
durch die Industrialisierung anders als bei<br />
den Impressionisten - wie gerade in einer<br />
fulminanten Schau in Essen zu sehen ist<br />
- kein direktes Thema. Auf die Kraft der<br />
Landschaft und der Idylle allein will sich<br />
aber auch Bonnard nicht mehr verlassen.<br />
Er entscheidet sich häufi g für den Blick<br />
von innen nach außen: durch Fenster,<br />
über Balkone und Balustraden, die die<br />
Illusion vom ewigen Arkadien eher subtil<br />
zerstören. Später werden Spiegel die<br />
Grenze zwischen den Sphären markieren.<br />
Auch die großen Familienbilder, von<br />
7
8<br />
denen eines zur Wuppertaler Sammlung<br />
gehört, sind eigentlich Interieurs<br />
mit ungewöhnlicher Lichtführung und<br />
Perspektive.<br />
Formal allerdings bleibt Bonnard in Wuppertal<br />
zeitlebens dem Impressionismus<br />
verhaftet, den er zwar variiert, von dem<br />
er sich aber bis zu seinem Tod im Januar<br />
1947 nie wirklich trennt. Es sind zu viele<br />
Landschaftsbilder, die diesen Eindruck<br />
verfestigen. Und es fehlen mehr jener<br />
Werke, in denen eine tiefere Wirklichkeit<br />
zum Vorschein kommt, die Bonnard als<br />
Anhänger der symbolistischen Bewegung<br />
ausweist und so schwer in die Kunstgeschichte<br />
einordnen lässt. Im kommenden<br />
Herbst werden die Verhältnisse im Von<br />
der Heydt-Museum dann wieder klarer:<br />
Mit Alfred Sisley will Gerhard Finckh als<br />
nächstes wieder einen klassischen Impressionisten<br />
zeigen.<br />
Stefan Koldehoff<br />
Stehender Akt, Rückenansicht<br />
Nu debout vu de dos, 1913<br />
Öl auf Leinwand, 80 x 51 cm<br />
©VG Bild-Kunst, Bonn 2010<br />
Die Wicken<br />
Le pois de senteur, 1912<br />
Öl/Leinw., 51 x 77 cm, Privatbesitz<br />
©VG Bild-Kunst, Bonn 2010
Ich bin noch Archivar der alten Garde<br />
Eberhard Illner und das<br />
Historische Zentrum Wuppertal<br />
mit dem Museum<br />
für Frühindustrialisierung<br />
1774 ritt der 25 jährige Goethe von Düsseldorf<br />
nach Elberfeld, um dort Johann Heinrich<br />
Jung, genannt Stilling, wieder zu sehen.<br />
Die beiden hatten sich in Straßburg kennen<br />
gelernt, wo Jung-Stilling Medizin studierte.<br />
Er ließ sich zunächst als praktischer und<br />
dann als Augenarzt in Elberfeld nieder.<br />
Goethe hat ihm dringend geraten, seine<br />
„Lebensgeschichte“ aufzuschreiben, deren<br />
ersten Band er dann ohne Jung-Stillings<br />
Wissen herausgab. 1789 hat sich dieser in<br />
seinem Buch „Häusliches Leben“ an seine<br />
Eindrücke vom Wuppertal erinnert:<br />
„Den Sommer übersieht man das ganze<br />
Thal zwey Stunden hinauf, bis an die<br />
Märkische Gränze, mit leinen Garn wie<br />
beschneyt, und das Gewühl von thätigen<br />
und sich glücklich nährenden Menschen<br />
ist unbeschreiblich: alles steht voll einzelner<br />
Häuser; ein Garten, ein Baumhof stößt<br />
an den andern und ein Spaziergang durch<br />
dieses Thal ist paradiesisch.“<br />
An diese Beschreibung könnte man beim<br />
Betrachten des Modells denken, das sich<br />
im Museum für Frühindustrialisierung in<br />
Barmen befi ndet.<br />
Im Alter erinnert sich Goethe in „Dichtung<br />
und Wahrheit“: „Wir besuchten Elberfeld<br />
und erfreuten uns an der Rührigkeit<br />
so mancher wohlbestellten Fabriken.<br />
Hier fanden wir unseren Jung, genannt<br />
Stilling, wieder (.....). Die betriebsame<br />
Gegend gab einen beruhigenden Anblick,<br />
weil das Nützliche hier aus Ordnung und<br />
Reinlichkeit hervortrat.“<br />
Goethes Lebenszeit von 1749 bis 1832<br />
entspricht ziemlich genau der Zeit der<br />
Frühindustrialisierung. Zwölf Jahre vor<br />
seinem Tod wurde Friedrich Engels in<br />
Barmen geboren, und 1804 rollte die erste<br />
mit Dampfkraft betriebene Eisenbahn.<br />
Goethe war ein sehr genauer Beobachter<br />
der rasanten Entwicklungen seiner Zeit.<br />
In „Wilhelm Meisters Wanderjahre“,<br />
einem seiner Spätwerke, klingt es nicht<br />
mehr nach „beruhigendem Anblick“:<br />
„(...) es war nicht zu leugnen, das Maschinenwesen<br />
vermehre sich immer im Lande<br />
und bedrohe die arbeitsamen Hände nach<br />
und nach mit Untätigkeit.“ Weiter heißt<br />
es: „Das überhandnehmende Maschinenwesen<br />
quält und ängstigt mich, es wälzt<br />
9
10<br />
Museumsstationen Spinnen und Weben<br />
Jacquardwebstuhl, 19. Jahrhundert<br />
sich heran wie ein Gewitter, langsam,<br />
langsam; aber es hat seine Richtung genommen,<br />
es wird kommen und treffen.“<br />
Diese radikalen Veränderungen durch<br />
die Industrialisierung werden im „Historischen<br />
Zentrum“ in der Engelsstraße<br />
in Barmen anschaulich. Das Museum<br />
ist zwar den meisten Wuppertalern ein<br />
Begriff, doch viele haben diese überaus<br />
interessanten Häuser noch nie besucht.<br />
Es lohnt sich, in die Geschichte des Wuppertales<br />
einzutauchen und zu sehen, wie<br />
unsere Vorfahren gelebt, gedacht und vor<br />
allem gearbeitet haben und wie die Industrialisierung<br />
dieses Tal bis heute prägt.<br />
Eberhard Illner leitet seit 2008 mehrere<br />
städtische Institutionen: das Stadtarchiv,<br />
die Naturwissenschaftlichen Sammlungen<br />
des (leider eingelagerten) Fuhlrottmuseums<br />
und das Historische Zentrum in Barmen<br />
samt Kalktrichterofen Eskesberg und<br />
den Manuelskotten. Illners Vorgänger,<br />
Michael Knieriem, hat dieses Museum<br />
so benannt, weil es das Engels-Haus, das<br />
Museum für Frühindustrialisierung mit<br />
seinen Außenstellen und neuerdings den<br />
Ankerpunkt Industriekulturrouten und<br />
ein Bistro umfasst, in dem jedermann<br />
willkommen ist.<br />
Illner wirkt in seiner aufgeschlossenen Art<br />
gar nicht so, wie man sich einen „Archivar<br />
der alten Garde“ vorstellen würde. Dessen<br />
Tätigkeit schildert er folgendermaßen:<br />
„Vormittags wurde archiviert und nachmittags<br />
schrieb man wissenschaftliche<br />
Beiträge. Akten versteht man eigentlich<br />
nur, wenn man das historische Umfeld<br />
kennt. Neben dem Ordnen, Erschließen<br />
und Verzeichnen von Akten gehört ebenso<br />
zu den Tätigkeiten eines Archivars wie<br />
Beiträge zur Stadtgeschichte zu schreiben.<br />
In sofern ist der Archivar auch Stadthistoriker.“<br />
Mit dem Wuppertal ist Illner seit langem<br />
verbunden: In seiner Dissertation über<br />
„Bürgerliche Organisierung in Elberfeld<br />
1775 bis 1875“ hat er sich mit den<br />
Vereinen in dieser Zeit befasst und deren<br />
religiöse, politische und soziale Bedingungen<br />
anschaulich aufgearbeitet. Dieses<br />
Werk entstand 1981 in einem Zimmer<br />
im Engels-Haus - damals konnte Illner<br />
nicht ahnen, dass er hier einmal Hausherr<br />
sein werde.<br />
Nach der Promotion führte Illners Weg<br />
zunächst an das Stadtarchiv Marburg und<br />
dann nach Koblenz ans Bundesarchiv.<br />
„Das war die Zeit, in der ich am meisten<br />
gelernt habe, zum Beispiel wurden dort<br />
die Hitlertagebücher auf ihre Echtheit<br />
geprüft.“<br />
1986 ging er an das Historische Archiv<br />
der Stadt Köln und übernahm dort die<br />
Abteilung Sammlungen, Photographie<br />
und Nachlässe. 1990 – 1995 leitete er ein<br />
Projekt zur Zeitzeugenbefragung und zur<br />
Quellendokumentation des kulturellen<br />
Lebens der Stadt Köln nach 1945. Über<br />
den im Kulturarchiv bereits bestehenden<br />
Bestand von etwa 300 Archiven hinaus<br />
kamen in den folgenden Jahren mehr als<br />
400 Projekte hinzu. Dazu gehörten unter<br />
anderem die Nachlässe des Komponisten<br />
Jacques Offenbach, des Literaturwissenschaftlers<br />
Hans Mayer, des Schriftstellers<br />
Heinrich Böll und des in Elberfeld gebürtigen<br />
Dirigenten Günther Wand. Daraus<br />
ergab sich die Zusammenstellung einer<br />
Projektgruppe, die sich aus ganz unterschiedlich<br />
qualifi zierten Mitarbeitern aus<br />
den verschiedensten wissenschaftlichen<br />
Disziplinen konstituierte, darunter Kunst,<br />
Musik, Literatur und Philosophie. Auch<br />
ein großes Fotoarchiv gehörte dazu, und<br />
seither gilt Illners besonderes Interesse<br />
diesem Medium. Das Kölner Archiv war
nicht nur ausgezeichnet wegen seiner<br />
besonderen Bestände, sondern dort arbeiteten<br />
Doktoranden und Habilitanden aus<br />
der ganzen Welt. Dank dieser Zusammenarbeit<br />
hat sich ein reger wissenschaftlicher<br />
Austausch entwickelt, und es sind<br />
wichtige Freundschaften entstanden. Diese<br />
überaus lebendige Tradition des wissenschaftlich<br />
tätigen Archivars wurde seit den<br />
80er Jahren zunehmend abgebaut. Im<br />
Zuge der Rationalisierung von Arbeitsplätzen<br />
galten Archivare als „überfl üssige<br />
Paradiesvögel.“ Heute nennen sie sich<br />
Public Records Manager und beschränken<br />
sich auf die reine Aktenverwaltung, ohne<br />
auf die Inhalte zu schauen. So ist es für<br />
die Stadt Wuppertal ein Glücksfall, mit<br />
Eberhard Illner einen so überaus vielseitigen<br />
Museumsleiter berufen zu haben.<br />
Was hat Illner vorgefunden?<br />
Da ist besonders zu erwähnen die alte<br />
Freundschaft zu Michael Knieriem, der<br />
das Museum bis 2003 so gestaltet hat, wie<br />
es sich gegenwärtig präsentiert. Gemeinsam<br />
mit Knieriem hat Illner zahlreiche<br />
Projekte verwirklicht, wie z.B. die große<br />
Ausstellung „Michels Erwachen“ im<br />
Haus der Jugend 1998. 2007 konzipierte<br />
und organisierte Illner auf Grund eines<br />
wissenschaftlichen Gutachtens eine Veranstaltung<br />
über den Kunstsammler Dr.<br />
Eduard Freiherr von der Heydt als Person<br />
der Zeitgeschichte in der Historischen<br />
Stadthalle Wuppertal.<br />
„Das Museum für Frühindustrialisierung<br />
ist Michael Knieriems Werk“, sagt Eberhard<br />
Illner. Knieriem hat dafür gesorgt,<br />
dass die ehemalige Kannegießersche<br />
Fabrik, die zuletzt den Wuppertaler Bühnen<br />
als Lager gedient hatte, als Museum<br />
hergerichtet wurde und später noch die<br />
Remise der benachbarten ehemaligen<br />
Spedition hinzugewonnen werden konnte.<br />
„Er ist Forscher mit dem besonderen<br />
Talent, Objekte so zu präsentieren, dass<br />
sie den Betrachter ansprechen“. Anne<br />
Roerkohl, Spezialistin für Filmdokumente<br />
und historische Dokudramen, entwickelte<br />
gemeinsam mit Knieriem das Präsentationsmodell<br />
für das Museum. Dazu gehören<br />
einige besondere Attraktionen, die<br />
den Besucher sofort fesseln: Durch einen<br />
„Zeittunnel“ hindurch schreitend erfährt<br />
man anschaulich die Abhängigkeit und<br />
Bestimmtheit des modernen Menschen<br />
durch die Uhr. Diese Strenge der Zeit-<br />
Englisches Spinnrad Ende des 19. Jahrhunderts<br />
Kontor eines Textilunternehmers<br />
planung ist die Folge der Mechanisierung<br />
im 19. Jahrhundert, denn die Maschine<br />
arbeitet nur dann effektiv, wenn sie so<br />
intensiv wie möglich eingesetzt wird.<br />
Dazu sind absolute Pünktlichkeit und<br />
Zuverlässigkeit der Arbeiter unerlässlich.<br />
So lange sie zu Hause arbeiteten, konnten<br />
die Heimwerker ihre Zeit weitgehend<br />
selbst bestimmen; das änderte sich mit<br />
dem Aufkommen der Fabriken. Nun unterliegt<br />
der Arbeitnehmer dem Diktat der<br />
Stechuhr. „Zeit ist Geld“ wird der neue<br />
Wahlspruch. Der moderne Mensch hat<br />
sich daran gewöhnen müssen; wir können<br />
uns kaum mehr vorstellen, dass vor dem<br />
Zeitalter der Industrialisierung die Zeit in<br />
jedem Dorf eine andere war.<br />
Am Ende des „Zeittunnels“ erwartet<br />
den Besucher ein besonderes Erlebnis.<br />
Nachdem man einen stockfi nsteren<br />
Raum betreten hat, wird es plötzlich sehr<br />
hell, und man fi ndet sich umgeben von<br />
zahllosen laut ratternden Webstühlen,<br />
es wird unerträglich heiß, der Holzfußboden<br />
vibriert, und man begreift, dass<br />
hier durch multimediale Animation die<br />
Arbeitsbedingungen in einer Weberei des<br />
19. Jahrhunderts eindrucksvoll simuliert<br />
werden. Nur der unerträgliche Geruch<br />
nach heißen Tierfetten, mit denen die<br />
11
12<br />
Maschinen geölt wurden, fehlt. Jetzt<br />
ist der Besucher sensibilisiert für die<br />
unmenschlich harten Arbeitsbedingungen<br />
zu Beginn der Industrialisierung. Man<br />
erfährt anschaulich, wie rasant sich die<br />
Mechanik der Spinn- und Webmaschinen<br />
weiter entwickelt hat. Kinder wurden als<br />
besonders billige Arbeitskräfte eingesetzt,<br />
weil manche Maschinen „kinderleicht“<br />
zu bedienen waren. Wegen ihrer geringen<br />
Körpergröße mussten Kinder, unter den<br />
laufenden Maschinen kriechend, den Boden<br />
sauber halten und unter Lebensgefahr<br />
Reparaturen durchführen.<br />
Wie lebendig diese schlimmen Lebensumstände<br />
vermittelt werden, kann man<br />
zum Beispiel an einem ganz normalen<br />
Vormittag im November erleben: Kurz<br />
hintereinander besuchen drei Schulklassen<br />
das Museum für Frühindustrialisierung.<br />
Als außerschulischer Lernort ist es<br />
sehr beliebt, und Führungen sind lange<br />
im Voraus ausgebucht. Neben einer<br />
Pädagogin, die an drei Tagen ins Museum<br />
abgeordnet ist, helfen engagierte<br />
ehrenamtliche Mitarbeiter. Schülern einer<br />
vierten Klasse wird hautnah vermittelt,<br />
wie der Alltag ihrer Altersgenossen im<br />
Zeitalter der Frühindustrialisierung ausgesehen<br />
haben könnte: Kann man sich vorstellen,<br />
jeden Tag 30 Kilometer zwischen<br />
ratternden Webstühlen auf Holzschuhen<br />
zurückzulegen? Oder wie mühsam es ist,<br />
einen großen Korb voller Baumwolle zu<br />
tragen? Ein Junge bekommt die „Güte“,<br />
das kellenartige Gerät der Bleicher, in<br />
die Hände und soll das schwere Holz so<br />
schwingen, dass sich das Wasser darin<br />
18 Meter weit über das Garn ergießen<br />
könnte, und das 14 Stunden am Tag!<br />
Die Kinder erfahren auch, wie gefährlich<br />
es war, wenn eine brennende Öllampe<br />
umfi el und die hölzernen Böden und<br />
Treppen Feuer fi ngen! Man hat später<br />
Holztreppen durch steinerne ersetzt, denn<br />
die häufi gsten Unfälle von Kindern im<br />
Textilgewerbe passierten durch Verbrennen<br />
und Ertrinken.<br />
8o% der Bevölkerung verdiente mit<br />
Spinnen und Weben den kargen Lebensunterhalt,<br />
Männer, Frauen und Kinder.<br />
Eine Gruppe älterer Schüler referiert zu<br />
ausgewählten Themen. Am Beispiel eines<br />
Modells des Gebietes um das Engels-<br />
Haus in der ursprünglichen Bebauung<br />
mit Bleicherwiesen erläutert eine<br />
Schülerin, dass Friedrich Engels’ Urgroßvater<br />
dort Arbeiterhäuser errichten ließ<br />
und wie die Heimwerker allmählich zu<br />
Fabrikarbeitern wurden. Friedrich Engels<br />
schreibt 1892, dass die „kaufmännischen<br />
Kapitalisten“ die Arbeitskraft gleichsam<br />
einkauften „die einstweilen noch ihr<br />
Produktionsinstrument besaß, aber schon<br />
nicht mehr den Rohstoff. Indem er so<br />
dem Weber rechtmäßige Beschäftigung<br />
sicherte, konnte er dagegen den Lohn des<br />
Webers derart drücken, dass ein Teil der<br />
geleisteten Arbeit unbezahlt blieb.“ Aus<br />
England kam das „Trucksystem“ (engl.<br />
Truck = Tausch). Die „Kölner Zeitung“<br />
schreibt 1845: „Mancher arme Familienvater,<br />
der kaum Brot für Frau und Kinder<br />
hat, ist genötigt, in schönen, teuren<br />
Kleidern einherzugehen, da er wohl Tuch<br />
und Seide für Kleider, aber kein Geld und<br />
Brot zu erhalten weiß.“<br />
Ein weiteres Erlebnis ist eine Videoinstallation<br />
der Wupper. An einem Brückengeländer<br />
stehend schaut man auf die<br />
Wupper und folgt den Veränderungen,<br />
die der Fluss über Jahrhunderte durchlaufen<br />
hat: Zunächst ist sie klar und voller<br />
Leben, im 19. Jahrhundert verschmutzt<br />
sie zunehmend, verfärbt sich, je nachdem<br />
welche Abwässer aus den Fabriken und<br />
Färbereien ihr zugemutet wurden, um<br />
während der Bombenangriffe auf Wuppertal<br />
im Zweiten Weltkrieg buchstäblich<br />
in Flammen zu stehen.<br />
Man erfährt von den Unterschieden im<br />
Leben, Arbeiten und Glauben zwischen<br />
Arbeitern und Großbürgern, indem man<br />
Einblick nehmen darf in ihre Wohn- und<br />
Arbeitsstätten. Die technischen Neuerungen<br />
des Transportwesens durch die Erfi ndung<br />
der Eisenbahn und die Anfänge des<br />
sozialen Verantwortungsbewusstseins der<br />
Bürger bilden den Abschluss der Dauerausstellung.<br />
Auch ein Museum unterliegt dem Zahn<br />
der Zeit, so ist die 2003 noch topmoderne<br />
Museumstechnik mittlerweile<br />
überholt. Illner hat zahlreiche Pläne für<br />
sein Haus. Ihm als Historiker sind einige<br />
Text- und Filmbeispiele zur Frühindustrialisierung<br />
nicht authentisch genug,<br />
weil sie sich, da die historische Quellenlage<br />
desolat ist, den tatsächlichen Gegebenheiten<br />
nur annähern können. Auch<br />
die akustische Dauerbeschallung in der<br />
Ausstellung ist veraltet. Es gibt inzwischen<br />
die Möglichkeit einer punktgenauen<br />
Beschallung, die wesentlich präziser<br />
ist und keine Mitbesucher stört. Illner<br />
wünscht sich eine technisch sichere und<br />
einfache elektronische Steuerung für sein<br />
Haus: „Ich will das Museum technisch<br />
vereinfachen, so dass es absolut zuverlässig<br />
und kostengünstiger funktioniert. Statt<br />
des Einsatzes von Beamern mit begrenzt<br />
haltbaren sehr teuren Birnen gibt es heute<br />
LCD – Technik, die selbst in taghellen<br />
Räumen scharfe Bilder liefert.“<br />
Auch für das Engels–Haus hat Illner neue<br />
Pläne. Für den unbefangenen Betrachter<br />
ist es nicht leicht, dieses Haus mit den revolutionären<br />
Ideen des berühmten Sohnes<br />
der Stadt in Verbindung zu bringen. Es ist<br />
auch nicht das Geburtshaus von Friedrich<br />
Engels, das 1943 den Bomben zum Opfer<br />
fi el, sondern das im Stil des Bergischen<br />
Spätbarocks erbaute bürgerliche Wohnhaus<br />
von Friedrich Engels’ Großvater<br />
Johann Caspar. Als die Stadt das Haus in<br />
den 60er Jahren erwerben konnte, war es<br />
völlig verwahrlost, weil man es nach dem<br />
Krieg in Kleinstwohnungen aufgeteilt<br />
hat. Das Gebäude muss dringend saniert<br />
werden, da es z.B. für Menschen mit<br />
körperlichen Einschränkungen kaum zu<br />
begehen ist. Hinzu kommt ein aktueller<br />
Aspekt: Die Stadt Trier hat sich dank<br />
einer großzügigen Zuwendung der<br />
Friedrich–Ebert–Stiftung dem Zeitgeist<br />
angepasst und das Geburtshaus von Karl<br />
Marx renoviert: 50% aller Gäste kommen<br />
aus China! Für die Chinesen sind Marx<br />
und Engels ebenso bedeutend wie für uns<br />
Goethe und Schiller. Einmal mehr zeigt<br />
sich, wie eng historische, gesellschaftliche<br />
und religiöse Aspekte miteinander<br />
verfl ochten sind, denn vor den politischen<br />
Umwälzungen seit 1989 hätte es diese<br />
Perspektive des Stadtmarketings noch<br />
nicht gegeben. Hier könnten sich bedeutende<br />
Möglichkeiten für die touristische<br />
Aufwertung von Wuppertal eröffnen.<br />
Illner beklagt, dass die Besucher chinesischer<br />
Gruppen vielfach unkoordiniert<br />
seien, zum Beispiel stünde plötzlich an<br />
einem Freitag Abend ein Bus mit Gästen<br />
aus China vor dem Haus, von deren Ankunft<br />
niemand etwas gewusst hat. Zum<br />
Glück war der Hausherr noch anwesend<br />
und konnte die Besucher durch das Museum<br />
führen. Wie schön wäre es, wenn
diese in Wuppertal übernachten könnten<br />
und ein touristisches Programmpaket<br />
vorläge! Der dazu unerlässliche Internetauftritt<br />
ist für 2011 vorgesehen.<br />
Das Engels–Haus verfügt über 30<br />
Jahre alte Schaukästen zur Biografi e von<br />
Friedrich Engels, die jedoch mehrheitlich<br />
Kopien beinhalten und nach Vorstellungen<br />
moderner Museumskonzeptionen<br />
veraltet sind. Skurril wie sie sind, haben<br />
sie inzwischen selbst musealen Charakter.<br />
„Mit Kopien kann man heutige Besucher<br />
kaum abspeisen, doch an die Originalquellen<br />
heranzukommen, ist fast unmöglich“,<br />
sagt Illner. Auch hier ist viel zu tun,<br />
jedoch in Zeiten der fi nanziellen Knappheit<br />
leider nur in ganz kleinen Schritten.<br />
Das repräsentative Engels-Haus mit seinen<br />
wunderschön ausgestatteten Räumen<br />
wird erfolgreich für Vorträge oder private<br />
Veranstaltungen wie Hochzeiten genutzt,<br />
und den Keller kann man für Feierlichkeiten<br />
mieten. Dass es Büroräume enthält<br />
und eine Wohnung ist in Illners Augen<br />
unangemessen, denn wertvolle Ausstellungsfl<br />
ächen gehen so verloren. Also gibt<br />
es auch für diesen Teil des Historischen<br />
Zentrums neue Pläne.<br />
Neu ist der „Ankerpunkt der Industriekulturrouten“<br />
im Museumsbistro auf<br />
dem ehemaligen Speditionsgelände. Die<br />
Idee dazu ist europäisch und hat sich für<br />
Wuppertal anlässlich der Regionale in<br />
Zusammenarbeit mit dem Bergischen<br />
Geschichtsverein und den regionalen<br />
und internationalen Netzwerken zur<br />
Industriekultur konkretisiert. Ähnlich<br />
wie für das Ruhrgebiet gibt es auch im<br />
Bergischen zahllose Möglichkeiten für die<br />
verschiedensten Unternehmungen. Man<br />
kann Touren und Führungen buchen und<br />
nach Wunsch für das gesamte Bergische<br />
Land zusammenstellen, da die Museen<br />
kooperieren. Die Mitarbeiter des Ankerpunktes<br />
arbeiten auch an neuen Informationstafeln<br />
für historisch bedeutende<br />
Orte in der Stadt. Im Rahmen dieses<br />
einmaligen Projektes ist Rainer Rhefus<br />
dabei, zusammen mit ehrenamtlichen<br />
Mitarbeitern in bestimmten Quartieren<br />
der Stadt Informationen von geschichtsinteressierten<br />
Bürgern zu sammeln. Diese<br />
werden wissenschaftlich ausgewertet<br />
und aufgearbeitet. Inzwischen gibt es 13<br />
Routen mit Schildern und Stelen; manch<br />
einem fallen die kleinen blauen Tafeln<br />
auf, die immer häufi ger im Stadtbild zu<br />
entdecken sind und von der Vergangenheit<br />
erzählen. Zur Zeit ist man dabei, die<br />
Nordbahntrasse zu beschildern.<br />
Illner hat ein weiteres Projekt: Im Fundus<br />
des Museums lagern vielerlei Dokumente<br />
und Originalobjekte aller Art und Größe<br />
aus vergangenen Zeiten, die dringend<br />
restauriert werden müssten. Dazu gehören<br />
Schriften, Stiche, Möbel, Uhren, Ferngläser,<br />
Maschinen und Bauteile. Illner plant<br />
eine Ausstellung dieser Stücke und sucht<br />
Paten, die sich der Restaurierung „ihres“<br />
Objektes annehmen. Als Gegenleistung<br />
erhält der Pate ein Namensschildchen<br />
und einen Eintrag, und er kann das Stück<br />
für berufl iche Zwecke ausleihen, z.B. zur<br />
Schaufenstergestaltung oder zur Werbung.<br />
Dabei geht es Illner weniger um<br />
Sponsoren als vielmehr um die persönliche<br />
Beziehung, die der Pate zu „seinem“<br />
Stück entwickeln soll. Engagement und<br />
bürgerliche Verantwortung, aber auch<br />
Freude am jeweiligen Gegenstand sind<br />
gefragt. Möge dieser Plan breite Resonanz<br />
fi nden!<br />
In den schönen Räumen für Wechselausstellungen<br />
möchte Illner mit einer Reihe<br />
von Themenausstellungen das Museum<br />
als technik- und kulturgeschichtlichen<br />
Erlebnisort präsentieren. Dass dieser Plan<br />
aufgeht, hat Illner bereits mit zwei großen<br />
Ausstellungen bewiesen, deren erste,<br />
„expedition materia“, in Zusammenarbeit<br />
mit der Junior Uni und einigen Technologieunternehmen<br />
durchgeführt wurde.<br />
Die zweite, „Licht fangen“, präsentiert die<br />
einzigartige Sammlung von Karl Heinz<br />
Steckelings zur Geschichte der Fotografi e.<br />
Die Bewältigung solcher umfangreichen<br />
Aufgaben ist angesichts von Stellenabbau<br />
und leeren Kassen nur mit Hilfe engagierter<br />
freier und ehrenamtlicher Mithelfer<br />
und großzügiger Sponsoren möglich.<br />
