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Kulturnotizen - Druckservice HP Nacke KG

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Maschinen geölt wurden, fehlt. Jetzt<br />

ist der Besucher sensibilisiert für die<br />

unmenschlich harten Arbeitsbedingungen<br />

zu Beginn der Industrialisierung. Man<br />

erfährt anschaulich, wie rasant sich die<br />

Mechanik der Spinn- und Webmaschinen<br />

weiter entwickelt hat. Kinder wurden als<br />

besonders billige Arbeitskräfte eingesetzt,<br />

weil manche Maschinen „kinderleicht“<br />

zu bedienen waren. Wegen ihrer geringen<br />

Körpergröße mussten Kinder, unter den<br />

laufenden Maschinen kriechend, den Boden<br />

sauber halten und unter Lebensgefahr<br />

Reparaturen durchführen.<br />

Wie lebendig diese schlimmen Lebensumstände<br />

vermittelt werden, kann man<br />

zum Beispiel an einem ganz normalen<br />

Vormittag im November erleben: Kurz<br />

hintereinander besuchen drei Schulklassen<br />

das Museum für Frühindustrialisierung.<br />

Als außerschulischer Lernort ist es<br />

sehr beliebt, und Führungen sind lange<br />

im Voraus ausgebucht. Neben einer<br />

Pädagogin, die an drei Tagen ins Museum<br />

abgeordnet ist, helfen engagierte<br />

ehrenamtliche Mitarbeiter. Schülern einer<br />

vierten Klasse wird hautnah vermittelt,<br />

wie der Alltag ihrer Altersgenossen im<br />

Zeitalter der Frühindustrialisierung ausgesehen<br />

haben könnte: Kann man sich vorstellen,<br />

jeden Tag 30 Kilometer zwischen<br />

ratternden Webstühlen auf Holzschuhen<br />

zurückzulegen? Oder wie mühsam es ist,<br />

einen großen Korb voller Baumwolle zu<br />

tragen? Ein Junge bekommt die „Güte“,<br />

das kellenartige Gerät der Bleicher, in<br />

die Hände und soll das schwere Holz so<br />

schwingen, dass sich das Wasser darin<br />

18 Meter weit über das Garn ergießen<br />

könnte, und das 14 Stunden am Tag!<br />

Die Kinder erfahren auch, wie gefährlich<br />

es war, wenn eine brennende Öllampe<br />

umfi el und die hölzernen Böden und<br />

Treppen Feuer fi ngen! Man hat später<br />

Holztreppen durch steinerne ersetzt, denn<br />

die häufi gsten Unfälle von Kindern im<br />

Textilgewerbe passierten durch Verbrennen<br />

und Ertrinken.<br />

8o% der Bevölkerung verdiente mit<br />

Spinnen und Weben den kargen Lebensunterhalt,<br />

Männer, Frauen und Kinder.<br />

Eine Gruppe älterer Schüler referiert zu<br />

ausgewählten Themen. Am Beispiel eines<br />

Modells des Gebietes um das Engels-<br />

Haus in der ursprünglichen Bebauung<br />

mit Bleicherwiesen erläutert eine<br />

Schülerin, dass Friedrich Engels’ Urgroßvater<br />

dort Arbeiterhäuser errichten ließ<br />

und wie die Heimwerker allmählich zu<br />

Fabrikarbeitern wurden. Friedrich Engels<br />

schreibt 1892, dass die „kaufmännischen<br />

Kapitalisten“ die Arbeitskraft gleichsam<br />

einkauften „die einstweilen noch ihr<br />

Produktionsinstrument besaß, aber schon<br />

nicht mehr den Rohstoff. Indem er so<br />

dem Weber rechtmäßige Beschäftigung<br />

sicherte, konnte er dagegen den Lohn des<br />

Webers derart drücken, dass ein Teil der<br />

geleisteten Arbeit unbezahlt blieb.“ Aus<br />

England kam das „Trucksystem“ (engl.<br />

Truck = Tausch). Die „Kölner Zeitung“<br />

schreibt 1845: „Mancher arme Familienvater,<br />

der kaum Brot für Frau und Kinder<br />

hat, ist genötigt, in schönen, teuren<br />

Kleidern einherzugehen, da er wohl Tuch<br />

und Seide für Kleider, aber kein Geld und<br />

Brot zu erhalten weiß.“<br />

Ein weiteres Erlebnis ist eine Videoinstallation<br />

der Wupper. An einem Brückengeländer<br />

stehend schaut man auf die<br />

Wupper und folgt den Veränderungen,<br />

die der Fluss über Jahrhunderte durchlaufen<br />

hat: Zunächst ist sie klar und voller<br />

