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Die Beste Zeit Nr. 16.indd - Druckservice HP Nacke KG

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DIE BESTE ZEIT<br />

Das Magazin für Lebensart<br />

Wuppertal und Bergisches Land Ausgabe 16, 2012 - 3,50 Euro<br />

Bella Italia<br />

Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />

Christian Hellmich<br />

Von der Heydt-Kunsthalle Barmen<br />

Kuss der Freiheit<br />

Wuppertaler Literatur Biennale<br />

Nachwirkung einer Lesung<br />

Luisa Altergott<br />

Orte der Ruhe<br />

Der Mühlenhof Breckerfeld<br />

Anselm Kiefer<br />

Bundeskunsthalle Bonn<br />

Wuppertals grüne Anlagen<br />

Öffentliches Grün<br />

German Song<br />

Teo Otto Theater Remscheid<br />

Claes Oldenburg<br />

Museum Ludwig Köln<br />

Auf die Lady...<br />

Portrait Mechthild Großmann<br />

Später Besuch<br />

Elisabeth Heinemann<br />

18695205<br />

Neue Bücher<br />

zu Geschichte und Kunst ISSN<br />

1


„<strong>Die</strong> <strong>Beste</strong> <strong>Zeit</strong> – Das Magazin für Lebensart“ erhalten Sie ab sofort:<br />

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42103 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 563-6231<br />

www.von-der-heydt-museum.de<br />

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Impressum<br />

„<strong>Die</strong> beste <strong>Zeit</strong>“ erscheint in Wuppertal und im Bergischen Land<br />

Erscheinungsweise: 5 – 6 mal pro Jahr<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - <strong>Die</strong> beste <strong>Zeit</strong><br />

Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />

Telefon 02 02 - 28 10 40<br />

E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />

V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong><br />

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />

Bildnachweise/Textquellen sind unter den Beiträgen vermerkt.<br />

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Umschlagbild:<br />

© Elisabeth Heinemann<br />

Magdeburg<br />

Wege der Weltweisheit 2009<br />

Fotografi e (Ausschnitt)<br />

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht immer die Meinung des<br />

Verlages und der Herausgeber wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />

zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht sinnentstellend, liegen<br />

im Ermessen der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge kann<br />

keine Gewähr übernommen werden.<br />

Nachdruck - auch auszugsweise - von Beiträgen innerhalb der gesetzlichen<br />

Schutzfrist nur mit der ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />

Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung, Irrtümer oder<br />

Unterlassungen keine Haftung übernommen.


Editorial<br />

Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />

Dass Wuppertal Musik- und Kunststadt ist, weiß man hier im Tal. <strong>Die</strong><br />

Wuppertaler zieht es in die Oper, aber genauso auch in den Skulpturenpark<br />

Tony Craggs. Wegen der Bildenden Kunst, aber auch wegen der Konzerte,<br />

die dort gegeben werden. <strong>Die</strong> Bergische Metropole war und ist es eines der<br />

Zentren der freien und improvisierten Musik. Weltweit wird Wuppertal mit<br />

dem Tanztheater Pina Bausch in Verbindung gebracht.<br />

Nun hat die erste Literatur Biennale vom 6. bis 16. Juni gezeigt, dass<br />

Wuppertal auch Literaturstadt werden kann. Anknüpfungspunkte in<br />

der Historie gibt es genügend: <strong>Die</strong> große Lyrikerin Else Lasker-Schüler,<br />

der mutige Freiheitskämpfer und Schriftsteller Armin T. Wegner und der<br />

Sozialphilosoph und Koautor des Kommunistischen Manifests Friedrich<br />

Engels stammen aus dem Wuppertal. Und Wuppertal verfügt über eine sehr<br />

aktive und vielfältige Literaturszene. Dazu gehören der Peter Hammer<br />

Verlag, der Nordpark Verlag ebenso wie die Literaturgesellschaften. Und<br />

natürlich die Autoren. Drei seien hier stellvertretend genannt: Karl Otto<br />

Mühl, Herrmann Schulz und Michael Zeller. Doch die junge Generation<br />

drängt nach. So war es die Idee Monika Heigermosers, Leiterin des<br />

Kulturbüros, diese Potenziale in einem auch überregional ausstrahlenden<br />

Literaturfest zusammenzuführen. Von Anfang an war klar, dass man<br />

dazu über den Tellerrand des Bergischen Landes schauen musste. <strong>Die</strong><br />

gemeinsame Klammer ergab sich aus dem Blick auf die Vergangenheit und<br />

die Gegenwart. Else Lasker-Schüler, Armin T. Wegner und Friedrich Engels:<br />

So unterschiedlich ihr Leben und Werk waren, so stehen sie doch gemeinsam<br />

für die Idee der Freiheit. Daher und im Hinblick auf die revolutionären<br />

Bewegungen in der arabischen Welt einigte sich der Künstlerische Beirat<br />

nach einigen Diskussionen auf die Freiheit als Rahmenthema der ersten<br />

Wuppertaler Literatur Biennale. Mit der Literatur-Nobelpreisträgerin<br />

Herta Müller, Christoph Ransmayr, Felicitas Hoppe, Margriet de Moor und<br />

John van Düffel wurden zudem prominente Autoren eingeladen. Mehr als<br />

3.000 Menschen besuchten die insgesamt 24 Veranstaltungen der Literatur<br />

Biennale. Ein großartiger Erfolg. Mehr über die (Hinter-) Gründe erfahren<br />

Sie in dieser Ausgabe der <strong>Beste</strong>n <strong>Zeit</strong>.<br />

Auch die <strong>Beste</strong> <strong>Zeit</strong> folgt dem Prinzip einer Mischung aus lokaler und<br />

überregionaler Orientierung.<br />

So blicken wir sowohl auf die Italiensehnsucht der Deutschen im Spiegel<br />

früher Photographien und Gemälde im heimischen von der Heydt-Museum<br />

als auch auf zwei großartige Ausstellungen in den Rheinmetropolen Köln<br />

und Bonn: Im Museum Ludwig ist dem Pop Art Künstler Claes Oldenburg<br />

unter dem Titel „The Sixties“ eine großartige Retrospektive gewidmet; in<br />

der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik (Bonn) werden Werke<br />

Anselm Kiefers präsentiert.<br />

Viel Vergnügen beim Lesen wünscht<br />

Heiner Bontrup<br />

3


4<br />

Keine Angst vor Berührung<br />

Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“<br />

seit 1813<br />

Alles hat seine <strong>Zeit</strong>.<br />

Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag und Nacht 66 36 74


Inhalt<br />

Ausgabe 16, 4. Jahrgang, August/September 2012<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Sehnsucht nach Italien<br />

Bella Italia<br />

von Ulrich Pohlmann Seite 6<br />

Von der Heydt-Kunsthalle<br />

Ausstellung Christian Hellmich<br />

von Beate Eickhoff Seite 9<br />

Kuss der Freiheit<br />

Wuppertaler Literatur Biennale<br />

Rückblicke von Heiner Bontrup Seite 11<br />

Nachwirkung einer Lesung<br />

von Luisa Altergott Seite 16<br />

Orte der Ruhe<br />

Der Mühlenhof in Breckerfeld<br />

von Matthias Dohmen Seite 19<br />

Anselm Kiefer - Am Anfang<br />

Aus der Sammlung Hans Grothe<br />

Bundeskunsthalle Bonn Seite 21<br />

<strong>Die</strong>go<br />

Kurzgeschichte von<br />

Dorothea Müller<br />

Öffentliches Grün<br />

Seite 29<br />

Wuppertals grüne Anlagen<br />

von Antonia Dinnebier Seite 33<br />

German Song<br />

Teo Otto Theater, Remscheid<br />

von Anne-Kathrin Reif Seite 36<br />

The Sixties<br />

Ausstellung Claes Oldenburg<br />

Museum Ludwig, Köln Seite 38<br />

Auf die Lady<br />

Portrait Mechthild Großmann<br />

von Klaus Göntzsche Seite 43<br />

Später Besuch<br />

von Elisabeth Heinemann Seite 46<br />

Arbeitsscheuer Präsident<br />

Kurzgeschichte von<br />

Karl Otto Mühl Seite 47<br />

Annäherung an ein Porträt<br />

von Heiko Meins<br />

von Mattias Dohmen Seite 49<br />

Neue Kunstbücher<br />

Nichts als die Wahrheit<br />

Vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 51<br />

Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />

vorgestellt von Mattias Dohmen Seite 53<br />

Angenagte Herzen<br />

E-Mail-Dialog im TiC-Theater Wuppertal<br />

von Frank Becker<br />

Kulturnotizen<br />

Seite 54<br />

Kulturveranstaltungen aus der Region Seite 56<br />

5


6<br />

Bella Italia –<br />

Fotografi en und Gemälde<br />

1815 – 1900<br />

aus den Sammlungen Siegert,<br />

Münchner Stadtmuseum und<br />

Von der Heydt-Museum<br />

10. Juli – 9. September 2012<br />

Giorgio Sommer<br />

Makkaronifabrik, Neapel, um 1875<br />

Albuminpapier, 20,5 x 25,4 cm<br />

Sammlung <strong>Die</strong>tmar Siegert<br />

Sehnsucht nach Italien<br />

In den vergangenen Jahren fanden in<br />

europäischen Museen immer wieder<br />

Ausstellungen statt, die der Grand Tour<br />

und der Künstlerreise nach Italien im<br />

18. und 19. Jahrhundert gewidmet<br />

waren. <strong>Die</strong> Konzeption der aktuellen<br />

Ausstellung und Publikation ist von<br />

mehreren Ideen und Fragestellungen<br />

angeregt worden. Zum einen beschäftigt<br />

sich Bella Italia mit dem wechselvollen<br />

Verhältnis von Fotografi e und<br />

Malerei im 19. Jahrhundert. Insbesondere<br />

die Fotografen aus der Pionierzeit<br />

waren in der Wahl ihrer Motive und<br />

deren pittoreske Wiedergabe nachhaltig<br />

von der zeitgenössischen Malerei<br />

und der Druckgrafi k des frühen 19.<br />

Jahrhunderts beeinfl usst. Umgekehrt<br />

veränderte sich mit der allgegenwärtigen<br />

Präsenz und Verbreitung der Fotografi<br />

e auch das Erscheinungsbild vieler<br />

Gemälde. <strong>Die</strong> Künstler reagierten auf<br />

den Detailreichtum und die Präzision<br />

der Fotografi e, aber vor allem auf deren<br />

Wirklichkeitstreue.<br />

Ein weiterer Fokus dieser Ausstellung<br />

liegt auf dem Italienbild der Deutschen<br />

im 19. Jahrhundert, wie es in zahllosen<br />

Reiseberichten überliefert worden ist.<br />

Der Fotografi e kam in diesem Zusammenhang<br />

eine besondere Aufgabe zu.<br />

Viele Reisende haben vor Ort Fotografi<br />

en von Landschaft, Bau- und Kunstwerken<br />

als Souvenir erworben und<br />

später in Erinnerungsalben zusammengestellt,<br />

wo diese Memorabilien einer<br />

Bildungs- oder Vergnügungsreise für<br />

die Nachwelt überdauerten. Auf diese<br />

Weise konnte man nicht nur den<br />

Daheimgebliebenen von den Abenteuern<br />

und Anstrengungen anschaulich<br />

berichten, sondern sich das vergangene<br />

Geschehen auch selbst ins Gedächtnis


ufen. Reisefotografi en repräsentierten im<br />

19. Jahrhundert ein wichtiges Schaufenster<br />

zur Welt, das die Wahrnehmung der<br />

Fremde ähnlich präkonditionierte wie die<br />

literarischen Reiseberichte und Guiden,<br />

die dem Touristen den Ablauf der Reise<br />

vorstrukturierten.<br />

Unter dem Eindruck des südlichen Klimas<br />

und Lichtes verwandelte sich das Reiseerlebnis<br />

oft zu einem sinnlichen Prozess<br />

der Selbstfi ndung, wie Friedrich Theodor<br />

Fischer anlässlich eines Aufenthaltes in<br />

Rom im Jahre 1839 feststellte: »Als ich<br />

[nach Italien] kam, war mein Auge noch<br />

ein ungeschliffenes Glas; jetzt fange ich<br />

an zu sehen.« Der Deutsch-Römer Hans<br />

von Marées fasste 1872 in einem Brief<br />

an Adolf von Hildebrand die Sehnsucht<br />

nach persönlicher Reifung in die Worte<br />

»Italien ist sozusagen in uns selbst.«<br />

Bei der Lektüre der Reiseberichte stößt<br />

man zwangsläufi g auf Stereotypen und<br />

Klischees, die in Bezug auf die italienische<br />

Halbinsel und ihre Bewohner existierten.<br />

Fotografi en spielten bei der Konstruktion<br />

dessen, was man nördlich der Alpen als<br />

typisch italienische Lebenskultur ansah,<br />

ebenfalls eine wichtige Rolle.<br />

Wenn man die Fotografi en und Reiseliteratur<br />

miteinander vergleicht, dann stehen<br />

diese beiden Darstellungen häufi g in<br />

einem Spannungsverhältnis, gelegentlich<br />

auch im Widerspruch zueinander. Wenn<br />

man beispielsweise dem Reisejournal<br />

von Adolf Stahr Glauben schenken darf,<br />

dann waren romantische Schwärmereien<br />

für die Antike in Rom um 1860 unberechtigt,<br />

da die Neubauten vielerorten<br />

Oswald Achenbach, Blick auf Capri, 1884, Öl auf Leinwand, Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />

das Erscheinungsbild der Stadt bestimmten<br />

und die Trümmer des antiken bzw.<br />

mittelalterlichen Roms dem Reisenden<br />

wie ein versprengtes Skelett erschienen.<br />

<strong>Die</strong> Fotografen blendeten das moderne<br />

Leben weitgehend aus, um stattdessen<br />

ein harmonisches Gesamtbild der Stadt<br />

zu repräsentieren, ohne die täglichen Eindrücke<br />

von Lärm, Schmutz und Chaos.<br />

Neben den Besichtigungstouren zu den<br />

klassischen Sehenswürdigkeiten hielten<br />

sich die Fremden vorzugsweise dort<br />

auf, wo man anderen gleichgesinnten<br />

Reisenden begegnete. Man traf sich in<br />

den gepfl egten Touristenhotels und -restaurants.<br />

Oder im Caffè Greco in Rom<br />

und der Bierkneipe Zum Kater Hiddigeigei<br />

auf Capri, die ihren Namen dem<br />

Versepos »Der Trompeter von Säckingen«<br />

7


8<br />

von Josef Viktor von Scheffel verdankte.<br />

<strong>Die</strong>se Lokalitäten waren in Deutschland<br />

hinlänglich bekannte Zufl uchtstätten, in<br />

denen sich die leutselige Gemütlichkeit<br />

des Nordens mit italienischer Lebenskultur<br />

zu vereinen schien.<br />

Vielfach bewegten sich die Touristen auf<br />

ihren Besichtigungsreisen wie Fremdkörper<br />

durch die Städte, ohne dabei zu merken,<br />

dass sie selber bereits Gegenstand<br />

intensiver Betrachtung durch die Italiener<br />

wurden. Sie repräsentierten mit ihren<br />

exzentrisch anmutenden Verhaltensformen<br />

den »komischen« Fremden, der im<br />

populären Pfennig-Magazin im Jahre<br />

1851 in sechs verschiedene Kategorien<br />

unterteilt wurde, die zwischen dem Plattfußtouristen<br />

und »undurchdringlichen«<br />

Reisenden variierten. <strong>Die</strong> Ausstellung<br />

Bella Italia folgt der klassischen Reiseroute<br />

von Nord- nach Süditalien. Traditionelle<br />

Schwerpunkte der Italienreise<br />

setzen Venedig, Rom und die Umgebung<br />

Neapels mit ihren Sehenswürdigkeiten,<br />

die zahllose prominente und weniger<br />

bekannte Reisende in ihren Bann zogen.<br />

<strong>Die</strong> Ausstellung präsentiert 210 Originalfotografi<br />

en und Gemälde aus dem <strong>Zeit</strong>raum<br />

von 1815 bis 1900. <strong>Die</strong> Gemälde<br />

aus der Sammlung des Von der Heydt-<br />

Museums sind fast ausnahmslos in der<br />

Spätromantik, also der präfotografi schen<br />

Epoche entstanden. <strong>Die</strong> Fotografi en, von<br />

mehr als 50 der bedeutendsten in- und<br />

ausländischen Fotografen aufgenommen,<br />

stammen aus der Sammlung <strong>Die</strong>tmar<br />

Siegert und aus der Sammlung Fotografi e<br />

des Münchner Stadtmuseums.<br />

Ulrich Pohlmann<br />

Zur Ausstellung ist ein reich bebilderter<br />

Katalog (240 Seiten) im Kehrer Verlag,<br />

Heidelberg, erschienen.<br />

Buchhandelsausgabe 35 Euro,<br />

Museumsausgabe 25 Euro<br />

Öffnungszeiten:<br />

Di – So 11 – 18 Uhr, Do 11 – 20 Uhr<br />

Mo geschlossen<br />

www.von-der-heydt-museum.de<br />

Truogoli di Santa Brigida, Genua<br />

Francesco Ciappei, 1880<br />

Albuminpapier, 26,1 x 21,3 cm<br />

Münchner Stadtmuseum, Sammlung<br />

Fotografi e


Von der Heydt-Kunsthalle, Barmen<br />

bis 7. Oktober 2012<br />

The World is mine<br />

2011, Öl auf Leinwand 64 x 50 cm<br />

Courtesy Tanja Pol Galerie, München<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2012<br />