Erfreulicherweise kann das Museum seit<br />
13
14<br />
2008 über 25% mehr Besucher verzeichnen,<br />
dazu kommen Gäste zu über 89<br />
weiteren Veranstaltungen wie Vorträgen,<br />
Tagungen und Diskussionen oder etwa<br />
dem „public viewing“ in Kooperation<br />
mit dem WDR Köln. Illner wünscht sich<br />
noch mehr Interesse bei Familien und<br />
möchte die Attraktivität des Museums<br />
– parallel zur Dauerausstellung - durch<br />
Wechselausstellungen und durch ein weit<br />
gefächertes Programm verbessern.<br />
Eberhard Illner hat nicht nur eine Menge<br />
guter Ideen, sondern auch ein umfassendes<br />
Wissen und die nötige Ausstrahlung.<br />
Wenn er Besucher führt, werden die<br />
Zusammenhänge klar. Zum Beispiel fragt<br />
er, warum sich ausgerechnet im Wuppertal<br />
so zahlreiche Sekten gebildet haben,<br />
so viele Vereine entstanden sind und vor<br />
allem so unverdrossen fl eißig gearbeitet<br />
wurde, trotz schlimmster Lebensbedingungen.<br />
Das hängt mit pietistischen und<br />
kalvinistischen Strömungen zusammen:<br />
Wer von Gott erwählt oder verworfen ist,<br />
liegt bereits fest. Wer erwählt ist, gelangt<br />
zu Erfolg und Ansehen. Für die Verworfenen<br />
bleibt nichts als die Flucht in Sekten,<br />
von denen es bekanntlich im Wuppertal<br />
reichlich gegeben hat, die radikale Trennung<br />
von der Kirche oder der Alkohol.<br />
So heißt es in Otto Hausmanns Dichtung<br />
„Mina Knallenfalls“ um 1860:<br />
„Ich wurde an der Fuhr erzogen<br />
Mein Vater war alkoholkrank<br />
meine Mutter strickte Socken (....)“<br />
(Die Fuhr war eine verkommene Straße<br />
im Hochwassergebiet der Wupper, an der<br />
die Ärmsten der Armen hausten.)<br />
Goethe hat die religiösen Eigenarten<br />
nicht nur an seinem Freund Jung-Stilling<br />
wahrgenommen: “Sein Glaube duldete<br />
keinen Zweifel und seine Überzeugungen<br />
keinen Spott (...) und seinen Wunderglauben,<br />
der ihm so wohl zustatten kam,<br />
ließ ich unangetastet.“ 1828 schreibt der<br />
Dichter über die evangelischen Predigten<br />
von D. Krummacher, Pfarrer zu<br />
Gemarke: „In diesem Orte steht Herr<br />
Krummacher als Prediger. Sein Publikum<br />
besteht aus Fabrikanten, Verlegern und<br />
Arbeitern, denen Weberei die Hauptsache<br />
ist. (...) Die Weber sind von je her als ein<br />
abstrus–religiöses Volk bekannt,(...).“<br />
Weiter heißt es ironisch über die Manipulation<br />
der Predigten: „Man könnte<br />
Das Engels-Haus, so wie es die Wuppertaler kennen<br />
Der Salon im Engels-Haus<br />
deshalb diese Vorträge n a r k o t i s c h e<br />
P r e d i g t e n nennen; welche sich denn<br />
freilich (...) höchst wunderlich ausnehmen.“<br />
Das Historische Zentrum ist ein lebendiger<br />
Ort der Geschichtskultur des Wuppertales,<br />
die es unbedingt lohnt kennen<br />
zu lernen. Die Damen von der Aufsicht<br />
erleben das aus ihrer Sicht: Sie erzählen<br />
von einem chinesischen Besucher, der<br />
auf Empfehlung von Freunden voller<br />
Begeisterung den ganzen Tag im Museum<br />
verbracht hat. Besonders auffallend ist,<br />
wie schnell sich auch unlustige Schüler<br />
motivieren lassen: „Und wenn keine<br />
Schulklassen mehr kämen – die würden<br />
wir sehr vermissen!“<br />
Marlene Baum<br />
Fotos Peter Frese
Im Hier und Jetzt<br />
Atelierbesuch bei Peter Schmersal<br />
Peter Schmersal, Foto Thomas Hirsch<br />
In Kreuzberg, das hatten wir schon<br />
gehört, sei vieles anders. Obzwar er sein<br />
Wuppertaler Atelier an der Platzhoffstraße<br />
weiter nutzt, ist Peter Schmersal vor<br />
einigen Jahren nach Berlin-Mitte gezogen,<br />
auch dort mit Atelier. Aber während sich<br />
im Jugenstilhaus in Elberfeld, zwischen<br />
Treppenabsätzen und verwinkelten<br />
Durchgängen ein dichtes Zueinander aus<br />
Arbeits- und Lagerräumen, Situationen<br />
für die exemplarische Hängung wie auch<br />
das Gewinnen von Abstand eingestellt<br />
hat, handelt es sich in Kreuzberg um ein<br />
relativ nüchternes Studio. Ein langgestreckter<br />
Raum im dritten Stock in einem<br />
Industriebau, zweiter Hinterhof. Durch<br />
eine eingezogene Wand etwas abgetrennt,<br />
folgt ein weiterer Raum, die Vorhänge vor<br />
der Fensterfront zum Hof hin sorgen für<br />
gleichmäßiges Licht und die Gewissheit,<br />
nicht abgelenkt zu werden. Doch auch<br />
hier, Peter Schmersal „erlebt“ seine Bilder,<br />
setzt sich mit ihnen über den Malvorgang<br />
hinaus auseinander. Sie lehnen in<br />
kleineren Stapeln neben- und voreinander,<br />
mehrere Malereien sind in Arbeit,<br />
weggestellt sind Zustände, bei denen er<br />
noch nicht wisse, was er davon halten<br />
soll, auch hat Peter Schmersal Bilder von<br />
Wuppertal nach Berlin mitgenommen.<br />
Und wie in Wuppertal malt er in der Mitte<br />
des Raumes auf einer Staffelei, unter<br />
welcher der Boden durch ein Lattengerüst<br />
etwas erhöht ist. Aus einer anderen<br />
Etage ist Klavierspiel zu hören, klassische<br />
Musik. Die prosperierende Metropole mit<br />
dem pulsierenden Stadtteil Kreuzberg,<br />
wo derzeit eine „Aufwertungsmaßnahme“<br />
auf die andere folgt, also ist hier nicht zu<br />
empfi nden. – Nein, die Malerei in Berlin<br />
sei nicht anders als in Wuppertal, sagt<br />
Peter Schmersal. Gefunden hat er das<br />
Atelier über Kollegen, die ebenfalls hier,<br />
auf dem weitläufi gen Hofgelände an der<br />
Oranienstraße arbeiten. Zwar sind nun<br />
die Darstellungen von urbanen Situationen<br />
und die Landschaftsstücke, welche in<br />
den letzen Jahren in Nordrhein-Westfalen<br />
vor allem bei Karsten Greve in Köln und<br />
Horst Schuler in Düsseldorf ausgestellt<br />
waren, in den Hintergrund getreten. Dies<br />
betrifft auch die Porträts, die Schmersal<br />
15
16<br />
Matthew Barney as The Loughton Candidate,<br />
2008, Öl auf Leinwand, 115 x 95 cm<br />
teils im An- und Ausschnitt und über die<br />
Jahre mit immer den gleichen Modellen<br />
im Atelier gemalt hat, also im direkten<br />
Gegenüber: schnell und voller Risiko, infolgedessen<br />
wieder verwerfend und sofort<br />
wieder beginnend. Die so entstandenen<br />
Bildnisse sind Momentaufnahme und<br />
Verdichtung zugleich, von großer Intensität<br />
und enormer Präsenz. Der Malvorgang<br />
ist als pastose Bewegung festgehalten,<br />
in der sich Lichtrefl exe manifestieren.<br />
Und, könnte eine Gesichtshälfte oder<br />
ein Arm einen Menschen repräsentieren?<br />
Schmersals Bildnisse stellen in Frage und<br />
sind machtvolle Behauptungen, Existenz<br />
ist hier sinnliche Erfahrung. Ihn interessiere<br />
das physische Gegenüber, bei allen<br />
seinen Motiven, sagt Peter Schmersal,<br />
sachlich und gelassen im Gespräch, ohne<br />
allzu viel Worte sich seiner Sache sicher,<br />
aber sich immer wieder neuen Herausforderungen<br />
stellend. Als er ganz in Wuppertal<br />
gelebt hat, ist er mitunter in die<br />
Landschaft hinausgefahren und hat dort<br />
unter freiem Himmel gemalt. In Berlin<br />
hingegen entfällt erst mal der Gedanke an<br />
Bilder mit Landschaft, tritt anderes in den<br />
Vordergrund.<br />
Aber nach wie vor entstehen Malereien<br />
von Blumen und Interieurs, welche etwas<br />
Karges, Knappes kennzeichnet. So hat<br />
Schmersal noch in Wuppertal immer<br />
und immer wieder einen Stuhl, seitlich<br />
dahinter eine Sense gemalt, damit zur<br />
Metaphorik hin und dann wieder von<br />
ihr weggearbeitet, bis er bei der Malerei<br />
als lapidares Konstatieren von sichtlicher<br />
Wirklichkeit angekommen war... Und im<br />
Berliner Atelier stehen an der Schauwand<br />
und auf der Staffelei mittelformatige<br />
Bilder, die nichts als den leergeräumten<br />
Tisch zeigen: als Linienkonstruktion und<br />
wie im Gegenlicht, umfasst von einem<br />
pastellfarben monochromen Ton. Im<br />
Umschlag von Fläche und Raum handelt<br />
es sich um Zeichnung und Malerei, Andeutung<br />
und Ausformulierung zugleich.<br />
Schon darin, wie der Gegenstand selbst<br />
isoliert bleibt und der Umraum angelegt<br />
ist, schließen diese neuen Bilder an die anderen<br />
Sujets und deren Darstellungsweisen<br />
an, auch wenn Schmersal den bildnerischen<br />
Vortrag, weiterhin die plastischen<br />
Aufwerfungen des Sujets da geradezu umkehrt.<br />
Eine gewisse Zeitlosigkeit – welche<br />
ja schon die ausschließliche Hinwendung<br />
zum „klassischen „ Metier“ der Malerei,<br />
allen neuen Medien zum Trotz, kennzeichnet<br />
– ist noch den Motiven eigen. Die<br />
Dinge auf seinen Bildern gibt es jedenfalls<br />
seit Jahrhunderten: Sie sind grundsätzliche<br />
Phänomene unseres Daseins, genommen<br />
Herbst oder Die Traubenernte (Goya), 2009, Öl auf Leinwand, 100 x 70 cm
aus ihrem Zusammenhang. Hingegen handelt<br />
die malerische Schilderung selbst mit<br />
Zeit, erlebt als faktische Realität im Hier<br />
und Jetzt. – Schon diese Bilder belegen, dass<br />
Peter Schmersal, der 1952 in Wuppertal<br />
geboren wurde und seit 1990 auf Ausstellungen<br />
vertreten ist, einer der wichtigen<br />
realistischen Maler hierzulande ist.<br />
Bilder der Kunstgeschichte<br />
Ein aktuelles Thema sind die Malereien<br />
nach Bildern der Kunstgeschichte. Früher<br />
eher die Ausnahme und als einzelne in die<br />
Ausstellungen integriert, stellen sie seit<br />
einiger Zeit das Hauptanliegen von Peter<br />
Schmersal dar. Die Auswahl der Vorlagen,<br />
die er im vergrößerten oder verkleinerten<br />
Format, aber stets als Ganzes wiedergibt,<br />
erfolgt eher intuitiv aus seinem spezifi<br />
schen Interesse als Maler und in der<br />
Hinwendung auf malerische Überlegungen.<br />
Sie schließt die zeitgenössische Kunst<br />
nicht aus, und in einem Fall bezieht sich<br />
Schmersal sogar auf ein Filmstill. Zu<br />
sehen ist, wie im Scheinwerferlicht, ein<br />
Selbstporträt von Matthew Barney aus<br />
Eva (Lucas Cranach der Ältere), 2008, Öl auf Leinwand, 135 x 95 cm<br />
seinem fi lmischen „Cremaster“-Zyklus:<br />
Aufrecht, in seitlicher Stellung, das Haupt<br />
zum Betrachter gewendet. Vielleicht ist<br />
Schmersals Malerei überhaupt die angemessene<br />
bildnerische Übertragung für<br />
den virulenten Surrealismus, aus dem das<br />
fi lmische Werk von Barney seine Energie<br />
gewinnt.<br />
Ein Unterschied zur Malerei der früheren<br />
Werkgruppen liegt auf der Hand. Hier<br />
nun ist das „Modell“ bereits eine Reproduktion,<br />
etwa aus Zeitungen, welche<br />
die Kunstwerke teils in s/w abbilden.<br />
Schlussendlich aber ist sekundär, ob<br />
der Betrachter das „Vorbild“ (er)kennt.<br />
Schmersals Malerei erwächst aus sich<br />
heraus und steht für sich. Sein autonomes<br />
Zitieren greift dabei unterschiedliche<br />
Gattungen der Malereigeschichte auf, mit<br />
einem besonderen Interesse für Figurendarstellungen.<br />
Als Schwerpunkte erweisen<br />
sich die altdeutsche Malerei (Lukas<br />
Cranach, Martin Schongauer, Hans Baldung<br />
Grien) und die spanischen Meister<br />
(Goya und Velázquez). Schmersal hält<br />
den Spagat der genauen Wiedergabe und<br />
der Freiheit des Malens: mit der Entscheidung<br />
zur Veränderung der Farbigkeit wie<br />
auch zur Reduktion oder zur Aussparung<br />
bis hin zu einem leeren „Fleck“ auf der<br />
Leinwand.<br />
Natürlich könnte man im einzelnen<br />
untersuchen, wie sich die Vorlage aus der<br />
Kunstgeschichte verändert hat, welche<br />
Partien Schmersal summiert und welche<br />
er neu übersetzt hat, also wie er von mal<br />
zu mal reagiert. Auch wie er einerseits<br />
in der Flächigkeit der fotomechanischen<br />
Wiedergabe bleibt, andererseits aber das<br />
Vor-Bild bereits als Gegenüber versteht<br />
und die Figuren als handelnde, körperhafte<br />
Wesen begreift – und wie er das<br />
Geschehen als Ereignis im (Farb-) Raum<br />
setzt. Zu den großartigsten Beispielen<br />
gehört seine Malerei zu „Innozenz X.“<br />
nach Velázquez. Natürlich, sagt Peter<br />
Schmersal, habe er Velázquez’ Gemälde<br />
im Original gesehen. Die Papst-Darstellungen<br />
von Francis Bacon sind ihm<br />
ebenso vertraut – und zugleich löst er<br />
sich von den motivischen Vorläufern und<br />
erfasst das Bild als Malerei und schafft<br />
aus dessen konstitutiver Anlage Eigenes.<br />
Der Rock des Papstes ist bei Schmersal<br />
17
18<br />
goldgelb fl irrendes, leuchtendes Gefi eder,<br />
noch im Kontrast zum Purpur und zu<br />
allem Rot. Das Gesicht wirkt gerade in<br />
seiner Längung aufmerksam und unmittelbar.<br />
Obzwar etwas seitlicher als bei<br />
Velázquez positioniert, ist hier Innozenz<br />
X. doch näher am Betrachter. Und erst<br />
recht bei Schmersal thront Innozenz X.<br />
und vermittelt so geistige Größe. Dazu<br />
ist der Umraum weiter abstrahiert, mit<br />
dem Pinsel in Farbbahnen gezogen, noch<br />
mit der Andeutung möglicher Schatten.<br />
Schmersals Gemälde ist eine Malerei über<br />
Malerei, eine anregende, hochgebildete<br />
Lehrstunde über ihre Gegenwärtigkeit<br />
und ihre Präsenz durch die Geschichte<br />
hindurch, welche anhand des Motivs in<br />
ihrer Historizität unterstrichen ist. Und es<br />
ist Porträtmalerei über eine Porträtmalerei<br />
– auch hier gilt, was Raimund van Well<br />
über Schmersals Malerei vorm menschlichen<br />
Modell geschrieben hat: dass es<br />
sich um „ein[en] wirklich[en] Beitrag zur<br />
Wirklichkeit des anwesenden Menschen“<br />
handle (Kat. Köln 1999, S. 48). Nun<br />
aber wird die Frage von Anwesenheit<br />
und Abwesenheit auf die Spitze getrieben.<br />
Neu angegangen wird die Differenz<br />
von Realität und Vorstellung, noch als<br />
Nachbild aus der Erinnerung. Und<br />
angesprochen ist schließlich das prekäre<br />
Verhältnis von Werktreue und Interpretation,<br />
von Original und Zitat, unvermittelt<br />
und vermittelt: Wie sehr können wir den<br />
überlieferten Bildern trauen oder ist nicht<br />
erst das neue Bild – fern jeder damaligen<br />
Auftragsmalerei, auch mithin „Schönmalerei“<br />
– authentisch? Natürlich fordert<br />
Schmersals zeitgenössisches Meisterwerk<br />
darüber hinaus zur Auseinandersetzung<br />
mit der Kunstgeschichte und deren Konditionen<br />
auf.<br />
Für andere Bilder wendet sich Schmersal<br />
dem Figureninventar der frühen Malerei<br />
zu. Mit den Gestalten der klassischen<br />
Mythologie und des Alten Testaments<br />
kommt augenblicklich eine weitere<br />
Refl exionsebene hinzu, die den Kanon<br />
der Visualisierung des Nicht-Visualisierbaren<br />
anspricht. Schmersal entwirft die<br />
überlieferten Figuren als Malerei zwischen<br />
Individualität und Typus mit den<br />
entsprechenden Attributen. Die Ikonographie<br />
und die Symbole – schon die<br />
Schlange oder ein Amor – werden für ihn<br />
Innozenz X. (Velázquez), 2009, Öl auf Leinwand, 80 x 60 cm<br />
zu expressiver Anverwandlung, einzigartig<br />
und reich an inhaltlichen Dimensionen.<br />
Und mit all dem erweckt Schmersal die<br />
Darstellungsweisen der Kunstgeschichte<br />
zu zeitgenössischer Vitalität. Er zeigt<br />
dabei, über welche schiere Kraft und<br />
Frische Malerei verfügt und dass sich ihre<br />
klassischen Themen und Gattungen aus<br />
sich heraus regenerieren. Innerhalb der<br />
Kette der Motive und Sujets, die Peter<br />
Schmersal im Laufe seiner Tätigkeit<br />
geschaffen hat, ist die Hinwendung auf<br />
die Darstellungen aus der Geschichte der<br />
Malerei konsequent und geht noch einen<br />
Schritt weiter. Seine Malerei ist Ausdruck<br />
von Beobachtungsgabe und rigoroser Vergegenwärtigung,<br />
sie bannt Aura und spürt<br />
die Momente sinnlicher Welt auf – auch<br />
da, wo wir nicht damit gerechnet haben.<br />
Peter Schmersal stellt vom 11. Dezember<br />
bis 26. Februar in der Galerie Horst<br />
Schuler, Citadellstr. 15 in Düsseldorf aus.<br />
www.horstschuler.com<br />
Thomas Hirsch<br />
© für alle Bilder: Atelier Peter Schmersal,<br />
Porträt: Thomas Hirsch
Der Gigant der tiefen Töne<br />
Kurt Rydl<br />
und seine Wuppertaler Ehefrau<br />
Ein Bild mit Seltenheitswert:<br />
Kurt Rydl zu Hause in Wien.<br />
Die abwechslungsreiche Geschichte des Barmer<br />
Bahnhofs hat eine neue Epoche erreicht.<br />
Martina Steimer als langjährige Prinzipalin<br />
des Forum Maximum im kuscheligen<br />
Rex-Theater in Elberfeld wird Pächterin im<br />
Barmer Bahnhof. Mit dem Auftritt von Götz<br />
Alsmann am 4.Feburar 2011 soll es losgehen.<br />
„Forum Maximum im Barmer Bahnhof“<br />
heißt die Stätte der besonderen Unterhaltung.<br />
Es trafen sich Partner, deren Interessen für die<br />
Kultur absolut kompatibel sind, auch wenn<br />
sie aus unterschiedlichen Bereichen stammen.<br />
Was die Sache eher spannender gestaltet.<br />
Hier die ausgewiesene Fachfrau Martina<br />
Steimer für die Kabarett-und Comedy-Szene.<br />
Andererseits Christiane und Kurt Rydl als die<br />
Besitzer der Immobilie mit dem Focus auf den<br />
klassischen Bereich. Wobei wir beim „Bahnhofsvorsteher“<br />
der besonderen Sorte wären.<br />
Kurt Rydl war buchstäblich wieder einmal<br />
auf der Durchreise. Angehalten hat er an<br />
seinem eigenen Bahnhof. Dem Barmer<br />
Bahnhof, den er gemeinsam mit seiner Ehefrau<br />
Christiane vor zwei Jahren für 540.000<br />
Euro gekauft hat. Er kam Anfang November<br />
2010 von einem Auftritt im „Ring des<br />
Nibelungen“ mit der Kölner Oper bei der<br />
EXPO in Shanghai und reiste weiter nach<br />
Dresden und Wien, wo er in der Semperoper<br />
und in der Staatsoper im „Rigoletto“<br />
von Verdi die Rolle des Mörders Sparafucile<br />
spielte.<br />
Sein Terminkalender ist gefüllt bis in das<br />
Jahr 2014. Allein für 2011 tauchen in<br />
seinem Terminkalender in alphabetischer<br />
Reihenfolge die Auftrittsorte Amsterdam,<br />
Dresden, London, Oviedo, Paris, Turin<br />
und Zürich auf. Das Arbeitspensum dieses<br />
Mannes ist für einen normalen Menschen<br />
kaum vorstellbar und selbst in hochkarätigen<br />
Künstlerkreisen eher selten. Aber der<br />
Kammersänger Kurt Rydl ist kein „normaler<br />
Mensch“ und in fast allen Facetten<br />
des Lebens wohl eine Rarität. „Beuteltier,<br />
Urviech und Gigant“ sind nur einige der<br />
Beschreibungen in den Medien über den<br />
Mann, der natürlich mit den legendären<br />
„Drei Tenören“ eine CD „Weihnachten<br />
der Weltstars“ aufnahm. Rydls Repertoire<br />
umfasst ca.100 Partien, 1996 wurde er<br />
zum Kammersänger ernannt, im Jahre<br />
1999 zum Ehrenmitglied der Wiener<br />
Staatsoper und allein bei den Salzburger<br />
Festspielen hat der „Megabass“ in 19<br />
Jahren über 200 Vorstellungen absolviert.<br />
Beim Wiener Opernball 2010 gab es eine<br />
19
20<br />
sehr persönliche Begegnung mit Kurt<br />
Rydl in der Loge von Thomas Gottschalk.<br />
Eindrucksvoll zu erleben auf der Homepgage<br />
www.kurt-rydl.com. Seit 1973 ist der<br />
Wiener Kurt Rydl mit einer Wuppertalerin<br />
verheiratet. Es sind enge verwandtschaftliche<br />
Bande, die nach Wuppertal geknüpft<br />
sind, denn sein Schwager ist Thomas<br />
Leipoldt, der Inhaber des „Marktes im<br />
Bahnhof Barmen“.<br />
Zu Kurt Rydls 60.Geburtstag vor drei<br />
Jahren ist ein Buch erschienen. Placido Domingo<br />
schrieb das Grußwort und bei der<br />
Präsentation in der Dresdner Semperoper<br />
hat der Oscar-Preisträger Maximilian Schell<br />
aus dem gewichtigen Werk vorgelesen.<br />
Jahrelang hat Christiane Rydl für diese 384<br />
Seiten gearbeitet.<br />
An solche Entwicklungen war nie zu<br />
denken, als sie einst nach gemeinsamen<br />
Auftritten mit Hanns Dieter Hüsch in<br />
Rheinhausen während ihres Musikstudiums<br />
in Wien auf Kurt Rydl traf – und den im<br />
Grunde anfangs gar nicht so recht mochte,<br />
ehe sie seine Stimme hörte. Ihre eigene<br />
Karriere im Mezzosopran-Fach tauschte sie<br />
nach der Heirat gegen das Management des<br />
Ehemannes. Und wie das in Künstlerkreisen<br />
so üblich ist, hat das Wien-Wuppertaler<br />
Paar zwischenzeitlich auch die Boulevardpresse<br />
des Landes ausreichend bedient. Wer<br />
keine Vergangenheit hat, der hat auch<br />
keine Zukunft. Und so kann es Christiane<br />
Rydl heute gut ertragen, wenn ihr Kurt im<br />
launigen Gespräch bei einem Glas Rotwein<br />
über seinen Wunsch der letzten Ruhestätte<br />
spricht: “Ich möchte neben der Christa<br />
Ludwig begraben werden.“ Christa Ludwig<br />
ist eine der bedeutendsten Opernsängerinnen<br />
der letzten Jahrzehnte. Sie lebt<br />
82-jährig in der Nähe Wiens.<br />
Die Liste der großen Namen der Opernwelt<br />
mit Kurt Rydls gemeinsamen<br />
Auftritten ist endlos lang, sie reicht von<br />
der am 25. Dezember 2005 verstorbenen,<br />
legendären Schwedin Birgit Nilsson bis<br />
zu aktuellen Stars wie der Lettin Elina<br />
Garanca, mit der Rydl in einer seiner<br />
Paraderollen als „Ochs auf Lerchenau“ in<br />
Wiens Staatsoper im „Rosenkavalier“ von<br />
Richard Strauss auftrat. Ruhmreich auch<br />
die Auftrittsorte, bei 90 bis 100 Auftritten<br />
pro Jahr und insgesamt rekordverdächtigen<br />
fast 3500 gesungenen Vorstellungen<br />
rund um den Erdball kaum verwunderlich<br />
- und so fi ndet sich gelegentlich die Schöner Wohnen im Hause Rydl.
22<br />
Bemerkung in den Medien, der „Mann<br />
mit der dunkelsten Stimme unter den<br />
aktiven Opern sängern“ würde am liebsten<br />
in mehreren Städten gleichzeitig auftreten.<br />
Nur der Grüne Hügel in Bayreuth war ein<br />
ziemlich kurzer Abschnitt der Karriere.<br />
Und auch die Met in New York ist ein<br />
weißer Fleck. Dabei gibt es noch eine Ruhepause<br />
im Sommer, wenn die Rydls auf<br />
ihrem Anwesen von Mallorca Kraft für die<br />
Arbeit fi nden. Ihr Zuhause aber ist Wien.<br />
Im 7. Bezirk in der Nähe des Spittelberges<br />
weist ein Klingelschild mit der Aufschrift<br />
KS (für Kammersänger) Rydl den Weg in<br />
eine Wohnung, die sich als fi lmreife Mischung<br />
von Lebens- und Arbeitsraum,<br />
Museum und Begegnungsstätte präsentiert.<br />
Der Kamin stammt aus der Toskana, ein<br />
Balken an der Decke aus dem Jahre 1743<br />
aus Kärnten, das Atrium ist von Klostergittern<br />
umgeben, und an der Wand zeugen<br />
wertvolle Bilder davon, dass hier einst der<br />
Restaurator eines bedeutenden Museums<br />
wohnte. So etwas ist heute nicht mehr einzurichten,<br />
dabei mangelt es nicht an<br />
heiteren Details. Bevor der alte Aufzug vom<br />
langen Flur in Gang kommt, öffnet die<br />
1947 in der damaligen Landesfrauenklinik<br />
an der Vogelsangstraße geborene Hausherrin<br />
ein „Guckloch“ – getarnt durch die<br />
Urkunde zur Ernennung des Ehrenmitgliedes<br />
der Wiener Staatsoper. Sie kann schon<br />
frühzeitig die Gäste begutachten...“wie die<br />
Witwe Bolte“.<br />
Nun stehen die Bässe als zwar oftmals<br />
spektakuläre Bühnenerscheinungen selten<br />
so extrem im Focus der Medien wie die<br />
Tenöre, zumal ihre Partien mitunter eher<br />
kurz sind. Gebraucht werden sie dennoch,<br />
und so kommt aus dem Munde von Kurt<br />
Rydl auch der Satz: „Die Bässe halten,<br />
was die Tenöre ver sprechen.“ Es freut ihn<br />
mächtig, dass er mit seinen über 60 Jahren<br />
unverändert voll im Saft steht und keinen<br />
Gedanken daran verschwendet, sich mit<br />
dem Begriff „kürzer treten“ zu beschäftigten.<br />
In der DVD zum Rydl-Buch ist eine<br />
Szene eingespielt, auf der er mit dem Ball<br />
am Fuß ein 60m-Solo über den Fußballplatz<br />
hinlegt: „Schließlich habe ich in der<br />
Jugend bei Rapid Wien gespielt.“ Heute<br />
bevorzugt er die Disziplin Marathon in<br />
Sachen Auftritte.<br />
Spiele mit Blicken, Christiane und Kurt Rydl.<br />
Vor dem Werk von Gottfried Helnwein.<br />
Klaus Göntzsche<br />
Fotos: Heinz Eschmat Kurt Rydl, Martina Steimer, Thomas Leipoldt und Christiane Rydl.