Leben, im 19. Jahrhundert verschmutzt<br />

sie zunehmend, verfärbt sich, je nachdem<br />

welche Abwässer aus den Fabriken und<br />

Färbereien ihr zugemutet wurden, um<br />

während der Bombenangriffe auf Wuppertal<br />

im Zweiten Weltkrieg buchstäblich<br />

in Flammen zu stehen.<br />

Man erfährt von den Unterschieden im<br />

Leben, Arbeiten und Glauben zwischen<br />

Arbeitern und Großbürgern, indem man<br />

Einblick nehmen darf in ihre Wohn- und<br />

Arbeitsstätten. Die technischen Neuerungen<br />

des Transportwesens durch die Erfi ndung<br />

der Eisenbahn und die Anfänge des<br />

sozialen Verantwortungsbewusstseins der<br />

Bürger bilden den Abschluss der Dauerausstellung.<br />

Auch ein Museum unterliegt dem Zahn<br />

der Zeit, so ist die 2003 noch topmoderne<br />

Museumstechnik mittlerweile<br />

überholt. Illner hat zahlreiche Pläne für<br />

sein Haus. Ihm als Historiker sind einige<br />

Text- und Filmbeispiele zur Frühindustrialisierung<br />

nicht authentisch genug,<br />

weil sie sich, da die historische Quellenlage<br />

desolat ist, den tatsächlichen Gegebenheiten<br />

nur annähern können. Auch<br />

die akustische Dauerbeschallung in der<br />

Ausstellung ist veraltet. Es gibt inzwischen<br />

die Möglichkeit einer punktgenauen<br />

Beschallung, die wesentlich präziser<br />

ist und keine Mitbesucher stört. Illner<br />

wünscht sich eine technisch sichere und<br />

einfache elektronische Steuerung für sein<br />

Haus: „Ich will das Museum technisch<br />

vereinfachen, so dass es absolut zuverlässig<br />

und kostengünstiger funktioniert. Statt<br />

des Einsatzes von Beamern mit begrenzt<br />

haltbaren sehr teuren Birnen gibt es heute<br />

LCD – Technik, die selbst in taghellen<br />

Räumen scharfe Bilder liefert.“<br />

Auch für das Engels–Haus hat Illner neue<br />

Pläne. Für den unbefangenen Betrachter<br />

ist es nicht leicht, dieses Haus mit den revolutionären<br />

Ideen des berühmten Sohnes<br />

der Stadt in Verbindung zu bringen. Es ist<br />

auch nicht das Geburtshaus von Friedrich<br />

Engels, das 1943 den Bomben zum Opfer<br />

fi el, sondern das im Stil des Bergischen<br />

Spätbarocks erbaute bürgerliche Wohnhaus<br />

von Friedrich Engels’ Großvater<br />

Johann Caspar. Als die Stadt das Haus in<br />

den 60er Jahren erwerben konnte, war es<br />

völlig verwahrlost, weil man es nach dem<br />

Krieg in Kleinstwohnungen aufgeteilt<br />

hat. Das Gebäude muss dringend saniert<br />

werden, da es z.B. für Menschen mit<br />

körperlichen Einschränkungen kaum zu<br />

begehen ist. Hinzu kommt ein aktueller<br />

Aspekt: Die Stadt Trier hat sich dank<br />

einer großzügigen Zuwendung der<br />

Friedrich–Ebert–Stiftung dem Zeitgeist<br />

angepasst und das Geburtshaus von Karl<br />

Marx renoviert: 50% aller Gäste kommen<br />

aus China! Für die Chinesen sind Marx<br />

und Engels ebenso bedeutend wie für uns<br />

Goethe und Schiller. Einmal mehr zeigt<br />

sich, wie eng historische, gesellschaftliche<br />

und religiöse Aspekte miteinander<br />

verfl ochten sind, denn vor den politischen<br />

Umwälzungen seit 1989 hätte es diese<br />

Perspektive des Stadtmarketings noch<br />

nicht gegeben. Hier könnten sich bedeutende<br />

Möglichkeiten für die touristische<br />

Aufwertung von Wuppertal eröffnen.<br />

Illner beklagt, dass die Besucher chinesischer<br />

Gruppen vielfach unkoordiniert<br />

seien, zum Beispiel stünde plötzlich an<br />

einem Freitag Abend ein Bus mit Gästen<br />

aus China vor dem Haus, von deren Ankunft<br />

niemand etwas gewusst hat. Zum<br />

Glück war der Hausherr noch anwesend<br />

und konnte die Besucher durch das Museum<br />

führen. Wie schön wäre es, wenn

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