Kulturnotizen - Druckservice HP Nacke KG
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geschuldet sind, sowie (qualitativ bessere)<br />
Fremdaufnahmen: Sie zeigen Beispiele der<br />
profanen und kultischen Architektur in<br />
Japan, aber auch vergleichende Bauten der<br />
klassischen Antike bis hin zu Tauts eigenen<br />
Siedlungsanlagen. Weiterhin fi nden sich,<br />
entsprechend zu seinen Notizen, Aufnahmen<br />
vom alltäglichen Leben in Japan,<br />
welches den damaligen Europäern recht<br />
fremd war. Daran zeigt sich, dass Taut<br />
die Baukunst in der Gesellschaft verortet.<br />
Nebenbei ist die Entstehungsgeschichte<br />
dieses Buches bemerkenswert. Nach dem<br />
Reichstagsbrand am 1. März 1933 hatte<br />
Bruno Taut mit seiner Lebensgefährtin<br />
Deutschland fl uchtartig per Schiff verlassen<br />
und war in Japan freundschaftlich<br />
aufgenommen worden. Dazu gehört der<br />
Auftrag des Meiji Shobo Verlages an den<br />
berühmten Gast schon nach zwei Monaten<br />
Aufenthalt, seine Erkenntnisse zum<br />
Städtebau niederzuschreiben. Bereits 1934<br />
erschien in Japan die Erstausgabe, die Taut<br />
später ergänzt hat, als er seinen Aufenthalt<br />
in Japan verlängern konnte und dort bis zu<br />
seinem Tod 1938 blieb. Japan wurde für<br />
ihn zur Herzensangelegenheit.<br />
Dieses Buch ist zweierlei. Es ist eine gut<br />
lesbare, von kritischer Hochachtung<br />
geprägte Refl ektion zu Japan, zu seiner<br />
Geschichte und Kultur, die den Städtebau<br />
und die Architektur fokussiert. Zudem<br />
vermittelt es Bruno Tauts eigene Haltung<br />
und Verantwortung bei seiner Tätigkeit als<br />
Architekt. In Deutschland fast unbekannt,<br />
könnte dieses Buch schon den Japan-Interessierten<br />
überhaupt interessieren. Ergänzt<br />
um ein Glossar, ist es ein tiefschürfender<br />
und hilfreicher Zugang zu diesem so<br />
fernen Land.<br />
War sich Bruno Taut der Veröffentlichung<br />
seiner Aufzeichnungen bereits<br />
beim Aufschreiben sicher, so musste Ernst<br />
Scheidegger bei einem in etwa vergleichbaren<br />
Unterfangen bis jetzt warten. Es geht<br />
um Chandigarh – eine richtig spannende<br />
Sache, damals und aus der heutigen<br />
Perspektive. Die indische Regierung hatte<br />
mehrere europäische Architekten um Le<br />
Corbusier beauftragt, eine eigene Stadt zu<br />
bauen mit den erforderlichen kommunalen<br />
Einrichtungen, welche den Architekten<br />
unterschiedlichen Spielraum zur Selbstverwirklichung<br />
ließen. Schon während der<br />
Bauphase, angeregt von der Konzeption<br />
Chandigarh 1956, Fotografi en von Ernst<br />
Scheidegger, 269 S. mit 140 farb. u. 135 s/w-<br />
Abb., geb. mit Schutzumschlag, 27 x 26 cm,<br />
Scheidegger & Spiess, 55,- Euro<br />
zu Chandigarh hatte Ernst Scheidegger<br />
als Dokumentarfotograf die Idee, diese<br />
und künftige architektonische Großunternehmungen<br />
mit Veröffentlichungen zu<br />
begleiten, bei denen Fotografi en und Texte,<br />
auch Entwurfszeichnungen der Architekten<br />
zusammentreffen. Vergeblich hat er<br />
sich deswegen an einen Verlag gewandt.<br />
– Was früheren Leserschaften dadurch<br />
entging, das teilt nun „Chandigarh 1956“<br />
mit, erschienen in Scheideggers eigenem<br />
Verlag, wobei dies aber keineswegs die<br />
Bedeutung dieser Monographie schmälert.<br />
Im Gegenteil spürt man die Genauigkeit,<br />
die Suche nach der richtigen Umsetzung<br />
in Buchform, über fünf Jahrzehnte später.<br />
Dazu tragen auch die (neuen) Texte<br />
bei, die der Bedeutung von Chandigarh<br />
nachgehen und die Rolle der Architekturfotografi<br />
e ausloten. Daneben stehen<br />
die Aufnahmen von Scheidegger, teils in<br />
Farbe, die auch Bausituationen und eindrucksvolle<br />
Genreszenen der Bevölkerung<br />
berücksichtigen und ebenso die Leistung<br />
der einzelnen Architekten bei den verschiedenen<br />
Bauten wie Gericht oder Universität<br />
herausarbeiten. Scheidegger vermittelt hier<br />
zwischen dem objektiven Blick von Außen<br />
und den Ideen der Architekten selbst und<br />
spricht implizit die Differenz europäischer<br />
Sichtweisen zum Leben in Indien an. Heute<br />
sehen wir, welche Tragweite Chandigarh<br />
hatte und können vielleicht Erkenntnisse,<br />
Parallelen zu heutigen Modellen von Stadt<br />
und Urbanität ableiten – und erkennen,<br />
wie fein und umfassend sich Scheidegger<br />
diesen Fragen genähert hat.<br />
Auf eine andere, aberwitzige, in ihrem<br />
Zeitgeistigen bewusst nervige Weise<br />
verschafft sich eine vierte Neuerscheinung<br />
Raum: „Metahaven: Uncorporate<br />
Identity“. „Metahaven“, das in Brüssel<br />
und Amsterdam ansässige Design Studio,<br />
ist äußerst engagiert mit seinen Entwürfen<br />
zwischen Fiktion und Realität<br />
in der Verknüpfung von Werbemarken<br />
mit gesellschaftlichen Themen und<br />
geopolitischen Konfl ikten. Ein zentrales<br />
Projekt war „Sealand“, auch dies eine<br />
Art Planstadt, vor allem aber fi ktionaler<br />
Staat, nunmehr als Archetypus für nichts<br />
anderes als die Zukunft. Propagiert wird<br />
dafür eine Plattform im internationalen<br />
Gewässer – als unabhängiger Staat noch<br />
mit eigenen Briefmarken, Personalausweis<br />
etc. Natürlich ist auch dies Provokation,<br />
die jeder Vorstellung von Identität<br />
eine andere entgegensetzt. Dabei ist das<br />
dickleibige Buch selbst ein künstlerischer<br />
Beitrag mit der Tendenz zum Designobjekt,<br />
zu verstehen auch als Arbeitsbuch<br />
oder Konzeptalbum, Stoffsammlung<br />
mit zahlreichen (englisch abgedruckten)<br />
Interviews und theoretischen Texten in<br />
Magazin-artiger Grafi k. Ein unangenehmer<br />
Dschungel also, aber mit einigen<br />
berauschenden Momenten nuancierender<br />
Sicht zur Globalisierung und – natürlich<br />
– zur Verantwortung der Medien, die<br />
unsere Wahrnehmung präparieren: von<br />
Design und Städtebau heute.<br />
Metahaven: Uncorporate Identity, engl., 608 S.,<br />
durchgehend farbig, Broschur, 24 x 17 cm,<br />
Lars Müller Publishers, ca. 48,- Euro<br />
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