Zwei im Wuppertaler Von der<br />
Heydt Museum jahrzehntelang<br />
als Gemälde Vincent van Goghs<br />
gehütete Stilleben wurden jetzt als<br />
Fälschungen entlarvt<br />
Dr. Gerhard Finckh (links) und<br />
Restaurator Andreas Iglhaut<br />
Schön – aber falsch<br />
Man könnte salopp sagen: Wo van Gogh<br />
drauf steht, muß auch van Gogh drin<br />
sein. Zwei Bilder aus dem Bestand des<br />
Städtischen Wuppertaler Von der Heydt<br />
Museums, die jahrzehntelang als echte<br />
Gemälde des niederländischen Impressionisten<br />
galten, in den letzten Jahrzehnten<br />
aber mit Zweifeln belastet waren, sind<br />
nun durch ein Gutachten von Oda van<br />
Maanen und Ella Hendriks vom Institut<br />
Collectie Nederland (am van Gogh-Museum)<br />
als nicht von der Hand van Goghs<br />
eingestuft worden.<br />
Damit bewahrheitet sich der Verdacht,<br />
daß der Kunstsammler und Mäzen<br />
August von der Heydt, der das Gemälde<br />
„Stilleben mit Bierkrug und Früchten“<br />
1928 bei der Galerie Abels in Köln und<br />
das Bild „Vase mit Blume, Kaffeekanne<br />
und Früchten“ bei Goldschmidt & Co.<br />
in Frankfurt erworben hat, Schwindlern<br />
oder zumindest einem grandiosen Irrtum<br />
aufgesessen ist. Besonders pikant daran<br />
ist, daß beide Gemälde keine Signatur<br />
tragen und lediglich Vincent van Gogh<br />
„zugeschrieben“ wurden. Wer in der Kette<br />
der Besitzer nun als erster einem Fälscher<br />
oder auch nur einem Betrüger aufgesessen<br />
ist, wird wohl nicht mehr feststellbar<br />
sein. Es ist wie mit dem falschen Fünfzigmarkschein,<br />
der vom jeweiligen Besitzer<br />
solange hastig weitergereicht wird, bis<br />
der Schwindel auffällt. Betrüger ist damit<br />
jeder der Zwischenbesitzer bzw. Händler.<br />
Das Nachsehen hat der Letzte. Auch<br />
ist nicht mehr zu ermitteln, was August<br />
von der Heydt für die Bilder bezahlt hat.<br />
Fest steht allerdings, daß ganz offenbar<br />
der Wunsch einen echten van Gogh zu<br />
besitzen, zumindest den letzten Besitzer<br />
blind für die beschämende Wahrheit<br />
gemacht hat.<br />
Zwar hatte der van-Gogh-Experte Jacob<br />
Baart de la Faille 1928 beide Gemälde in<br />
sein Werkverzeichnis der Arbeiten van<br />
Goghs aufgenommen, doch rührte sich<br />
1976 hinsichtlich der „Vase mit Blumen“<br />
erster Zweifel, geäußert von Bogomila<br />
Welsh-Ovcharov. Der Journalist und van-<br />
Gogh-Biograph Stefan Koldehoff unter-<br />
23
24<br />
Post aus Amsterdam<br />
strich die Zweifel im Jahr 2003 und setzte<br />
noch darauf, dass auch das „Stilleben mit<br />
Bierkrug und Früchten“ nicht echt sei.<br />
Dr. Gerhard Finckh, Direktor des Von<br />
der Heydt-Museums seit 2006, entschloß<br />
sich, mit der üblichen Geheimniskrämerei<br />
und Eitelkeit der Museen zu brechen,<br />
wenn Fälschungen aufgedeckt oder<br />
vermutet werden. Zur wissenschaftlichen<br />
Klärung des Kunststreits schickte er<br />
2008 beide in Rede stehenden Bilder zur<br />
(kostenlosen) Untersuchung nach Amsterdam.<br />
Die Gutachten unterstreichen<br />
– wenn auch ein wenig schwammig mit<br />
Begriffl ichkeiten wie „untypisch“, „was<br />
man in Werken von van Gogh erwarten<br />
würde“ und „bisher bei van Gogh nicht<br />
gefunden“– die Annahme, beide Gemälde<br />
seien nicht von van Gogh gemalt. Ein<br />
wenn auch winziges Hintertürchen lassen<br />
die Gutachten durch ihre vorsichtige<br />
Formulierung dennoch offen. Gerhard<br />
Finckh sieht es pragmatischer: „Die<br />
Bilder sind leider nicht lediglich falsche<br />
Zuschreibungen, sondern Fälschungen,<br />
nicht von van Gogh und ihr Wert fällt<br />
damit ins Bodenlose. Wir werden sie<br />
dennoch in unserem Magazin behalten<br />
und gelegentlich zeigen.“<br />
Literatur:<br />
- Stefan Koldehoff - „Vincent van Gogh“,<br />
© 2003 DuMont, Köln, 303 Seiten mit<br />
vielen s/w und farbigen Illustrationen und<br />
Anmerkungen<br />
Nora und Stefan Koldehoff<br />
„Wem hat van Gogh sein Ohr geschenkt?“<br />
(Alles, was sie über Kunst nicht wissen)<br />
© 2007 Eichborn Berlin, 388 Seiten<br />
Frank Becker (Fotos und Text)<br />
Dr. Gerhard Finckh<br />
mit den falschen van Goghs
Unterwegs zur neuen Kunst<br />
Großer Andrang bei der<br />
Wuppertaler Performance-Nacht<br />
Gemeinsam mit Steve Buchanan<br />
präsentiert Heike Fiedler eine Performance<br />
im „Ort“ an der Luisenstraße.<br />
Kreuz und quer, vom Boden bis weit<br />
in die Höhe sind breite rote Bänder<br />
gespannt im Hinterhof der ehemaligen<br />
Bandfabrik Huppertsberg an der Opphofer<br />
Straße. Eine Stoffbahn führt vom Hof<br />
ins Treppenhaus und hinauf bis in das<br />
Atelier Barczat. Hier beginnt am frühen<br />
Abend die Wuppertaler Performance-<br />
Nacht, veranstaltet vom Kulturbüro<br />
Wuppertal. Sieben Performances an<br />
sieben Orten stehen auf dem Programm.<br />
Die Aufführungen sind zeitlich nacheinander<br />
angeordnet, sodass die Besucherschar<br />
wie bei einer Stadt-Rallye von einem<br />
Ort zum anderen ziehen kann, ohne<br />
etwas zu verpassen. Ein langer Abend mit<br />
aktueller Performance-Kunst, die es aktiv<br />
zu erlaufen und zu erkunden gilt – das<br />
kommt an. Insgesamt sind weit mehr als<br />
400 Besucher auf der Kultur-Route in<br />
Elberfeld unterwegs.<br />
Wie schon der Hinterhof ist auch das<br />
Atelier Barczat durchzogen von roten<br />
Bändern. Schauspielerin Caroline Keufen<br />
trägt Ausschnitte aus dem Text „Portrait<br />
des Meidosems“ von Henri Michaux vor.<br />
Dabei windet sie sich an den Stoffbahnen<br />
entlang, hängt sich an sie, kriecht über<br />
den Boden, krabbelt auf einen langen<br />
Holztisch. Musikerin Ute Völker bewegt<br />
sich mit ihrem Akkordeon ebenfalls durch<br />
den Raum und entwickelt hingetupfte<br />
Klänge. Künstlerin Diemut Schilling<br />
projiziert Live-Aufnahmen der Aktion<br />
auf die Wände und sorgt für Licht- und<br />
Sound-Effekte. So entsteht ein dichtes<br />
Zusammenspiel von Text, Bewegung,<br />
Klang und Projektion.<br />
Schon an dieser ersten Station der<br />
Performance-Nacht herrscht großer Andrang.<br />
Längst nicht alle Besucher haben<br />
die Aufführung sehen können. Spontan<br />
entscheiden sich die drei Wuppertaler<br />
Künstlerinnen daher zu einer erneuten<br />
Umsetzung. Doch zuvor stellt sich David<br />
J. Becher als Guide des Abends vor. „Performance<br />
hat immer etwas mit Bewegung<br />
zu tun. Sie sind nicht nur Zuschauer, Sie<br />
sind mit dabei“, ruft er dem Publikum zu.<br />
Humorvoll und gut informiert übernimmt<br />
der Schauspieler des Vollplaybacktheaters<br />
von nun an die Führung zu den<br />
25
26<br />
Im Licht der Kunst improvisiert Almut Kühne.<br />
Veranstaltungsorten und zieht mit der<br />
ersten Gruppe los zur Hebebühne an der<br />
Mirkerstraße.<br />
In dem kleinen Bühnenraum der ehemaligen<br />
Tankstelle haben Regisseurin Marlin<br />
de Haan und Animationsdesignerin Vanessa<br />
Eder 30 Stunden verbracht. Sie haben<br />
dort gelernt, gespielt, gekocht, geschlafen<br />
und sich dabei fi lmen lassen. Während<br />
sie mit schwarzer Schlafmaske regungslos<br />
an der Seite stehen, präsentieren sie nun<br />
dem Publikum das unmittelbar zuvor<br />
entstandene Bildmaterial: rhythmisch aufeinanderfolgende<br />
Standbilder und somit<br />
ein Konzentrat ihres Aufenthaltes. Die<br />
Zuschauer erhalten damit einen unmittelbaren<br />
Rückblick auf das Experiment, auf<br />
eine frische, gewitzte Studie zum Thema<br />
Zeit und Durchhaltevermögen.<br />
Bei der nächsten Etappe steigt die Zahl<br />
der Besucher weiter an. Im Olga, Raum<br />
für Kunst, stehen sie dicht gedrängt,<br />
andere hocken auf dem Boden. „Den Ort<br />
hier wollte ich schon längst kennenlernen“,<br />
sagt eine Zuschauerin. Klar wird<br />
spätestens hier: Ein besonderer Vorteil<br />
dieser Art von Veranstaltung ist, dass<br />
nicht nur die Aufführungen, sondern<br />
ebenso die verschiedenen Kunsträume<br />
viele Neugierige anlocken. An der Station<br />
Nummer 3 hat Katharina Schmitt auf<br />
fünf Leinwänden eine Videoinstallation<br />
eingerichtet, die eine fl iegende weiße<br />
Taube vor blauem Himmel zeigt. Der<br />
Betont nachlässig singt der Berliner Künstler Christoph Dettmeier.<br />
Flügelschlag ist im leicht verfremdeten<br />
Ton zu hören. Ausgehend von diesem<br />
atmosphärischen Feld gestaltet Milton<br />
Camilo einen weich fl ießenden Tanz. Geschmeidig<br />
lässt er seine Arme schwingen<br />
– ein unspektakulärer aber feinsinniger<br />
Beitrag zur Performance-Nacht.<br />
Für seinen Auftritt im Neuen Kunstverein<br />
an der Hofaue hat Christoph Dettmeier<br />
seiner speziellen Country-Show den Titel<br />
„Peace in the Valley“ gegeben. Betont<br />
nachlässig singt der Berliner Künstler zu<br />
diversen Western-Songs, zeigt wirkungsvoll<br />
verlangsamt typische Cowboy-Posen,<br />
faselt wirr, doch mit Hintersinn über den<br />
Zusammenhang von Landschaft und Psychologie<br />
und präsentiert eindrucksvolle<br />
schwarz-weiß Dias. Mit seinen Aufnahmen<br />
spürt er der Western-Melancholie in<br />
heutiger Zeit nach. Er fi ndet sie in den<br />
Industrie-Brachlandschaften in Detroit,<br />
Istanbul oder Halle an der Saale. Die<br />
Performance löst Begeisterung und Kopfschütteln<br />
beim Publikum aus. Das verwundert<br />
nicht, denn die Show changiert<br />
verstörend zwischen Ironie, ernsthafter<br />
Auseinandersetzung und blankem Trash.<br />
Der „Ort“ an der Luisenstraße ist die<br />
nächste Station der Performance-Nacht.<br />
Der Raum ist klein, der Andrang groß,<br />
sodass auch hier spontan eine zweite<br />
Aufführung ins Programm eingepasst wird.<br />
Das Genfer Künstlerpaar Heike Fiedler und<br />
Steve Buchanan entwickelt eine packende<br />
Performance aus Worten, Versen und Phrasen,<br />
Geräuschen, Klängen und Bewegung.<br />
Zu intensiven Spracherkundungen und<br />
Videokompositionen von Fiedler bespielt<br />
Buchanan sein selbst erfundenes elektronisches<br />
Boden-Instrument „2nd line“. Der<br />
Musiker läuft und tänzelt federnd auf der<br />
Trittfl äche, kniet und schlägt mit Klöppeln.<br />
So bezieht er die gestische Bewegung in die<br />
faszinierende Performance mit ein.<br />
Ein Berliner Trio ist für die vorletzte Etappe<br />
im Kunstraum Grölle pass:projects zuständig.<br />
Künstler Helge Leiberg zeichnet<br />
und pinselt auf zwei Overhead-Projektoren<br />
zur Musikimprovisation von Sängerin<br />
Almut Kühne und Gitarrist Lothar Fiedler.<br />
Aufmerksam verfolgen die Besucher<br />
das impulsive Zusammenspiel, obwohl<br />
auch an dieser Station die Sitzplätze rar<br />
sind und für viele zu später Stunde das<br />
Stehen allmählich beschwerlich wird.<br />
Doch unermüdlich ziehen einige Kunstfreunde<br />
auch jetzt noch weiter zur fi nalen<br />
Party in den Arrenberg’schen Höfen. Dort<br />
ist bereits viel los, zur Tanzmusik von DJ<br />
STINGL projiziert GLUEH rhythmische<br />
Grafi ken und Bilder in den Raum. Es ist<br />
längst weit nach Mitternacht. Wer die<br />
gesamte Performance-Nacht geschafft hat,<br />
ist nun wohl viel zu müde zum Tanzen,<br />
dafür aber voller neuer Eindrücke nach<br />
einem facettenreichen Kunst-Marathon.<br />
Meike Nordmeyer<br />
Fotos: Antje Zeis-Loi
Geschichten mit und ohne Worte<br />
Der Peter Hammer Verlag<br />
und die Verlegerin Monika Bilstein<br />
im Portrait<br />
Peter Hammer, soviel vorweg, ist ein<br />
Phantom. Schon im 17. Jahrhundert<br />
erfunden von Verlegern, die sich von der<br />
Zensur gegängelt, verfolgt und um die<br />
Freiheit der Meinung und der Literatur<br />
gebracht sahen. Der Name gehörte<br />
niemandem - und allen, die sich hinter<br />
einem Pseudonym verbergen mußten,<br />
um veröffentlichen zu können, was der<br />
strengen staatlichen Überwachung, der<br />
Schere des Zensors vermutlich zum<br />
Opfer gefallen wäre.<br />
Die Zensur war längst abgeschafft als<br />
1966 in Wuppertal aus dem 1951<br />
von Hermann Ehlers in Oldenburg<br />
gegründeten Verlag mit dem biederen<br />
Namen (und dem biederen Programm)<br />
„Jugenddienst-Verlag e.V.“ der „Peter<br />
Hammer Verlag“ wurde, doch der neue<br />
Name transportierte die gute Tradition<br />
des Unangepaßten. Johannes Rau<br />
(1931-2006), der 1953 die Aufgaben<br />
von Hermann Ehlers übernahm, hätte<br />
eigentlich nach Oldenburg gehen sollen.<br />
Wegen dringender familiärer Pfl ichten<br />
Raus gestattete Ehlers den Umzug des<br />
Verlages nach Wuppertal. Das war keine<br />
große Sache, erinnerte sich Hermann<br />
Schulz der schon 1960 in der Nachfolge<br />
von Eberhard Robke als Vertreter<br />
Johannes Raus in den Verlag eingetreten<br />
war, einmal in einem Interview, denn<br />
das ganze Unternehmen paßte damals<br />
noch in einen VW-Bus, mit dem der<br />
Ortswechsel auch abgewickelt wurde.<br />
Als Rau seines zunehmenden politischen<br />
Engagements wegen - er wurde<br />
Vorsitzender der SPD-Fraktion im<br />
NRW-Landtag, später Ministerpräsident<br />
und schließlich Bundespräsident<br />
- 1967 aus dem Verlag ausschied, hatte<br />
Hermann Schulz, dem die seit 1961<br />
dynamisch fortschreitende Veränderung<br />
vom christlich-sozial orientierten<br />
Broschüren-Verlag zum anspruchsvollen<br />
und politisch engagierten linksliberalen<br />
(notabene unabhängigen) Literaturverlag<br />
zu verdanken war, ohnehin längst<br />
27
28<br />
die Fäden in der Hand. Er hatte ab<br />
1961 das angestaubte Programm radikal<br />
umgestellt, mit Büchern zum 3. Reich<br />
mutig ein zu dieser Zeit noch ungern<br />
beackertes Themenfeld aufgegriffen<br />
und als einer der ersten im Westen den<br />
sowjetischen Schriftsteller Jewgeni Jewtuschenko<br />
verlegt. Diese Weitsicht sollte<br />
sich später bezahlt machen.<br />
1966 erfolgte, um ein deutliches Zeichen<br />
zu setzen, mit Zustimmung des<br />
Aufsichtsrates unter dessen Vorsitzendem<br />
Johannes Schlingensiepen neben<br />
dem noch inaktiv weiter bestehenden<br />
Jugenddienst Verlag die Neugründung<br />
des „Peter Hammer Verlag“, und 1967<br />
wurde Hermann Schulz zum Verlagsleiter<br />
gewählt. Aus dem „e.V.“ wurde eine<br />
GmbH mit einem wachsenden Stamm<br />
von Gesellschaftern - über 400 sind es<br />
heute. Auch der Personalbestand nahm<br />
zu, der Verlag beschäftigte in den Zeiten<br />
des Booms der 60er und 70er Jahre bis<br />
zu 16 Mitarbeiter, zu denen u.a. auch<br />
der Essayist und Lyriker Arnim Juhre<br />
zählte.<br />
Hermann Schulz blieb am Puls der Zeit,<br />
bereiste auf der Suche nach neuen Stoffen<br />
und neuen Stimmen Lateinamerika<br />
und Afrika und verschaffte in seinen 35<br />
Jahren als Verlagsleiter dem Peter Ham-<br />
mer Verlag einen glänzenden Namen<br />
als der Verlag für Literatur aus und über<br />
Lateinamerika und Afrika.<br />
Große Namen und große Erfolge<br />
verbinden sich mit der Geschichte des<br />
Verlages, der Nobelpreisträger, Träger<br />
des Friedenspreises des Deutschen<br />
Buchhandels und vielfach mit Preisen<br />
aller Sparten überhäufte Autoren und<br />
Illustratoren entdeckte und hervorbrachte<br />
und sich stets durch sein Understatement<br />
auszeichnete.<br />
1968 erschienen die Psalmen des nicaraguanischen<br />
Lyrikers Ernesto Cardenal,<br />
der 1980 den Friedenspreis des Deutschen<br />
Buchhandels bekam und nach der<br />
sandinistischen Revolution von 1979-<br />
1990 Kultur- und Erziehungsminister<br />
Nicaraguas war. Cardenal ist dem Peter<br />
Hammer Verlag bis heute verbunden.<br />
Noch immer kommt der mittlerweile<br />
85 Jahre alte Autor zu Lesereisen nach<br />
Deutschland. Ähnlich verhält es sich mit<br />
Eduardo Galeano, dessen Schlüsselwerk<br />
„Die offenen Adern Lateinamerikas“<br />
seit 1973 bis heute im Programm ist<br />
und jetzt in einer neuen Übersetzung<br />
erscheint – „Ein Standardwerk, das<br />
seinesgleichen nicht fi ndet“, so Monika<br />
Bilstein, seit August 2001 Leiterin des<br />
Verlages. Gioconda Belli, deren Buch<br />
„Die bewohnte Frau“ (1989) mit weit<br />
über 1 Mio. verkaufter Exemplare<br />
ungebrochenen Erfolg hat und die sich<br />
mit Ex-Kanzler Helmut Schmidt den<br />
Preis „Politisches Buch des Jahres“ der<br />
Friedrich-Ebert-Stiftung teilt, gehört<br />
ebenfalls zu den Entdeckungen des Peter<br />
Hammer Verlages, zu dem sie regelmäßigen<br />
Kontakt unterhält. Bellis erotische<br />
Gedichte (1978) und ihr von Wolf<br />
Erlbruch illustriertes Buch „Die Werkstatt<br />
der Schmetterlinge“ (1994) sind<br />
gleichfalls Verkaufsschlager von Dauer.<br />
Auf einer Reise durch 14 afrikanische<br />
Staaten, die der Etablierung einer Literatur-Reihe<br />
„Dialog Afrika“ dienen sollte,<br />
begegnete Hermann Schulz 1979 in<br />
Nigeria das Werk Wole Soyinkas, den er<br />
in das literarische Programm aufnahm.<br />
Soyinka erhielt 1986 als erster Afrikaner<br />
den Literatur-Nobelpreis. Als ähnlich<br />
verdienstvoll erwies sich die Entdeckung<br />
von Ngugi wa Thiong´o, dessen „Verbrannte<br />
Blüten“ heute als „die Buddenbrooks<br />
Schwarzafrikas“ gerühmt wird.<br />
Andere afrikanische Autoren, die durch<br />
den deutschen Peter Hammer Verlag<br />
Geltung bekamen, sind Patrice Nganang<br />
mit „Hundezeiten“, Desmond Tutu,<br />
der wie Cardenal den Friedenspreis des<br />
Deutschen Buchhandels bekam und
der posthum zu Ruhm gelangte Aniceti<br />
Kitereza, dessen Buch „Die Kinder der<br />
Regenmacher“ das Afrika vor der weißen<br />
Annexion beschreibt. Aniceti Kiterezas<br />
ostafrikanischer Roman ist der Anfang<br />
einer „klassischen“ Literatur Afrikas, das<br />
erst sehr spät zu einer literarischen Sprache<br />
fand. Ein Gegenstück dazu ist die in<br />
den USA lebende Nigerianerin Sefi Atta,<br />
die als Vertreterin der modernen afrikanischen<br />
Literatur gilt. Ihre Bücher „Sag<br />
allen, es wird gut“ und „It´s My Turn“<br />
erscheinen in deutscher Übersetzung im<br />
Peter Hammer Verlag.<br />
Doch der Verlag beschäftigte sich durchaus<br />
auch sehr nah an der deutschen<br />
Wirklichkeit mit aktuellen Fragen, Problemen<br />
und Literaturen. 1974 wurde das<br />
erste ehrliche deutsche Aufklärungsbuch<br />
„Zeig mal!“ wegen seiner unverschleierten<br />
fotografi schen Darstellungen zum<br />
Aufreger des Jahres. Das Buch ist längst<br />
vergriffen, doch so begehrt, daß bis heute<br />
Anfragen eingehen und der Antiquariatshandel<br />
es als sehr wertvoll einstuft.<br />
Für die Fotos hatte Schulz damals den<br />
Top-Fotografen Will McBride gewinnen<br />
können. Schon 1973 hatte der Peter<br />
Hammer Verlag ein Aufklärungsbuch<br />
veröffentlicht, dessen Programm im Titel<br />
steckte: „Anders als bei Schmetterlingen“.<br />
Hier kamen die Illustrationen von<br />
Heinz Edelmann, der Ikone der Pop-<br />
Art, der auch das „Beatles Songbook“<br />
illustrierte und den Kult-Trickfi lm „The<br />
Yellow Submarine“ zeichnete. Der Deutsche<br />
Art Director´s Club verlieh dem<br />
Buch seine Goldmedaille.<br />
Und weil wir gerade von Illustratoren<br />
sprechen: auch auf dem Sektor „Bilderbuch“<br />
entwickelte sich der Peter<br />
Hammer Verlag zur Talentschmiede, die<br />
Zeichner und Graphiker zu Ruhm und<br />
Karriere führte. Fast nicht zu zählen sind<br />
die Auszeichnungen Wolf Erlbruchs für<br />
u.a. „Das Bärenwunder“, „Vom kleinen<br />
Maulwurf, der wissen wollte, wer ihm<br />
auf den Kopf gemacht hat“ (in 30 Sprachen<br />
erschienen), „Der Adler, der nicht<br />
fl iegen wollte“, „Leonard“, „Die fürchterlichen<br />
Fünf“, „Frau Meier, die Amsel“<br />
und „Nachts“: Deutscher Jugendlitera-<br />
turpreis samt Sonderpreisen, Gutenbergpreis,<br />
Hans-Christian-Andersen-Preis<br />
u.a.m.. Zum Standard gehören schon<br />
Wolf Erlbruchs Kinderzimmer-Kalender<br />
und sein „Familienplaner“. Erlbruchs<br />
Stil - er hat als Hochschullehrer in Wuppertal<br />
viele Talente gefördert, die heute<br />
auf seinen Spuren wandeln – wurde oft<br />
kopiert, „...aber wir haben das Original“,<br />
so Monika Bilstein.<br />
Zu den ganz großen Zeichen-Talenten<br />
der „jungen Garde“, die der Peter Hammer<br />
Verlag entdeckt und gefördert hat,<br />
gehören Nadia Budde, die seit 2000 mit<br />
ihren wundervollen Kinderbuch- Illustrationen<br />
(„Eins zwei drei Tier“, „Trauriger<br />
Tiger toastet Tomaten“, „Unheimliche<br />
Begegnungen auf Quittenquart“)<br />
Preise abräumt. Auch Tobias Krejtschi,<br />
Dorota Wünsch, Wiebke Oeser und<br />
Christiane Pieper gehören u.a. zum<br />
Kreis der brillanten Zeichner. Mit den<br />
„Geschichten ohne Worte“ hat Monika<br />
Bilstein ein Genre des reinen Bilderbuchs<br />
(auch für Erwachsene) eingeführt,<br />
das völlig ohne Text auskommt und den-<br />
29
30<br />
noch eine komplexe Geschichte erzählt.<br />
Béatrice Rodriguez´ „Der Hühnerdieb“<br />