Christian Hellmich<br />

Christian Hellmichs (*1977) Malerei<br />

ist präzise und salopp zugleich. <strong>Die</strong><br />

aktuelle Ausstellung in der Von der<br />

Heydt-Kunsthalle zeigt mehr als 30<br />

Arbeiten von 2006 bis zu den jüngsten,<br />

im April 2012 entstandenen Bildern.<br />

Stand zunächst die gegenständlich<br />

anmutende Darstellung von Architekturen<br />

im Zentrum seines Schaffens, so<br />

treten in neueren Bildern Figuren und<br />

Formen hinzu. Mit Hilfe imaginärer<br />

Bauzäune, Pavillons, Stationen erkunden<br />

die Bilder die Grenze zwischen dem<br />

Konkreten und dem Abstrakten, dem<br />

Wie und dem Was der Malerei. Mit<br />

einem bewusst modulhaften Zusammensetzen<br />

der Bilder verweist er auf die<br />

Konstruiertheit der Wahrnehmung und<br />

die Möglichkeiten der Malerei. Seine<br />

Arbeiten sind, wie Hellmich es beschreibt,<br />

„ein Schnitt durch das visuelle<br />

Rauschen unserer <strong>Zeit</strong>“.<br />

Der Produktionsprozess bleibt sichtbar<br />

und erzeugt Bilder, die zwischen<br />

Offenheit und Geschlossenheit vermitteln.<br />

Man fühlt sich an Versatzstücke<br />

der Realität erinnert, ohne diese konkret<br />

benennen zu können. Genau diese<br />

irritierende Präzision in der Bestimmung<br />

des Vagen zieht sich durch das gesamte<br />

bisherige Werk des Künstlers.<br />

Hellmich lotet aus, wie weit er dieses<br />

Konzept in Richtung Abstraktion treiben<br />

und trotzdem eine Art Gegenständlichkeit<br />

aufrechterhalten kann. Er schöpft<br />

dabei aus den unterschiedlichsten<br />

9


10<br />

Lift, 2011<br />

Öl auf Leinwand 40 x 30 cm<br />

Courtesy Tanja Pol Galerie, München<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2012<br />

Magazin und Kulisse, 2009<br />

Öl auf Leinwand 64 x 50 cm<br />

Courtesy Tanja Pol Galerie, München<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2012<br />