ist ein ganz besonders charmantes<br />
Beispiel.<br />
In der Zeit zwischen den großen Erfolgen<br />
erlebte der Verlag 1988 sein größte Krise:<br />
Vergleich, Stellenabbau, Neuorganisation.<br />
Fast zwei Jahre lang waren nur Hermann<br />
Schulz und seine 1987 eingetretene<br />
spätere Stellvertreterin Monika Bilstein<br />
„der Verlag“. 1990 konnte wieder eine<br />
Sekretärin eingestellt werden, 1996 die<br />
Pressereferentin Claudia Putz, die bis<br />
heute dem Verlag treu ist, schließlich<br />
eine Vertriebsleiterin. Es ging wieder<br />
aufwärts. Der Trend blieb, und als Hermann<br />
Schulz 2001 ausschied, übernahm<br />
Monika Bilstein mit Zustimmung der<br />
Gesellschafter-Versammlung die Leitung.<br />
Vier Frauen „stemmen“ jetzt die Verlagsarbeit,<br />
Arbeiten an Texten werden z.T.<br />
extern vergeben.<br />
Monika Bilstein, eine Frau von sportlich-eleganter<br />
Erscheinung, ist mit<br />
spontanem Humor und großer Herzlichkeit<br />
gesegnet. Mit offenem Blick und<br />
mit einnehmendem Wesen strahlt sie<br />
Zuversicht und Zufriedenheit mit dem<br />
Erreichten aus. Seit etwas mehr als neun<br />
Jahren liegt das Schicksal des prosperierenden<br />
Unternehmens nun in ihren<br />
Händen, das Paket an Aufgaben die sie<br />
bewältigt, ist beachtlich: Verlagsleitung,<br />
Programmgestaltung, Finanzen und<br />
Lizenzen. Etwa 25 bis 30 neue Produktionen<br />
pro Jahr kann das Programm mit<br />
den Schwerpunkten Afrika – Lateinamerika<br />
– Kinder-/Bilderbuch – bieten, dazu<br />
Sachbücher zu wechselnden Themen.<br />
Ein Beispiel dafür ist Jens Soentgens im<br />
Herbstprogramm 2010 erscheinendes<br />
„Von den Sternen bis zum Tau“ - Eine<br />
Entdeckungsreise durch die Natur. Illustriert<br />
von Vitali Konstantinov erklärt der<br />
407 Seiten starke Halbleinen-Band auf<br />
feinstem Papier mit Lesebändchen 120<br />
Phänomene des Lebens und bietet Experimente<br />
dazu an. Ein Schmuckstück,<br />
das griffi g Wissen vermittelt – und „Eine<br />
Sternstunde meines Verlegerinnen-<br />
Lebens“, wie Monika Bilstein glücklich<br />
kommentiert.<br />
Dem bewährten Programm treu und mit<br />
Geschick für Neues führte Monika Bil-<br />
stein den Verlag zurück in die schwarzen<br />
Zahlen, der Tradition verbunden wird<br />
sie das Unternehmen „Peter Hammer<br />
Verlag“ Konzern-unabhängig halten und<br />
der Devise folgen: „Frei bleiben“. Das<br />
macht den Charakter dieses nun in fast<br />
45 turbulenten Jahren gereiften Verlages<br />
aus, der stolz auf eine ungewöhnliche<br />
und ungewöhnlich erfolgreiche Geschichte<br />
zurückblicken kann.<br />
„Es liegt uns sehr daran, Bücher zu<br />
machen, die man auch aufgrund ihrer<br />
Gestaltung gerne in die Hand nimmt...“,<br />
betont Monika Bilstein, der man anmerkt,<br />
daß die Bücher eine Herzensangelegenheit<br />
sind „...und ich höre immer<br />
wieder gerne den Satz: Sie machen so<br />
schöne Bücher“. Gerne, Frau Bilstein:<br />
Sie machen wirklich wunderschöne<br />
Bücher!<br />
Weitere Informationen gibt es unter:<br />
www.peter-hammer-verlag.de und<br />
http://hammer.txt9.de/<br />
Monika Bilstein (*1958)<br />
Nach dem Abitur 1977 Ausbildung zur<br />
Sortimentsbuchhändlerin. Tätigkeit im<br />
Buchhandel, danach in der Universitätsbibliothek<br />
Wuppertal.<br />
Nebenher Ausbildung zur Fremdsprachenkorrespondentin<br />
für Spanisch.<br />
Seit 1987 im Peter Hammer Verlag tätig,<br />
ab 1993 als Prokuristin, seit August 2001<br />
als Verlagsleiterin und Geschäftsführerin.<br />
Workshops und Vortragstätigkeiten in<br />
Hanoi, Teheran, Tel Aviv, Barcelona und<br />
Guadalajara für die Frankfurter Buchmesse<br />
und das Goethe-Institut in Beirut, Riga<br />
und Moskau.<br />
Vorstandsmitglied von litprom - Gesellschaft<br />
zur Förderung der Literatur aus<br />
Afrika, Asien und Lateinamerika; von<br />
2007 bis 2009 Vorstandsmitglied der Arbeitsgemeinschaft<br />
von Jugendbuchverlagen.<br />
Seit August 2010 Vorstandsmitglied der<br />
Kurt Wolff Stiftung.<br />
Frank Becker<br />
Fotos Monika Bilstein, Frank Becker<br />
Buchumschläge: Peter Hammer Verlag<br />
Lichtbogen<br />
Frank Marschang e.K.<br />
Karlstraße 37<br />
42105 Wuppertal<br />
Tel. 0202.244 34 40<br />
Fax 0202.244 34 39<br />
www.lichtbogen-wuppertal.de<br />
info@lichtbogen-wuppertal.de<br />
COSMIC LEAF DORIDE TERRA<br />
EGLE
Bürgerschaftliches Engagement<br />
für öffentliches Grün in Wuppertal<br />
Barmer Anlagen,<br />
Eingang Heinrich-Jansen-Straße<br />
Schöner im Verein<br />
Der folgende Text wirft einen Blick in die<br />
Geschichte des bürgerschaftlichen Einsatzes<br />
für öffentliches Grün, das im 19.<br />
Jahrhundert erblühte. Vor allem mit dem<br />
Aufkommen der Verschönerungsvereine<br />
entstand eine wirkungsvolle Organisationsform,<br />
die deutliche grüne Spuren in<br />
der Wuppertaler Stadtlandschaft hinterlassen<br />
hat.<br />
Bürgerschaftliches Engagement steht<br />
gegenwärtig hoch im Kurs. Bürger opfern<br />
Freizeit und Geld für öffentliche Ziele<br />
und bringen sich aktiv ins Gemeinwesen<br />
ein. Was lange als Ergänzung staatlicher<br />
Aufgaben betrachtet wurde, soll in<br />
Zeiten leerer Staatskassen zunehmend<br />
dort einspringen, wo öffentliche Haushalte<br />
ausfallen. Dabei wird aber auch das<br />
zivilgesellschaftliche Moment bewusst:<br />
Der Bürger handelt mündig und selbstbewusst<br />
im öffentlichen Raum und setzt<br />
eigenständige Akzente neben behördliches<br />
Handeln.<br />
Als klassisches Betätigungsfeld der Bürger<br />
gelten Kranken- und Armenpfl ege, die<br />
aus den Gemeinden heraus geleistet<br />
wurden. Das 19. Jahrhundert entdeckte<br />
das öffentliche Grün als ein Thema, das<br />
weder im Blickfeld der Kirchen noch der<br />
Kommunen lag. Es entwickelte sich zu<br />
einem geradezu idealen Feld bürgerschaftlichen<br />
Engagements, da es vielschichtige<br />
Interessen verbindet. Sie reichen von<br />
hygienischen und pädagogischen Anliegen<br />
über Grundstücksverwertung und<br />
Stadtentwicklung bis zur Organisation<br />
des gesellschaftlichen Lebens und Repräsentationsbedürfnissen<br />
der bürgerlichen<br />
Schicht.<br />
Verschönerungsvereine und ihre<br />
Parkanlagen<br />
Der Einsatz des Bürgers für öffentliches<br />
Grün fand in den Verschönerungsvereinen<br />
einen Höhepunkt. Verschönerungsvereine<br />
freilich gelten heute als verstaubte<br />
Einrichtungen aus vergangener Zeit. Die<br />
Forschung würdigt dieses bedeutende<br />
Freiraumthema bislang nicht ausführlicher.<br />
Die von den Vereinen geschaffenen<br />
Parkanlagen wurden allein unter gestalterischen<br />
Aspekten behandelt. Andere<br />
Vereinstätigkeit, sowie organisatorische<br />
und stadtplanerische Bereiche ihrer Arbeit<br />
wurden noch nicht fundiert beleuchtet.<br />
Auch fehlt es an Überblick über die<br />
Wirksamkeit und regionale Verbreitung<br />
der Verschönerungsvereine.<br />
31
32<br />
Die Vorraussetzung für diese Bewegung<br />
bildete das Erstarken des Bürgertums.<br />
Von der Aufklärung geistig vorbereitet<br />
trug die Napoleonische Beendigung des<br />
Ständestaates dazu ebenso bei, wie der<br />
wirtschaftliche Erfolg der politisch noch<br />
weitgehend entmündigten Bürger. Im<br />
Vereinswesen wurde seit dem späten 18.<br />
Jahrhundert das gemeinsame nicht-staatliche<br />
Handeln von Privatpersonen „geübt“.<br />
Den Rahmen aus Regeln und Zielen gab<br />
man sich selbst und praktizierte schon<br />
ein Stück Demokratie, bevor sie verfassungsrechtlich<br />
gesicherte Staatsgrundlage<br />
wurde.<br />
In den Städten gehörte ein explosives Bevölkerungswachstum<br />
zum Industrialisierungsprozess,<br />
der die Lebensverhältnisse<br />
der Bewohner dramatisch beeinträchtigte.<br />
Grünfl ächen und Verschönerungsmaßnahmen<br />
sollten Ausgleich schaffen, den<br />
Aufenthalt an frischer Luft in der Freizeit<br />
ermöglichen und Zonen vor der expandierenden<br />
Bebauung sichern.<br />
1835 gründete sich „Verein zur Erhaltung<br />
und Beförderung von Schönheiten<br />
vaterländischer Fluren“ als frühesten Verschönerungsverein<br />
ermittelt. Noch früher<br />
war der „Patriotische Verein zur Verschönerung<br />
Dresdens“, der 1817 entstanden<br />
war. Vor allem seit den 60er Jahren des<br />
19. Jahrhunderts folgten Wellen von<br />
Die Anlagen des Verschönerungs-Vereins zu Barmen<br />
Vereinsgründungen, die das anhaltende<br />
Interesse an der Gestaltung des eigenen<br />
Lebensumfeldes sowohl in Städten als<br />
auch auf dem Lande zeigen.<br />
Der 1. Weltkrieg bzw. das Ende des<br />
Kaiserreiches bildeten einen schweren<br />
Einschnitt in das Wirken der Verschönerungsvereine.<br />
Nach Drittem Reich und 2.<br />
Weltkrieg sind viele Vereine verschwunden,<br />
die übrigen meist verarmt. Dennoch<br />
gibt es noch eine Reihe von Verschönerungsvereinen,<br />
die meist ohne großes<br />
Aufsehen ihrer Traditionsarbeit nachgehen.<br />
Nicht alle haben ihren Schwerpunkt<br />
auf Parkanlagen, wie der 1869 ins Leben<br />
gerufene „Verschönerungsverein für das<br />
Siebengebirge“, für den der Naturschutz<br />
eine wichtige Rolle spielt. Manche unterstützen<br />
die Kommune bei der Pfl ege<br />
öffentlicher Parks, andere sind selbst Besitzer<br />
von Parks. Der Bremen Bürgerpark<br />
etwa ist noch heute im Besitz des 1865<br />
gegründeten „Bürgerparkvereins“ und<br />
gilt mit 202 ha als der größte Privatpark<br />
Deutschlands.<br />
Gärten fürs Volk – Volksgarten und<br />
Stadtgarten<br />
Lange waren regelrechte Parkanlagen<br />
dem Adel vorbehalten. „(...) die eigentliche<br />
Geburtsstunde des öffentlichen<br />
Stadtgrüns kam erst, als im späten 18.<br />
Jahrhundert und mit der Ausbreitung der<br />
Aufklärung neue soziale und moralische<br />
Auffassungen in den Vordergrund traten,<br />
als das wiedererstarkende Bürgertum<br />
seine Forderungen anmeldete und als die,<br />
im Gefolge veränderter Wirtschaftsweisen<br />
und wachsender Bevölkerung, zunehmende<br />
‚Verstädterung’ neue Bedürfnisse schuf.<br />
Nun erst forderte man die Möglichkeit<br />
jederzeitigen, ungehemmten Naturgenusses,<br />
forderte man Grünanlagen, in denen<br />
die Bürger nicht nur geduldet waren,<br />
sondern in denen sie Heimatrecht haben<br />
sollten.“ (Hennebo)<br />
Es war der Theoretiker Hirschfeld, der<br />
diese Parks unter der Bezeichnung „Volksgarten“<br />
1785 als eigene Kategorie in die<br />
Gartenkunst einführte: „Diese Volksgärten<br />
sind, nach vernünftigen Grundsätzen<br />
der Polizey, als ein wichtiges Bedürfniß<br />
des Stadtbewohners zu betrachten.“.<br />
Hirschfeld bezog sich auf einige bereits<br />
bestehende Anlagen, die der Bevölkerung<br />
von Fürsten zugeeignet worden waren, so<br />
1766 der Wiener Prater. In Deutschland<br />
gilt Kurfürst Karl Theodor als erster Initiator<br />
eines Parks für die Bürger, als er 1789<br />
beschloss, die Anlage des später sogenannten<br />
Englischen Gartens „zur allgemeinen<br />
Ergötzung“ anlegen zu lassen.<br />
Als erster Stadtpark in Deutschland wird<br />
jedoch meist der Klosterberge Park angeführt.<br />
Jedenfalls gilt er als erster Park, den<br />
eine Kommune für ihre Bürger anlegen<br />
ließ. Peter Joseph Lenné hatte 1824 dazu<br />
seine Denkschrift „Über die Einrichtung<br />
eines Volksgartens bei der Stadt Magdeburg“<br />
verfasst. Auch war Köln nicht minder<br />
früh, als es 1826 den „Stadtgarten“<br />
schuf. Dieser Grünfl äche nahm sich der<br />
1822 eigens dafür gegründete Verschönerungsverein<br />
an.<br />
Gärten von Bürgern für Bürger –<br />
Bürgerparks<br />
Noch früher sind allerdings die Anlagen<br />
in Aachen und Elberfeld entstanden, die<br />
2007 bereits ihr 200-jähriges Jubiläum<br />
feiern konnten. Es verbindet den Aachener<br />
Lousberg und die Elberfelder Hardt,<br />
dass hier Initiative und Geld weder vom<br />
Fürst noch von der Kommune kamen. Es<br />
waren vielmehr bürgerschaftliche Initiativen,<br />
denen sich die Anlage der Parks auf<br />
devastierten Allmende-Flächen im Rheinland<br />
verdankt. Die Geschichte der Gartenkunst<br />
hat den Typus des „Bürgerparks“
als Kategorie noch nicht ausformuliert.<br />
Gestalterisch sind die von Verschönerungsvereinen<br />
geschaffenen Grünanlagen<br />
unter dem Thema „Stadtpark“ mitbehandelt<br />
worden. Das Verständnis des öffentlichen<br />
Parks unterscheidet selten, ob er<br />
von einem Fürsten, einer Gemeinde oder<br />
einem Verein angelegt wurde. Aus dem<br />
Blickwinkel der Zivilgesellschaft handelt<br />
es sich dabei allerdings um gravierende<br />
Differenzen, die Rolle des Bürgers im<br />
Staat betreffend.<br />
Von welchem Selbstbewusstsein kündet<br />
die Initiative des selbst keineswegs vermögenden<br />
Arztes Stephan Anton Diemel, als<br />
er die Idee einer öffentlichen Promenade<br />
im Elberfelder Stadtrat verkündete und<br />
die Erlaubnis erbat, hierfür Geld zu sammeln!<br />
Ein abgewirtschaftetes Gelände, das<br />
nur noch als Judenbegräbnis-, Richtstätte<br />
und Steinbruch benutzbar schien, war<br />
man bereit, einem so kühnen Plan zur<br />
Verfügung zu stellen. So stimmte der<br />
Stadtrat zu „dass, wo eine solche Anlage<br />
bey dem hierselbst herrschenden Holzmangel<br />
nicht allein nützlich, dabei auch<br />
der Hardter Boden zu anderst füglich<br />
nicht gebraucht werden könne, sodann<br />
auch diese Anlage zum Vergnügen des<br />
Publikums gereiche.“ Und tatsächlich<br />
schaffte Diemel es, genügend Geld bei<br />
vermögenden Mitbürgern zu sammeln,<br />
die im Angesicht der Kontinentalsperre<br />
manch’ andere Sorgen gehabt haben dürften,<br />
um den bis heute beliebten Spaziergang<br />
auf der Hardt zu realisieren.<br />
Diese Tradition ist es, an die die Verschönerungsvereine<br />
anknüpfen.<br />
Vereintes Schönmachen in Wuppertal<br />
Die Städte Elberfeld und Barmen im Tal<br />
der Wupper nahmen in der Industrialisierung<br />
eine Vorreiterrolle ein. Früher<br />
als andernorts waren hier Zuwachs an<br />
wirtschaftlicher Kraft, an Bevölkerung<br />
und neuen städtischen Aufgaben zu<br />
verzeichnen. Die beiden mit der Textilindustrie<br />
groß gewordenen Städte Elberfeld<br />
und Barmen verfügten in der Gründerzeit<br />
über erhebliche Reichtümer.<br />
Barmer Verschönerungsverein<br />
Es war im erst 1808 mit Stadtrechten<br />
versehenen Barmen, wo sich 1864<br />
einige Fabrikanten zur Gründung<br />
des Verschönerungsvereins zu Bar-<br />
men zusammenfanden. Sofort nahm<br />
man am Südhang des Tals eine erste<br />
Parkanlage in Angriff. Geld musste<br />
gesammelt, Grundstücke erworben und<br />
Pläne geschmiedet werden. Die Barmer<br />
Anlagen wuchsen schnell über das<br />
anfänglich erworbene Bleichergut mit<br />
dem Forsthaus hinaus. Neue Grundstückskäufe<br />
ermöglichten den Plan des<br />
renommierten Düsseldorfer Hofgartendirektors<br />
Joseph Clemens Weyhe<br />
für die so genannten Unteren Anlagen.<br />
Zustiftungen, Vermächtnisse und<br />
Ankäufe erweiterten das Parkgrundstück<br />
über Jahrzehnte. Peter Schölgen,<br />
ein Mitarbeiter des Vaters Maximilian<br />
Friedrich Weyhe, wurde 1870 als Leiter<br />
des Gartens eingestellt. Er plante auch<br />
die Erweiterungen.<br />
Die Aufgaben wuchsen durch den Bau<br />
weiterer Parks, aber auch weil der Verein<br />
im Auftrag der Stadt die Pfl ege sämtlicher<br />
öffentlichen Anlagen in Barmen<br />
übernahm. In Krisenzeiten organisierte<br />
er zudem Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen<br />
in großem Stil. Erst nach dem 2.<br />
Weltkrieg zog sich der Verein auf die<br />
Barmer Anlagen als seinen Kernbesitz<br />
zurück. Mit einer Fläche von ca. 100<br />
ha gelten sie heute als zweitgrößter<br />
Privatpark Deutschlands. Der Barmer<br />
Verschönerungsverein zählt knapp 1.000<br />
Mitglieder.<br />
Elberfelder Verschönerungsverein<br />
Elberfeld zog 1870 mit der Gründung<br />
eines Verschönerungsvereins nach. Lange<br />
Zielformulierungen sparte man sich und<br />
formulierte in § 1 des Gründungsstatuts<br />
knapp: „Der Verein bezweckt im allgemeinen<br />
die Verschönerung der Stadt und<br />
ihrer Umgebung.“ Dann ist noch von<br />
Wegen und Gegenständen des Schönheitssinns<br />
die Rede, größere Anlagen werden<br />
vorsichtig in Erwägung gezogen. Aus<br />
dem Statut spricht der Geist erfolgreicher<br />
Geschäftsleute, die keine großen Worten<br />
machen, sondern die Handlungsfähigkeit<br />
des Vereins im Auge haben.<br />
Kaum konstituiert legte der Elberfelder<br />
Verschönerungsverein ein Atem beraubendes<br />
Tempo vor und machte sich an<br />
die erste Parkgründung: Auf dem westlich<br />
der Stadt gelegenen Nützenberg wurde<br />
eine Grünfl äche geschaffen. Ihr folgten<br />
in schnellem Schritt Friedenshöhe und<br />
Friedrichsberg (1878) sowie der Mirker<br />
Hain (1879) und der Kaiser Wilhelm<br />
Hain. Die Anlagen wurden meist im<br />
Verbund mit der Stadt Elberfeld angelegt,<br />
der Grundstücksbestand beider zusammengeführt.<br />
Zentrale Figur des Verschönerungsvereins<br />
war der langjährige Vorsitzende<br />
Bankier August von der Heydt. Er bereicherte<br />
Vereinsvermögen und Stadtbild<br />
auch durch zahlreiche private Stiftungen.<br />
Sein Landhaus, die sogenannte Königs-<br />
33
34<br />
Elberfeld 1906<br />
höhe sowie großfl ächigen Waldbesitz auf<br />
dem Kiesberg ließ er nach seinem Tod<br />
der Stadt Elberfeld zukommen.<br />
Nach dem 2. Weltkrieg war das Vereinsvermögen<br />
auf die Grundstücke zusammengeschmolzen,<br />
der Verein bestand nur<br />
noch auf dem Papier und wurde 1952/53<br />
aufgelöst und der Besitz satzungsgemäß<br />
an die Stadt Wuppertal übergeben.<br />
Nordstädter Bürgerverein<br />
Als die Barmer Anlagen schon fast 30<br />
Jahre bestanden, gründete sich 1893<br />
ein weiterer Verein mit dem Ziel, auch<br />
auf der gegenüberliegenden Seite des<br />
Tales Grün zu schaffen. Der Nordstädtische<br />
Bürgerverein Barmen suchte dem<br />
reichen Barmer Verschönerungsverein<br />
nachzueifern. Waren dort die Reichen<br />
der Stadt bereits alt eingesessene Mitglieder,<br />
so bildete die Klientel des neuen<br />
Vereins neben den örtlichen Brauerei-<br />
Besitzern vor allem der Mittelstand. Der<br />
Plan für einen Nordpark nahm bald<br />
Form an, doch reichten die Vereinsmittel<br />
nicht zum Erwerb der Flächen. Er wurde<br />
der Stadt Barmen erfolgreich angetragen.<br />
Der Verein steckte das von ihm gesammelte<br />
Geld in die 1895 fertig gestellte<br />
Parkanlage. Als Nordstädter Bürgerver-<br />
ein ist er bis heute mit seinen ca. 1.000<br />
Mitgliedern tatkräftiger Unterstützer der<br />
Stadt bei Pfl ege und Verbesserung des<br />
Nordparks.<br />
Weiteres Bürger-Engagement<br />
Bis zur Jahrhundertwende gründeten<br />
sich Verschönerungsvereine auch in den<br />
anderen damals selbständigen Städten<br />
auf Gebiet der heutigen Stadt Wuppertal.<br />
Wenngleich die von ihnen begründeten<br />
Parkanlagen noch vorhanden sind, ist<br />
über der Geschichte der Verschönerungsvereine<br />
in Cronenberg, Langerfeld und<br />
Vohwinkel fast nichts bekannt. Sämtliche<br />
Unterlagen scheinen bei den Luftangriffen<br />
des 2. Weltkriegs verbrannt zu sein.<br />
Allein der 1869 gegründete Ronsdorfer<br />
Verschönerungsverein besteht noch und<br />
ist bis heute Besitzer der 1875 gestalteten<br />
Ronsdorfer Anlagen.<br />
Auch andere Vereine haben sich des<br />
Themas der Grünfl ächen angenommen.<br />
So gründete der Unternehmer Reinhard<br />
Schmidt 1880 den Hardt-Verein, der<br />
sich für eine Erweiterung der Hardt,<br />
jenes frühen Bürgerparks einsetzte<br />
und bis 1937 bestand. Der Gelpetaler<br />
Verschönerungsverein, betreibt seit 1896<br />
die Erschließung der Gelpe für Erholungszwecke,<br />
das Tal eines Bachs, der bis<br />
dahin vor allem wegen seiner Wasserkraft<br />
geschätzt worden war.<br />
Die Gründung des Zoologischen<br />
Gartens dagegen geschah jenseits des<br />
Vereinswesens. Vielmehr formierte<br />
sich 1879 eine Aktiengesellschaft, um<br />
die notwendigen Mittel aufzubringen.<br />
Stiftungen von Grünfl ächen erfolgten<br />
in früherer Zeit meist an die Verschönerungsvereine.<br />
Eine eigentliche Park-<br />
Stiftung entstand erst 2001 mit der<br />
Öffnung des vormals privaten Vorwerk-<br />
Parks, der sich an die Barmer Anlagen<br />
anschließt. Der Park der Herberts-Villa<br />
in Unterbarmen wird seit 2008 von der<br />
Cragg Foundation als Skulpturenpark<br />
Waldfrieden für Publikum geöffnet.<br />
Wie im Zoo wird hier ein Eintrittsgeld<br />
erhoben. Schließlich sind noch die<br />
Fördervereine zu erwähnen, die sich in<br />
Wuppertal jedoch auch erst in jüngerer<br />
Zeit zur Unterstützung von Zoo und<br />
Botanischem Garten zusammenfanden.
Schöne Ziele<br />
In den Mittelpunkt ihres Wirkens stellten<br />
die Vereine des 19. Jahrhunderts den<br />
Erholungsgedanken: „Bewegung, Genuß<br />
der freyen Luft, Erholung von Geschäften,<br />
gesellige Unterhaltung ist die Bestimmung<br />
dieser Oerter“. Parks sollten den Stadtbewohner<br />
nach der Mühe des Tages mit<br />
anmuthigen Bildern und Empfi ndungen<br />
erquicken. Später, als Cholera-Epidemien<br />
das städtische Leben zum Sicherheitsrisiko<br />
für ihre Bewohner machte, traten hygienische<br />
Argumente hinzu. Es zeigt sich<br />
aber nicht allein ein Fürsorge-Gedanke,<br />
sondern auch Sicherheitsaspekte wurden<br />
erwogen: Öffentliche Grünanlagen ziehen<br />
den Stadtbewohner, „indem sie ihn auf die<br />
Schauplätze der Natur locken, unmerklich<br />
von den unedlen und kostbaren Arbeiten<br />
der städtischen Zeitverkürzung ab“<br />
Ganz aufklärerisch betrachtet Hirschfeld<br />
das Erholungsangebot in Parkanlagen<br />
noch weitergehend als Bildungsmöglichkeit<br />
für rohe Städternaturen. Sie<br />
„gewöhnen ihn allmälig an das wohlfeile<br />
Vergnügen, an die sanftere Geselligkeit,<br />
an ein gesprächiges und umgängliches<br />
Wesen“. Davon verspricht er sich eine<br />
Annäherung der Stände: „Die verschiedenen<br />
Stände gewinnen, indem sie sich<br />
hier mehr einander nähern, auf der einen<br />
Seite an anständiger Sittsamkeit und<br />
scheuloser Bescheidenheit, und auf der<br />
andern an herablassender Freundlichkeit<br />
und mittheilender Gefälligkeit.“ Während<br />
er Volksgärten auch aus polizeilicher<br />
Sicht empfi ehlt, changiert die in Aussicht<br />
gestellte Erholungsmöglichkeit also<br />
zwischen hygienischem Argument und<br />
demokratischem Angebot.<br />
In den Worten der Vereine klingt das<br />
etwas schlichter. Der Nordstädtische<br />
Bürgerverein beispielsweise hebt in seiner<br />
Denkschrift hervor: „Den wärmsten<br />
Dank der gegenwärtigen wie der kommenden<br />
Geschlechter haben die Schöpfer<br />
jener Anlagen verdient; haben sie doch<br />
einen Ort geschaffen, an dem der Müde<br />
Ruhe und Erquickung und der Genesende<br />
Stärkung fi nden und alle die Reize der<br />
Natur genießen können, und wo auch<br />
der wenig bemittelte Bürger sich in der<br />
freien Zeit dem Naturgenusse hingeben<br />
kann. Große Kreise unserer Bevölkerung<br />
werden durch sie den engen und oft mangelhaften<br />
Wohnungen auf längere oder<br />
kürzere Zeit entzogen, dem Wirtshaus<br />
entrissen und zur Freude an der Natur<br />
wiedergewonnen.“<br />
Waldvermehrung<br />
Das oberste Ziel der Verschönerungsvereine<br />
im Wuppertal galt der Vermehrung des<br />
Waldes, der durch die Industrialisierung<br />
stark beansprucht war. Der Waldkranz,<br />
der die Höhenzüge um das Tal bewachsen<br />
hatte, war bereits gelichtet. Nun sollte<br />
er vor drohender Bebauung gerettet<br />
und, wo nötig, wieder aufgeforstet<br />
werden. Aus heutiger Sicht freilich ist<br />
schwer zu entscheiden, ob das Ziel der<br />
Waldvermehrung ein wirklich ökonomischer<br />
Faktor oder bloß ein in den<br />
Vordergrund gespieltes Argument ist,<br />
das den auf Ertrag gepolten Kaufl euten<br />
in Verein und Stadtrat die Zustimmung<br />
zu den Parkplänen erleichtern sollte.<br />
Solches empfi ehlt Schmidlin in seinem<br />
Buch „Die Bürgerliche Gartenkunst“<br />
ausdrücklich. Sicher ist, dass z. B. der<br />
Barmer Nordhang bereits abgeholzt und<br />
in Teilen zur Heide geworden war. Die<br />
tatsächlich erfolgten Wiederaufforstungsmaßnahmen<br />
erzielten erst über viele<br />
Jahrzehnte und mehrere Aufforstungen<br />
die heute anzutreffende Qualität eines<br />
Buchenwaldes.<br />
Gestalterisch jedenfalls sind viele Anlagen<br />
dieser Ära als regelrechte Waldparks<br />
zu bezeichnen, ein Begriff, der bislang<br />
noch nicht genauer ausformuliert und<br />
historisch belegt worden ist. Der heutige<br />
Waldzustand vieler Parkanlagen aus dem<br />
19. Jahrhundert ist also nicht immer auf<br />
fehlende Pfl ege zurückzuführen. Die<br />
Gaststätte Kaiserhöhe auf dem Elberfeld<br />
Nützenberg warb gar mit dem Slogan<br />
„Schattige Wald-Anlagen“. Auch der<br />
Park auf dem Friedrichsberg wurde schon<br />
bei der Projektierung als „Waldanlage“<br />
bezeichnet. An einem regelrechten Arboretum<br />
hingegen scheint man sich im Tal<br />
der Wupper jener Zeit nicht versucht zu<br />
haben.<br />
Grün in die Stadt<br />
Der Hauptschwerpunkt der Vereinstätigkeit<br />
lag in der Stadt, wo es galt, Grün vor<br />
der Bebauung zu retten. Emil Rittershaus<br />
hat dem Barmer Verschönerungsverein<br />
1889 ein Gedicht zum 25-jährigen<br />
Jubiläum gewidmet, in dem es heißt: „Ein<br />
Kranz von Wäldern hält umschlungen<br />
das Tal der Heimat rings herum“. Den<br />
Kranz zu erhalten, bildete ein hohes Ziel,<br />
an dem die Vereine festhielten. Ritterhaus<br />
spricht davon, dass das der Arbeit abgerungene<br />
Fleckchen Erde zu einem Garten<br />
werden solle.<br />
Der große Verdienst der Verschönerungsvereine<br />
in Wuppertal besteht darin, eine<br />
erstaunliche Zahl ausgedehnter Grünfl ä-<br />
35
36<br />
chen geschaffen zu haben. Sie ziehen sich<br />
die Hänge des Tales hinauf und versprachen<br />
damit damals gute Luft und freie<br />
Aussicht. Zur Zeit ihres Baus lagen sie<br />
sämtlich außerhalb der später zusammengeschlossenen<br />
Städte, sind mittlerweile<br />
aber von Bebauung umgeben. So ist es<br />
gelungen, grüne Inseln in die Stadt zu<br />
bringen. Von bemerkenswerter Gestaltung<br />
sind die Hardt und die Barmer<br />
Anlagen, während die übrigen eher die<br />
Qualität von Waldparks haben. 12 große<br />
Landschaftsparks bzw. zu Erholungszwecken<br />
angelegte Wälder mit einer Größe<br />
von jeweils mehr als 20 ha sind heute fast<br />
vollständig erhalten. Eine solche Bilanz<br />
bürgerschaftlichen Engagements darf<br />
einzigartig genannt werden.<br />
Wege bahnen<br />
Die Verschönerungsvereine legten<br />
viele Kilometer an Wegen nicht nur in<br />
Parkanlagen, sondern auch in Tälern und<br />
Wäldern an. Sie bahnen der Bevölkerung<br />
Wege an, die sich weniger der direkten<br />
Verbindung zweier Orte als dem Spaziergehen<br />
widmeten. Der Elberfelder Verschönerungsverein<br />
nennt als wesentliches<br />
Ziel seiner Arbeit: „Wege, welche sich zu<br />
Spaziergängen eignen, in der Umgebung<br />
zu verbessern oder neu anzulegen“.<br />
Kunst in die Stadt<br />
Zu den Verschönerungen, die die<br />
Vereine ihrer Stadt zudachten, gehörten<br />
auch Kunstwerke, die im öffentlichen<br />
Raum, in Parkanlagen und auf Plätzen<br />
Aufstellung fanden. Der Elberfelder<br />
Verschönerungsverein machte es sich u.<br />
a. zur Aufgaben, „in der Stadt selbst auf<br />
die Entfernung einzelner Gegenstände,<br />
welche den Schönheitssinn verletzen oder<br />
dem Verkehre hinderlich sind, hinzuwirken“.<br />
Einprägsamer als die Entfernung,<br />
war freilich die Einfügung von Kunstwerken<br />
in den Stadt- oder Parkraum, wozu<br />
oft Geburtstage und Jubiläen den Anlass<br />
gaben. So stiftete der Verein z.B. den Jubiläumsbrunnen<br />
auf dem Neumarkt 1895<br />
anlässlich seines 25-jährigen Bestehens.<br />
Oft wurden Kunstwerke auch von Mäzenen<br />
der Stadt oder den Vereinen gestiftet,<br />
so der Gedenkstein, den der Vorsitzende<br />
August von der Heydt dem Verein zum<br />
gleichen Anlass im Mirker Hain setzte.<br />
Zur Dreihundertjahrfeier schenkte er der<br />
Weyerbuschturm<br />
Stadt den Gerechtigkeitsbrunnen auf<br />
dem heutigen Platz der Republik. Die<br />
Firma Vorwerk & Sohn stiftete wiederum<br />
zu ihrem eigenen 100-jährigen<br />
Jubiläum den Brunnen in den Barmer<br />
Anlagen zwischen Toelleturm und Luftkurhaus.<br />
Ansichtssache<br />
Anschauen - Ausschauen<br />
Der Aussicht maß man im 19. Jahrhundert<br />
eine hohe Bedeutung bei. Obgleich<br />
die Höhenzüge um das Tal der Wupper<br />
keinen Mangel an Aussichten bieten, ist<br />
eine außerordentliche Lust am Bau von<br />
Aussichtstürmen zu verzeichnen. Sie<br />
verdoppelt das Vergnügen, indem die<br />
Türme gleichsam als Point de vue die<br />
Ansicht der Parkanlage bereichern, in die<br />
sie gestellt wurden. Zur Aussicht tritt die<br />
Ansicht. Mehrere hölzerne Bauwerke z.B.<br />
auf Königs- und Friedenshöhe, Friedrichs-<br />
und Nützenberg hielten Wind und<br />
Wetter nur kurz Stand und verschwanden<br />
wieder oder wurden durch steinerne<br />
Nachfolger ersetzt. Es kam zur einer<br />
regelrechten Konkurrenz, in der sich die<br />
Gönner gegenseitig zu Schenkungen<br />
animierten, mit denen Sie sich freigiebig<br />
zeigten, aber auch sich und dem Namen<br />
ihrer Familie ein Denkmal setzten. Heute<br />
zählt Wuppertal fünf solcher Bauwerke,<br />
die meist aus Stiftungen hervorgegangen<br />
sind. Elisen- (1838) und Bismarckturm<br />
(1907) stehen auf der Hardt, der erstere<br />
entstand als privates Observatorium aus<br />
einer Windmühle, der zweite wurde als<br />
Landmarke und Denkmal errichtet. Der<br />
Barmer Verschönerungsverein erhielt den<br />
Toelleturm (1887) auf dem höchsten<br />
Punkt der Barmer Anlagen, der Elberfelder<br />
Verschönerungsverein dagegen den<br />
Weyerbuschturm (1898) in der Parkanlage<br />
Nützenberg. Beide wurden von<br />
Fabrikantenfamilien gestiftet, wie der<br />
Von der Heydt-Turm (1892) auf dem<br />
Kiesberg durch einen Bankier.<br />
Gemeinwesen im Blick<br />
Was die Aussicht in den Blick rückt, ist<br />
zwar auch die umliegende Landschaft,<br />
malerische Szenen und landwirtschaftlich<br />
Idylle. Doch vorrangig guckt der Bürger<br />
in seiner Freizeit auf den Ort der Arbeit<br />
zurück. Der Ausblick auf die Bebauung<br />
wird keineswegs durch Bepfl anzung verdeckt,<br />
sondern wirkungsvoll inszeniert. So<br />
berichtet ein Reisender über den Besuch<br />
der Elberfelder Hardt 1810: „Aber man<br />
hat dort kunstvoll, und ich sage durchaus<br />
auch mit Geschmack, mehrere Rundwege<br />
angelegt, damit sich hier an den<br />
Sonntagen jene zahlreichen Grüppchen<br />
von ehrbaren und arbeitsamen Familien<br />
treffen können, die herkommen, um den<br />
Anblick des von ihnen selbst geschaffenen<br />
Werkes zu genießen, um ihrem Kindern<br />
die Häuser, die Gärten, die Rasenplätze,<br />
die Werkstätten, die Fabriken und Geschäftshäuser<br />
dieses Gewerbe treibenden<br />
Volkes zu zeigen, das auf eigne Rechnung<br />
arbeitet und das eines Tages von seinen<br />
Kindern wiederum Sorgfalt, Umsicht und<br />
vorbildhaftes Verhalten verlangen wird.“<br />
Erika Schmidt fasst zusammen: „Einerseits<br />
war der Park als Welt des Schönen,<br />
des Luxus und der Muße aus der Welt<br />
des Hässlichen und der Funktionalität<br />
deutlich ausgegrenzt. Andererseits war<br />
die Welt der Arbeit, wo der im Park zur<br />
Schau gestellte Wohlstand erwirtschaftet
wurde, über verklärende Distanz hinweg<br />
in die Parkszenerie einbezogen.“<br />
Stadtentwicklung<br />
Es wäre verkürzt, nur von einer Rettung<br />
eines „Fleckchens Erde“ vor der Bebauung<br />
zu sprechen. Vielmehr bildeten die<br />
neu geschaffenen Grünfl ächen eine ideale<br />
Voraussetzung, angrenzende Flächen<br />
als Wohngebiete zu entwickeln. Meist<br />
waren es die engsten Vereinsmitglieder,<br />
die als Besitzer der umliegenden Grundstücke<br />
von der Aufwertung ehemaliger<br />
Bleichergüter oder landwirtschaftlicher<br />
Flächen zu Parkanlagen profi tierten. Mit<br />
dem zivilisierten Grün entstand das, was<br />
wir heute eine „Adresse“ nennen. An die<br />
Barmer Anlagen schließen sich zwei der<br />
bis heute teuersten Wohnviertel Wupper-<br />
Dicke-Ibach-Treppe<br />
tals an. Der Nützenberg-Park bereitete<br />
die hochwertigen Vermarktung des Briller<br />
Viertels, des ersten reinen Wohngebietes<br />
in Elberfeld, vor, das sich noch heute<br />
wenig preiswerter Beliebtheit erfreut.<br />
Interessant ist auch die enge Verzahnung<br />
von Grünfl ächen und Bebauung, indem<br />
die Parks sich ins Stadtgebiet öffnen, wie<br />
die steil bergan auf den Nützenberg-Park<br />
zulaufende Sadowastraße. Eingänge sind<br />
oftmals im Straßenraum sichtbar und wirkungsvoll<br />
inszeniert, wie die Zuwegung zu<br />
den Barmer Anlagen über den Mittelstreifen<br />
der heutigen Heinrich-Jansen-Allee<br />
mit der doppelreihigen Lindenallee. Der<br />
Pavillon der Dicke-Ibach-Treppe wirkt<br />
nach innen und außen als Blickfang und<br />
verbindet damit Park und Straßenraum<br />
nicht nur fußläufi g, sondern auch visuell.<br />
Die Wohnbebauung schmückt sich mit<br />
dem Park, in dem sie gar nicht liegt. Wo<br />
Grünanlagen die Gegend für Wohnbe-<br />
bauung aufwerten, werden sie von dieser<br />
Nachbarschaft quasi als Zubehör benutzt.<br />
Der Park vor der Tür rückte die städtische<br />
Villa ans Herrenhaus auf dem Lande.<br />
Bei Anlage des Nordparks freilich war<br />
der Bedarf an hochpreisigen Wohnlagen<br />
erschöpft, angrenzend an die Grünanlage<br />
entstanden nun Siedlungen für<br />
verschiedene Ansprüche. Der Wohnhof<br />
Klingelholl bietet Mietwohnungen in<br />
einer Dreiseitanlage. Die an dörfl ichen<br />
Strukturen orientierte Siedlung Nordpark<br />
enthält neben Wohnungen auch Reihenhäuser<br />
als Eigentum. Die Wohnkolonie<br />
Am Nordpark schließlich bildet eine repräsentative<br />
Wohnlage mit Fernblick, die<br />
villenartige Häuser zu einer schlossartigen<br />
Anlage gruppiert.<br />
Brachfl ächen transformieren<br />
Anders liegt der Fall bei alten Gewerbegebieten,<br />
die zunächst einmal als für Erholungszwecke<br />
gänzlich ungeeignet scheinen<br />
und doch plötzlich gerade hierfür in<br />
Anspruch genommen wurden. Den tiefen<br />
Bachtälern rund um Wuppertal hatte<br />
seit Jahrhunderten das Metallgewerbe<br />
einen akustischen und visuellen Stempel<br />
aufgedrückt. Nun entstanden Ausfl ugslokale<br />
in oder neben alten Kotten, Stauteiche,<br />
die wochentags Hämmer antrieben,<br />
lockten am Wochenende zu Kahnfahrten.<br />
Verschönerungsvereine waren aktiv an<br />
der Transformation von Gewerbegebieten<br />
und Brachfl ächen beteiligt. Wenngleich<br />
sie ein naturnahes Gestaltungsideal<br />
verfolgten und sich gegen gesundheitliche<br />
und landschaftliche Schäden der Industrialisierung<br />
wendeten, zeigten sich die<br />
Vereine keineswegs industriefeindlich.<br />
Nutzbauten wurden nicht durch Pfl anzungen<br />
kaschiert, sondern oft genug stolz<br />
präsentiert und bestaunt.<br />
An der Gelpe etwa, einem Bach am Rande<br />
des Wuppertaler Ortsteils Cronenberg,<br />
nutzten Betriebe in so dichter Folge die<br />
Wasserkraft, wie an kaum einer anderen<br />
Stelle im Deutschen Reich. Ende des 19.<br />
Jahrhunderts begann man die pittoreske<br />
Qualität des tiefen Bachtals mit seinen<br />
Felshängen, dem plätschernden Wasser,<br />
aber auch den schwer arbeitenden<br />
Werkstätten zu schätzen. Der Umbau zum<br />
Naherholungsgebiet begann mit Unterstützung<br />
des Gelpetaler Verschönerungs-<br />
vereins. „Der Verein bezweckt Verschönerungen<br />
aller Art. Als seine nächsten<br />
Aufgaben wird er betrachten, die Anlage<br />
solcher Wege im Gelpethale, welche zur<br />
Annehmlichkeit und Bequemlichkeit des<br />
Publikums beitragen können, entweder<br />
anzuregen, selbständig auszuführen oder<br />
deren Ausführung zu unterstützen.“ Noch<br />
heute setzen sich mehrere Vereine für die<br />
Erhaltung der Erholungsqualität des Tals<br />
und der Erinnerung an die mittlerweile<br />
untergegangene Gewerbetätigkeit ein.<br />
Eine große Attraktion bildeten auch neue<br />
Infrastrukturbauten wie die Müngstener<br />
Brücke oder die Ronsdorfer Talsperre, die<br />
dem Naherholungsgebiet des Gelpetals<br />
weiteren Auftrieb gaben. Das 1897 fertig<br />
gestellte Stahlbauwerk der höchsten Eisenbahnbrücke<br />
Deutschlands zog mit seinen<br />
107 m Höhe Touristenscharen an. So entwickelte<br />
sich mit Beginn des Brückenbaus<br />
das seit dem 16. Jahrhundert gewerblich<br />
genutzte Tal zum beliebten Ausfl ugsziel.<br />
Ähnlich offensiv ging man mit den Talsperren<br />
um, die zur Wasserversorgung der<br />
stark angewachsenen Städte in nahegelege-<br />
37
38<br />
nen Tälern gebaut wurde. Nachdem die<br />
damals selbständige Stadt Ronsdorf am<br />
oberen Ende der Gelpe 1898 eine Talsperre<br />
errichtet hatte, eröffnete in ihrer<br />
Nähe eine Ausfl ugsgaststätte. Die Bürger<br />
waren stolz auf ihre Errungenschaft, die<br />
als dritte Trinkwassersperre Deutschlands<br />
noch keineswegs zu den Selbstverständlichkeiten<br />
einer Kleinstadt zählte.<br />
Selbstverständnis<br />
Werte vermitteln<br />
Vor allem durch Aufstellung von<br />
Skulpturen brachten die Vereine ihren<br />
Wertekanon zum Ausdruck. Schon<br />
Hirschfeld empfi ehlt „Bildsäulen verstorbener<br />
Wohltäter, Denkmäler von<br />
wichtigen Vorfällen und Begebenheiten<br />
mit lehrreichen Inschriften“, „die das<br />
Volk an sein einheimisches Verdienst, an<br />
die Wohlthätigkeit seiner Patrioten, an<br />
das Glück seiner Nationalbegebenheiten<br />
erinnern“, aber auch „die Statue, die<br />
Büste oder die Denksäule des malenden<br />
Dichters, und des dichtenden Malers,<br />
des Lehrers der Naturschönheit und<br />
ihres Nachbilders“ sei in öffentlichen<br />
Gärten angemessen.<br />
Fritz Rohde, Friedrichsberg 1883; Stadt Wuppertal<br />
Typisch für den bürgerlichen Denkmalkult<br />
des 19. Jahrhunderts ist das Andenken an<br />
Personen und Ereignisse. Der Schmuck des<br />
Stadtraums verbindet sich mit der Ehrung<br />
des Individuums und die Würdigung seiner<br />
Leistung mit politischer Aussage. Themen<br />
bilden etwa das Wirken des Vereins selbst,<br />
wenn ehemaliger Vorsitzender oder Vereinsjubiläen<br />
gedacht wird. Der Barmer Verschönungsverein<br />
setzte seinem verstorbenen Mitglied,<br />
dem Fabrikanten und Dichter Emil<br />
Rittershaus ein Denkmal in den Barmer Anlagen.<br />
Das Wilberg-Denkmal auf der Hardt<br />
hält die Erinnerung an einen ausgezeichneten<br />
Pädagogen Elberfelds wach. Wie Bildung<br />
gehörte auch der christliche Glauben zu<br />
den Grundfesten des Bürgertums im 19.<br />
Jahrhundert. Kriegerdenkmäler brachten die<br />
patriotische Gesinnung zum Ausdruck, so<br />
der 1869 in den Barmer Anlagen aufgestellte<br />
Obelisk für die Gefallenen von 1864 und<br />
1866. Auch Bäume, z.B. Friedenseichen und<br />
Schiller linden, wurden eingesetzt, um Werte<br />
symbolisch zu vermitteln.<br />
Die Aufstellung von Denkmälern erfolgte<br />
nicht immer durch die Vereine selbst, son-<br />
dern war auf dem Vereinsgelände oftmals<br />
von weiteren Vereinigungen oder Spender<br />
initiiert. In einigen Parkanlagen häuften im<br />
Laufe der Jahre geradezu die Gedenkstätten.<br />
Gesellschaftliche Bühne bereiten<br />
Schon die frühen bürgerschaftlichen Initiativen<br />
für Grün sind von dem Wunsch nach<br />
Freiräumen für gesellschaftliche Begegnung<br />
geprägt. Man wollte im Park wandeln,<br />
um zu sehen und gesehen zu werden, um<br />
einander zu treffen und sich gemeinsam<br />
aufzuhalten. Auch sollten Erfrischungen<br />
den Spaziergang abrunden. Anfänglich<br />
übernahmen es oft nahegelegene Bauernhöfe,<br />
das Publikum mit Milch und Stuten<br />
zu bewirten.<br />
Auf der Hardt gab es schon bald eine Einsiedelei,<br />
die ein entsprechendes Angebot<br />
für den bereithielt, der den steilen Aufstieg<br />
von Elberfeld hinter sich hatte und den<br />
Ausblick genießen wollte. Später eröffnete<br />
der Gastronom Himmelmann-Pothmann<br />
auf einem weiter unten gelegenen Plateau<br />
den „Pavillon zum neutralen Boden“. Der<br />
Barmer Verschönerungsverein vereinigte<br />
auf seinem Gebiet gleich mehrere solcher<br />
Gebäude, die von der Milchkuranstalt
über eine Meierei bis zur Stadthalle und<br />
zum Luftkurhaus reichte. Im Nordpark<br />
verpachtet man das Sommerhaus des Vorbesitzers<br />
mit dem zugehörigen Bauernhaus<br />
an einen Gastwirt.<br />
Den Höhepunkt geselligen Lebens<br />
erreichten die Parks jedoch erst mit dem<br />
Bau von Gesellschaftshäusern, die nicht<br />
nur Gaststätten, sondern das Herz der<br />
Anlagen bildeten. Auf der Hardt plante<br />
Siesmayer die Neue Hardt um eine solche<br />
Gastronomie herum. Mit Auffahrten<br />
und Treppenanlagen, Teppichbeeten und<br />
Brunnen lag das später errichtete Bergische<br />
Haus äußerst prominent. Ausgedehnte<br />
Biergärten auf beiden Seiten und ein Musikpavillon<br />
schlossen sich an das Haus an.<br />
Nicht weniger prominent bereitete Joseph<br />
Clemens Weyhe den Bauplatz der Barmer<br />
Stadthalle vor, für den er ein erhöhtes Plateau<br />
reservierte. Die talseitig umlaufende<br />
Terrasse beschattete eine vierreihige Allee.<br />
In diesen Gebäuden fanden auch Feier,<br />
Bälle und öffentliche Ereignisse statt.<br />
Die Stellung der solchermaßen hervorgehobenen<br />
Parkgastronomie darf sich mit der<br />
des Schlosses im adeligen Garten vergleichen.<br />
Das Bürgertum setzte das Gesellschaftshaus<br />
an die Stelle des Schlossbaus.<br />
Damit stellte es sich selbstbewusst an die<br />
zentrale Stellung in der Gesellschaft und<br />
beansprucht, die Position des Adels zu<br />
übernehmen. Anstelle einer Einzelperson<br />
residiert im Herzen des bürgerschaftlichen<br />
Parks die aus Vielen zusammengesetzte<br />
bürgerliche Öffentlichkeit.<br />
Gemeinschaftsleistungen<br />
Partner der Stadt<br />
Die Bürger vertreten ihre Unabhängigkeit<br />
von Fürsten, Ämtern und Regierungen<br />
selbstbewusst, ihre Vereine erhalten sich<br />
neben den Organisationen der öffentlichen<br />
Hand und haben nur im Notfall vor, in<br />
diesen aufzugehen. Dennoch arbeiten<br />
Verschönerungsvereine und Stadtverwaltungen<br />
Hand in Hand. Satzungsgemäß ist<br />
die Mitgliedschaft von Bürgermeistern und<br />
Stadtratsmitgliedern in den Vereinsvorständen<br />
verankert.<br />
Beim Flächenankauf ergänzt man sich,<br />
so dass die Besitzverhältnisse in einzelnen<br />
Anlagen wie ein Flickenteppich anmuten.<br />
Doch die Gestaltung versteht die zusammengefügten<br />
Flächen als Einheit und<br />
formt sie zu einem Park ohne Rücksicht<br />
auf Besitzgrenzen zwischen Verschönerungsverein<br />
und Stadt.<br />
In Barmen blieben Planung, Bau und<br />
Pfl ege der Vereinsanlagen in der Hand des<br />
Verschönerungsvereins. Auch die städtischen<br />
Grünfl ächen pfl egt er bis 1935 und<br />
kann insofern als Vorläufer des Gartenamts<br />
betrachtet werden.<br />
Umgekehrt entwickelte es sich in Elberfeld,<br />
wo der Verschönerungsverein zunehmend<br />
Planung und Pfl ege an die Stadt gegen<br />
Entgelt abgab, die 1890 das Amt des Stadtgärtners<br />
schuf. Dessen Aufgabe war keineswegs<br />
die Verrichtung von Gartenarbeit,<br />
sondern ist eher als Position eines Gartenamtsleiters<br />
zu verstehen. Th. Ruprecht war<br />
der erste, der dieses Amt inne hatte. Von<br />
ihm sind Planungen für die Parkanlagen<br />
Nützenberg und Hardt bekannt. 1904<br />
folgte ihm Fritz Rohde, von dem Entwürfe<br />
für den Friedrichsberg vorliegen.<br />
Privatinitiative bündeln<br />
Eine wichtige Leistung der Verschönerungsvereine<br />
bestand auch darin, die vielen<br />
Zuwendungen ganz unterschiedlicher Art<br />
zusammenzufügen. So konnten große<br />
Projekte wie die Anlage ganzer Parks selten<br />
mit einer Spende bewältigt werden. Es war<br />
vielmehr die Sammlung vielen Einzelbeiträge<br />
verschiedenster Größe, die dem Verein<br />
eine ganz andere Handlungsfähigkeit<br />
verlieh, als ein einzelner Bürger sie hätte<br />
aufbringen können. Stolz listen die Vereine<br />
in ihren Jubiläumsschriften ist einzelnen<br />
Zuwendungen auf.<br />
Auch durch Überlassung oder Erbschaft<br />
von Grundstücken fl oss Privatvermögen<br />
an die Verschönerungsvereine. Besonders<br />
hochherzig ist der Fall des Juweliers August<br />
Freytag, der dem Vorstand des Elberfelder<br />
Verschönerungsvereins angehört hatte.<br />
Er hinterließ diesem seinen Sommersitz<br />
mit dem von einem angesehenen Gartenkünstler<br />
gestalteten Park, der seither die<br />
benachbarte Vereinsanlage Friedrichsberg<br />
erweitert.<br />
Eine Bedeutung erlangten auch Kleinspenden,<br />
die nicht nur in monetärer<br />
Form, sondern auch als Arbeitsleistung,<br />
Kuchenspende oder musikalischer Beitrag<br />
zu Vereinsereignissen zum Großen und<br />
Ganzen beitrugen. Umgekehrt schufen die<br />
vom Verein propagierten Ziele sozusagen<br />
Gelegenheiten, zum Spender zu werden.<br />
Das Sagen freilich blieb in allen Vereinen<br />
fest in der Hand der Honoratioren. Bei<br />
aller Demokratie stand der Weg in den<br />
Vorstand so wenig jedem offen, wie dort<br />
Frauen gern gesehen waren. Der Beitrag,<br />
den jeder leisten konnte und sollte, war<br />
insofern in mancher Hinsicht vordefi niert.<br />
In manchem Verein haben sich solche<br />
altväterlichen Strukturen gar bis heute<br />
gehalten.<br />
Antonia Dinnebier<br />
39
Macbeth in Wuppertal<br />
Spielzeit 2010/11<br />
Inszenierung: Claudia Bauer<br />
Bühne & Kostüme:<br />
Patricia Talacko / Bernd Schneider<br />
Musik: Charles Petersohn<br />
Dramaturgie: Sven Kleine<br />
Fotos: Uwe Stratmann<br />
Die Besetzung: Macbeth: Holger Kraft<br />
Lady Macbeth: Sophie Basse<br />
Hexe, Banquo, Pförtner, Macduffs Sohn,<br />
Der junge Siward: Daniel Breitfelder<br />
Hexe, König Duncan, Macduff, Mörder,<br />
Seyton: Marco Wohlwend<br />
Hexe, Prinz Malcolm, Pförtner, Lady Macduff,<br />
Mörder: Sebastian Stert<br />
links: Holger Kraft<br />
unten: Holger Kraft, Sophie Basse<br />
Alptraum ohne Schlaf<br />
Erst am Ende ist Stille<br />
Erst am Ende ist Stille. Nur wabernder<br />
Nebel über Blutlachen, Babykörper auf<br />
zerknüllten Decken. So zeigt sich die<br />
Bühne nach den knapp zwei Stunden<br />
der aktuellen „Macbeth“-Inszenierung<br />
im Wuppertaler Kleinen Schauspielhaus.<br />
Claudia Bauer hat für Shakespeares<br />
Tragödie ein alptraumhaftes Szenario<br />
geschaffen, in dem die Titelfi gur<br />
niemals zur Ruhe kommt.<br />
Macbeth tötet seinen König, der als<br />
Gast in seinem Haus schläft, er „tötet<br />
den Schlaf“, wie es heißt, und leidet<br />
fortan an Schlafl osigkeit. Die Inszenierung<br />
legt den Fokus auf diese Rastlosigkeit,<br />
mit der er von einem Verbrechen<br />
zum nächsten wankt – der Ausschaltung<br />
des Mitwissers Banquo und seines Sohnes,<br />
dem Auftragsmord an der Familie<br />
von Macduff, der zum Widerstand rüstet.<br />
Dem dient ein Kunstgriff, der das<br />
gesamte Stück prägt: Daniel Breitfelder,<br />
Marco Wohlwend und Sebastian Stert<br />
sind nicht nur die drei langhaarigen Hexen,<br />
die Macbeth voraussagen, er werde<br />
König sein; vielmehr nehmen sie von<br />
König Duncan als debilem Grabscher<br />
bis hin zu den gedungenen Mördern<br />
auch alle weiteren Rollen ein. Murmelnd<br />
und gestikulierend begleiten sie<br />
die Handlung im Hintergrund, ehe sie<br />
sich mit kleinen Kostümwechseln blitzschnell<br />
in die verschiedenen Figuren<br />
verwandeln – der Übergang ist fl ießend.<br />
Dadurch entsteht der Eindruck, daß<br />
das Böse durchgängig präsent ist und<br />
Macbeth in seinem Bann.<br />
Brüchige Souveränität<br />
Holger Kraft in der Titelrolle macht<br />
deren Zerrissenheit sichtbar. Von<br />
Selbstsicherheit zu Wahnvorstellungen,<br />
von kühlem Kalkül zu Besinnungslosigkeit<br />
ist Macbeth kaum jemals Herr<br />
41
42<br />
Sebastian Stert, Daniel Breitfelder,<br />
Holger Kraft, Marco Wohlwend<br />
der Situation. Doch auch seine Gattin<br />
zeigt Schwäche: Sophie Basse gibt Lady<br />
Macbeth nicht dämonisch, wenn sie<br />
auch ihren Mann zur Ausführung der<br />
Tat drängt. „Weg mit dem Mitleid - das<br />
- das darf da nicht sein“, beschwört sie<br />
sich selbst zu Beginn fast stammelnd.<br />
Im Griff zu haben scheinen sich die<br />
Eheleute auf Macbeths Krönungsfeier,<br />
wo es zu einer absurden Plauderrunde<br />
kommt: Beim Kaffee tauscht man sich<br />
mit Banquo aus über dessen Sohn („der<br />
ist aber sehr klein für sein Alter, hm?“)<br />
und die Vorzüge des Stillens („spart ja<br />
auch Babynahrung“). Man darf vermuten,<br />
daß solche Szenen aus Improvisation<br />
entstanden sind. In ihrer Flapsigkeit<br />
muß man sie nicht mögen; aber sie<br />
vermitteln doch den Eindruck der<br />
brüchigen Souveränität von Macbeth<br />
und seiner Frau, die sich kurzzeitig ihrer<br />
Sache sicher sind.