Still, 2011<br />

Öl auf Leinwand 150 x 95 cm<br />

Courtesy Tanja Pol Galerie, München<br />

© VG Bild-Kunst, Bonn 2012<br />

Quellen – dem eigenen Fotoarchiv über<br />

den Bildervorrat der Kunstgeschichte bis<br />

hin zu ganz profanen Discounter-Prospekten.<br />

Ziel ist eine wertfreie Nebeneinanderstellung,<br />

schließlich auch eine<br />

Neukontextualisierung verschiedener<br />

Bildwelten und -realitäten.<br />

Als Maler fordert Hellmich ein „Erkennen<br />

ohne Wiedererkennen“ heraus und<br />

spielt gekonnt mit dem Kontrast präziser<br />

Linien und abstrahierender Motivdarstellungen,<br />

mit klarer Kontur und leuchtenden<br />

Farbfl ächen, mit räumlicher Tiefe<br />

und Flachheit. Verwaiste, halbbekannte<br />

Bildräume lassen den Betrachter vor dem<br />

Bild zur Hauptfi gur werden, lassen ihn<br />

förmlich in die Szenerie hineintreten.<br />

Beate Eickhoff<br />

Katalog mit Texten von Ludwig Seyfarth<br />

und Markus Heidingsfelder, 15 Euro<br />

Öffnungszeiten:<br />

Di – So 11-18 Uhr, Mo geschlossen


Rückblicke auf die erste<br />

Wuppertaler Literatur Biennale<br />

Dicht drängen sich die Menschen in<br />

dem hinteren dunklen, weil fensterlosen<br />

Raum der „Viertelbar“, die so heißt, weil<br />

sie so klein ist und in einem Szeneviertel<br />

Wuppertals liegt. Üblicherweise verkehrt<br />

hier ein jüngeres Publikum. Aber heute ist-<br />

Literatur Biennale und da ist alles anders.<br />

Längst ist der Raum prall gefüllt und noch<br />

immer drängen Menschen – die meisten<br />

von ihnen über 50 – nach.<br />

Es ist Donnerstag, die Fußball-EM läuft<br />

und doch ist diese Veranstaltung schon<br />

lange ausgebucht.<br />

Lesebühne: Szene aus<br />

Miranda Hubers Schauspiel „Gelandet“<br />

Kuss der Freiheit<br />

Abbas Khider hatte Mut bewiesen.<br />

Bereits als 19-jähriger hat er sich für<br />

die Freiheit in seinem Heimatland Irak<br />

eingesetzt. Doch das Regime unter<br />

Saddam Hussein schlug zurück. Abbas<br />

Khider musste ins Gefängnis und wurde<br />

gefoltert. Seine Lebenserfahrungen und<br />

das alltägliche Leben von Menschen<br />

in den <strong>Zeit</strong>en der Diktatur hat er in<br />

zwei Romanen verarbeitet. Jetzt sitzt<br />

er in der Viertelbar, erzählt aus seinem<br />

Leben und liest aus seinen Werken „Der<br />

falsche Inder“ und „<strong>Die</strong> Orangen des<br />

Präsidenten“.<br />

Vampire<br />

Abbas Khider, der von weitem und<br />

bei oberfl ächlicher Betrachtung dem<br />

Fußballer Sami Khedira ähnelt, hat das<br />

Publikum mit seinem virilen Charme<br />

schnell um den Finger gewickelt. Er<br />

erzählt, wie er als Pennäler Graffi tis mit<br />

versautem Inhalt an die Schulwände<br />

schmierte und lange <strong>Zeit</strong> nicht erwischt<br />

wurde. Bis ihn jemand verriet. <strong>Die</strong> Strafe,<br />

die er dafür erhielt, sollte ein bitterer<br />

Vorgeschmack sein für das, was er dann<br />

durch die Folterknechte Saddam Husseins<br />

im Gefängnis erleiden musste. Das<br />

Publikum hängt an den Lippen des gebürtigen<br />

Irakers, genießt vielleicht auch<br />

den Ausfl ug ins Reich der Schrecken –<br />

im Bewusstsein der eigenen Sicherheit:<br />

hier in Deutschland, hier in einem Land<br />

mit freiheitlich-demokratischer Grundordnung,<br />

hier im Dunkel der Viertelbar.<br />

Khider erzählt, wie er mit Fördermitteln<br />

der Bundesrepublik nach Ägypten reisen<br />

konnte, um dort die Revolution zu unterstützen.<br />

In dem sicheren Bewusstsein,<br />

dass er, sollte es dort gefährlich werden,<br />

Schutz bei der deutschen Botschaft<br />

fi nden würde.<br />

Das sind Augenblicke, in denen sich<br />

die Schatten der Vergangenheit des<br />

eigenen Lebens und der verzweifelte<br />

Kampf der Menschen in Ägypten und<br />

Syrien um Freiheit und Würde ins Anekdotenhafte<br />

aufzulösen drohen. Und<br />

es ist der Moment, in der eine Dame<br />

– sie mag so um die 60 sein – es nicht<br />

11


12<br />

mehr aushält. Sie bittet um das Wort<br />

und erzählt mit nur mühsam kontrollierter<br />

Wut in der Stimme, dass sie<br />

erlebt habe, dass die deutsche Botschaft<br />

sich eben nicht um Angehörige ihres<br />

Staates gekümmert habe, insbesondere<br />

wenn diese politisch missliebig seien.<br />

Und sie erinnert an die unerträglichen<br />

Zustände in deutschen Asylbewerberheimen.<br />

Und an subtile Formen<br />

der Zensur im eigenen Land. Es ist<br />

ein Moment, in dem der arabische<br />

Frühling mitten in Wuppertal, in dieser<br />

Literatur Biennale, angekommen ist.<br />

Denn Freiheit, radikal, also von der<br />

Wurzel her betrachtet, ist unteilbar.<br />

Das Publikum hält den Atem an, die<br />

Moderatorin holt Luft, wohl um der<br />

Dame das Wort zu verbieten. Im Namen<br />

der Freiheit? Aber es ist auch und<br />

vor allem ein Moment der Wahrheit<br />

über Abbas Khider. Er kommt der Moderatorin<br />

zuvor, gibt der Dame Recht<br />

und berichtet von den deprimierenden<br />

Erfahrungen in den deutschen Heimen.<br />

Abbas Khider gewinnt in diesem Augenblick<br />

an Glaubwürdigkeit. <strong>Die</strong> Gefahr<br />

jener falschen deutschen Gemütlichkeit,<br />

die schon Goethe im „Faust“ karikiert<br />

hatte, ist gebannt:<br />

Nichts Bessers weiß ich mir an Sonn- und<br />

Feiertagen, // Als ein Gespräch von Krieg<br />

und Kriegsgeschrei, // Wenn hinten, weit,<br />

in der Türkei, die Völker aufeinander<br />

schlagen. // Man steht am Fenster, trinkt ein<br />

Gläschen aus // Und sieht am Fluss hinab<br />

die bunten Schiffe gleiten; // Dann kehrt<br />

man abends froh nach Haus und segnet<br />

Fried’ und Friedenszeiten.<br />

Das ging schon zu Goethes <strong>Zeit</strong>en nicht<br />

und geht heute in einer globalisierten<br />

Welt noch weniger. Es ist Abbas Khider,<br />

der diesen Weltzusammenhang am Ende<br />

in einem schönen Bild zusammenfasst:<br />

„Wir Menschen in der arabischsprachigen<br />

Welt waren lange <strong>Zeit</strong> Vampire.<br />

Wir wagten uns nur nachts und wenn<br />

niemand von den Spitzeldiensten uns<br />

zuhören konnte, das Blut der Wahrheit<br />

zu saugen. Dann trauten sich die ersten<br />

und sagten die Wahrheit auch am hellen<br />

Tag. Und je mehr Menschen mutig<br />

wurden, umso mehr verbreitete sich der<br />

Geruch der Freiheit. Vielleicht ist der<br />

arabische Biss in die Kehle der Wahrheit<br />

ein Kuss der Freiheit für die ganze<br />

Welt.“<br />

Dauerlächeln<br />

In Lesungen wie dieser ging das Konzept<br />

der ersten Literatur Biennale auf:<br />

durch die Begegnungen mit den literarischen<br />

Protagonisten des Arabischen<br />

Frühlings Verständnis und Empathie für<br />

die Menschen in der arabischsprachigen<br />

Welt herzustellen, einer Welt, der wir<br />

oft mit Vorurteilen begegnen - insbesondere<br />

wenn es um den Islam geht. Für<br />

eine nüchterne, differenzierte und pragmatische<br />

Betrachtung der aktuellen Vorgänge<br />

in der arabischen Welt warb der<br />

Politikwissenschaftler Dr. Jochen Hippler<br />

in seinem Vortrag bei der inhaltlich<br />

überfrachteten Auftaktveranstaltung<br />

im feierlichen Mendelssohn-Saal der<br />

Stadthalle. Man solle genau hinschauen,<br />

das Bild der arabischen Welt lasse<br />

sich nicht schwarz-weiß malen: hier<br />

die guten demokratischen und weltoffenen<br />

Kräfte, dort die dumpfen, noch<br />

Herta Müller Samar Yazbek Margriet de Moor<br />

im Mittelalter lebenden reaktionären<br />

Kräfte der Muslimbrüderschaften oder<br />

eines feindseligen Islamismus. Ein Bild<br />

in vielen Grautönen käme der Wahrheit<br />

näher, so Hippler, denn demokratische<br />

Kräfte gebe es bei den religiös Überzeugten<br />

ebenso wie Partikularinteressen<br />

bei den religionsfernen und demokratiefeindlichen<br />

Kräften. Und er zeichnete<br />

ein realistisches Zukunftsszenario: Es<br />

werde noch lange dauern, bis die Länder,<br />

die sich im sogenannten Arabischen<br />

Frühling auf den Weg zu einem Mehr<br />

an Freiheit aufgemacht haben, die<br />

demokratischen und rechtsstaatlichen<br />

Standards der Westlichen Welt erreichten.<br />

Aber ein einfaches Zurück in den<br />

ehemals von westlichen Staaten tolerierten<br />

und sogar aus geostrategischen<br />

Gründen unterstützten Despoten wäre<br />

ebenso unmöglich.<br />

Dass die zur Eröffnung eingeladenen<br />

Autorin Samar Yazbek (Syrien) und der<br />

Schriftsteller Chalid Al Chamissi (Ägypten)<br />

eine andere Sicht der Dinge haben,<br />

ist naheliegend. Ihre Erfahrungen,<br />

Erlebnisse und Einschätzungen der Revolutionen<br />

vermittelten sie am Tag nach<br />

der Eröffnungsveranstaltung im intimeren<br />

Rahmen der türkischen Kultur-<br />

Kneipe ADA. <strong>Die</strong> Lesung aus Chalid al<br />

Chamissis Buch „Taxi in Kairo“ zauberte<br />

ein Dauerlächeln in das Gesicht der<br />

Zuhörer, weil es mit viel Ironie und Humor<br />

das Alltagsleben im vorrevolutionären<br />

Ägypten schildert. „Wer wissen will,<br />

unter welchen Bedingungen die Ägypter<br />

bisher zu leben hatten und warum sie<br />

die Revolution wollten, der lese dieses<br />

Buch“, schreibt Kersten Knipp in der


Frankfurter Rundschau. Der Zuhörer im<br />

ADA erfährt noch mehr: wie Literatur,<br />

Humor und Ironie zu Überlebensmitteln<br />

in schwer erträglichen <strong>Zeit</strong>en werden<br />

können. Samar Yazbek, die in ihrer<br />

Heimat Syrien Romane schrieb und als<br />

Journalistin arbeitete, dokumentierte die<br />

Protestbewegungen in ihrer Heimat. Als<br />

ihr Name auf der Todesliste der Geheimdienste<br />

auftauchte, tauchte sie ab und<br />

fl oh mit ihrer Tochter ins Ausland. Ihr<br />

Buch über ihre Erfahrungen im Gefängnis<br />

ist – wie der Titel – „ein Schrei nach<br />

Freiheit“, der bei den Zuhörern im ADA<br />

dort ankam, wo er hingehört: mitten ins<br />

Herz.<br />

Woher noch Stühle nehmen?<br />

Als der Künstlerische Beirat dieser ersten<br />

Wuppertaler Literatur Biennale zusammentraf,<br />

gab es sehr ernste und kritische<br />

Diskussionen zum Rahmenthema. Ob<br />

wohl ein solch dezidiert politisches Thema<br />

im Rahmen eines Literaturfestivals<br />

richtig verortet sei? Ob die Wuppertaler<br />

sich durch ein solches Thema – wenn<br />

hinten weit im Morgenland – bewegen<br />

lassen würden? <strong>Die</strong> Biennale hat gezeigt,<br />

dass sich die inneren und äußeren Wirklichkeiten<br />

durch nichts besser transportieren<br />

lassen als durch Literatur. <strong>Die</strong><br />

Wuppertaler haben sich bewegen lassen:<br />

Weit mehr als 3.000 Menschen kamen<br />

zu den 24 Veranstaltungen der Biennale.<br />

„Oft hatten wir das Problem, woher wir<br />

noch Stühle bekommen“, sagte Monika<br />

Heigermoser, Leiterin des Kulturbüros<br />

und Initiatorin der Literatur Biennale.<br />

Hinzu kamen 50 Schullesungen des VS,<br />

die in die Literatur Biennale eingebunden<br />

waren.<br />

Der Erfolg beruht wohl auch auf dem<br />

vom Beirat entwickelten Konzept, das<br />

Thema „Freiheit“ multiperspektivisch<br />

abzubilden. So las John van Düffel in<br />

der prall gefüllten Universitätsbibliothek<br />

aus seinem Roman „Houwelandt“, in<br />

dem es um das Ausbrechen aus verkrusteten<br />

Familienstrukturen geht. In<br />

der von der Wuppertaler Kulturjournalistin<br />

Anne Linsel sensibel moderierten<br />

Lesung mit der niederländischen<br />

Autorin Margriet de Moor portraitiert<br />

die Autorin eine junge Frau, die aus<br />

ihrer Heimat Dänemark in das Amsterdam<br />

Rembrandts reist. Ein Schrei<br />

nach Freiheit ist der Mord an ihrer<br />

Zimmerwirtin, den sie nicht bereuen<br />

kann und will. Sie wird zum Tode<br />

verurteilt. Wenige Stunden nach ihrer<br />

Hinrichtung zeichnet sie ein Rembrandt<br />

nachempfundener Maler; er will diesen<br />

Augen-Blick festhalten, den Verfall aufhalten,<br />

dem gewesenen Leben Ewigkeit,<br />

dem Tode Schönheit abtrotzen. Der<br />

Roman ist ein großartiges artistisches<br />

Spiel und zugleich ein Ringen um den<br />

Zusammenhang von Kunst und Leben.<br />

Gelungen war das Zusammenspiel von<br />

Musik und Lesung. Ein Trio für Alte<br />

Musik (Viola da Gamba, Gitarre und<br />

Cembola) entführte die Zuhörer auch<br />

atmosphärisch in die <strong>Zeit</strong> des 17. Jahrhunderts.<br />

Musik und Wort<br />

Überhaupt erwies sich die musikalische<br />

Kontextualisierung der Literatur<br />

als ein gelungener Baustein dieser<br />

ersten Wuppertaler Literatur Biennale.<br />

Besonders beeindruckend war<br />

das „Zusammenspiel“ zwischen dem<br />

Jörg Degenkolb-Deg˘erli Karl Otto Mühl Michael Zeller<br />

Bassisten und Improvisationsmusiker<br />

Harald Eller und Christoph Ramsmayr,<br />

der im Barmer Bahnhof aus seinem<br />

Roman „Morbus Kitahara“ las und die<br />

Zuschauer in eine apokalyptische Welt<br />

nach einem fiktiven Krieg entführte,<br />

in der sich die Sieger an den früheren<br />

Peinigern rächen. <strong>Die</strong> beklemmenden<br />

Stimmungen, Bilder und Geschichten,<br />

aufgebaut aus komplexen Satzkaskaden<br />

und in einer filmisch bildhaften Sprache,<br />

spiegelte Eller in seinen Bass-Soli<br />

atmosphärisch präzise wieder.<br />

Zu dem Konzept der Biennale gehörte<br />

von Anfang an, neben Großautoren<br />

wie Christoph Ransmayr, Margriet de<br />

Moor und Literaturnobelpreisträgerin<br />

Herta Müller auch den Wuppertaler<br />

Autoren Gehör zu verleihen. Denn die<br />

Wuppertaler Literaturszene war und<br />

ist lebendig. Karl Otto Mühl, Jahrgang<br />

1923, Nestor der Wuppertaler<br />

Literaten, trat im Slam Poetry Wettbewerb<br />

gegen die Enkel-Generation<br />

Jörg Degenkolb-Degerli und Andre<br />

Wiesler an. Altersunterschied: 50<br />

Jahre. Herrmann Schulz, langjähriger<br />

Leiter des Wuppertaler Peter-Hammer-<br />

Verlages, Autor zahlreicher Romane<br />

und Jugendbücher betrat ebenfalls die<br />

„Generation-Stage“ und ließ sich auf<br />

die Kunst des schnell wirksamen Wortes<br />

ein. Der Wuppertaler Schriftsteller<br />

Michael Zeller, von der Heydt- und<br />

Andreas-Gryphius-Preisträger, erörterte<br />

mit seinen Kollegen Artur Becker<br />

und Dariusz Muzer – alle drei wurden<br />

in Polen geboren – die vielfältigen<br />

Formen der Zensur im Polen des real<br />

existierenden Kommunismus.<br />

13


14<br />

Schöne Ideen<br />

Mühl und Zeller waren auch mit von<br />

der Partie, als sich die Bergische <strong>Zeit</strong>schrift<br />

für Literatur „Karussell“ in der<br />

überfüllten Galerie Epikur vorstellte.<br />

<strong>Die</strong> Wuppertaler Autorin Friederike<br />

Zelesko hatte, als sie von den Planungen<br />

der Biennale erfuhr, die schöne<br />

Idee, rechtzeitig zum Start des Festivals<br />

eine Literaturzeitschrift zu gründen.<br />

Mit fi nanzieller Unterstützung des<br />

Herausgebers der „<strong>Beste</strong>n <strong>Zeit</strong>“ und des<br />

früheren Betreibers der Galerie Epikur<br />

Hans-Peter <strong>Nacke</strong> konnte dieser Plan<br />

verwirklicht werden. <strong>Die</strong> <strong>Zeit</strong>schrift,<br />

die mit mehr als 100 Seiten eher ein Almanach<br />

wurde, hat fast alle in Wuppertal<br />

schreibenden Autoren zwischen zwei<br />

Buchdeckeln zusammengeführt und<br />

vermittelt so einen beeindruckenden<br />

Überblick über die literarische Vielfalt<br />

im Wuppertal. Unter den zahlreichen<br />

Texten fi nden sich nicht wenige literarische<br />

Juwele.<br />

So wurde der Abend – moderiert von<br />

der Wuppertaler Autorin Christiane<br />

Gibiec – ein heiteres literarisches<br />

Potpourri. Menschen setzten sich auf<br />

den Boden, weil es keine Stühle mehr<br />

gab, standen auf der Treppe, lehnten an<br />

Wänden, um den Wuppertaler Literaten<br />

zu lauschen. <strong>Die</strong> <strong>Zeit</strong>schrift soll<br />

fortgeführt und zu einer Plattform für<br />

literarische Talente Wuppertals werden.<br />

Ebenfalls eine sehr schöne Idee war es,<br />

einen Autor aus einem Werk lesen zu<br />

lassen, das leider noch immer einen<br />

Verleger sucht. Für viele war es einer der<br />

berührendsten Veranstaltungen der Bi-<br />

ennale: Thomas Hoever las aus seinem<br />

Roman “Lilli“, in dem er die Entwicklung<br />

eines Mädchens mit Down-Syndrom<br />

vom ungeliebten, vernachlässigten<br />

Kind hin zu einer selbstbestimmten und<br />

freien Persönlichkeit beschreibt. Freiheit<br />

hat eben viele Facetten. Ebenso schön<br />

war auch die Idee, Felicitas Hoppe im<br />

Namen der Freiheit in einer Haftanstalt<br />

lesen zu lassen.<br />

Besinnung auf die Wurzeln<br />

Zu Gehör kamen am historischen Ort –<br />

der Concordia – auch die drei großen<br />

historischen Gestalten der Wuppertaler<br />

Literatur: Friedrich Engels, Armin<br />

T. Wegner und Else Lasker-Schüler,<br />

jeweils wunderbar vorgetragen von Rolf<br />

Becker. <strong>Die</strong> Musik – Klavierstücke von<br />

Arnold Schönberg – passten ausgezeichnet<br />

zu diesem Nachmittag, weil<br />

Schönberg in seiner neu gefundenen<br />

Musiksprache auch aus den Erstarrungen<br />

seiner bürgerlichen Herkunft und<br />

ihrer in der Musik seiner <strong>Zeit</strong> Ausdruck<br />

fi ndenden Ästhetik ausbrechen will.<br />

Auch er vollzieht wie die Literaten den<br />

Bruch mit der bürgerlichen Welt – aber<br />

auf seine ganz eigene Weise. Hervorzuheben<br />

ist die kluge und sensible<br />

Textauswahl durch Michael Okroy, der<br />

origineller- und dankenswerter Weise<br />

nicht noch einmal die in Wuppertal<br />

schon häufi g gehörte Else Lasker-<br />

Schüler zu Wort kommen lässt, sondern<br />

einen Rezensenten, der die Lesung der<br />

Lyrikerin in ihrer Heimatstadt sehr anschaulich<br />

beschreibt und dabei das für<br />

die damalige <strong>Zeit</strong> Fremde, den neuen<br />

Ton beschreibt, aber auch die verständnislosen<br />

Reaktionen einiger <strong>Zeit</strong>genos-<br />

Lopango Ya Banka (Rap) Dariusz Muszer Hermann Schulz<br />

sen gegenüber einer Schriftstellerin, der<br />

später „Hirnerweichung“ vorgeworfen<br />

werden sollte. Für die Biennale-Macher<br />

sollte die Auseinandersetzung mit diesen<br />

literarischen Wurzeln Wuppertals<br />

zu einer Konstante des Literaturfestes<br />

werden.<br />

Blick zurück und nach vorn<br />

„Wer vieles bringt, wird manchem etwas<br />

bringen“ lässt Goethe den erfolgsorientierten<br />

und geschäftstüchtigen<br />

Schauspieldirektor im „Faust“ sagen.<br />

Goethe, der das Theater in Weimar geleitet<br />

hat, wusste, wovon er spricht. Ein<br />

Erfolgsrezept, das auch in der Jetztzeit<br />

in Wuppertal aufgegangen ist. Neben<br />

der Vielfalt der Orte – Kirchen und<br />

Kneipen, Stadthalle und Botanischer<br />

Garten, Schauspielhaus und Off-Theater<br />

– war es sicherlich auch das bunte,<br />

an verschiedenen Zielgruppen orientierte<br />

Programm der Biennale, die den<br />

Start dieses Literaturfestes zu einem<br />

grandiosen Erfolg werden ließ. Dazu<br />

gehörten Veranstaltungsformate wie<br />

Slam Poetry und HipHop-Performances<br />

im Schauspielhaus ebenso wie die<br />

Lesebühne, bei der Schauspielschüler<br />

der Folkwang Universität drei Stücke<br />

junger Dramatiker in einer szenischer<br />

Lesung vorstellten. Eine hochkarätig<br />

besetzte Jury hatte diese drei Stücke<br />

ausgewählt, in deren Zentren junge<br />

Menschen stehen, die sich gegen alle<br />

Widerstände couragiert zur Wehr<br />

setzen. Ihre Schöpfer Michael Decar,<br />

Thomas Paulmann und Miranda<br />

Huber (Kanada) haben für die existentiellen<br />

Konfl ikte ihrer Protagonisten<br />

die richtige Sprache gefunden. Gerade


die von Gerold Theobalt und Jan<br />

Niklas konzipierte Lesebühne war ein<br />

ausgezeichnetes Beispiel dafür, dass ein<br />

Literaturfestival viel mehr bieten kann<br />

als die klassische Wasserglas-Lesung.<br />

Wuppertal hat gezeigt, dass Vielfalt<br />

nicht wie so häufi g in der Festivallandschaft<br />

Beliebigkeit bedeuten muss. <strong>Die</strong><br />

Orientierung an einem Rahmenthema,<br />

der Anspruch auf Qualität und Originalität<br />

waren Schlüssel zum Erfolg. Zu<br />

einem ähnlich Eindruck kommt auch<br />

die Rheinische Post: „Literatur Biennale?<br />

Ein zu pompöser Name, denkt man<br />

– aber nur bis zum ersten Blick ins<br />

Programm. 42 Seiten ist es dick und<br />

listet (…) Namen wie Herta Müller<br />

und Christoph Ransmayr, wie Felicitas<br />

Hoppe und John van Düffel, wie Margriet<br />

de Moor und Michael Kleeberg so<br />

selbstverständlich auf, als habe die Lit.<br />

Cologne neuerdings einen bergischen<br />

Ableger. <strong>Die</strong> Literatur Biennale ist aber<br />

anders als das kölsche Spektakulum:<br />

Sie ist das unglaubliche Produkt einer<br />

Zusammenarbeit von 23 Wuppertaler<br />

Kulturinstitutionen.“<br />

<strong>Die</strong> Literatur Biennale ist großartig<br />

gestartet, sie birgt das Potenzial in<br />

sich, Wuppertal auch überregional als<br />

(Literatur-)Stadt strahlen zu lassen.<br />

Neue Medienpartner müssen gefunden<br />

werden. Kontinuität ist gefordert, aber<br />

auch der Mut, weiterhin neue und<br />

überraschende Wege zu gehen.<br />

Heiner Bontrup<br />

Foto Hermann Schulz: Fritz Kohmann,<br />

Foto David Grashoff: Thomas Winkelhagen,<br />

alle anderen Fotos: Antje Zeis-Loi<br />

von links: Christoph Ransmayr, Harald Eller<br />

<strong>Die</strong> Literatur Biennale wurde von Monika Heigermoser, Leiterin des<br />

Wuppertaler Kulturbüros, initiiert.<br />

Ihre Idee war es, die Literaturvereinigungen der Stadt sowie viele weitere<br />

Institutionen wie die Universität und die Gedok zusammen zu führen.<br />

Eher ungewöhnlich, wurde auf den Einkauf eines Festivalleiters verzichtet, was<br />

nicht nur viel Geld sparte, sondern auch die Möglichkeit der Kooperation auf<br />

„Augenhöhe“ ermöglichte. Dem Künstlerischen Beirat gehören an:<br />

Monika Heigermoser, Ruth Eising (Literaturagentin), Anne Linsel (Kulturjournalistin,<br />

Dokumentarfi lmerin und Publizistin), Gerold Theobalt<br />

(Bühnenautor, freier Dramaturg, Dozent an der Folkwang Universität),<br />

Herrmann Schulz (Schriftsteller) und Heiner Bontrup (Lehrer und Autor)<br />

Thomas Hoever David Grashoff Ernest Wichner<br />

15


16<br />

Luisa Altergott wird am 20. Oktober 1991<br />

in dem kleinen russischen Dorf Karkawino<br />

geboren. Karkawino hat nur zwei Straßen<br />

und liegt im Grenzgebiet der Mongolei und<br />

Kasachstans. <strong>Die</strong> Tochter einer Russlanddeutschen<br />

geht mit nur acht Mitschülern<br />

in eine Dorfschulklasse. In der Familie wird<br />

nur russisch gesprochen. Im Oktober 2002<br />

– Luisa ist gerade 11 Jahre alt geworden –<br />

siedelt die Familie nach Deutschland um.<br />

Zunächst in ein Wohnheim in Barmen.<br />

Dort lebt die Familie – die alleinerziehende<br />

Mutter sowie die vier Schwestern – auf<br />

engstem Raum in nur e i n e m Zimmer.<br />

Mit elf Jahren (!) muss Luisa nun die 3.<br />

Grundschulklasse besuchen. Sie fi ndet<br />

einen Lehrer, der sie fördert und so lernt<br />

sie schnell Deutsch. Danach besucht sie<br />

die Gesamtschule Else Lasker-Schüler, wo<br />

sie wegen hervorragender Leistungen in<br />

allen Fächern das 7. Schuljahr überspringen<br />

kann. Dort erwirbt sie in diesem Jahr das<br />

Abitur mit einer Durchschnittsnote von<br />

1.6. Ihre Lieblingsfächer sind Deutsch und<br />

Philosophie. Hinsichtlich ihrer Studienwünsche<br />

ist sie offen für vieles. Aber eines<br />

ist klar: „Literarisches Schreiben soll eine<br />

Konstante in meinem Leben sein!“<br />

Fremde Freiheit<br />

Nachwirkung einer Lesung<br />

Am 16. Juni 2012 las Literatur-Nobelpreisträgerin Herta Müller auf Einladung der Else-<br />

Lasker-Schüler-Gesellschaft im Rahmen der ersten WuppertalerLiteratur Biennale in der<br />

bis auf den letzten Platz gefüllten Barmer Immanuelskirche aus ihren Werken. Moderiert<br />

wurde die Lesung von dem langjährigen literarischen Wegbegleiter Ernest Wichner, Leiter<br />

des Literaturhauses Berlin. Über Ernest Wichner sagt Herta Müller, „dass wohl niemand<br />

mein Werk so gut kennt wie er“. <strong>Die</strong> sehr sensibel aufeinander abgestimmten Gespräche<br />

und Lesungen enthüllten, wie Menschen in Diktaturen wie dem Ceausescu-Regime Rumäniens<br />

sich selbst entfremdet werden. Zugleich zeigte die Lesung aber auch, wie Literatur<br />

zum Überlebensmittel in <strong>Zeit</strong>en des geistigen und seelischen Terrors werden kann.<br />

Luisa Altergott, die gerade an Gesamtschule Else Lasker-Schüler ihr Abitur gemacht hat,<br />

war bei der Lesung dabei. In einem literarischen Text verarbeitet sie den eigenen rezeptionsästhetischen<br />

Prozess und kommt gerade dadurch der verstörenden und betörenden Schönheit<br />

der Erzählweise Herta Müllers auf die Spur. (Heiner Bontrup)<br />

Heute ist der 16.06.2012, ich sage es,<br />

damit ich es nicht vergesse. Heute ist<br />

Samstag, ich sitze in einer Kirche mit<br />

hohen Decken und schlichter Verzierung,<br />

aber die Schlichtheit steht dem Raum.<br />

<strong>Die</strong> meisten Plätze sind verlassen, der<br />

Raum hat sich ebenso schnell geleert, wie<br />

er sich vor knapp zwei Stunden gefüllt<br />

hatte, eine lange Schlange hat sich vorne<br />

gebildet. Ich sehe Bücher in jeden Händen<br />

und sehe wie sie unterschreibt.<br />

Herta Müller. Nobelpreisträgerin. Talent<br />

bedarf keiner Preise, aber manchmal<br />

bedarf es Preise, um Talent erkennbar zu<br />

machen.<br />

Im Geiste umfl iegen mich Gedanken,<br />

ich habe mich immer noch nicht von dem<br />

hier Gehörten gelöst, die Befangenheit will<br />

nicht von mir weichen.<br />

Fast ist mir, als schließe ich die Augen,<br />

ich schließe sie und höre etwas in mir leise<br />

fl üstern. Unzählige Szenen werden von<br />

neuem aufgegriffen aus den Romanen<br />

„Niederungen“ „Herztier“, „Atemschaukel“.<br />

Bücher, die den Zuhörer sanft in<br />

ihren Bann ziehen.<br />

Auch mich hat der Bann erfasst und lässt<br />

die Szenen des Abends vor meinen Augen<br />

zu Bildern werden, die sich zu Wellen<br />

zusammenschließen und zu Wind und<br />

Blättern und mich ins Unbekannte ziehen,<br />

wo ich nicht Ich bin, wo niemand Ich ist,<br />

wo der Leser und der Erzähler und das<br />

Erzählte zusammenfallen.<br />

So sind es nicht meine Szenen und auch<br />

nicht meine Geschichten. Es sind Figuren,<br />

Schatten erzählter Worte, aber hier und<br />

jetzt sind sie ein Teil von mir.<br />

Ich sehe die kleinen Mäuse neben dem<br />

Kissen auf dem Bett, ihre rosige Haut, die<br />

kaum gelernt hat zu atmen. Ich sehe ihn,<br />

der die Mäuse in seinem Bett entdeckt. Ihn,<br />

den Deportierten, den zu Zwangsarbeit in<br />

einem Arbeitslager in der Ukraine verurteilten.<br />

Den Verlorenen, den Vergessenen.<br />

<strong>Die</strong> Mäuse, ein Herzschlag aus Glas und<br />

Porzellan, ein Hauch von Dasein und Leben,<br />

in dieser Welt, in der das Atmen einer<br />

Strafe gleicht und Leben einem Verbrechen.<br />

Doch seine Augen leuchten, beinah<br />

so, als ob er es nicht weiß.<br />

Ich fühle, wie er sich leise freut und sich<br />

umschaut und denkt auserwählt worden<br />

zu sein. Ich fühle die Liebe dieser Figur,<br />

die ein Schatten aus einer Geschichte ist<br />

und ein Teil von mir, vor allem fühle ich<br />

aber, dass er ein junger Mann ist, der ein<br />

Kind zu sein wünscht und beinah ein<br />

Kind zu sein glaubt und dass er nun mit<br />

einem Augenblick begreift, dass diese<br />

Mäuse bald fressen müssen. Hier, auf<br />

trockenem Boden, wo nur Hunger und<br />

Verzweifl ung erwächst.<br />

Wo Menschen zum Nichts verenden,<br />

wo niemand erwünscht ist und niemand<br />

willkommen.<br />

Er weiß, dass er die Mäuse nicht behalten<br />

kann. Und es schmerzt, auch wenn es<br />

ein stiller Schmerz ist, ein vermummter.<br />

Und sogleich bin ich das Kind, das er zu<br />

sein wünscht, seine Gedanken werden<br />

zu meinen. Um ein Kind zu sein, genügt<br />

der Wunsch allein nicht mehr, die <strong>Zeit</strong><br />

nimmt keine Wünsche an. <strong>Die</strong>se Mäuse<br />

können und dürfen nicht leben. Ich fühle<br />

die Kleinen, wie ich sie trage, etwas hat<br />

mich stumm gemacht, ich trage sie und<br />

lasse los und versuche nicht daran zu denken,<br />

wohin sie fallen, und beinahe sehe ich<br />

es doch.