Atemlose Inszenierung überzeugt<br />
Daß alles in Wahrheit ein Alptraum für<br />
Macbeth ist, daran besteht dabei kein<br />
Zweifel. Beängstigend gut getroffen<br />
wird die eigentümliche Wahrnehmung<br />
des Träumens, als Macbeth erneut die<br />
Hexen aufsucht, um Klarheit über seine<br />
Zukunft zu gewinnen: Obszön scheinen<br />
sie ein Kind und eine Pfl anze zur<br />
Welt zu bringen - als Symbol für die<br />
scheinbaren Garantien, Macbeth werde<br />
unbesiegt bleiben von jedem, der „von<br />
einer Frau geboren“ wurde und solange<br />
„die Wälder von Burnam“ sich nicht auf<br />
sein Schloß „zubewegen“.<br />
Die Gewaltdarstellung gehört hingegen<br />
nicht zum Schockierendsten der Inszenierung.<br />
Zwar wird auch in Wuppertal mit<br />
Theaterblut nicht gespart; aber die Täter<br />
tragen es für alle ersichtlich per Sprühdose<br />
und keineswegs realistisch auf ihre Opfer<br />
auf, sodaß man dabei zuschauen kann,<br />
wie die Morde gespielt werden. Auch dies<br />
fügt sich in seiner Vermischung der Realitätsebenen<br />
in das Gesamtbild ein.<br />
Macbeth ist eine Gestalt, die zwischen<br />
Schicksal und eigenem Willen schuldig<br />
wird. Die atemlose Inszenierung überzeugt,<br />
indem sie diese Getriebenheit<br />
vorführt.<br />
Martin Hagemeyer<br />
Fotos Uwe Stratmann<br />
43
44<br />
Foto: Frank Becker<br />
Karl Otto Mühl<br />
Schlechte Karten einem Foto sehen, das ich noch habe und<br />
Natürlich habe seit über vierzig Jahren<br />
mit ihr und dem Vater zu tun, nämlich,<br />
seit beide in kurzem Abstand nacheinander<br />
gestorben sind. Ich führe oft Gespräche<br />
mit ihnen. Manches würde ich gerne<br />
nachholen. Etwa so, dass der Sohn vor sie<br />
tritt, den Arm um die Schultern seiner<br />
Frau gelegt, und sagen würde: Mutter, das<br />
ist sie. Wir kümmern uns um dich.<br />
Aber so war es nicht. Der Sohn hatte<br />
keine Frau, und er hing wie ein Kind an<br />
seiner Mutter, die er ein Leben lang zu<br />
verlieren fürchtete. Die Gefahr des Verlustes<br />
bestand wirklich seit vierzig Jahren.<br />
Damals war er Sechs, der Vater dienstlich<br />
seit Monaten in einer anderen Stadt.<br />
Der Vater hatte ihr einen Schallplattenkasten<br />
mit Arm geschickt, und auf<br />
dem wurde immer wieder „Träumerei“<br />
von Schumann gespielt. Mit diesem<br />
Kasten, mir und einem halben Dutzend<br />
Nachbarskindern zog sie in den nahen<br />
Tannenwald. Wir setzten uns auf den<br />
nadelbedeckten Waldboden, der Kasten<br />
jammerte vor sich hin. Sie trug eine weiße,<br />
kurzärmlige Bluse, das kann ich auf<br />
von dem ich nicht weiß, wer es geknipst<br />
hat.<br />
Der Waldboden war schon kühl. Das war<br />
der Grund, dass sie am nächsten Tag erkältet<br />
war und fi eberte.<br />
Das Fieber nahm täglich zu. Plötzlich bekam<br />
sie heftige Gelenkschmerzen, konnte<br />
nicht mehr aufstehen. Es blieb ihr und<br />
mir nichts übrig, als in die Zweizimmerwohnung<br />
der Schwiegermutter zu ziehen,<br />
die in einem grauverputzten Arbeiterhaus<br />
lebte, dass noch heute steht.<br />
Das aber war vor achtzig Jahren. Es besuchte<br />
sie Dr. Bär, ein freundlicher, jüdischer<br />
Arzt, aber ich weiß nicht, ob er viel<br />
für sie tun konnte. Ihre Schultern wurden<br />
in Watte eingepackt, aber die Schmerzen<br />
hielten noch länger an. Sie lag auf dem<br />
Sofa in der Wohnstube, ich auf der hölzernen<br />
Eckbank am Fenster. Während der<br />
ganzen Nacht hörte ich ihr Stöhnen. Ich<br />
war froh, wenn der Morgen kam und die<br />
Großmutter Babette einen großen Becher<br />
Kathreiner-Kaffee brachte. Ich glaube, es<br />
hat mir gegen die Langeweile gereicht, den
ganzen Tag durch das Fenster im fünften<br />
Stockwerk nach unten zu blicken, auf die<br />
Leute, die vorbeigingen, auf die Kleingärten,<br />
auf den grünen Ludwigs-Donau-Main-<br />
Kanal, in dem ich schon oft auf dem Rücken<br />
meines Vaters geschwommen war.<br />
Als ihre Schmerzen abgeklungen waren,<br />
gingen wir in unser kleines Einfamilien-<br />
Reihenhaus zurück. Aber meine Mutter<br />
hatte jetzt einen Herzklappenfehler, der sie<br />
für ihr Leben zu einem Herzkrüppel machte.<br />
Das hat sie nicht daran hindern können,<br />
ihr Leben lang zu arbeiten, daheim, im<br />
Krieg als Leiterin eines Fischgeschäfts, und<br />
stets im lebhaften Kontakt mit Freundinnen<br />
und Bekannten. Mein Vater war treu,<br />
aber mürrisch, die Leute verstanden jedoch<br />
auf dem Umweg über sie, dass er liebenswert<br />
war.<br />
Als Kindermädchen in den Zwanziger Jahren<br />
hatte sie nur einen Abend in der Woche<br />
frei, und da ging sie ins Kino. Ein Wunder,<br />
dass sie einen Mann fand, das wurde mein<br />
Vater. Aber eigentlich mussten sie sich immer<br />
schon gekannt haben, so kam es mir<br />
vor.<br />
Nicht, dass sie es mir so ausführlich erzählt<br />
hatte, aber ich kannte ihre Vergangenheit<br />
als wäre es meine aus vielen, kurzen Erwähnungen.<br />
Ich sehe sie noch heute vor mir als<br />
barfüßiges Mädchen in der Oberpfalz. Sie<br />
hat im Wald mit anderen Kindern Beeren<br />
gesammelt, da kommt der Förster heran.<br />
Die Kinder stellen sich an den Wegrand<br />
und grüßen aufmerksam.<br />
Barfuß geht sie in die Klosterschule. Wenn<br />
sie geschwatzt hat, muss sie die Hände ausstrecken,<br />
und die Ordensschwester schlägt<br />
mit einem Stock darauf. Sie wohnt mit der<br />
Mutter bei der Tante, bis die Mutter einen<br />
Mann fi ndet, der sie heiratet. Er ist Porzellanmaler<br />
und lernt sie in der Porzellanfabrik<br />
kennen, wo sie als Packerin arbeitet.<br />
In der Schule bekommt meine Mutter,<br />
das uneheliche Kind, in jedem Fach eine<br />
Eins, nur nicht im Singen. Zwar singt sie<br />
hingebungsvoll, am liebsten das Lied von<br />
der Gärtnersfrau, die weint, aber angeblich<br />
stimmen die Töne nicht. Als die Schulzeit<br />
zu Ende geht, möchte der Lehrer sie auf ein<br />
Lehrerseminar schicken, aber der Pfarrer ist<br />
dagegen. Ihm missfällt, dass der Stiefvater,<br />
ein Sozi, inzwischen Vorstand im Konsumverein<br />
geworden ist, und außerdem ist<br />
sie ein uneheliches Kind, das immer erst<br />
beliebt sein muss, ehe es so mitmachen darf<br />
wie alle anderen. Also wird nichts daraus,<br />
sie muss in die Fabrik.<br />
Das alles scheint nicht zu schaden. Sie ist<br />
und bleibt ein fröhlicher Mensch, der über<br />
alles in der Welt Bescheid weiß, und zwar<br />
von Natur aus. Was sie nicht erfährt oder<br />
liest, denkt sie sich aus.<br />
So war auch ihre Mutter. Die hat schon<br />
Preise gewonnen für Werbeverse, die sie bei<br />
Wettbewerben von Firmen eingesandt hat.<br />
Großmutters Vorfahren machten zwar keine<br />
Verse, aber sie zogen mit dem Malersack<br />
auf dem Rücken von Kloster zu Kloster<br />
und boten ihre Kunst an. In manchen<br />
Klöstern der Oberpfalz ist sie heute noch<br />
zu sehen.<br />
Meine Mutter bleibt nicht lange Packerin,<br />
sondern geht als Kindermädchen zu einer<br />
Fabrikantenfamilie in die Großstadt. An<br />
einem Kino-Abend, dem einzig möglichen<br />
in der Woche, lernt sie ihren Mann<br />
kennen. Er hat schon früh seine Haare<br />
verloren, aber er hat blitzende Zähne, einen<br />
Bausparvertrag und ist ein zuverlässiger<br />
Maschinenschlosser. So beginnt das nächste<br />
große Abenteuer ihres Lebens. Schon bald<br />
lernt sie noch einen wichtigen Menschen<br />
kennen, nämlich mich.<br />
Ich erlebe nichts, was sie nicht miterlebt.<br />
Ich bin das einzige Kind, und sie ist nun auf<br />
lange Jahrzehnte hin nur Hausfrau in einem<br />
kleinen Haushalt, und dazu noch krank;<br />
mein Leben ist ihre Zukunft, und ihre Unternehmungen<br />
gipfeln im Umräumen von<br />
Schränken oder in Koch-Experimenten.<br />
Und dennoch sehe ich heute, dass sie es<br />
weit gebracht hätte, wenn sie auch nur die<br />
geringste Chance gehabt hätte.<br />
Ich hatte die Überzeugung, dass ich der<br />
Einzige war, der ihr Herz besaß. Mein<br />
Vater war ein stiller Mann, der meistens<br />
etwas gekränkt wirkte. Meine Überzeugung<br />
wurde nicht dadurch beeinträchtigt, dass<br />
ich sie und ihn sonntagmorgens fröhlich<br />
schwatzend nebeneinander im Doppelbett<br />
liegen sah, dass sie sonntags zusammen<br />
spazieren gingen, dass sie Abend für Abend<br />
in der kleinen Dachkammer beieinander<br />
waren. Das schien mir so selbstverständlich<br />
wie der Sonnenaufgang und es beeinträchtigte,<br />
wie gesagt, meine Überzeugung nicht.<br />
Es machte die Welt ein wenig sicherer. In<br />
Krankheitsphasen war ich freilich immer<br />
der Erste, der den Arzt holte oder sie später<br />
bei Herzanfällen ins Krankenhaus schaffte.<br />
Aber wir waren freilich auch Rivalen, der<br />
Vater und ich. Ich war der bessere Beschützer,<br />
glaubte ich, tat mehr für sie, beschützte<br />
sie tatsächlich auch nicht selten vor seiner<br />
Ruppigkeit und Rücksichtslosigkeit. Bis in<br />
die Nachkriegsjahre teilte er ihr das Wirtschaftgeld<br />
zu. Es bedurfte langer Verhandlungen,<br />
bis ich ein paar neue Schuhe bekam.<br />
Aber ich sah auch nicht, dass er der getreue,<br />
stille Eckehart war, der bescheidene Mann,<br />
der auf Auseinandersetzungen mit dem besserwisserischen<br />
Sohn verzichtete. Er hätte<br />
mit bescheideneren Mitteln auf geduldige<br />
Art auch für sie gesorgt.<br />
Ich war ein Muttersohn, jedoch einer, der<br />
das tat, was er für richtig hielt oder nicht<br />
lassen konnte, aber schließlich doch der<br />
Sohn meiner Mutter, der von ihr das Leben<br />
gelernt hatte.<br />
Es kam der Zweite Weltkrieg. Der Sohn<br />
blieb für viele Jahre weg, der Mann blieb<br />
da. Die Stadt wurde zerbombt, Tausende<br />
starben. Die verbrannten und geschrumpften<br />
Leichen lagen am Straßenrand, der<br />
Mann musste zum Aufräumkommando.<br />
Sie leitete ein kleines Fischgeschäft. Manche<br />
Freunde berichteten später von dem einen<br />
oder anderen kleinen Fisch, den sie ihnen<br />
zugesteckt hatte.<br />
Und dann, nach vielen Jahren, hatte sie<br />
wieder einmal einen richtig lebensbedrohenden<br />
Anfall. Wasser hatte sich im<br />
Lungenraum angesammelt. Sie verdrehte<br />
die Augen und verlor das Bewusstsein. Der<br />
Sohn rannte im Laufschritt drei Kilometer<br />
weit, um den Arzt zu holen. Im Hause hatte<br />
damals niemand Telefon.<br />
Das Krankenhaus hatte keinen Platz, aber<br />
für einen Privatpatienten eben doch. Der<br />
Sohn hatte einige Hundert Mark Erspartes,<br />
die reichten und verschafften ihr einen völlig<br />
anderen sozialen Status. Chefarzt und<br />
Oberärztin standen lächelnd an ihrem Bett,<br />
Schwestern verwöhnten sie, und gerettet<br />
war sie auch. Eine lange Periode der Unsterblichkeit<br />
lag vor ihr, dem Mann und<br />
dem Sohn, die Sonne strahlte in das helle<br />
Krankenzimmer. Als sie wieder in ihre Wohnung<br />
zurückkehrte, sagte die Nachbarin zu<br />
ihr: „Für Geld blasen sie dir Zucker in´n<br />
Arsch.“<br />
45
46<br />
Nie mehr fi el sie zurück in das Lebensgefühl<br />
des rechtlosen, unehelichen Mädchens<br />
aus der Oberpfalz. In den kommenden<br />
Monaten fuhr ich sie fast täglich mit dem<br />
Auto, das ich von der Firma bekommen<br />
hatte, nach Dienstschluß und am Wochenende<br />
durch die schönsten Landschaften. Sie<br />
schaute mit glänzenden Augen hinaus und<br />
freute sich.<br />
Und dann geschah es doch. Sie bekam Fieber,<br />
die Verdauung funktionierte nicht. Einlauf,<br />
Abführmittel, nichts half. Wieder kam<br />
sie ins Krankenhaus, und dort fand man<br />
erst heraus, was sie schon seit Jahren als<br />
zweite, schwere Krankheit hatte – Darmkrebs.<br />
Der Arzt hatte es nicht erkannt.<br />
Schon zwei Stunden nach ihrer Einlieferung<br />
wurde sie operiert. Draußen warteten<br />
Mann und Sohn. Der Arzt kam heraus und<br />
sagte: „Wir haben sie gleich wieder zugemacht.<br />
Es war schon alles schwarz.“<br />
„Wie lang hat sie noch zu leben?“ fragte ich.<br />
„Höchstens noch bis morgen.“<br />
Der Vater und ich saßen an ihrem Bett, als<br />
sie am Nachmittag langsam erwachte. „War<br />
es Krebs?“<br />
„Ach, Unsinn!“ sagte ich empört. „Nur<br />
Darmverschluss.“ Sie nickte lächelnd und<br />
beruhigt. Es war besprochen worden, dass<br />
sie keine Herzmittel bekommen sollte, aber<br />
Dolantin. Ich hoffe, es hat sie glücklich<br />
gemacht. Bevor sie am Abend einschlief,<br />
bestand sie noch darauf, dass Vater und ich<br />
mit Essen und Tee versorgt wurden. Dann<br />
fuhren wir in meinem kleinen Auto nach<br />
Hause, bis ein Anruf kam – „es wird bald<br />
zu Ende sein“.<br />
Sie war bewußtlos, atmete schwerer und<br />
mit immer größeren Intervallen. Der unentbehrlichste<br />
Mensch auf der Welt starb.<br />
Als sie zu atmen aufgehört hatte, gingen<br />
wir hinaus – ich kehrte an der Türe noch<br />
einmal um, küsste sie auf die Stirn und fl üsterte<br />
ihr etwas zu.<br />
Wieder fuhren wir nach Hause. Trostlosigkeit<br />
im Gesicht meines Vaters, dem das<br />
Licht seines Lebens genommen war; mir<br />
liefen die Tränen über die Wangen. Heute<br />
erinnere ich mich an den Satz eines jüdischen<br />
Emigranten: „Ich bin jetzt Neunzig,<br />
aber die Mutter fehlt mir immer noch.“<br />
Karl Otto Mühl<br />
Neue Kunstbücher<br />
Über Architektur<br />
vorgestellt von Thomas Hirsch<br />
Zunehmend hat sich die Architektur nicht<br />
nur als wichtiger Aspekt unserer urbanen<br />
Wahrnehmung und unseres Wohlbefi ndens<br />
erwiesen, sondern auch als eigene<br />
Gattung der visuellen Kunst etabliert.<br />
Konsequenterweise spiegelt sich dies in der<br />
Menge an Buchveröffentlichungen, auch<br />
den Ausstellungen heutiger Tage wider.<br />
Konstatiert bzw. destilliert werden spezifi<br />
sche (monographische) Handschriften<br />
zur Ästhetik und Funktionalität, dann der<br />
Zustand im Städtebau zwischen Tradition,<br />
gewachsener Struktur und globaler<br />
Avantgarde, wobei noch die zunehmende<br />
Nomadisierung der Bevölkerung und ein<br />
wachsendes Interesse für andere Kulturen<br />
mitschwingen ... Die Architektur hat sich<br />
damit aus den Reservaten der fachspezifi<br />
schen Theorie und der Kunstgeschichte<br />
„befreit“ und setzt sich nun zugleich einer<br />
kritischen Rezeption aus – sie ist Allgemeingut.<br />
Derartige Überlegungen berührt schon<br />
eine recht klar umfasste kulturgeschichtliche<br />
– komparativistische – Untersuchung,<br />
die das Fenster als Moment der Architektur<br />
in seiner Relevanz, Bildhaftigkeit und<br />
Bedeutung begreift. Spätestens seit der<br />
deutschen Romantik ist dessen Stellung<br />
Rolf Selbmann: Die Kulturgeschichte des<br />
Fensters, 222 S. mit 126 farb. Abb., geb.<br />
mit Schutzumschlag, 24,7 x 17,5 cm,<br />
Reimer, 39,- Euro<br />
zwischen baulichem Element, metaphysischer<br />
Vermittlung von Innen und Außen<br />
und metaphorischem Ausblick in die Ferne<br />
offensichtlich. Das Buch „Die Kulturgeschichte<br />
des Fensters“ geht dem nach,<br />
indem der Autor Rudolf Selbmann – als<br />
professioneller Literaturwissenschaftler<br />
– neben die Kunst die Literatur und in<br />
Ansätzen auch den Film setzt. Das Vorgehen<br />
an sich ist sinnvoll und sein Buch ist<br />
eine relativ kurzweilige Stoffsammlung.<br />
Es reicht freilich nur selten in die Tiefe,<br />
hat noch etwas Zerstreutes, zwar nicht<br />
Beliebiges, aber bisweilen doch wenig Ergiebiges.<br />
Schnell gesagt, ein Verschenkbuch<br />
der Kulturinteressierten, aus dem man<br />
noch einiges lernen kann. Also, zumal zu<br />
Weihnachten: Gut.<br />
Eine ganz andere Intensität und Leidenschaft<br />
kennzeichnet demgegenüber Bruno<br />
Tauts „Nippon mit europäischen Augen<br />
gesehen“: die Rückübersetzung seiner<br />
Aufzeichnungen nach mehr als einem<br />
dreiviertel Jahrhundert. Taut schildert<br />
mit dem geschulten Blick der Architekturkoryphäe<br />
und mit dem Staunen des<br />
Auswärtigen skizzenartig, wissbegierig, nie<br />
langweilig, dabei sehr kenntnisreich seine<br />
Eindrücke vor Ort. Seine Ausführungen<br />
werden unterstützt durch eigene, oft laienhafte<br />
Fotografi en, die Tauts Möglichkeiten<br />
Bruno Taut: Nippon mit europäischen<br />
Augen gesehen, 215 S. mit 210 s/w-Abb.,<br />
Broschur, 24 x 17 cm, Gebr. Mann Verlag,<br />
59,- Euro
geschuldet sind, sowie (qualitativ bessere)<br />
Fremdaufnahmen: Sie zeigen Beispiele der<br />
profanen und kultischen Architektur in<br />
Japan, aber auch vergleichende Bauten der<br />
klassischen Antike bis hin zu Tauts eigenen<br />
Siedlungsanlagen. Weiterhin fi nden sich,<br />
entsprechend zu seinen Notizen, Aufnahmen<br />
vom alltäglichen Leben in Japan,<br />
welches den damaligen Europäern recht<br />
fremd war. Daran zeigt sich, dass Taut<br />
die Baukunst in der Gesellschaft verortet.<br />
Nebenbei ist die Entstehungsgeschichte<br />
dieses Buches bemerkenswert. Nach dem<br />
Reichstagsbrand am 1. März 1933 hatte<br />
Bruno Taut mit seiner Lebensgefährtin<br />
Deutschland fl uchtartig per Schiff verlassen<br />
und war in Japan freundschaftlich<br />
aufgenommen worden. Dazu gehört der<br />
Auftrag des Meiji Shobo Verlages an den<br />
berühmten Gast schon nach zwei Monaten<br />
Aufenthalt, seine Erkenntnisse zum<br />
Städtebau niederzuschreiben. Bereits 1934<br />
erschien in Japan die Erstausgabe, die Taut<br />
später ergänzt hat, als er seinen Aufenthalt<br />
in Japan verlängern konnte und dort bis zu<br />
seinem Tod 1938 blieb. Japan wurde für<br />
ihn zur Herzensangelegenheit.<br />
Dieses Buch ist zweierlei. Es ist eine gut<br />
lesbare, von kritischer Hochachtung<br />
geprägte Refl ektion zu Japan, zu seiner<br />
Geschichte und Kultur, die den Städtebau<br />
und die Architektur fokussiert. Zudem<br />
vermittelt es Bruno Tauts eigene Haltung<br />
und Verantwortung bei seiner Tätigkeit als<br />
Architekt. In Deutschland fast unbekannt,<br />
könnte dieses Buch schon den Japan-Interessierten<br />
überhaupt interessieren. Ergänzt<br />
um ein Glossar, ist es ein tiefschürfender<br />
und hilfreicher Zugang zu diesem so<br />
fernen Land.<br />
War sich Bruno Taut der Veröffentlichung<br />
seiner Aufzeichnungen bereits<br />
beim Aufschreiben sicher, so musste Ernst<br />
Scheidegger bei einem in etwa vergleichbaren<br />
Unterfangen bis jetzt warten. Es geht<br />
um Chandigarh – eine richtig spannende<br />
Sache, damals und aus der heutigen<br />
Perspektive. Die indische Regierung hatte<br />
mehrere europäische Architekten um Le<br />
Corbusier beauftragt, eine eigene Stadt zu<br />
bauen mit den erforderlichen kommunalen<br />
Einrichtungen, welche den Architekten<br />
unterschiedlichen Spielraum zur Selbstverwirklichung<br />
ließen. Schon während der<br />
Bauphase, angeregt von der Konzeption<br />
Chandigarh 1956, Fotografi en von Ernst<br />
Scheidegger, 269 S. mit 140 farb. u. 135 s/w-<br />
Abb., geb. mit Schutzumschlag, 27 x 26 cm,<br />
Scheidegger & Spiess, 55,- Euro<br />
zu Chandigarh hatte Ernst Scheidegger<br />
als Dokumentarfotograf die Idee, diese<br />
und künftige architektonische Großunternehmungen<br />
mit Veröffentlichungen zu<br />
begleiten, bei denen Fotografi en und Texte,<br />
auch Entwurfszeichnungen der Architekten<br />
zusammentreffen. Vergeblich hat er<br />
sich deswegen an einen Verlag gewandt.<br />
– Was früheren Leserschaften dadurch<br />
entging, das teilt nun „Chandigarh 1956“<br />
mit, erschienen in Scheideggers eigenem<br />
Verlag, wobei dies aber keineswegs die<br />
Bedeutung dieser Monographie schmälert.<br />
Im Gegenteil spürt man die Genauigkeit,<br />
die Suche nach der richtigen Umsetzung<br />
in Buchform, über fünf Jahrzehnte später.<br />
Dazu tragen auch die (neuen) Texte<br />
bei, die der Bedeutung von Chandigarh<br />
nachgehen und die Rolle der Architekturfotografi<br />
e ausloten. Daneben stehen<br />
die Aufnahmen von Scheidegger, teils in<br />
Farbe, die auch Bausituationen und eindrucksvolle<br />
Genreszenen der Bevölkerung<br />
berücksichtigen und ebenso die Leistung<br />
der einzelnen Architekten bei den verschiedenen<br />
Bauten wie Gericht oder Universität<br />
herausarbeiten. Scheidegger vermittelt hier<br />
zwischen dem objektiven Blick von Außen<br />
und den Ideen der Architekten selbst und<br />
spricht implizit die Differenz europäischer<br />
Sichtweisen zum Leben in Indien an. Heute<br />
sehen wir, welche Tragweite Chandigarh<br />
hatte und können vielleicht Erkenntnisse,<br />
Parallelen zu heutigen Modellen von Stadt<br />
und Urbanität ableiten – und erkennen,<br />
wie fein und umfassend sich Scheidegger<br />
diesen Fragen genähert hat.<br />
Auf eine andere, aberwitzige, in ihrem<br />
Zeitgeistigen bewusst nervige Weise<br />
verschafft sich eine vierte Neuerscheinung<br />
Raum: „Metahaven: Uncorporate<br />
Identity“. „Metahaven“, das in Brüssel<br />
und Amsterdam ansässige Design Studio,<br />
ist äußerst engagiert mit seinen Entwürfen<br />
zwischen Fiktion und Realität<br />
in der Verknüpfung von Werbemarken<br />
mit gesellschaftlichen Themen und<br />
geopolitischen Konfl ikten. Ein zentrales<br />
Projekt war „Sealand“, auch dies eine<br />
Art Planstadt, vor allem aber fi ktionaler<br />
Staat, nunmehr als Archetypus für nichts<br />
anderes als die Zukunft. Propagiert wird<br />
dafür eine Plattform im internationalen<br />
Gewässer – als unabhängiger Staat noch<br />
mit eigenen Briefmarken, Personalausweis<br />
etc. Natürlich ist auch dies Provokation,<br />
die jeder Vorstellung von Identität<br />
eine andere entgegensetzt. Dabei ist das<br />
dickleibige Buch selbst ein künstlerischer<br />
Beitrag mit der Tendenz zum Designobjekt,<br />
zu verstehen auch als Arbeitsbuch<br />
oder Konzeptalbum, Stoffsammlung<br />
mit zahlreichen (englisch abgedruckten)<br />
Interviews und theoretischen Texten in<br />
Magazin-artiger Grafi k. Ein unangenehmer<br />
Dschungel also, aber mit einigen<br />
berauschenden Momenten nuancierender<br />
Sicht zur Globalisierung und – natürlich<br />
– zur Verantwortung der Medien, die<br />
unsere Wahrnehmung präparieren: von<br />
Design und Städtebau heute.<br />
Metahaven: Uncorporate Identity, engl., 608 S.,<br />
durchgehend farbig, Broschur, 24 x 17 cm,<br />
Lars Müller Publishers, ca. 48,- Euro<br />
47
48<br />
„Joseph Beuys. Parallelprozesse“<br />
in der Kunstsammlung<br />
Nordrhein-Westfalen<br />
Joseph Beuys, um 1980<br />
Düsseldorfer Heimspiel<br />
Hohepriester eines radikal neuen<br />
Kunstbegriffs oder dreister Provokateur,<br />
sensibler Zeichner oder Protagonist einer<br />
kruden Materialästhetik, Messias einer<br />
besseren Gesellschaft oder politischer<br />
Phantast, Schamane oder Scharlatan – an<br />
Beuys (1921–1986) haben sich schon<br />
immer die Geister geschieden, und auch<br />
die aktuelle Werkschau in der Düsseldorfer<br />
Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen<br />
dürfte bei allem Publikumsinteresse daran<br />
kaum etwas ändern. Und das, obwohl der<br />
Künstler längst einen festen Platz in der<br />
Kunstgeschichte der zweiten Hälfte des<br />
20. Jahrhunderts hat, die Forschungsliteratur<br />
Regale füllt und in den Medien<br />
über Beuys mehr als über jeden anderen<br />
Künstler berichtet wird.<br />
Nachdem sich der im Juni verstorbene<br />
Gründungsdirektor und langjährige Leiter<br />
der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen<br />
Werner Schmalenbach stets geweigert<br />
hatte, den jahrzehntelang in Düsseldorf<br />
lebenden und arbeitenden Beuys in<br />
seinen Räumen auszustellen, richtete sein<br />
Nachfolger Armin Zweite dem rheinischen<br />
Avantgarde-Künstler im Jahr 1991<br />
eine große und seinerzeit vielbeachtete<br />
Ausstellung unter dem Titel „Natur, Materie,<br />
Form“ ein. Nun sucht sich fast zwei<br />
Jahrzehnte danach Zweites erst kürzlich<br />
in die rheinische Metropole gekommene<br />
Nachfolgerin Marion Ackermann im<br />
Rahmen der diesjährigen Düsseldorfer<br />
Quadriennale an der damaligen Ausstellung<br />
zu messen, indem sie Beuys unter<br />
dem Motto „Parallelprozesse“ präsentiert.<br />
Ihr Ziel ist es, die Vielgestaltigkeit und<br />
Vielschichtigkeit des Beuysschen Œuvres<br />
darzustellen und dessen „komplexe<br />
Vernetzungsstrukturen … sichtbar und<br />
sinnlich erfahrbar“ zu machen. So geht<br />
es um die Parallelitäten von Zeichnung<br />
und Bildhauerei, von Installationen und<br />
Performance, von künstlerischem Denken<br />
und politischem Handeln; und um die<br />
Konvergenz all dieser Aspekte in dem von<br />
Beuys postulierten „erweiterten Kunstbegriff“,<br />
der die – letztlich uneinlösbare –<br />
Aufhebung der Differenz von Kunst und<br />
Leben bedeutet.<br />
Mit einem klaren, der Chronologie<br />
verpfl ichteten und zugleich thematisch<br />
gliedernden Konzept versucht die Düsseldorfer<br />
Ausstellung, Beuys dem Besucher<br />
näherzubringen. Die Darbietung des<br />
Materials kreist um jeweils exemplarisch<br />
ausgewählte Artefakte, die für die entsprechende<br />
Werkphase signifi kant sind. Den<br />
Auftakt bildet der „Torso“ (Abb. 2) von<br />
1949/51, eine Arbeit, die in der Akademiezeit<br />
von Joseph Beuys entstand und<br />
die sich, obwohl vermutlich von seinem<br />
Lehrer, dem Bildhauer Ewald Mataré<br />
angeregt, doch in ihrem vermeintlichen<br />
Nonfi nito (sie befi ndet sich bis heute<br />
auf dem Modellierbock und bildet mit<br />
ihm gleichsam eine Einheit), deutlich<br />
von den straffen, geschlossenen Formen<br />
des Lehrers unterscheidet. So zeugt der<br />
Abb. 2, Torso, 1949-51
Abb. 3, Ohne Titel, 1957-58<br />
„Torso“ von Fragilität, Verletzlichkeit<br />
und Vergänglichkeit, und schon früh sind<br />
damit ein zentrale Themen des späteren<br />
Œuvres von Beuys angeschlagen.<br />
Gut dokumentiert sind in Düsseldorf die<br />
frühen Zeichnungen des Künstlers (Abb.<br />
3), die Mensch und Tier (vorwiegend<br />
Hase und Hirsch) thematisieren - Blätter,<br />
die in ihrer scheinbaren Unfertigkeit<br />
und in ihrem unakademischen Erscheinungsbild<br />
unverwechselbar sind. Eduard<br />
Beaucamp hat schon dem jungen Beuys<br />
bescheinigt, daß er in seinen Zeichnungen<br />
versuche, „die Formalisierungen der<br />
modernen Kunst rückgängig zu machen<br />
und in der Kunst so etwas wie die Einheit<br />
allen Lebens wiederherzustellen.“<br />
Fett und Filz<br />
Symbole des Lebens bzw. des Lebendigen<br />
sind zwei Materialien, die geradezu<br />
Markenzeichen des Künstlers geworden<br />
sind und sich vom herkömmlichen<br />
Materialfundus eines Bildhauers radikal<br />
unterscheiden: Fett und Filz (Abb. 4).<br />
Bei einigen sog. Naturvölkern spielt Fett<br />
im Rahmen von Beschwörungsriten eine<br />
besondere Rolle, wo es zusammen mit<br />
Blut Bestandteil magischer Substanzen<br />
oder auch bestimmendes Element von<br />
Ritualobjekten selbst sein kann – so etwa<br />
in afrikanischen Fetischskulpturen. Mag<br />
auch bei Beuys das Fett zuweilen die<br />
Qualität des Magischen annehmen, so hat<br />
es für ihn vor allem als organisches Mate-<br />
rial und als Material, das Prozeßhaftigkeit<br />
anschaulich werden läßt (Erstarren und<br />
Zerfl ießen und umgekehrt) eine besondere<br />
Bedeutung. Es ist für ihn Energieträger,<br />
wie auch Filz für ihn ein Energiespeicher<br />
ist. Beide Materialien ziehen sich als<br />
Konstanten durch sein Werk und treten<br />
zuweilen auch miteinander kombiniert<br />
gemeinsam auf.<br />
Immer wieder wird zum Verständnis der<br />
Beuysschen Arbeiten auf Biografi sches<br />
Abb. 4, Filzkreuz, 1965<br />
Abb. 6, Stripes from the house of the shaman 1964–72, 1980<br />
zurückgegriffen, mit Vorliebe auf die<br />
Erzählung des Künstlers, er sei im Krieg<br />
als deutscher Sturzkampffl ieger von russischer<br />
Flak getroffen worden und mit dem<br />
Flugzeug abgestürzt; Krimtataren hätten<br />
ihn, der mit schweren Verletzungen den<br />
Absturz überlebt hatte, entdeckt und<br />
tagelang gepfl egt, indem sie seine Wunden<br />
mit tierischem Fett behandelt und<br />
ihm mit Filzbandagen Wärme gespendet<br />
hätten; in dieser Zeit habe er starke<br />
Abb. 5, Eurasienstab, 1968-69<br />
49
50<br />
Abb. 7, The Pack (Das Rudel), 1969<br />
Eindrücke durch die fremde Landschaft<br />
und die Lebensgewohnheiten der ihm<br />
unbekannten Menschen empfangen, die<br />
sein späteres künstlerisches Tun maßgeblich<br />
beeinfl ußt hätten, insbesondere was<br />
Phänomene wie Ritual und Schamanismus<br />
anbelangt. Tatsächlich handelt es sich<br />
hier aber um eine der Selbststilisierung<br />
dienende Geschichtsklitterung, denn<br />
es gilt als erwiesen, daß Beuys bereits<br />
einen Tag nach seinem Absturz von den<br />
Tataren an ein deutsches Suchkomman-<br />
do überstellt wurde. Gleichwohl deutet<br />
die künstlerische Nutzung von Fett und<br />
Filz auf Prägungen hin, die mit seinen<br />
(traumatischen) Erfahrungen im Zweiten<br />
Weltkrieg in Zusammenhang gebracht<br />
werden können, und Werktitel wie<br />
„Transsibirische Bahn“, „Eurasienstab“<br />
(Abb. 5), „Sibirische Symphonie“ oder<br />
„Stripes from the house of the shaman<br />
1964–72“ (Abb. 6) weisen ebenfalls in<br />
diese Richtung.<br />
Die großen Installationen:<br />
Abb. 8, Blitzschlag mit Lichtschein auf<br />
Hirsch, 1958–85<br />
Abb. 9, Palazzo Regale, 1985<br />
Der Schwerpunkt der Düsseldorfer Werkschau<br />
liegt auf den großen Installationen<br />
des Künstlers wie „The pack (Das Rudel)“<br />
(1969, Abb. 7), „Fond IV/4 (1970/71),<br />
„Zeige Deine Wunde“ (1974/75), „Straßenbahnhaltestelle“<br />
(1976), „Blitzschlag<br />
mit Lichtschein auf Hirsch“ (1958–85,<br />
Abb. 8) oder „Palazzo Regale“ (1985,<br />
Abb. 9). Das sind Environments, die<br />
eindrucksvoll nicht nur Beuys’ eigenwillige<br />
Materialästhetik, sondern auch seine<br />
individuelle, hochgradig idiosynkratische<br />
Symbolwelt dokumentieren. Daß letztere<br />
sich auch Jahrzehnte nach Entstehung<br />
dieser raumgreifenden Installationen<br />
nicht immer spontan und umstandslos<br />
erschließt, liegt auf der Hand. Bis heute<br />
ist das Beuyssche Œuvre in hohem Maße<br />
kommentarbedürftig geblieben. Zwar war<br />
Beuys selbst immer bemüht, seinen außerordentlich<br />
hermetischen ästhetischen<br />
Idiolekt durch fortwährende Eigenkommentare<br />
vor der Gefahr der Fehldeutung<br />
zu bewahren, wobei er solcherlei Begleitrhetorik<br />
– ganz im Sinne seines ganzheit-
Abb. 10, Honigpumpe am Arbeitsplatz,<br />
Inszenierung in der Ausstellung ‚Parallelprozesse‘<br />
lichen Denkens – als Bestandteil seiner<br />
„Plastischen Theorie“ begriff: „Denken<br />
ist Plastik, Sprechen ist Plastik und sollte<br />
betrachtet werden wie ein Kunstwerk.“<br />
Gleichwohl ist es nicht unproblematisch,<br />
die Selbstkommentare des Künstlers als<br />
Werkschlüssel zu benutzen, und da die<br />
Ausstellung kaum fl ankierendes Material<br />
zum Werkverständnis anbietet, empfi ehlt<br />
sich unbedingt das mit mehr als 400<br />
Seiten umfangreiche Katalogbuch, das<br />
fundierte Beiträge zahlreicher Autoren zu<br />
den unterschiedlichsten Werkaspekten<br />
enthält.<br />
Kritische Einwände<br />
Als Mitstreiter der Fluxus-Bewegung<br />
ging es Beuys seit den Sechziger Jahren<br />
des letzten Jahrhunderts immer seltener<br />
um das statische Einzelwerk, sondern<br />
zunehmend um Prozessuales, und zwar<br />
zunächst noch im Radius künstlerischer<br />
Praxis, dann – diesen transzendierend<br />
– im Sinne übergreifender sozialer<br />
Prozesse und politischer Aktionen. Dies<br />
ist ein Aspekt, der in der Düsseldorfer<br />
Ausstellung deutlich zu kurz kommt.<br />
Zwar werden einige hochinteressante<br />
fi lmische Dokumentationen diverser,<br />
zum Teil schamanistisch inspirierter<br />
Fluxus-Performances gezeigt, doch alles<br />
Abb. 11, Honigpumpe am Arbeitsplatz,<br />
Originalinstallation auf der ‚documenta<br />
6‘, Kassel 19<br />
scheint wie geronnen und eingefroren,<br />
und die unterkühlt museale, klinisch<br />
reine Atmosphäre kommt einem Begräbnis<br />
erster Klasse gleich. So erscheint zum<br />
Beispiel das Arrangement „Honigpumpe<br />
am Arbeitsplatz“ (1977, Abb. 10) als<br />
sinnlose Akkumulation ausgedienter<br />
Gerätschaften. Von den lebendigen<br />
Vorgängen, die einst auf der „documenta<br />
6“ in Kassel stattfanden, ist nichts mehr<br />
erfahrbar. Wurden seinerzeit zur Visualisierung<br />
biologischer (und ökonomischer)<br />
Kreisläufe zwei Tonnen Honig durch ein<br />
Schlauchsystem gepumpt und gleichzeitig<br />
100 kg Fett von einer motorgetriebenen<br />
Walze verfl üssigt, so ist davon heute nur<br />
noch ein trauriger Haufen funktionsloser<br />
Relikte geblieben (Abb. 11). – Konturlos<br />
bleibt in Düsseldorf auch Beuys’ theoretisches<br />
Konzept, wie es sich in seiner<br />
„Plastischen Theorie“ artikuliert. Im Mittelpunkt<br />
dieser sog. Plastischen Theorie<br />
steht die Idee von der „sozialen Skulptur“,<br />
was nichts anderes bedeutet, als daß es<br />
Beuys als einem genuinem Bildhauer<br />
nicht länger nur darum ging, einzelne<br />
Bildwerke zu formen, sondern die Gesellschaft<br />
als ganzes einem durchgreifenden<br />
Gestaltungs- und Transformationsprozeß<br />
zu unterziehen. Ihm galt die „Kunst als<br />
die eigentliche revolutionäre Kraft“, „als<br />
eigentliche Basis für das gesellschaftliche<br />
Tun“. Daß das für ihn mehr bedeutete als<br />
eine bloße Utopie, macht sein politisches<br />
(auch parteipolitisches) Engagement seit<br />
den späteren Sechziger Jahren deutlich,<br />
von der „Gründung der Deutschen<br />
Studentenpartei“ und der - an Gedanken<br />
des Anthroposophen Rudolf Steiner und<br />
Ideale der Französischen Revolution anschließenden<br />
- „Organisation für direkte<br />
Demokratie durch Volksabstimmung“ bis<br />
hin zu seiner Mitarbeit bei den „Grünen“.<br />
Trotz dieser kritischen Anmerkungen ist<br />
ein Besuch der Ausstellung unbedingt<br />
lohnend, weil zur intensivierten Auseinandersetzung<br />
mit einem der interessantesten<br />
und kontroversesten Künstler<br />
der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert<br />
anregend. Gelegenheit dazu besteht noch<br />
bis zum 16. Januar 2011.<br />
Joseph Beuys. Parallelprozesse<br />
11.09.2010 – 16.01.2011<br />
K20 Grabbeplatz und Schmela Haus<br />
Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-<br />
Westfalen<br />
Grabbeplatz 5<br />
40213 Düsseldorf<br />
Katalog<br />
Zur Ausstellung „Joseph Beuys. Parallelprozesse“<br />
erscheint der gleichnamige<br />
Katalog, mit Texten von Marion<br />
Ackermann, Gottfried Boehm, Wilfried<br />
Kuehn, Isabelle Malz, Maja Naef und<br />
Johannes Stüttgen sowie einem Interview<br />
mit Marina Abramovic, 432 Seiten,<br />
280 Abbildungen in Farbe, gebunden,<br />
herausgegeben von der Kunstsammlung<br />
Nordrhein-Westfalen, Verlag Schirmer/<br />
Mosel, München, 49,90 Euro<br />
Weitere Informationen auf der nervtötenden<br />
Internetseite der Kunstsammlung<br />
NRW: www.kunstsammlung.de<br />
Rainer K. Wick<br />
Fotos: Kunstsammlung NRW<br />
© VG Bild-Kunst,<br />
Bonn 2010 für die Werke von Joseph Beuys<br />
51
52<br />
Ein Bildungserfolg auch im Bergischen<br />
Die SPEE-Akademie<br />
Friedrich Spree von Langenfeld<br />
Friedrich Spee von Langenfeld, der<br />
Dichter, Theologe, humanistischer Denker<br />
und mutiger Tatmensch als Namens-<br />
Geber der SPEE-Akademie.<br />
Wenn irgendwo etwas fehlt oder schlecht<br />
läuft, dann kann man sich entweder<br />
beschweren – oder man macht es einfach<br />
besser. So ungefähr lässt sich die Einstellung<br />
von Jochen Zoerner-Erb auf den<br />
Punkt bringen. „Seit Jahren muss überall<br />
gespart werden. Angebote werden gekürzt<br />
oder fallen ganz weg“, erklärt er und sieht<br />
von dieser Entwicklung vor allem ältere<br />
Menschen betroffen. „Was in dieser Stadt<br />
gefehlt hat, ist ein Angebot, dass sich<br />
ausdrücklich an Menschen in der zweiten<br />
Lebenshälfte richtet“, sagt der gelernte<br />
Theatermann und gebürtige Wuppertaler.<br />
Lange Zeit ist er als Regisseur und<br />
Intendant durch die Welt gereist, hat Inszenierungen<br />
in Kairo, Zagreb, Paris und<br />
München geleitet. Viel hat er gesehen<br />
und ist am Ende doch wieder in Wuppertal<br />
gelandet, wo er Musiktheater wie die<br />
Stücke „Sonnenreise“ und „Halleluja - Hi<br />
Mr Händel“ produzierte. „Es ist dieses<br />
einzigartige Flair der Stadt, das mich nach<br />
all den Jahren wieder hier hin gezogen<br />
hat.“<br />
Jochen Zoerner-Erb ist einer der<br />
Menschen, die sich engagieren, etwas tun<br />
und verändern wollen. Das ist auch der<br />
Grund, warum er vor knapp fünf Jahren<br />
die Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal<br />
mit begründet hat und seit drei Jahren ihr<br />
Vorsitzender ist. Über die Ziele der Akademie<br />
gibt das kostenlose Programmheft<br />
eine eindeutige Auskunft. „Soziale, kulturelle<br />
und politische Bildungsangebote für<br />
Menschen in der zweiten Lebenshälfte“<br />
steht dort geschrieben. Und das ist auch<br />
genau das, worum es Jochen Zoerner-Erb<br />
geht. „Wer heute fünfzig, sechzig oder<br />
siebzig Jahre alt ist, der ist noch fi t, der<br />
möchte was erleben und lernen. Was wir<br />
machen, ist, genau diese bestehende Lücke<br />
im Angebot der Stadt zu füllen und<br />
etwas anzubieten.“ Wer Lust hat, kann<br />
sich Vorträge über die schwierige Finanzlage<br />
der Kommunen anhören, gemeinsam<br />
mit Spitzenköchen ein leckeres Menü<br />
zaubern, Gesprächen am Kamin mit dem<br />
ehemaligen Oberbürgermeister Dr. Hans<br />
Kremendahl lauschen oder sich im Atelier<br />
der Malerin Eva-Maria Schoofs umschauen.<br />
Dass ein Großteil der Angebote dabei<br />
kostenfrei ist, ist für den 61-Jährigen<br />
selbstverständlich. „Unser Engagement<br />
stützt sich vor allem auf ehrenamtliche<br />
Arbeit.“<br />
Mit ihrem Angebot steht die<br />
Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal<br />
nicht alleine da. Sie ist eingebunden in<br />
ein Netzwerk von Akademien, das sich<br />
Der Wuppertaler Spee-Vorstand vor der MUNDUS-Seniorenresidenz: v.l.n.r.: Jochen Zoerner-Erb, Renate Nick-Pfl ugbeil, Jochen Phillips,<br />
Joachim Krug, Marianne Ronneberger, Bernd Lamprecht, Detlev Schmitz u. Michael Kozinowski, Foto Andreas Fischer
Kamingespräch mit Hans Kremendahl, Wuppertaler Ex-OB, Foto Manuel Suarez-Ruiz<br />
über ganz Deutschland erstreckt und das<br />
seinen Ausgangspunkt in der Gründung<br />
der ersten Spee-Akademie 1996 in Düsseldorf<br />
durch Bernhard Lamprecht hat.<br />
Nach Düsseldorf folgten weitere Gründungen<br />
in Mönchengladbach, Berlin<br />
und Hamburg. Heute gehören zu diesem<br />
Netzwerk auch Akademien in Kiel, Bonn<br />
oder Frankfurt. Im Bergischen Land gibt<br />
es seit Jahren eine enge Zusammenarbeit<br />
mit den Städten Remscheid und Solingen,<br />
in denen ebenfalls eigenständige<br />
Spee-Akademien aktiv sind. „Uns ist es<br />
wichtig, unser Angebot möglichst vielen<br />
Menschen zugänglich zu machen“, erklärt<br />
Zoerner-Erb.<br />
Mit der Idee und der Intention,<br />
Bildungsangebote für ältere Menschen zu<br />
organisieren, hätten die bundesweit derzeit<br />
elf Akademien sicherlich durchaus im<br />
Sinne ihres prominenten Namensgeber<br />
gehandelt, dem Moraltheologen, Lyriker<br />
und Schriftsteller Friedrich Spee, geboren<br />
1591 in Kaiserswerth bei Düsseldorf. Der<br />
Mann, über den man heute sagt, er sei<br />
ein „mutiger Tatmensch“ gewesen, trat<br />
als 19-Jähriger gegen den Willen seiner<br />
Eltern in den Jesuitenorden ein und stellte<br />
sein Leben fortan in den Dienst des Allgemeinwohls<br />
und des gelebten Idealismus.<br />
Als einer der ersten wandte sich er gegen<br />
die Hexenfolterung, arbeitete als Seelsorger,<br />
betreute und pfl egte Pestkranke und<br />
war als eigenständiger und zugleich recht<br />
origineller Dichter des Barock aktiv, von<br />
dem unter anderem das Werk „Trutznachtigall“<br />
stammt und zahlreiche Kirchenlieder<br />
in uneren Gesangsbücern zu fi nden<br />
sind. „Wir haben seinen Namen für<br />
unsere Akademie gewählt, weil uns sein<br />
Lebenswerk und sein persönliches soziales<br />
Engagement vorbildlich erscheinen“, sagt<br />
Zoerner-Erb. Einverstanden mit dieser<br />
Namensgebung waren übrigens auch die<br />
Nachkommen des adeligen Theologen,<br />
die heute noch im Schloss Heltorf bei<br />
Düsseldorf im Stadtteil Angermund<br />
leben.<br />
Fünf Jahre gibt es die Spee-Akademie<br />
in Wuppertal bereits, was für ihren Vorsitzenden<br />
allerdings kein Grund ist, auf<br />
dem Status quo zu verharren. „Anfang des<br />
Jahres sind wir zu einem gemeinnützigen<br />
Verein geworden. Das ermöglicht uns<br />
zum Beispiel die einfachere Akquirierung<br />
von Spendengeldern, so dass wir hoffen,<br />
unser Angebot in Zukunft noch weiter<br />
ausbauen zu können.“ Denn das Ausscheiden<br />
aus dem Beruf bei gleichzeitigem<br />
Anstieg der Lebenserwartung stellt aus<br />
seiner Sicht eine große Herausforderung<br />
für unsere Gesellschaft dar. „Es geht<br />
darum, dass Menschen im Ruhestand<br />
ihre Zeit als erfüllt betrachten und Lust<br />
haben, ihren Hobbies nachzugehen,<br />
alte Kenntnisse aufzufrischen oder ihre<br />
kreativen Fähigkeiten zu erweitern.“ Die<br />
Friedrich Spee-Akademie sieht Jochen<br />
Zoerner-Erb dabei auch als Möglichkeit<br />
für ältere Menschen, sich aktiv am gesell-<br />
schaftlichen Dialog zu beteiligen.<br />
Mehr als 60 Veranstaltungen bietet<br />
die Akademie in Wuppertal im laufenden<br />
Semester an und blickt dabei auch auf<br />
einige Highlights in der Vergangenheit<br />
zurück. „Der Vortrag des Professors für<br />
Ästhetik, Bazon Brock, in den Räumen<br />
des Finanzamts war sicherlich solch<br />
ein Highlight, auf das wir auch heute<br />
noch stolz sind“, erklärt Zoerner-Erb.<br />
Der Vortrag des bekannten und durchaus<br />
streitbaren Professors lockte rund<br />
130 Menschen in die oberste Etage des<br />
Finanzamtes, die knapp zwei Stunden<br />
gebannt lauschten und am Ende<br />
tosenden Applaus spendeten. „Mit dieser<br />
Veranstaltung haben wir eine Menge<br />
Menschen erreicht und ihnen einiges<br />
zum Nachdenken mit auf den Weg nach<br />
Hause gegeben“, grinst Zoerner-Erb.<br />
Stolz macht ihn dabei vor allem, dass die<br />
ganze Veranstaltung nicht einen Cent<br />
gekostet hat und auch die Teilnahme<br />
kostenlos war. Ehrenamt halt.<br />
Längst sind sich die derzeit rund 100<br />
Mitglieder der Friedrich-Spee-Akademie<br />
auch ihrem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen<br />
Einfl uss bewusst. Anmeldungen<br />
neuer Mitglieder der Akademie<br />
gibt es beinahe täglich. „Wir bilden eine<br />
wichtige Schnittstellte zwischen der<br />
immer jüngeren und dynamischeren<br />
Wirtschaft auf der einen und den älteren<br />
Menschen in dieser Stadt auf der anderen<br />
Seite“, sagt Zoerner-Erb. Aus diesem<br />
Grund soll es im Frühjahr nächsten Jahres<br />
auch das erste Business-Breakfast geben,<br />
das die Spee-Akademie gemeinsam mit<br />
ihrem langjährigen Kooperationspartner,<br />
der Wuppertaler Commerzbank und der<br />
Bertelmann Stiftung, ausrichten wird.<br />
„Dort wollen wir die Wirtschaftszweige<br />
versammeln, die sich vor allem für ältere<br />
Menschen interessieren, und uns als Mittler<br />
und Ansprechpartner präsentieren“,<br />
erklärt Zoerner-Erb. „Denn ohne uns<br />
ältere Menschen wird es in Zukunft nicht<br />
mehr so ohne weiteres gehen.“ Und dass<br />
diese längst nicht mehr nur eine schweigende<br />
Mehrheit dieser Gesellschaft sind,<br />
sondern sich selbstbewusst und engagiert<br />
präsentieren und organisieren, zeigt die<br />
Friedrich-Spee-Akademie Wuppertal.<br />
www.fsa-online.eu<br />
Jan Filipzik<br />
53
54<br />
Die ungewöhnliche Chronik einer Sporthalle<br />
Mit Themen seiner Heimatstadt Wuppertal<br />
hat sich der Journalist Klaus Göntzsche in<br />
den letzten Jahren immer wieder mit ungewöhnlichen<br />
Publikationen als Herausgeber<br />
auf den Markt gewagt. Im November 2003<br />
erschien das Buch zur Serie der Wuppertaler<br />
Rundschau „Sprungbrett Wuppertal“ mit<br />
den Geschichten zahlreicher Sänger und<br />
Schauspieler von Barbara Auer bis Rosel<br />
Zech, deren Karrieren eng mit Wuppertal<br />
verbunden waren. „Sprungbrett Wuppertal“<br />
war zeitlich eingerahmt von den beiden<br />
Bänden über ungewöhnliche Läden mit<br />
dem Titel „Wuppertals wa(h)re Könige und<br />
Laden-Hüter“. Längst sind diese „Schätzchen“<br />
vergriffen und werden gesucht.<br />
Zuletzt war der in den Nachkriegsjahren in<br />
Wichlinghausen aufgewachsene, gelernte<br />
Industriekaufmann der Autor des im<br />