Ein anderes Bild, verschwommen,<br />

umschattet, ergreift sodann Besitz von<br />

mir. Ich sehe das Kätzchen, das der Gefangene,<br />

als er noch ein Kind war, in die<br />

Ecke getrieben hat und wie es nach dem<br />

Fremden faucht. Ich fühle, wie das Herz<br />

der Fremden sich für einen Augenblick<br />

zusammenzieht und ich sehe die ausgestreckte<br />

Hand und wie die Zähne des<br />

Kätzchens sich in sein Fleisch bohren und<br />

nicht loslassen. Ein leiser Stich durchfährt<br />

mich, mich, die ich zur Fremdem werde,<br />

zu Worten auf Papier. Ich bin nicht die<br />

Figur, und dennoch sind es beinah meine<br />

Finger, die sich um den kleinen Hals<br />

schließen und zudrücken. Es sind nur<br />

Augenblicke, bloß Sekunden, in denen<br />

ich nicht anders kann und mich Bitterkeit<br />

umschließt. Und dann ist es auch<br />

schon zu spät. Wenn man geben will und<br />

wird gebissen … die wahre Wunde ist<br />

dann nicht zusehen. Doch wie viel ist die<br />

Liebe wert, wenn sie den anderen nicht<br />

erreicht und kann es gar zu viel der Liebe<br />

geben? Vor allem wenn man gar nicht<br />

weiß, was Liebe ist und gar nicht weiß,<br />

was man bewirken kann …<br />

Das Bild verblasst, ein anderes drängt<br />

sich mir auf. Ich sehe, wie die alte Russin<br />

die Suppe auf den Tisch stellt und wie<br />

der Gefangene, der ich bin und doch<br />

nicht ich, die Suppe verschlingt. Ich sehe<br />

die zwei Hühner auf dem Stuhl. Ich sehe<br />

den Sohn der alten Russin, der in der<br />

Fremde ist. Ich sehe, wie der Gefangene<br />

unwohl auf dem Stuhl verharrt. Wie<br />

er die Last der Sehnsucht dieser alten<br />

Frau fühlt, die ihr Eigenkind zu sehen<br />

wünscht. In ihren Augen spiegelt sich<br />

sein Spiegelbild, er ist es nicht, nach<br />

dem das Herz ihr schreit. Ich sehe, wie<br />

er fühlt zwei Personen in einem zu sein<br />

und es ihn zerreißt, da schon er selbst<br />

zu sein zu viel ist. Ich sehe, wie die alte<br />

Russin ihm das Taschentuch reicht, das<br />

einem Schatz gleich entgegengenommen<br />

wird. Ich sehe, wie er fühlt, dass es zu<br />

viel ist. Ich sehe das Huhn, das auf dem<br />

Rückweg an ihm vorbei läuft. Ich sehe<br />

ihn, der zu einem Klumpen aus Leim<br />

zerfällt. Er, der ein Zaun ist, ein Schatten,<br />

ein Gegenstand. Formlos, unsichtbar,<br />

vergänglich, bewegungslos und<br />

stumm. Er, der verkommen ist, zu Etwas<br />

Seelenlosem Totem. <strong>Die</strong> Schönheit, die<br />

das Taschentuch birgt, schmerzt, es<br />

macht bewusst, welch Hässlichkeit einen<br />

umgibt. Doch zugleich ist es die Naht,<br />

die einen an die Hoffnung bindet.<br />

Ich habe das Bild der Großmutter vor<br />

mir, die sagt, dass man zurückkehrt,<br />

dann klammert sich die Hand erneut an<br />

das Taschentuch, sacht, weil es zu kostbar<br />

ist. Und ich fühle das leise Versprechen,<br />

dass dieses Taschentuch meine Zukunft<br />

ist und mein Schicksal.<br />

Ich sehe die Frau, die am Telefon steht<br />

und lautlos schluckt, doch laut genug,<br />

dass sie ertappt zu sein glaubt, mit einer<br />

Hand geht sie über ihren Hals und senkt<br />

für einen Augenblick den Kopf. Ihr<br />

Blick huscht zur Seite, fällt auf zerrissene<br />

Briefumschläge und neueingegangene<br />

Post. Eine Sekunde lang stockt ihr der<br />

Atem, sie braucht den Inhalt gar nicht<br />

erst zu lesen. Fast hört sie die Drohbriefe<br />

leise lachen, als hätten sie gewonnen. Am<br />

Ohr hängt immer noch der Hörer, doch<br />

sie vernimmt nichts mehr. Ihre Freundin<br />

kommt. Weshalb, warum, fragt der<br />

Verstand, und wie? Doch das Herz hat<br />

Klebeband und hört es nicht.<br />

Ich sehe, wie sie kommt und sie ihr<br />

glauben will. Auch als sie sagt, sie wurde<br />

hergeschickt und dass sie sie nicht verrät.<br />

Sie will ihr glauben und sie tut es nicht.<br />

Und weil sie es nicht tut, schließt sie<br />

die Augen. <strong>Die</strong> Hände krallen sich nach<br />

Halt, meine Hände, ihre Hände, ich<br />

bin sie und sie ist ich. Dinge, denen ich<br />

mich nicht stelle, die gibt es nicht. Also<br />

lasse ich sie alleine. Vor dem Auge ziehen<br />

sich Fäden zu einem Band zusammen,<br />

die Fäden reißen, fügen sich zusammen,<br />

greifen ineinander. Und sodann zerfl ießt<br />

das Band in Bilder aus Farben, die darauf<br />

beharren nicht nur Erinnerungen zu sein.<br />

Ich sehe den Schlüssel, mein Herz vergisst<br />

für einen Augenblick zu schlagen,<br />

meine Beine stolpern zu der Tür, der<br />

Schlüssel passt. Eine Mauer hat sich aufgebaut.<br />

Ich lasse sie den Koffer packen,<br />

wir stehen da und sehen uns nicht an. Sie<br />

will bleiben, auch ich will, dass sie bleibt<br />

und dennoch muss sie gehen. Sie weint<br />

nicht, der Kopf steht wie auf Steinen,<br />

auf den Lippen brennen Worte und sie<br />

schweigt. Auch sie versteht, dass Worte<br />

hier nichts mehr bedeuten. Sie geht, ich<br />

schicke sie zurück und schicke ein Stück<br />

von mir mit ihr und ein Stück von ihr<br />

bleibt hier zurück.<br />

Ich sehe Bilder um Bilder in mir schwören.<br />

Bilder, die ich nur sehen, doch nicht<br />

beschreiben will. Ich sehe ein Leben, das<br />

nicht meines ist und das sich meiner Vorstellung<br />

beinah ganz entzieht. Ich kenne<br />

nicht das Gefühl, in einem Dorf erdrückt<br />

zu werden. Einen Staat, der Bücher zu<br />

Feinden erklärt, einen Staat, der Andersdenkende<br />

fürchtet und entsorgt. Es lebt,<br />

atmet und wächst, ein Ungeheuer, das<br />

sich in Kleider fremder Freiheit zwängt<br />

und das Unrecht zum Gesetz sich macht.<br />

Es lebt, aber ich kenne es nicht.<br />

Es ist ein Bild, das in mir erwächst, wie<br />

die Bilder der erzählten Geschichten. Es<br />

bleibt meiner Vorstellung überlassen, was<br />

ich denke. Und Vorstellen heißt nicht<br />

Erleben, Vorstellen heißt nicht Verstehen,<br />

aber es heißt, verstehen zu wollen<br />

und nichts anderes zählt, die Alternative<br />

ist Augen schließen.<br />

Herta Müller. Lesen. Schreiben. Menschen<br />

die Wahrheit aufzuzeigen, die eigene<br />

Wahrheit, sodass sie im Geiste eines<br />

jeden zu neuer Wahrheit münden kann.<br />

<strong>Die</strong> Autogrammstunde neigt sich dem<br />

Ende, ich nenne meinen Namen und<br />

schaue zu, wie sie unterschreibt. Im<br />

Grunde ist sie für mich eine Fremde, und<br />

dennoch empfi nde ich es nicht so. Ich<br />

fühle nur die Bilder.<br />

Buchstaben erheben sich zu Wellen,<br />

Wasser, das mit sanfter Entschlossenheit<br />

auf Felsen prallt, auf Stein der Jahrhunderte<br />

und zerschellt. Giganten aus Stein<br />

ragen aus kalter Erde hervor und türmen<br />

sich zu Riesen, doch den Wellen wachsen<br />

Flügel und aus Wasser werden Diamanten.<br />

Kein Stein kann Wasser je bezwingen<br />

und niemals beugt es sich Giganten.<br />

Es sind nicht bloße Worte auf Papier.<br />

Luisa Altergott<br />

17


Mühlenhof Breckerfeld Alles original: <strong>Die</strong> Bockwindmühle, das<br />