Leipziger Stadt-Bild-Verlages erschienenen<br />
und von der Buchhandlung von Mackensen<br />
produzierten Bildbandes zum 400-jährigen<br />
Jubiläum von Elberfeld. Erste Buch-Erfahrungen<br />
sammelte er schon vor 40 Jahren im<br />
Alfred Lau-Verlag mit den Werken „Ich über<br />
mich“ und „Wuppertal und wir.“<br />
Gute Laune bei der Präsentation. Von links<br />
Barbara Neusel-Munkenbeck, Klaus Göntzsche,<br />
Klaus Homberg (Alte Bergbahn) und<br />
Robert Schmidt (Runkel & Schmidt).<br />
Nun ist ein neues Produkt auf dem Markt.<br />
Eine 270 Seiten umfangreiche Chronik<br />
zum 50-jährigen Jubiläum der Sporthalle<br />
Heckinghausen. Gedruckt und layoutet<br />
im Hause <strong>Nacke</strong>, dem Klaus Göntzsche<br />
seit den 70-er Jahren eng verbunden ist.<br />
Sein 1982 gegründeter Informationsdienst<br />
Galopp Intern wird dort im 28.Jahrgang<br />
gedruckt.<br />
Marcel Reich-Ranicki in einen Zusammenhang<br />
mit diesem Jubiläum zu bringen,<br />
mag auf den ersten Blick absurd erscheinen.<br />
Doch der Literaturpapst hat ungewollt die<br />
letzte Entscheidungshilfe zum Erscheinen<br />
dieser Chronik geliefert, als er in einer<br />
Die Chronik: an einem „Originalschauplatz“ im Tor der Halle präsentiert. Von links:<br />
Klaus Göntzsche, der BTV-Vorsitzende Wolfgang Killing, Ulrich Mittag und Oberbürgermeister<br />
Peter Jung. Fotos: Bettina Osswald<br />
Fernsehsendung über die Gründe des<br />
Verfassens von Büchern sagte: “Jubiläen<br />
gehen immer.“<br />
Als diese im Jahre 1960 eröffnet wurde, war<br />
Das <strong>Nacke</strong> Chronik-Team mit dem Herausgeber.<br />
Von links: Frank Schelter, Sandra<br />
Wawrziniok, Klaus Göntzsche, HansPeter<br />
<strong>Nacke</strong> und Manfred Elstner.<br />
das für Wuppertal ein fast epochales Ereignis.<br />
Die heute im bereits „gesetzten Alter“<br />
befi ndliche Nachkriegsgeneration lebte mit<br />
dieser Halle. Als Besucher aller wichtiger<br />
Wuppertaler Hallen-Veranstaltungen oder<br />
als Nutzer für den eigenen Schul-und Vereinssport.<br />
Wer sich das Verzeichnis der dort<br />
ausübten Sportarten anschaut, der kommt<br />
aus dem Staunen nicht heraus, was in dieser<br />
Halle so alles stattgefunden hat. Vieles davon<br />
ist in Vergessenheit geraten. Nicht vergessen<br />
sind unzählige große Handballspiele<br />
des LTV, des TV Beyeröhde und auch des<br />
WSV. Die Basketballdamen des Barmer TV<br />
haben dort viele Jahre lang dominiert und<br />
begeistert. Die Hochsprungmeetings des<br />
BTV sind noch heute ein Höhepunkt jeden<br />
Jahres. Mittlerweile haben die Kinder und<br />
Enkelkinder der Gründergeneration diese<br />
Halle erlebt. Über zwei Jahre hat die Arbeit<br />
von Ulrich und Nils Mittag im Stadtarchiv<br />
und an vielen anderen Quellen gedauert.<br />
Die Recherche hat allen Beteiligten neben<br />
dem großen Aufwand aber auch Freude<br />
bereitet, denn immer wieder tauchten<br />
Veranstaltungen mit ungewöhnlichen Menschen<br />
auf, die nicht mehr in Erinnerung<br />
geblieben waren.<br />
KLAUS GÖNTZSCHE | ULRICH MITTAG<br />
50 JAHRE 1960 - 2010<br />
SPORTHALLE HECKINGHAUSEN<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />
50 Jahre Sporthalle Heckinghausen<br />
Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />
ISBN 978-3-942043-74-8 19,80€
<strong>Kulturnotizen</strong><br />
Kunstmuseum Ahlen zeigt Druckgraphik<br />
von Georges Braque<br />
Ahlen - Das Kunstmuseum im westfälischen<br />
Ahlen zeigt seit Samstag eine Ausstellung<br />
mit Druckgraphik des französischen<br />
Künstlers Georges Braque<br />
Braque (1882–1963) gehört zu den wichtigsten<br />
Malern der französischen Moderne,<br />
hieß es in einer Ankündigung des Museums.<br />
Zusammen mit Pablo Picasso begründete<br />
der Maler 1908 den Kubismus. Die<br />
bis zum 6. Februar nächsten Jahres laufende<br />
Schau refl ektiert Braques künstlerisches<br />
Schaffen, beginnend mit Stilleben aus den<br />
20er Jahren bis hin zu Grafi ken von 1963.<br />
Präsentiert werden insgesamt rund 150<br />
druckgraphische Werke des bedeutenden<br />
französischen Malers, die ursprünglich aus<br />
einer Pariser Privatkollektion stammen.<br />
Georges Braque, Amaryllis, 1958<br />
Bei den Exponaten handelt es sich<br />
um zumeist farbige Lithographien, Radierungen,<br />
illustrierte Malerbücher sowie einige<br />
seltene Keramiken. Seit den frühen<br />
1920er Jahren hat sich Braque intensiv<br />
mit den künstlerischen Möglichkeiten der<br />
druckgraphischen Verfahren beschäftigt.<br />
Insbesondere im Medium der Lithographie<br />
offenbaren sich nach Angaben der Kuratoren<br />
das koloristische Talent des Künstlers<br />
und seine einzigartige Bildsprache, die<br />
sich in umfangreichen Werkfolgen und<br />
zyklischen Themenvariationen artikuliert.<br />
Picasso und Braque lernten sich 1907<br />
in Paris kennen. Insgesamt sechs Jahre<br />
dauerte die einzigartige, sich gegenseitig<br />
befruchtende künstlerische Zusammenarbeit<br />
des Spaniers und des Franzosen,<br />
hieß es unmittelbar vor der Eröffnung der<br />
Ausstellung.<br />
Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs<br />
und freitags von 14 bis 18 Uhr, donnerstags<br />
von 14 bis 20 Uhr sowie samstags und<br />
sonntags von 11 bis 18 Uhr geöffnet.<br />
Internet: www.kunstmuseum-ahlen.de<br />
Klingenmuseum Solingen zeigt<br />
Ausstellung zu Brieföffnern<br />
Solingen - „Brieföffner - Ein Beitrag<br />
zur Schreibkultur“ lautet der Titel einer<br />
Ausstellung, die ab dem 21. November<br />
im Klingenmuseum der Stadt Solingen zu<br />
sehen sein wird. In Zeiten, als Briefe und<br />
Depeschen noch die wichtigsten Kommunikationsmittel<br />
waren, entwickelte sich<br />
- mit der Erfi ndung des Briefumschlags<br />
- der Brieföffner zu einem beliebten und<br />
liebevoll gestalteten Gegenstand, hieß es<br />
am Donnerstag in einer Ankündigung<br />
der bis zum 10. April nächsten Jahres<br />
laufenden Schau.<br />
Zu sehen sind rund 300 Exponate,<br />
welche die Geschichte der Brieföffner zwischen<br />
1850 und heute zeigen. Die Präsentation<br />
geschieht nach Museumsangaben<br />
in Zusammenarbeit mit einem Sammler<br />
und der Fachhochschule Düsseldorf. Diese<br />
steuert für die Ausstellung studentische<br />
Projekte zu Brieföffner-Entwürfen bei.<br />
Brieföffner<br />
Die Ausstellung ist täglich (außer<br />
montags) von 10 bis 17 Uhr und freitags<br />
von 14 bis 17 Uhr geöffnet.<br />
Internet: www.klingenmuseum.de<br />
Die Etrusker - Die Entdeckung<br />
ihrer Kunst seit Winckelmann<br />
Museum August Kestner Hannover<br />
zeigt die Geschichte der Erforschung<br />
der Kunst und Kultur der Etrusker<br />
Hannover - Die Kunst und Kultur<br />
der Etrusker fasziniert das Publikum<br />
bis heute, wie der Erfolg verschiedener<br />
anderer Ausstellungen zu diesem Thema<br />
Johann Joachim Winkelmann<br />
in den vergangenen Jahren verdeutlicht.<br />
Im Unterschied zu diesen Ausstellungen<br />
widmet sich das Museum August<br />
Kestner vom 25. November 2010 bis<br />
27. Februar 2011 der Entdeckung und<br />
Erforschung der oft rätselhaften Kunst<br />
der Etrusker seit dem 18. Jahrhundert.<br />
Durch die umfangreichen Publikationen<br />
etruskischer Denkmäler von Thomas<br />
Dempster (1579-1629) und Francesco<br />
Gori (1691-1757) und durch die Gründung<br />
der Etruskischen Akademie in<br />
Cortona erfuhr ihre Erforschung einen<br />
großen Aufschwung. In seiner „Geschichte<br />
der Kunst des Altertums“ (1764) hat<br />
Johann Joachim Winckelmann (1717-<br />
1768) erstmals versucht, die Entwicklung<br />
der etruskischen Kunst und ihre Stilperioden<br />
darzustellen. Viele Fragen wurden<br />
in dieser Zeit gestellt: So die nach dem<br />
Fundort und damit, ob alles, was in der<br />
Toskana gefunden wurde, etruskisch sei;<br />
gefragt wurde erstmals nach der Herkunft<br />
der in Etrurien, aber auch in Kampanien<br />
gefundenen griechischen Vasen, die bisher<br />
als etruskisch galten, ebenso wie die Frage<br />
nach den Unterschieden zwischen dem<br />
archaischen Stil der Griechen und der<br />
Etrusker sowie der römischen Nachahmung.<br />
Die Ikonographie etruskischer Götter<br />
und der Mythen in ihrem Verhältnis zu<br />
den griechischen wurde untersucht und<br />
erste bemalte Gräber mit wunderbaren<br />
etruskischen Wandmalereien freigelegt.<br />
Die im 18. Jahrhundert diskutierten<br />
55
56<br />
<strong>Kulturnotizen</strong><br />
Fragen werden in der Ausstellung im<br />
Licht der heutigen Forschung beleuchtet<br />
und mit zahlreichen Denkmälern<br />
veranschaulicht, die aus der Sammlung<br />
August Kestners stammen, der bereits im<br />
ersten Drittel des 19. Jahrhunderts selbst<br />
in Etrurien gegraben hat.<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.kestner-museum.de<br />
„Fuß gefaßt ?“<br />
Ein großformatiges Gemälde „Fuß,<br />
grün-blau“ der Wuppertaler Künstlerin<br />
Doris Oberschachtsiek konfrontiert Passanten<br />
und Autofahrer mit dieser Frage.<br />
Dazu haben Barbara Held und Boris<br />
Meißner in einer gemeinsamen Kunst-<br />
Fuß gefasst<br />
Aktion mit der benachbarten Städtischen<br />
Katholischen Grundschule Wichlinghausen<br />
bunte Fußabdrücke von 21 Kindern<br />
gefertigt. Sie hängen im zweiten Schaufenster<br />
des Heine-Kunst-Kiosk und sind<br />
Auftakt zur nächsten Installation „ANGE-<br />
KOMMEN in WUPPERTAL“ ab Mitte<br />
Dezember.<br />
„Fuß gefaßt ?“ eine ebenso eindringliche<br />
wie notwendige Frage nicht an Wichlinghauser<br />
und Oberbarmer gestellt.<br />
So verweisen die Namen der Kinder (9 bis<br />
11 Jahre alt) in schönster Aktualität auf<br />
die lokale Bevölkerungsvielfalt.<br />
www.b-held-kunst.de<br />
www.bbk-bergischland.de<br />
„Bilder einer Metropole - Die<br />
Impressionisten in Paris“<br />
Essen - Die Ausstellung „Bilder einer<br />
Metropole - Die Impressionisten in Paris“<br />
im Essener Folkwang-Museum wurde<br />
gut vier Wochen nach ihrer Eröffnung<br />
bereits von 100.000 Besuchern<br />
gesehen. Die Zahl ist seither kräftig<br />
gestiegen. Das Museum wies auf die<br />
großzügigen Sonderöffnungszeiten hin<br />
und empfahl Besuchern am späteren<br />
Nachmittag oder abends zu kommen,<br />
um lange Wartezeiten zu vermeiden.<br />
Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />
bis 20 Uhr und freitags bis 22.30<br />
Uhr geöffnet.<br />
Die Schau zeigt rund 80 Gemälde<br />
der berühmtesten Impressionisten wie<br />
Manet und Pissarro, Monet und Renoir<br />
und der bedeutendsten Zeitgenossen<br />
wie Caillebotte, Luce oder Goeneutte.<br />
Zugleich konzentriert sie sich mit 125<br />
Fotografi en der Zeit, darunter Meisterwerke<br />
von Gustave Le Gray, Edouard<br />
Baldus, Charles Marville, Henri Rivière<br />
oder Eugène Atget auf die entscheidenden<br />
Momente der Stadtfotografi e.<br />
Camille Pissarro Avenue de IOpéra soleil matinée dhiver<br />
Die Ausstellung ist noch bis zum<br />
30.1.2011 zu sehen.<br />
Internet: www.museum-folkwang.de<br />
Weitere 100.000 Euro Denkmalschutzmittel<br />
für Immanuelskirche<br />
Wuppertal/Bonn - Mit weiteren<br />
100.000 Euro unterstützt die Deutsche<br />
Stiftung Denkmalschutz die Restaurierungsarbeiten<br />
an der Wuppertaler<br />
Immanuelskirche. Der entsprechende<br />
Fördervertrag werde am kommenden<br />
Sonntag an den Trägerverein Immanuelskirche<br />
e.V. übergeben, teilte die Stiftung<br />
am Donnerstag in Bonn mit. Damit hat<br />
die Stiftung das Gotteshaus mit insgesamt<br />
750.000 Euro bei der Sanierung gefördert.<br />
Nunmehr können auch die dringenden<br />
Arbeiten an der Umzäunung sowie<br />
der Abschluß der Fassadensanierung an<br />
der Ostseite und die Steinmetzarbeiten an<br />
den südlichen Seitenportalen fertiggestellt<br />
werden.<br />
Die dreischiffi ge Hallenkirche<br />
wurde von 1867 bis 1869 erbaut. Der<br />
neogotische Sandsteinbau, außen mit<br />
Grauwackesteinen verblendet, wurde<br />
am Todestag des Reformators Calvin,<br />
am 27. März 1869 eingeweiht. Zur<br />
Ausstattung der Kirche gehört die 1967<br />
eingebaute Karl-Schuke-Orgel, die zu<br />
den klangschönsten und mit 54 Registern<br />
auch zu den größten der Region<br />
gehört. Die Immanuelskirche erhielt in<br />
den 1930er Jahren besondere Bedeutung<br />
als ehemalige Gemeindekirche der 1702<br />
gegründeten Evangelisch-reformierten<br />
Gemeinde Barmen-Gemarke im Kampf<br />
der Bekennenden Kirche gegen den Nationalsozialismus.<br />
Seit 1946 ist die Kirche Heimstätte der<br />
Kantorei Barmen-Gemarke, die sie heute<br />
auch besonders benutzt. Durch die Aufgabe<br />
der Kirchennutzung im Jahre 1981<br />
drohte der Abriß, konnte aber verhindert<br />
werden. Seither wird die Kirche nach<br />
umfangreichen Sanierungsarbeiten von einem<br />
Trägerverein für Kulturveranstaltungen<br />
genutzt. Neben ihrer städtebaulichen<br />
Bedeutung gilt die Immanuelskirche auch<br />
als gelungenes Beispiel für die Umnutzung<br />
eines säkularisierten Sakralbaus.<br />
Kunstmuseum Mülheim/Ruhr würdigt<br />
Max Ernst und Frankreich<br />
Mülheim/Ruhr - Aus Anlass der Ausstellung<br />
Transfer France-NRW stellt das<br />
Kunstmuseum Mülheim an der Ruhr<br />
ab dem 21. November den Künstler<br />
Max Ernst als Grenzgänger vor. Die<br />
Schau mit dem Titel „Max Ernst und<br />
Frankreich“ läuft nach Angaben des<br />
Museums vom Donnerstag bis zum 9.<br />
Januar kommenden Jahres. Ernst habe<br />
den fruchtbaren Austausch mit Frankreich<br />
gesucht, hieß es vor dem Start der<br />
Ausstellung. So verließ der Künstler<br />
1922 Köln, um nach Paris umzusiedeln<br />
und sich dort den Surrealisten zuzuwenden.<br />
1953 kehrte er aus Amerika wieder<br />
nach Frankreich zurück.<br />
Ergänzt um ausgewählte Leihgaben<br />
werden in der Schau drei Werke von<br />
Ernst vorgestellt, die in Frankreich entstanden<br />
und mit der Entdeckung neuer<br />
Techniken und Themen verbunden sind.<br />
So wird die 1924 in der Bretagne zufällig<br />
entwickelte Technik der Frottage erstmals<br />
in den Blättern der „Histoire Naturelle“<br />
angewendet. Eine Hommage an den<br />
Astronomen Ernst Wilhelm Leberecht
Max Ernst<br />
Tempel, der den Planeten Maximiliana<br />
entdeckte, stellt das 1964 in Paris verlegte<br />
gleichnamige Mappenwerk dar.<br />
Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs<br />
und freitags von 11 bis 17 Uhr,<br />
donnerstags von 11 bis 21 Uhr sowie<br />
samstags und sonntags von 10 bis 17 Uhr<br />
geöffnet.<br />
Internet: www.kunstmuseum-mh.de<br />
Museum Abteiberg zeigt Kirchner,<br />
Heckel, Nolde und Beckmann<br />
Mönchengladbach - Das Museum Abteiberg<br />
in Mönchengladbach präsentiert<br />
seit Sonntag Zeichnungen und Graphiken<br />
von Max Beckmann, Ernst Ludwig<br />
Kirchner, Erich Heckel und Emil Nolde.<br />
Wie ein Sprecher des Museums mitteilte,<br />
handelt es sich um Arbeiten aus dem eige-<br />
Ernst Ludwig Kirchner<br />
nen Bestand der Graphischen Sammlung,<br />
die nach vielen Jahren erstmals wieder<br />
präsentiert werden.<br />
Die ausgestellten Werke entstanden in<br />
einem Zeitraum von etwa 15 Jahren, das<br />
früheste stammt aus dem Jahr 1909. Eine<br />
Ausnahme bildet der späte Holzschnitt<br />
„Drei Akte im Wald“ von Ernst Ludwig<br />
Kirchner, der im Jahr 1935 entstand. Die<br />
Ausstellung läuft bis zum 16. Januar<br />
nächsten Jahres.<br />
Das Museum ist dienstags bis sonntags<br />
von 10 bis 18 Uhr geöffnet.<br />
Internet: www.museum-abteiberg.de<br />
Arp-Museum zeigt die Ausstellung<br />
„Traumanatomie“<br />
Remagen - Das Arp Museum im Bahnhof<br />
Rolandseck in Remagen präsentiert<br />
ab dem 19. November die Ausstellung<br />
„Traumanatomie“. Der Dichter, Maler<br />
und Bildhauer Hans Arp (1886 bis 1966)<br />
war einer der bedeutendsten Vertreter der<br />
künstlerischen Avantgarde, die zu Beginn<br />
des 20. Jahrhunderts innerhalb kurzer<br />
Zeit die Kunst für immer revolutionierte,<br />
hieß es in einer Vorankündigung der<br />
Schau. So war der Künstler Mitbegründer<br />
der Dada-Beweung und stand in den<br />
1920er Jahren in engem Austausch auch<br />
mit den Surrealisten in Paris.<br />
Arp gilt zudem als Pionier der organisch-abstrakten<br />
Formensprache, die sich<br />
an der Metamorphose, an den stetigen<br />
Wachstums- und Wandlungsprozessen<br />
der Natur orientiert. Die bis zum 1. Mai<br />
kommenden Jahres laufende Schau lädt<br />
die Besucher ein, die unterschiedlichen<br />
Aspekte von Arps künstlerischem Schaffen<br />
zu entdecken. Mit etwa 100 Papierarbeiten,<br />
Reliefs und Plastiken setzt diese erste<br />
umfassende Sammlungspräsentation im<br />
Neubau des Museums gezielte Akzente.<br />
Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />
von 11 bis 18 Uhr geöffnet.<br />
Internet: www.arpmuseum.org<br />
Peter Krämer<br />
WP/StB<br />
Andreas Niemeyer<br />
WP/StB<br />
Thomas Pintzke<br />
StB<br />
Katrin Schoenian<br />
WP/StB<br />
Dr. Jörg Steckhan<br />
RA/WP/StB<br />
Peter Temmert<br />
WP/StB<br />
Susanne Schäfer<br />
StB<br />
Stephan Schmacks<br />
StB<br />
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Tonleiter.<br />
Zeitgenössische Klassik im Skulpturenpark<br />
Waldfrieden<br />
Donnerstag, 16.12.2010 um 19:00 Uhr<br />
im Pavillon >NACHTSTÜCKE<<br />
Werke der zeitgenössischen Komponisten<br />
Huw Watkins (*1976), Toshio<br />
Hosokawa ( *1955), Jörg Widmann<br />
(*1973), George Crumb (*1929) und<br />
Detlev Glanert (*1960).<br />
Mit Ulrike Nahmmacher und Martin<br />
Roth (Violine), Nora Niggeling (Viola),<br />
Susanne Müller-Hornbach (Violoncello),<br />
Gerald Hacke (Klarinette) und Florence<br />
Millet (Klavier).<br />
Skulpturenpark Waldfrieden - Hirschstraße<br />
12 - 42285 Wuppertal<br />
www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />
Tonleiter Nachstücke im Skulpturenpark Waldfrieden<br />
Die Nacht mit ihren reichhaltigen Facetten<br />
bildet den Spannungsbogen dieses<br />
Abends. Er beginnt in Huw Watkins<br />
Dream in einer meditativen Stimmung<br />
im Wechsel mit alptraumhaften Visionen<br />
und lässt dann alle klaren Zusammenhänge<br />
durch fratzenhafte Erscheinungen<br />
in Hosokawas Nacht Klängen verwischen.<br />
Eine Fieberfantasie kann in der<br />
Nacht eine noch viel größere Wirkung<br />
entfalten, vor allem, wenn sie von Jörg<br />
Widmann geschrieben ist, der diese Phantasie<br />
wie magnetisch auf einen Moment<br />
Schumann‘scher Musik zulaufen lässt<br />
und den Zuhörer zum Schluss verstört<br />
erwachen lässt. Detlev Glanert entlässt<br />
seinen Nachtschwärmer schließlich in<br />
eine expressive und sinnliche Nacht.<br />
TONLEITER - Zeitgenössische Klassik<br />
im Skulpturenpark Waldfrieden, am<br />
16. Dezember 2010 mit Nora Niggling,<br />
Susanne Müller-Hornbach, Martin Roth,<br />
Florence Millet, Ulrike Nahmmacher und<br />
Gerald Hacke (v.l.n.r.).<br />
Deutscher Kulturrat mahnt Erhalt<br />
der Bonner Oper an<br />
Bonn/Berlin - Der Deutsche Kulturrat<br />
in Berlin hat am Dienstag den Erhalt der<br />
Bonner Oper angemahnt. Er reagierte<br />
damit auf Äußerungen des Bonner Oberbürgermeisters<br />
Jürgen Nimptsch vom<br />
vergangenen Wochenende, das Bonner<br />
Opernhaus infolge der desolaten Finanzsituation<br />
der Stadt aufzugeben. Bonner<br />
Opernliebhaber könnten in die Nachbarstadt<br />
Köln fahren, um dort Opern zu<br />
sehen, hatte Nimptsch erklärt.<br />
Der Geschäftsführer des Deutschen<br />
Kulturrates, Olaf Zimmermann, lehnte<br />
dies am Dienstag als „äußerst bedenklich“<br />
ab.<br />
„Starke Städte brauchen starke Kultur-<br />
Kraftwerke! In Zeiten der Finanzkrise<br />
muß die ein oder andere Stadt sicherlich<br />
ihren Gürtel enger schnallen. Allerdings<br />
dürfen solche Maßnahmen keinesfalls<br />
dazu führen, daß das kulturelle Profi l<br />
einer Stadt immer stärker verwässert<br />
wird,“ so Zimmermann. Die Identität<br />
einer Stadt hänge nach seinen Worten<br />
unmittelbar mit ihren Kulturleistungen<br />
zusammen.<br />
NRW-Kulturministerin hält Landestheater<br />
für unverzichtbar<br />
Düsseldorf - NRW-Kulturministerin<br />
Ute Schäfer (SPD) hat die künstlerische<br />
Arbeit der vier nordrhein-westfälischen<br />
Landestheater in Castrop-Rauxel,<br />
Detmold, Dinslaken und Neuss als<br />
„unverzichtbar“ bezeichnet. Bei einem<br />
Treffen mit den Intendanten in Düsseldorf<br />
erklärte die Ministerin am 20.<br />
November, „als produzierende Häuser mit<br />
ho hem ästhetischem Anspruch haben die<br />
Landestheater große Bedeutung für das<br />
Land, für die jeweilige Stadt und zugleich<br />
für zahlreiche andere Kommunen, die<br />
keine eigenen Theaterangebote oder kein<br />
eigenes Theater haben.“<br />
Durch starke Ensemblearbeit böten die<br />
Bühnen in all diesen anderen Städten ein<br />
Künstlerteam, mit dem sich das Publikum<br />
identifi zieren könne. Laut Schäfer<br />
sind die vier Landestheater ein gutes<br />
Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit<br />
des Landes und der Kommunen.<br />
„Wir alle wissen: Das Miteinander von<br />
Land, Kreisen, Städten und Gemeinden<br />
ist für alle Kultureinrichtungen von großer<br />
Bedeutung. Daher haben wir uns im<br />
Koalitionsvertrag klar dazu verpfl ichtet,<br />
mit dem Stärkungspakt Stadtfi nanzen die<br />
Basis für eine nachhaltige Entschuldung<br />
der Kommunen zu schaffen. Das wird<br />
auch den Theatern zugute kommen“,<br />
versicherte die Politikerin.<br />
In Nordrhein-West falen gibt es vier<br />
Landestheater, die Theater und kulturelle<br />
Bildung in die Kommunen und Gemeinden<br />
jenseits der städtischen Zentren<br />
bringen: das Westfälische Landestheater<br />
Castrop-Rauxel, das Landestheater Detmold,<br />
die Burghofbühne Dinslaken und<br />
das Rheinische Landesthe ater Neuss. Am<br />
27. November erhalten die Landestheater<br />
den nationalen, undotierten Theaterpreis<br />
„Der Faust“ als Auszeichnung des<br />
Präsidenten der Deutschen Akademie der<br />
Darstellenden Künste. Der Preis macht<br />
auf die Leistungskraft und künstlerische<br />
Ausstrahlung der Theater aufmerksam.<br />
Er wird vom Deutschen Bühnenverein<br />
ge meinsam mit den Bundesländern, der<br />
Kulturstiftung der Länder und der Akademie<br />
der Darstellenden Künste vergeben.<br />
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