Gerade die kleinste der neun Städte im<br />

benachbarten Ennepe-Ruhr-Kreis ist<br />

eine Reise wert. Weithin sichtbar, bildet<br />

die Bockwindmühle ein Wahrzeichen<br />

der Gemeinde, die etwas mehr als 9.000<br />

Einwohner zählt und aus dem kleineren<br />

Ortsteil Waldbauer und dem größeren<br />

Breckerfeld besteht. <strong>Die</strong> alte Hansestadt<br />

liegt an der Grenze zum Märkischen<br />

Sauerland, verfügt über einen historischen<br />

Ortskern mit Wehrmauer und hat einige<br />

besuchenswerte Kirchen. Bekannt ist weit<br />

über die Grenzen des staatlich anerkannten<br />

Erholungsortes die Glörtalsperre.<br />

Fotos: Stadt Breckerfeld, Wikipedia<br />

Orte der Ruhe<br />

Herzstück des Mühlenhofs Breckerfeld,<br />

stand ursprünglich in Beeskow bei Frankfurt<br />

an der Oder, wo sie 1846 erbaut wurde.<br />

150 Jahre später wurde sie dann ab- und<br />

dort aufgebaut, wo sie heute steht. Zur<br />

Ausstattung zählen zwei Kammräder, ein<br />

Sackaufzug und ein Steinhebekran. Zwei<br />

der vier Flügel sind mit Segeltuch bespannt,<br />

die anderen sind so genannte Jalousiefl ügel.<br />

Aus der Bauernschaft Ostönnen im<br />

Kreis Soest stammt der Backspeicher mit<br />

Backstube, Küche und „Altenteilerstuben“,<br />

in denen zu früheren <strong>Zeit</strong>en die nicht mehr<br />

aktiven Familienmitglieder einer Bauernfamilie<br />

ihre letzten Jahre verbrachten.<br />

Ebenfalls Kreis-Soester Ursprungs sind der<br />

Kornspeicher und das Bienenhaus.<br />

Eine weitere Attraktion: das Backhaus,<br />

das anno 1775 im westmünsterländischen<br />

Heiden als Dreiständerhaus erbaut wurde.<br />

Bis kurz nach dem Ersten Weltkrieg lebten<br />

hier die Bauersleute mit Gesinde und Tieren<br />

unter einem Dach. Auch das Backhaus,<br />

in dessen Erdgeschoss sich ein Krämerladen<br />

befi ndet, wurde vor nunmehr 16 Jahren<br />

ab- und in Breckerfeld wieder aufgebaut.<br />

Im Laden gibt es frisches Mühlenbrot,<br />

Vollkorn- und Müslibrot, Stuten, Schinken,<br />

Hausmacherwurst und Käse zu kaufen.<br />

Im ersten Stock befi ndet sich ein<br />

Selbstbedienungscafé mit zivilen Preisen.<br />

Im Backspeicher gleich nebenan existiert<br />

ein Restaurant, das sich auf jeden Fall zu<br />

besuchen lohnt und das dem Gast eine<br />

den beengten Verhältnissen angepasste<br />

Karte mit nahrhaften wie wohlschmeckenden<br />

Speisen präsentiert: Waffeln und<br />

Pfannkuchen, Sauerbraten und Rouladen,<br />

Wurstplatten und die klassische bergische<br />

Kaffeetafel, von der es in einem Bericht auf<br />

der Internetseite reisen.ciao.de heißt, dass<br />

man dafür „mindestens einen Tag hungern<br />

sollte“, sind zu empfehlen. Backhaus wie<br />

Backspeicher stehen voll mit alten Möbeln<br />

beziehungsweise Mobiliar aus den 1950er-<br />

Jahren.<br />

Der Mühlenhof ist mit öffentlichen<br />

Verkehrsmitteln, aber natürlich auch mit<br />

dem Auto erreichbar (kostenlose Parkplätze).<br />

<strong>Die</strong> Öffnungszeiten: Mittwoch und<br />

Donnerstag sowie am Wochenende und an<br />

19


20<br />

Ausfl ugtipp<br />

<strong>Die</strong> Fachbuchhandlung<br />

Baedecker, Friedrich-Ebert-<br />

Straße 31 (Elberfeld),<br />

www.baedecker-buecher.de,<br />

Tel. 0202/305011, empfi ehlt<br />

für Wanderungen rund um<br />

Breckerfeld den Wanderführer<br />

„20 Wanderungen im Ennepe-<br />

Ruhr-Kreis“ von Jörg Mortsiefer,<br />

erschienen im Droste<br />

Verlag. Im engeren Umkreis<br />

von Breckerfeld sind allein drei<br />

schöne Rundwanderungen<br />

beschrieben. Kartenskizzen im<br />

Buch runden die Touren ab.<br />

Das Buch kostet 9.95 Euro<br />

Feiertagen von 12 bis 20 beziehungsweise<br />

22 Uhr.<br />

Einen Besuch lohnt auch die Alte<br />

Schmiede. Fast 400 Jahre alt, diente sie bis<br />

zu ihrer Umwidmung der Herstellung von<br />

Kleineisenteilen, sprich Feuerzangen, Zirkeln<br />

oder Kohlenschaufeln. Mitte der 1960er-<br />

Jahre renoviert, profi lierten Maria und Helmut<br />

Kühne ihre Gaststätte mit Steaks aus<br />

dem Schmiedefeuer, Waffeln, Irish Coffee<br />

und fränkischem Wein. Der lukullische Ort<br />

ist dienstags bis samstags von 14 bis 18 Uhr<br />

geöffnet.<br />

Wer vor dem guten Essen oder auch<br />

danach wandern möchte, verfügt an der<br />

Schnittstelle von Ruhrgebiet, Bergischem<br />

Land und Sauerland über ein reichliches<br />

Angebot, wozu nicht zuletzt die höchste<br />

Erhebung des Ennepe-Ruhr-Kreises und des<br />

gesamten Ruhrpotts gehört, der 442 Meter<br />

hohe Wengeberg. Um die alte Hansestadt<br />

herum locken etwa 100 Kilometer Rundwanderwege<br />

mit 19 Streckenführungen. Jede<br />

Menge Infos fi nden sich auf der sehr schön<br />

gestalteten und übersichtlichen Website<br />

ennepe-ruhr-tourismus.de, auf der auch die<br />

Städte des EN-Kreises vorgestellt werden,<br />

nämlich Ennepetal,Gevelsberg, Hattingen,<br />

Herdecke, die Kreisstadt Schwelm, Sprockhövel,<br />

Wetter (Ruhr), Witten und eben<br />

Breckerfeld. Wer es ausführlich liebt, ist mit<br />

dem vom Heimatverein herausgegebenen<br />

Festbuch „Breckerfeld 600 Jahre Stadt“ gut<br />

bedient. Es ist übrigens in dem Jahr erschienen,<br />

das der Stadt den Mühlenhof bescherte.<br />

Matthias Dohmen<br />

<strong>Die</strong> topografi sche Karte Hagen /<br />

Gevelsberg, Iserlohn, Witten, Blatt 17,<br />

im Maßstab 1:25.000, ist für Touren<br />

im Gebiet empfehlenswert.<br />

<strong>Die</strong> Stadt Hagen liegt im Zentrum der<br />

Karte, Breckerfeld im unteren Drittel.<br />

Erschienen im Geo-Center Verlag mit<br />

der Kartografi e des Landesvermessungsamtes<br />

NRW.<br />

<strong>Die</strong> Karte kostet 7,95 Euro


Werke aus dem Privatbesitz<br />

Hans Grothe<br />

Noch bis 16. September 2012 in<br />

der Kunst- und Ausstellungshalle<br />

der Bundesrepublik Deutschland<br />

in Bonn<br />

Shebirat Ha Kalim<br />

1990, Blei, Glas, Kleid, Asche und<br />

Frauenhaar auf Holz, 380 x 250 x 35 cm<br />

Privatbesitz Familie Grothe<br />

© Anselm Kiefer, 2011, courtesy Stiftung<br />

für Kunst und Kultur e.V., Bonn<br />

Am Anfang – Anselm Kiefer<br />

Anselm Kiefer schuf im Laufe seiner<br />

künstlerischen Produktion seit Ende der<br />

60er Jahre systematisch seinen eigenen<br />

labyrinthischen Kosmos, was ihm bis heute<br />

erlaubt, existenziellen philosophischen<br />

Fragen nach den Mythen, der christlichen<br />

Religion, der jüdischen Mystik, der Geistesgeschichte,<br />

der Natur, der Musik und<br />

der Literatur in bildnerischen Strategien<br />

nachzugehen und sie immer wieder neu<br />

oder in anderen Zusammenhängen zu<br />

komponieren.<br />

In der Ausstellung werden 24 teilweise<br />

mehrteilige, großformatige Werke aus den<br />

Jahren 1978 bis 2012 aus dem Privatbesitz<br />

der Familie Grothe gezeigt. Weltweit<br />

einmalig ist dieses größte Werkkonvolut<br />

in einer privaten Sammlung. <strong>Die</strong> Auswahl<br />

des Sammlers belegt – auch in der<br />

Ergänzung um neu erworbene skulpturale<br />

Werke – die Einzigartigkeit von Anselm<br />

Kiefers Werk. <strong>Die</strong> ausgestellten Gemälde<br />

und Skulpturen belegen exemplarisch die<br />

umfassende Themenvielfalt bei Kiefer<br />

21


und bieten vielfältige Assoziationsmöglichkeiten: Themen,<br />

die seinen persönlichen ‚Bild-Gedächtnis-Kosmos‘ spiegeln<br />

und die er durch Erinnerungen und Spurensetzungen<br />

refl ektiert und interpretiert.<br />

Anselm Kiefers epische Werke sind durch ihre ungewöhnliche<br />

Materialwahl geprägt, die die inhaltliche Aussage<br />

unterstützt: Dick aufgetragene Farbschichten, Erde, Blei,<br />

Lack, Pfl anzen, Kleidung oder Haare sowie skulpturale<br />

Applikationen – wie Boote oder Flugzeuge – lassen die Arbeiten<br />

über den zweidimensionalen Bildraum hinausgreifen<br />

und die Grenze zwischen Bild und Skulptur erweitern.<br />

Kiefer sucht die Geschichte hinter der Geschichte: „Ich mache<br />

ein Loch und gehe hindurch.“ <strong>Die</strong>ser Ansatz beinhaltet<br />

auch das Prozesshafte von<br />

Geschichte und Gedächtnis<br />

/ Erinnerungen,<br />

gekoppelt mit der subjektiven<br />

Interpretation, dem<br />

sehr persönlichen, freien<br />

Gebrauch, der individuellen<br />

Mythologie und der<br />

eigenen künstlerischen<br />

Geste. So zeigen Werke<br />

in der vom Künstler mit<br />

inszenierten Ausstellung<br />

wie 20 Jahre Einsamkeit,<br />

1971/91, oder Volkszählung<br />

(Leviathan),<br />

1987–1989, viel von<br />

Kiefers persönlicher, innerer<br />

Haltung, während die<br />

für die Ausstellung speziell<br />

dem Raum angepasste, spiralförmige Skulptur Bavel Balal<br />

Mabul (Babel, Sprachverwirrung, Sintfl ut), 2012, mehr auf<br />

die Themenvielfalt und -vernetzung bei Kiefer verweist.<br />

Katalog zur Ausstellung<br />

Am Anfang – Anselm Kiefer.<br />

Werke aus dem Privatbesitz Hans Grothe<br />

Eine Kooperation mit der Stiftung Kunst und Kultur e.V.<br />

200 Seiten mit 5 Klapptafeln, Format: 24,5 x 28 cm<br />

Preis: 32 Euro, Buchhandelsausgabe bei Wienand, Köln<br />

ISBN 978-3-86832-104-3<br />

Öffnungszeiten<br />

Di und Mi: 10 bis 21 Uhr, Do bis So: 10 bis 19 Uhr<br />

Fr für Gruppen ab 9 Uhr geöffnet, Mo geschlossen<br />

www.bundeskunsthalle.de<br />

Wege der Weltweisheit: <strong>Die</strong> Hermannsschlacht<br />

1978/1991, Holzschnitt auf Papier, 400 x 580 cm<br />

Privatbesitz Familie Grothe, © Anselm Kiefer, 2011,<br />

courtesy Stiftung für Kunst und Kultur e.V., Bonn<br />

23


Ausstellungsansicht Am Anfang, Anselm Kiefer – © Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland – Foto: David Ertl<br />

24


26<br />

Anselm Kiefer ist einer der bedeutendsten<br />

internationalen Künstler unserer <strong>Zeit</strong>. Seine<br />

epischen Werke faszinieren nicht zuletzt<br />

durch ihre ungewöhnliche Materialwahl,<br />

die die inhaltliche Aussage unterstützt:<br />

Dick aufgetragene Farbschichten, Erde,<br />

Blei, Lack, Pfl anzen, Kleidung oder Haare<br />

lassen die Arbeiten über den zweidimensionalen<br />

Bildraum hinausgreifen.<br />

Parallel zur dOCUMENTA 13 in Kassel<br />

präsentiert die Bundeskunsthalle in Bonn<br />

auf über 2000 m² wichtige Werke des 1945<br />

geborenen Künstlers aus dem Privatbesitz<br />

Familie Grothe.<br />

Von den Arbeiten Anselm Kiefers hat sich<br />

Hans Grothe 2005 beim Verkauf seiner<br />

umfangreichen Sammlung nicht getrennt,<br />

da die Faszination des Sammlers für die<br />

einzigartige künstlerische Haltung Kiefers<br />

ungebrochen über die Jahrzehnte anhielt.<br />

Erstmalig wird in der Bundeskunsthalle<br />

dieses größte Werkkonvolut aus einer privaten<br />

Sammlung fast vollständig präsentiert.<br />

Eine Auswahl der wichtigsten Werke aus<br />

drei Jahrzehnten wurde mit dem Schwerpunkt<br />

auf der 2000er-Dekade getroffen –<br />

hier belegen Bildensembles aus den Jahren<br />

2010 und 2011 Kiefers großes Interesse<br />

am Thema des Panoramas. Es dominieren<br />

christlich-jüdische und mythologische Themen<br />

im Gegensatz zu den frühen Bildern<br />

und Ensembles vor der Übersiedlung des<br />

Künstlers nach Frankreich vor 20 Jahren,<br />

die sich mit der deutschen Vergangenheit<br />

und Mythologie befassen. Das oft beschriebene<br />

Pathos in Kiefers Werken erscheint in<br />

diesen neuen Arbeiten eigentümlich gebrochen,<br />

zurückgenommen und neutralisiert.<br />

Voyage au bout de la nuit, 2001<br />

Öl, Emulsion, Mischtechnik und Blei auf<br />

Leinwand, 385 x 560 cm<br />

Privatbesitz Familie Grothe<br />

© Anselm Kiefer, 2011, courtesy Stiftung<br />

für Kunst und Kultur e.V., Bonn


28<br />

Robert Fleck verlässt Bundeskunsthalle<br />

<strong>Die</strong> Vorwürfe an den Intendanten der<br />

Bonner Bundeskunsthalle waren hart. Mit<br />

der Präsentation von Werken des Künstlers<br />

Anselm Kiefer, die ausschließlich aus der<br />

Privatsammlung Grothe stammen, hat die<br />

Kritik an Robert Fleck einen Höhepunkt<br />

erreicht.<br />

Am Montag wurde bekannt, dass Fleck<br />

das Haus Ende kommenden Jahres verlassen<br />

wird. Der Vertrag werde in gegenseitigem<br />

Einvernehmen nicht mehr über 2013 verlängert,<br />

teilte ein Sprecher von Kulturstaatsminister<br />

Bernd Neumann (CDU) in Berlin mit.<br />

Fleck wolle sich verstärkt seiner Lehrtätigkeit<br />

an der Düsseldorfer Kunstakademie widmen.<br />

Wieder wird ein neuer Intendant für die<br />

Bundeskunsthalle gesucht, die der Bund mit<br />

jährlich rund 16,5 Millionen Euro fi nanziert.<br />

Nach einem Bericht des Bundesrechnungshofes,<br />

der der Leitung der Kunsthalle<br />

wirtschaftliche Fehler und Versäumnisse im<br />

Umgang mit Bundesmitteln vorgehalten hatte,<br />

hatte 2007 Intendant Wenzel Jacob sein<br />

Amt eingebüßt. Unter seiner Ägide hatte sich<br />

das Haus mit zahlreichen Eigenproduktionen<br />

internationales Renommee erworben und zu<br />

einem Besuchermagneten entwickelt.<br />

Fleck löste 2009 den zwei Jahre zuvor eilig<br />

berufenen Interimsintendanten Christoph<br />

Vitali ab. Da waren die Besucherzahlen schon<br />

in den Keller gerutscht. <strong>Die</strong> Bundeskunsthalle<br />

sei ein Haus unter den ersten zehn Häusern<br />

der Welt, sagte Fleck beim Amtsantritt. Es sei<br />

ein Haus, das eine kulturpolitische Funktion<br />

habe. „Wenn man die überantwortet<br />

The art of tool making<br />

bekommt, ist das mit die tollste Aufgabe, die<br />

einem eigentlich übertragen werden kann.“<br />

Kritiker meinen, das habe er nicht geschafft.<br />

International beachtete Ausstellungen<br />

seien ihm schon seit längerem nur in Ausnahmefällen<br />

gelungen, hieß es in der „Süddeutschen<br />

<strong>Zeit</strong>ung“. <strong>Die</strong> „Frankfurter Allgemeine<br />

<strong>Zeit</strong>ung“ spricht im Zusammenhang mit<br />

der Kiefer-Schau von einem Skandal. Es sei<br />

in der Bundeskunsthalle inzwischen üblich<br />

geworden, einzelnen Sammlern ein Denkmal<br />

zu setzen, statt ihre Kollektionen sorgsam<br />

in einen kunsthistorischen Zusammenhang<br />

einzugliedern.<br />

Bei der Vorstellung der Kiefer-Ausstellung<br />

hatte Fleck erklärt, es sei die bedeutendste<br />

Retrospektive seit 1991. Allerdings waren Teile<br />

der Grothe-Sammlung von Oktober 2011<br />

bis Februar 2012 in der Sammlung Frieder<br />

Burda in Baden-Baden ausgestellt. Auch das<br />

Wiener Essl Museum zeigt in diesem Jahr<br />

eine umfangreiche Ausstellung<br />

Kritik gab es aber auch zuvor. So wurde<br />

eine lange angekündigte Ausstellung von<br />

Rosemarie Trockel kurzerhand ohne Begründung<br />

abgesagt. Selbst an der erfolgreichen<br />

Max-Liebermann-Ausstellung gab es Beanstandungen.<br />

<strong>Die</strong> Kenner bemängelten das<br />

Fehlen wichtiger Bilder aus dem Werk der<br />

Künstlers.<br />

Felix Heyder / dpa


Dorothea Müller<br />

lebt und arbeitet in Wuppertal.<br />

Mitglied im Verband Deutscher Schriftsteller<br />

(VS) , Arbeitsgebiete: Lyrik, Prosa,<br />

Theaterszenen, Texte für Kinder und<br />

mit Kindern. (Kinderschreibwerkstatt,<br />

Buchprojekt: „Ich und du“, interkulturelles<br />

Kinderbuch, 2003).<br />

Buchveröffentlichungen:<br />

„Netz über dem Abgrund“,<br />

„Als der Supermarkt noch Tante Emma hieß“.<br />

Weitere Veröffentlichungen in <strong>Zeit</strong>ungen,<br />

<strong>Zeit</strong>schriften, Anthologien, Rundfunk<br />

(WDR).<br />

<strong>Die</strong>go<br />

Als erstes waren mir seine Hände aufgefallen.<br />

Sensible Hände und doch<br />

kraftvoll, langfi ngrig mit kurz geschnittenen<br />

Nägeln. Er hatte sie in einer<br />

zärtlich anmutenden Geste seinem Sohn<br />

entgegen gestreckt, um ihn willkommen<br />

zu heißen.<br />

Erschrocken versuchte ich die Tränen<br />

zurück zu halten, die mir unvermutet in<br />

die Augen geschossen waren, zusammen<br />

mit einem schmerzlichen Ziehen, das<br />

jäh meinen ganzen Körper erfasst hatte.<br />

Ich verspürte das drängende Verlangen,<br />

mich in diese Hände zu schmiegen, um<br />

in ihnen, wie in einer Höhle, Zufl ucht<br />

zu fi nden.<br />

Sekunden später, als wir einander vorgestellt<br />

wurden, hatte ich mich wieder in<br />

der Gewalt und versuchte ein Lächeln,<br />

das zurückhaltend erwidert wurde.<br />

Ich war gekommen um mir die Bilder<br />

anzusehen, von denen der Sohn erzählt<br />

hatte. Möglicherweise konnte das ein<br />

oder andere für eine geplante Sammelausstellung<br />

geeignet sein.<br />

Nachdem der Sohn sich verabschiedet<br />

hatte, führte der Maler mich in das Atelier,<br />

das neben der kleinen Wohnung<br />

über den Hof lag. <strong>Die</strong>go, wie er seine<br />

Werke signierte, zeigte mir schweigend<br />

seine Leinwände. Viele der Bilder<br />

waren großformatig, von politischen<br />

oder sozialkritischen Themen geprägt,<br />

andere dagegen erinnerten an Miniaturen.<br />

Stillleben lagerten neben Porträts,<br />

surrealistische neben abstrakten Werken,<br />

dazwischen zartfarbene Aquarelle.<br />

Erstaunlich viele Bilder waren unvollendet,<br />

so, als hätte er mitten in der Arbeit<br />

den Pinsel niedergelegt, um etwas<br />

anderes zu beginnen.<br />

Ich stellte ihm einige Fragen, die er aber<br />

kaum beantwortete. Das war eigenartig<br />

und verwirrend, konnte aber an möglichen<br />

Sprachdefi ziten liegen. Darum<br />

verabschiedete ich mich schnell, nicht<br />

ohne das Versprechen, von mir hören<br />

zu lassen. Mit dem Sohn als Dolmetscher<br />

und Moderator würde wir wohl<br />

zu einer Verständigung kommen.<br />

29


30<br />

Unvermutet traf ich <strong>Die</strong>go wenige Tage<br />

später in der Fußgängerzone unserer<br />

Stadt. Er schien sich über unsere<br />

Begegnung zu freuen, und so lud ich<br />

ihn spontan in das kleine Eiscafe am<br />

Marktplatz ein, das später ein häufi ger<br />

Treffpunkt für uns werden sollte.<br />

Vor dem Cafe spielte sich eine groteske<br />

Szene zwischen einem älteren Paar ab,<br />

über die wir herzlich lachen mussten.<br />

Er begann von seinen Eltern zu<br />

erzählen, seiner Kindheit in der kleinen<br />

Stadt, wo er in den Staub des Hofes mit<br />

einem Stock seine ersten Zeichnungen<br />

geritzt hatte, begleitet vom Lachen seines<br />

Vaters. Sie waren zu arm gewesen,<br />

um Papier und Stifte zu besitzen.<br />

Ich war überrascht und erfreut, dass<br />

er unsere Sprache so gut beherrschte.<br />

Kaum einmal suchte er nach dem passenden<br />

Wort. So fl oss seine Erzählung<br />

dahin, und entführte mich in die Sonne<br />

und zu dem Duft seines Landes.<br />

Doch allzu schnell brachte mich der<br />

Terminkalender wieder in meinen<br />

Alltag zurück.<br />

Am nächsten Abend fand ich in<br />

meinem Briefkasten die wunderschöne<br />

Zeichnung eines Schmetterlings, der<br />

mich zu einem Abendessen bei <strong>Die</strong>go<br />

einlud. Heute denke ich manchmal<br />

über die Symbolik dieses Motivs nach.<br />

Damals fand ich es einfach nur entzückend.<br />

<strong>Die</strong>go war ein ausgezeichneter Koch.<br />

Der Tisch, mit Blumen und Kerzen<br />

geschmückt, zeugte von Geschmack<br />

und Gastlichkeit. Lediglich eine Schale<br />

mit überreifen Bananen, die auf der<br />

Fensterbank stand, störte das perfekte<br />

Ambiente. Der Duft des köstlichen<br />

Essens aber übertönte schon bald den<br />

unangenehmen Geruch er schon fast<br />

schwarzen Früchte, und ließ sie auch<br />

mich vergessen. Wie so Vieles, was ich<br />

vielleicht nicht vergaß, aber beiseite<br />

legte während der <strong>Zeit</strong>, in der <strong>Die</strong>go<br />

immer tiefer in mein Leben drang, und<br />

ich in das seine.<br />

Noch nie in meinem Leben hatte ich<br />

so viel Zuwendung, Fürsorge und<br />

Zärtlichkeit erfahren. Ich, die ohne<br />

Vater aufgewachsen war, fand in ihm<br />

all das, was ich lebenslang entbehrt und<br />

gesucht hatte. Und mehr als das.<br />

Aber auch ich konnte ihm helfend beistehen.<br />

Es war mir nicht lange verborgen<br />

geblieben, dass die banalen Dinge<br />

des Alltags ihm Schwierigkeiten bereiteten.<br />

So faszinierend die Gespräche mit<br />

ihm waren, die mir neue Sichtweisen<br />

zeigten, niemals belehrend, aber unendlich<br />

bereichernd, so erschreckte mich<br />

andererseits seine Unfähigkeit, den<br />

einfachsten Ordnungsregeln zu folgen.<br />

Ungeöffnete Rechnungen fanden sich<br />

zwischen <strong>Zeit</strong>schriften und Buchseiten,<br />

Mahnungen wurden ignoriert, Briefe<br />

und Anfragen nicht beantwortet.<br />

Nach und nach übernahm ich für<br />

diesen Teil seines Lebens die Führung.<br />

Er ließ mich gewähren, ja, er schien<br />

dankbar zu sein, wenn ich vertrackte Situationen<br />

entschärfte, Dinge klärte und<br />

erledigte, zu denen er nicht in der Lage<br />

war, oder die ihm lästig erschienen.<br />

Dank meiner Beziehungen konnte ich<br />

ihm zu einigen Aufträgen verhelfen und<br />

ebnete ihm manche Wege, indem ich<br />

ihn mit einfl ussreichen Leuten bekannt<br />

machte. <strong>Die</strong> Dinge entwickelten sich<br />

gut und versprachen, noch besser zu<br />

werden.<br />

Zwischen uns hatten sich schon bald<br />

einige Rituale entwickelt. Niemals<br />

zuvor hatte ich so vertraut, mich einem<br />

anderen Menschen so geöffnet. <strong>Die</strong>go<br />

hatte eine besonderen Namen für mich.<br />

Wenn er in bestimmten Momenten,<br />

ohne es zu bemerken, in seine Muttersprache<br />

wechselte, bekam dieser Name<br />

eine besondere Melodie, voller Harmonie<br />

und Wärme.<br />

Einmal, als unsere Körper schweißnass<br />

neben einander lagen und unser Atem<br />

sich noch nicht beruhigt hatte, sprach<br />

<strong>Die</strong>go plötzlich von Trennung. Erst als<br />

seine Tränen und Küsse mich wieder<br />

berührten, konnte ich mich aus der<br />

schweigenden Erstarrung lösen.<br />

Am nächsten Tag empfi ng mich eine<br />

Blumen geschmückte Wohnung.<br />

Inmitten der blühenden Pracht thronte<br />

eine Pierrot-Puppe. Schwarz glänzte<br />

die Träne im weißen Maskengesicht.<br />

<strong>Die</strong>gos Umarmung glich eher einer<br />

Umklammerung.<br />

Bis heute bin ich nicht sicher, ob ich<br />

die Zeichen nicht sah, oder sie nicht<br />

zu deuten wusste. Zwar spürte ich<br />

zeitweise ein diffuses Unbehagen, das<br />

sich aber nicht manifestierte, sondern<br />

durch unsere leidenschaftliche, enge<br />

Beziehung, die fast symbiotische Züge<br />

angenommen hatte, verdeckt wurde.<br />

All diese Gefühle überrollten mich fast,<br />

waren beglückend und stark. Es war,<br />

als würde ein inneres Leuchten mich<br />

erfüllen.<br />

<strong>Die</strong>go war ebenso erfüllt, schien in<br />

einem Schaffensrausch. Es entstanden<br />

zahlreiche Bilder, ausdrucksstark und<br />

beeindruckend. Bald sollte seine erste<br />

Einzelausstellung stattfi nden, deren<br />

Ankündigung in der Presse bereits ein<br />

großes Echo gefunden hatte.<br />

Während <strong>Die</strong>go wie besessen gemalt<br />

hatte, hatte ich alle erforderlichen Gespräche<br />

und Verhandlungen geführt.<br />

<strong>Die</strong>gos Stimmung, die häufi g großen<br />

Schwankungen unterworfen war, wechselte<br />

immer häufi ger zwischen Euphorie<br />

und Resignation, Selbstzweifeln und<br />

Überheblichkeit. War er kurz zuvor<br />

noch der zärtliche Freund oder leidenschaftliche<br />

Geliebte gewesen, begegnete<br />

er mir plötzlich verschlossen und ablehnend,<br />

fast so, als sei ich ihm zuwider.<br />

In dieser <strong>Zeit</strong> begann ich, Beruhigungsmittel<br />

zu nehmen, um den emotionalen<br />

Wechselbädern gewachsen zu sein, und<br />

um meine Arbeit weiterhin verrichten<br />

zu können. Arbeit, die sich zu einem<br />

nicht unerheblichen Teil auf <strong>Die</strong>gos<br />

Karriere bezog.<br />

Zwei Tage vor einer wichtigen Pressekonferenz,<br />

die <strong>Die</strong>gos Teilnahme<br />

erforderte, war er verschwunden.


Der Zustand der Wohnung ließ auf<br />

einen wütenden und hastigen Aufbruch<br />

schließen. Er hatte keine Nachricht<br />

hinterlassen. Anrufe bei Freunden und<br />

Bekannten blieben ohne Ergebnis. Der<br />

Sohn befand sich schon seit vielen Monaten<br />

in den Staaten. Von ihm waren<br />

weder Rat noch Auskunft zu erwarten.<br />

In mir wechselten sich Sorge, Panik<br />

und Wut ab. Um mich abzulenken,<br />

und meinem inneren Aufruhr Herr zu<br />

werden, begann ich am nächsten Tag<br />

Ordnung in das Chaos der Wohnung<br />

zu bringen.<br />

Eine kostbare Vase lag zerbrochen am<br />

Boden, das Blumenwasser hatte die<br />

Seiten mehrerer Bücher durchtränkt,<br />

zerrupfte Blüten und faulig riechende<br />

Blütenstängel bildeten ein trauriges<br />

Stillleben.<br />

In der Küche lag alles <strong>Beste</strong>ck auf dem<br />

Tisch, als wären die Schubladen achtlos<br />

ausgekippt worden, um Salat und Obst<br />

unter sich zu begraben.<br />

Ich hatte ihn nicht kommen hören. Erst<br />

als er im Türrahmen stand, spürte ich<br />

seine Gegenwart und drehte mich um.<br />

Mit einem schiefen Lächeln und ausgebreiteten<br />

Armen kam er auf mich zu.<br />

Zum ersten Mal drehte ich mich von<br />

ihm weg und entzog mich seiner Umarmung.<br />

Wie eine plötzliche Eruption brachen<br />

Worte und Sätze aus ihm heraus. Flüsternd,<br />

schreiend, zischend schrie er mir<br />

Beleidigungen entgegen, Worte voller<br />

Erniedrigung, demütigende Worte,<br />

die in die Schwärze des Gedächtnisses<br />

gefallen sind. Nur die Gefühle wirbelten<br />

in einem roten Feuerstrom heiß durch<br />

Kopf und Körper.<br />

Da war kein Denken mehr, nur dieser<br />

rote Wirbel in und außer mir. Ich weiß<br />

nicht, wie das Messer in meine Hand<br />

kam. Rot der Feuerstrom, rot, rot wie<br />

das Blut, das viele Blut, und <strong>Die</strong>go am<br />

Boden.<br />

Unsere Kulturförderung<br />

ist gut für die Sinne.<br />

Schweigend legte der Anwalt das letzte<br />

Blatt, von dem er abgelesen hatte, auf<br />

den vor ihm liegenden Aktenstapel.<br />

Der Vorsitzenden Richter schob den<br />

Ärmel seiner Robe zurück und verkündete<br />

eine einstündige Verhandlungspause.<br />

<strong>Die</strong> Angeklagte wurde aus dem Gerichtssaal<br />

geführt. Sie hielt das Gesicht<br />

hinter den Händen verborgen.<br />

Hoch über dem Gerichtsgebäude fl og<br />

am strahlend blauen Himmel eine Formation<br />

Wildgänse Richtung Süden.<br />

Dorothea Müller<br />

Sparkassen-Finanzgruppe<br />

Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. <strong>Die</strong> Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nicht-staatliche Kulturförderer<br />

Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für<br />

die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de<br />

Sparkasse. Gut für Wuppertal.<br />

S<br />

31


Öffentliches Grün braucht<br />

Öffentlichkeitsarbeit<br />

links: Platanenallee im Nordpark<br />

unten: Blick vom Weyersbuschturm<br />

Wuppertals grüne Anlagen<br />

Mit Gartencharme hat Wuppertal noch<br />

selten von sich reden gemacht. Erinnert<br />

sich doch Mancher, der die Stadt besucht<br />

hat, nur an die große Anzahl von Bahnhöfen<br />

oder Autobahnabfahrten und hat<br />

das lange Tal als Abfolge städtebaulicher<br />

Sünden und Löcher in Erinnerung. Doch<br />

gerade in dieser Stadt verbergen sich<br />

Freiräume ungeahnter Größe und Bedeutung.<br />

Wer die „Talachse“ B 7 verlässt und<br />

die Höhen erwandert, fi ndet nicht nur<br />

versteckte Haus- und Villengärten und<br />

zahllose Kleingartensiedlungen. Ausgedehnte<br />

Parkanlagen und Wälder überraschen,<br />

die die Stadt mit einem grünen<br />

Kranz umgeben.<br />

Zu verdanken ist dies einerseits dem<br />

früh zu wirtschaftlicher Kraft gelangten<br />

Bürgertum, Stichwort „Frühindustrialisierung“.<br />

Andererseits gehörte der Gegensatz<br />

von elenden Lebensbedingungen weiter<br />

Bevölkerungsteile und außerordentlichem<br />

sozialem Engagement zur Konstellation,<br />

aus der die ungewöhnliche Größe des öffentlichen<br />

Grüns in Wuppertal herrührt.<br />

Wird der grüne „Schatz“ Wuppertals<br />

von der Bevölkerung auch stark genutzt,<br />

so fehlt doch die rechte Wertschätzung<br />

in der Stadt. So ist der Förderverein<br />

Historische Parkanlagen Wuppertal e.V.<br />

vor einigen Jahren angetreten, Aufklärungsarbeit<br />

zu leisten. Der Bau einer<br />

Tiefgarage ausgerechnet, brachte eine<br />

Gruppe von Bürgern zum Nachdenken<br />

über Geschichte und Bedeutung der<br />

anscheinend einfach gegebenen Freiräume<br />

in der Großstadt an der Wupper. Aus<br />

der Empörung über neue Bauten in und<br />

am De Weerth Garten wuchs bald die<br />

Erkenntnis, dass eine reiche Gartenkultur<br />

die Stadt nicht weniger prägt als die<br />

industrielle Vergangenheit.<br />

<strong>Die</strong> intensive Suche nach der Vergangenheit<br />

des De Weerth Gartens führte<br />

33


34<br />

in Archive, zu <strong>Zeit</strong>zeugen und Familiendynastien.<br />

Es stellt sich heraus, dass<br />

hier einst der erste Landschaftsgarten<br />

im Wuppertal angelegt worden war. Der<br />

vermögende Elberfelder Rentier Peter de<br />

Weerth hatte sich für die Anlage seines<br />

Gartens eine Kapazität geholt, Peter Joseph<br />

Lenné den Älteren. <strong>Die</strong> Recherche<br />

lieferten interessante Erkenntnisse über<br />

das Wirken des Bonner Hofgärtners, der<br />

in der Gartenkunst-Forschung bislang<br />

kaum mehr denn als Vater des berühmten<br />

Preußischen Hofgärtners gleichen<br />

Namens beachtet worden ist.<br />

Schon bald konnten die Ergebnisse<br />

in Vorträgen und Ausstellungen der<br />

Öffentlichkeit näher gebracht werden.<br />

Schließlich entstand die Idee, die reiche<br />

Geschichte des einst privaten Gartens<br />

und heutigen Stadtparks vor Ort zu erzählen.<br />

2006 stellte der Verein sechs Tafeln<br />

auf, für die das Grafi kbüro Neisser<br />

Zöller ein Corporate Design mit hohem<br />

Wiedererkennungswert erfand. Fruchtbar<br />

hat sich auch die Zusammenarbeit<br />

mit dem Gartenamt entwickelt, das die<br />

privat initiierte Öffentlichkeitsarbeit für<br />

öffentliches Grün zu schätzen weiß.<br />

<strong>Die</strong> Vereinsaktivitäten dehnten sich<br />

auf weitere Parks aus, und so erschien<br />

2006 erstmals die patentgefaltete Karte<br />

„Wuppertals grüne Anlagen. Freiräu-<br />

me, Stadtparks, Naturerlebnisse“. 33<br />

Anlagen laden jederzeit griffbereit in<br />

der Handtasche zum Parkbesuch ein.<br />

Nachdem die ersten 10.000 Exemplare<br />

bald verteilt waren, erschien 2010 eine<br />

aktualisierte Aufl age. Auch in einer Stadt<br />

nämlich, die sich gern als Looser präsentiert,<br />

tut sich in Sachen Grün durchaus<br />

Neues und das gleich spektakulär. Mit<br />

der Nordbahntrasse ist ein noch im Bau<br />

befi ndlicher Rad- und Wanderweg in<br />

die Karte aufgenommen worden, der an<br />

die bürgerschaftliche Tradition im Tal<br />

auf neue Weise anknüpft und auf einer<br />

breiten Beteiligung basiert. Von hohem<br />

Niveau ist der Skulpturenpark Waldfrieden,<br />

den der Bildhauer Tony Cragg in<br />

seiner Wahlheimat Wuppertal ins Leben<br />

gerufen hat. Seine Stiftung geht nach<br />

furiosem Anfang bereits auf Erweiterungskurs.<br />

– Keine Frage also, dass die<br />

beiden grünen Neuzugänge nun in der<br />

Karte zu fi nden sind.<br />

Inzwischen sind auch in anderen Parkanlagen<br />

Tafeln aufgestellt worden: 2007<br />

Hardt, 2009 Hohenstein und Nordpark.<br />

Das erarbeitete Wissen wird außerdem<br />

in Führungen und Vorträgen sowie in<br />

Texten weitergegeben.<br />

Mit dem Projekt, Parkführer zu veröffentlichen,<br />

erlangt die Arbeit des<br />

Vereins eine neue Qualität. Anlässlich<br />

des 200-jährigen Jubiläums des Landschaftsgartens<br />

Hardt erschien die erste<br />

Broschüre, für die Rose Wörner, Grand<br />

Dame der deutschen Gartendenkmalpfl<br />

ege, den Text verfasste. Daraus ist<br />

die Reihe „Wuppertals grüne Anlagen“<br />

erwachsen, für die sich die Wuppertaler<br />

Edition Köndgen begeistern ließ.<br />

Im letzten Jahr erschienen die beiden<br />

Führer „Waldanlage Nordpark“, der die<br />

Faltkarte beiliegt, und „Grüne Meile<br />

Lüntenbeck“. Im Herbst wird der Band<br />

„Wasserreich Mirker Hain“ die großartige<br />

Parkanlage am Vogelsangbach und<br />

ihre Umgebung vorstellen.<br />

<strong>Die</strong> reichen Hinterlassenschaften, die<br />

die Nachforschungen über Peter de<br />

Weerth im Privatbesitz einer weitverzweigten<br />

Familie zutage förderten, gaben<br />

Anstoß zur Ausstellung „Von Tugend<br />

und Glück. <strong>Die</strong> private Welt des Bürgers<br />

1815 – 1850“. In Zusammenarbeit<br />

mit dem Bergischen Geschichtsverein<br />

brachten 2009/2010 erstmals vier<br />

Einrichtungen eigene Beiträge in eine<br />

Kooperation ein: Von der Heydt-Museum,<br />

Historisches Zentrum Wuppertal,<br />

Citykirche Elberfeld und Museum für<br />

Völkerkunde.<br />

So hat sich aus Aufbegehren gegen Investorenpolitik<br />

ein weites Feld von Aktivitäten<br />

entwickelt, Wissen über Grün-


Gartenruine Lilienthal<br />

anlagen in Wuppertal zu erarbeiten und<br />

öffentlich zu verbreiten. Ziel ist es dabei,<br />

auf Grün aufmerksam zu machen und<br />

Interesse für seine Vielfalt zu wecken,<br />

Lobbypolitik im besten Sinne. Grüne<br />

Anlagen unterscheiden sich nicht nur<br />

durch gestalterische Moden, sondern<br />

erzählen immer auch Naturgeschichten,<br />

Stadt-, Familien- und Sozialgeschichten.<br />

So gibt es über öffentliche Parkanlagen,<br />

Villen- und Kleingärten viel zu erzählen.<br />

<strong>Die</strong> ehrenamtliche Öffentlichkeitsarbeit<br />

des Vereins Historische Parkanlagen<br />

Wuppertal erfreut sich der Unterstützung<br />

durch Spender und Sponsoren,<br />

für die Brigitte Alexander mit den<br />

abgeschlossenen Projekten wirbt. <strong>Die</strong><br />

Produkte mit dem einheitlichen Erscheinungsbild<br />

von Neisser Zöller haben Stil,<br />

und so fi nden die Veröffentlichungen<br />

auf Papier, Alu oder im Internet viele<br />

Unterstützer, die Material und Herstellung<br />

dankenswerterweise mit kleinen<br />

und großen Beträgen fördern.<br />

Als Dach wurde die Bezeichnung „Wuppertals<br />

grüne Anlagen“ gewählt, um den<br />

Blick auf die Gartenkunst, aber auch<br />

darüber hinaus zu lenken. <strong>Die</strong> Bandbreite<br />

reicht so von Parks und Gärten über<br />

Gärtnereien, Friedhöfe und Tiergärten<br />

bis zu Wäldern, Wegen und Brachfl<br />

ächen. Ein locker geknüpftes Netzwerk<br />

fördert den Austausch zwischen<br />

verschiedenen Akteuren und fi ndet<br />

gelegentlich zu gemeinsamen Aktionen<br />

zusammen. Klaus-Günther Conrads<br />

organisiert die „Offene Gartenpforte“,<br />

Dirk Fischer widmet sich den Wuppertaler<br />

Beiträge zur „Straße der Gartenkunst<br />

zwischen Rhein und Maas“. Auch<br />

Zusammenarbeit mit anderen Vereinen<br />

hat sich als produktiv erwiesen, vom<br />

Bergischen Geschichtsverein und Rheinischem<br />

Verein für Denkmalpfl ege und<br />

Landschaftsschutz über den Förderverein<br />

des Botanischen Gartens bis zu<br />

einzelnen Bürgervereinen. <strong>Die</strong> Internetseite<br />

www.wuppertals-gruene-anlagen.de<br />

ist im Aufbau.<br />

Jede Menge Kommunikationsarbeit und<br />

eine gehörige Portion Forscherdrang<br />

haben Wuppertals grünen Anlagen<br />

eine erhöhte öffentliche Wahrnehmung<br />

erobert. Dabei ist es gelungen, unterschiedliche<br />

Medien zu nutzen und<br />

verschiedene gesellschaftliche Kreise<br />

einzubeziehen. Neben den Besitzern und<br />

Nutzern von grünen Anlagen konnten<br />

zahlreiche Vereine, Wohnungsbaugesellschaften<br />

und Unternehmen für die<br />

Öffentlichkeitsarbeit gewonnen werden.<br />

Antonia Dinnebier<br />

links und oben:<br />

Einweihungsfeier Tafeln de Weerth-Garten<br />

linke Seite:<br />

WDR am Hohenstein<br />

links außen:<br />

Spielplatz Weyersbuschturm<br />

35


36<br />

<strong>Die</strong> Rezension erschien zuerst am 5. Juni<br />

2012 im Remscheid er General-Anzeiger<br />

„Es ist ein Weinen in der Welt, als ob<br />

der liebe Gott gestorben wär...“. Schier<br />

grenzenlose Traurigkeit und Verlorenheit<br />

spricht aus den Zeilen des Gedichts von<br />

Else Lasker-Schüler. Und wer sie schon<br />

einmal für sich gelesen - mithin „innerlich“<br />

gehört - hat, der hat ihnen vermutlich<br />

einen entsprechend dunkelschweren Ton<br />

verliehen. Doch Caroline Keufen spricht sie<br />

ganz hell und mit einem Lächeln.<br />

German Song beeindruckte<br />

Immer wieder schenkt die Schauspielerin<br />

und Regisseurin der literarischen<br />

Performance „German Song“ den<br />

Gedichten einen überraschend hellen,<br />

leichten Klang. Ein gekonnter Kunstgriff,<br />

denn die Irritation erzeugt eine<br />

unterschwellige Spannung, von der<br />

man als Zuhörer gepackt wird, ohne<br />

sogleich zu wissen warum.<br />

Es geht um die dunkelste <strong>Zeit</strong> deutscher<br />

Geschichte<br />

Und das zieht sich durch diesen<br />

Abend: Worte, Klänge, Tanz, Licht<br />

und Bilder in wandfüllenden Projektionen,<br />

collagenhaft zusammengesetzt,<br />

schaffen eine dichte Atmosphäre,<br />

wecken Gefühle, erzeugen wechselnde<br />

Stimmungen und unterlaufen damit<br />

eventuell vorhandene intellektuelle<br />

Barrieren zur Abwehr schwer erträglicher<br />

Inhalte.<br />

Denn leichte Kost sind die nicht,<br />

soviel ist schon im ersten Moment<br />

klar, wenn noch im Bühnendunkel<br />

ein markerschütternder Schrei ertönt.<br />

Ein Schrei aus dem Schützengraben,<br />

vielleicht, der Schrei eines Mannes,<br />

den seine grausamen Erlebnisse bis in<br />

die Träume verfolgen. Es geht um die<br />

dunkelste <strong>Zeit</strong> deutscher Geschichte<br />

(„der Tod ist ein Meister aus Deutschland“),<br />

um Schuld, die sich ebenso<br />

wenig abwaschen lässt wie das Blut im<br />

Blaubart-Märchen, um Verblendung,<br />

wenn ein 16-Jähriger sich freiwillig<br />

zur Waffen-SS meldet und in seinem<br />

Kriegstagebuch von russischen Soldaten<br />

als „Futter für mein MG“ spricht.<br />

Und am Ende auch darum, dass von<br />

solcher Art Verblendung auch der<br />

Terror unserer Tage lebt.<br />

Aber es geht auch darum, was<br />

Poesie, Kunst und Musik vermag: Unsagbares<br />

auszudrücken und zugleich<br />

Gegenwelten zu Grausamkeit und<br />

Gewalt zu schaffen. „Ich will in das<br />

Grenzenlose“ heißt es in Else Lasker-<br />

Schülers Gedicht „Meinwärts“, und<br />

dazu öffnet sich lichtblau und weit<br />

der Himmel, zieht ein Vogel vorbei,<br />

und wenn die Worte verklungen sind,


im Teo Otto Theater<br />

tragen der Tanz der phantastischen Chrystel Guillebeaud<br />

und die sachten Piano- und Percussionklänge die Zuschauer<br />

weit hinaus in den ersehnten hellen, freien Raum.<br />

Trotz einiger kleiner technischer Unstimmigkeiten bei<br />

der Uraufführung am Sonntag im Teo Otto Theater, die<br />

gelegentlich die Intensität schwächten: <strong>Die</strong>ser Abend bot<br />

eine große Dichte an Eindrücken, die sich anschicken,<br />

noch lange nachzuklingen.<br />

Anne-Kathrin Reif<br />

<strong>Die</strong> Akteure<br />

German Song ist eine Ensembleleistung von:<br />

Heiner Bontrup (Autor/Sprecher),<br />

Ulrike Müller (Autorin),<br />

Caroline Keufen (Sprecherin/Regie), Andreas Ramstein (als Sprecher<br />

eingesprungen für Hans Richter),<br />

Faith Iyere (Sprecherin/Gesang),<br />

Chrystel Guillebeaud (Tanz),<br />

Charles Petersohn (Flügel, Syntheziser), <strong>Die</strong>trich Rauschtenberger<br />

(Schlagwerk, Saxophon) und Wasiliki Noulesa (Videobühnenbild).<br />

37


38<br />

The Sixties – Ausstellung Claes Oldenburg<br />

22.Juni bis 30.September 2012<br />

im Museum Ludwig, Köln<br />

<strong>Die</strong> großangelegte Ausstellung im Museum<br />

Ludwig bietet den bislang umfassendsten<br />

Überblick zu Oldenburgs künstlerischem<br />

Werdegang von den späten 1950er bis in<br />

die Mitte der 1970er Jahre, angefangen<br />

mit den historisch bedeutenden Installationen<br />

„The Street“ und „The Store“ sowie<br />

den parallel entstandenen Happenings,<br />

über die verschiedenen Soft-, Hard-,<br />

Ghost- und Giant-Versions seiner Objektskulpturen<br />

der 1960er Jahre bis hin zu den<br />

Zeichnungen und Collagen öffentlicher<br />

Monumente. Einen weiteren Schwerpunkt<br />

bildet die Konzeptualisierung seines<br />

Ansatzes in den 1970er Jahren, in deren<br />

Zentrum das „Mouse Museum“ steht, ein<br />

begehbares Miniaturmuseum in Form einer<br />

„Geometric Mouse“, für das Oldenburg<br />

seit den späten 1950er Jahren insgesamt<br />

381 Gegenstände: Souvenirs, Kitschobjetke<br />

und Ateliermodelle gesammelt hat.<br />

Shoestring Potatoes, Spilling from a Bag,<br />

1966, Leinen gefüllt mit Kapok, Leim, bemalt<br />

mit Acryl, 274,3 x 132,1 x 101,6 cm<br />

Collection Walker Art Center,<br />

Minneapolis; Schenkung der<br />

T. B. Walker Foundation, 1966<br />

© Claes Oldenburg<br />

Claes Oldenburg (*1929 in Stockholm)<br />

zählt zu den großen Namen der amerikanischen<br />

Pop Art. Seine zumeist an<br />

banalen Alltagsgegenständen orientierten<br />

Skulpturen bergen stets ein Überraschungsmoment,<br />

seien es nun die<br />

überdimensional großen Lichtschalter<br />

oder Eishörnchen aus schlaffen, gefütterten<br />

Stoffen oder seine monumentalen<br />

Außenskulpturen in zahlreichen Metropolen<br />

der Welt.<br />

Riesige, ca. zwei Meter lange Pommes<br />

frites fallen aus einer Tüte von der<br />

Decke des Ausstellungsraums, ein riesiges<br />

Tortenstück und ein ca. 3,5 Meter langes<br />

Eishörnchen aus schlaffem Stoff liegen<br />

auf Sockeln, wie auf einem riesigen Bett<br />

im Ausstellungsraum. Ein Eishörnchen<br />

aus Kunststoff befi ndet sich auch auf dem<br />

Dach eines Kölner Einkaufszentrums am<br />

Neumarkt. Mit derartigen Monumenten<br />

im öffentlichen Raum, die in zahlreichen<br />

Metropolen der Welt zu fi nden sind, ist<br />

Claes Oldenburg einer großen Zahl von<br />

Menschen bekannt geworden.<br />

Claes Oldenburg (*1929 in Stockholm)<br />

ist einer der Hauptvertreter der<br />

amerikanischen Pop Art. Er gehört zu<br />

einer Generation von Künstlern, die<br />

sich um 1960 auf die Fahnen geschrieben<br />

hatte, die Kunst aus ihren elitären<br />

Kreisen zu befreien, sie auf radikale Weise<br />

populär und lebensnah zu machen. Mit<br />

schöpferischem Elan propagierte er eine<br />

neue Kunst, die „trieft, die schwer ist und<br />

stumpf und plump und süß und blöd wie<br />

das Leben selbst“.<br />

<strong>Die</strong> Ausstellung im Museum Ludwig<br />

bietet nun den bislang umfassendsten<br />

Überblick zu Oldenburgs künstlerischem<br />

Werdegang von den späten 1950er bis in<br />

die Mitte der 1970er Jahre. Mit zahlreichen,<br />

nur selten in dieser Dichte zu<br />

sehenden Exponaten und Werkensembles,<br />

beleuchtet sie die Entstehungsgeschichte<br />

seines künstlerischen Vokabulars - angefangen<br />

mit den historisch bedeutenden<br />

Installationen: „The Street“, ein Figurenensemble<br />

aus Pappkarton, Sackleinen,<br />

<strong>Zeit</strong>ungspapier und anderen<br />

gebrauchten Materialien, das<br />

von Graffi ti<br />

inspirierte<br />

Darstellungen<br />

der Schattenseiten<br />

Manhattans aufgreift


oben: Lipstick (Ascending) on Caterpillar<br />

Tracks, installiert auf der Beinecke Plaza,<br />

Mai 1969 bis März 1970, Oldenburg van<br />

Bruggen Studio, Foto Shunk-Kender ©<br />

Roy Lichtenstein Foundation<br />

links: Monument for Yale University: Giant<br />

Traveling and Telescoping Lipstick with<br />

Cangeable Parts in Three Stages of Extension<br />

– Modell, 1969, Pappe und Leinen,<br />

versteift mit Leim; besprüht mit Lackfarbe<br />

und beschichtet mit Schellack<br />

Raupenfahrzeug: 14 x 41,9 x 74,9 cm<br />

Lippenstift Phase 1: 10,2 x 21,6 x 26 cm<br />

Lippenstift Phase 2: 36,8 x 21,6 x 26 cm<br />

Lippenstift Phase 3: 59,7 x 21,6 x 26 cm<br />

Foto: David Heald (Guggenheim Found.)<br />

39


40<br />

Two Cheeseburgers, with Everything (Dual Hamburgers), 1962, Jute, getränkt in Gips, bemalt mit Lackfarbe 17,8 x 37,5 x 21,8 cm,<br />

Museum of Modern Art, New York; Philip Johnson Fund, © Claes Oldenburg<br />

U.S.A. Flag, 1960, Musselin getränkt in Gips über Drahtgestell, bemalt mit Lackfarbe, 61 x 76,2 x 8,9 cm, National Gallery of Art,<br />

Washington; Schenkung John und Mary Pappajohn, © Claes Oldenburg


und „The Store“, eine Installation von<br />

1961 in seinem New Yorker Laden-Atelier,<br />

in dem er nachgebildete Gebrauchsgegenstände,<br />

überwiegend Kleidungsstücke und<br />

Esswaren wie „White Shirt“, „Brown Jacket<br />

„ oder „Pastry Case“ präsentierte.<br />

Seit 1963 begann Oldenburg die Serie<br />

„The Home“, für die er Haushaltsgegenstände<br />

in verschiedenen Größen und unterschiedlichen<br />

Materialien als Soft-, Hard,<br />

Giant- und Ghost Versionen anfertigte.<br />

Damals entdeckte Oldenburg Vinyl als<br />

Werkstoff und entwarf Gegenstände mit<br />

makellosen Oberfl ächen, denen allerdings<br />

die Spannkraft fehlt und die von der<br />

Schwerkraft zu Boden gezerrt werden. Ein<br />

Ventilator, dessen Flügel schlapp herabhängen,<br />

eine Toilette, die in sich zusammen<br />

sinkt, ein riesiger Mixer, der schlaff von der<br />

Decke hängt. <strong>Die</strong> alltäglichen Gegenstände<br />

wirken plötzlich fremd und überraschend.<br />

Da sie ihrer Funktion enthoben sind,<br />

lenken sie den Blick auf die Form.<br />

Einen Höhepunkt der Ausstellung bildet<br />

das „Mouse Museum“, ursprünglich für<br />

die documenta 5 (1972) geschaffen, das<br />

385 kuriose Gegenstände und Ateliermodelle<br />

präsentiert, die Claes Oldenburg<br />

über Jahre hinweg gesammelt hat. Ein<br />

Kugelschreiber in Form eines Frauenbeins,<br />

eine überdimensionierte Zahnbürste, ein<br />

Tortenstück aus Plastik. Derartige Dinge<br />

bilden eine begehbare Schausammlung<br />

von Oldenburgs Motivquellen.<br />

Floor Cone (1962) vor der Dwan Gallery,<br />

Los Angeles, 1963<br />

Oldenburg van Bruggen Studio,<br />

Foto: Dennis Hopper © Claes Oldenburg<br />

41


42<br />

Teils unbekanntes Archivmaterial wie<br />

die „Clippings“, Ausschnitte aus Magazinen,<br />

deren Motive sich später in skulpturalen<br />

Werken wiederfi nden und von<br />

Oldenburg selbst gedrehte Super-8 -Filme<br />

sowie Filmdokumentationen seiner<br />

Happenings bereichern die Ausstellung<br />

weiterhin.<br />

<strong>Die</strong> Ausstellung wurde von Achim<br />

Hochdörfer für das mumok Wien konzipiert,<br />

weitere Europastation ist das Guggenheim<br />

Museum Bilbao. Anschließend<br />

reist sie weiter ins Museum of Modern<br />

Art New York und ins Walker Art Center.<br />

Im Museum Ludwig Köln, das auch als<br />

größter Leihgeber fi rmiert, wird sie vom<br />

22. Juni bis 30. September 2012 zu sehen<br />

sein. Kurator für das Museum Ludwig ist<br />

Dr. Stephan <strong>Die</strong>derich.<br />

<strong>Die</strong> Ausstellung wird unterstützt von<br />

der Peter und Irene Ludwig Stiftung, der<br />

Commerzbank-Stiftung sowie der Terra<br />

Foundation for American Art.<br />

www.museum-ludwig.de<br />

Giant Soft Fan, 1966-67<br />

Vinyl gefüllt mit Schaumstoff, Leinen,<br />

Holz, Metall, Kunststoff Fan, approximately<br />

/ ca. 305 x 149,5 x 157,1 cm,<br />

Gesamtlänge mit Schnur 739,6 cm<br />

The Museum of Modern Art, New York.<br />

The Sidney and Harriet Janis Collection<br />

Photo: mumok, © Claes Oldenburg<br />

links:<br />

Soft Dormeyer Mixer, 1965 , Vinyl, Kapok<br />

Holz, Aluminiumrohre, Elektrokabel und<br />

Gummi 79.7 x 51.1 x 30.5 cm<br />

Whitney Museum of American Art, New<br />

York Purchase, with funds from the Howard<br />

and Jean Lipman Foundation, Inc. / Ankauf<br />

ermöglich durch die Howard and Jean<br />

Lipman Foundation, Foto: mumok / Jerry<br />

L. Thompson © Claes Oldenburg<br />

rechts:<br />

Soft Toilet, 1966, Holz, Vinyl, Kapok, Draht,<br />

Acrylglas auf Metallständer und bemaltem<br />

Holzsockel , 144,9 x 70,2 x 71,3 cm,<br />

Whitney Museum of American Art, New<br />

York 50th Anniversary, Schenkung Mr. und<br />

Mrs. Victor W. Ganz anlässlich des 50-jährigen<br />

<strong>Beste</strong>hens, Foto: Sheldan C. Collins<br />

© Claes Oldenburg


… und doch nicht in der<br />

Gosse gelandet<br />

Mechthild Großmann<br />

Szenenfoto aus „Two cigarettes in the<br />

dark“, Aufführung des Wuppertaler Tanztheater<br />

Pina Bausch aus den 80er Jahren<br />

Foto: Günter Krings<br />

Auf die Lady …<br />

An ihrer Medienpräsenz in Wuppertal gab es<br />

eigentlich nichts zu mäkeln. Der Name<br />

Mechthild Großmann kam vor allem immer<br />

wieder ins Gespräch, wenn es um Pina<br />

Bausch ging. Der populäre Münsteraner<br />

ARD-Tatort an sich und ihre eher kleine, aber<br />

sehr wirkungsvolle Rolle als Staatsanwältin<br />

Wilhelmine Klemm im Besonderen waren<br />

ein weiterer, sehr zwingender Grund für<br />

eine Folge über Mechthild Großmann in der<br />

<strong>Beste</strong>-<strong>Zeit</strong>-Serie über die Schauspieler und<br />

Sänger, deren Karrieren eng mit dem Namen<br />

Wuppertal verbunden sind und waren. Zumal<br />

Mechthild Großmann zur Kategorie der<br />

Künstler zählt, über die man in der Öffentlichkeit<br />

trotz eines beachtlichen Bekanntheitsgrades<br />

im Grunde eher wenig als viel wusste.<br />

Das machte sie keineswegs unsympathisch, den<br />

Autor aber umso neugieriger. Nach den spannenden<br />

Erfahrungen der ersten Serie aus den<br />

Jahren 2002/2003 ging es um die Strategie,<br />

Frau Großmann von der aktiven und unbedingt<br />

wichtigen persönlichen Präsenz beim<br />

Gespräch zu überzeugen. <strong>Die</strong>sem Wunsch zu<br />

Hilfe kam eine Information des Rundschau-<br />

Kollegen Stefan Seitz. Er hatte Mechthild<br />

Großmann bei einer Premiere im Opernhaus<br />

gesehen und das bedeutete: sie war wohl in<br />

der Stadt. Das Netzwerk wurde verdichtet:<br />

Rundschau-Redaktionsleiter Hendrik Walder<br />

telefonierte mit der Tanztheater-Pressechefi n<br />

Ursula Popp und bat um Kontaktaufnahme<br />

mit der Künstlerin und den Hinweis, sie<br />

gehöre doch nun ganz sicher in dieser Serie.<br />

Machen wir es kurz: das war ein Volltreffer<br />

und wenig später meldete sich Mechthild<br />

Großmann tatsächlich am Handy. Sie war<br />

am Zuge. Das Treffen für das Gespräch wurde<br />

sehr kurzfristig vereinbart. Etwas aufgeregt<br />

(was ansonsten eher selten vorkommt) wurde<br />

an der vereinbarten Schelle eines Hauses an<br />

der Wittensteinstraße in Unterbarmen geklingelt.<br />

Mechthild Großmann erschien, entsorgte<br />

noch etwas Hausmüll und dann ging es in<br />

Richtung Toelleturm zu einem sehr angenehmen<br />

Gespräch auf die Terrasse des Restaurants<br />

„Zur alten Bergbahn“. Mechthild Großmann<br />

war „im Kasten.“<br />

43


44<br />

Achtzehn Jahre lang hat Mechthild Großmann<br />

in Wuppertal gewohnt. Sie hat in<br />

dieser Stadt gelebt, gelitten, genossen und<br />

mit Pina Bausch und ihrer Compagnie<br />

des Tanztheaters die Welt bereist. Im<br />

Jahre 1997 ist die in Münster geborene<br />

Schauspielerin nach Hamburg gezogen.<br />

Dort lebt sie im Stadtteil Uhlenhorst.<br />

Im Deutschen Schauspielhaus gegenüber<br />

dem Hamburger Hauptbahnhof (dem<br />

mit 1192 Plätzen größten deutschen<br />

Sprechtheater) ist sie anlässlich der Verleihung<br />

des renommierten Henry Nannen-<br />

Preise 2011 mit einer Lesung aufgetreten.<br />

Mechthild Großmann wird gern und<br />

oft für Lesungen gebucht. Kein Wunder,<br />

bei dem Bass. Der hat seine Ursache in<br />

verknorpelten Kiefer-und Stirnhöhlen,<br />

festgestellt von einem Arzt bei einer<br />

Untersuchung im Teenager-Alter wegen<br />

einer starken Erkältung. <strong>Die</strong> tiefe Stimme<br />

hat einen ihrer Deutschlehrer zu der<br />

Bemerkung veranlasst: „Du landest in<br />

der Gosse.“ Der Pädagoge irrte. <strong>Die</strong> tiefe<br />

Stimme der ausgebildeten Schauspielerin<br />

Mechthild Großmann hat – das konnte<br />

nicht ausbleiben – zu vielen Rollen von<br />

Figuren im Rotlichtmilieu geführt. Wobei<br />

einem nicht einmal Insider verraten<br />

können, ob Prostituierte bevorzugt tiefe<br />

Stimmen haben müssen. <strong>Die</strong> Stimme<br />

ist neben etlichen anderen unverwechselbaren<br />

Attributen das Markenzeichen<br />

der Rolle mit dem Namen Wilhelmine<br />

Klemm. Das ist die oftmals zu wirklichkeitsfremden<br />

<strong>Zeit</strong>en und in ebensolchem<br />

Outfi t an Tatorten auftauchende, stets<br />

vom Leben und dem Alltag gezeichnet<br />

wirkende Staatsanwältin im Münsteraner<br />

Tatort. Mit Axel Prahl als Kommissar<br />

Thiel und Jan Josef Liefers als komischer<br />

Gerichtsmediziner Professor Karl-Friedrich<br />

Boerne. Und seiner aus Remscheid<br />

stammenden, kleinwüchsigen Assistentin<br />

ChristTine Urspruch als „Alberich“. Es ist<br />

Deutschlands beliebtester Tatort geworden<br />

mit Einschaltquoten von über 11<br />

Millionen und selbst eine Wiederholung<br />

„Fluch der Mumie“ am Pfi ngstsonntag<br />

2011 sahen noch sagenhafte 6,3 Millionen<br />

Menschen. Mechthild Großmann<br />

ist von Beginn des Münsteraner Tatortes<br />

dabei und die Rolle der Staatsanwältin<br />

bestand „eigentlich nur darin, dass sie<br />

rauchte.“ Mechthild Großmann hat für<br />

das Profi l gesorgt.<br />

Mechthild Großmann mit Axel Prahl. Szenenfoto aus Tatort Münster, 2003. Foto: WDR<br />

Mechthild Großmann mit dem Schauspieler Sierk Radzei<br />

Doch alle ARD-Tatorte, „Berlin Alexanderplatz“<br />

mit der Legende Rainer Werner<br />

Fassbinder „Nirgendwo in Afrika“ mit<br />

der dafür Oscar-preisgekrönten Regisseurin<br />

Caroline Link und unzählige andere<br />

Auftritte dieser Frau mit ihren vielen<br />

Gesichtern und Gebärden verblassen,<br />

wenn es um Pina Bausch geht.<br />

Obwohl die künstlerische Arbeit von<br />

Mechthild Großmann in Wuppertal keineswegs<br />

auf Pina Bausch beschränkt war<br />

und ist. Sie spielte im „Faust“ die Rolle<br />

der Marthe Schwerdtlein, die Hauptrolle<br />

in „Mutter Courage“ und wurde für ihr<br />

Ein-Personen-Stück „Wo meine Sonne<br />

scheint“ gefeiert.


<strong>Die</strong> Frau, die im Jahre 1975 eher<br />

plötzlich und unerwartet in das Leben<br />

von Mechthild Großmann trat, ist am<br />

30.Juni 2009 nicht nur aus ihrem Leben,<br />

sondern hoch verehrt und geachtet aus<br />

dem von Menschen in aller Welt geschieden:<br />

Pina Bausch. Unser Gespräch<br />

für diesen Text auf der Terrasse des<br />

Restaurants „Zur Alten Bergbahn“ in<br />

den Barmer Anlagen begann mit einem<br />

„Zum Wohle“ und dem Blick nach oben<br />

„auf die Lady.“ Schnelle Rückblende in<br />

das Jahr 1975. Mechthild Großmann<br />

spielte am Württembergischen Staatstheater<br />

in Stuttgart, zuvor in Bremen<br />

bei Kurt Hübner und am Bochumer<br />

Schauspielhaus. Der vom Thalia-Theater<br />

aus Hamburg nach Wuppertal gewechselte<br />

Kurzzeit-Intendant Hanno Lunin<br />

hatte am Schauspielhaus an der Kluse das<br />

Schiller-Trauerspiel „Kabale und Liebe“<br />

auf dem Spielplan, Premiere war am<br />

17.Januar 1976. Peter Striebeck führte<br />

Regie, Mechthild Großmann war für<br />

die Rolle der „Lady Milford“ vorgesehen.<br />

Gerd Mayen spielte die Rolle des<br />

Präsidenten von Walter, Erich Leukert<br />

den Hofmarschall von Kalb und Siemen<br />

Rühaak den Ferdinand. Auch der seit<br />

Jahren in vielen TV-und Bühnenproduktionen<br />

engagierte Siemen Rühaak zählte<br />

in seiner einzigen Rolle im Wuppertaler<br />

Schauspielhaus als „Ferdinand“ zur Besetzung<br />

des Schiller-Klassikers mit dem<br />

Bühnenbild von Hanna Jordan.<br />

Eher zufällig ist dabei Pina Bausch<br />

aufgetaucht und heute sagt Mechthild<br />

Großmann ehrlich: „Ich kannte sie nicht,<br />

war auch nie einem Stück von ihr gewesen.<br />

Sie suchte eine Sängerin und hat gefragt,<br />

ob ich das könnte. Schließlich habe<br />

ich den Surabaya Johnny von Brecht<br />

gewählt. Man musste mir aber den Text<br />

geben. Ich habe mich hinter dem Notenständer<br />

verkrochen und noch ein Bein<br />

hochzogen, damit man mich nicht sehen<br />

konnte.“ <strong>Die</strong> Kurzfassung: „Dann hat<br />

sie gefragt: wollen wir es versuchen?“ Für<br />

die damals 28-Jährige begann ein anderes<br />

Leben, als sie es jemals plante und gegen<br />

die Warnung von Kollegen „Im Ballett<br />

sieht dich kein Schwein mehr.“ Auch das<br />

war ein Irrtum.<br />

1979 ist Mechthild Großmann Bürgerin<br />

Wuppertals geworden. Immer mit Wohnungen<br />

in fußläufi ger Entfernung zu<br />

„Pinas Nest“ am Fingscheid in Unterbarmen.<br />

Weltweit unterwegs und gefeiert.<br />

Mit unzähligen kleinen und großen<br />

Erinnerungen. In Paris traf sie nach einer<br />

Vorstellung den damaligen Opern-Intendanten<br />

Rolf Liebermann wieder. 1968<br />

war er Intendant der Hamburger Staatsoper.<br />

Dort hatte Mechthild Großmann<br />

1968 in einer Tannhäuser-Inszenierung<br />

von Harry Meyen eine kleine Rolle, die<br />

der Studentin eine dankbar genommene<br />

Abendgage von 800 DM brachte. Mit<br />

Pina Bausch trat Mechthild Großmann<br />

in der Mailänder Scala auf und hat auf<br />

der großen Scala-Bühne einige wenige<br />

Zeilen gesungen. Sie traute sich auf der<br />

Bühne viel zu “denn bei Pina war ich<br />

mir immer sicher. Trotzdem habe ich<br />

mich bemüht, nur Dinge zu tun, die<br />

ich richtig kann. Dafür habe ich alles<br />

benutzt: den Kopf, die Haare, die Arme,<br />

die Beine und wenn ich Menschen<br />

spiele, dann muss man sie auch riechen<br />

können.“<br />

Zum Ende: die Todesnachricht der<br />

großen Pina Bausch hat ihr in Hamburg<br />

ihr Freund, der Tänzer Professor Lutz<br />

Förster telefonisch überbracht. Etliche<br />

Stunden vor der Information an die<br />

Öffentlichkeit. Trotzdem geht das Leben<br />

mit Pina Bausch weiter. Zu besonderen<br />

Anlässen trägt Mechthild Großmann<br />

ein Kleidungsstück von Pina Bausch.<br />

Eine leichte, sehr chice dunkle Jacke.<br />

Bei unserem Gespräch hat sie diese Jacke<br />

getragen. Auf die Lady.<br />

Klaus Göntzsche<br />

45


46<br />

Später Besuch<br />

Alter Friseurmeister<br />

<strong>Die</strong> Eingangspforte führt mich in eine andere Welt. Seltsame Stille umfängt mich.<br />

Aus meinem Alltag kehre ich zurück in dieses Haus, das Altenheim am Rande der Stadt.<br />

Ein Jahr ist vergangen. Ich erinnere mich an meine Fototermine, an die Gespräche und Begegnungen mit den Menschen, die hier wohnten.<br />

Sie leben nicht mehr.<br />

Ich nehme den Fahrstuhl in die dritte Etage, werfe einen Blick durch geöffnete Türen.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Zeit</strong> scheint sich zu verstecken. Zwischen Möbeln, Blumen und Fotoalben.<br />

An diesem Ort treffen sich Vergangenheit und Gegenwart.<br />

Meine Gedanken lasse ich treiben.<br />

Der Raum neben dem Speisesaal gehört einer vornehmen alten Dame, ehemals Primaballerina eines großen Theaters, das Zimmer gegenüber<br />

einem Friseurmeister, der begeistert über seine Arbeit redet. <strong>Die</strong> Nachbarin berichtet über ihre Flucht aus Ostpreußen im Winter 1945, die sie<br />

als junge Frau überstehen musste. Eine Bildhauerin, stark von Krankheit gezeichnet, kann ihre Gefühle nicht mehr in Worte fassen. Ihre Augen<br />

und Hände sprechen. Bald pendelt sie zwischen Wachen und Schlaf.<br />

Ich sehe die Heimbewohner vor mir. Ihre Freude, ihre Trauer. Sie haben geliebt, gelitten, gekämpft und geträumt. So wie wir.<br />

Erinnerungen werden mitgenommen auf die Reise in die Nacht. Manchmal ist es ein langsamer Abschied.<br />

Mit meinen Fotografi en habe ich versucht, Augenblicke ihres Lebens zu bannen, ihnen Dauer zu verleihen.<br />

In Ihren Gesichtern spiegelt sich gelebtes Leben. Jede Falte erzählt eine Geschichte.<br />

Einige Geschichten trage ich in mir. Ich bewahre sie.<br />

Vor dem Fenster pfeift nun ein kalter Wind. Nachdenklich verlasse ich dieses Gebäude, das mir durch meine Besuche vertraut geworden ist.<br />

<strong>Die</strong> Momente, die ich mit den alten Menschen verbringen konnte, kehren nicht wieder.<br />

Alles ist in Bewegung, an eine bestimmte <strong>Zeit</strong> gebunden. Das zu akzeptieren, fällt mir schwer. Neue Bewohner sind eingezogen. Wie lange<br />

werden sie bleiben...<br />

Foto und Text: Elisabeth Heinemann


Elisabeth Heinemann<br />

geboren in Zittau als Tochter von<br />

Pia-Monika Nittke und Willy Jähnig<br />

aufgewachsen in Meißen und Magdeburg,<br />

Schulzeit in Magdeburg (Abitur)<br />

Pädagogik-Studium in Erfurt (Kunst und<br />

Russisch), verheiratet, zwei Kinder<br />

seit 1993 Beschäftigung mit Fotografi e<br />

seit 1996 freiberufl iche Tätigkeit als<br />

Fotografi n<br />

zahlreiche Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen<br />

sowie Preise bei Fotowettbewerben<br />

Arbeit am Ausstellungsprojekt „außer<br />

gewöhnlich (Künstlerportraits)<br />

gemeinsames Ausstellungsprojekt „<strong>Die</strong><br />

Feinheit des Sehens” mit dem Maler und<br />

Grafi ker Willy Jähnig<br />

Veröffentlichungen (Auswahl)<br />

1999<br />

fotografi sche Gestaltung des Gedichtbandes<br />

„Poetic Allegories”, Pennsylvania, USA<br />

mit Prof. Claude R. Foster, Lyrik, und<br />

Pia-Monika Nittke, Nachdichtung und<br />

Vertonung<br />

2002<br />

Kalender „Von Frauen und Katzen” mit<br />

Gedichten von Torsten Olle<br />

2003<br />

Lyrik-Foto-Band „schon morgen ist alles<br />

anders”- mit Dorothea Iser<br />

2003<br />

Fotografi en für den Gedichtband „Trügerische<br />

Ruhe” von Pia-Monika Nittke<br />

2004<br />

Fotografi en für die Anthologie „Herz über<br />

Kopf”<br />

2005<br />

„Alte Liebe” - mit Dorothea Iser und<br />

Marcus Waselewski<br />

2005<br />

„Lebenswege Magdeburger Frauen in<br />

Porträts und Texten”<br />

2006 und 2009<br />

Fotografi en für die Gedichtbände „Zwölf<br />

Monde” und „Zwischentöne” von Pia-<br />

Monika Nittke<br />

2010<br />

Fotografi en für das Buchprojekt „<strong>Die</strong><br />

Facetten des Alter(n)s” von Prof. Gerd K.<br />

Schneider<br />

Weitere Informationen:<br />

www.elisabeth-heinemann.de<br />

Arbeitsscheuer Präsident<br />

„Zum ersten Male habe ich ihn in der<br />

Volkshochschule gesehen, im Philosophiekursus“,<br />

sagte seine Frau zu mir, als er<br />

gestorben war. „Er kam etwas später, ging<br />

an der Wand vorsichtig an den Sitzreihen<br />

vorbei, damit er niemanden anstieß, und<br />

da dachte ich: „Wat fürn lev Männeken!<br />

Den musste haben.“<br />

Damals waren beide etwa fünfzig Jahre<br />

alt, fi el mir ein. Es muss um 1966 herum<br />

gewesen sein.<br />

Er war etwa Vierzig, als ich ihn kennenlernte.<br />

Das war in einem Sprachkurs der<br />

Volkshochschule. Er war, wie man bei uns<br />

sagt, ein schmales Handtuch, nicht groß,<br />

immer bereit, in der Mitte ein wenig<br />

einzuknicken. Sein Gesicht war wie das<br />

eines Alien, falls Sie schon einen gesehen<br />

haben, tief liegende Augen, blass, dicke<br />

Brille, wenig Haare, ein kleiner Kopf, aber<br />

ein höfl iches Gesicht.<br />

Das war der Präsident, wie wir ihn also<br />

nannten, so liebten ihn alle, vor allem<br />

wegen seiner Diskretion und Bescheidenheit.<br />

Er konnte von sich behaupten, noch<br />

nie im Leben einen Beruf ausgeübt zu<br />

haben, aber er lebte in einem interessanten,<br />

alten Haus, das er von seinen Eltern<br />

geerbt hatte. Wovon er lebte? Ich glaube,<br />

er bekam eine kleine Waisenrente – als<br />

Beamtenkind -, denn die Ärzte hatten ihn<br />

von Jugend auf als arbeitsunfähig zertifi -<br />

ziert, als Neurastheniker.<br />

Und doch habe ich nie erlebt, dass er<br />

krank war. Oder schwach, denn das war<br />

er eigentlich auch nicht, bei unseren<br />

stundenlangen Spaziergängen hielt er<br />

tapfer mit.<br />

Ich denke nicht, dass dies der Diagnose<br />

der Ärzte widersprechen muss. Ein<br />

Simulant war er sicherlich nicht. Vielleicht<br />

hatte er gelernt, das zu tun, was er<br />

aushielt, vielleicht auch nur das, was er<br />

gerne tat und bei dem nicht die Gefahr<br />

des Versagens bestand.<br />

Manche meinten, er sei einfach arbeitsscheu,<br />

ein Mann, der bei seinen Eltern<br />

lebte, vormittags in die Stadt ging und im<br />

Schaukasten die <strong>Zeit</strong>ung las, einen langen<br />

Mittagsschlaf machte, dann einen kleinen<br />

Spaziergang, dann mit angespanntem Ge-<br />

sicht in seinem Zimmer vor dem Radio<br />

saß. Er sammelte außerdem Schiffsmodelle.<br />

<strong>Die</strong> standen in Regalen ringsum im<br />

Zimmer.<br />

An dieser Stelle muss ich einschieben,<br />

dass in kurzer Folge seine altgewordenen<br />

Eltern starben. Er blieb jeweils einige Tage<br />

von Gemeinsamkeiten fern, dann tauchte<br />

er wieder auf. Man merkte ihm nicht an,<br />

ob ihn der Tod der Menschen, die ihn<br />

sein Leben lang beschützt hatten, sehr<br />

getroffen hatte.<br />

Eines Tages kam er auch zu uns in den<br />

TURM. Für diesen Kreis brauchten wir<br />

eines Tages, als es schon mit der TURM-<br />

Arbeit zu Ende ging, einen Vorsitzenden,<br />

und er ließ sich tatsächlich überreden,<br />

diesen Posten zu übernehmen.<br />

Seitdem nannten wir ihn „Präsident“.<br />

Wir beide sahen uns oft. Mir kam das<br />

entgegen, denn ich war in dieser <strong>Zeit</strong> viel<br />

allein und war es nicht gerne. Er war so<br />

anhänglich und anpassungswillig, dass ich<br />

ihn sozusagen überall mitnehmen konnte,<br />

die Leute gewöhnten sich daran, dass er<br />

mich häufi g begleitete. Eine merkwürdige<br />

Kumpanei. Selten versuchte er, seinen<br />

Willen oder seine Wünsche durchzusetzen,<br />

aber es wäre falsch, zu sagen, dass<br />

man ihn nicht als Person respektierte.<br />

Schließlich war er ja ein durch und durch<br />

anständiger, bürgerlicher Mensch.<br />

Eine Führungsrolle übernahm er nie,<br />

auch nicht im TURM. Das wäre zu viel<br />

verlangt gewesen von einem Menschen,<br />

der nicht glaubte, im sozialen Gefüge<br />

irgendeine Rolle zu spielen. Er blieb<br />

bescheiden, und nie ließ er sich korrumpieren<br />

oder zu Liebedienereien hinreißen.<br />

Und noch eine Eigenschaft von ihm:<br />

Er sprach so gut wie nie von sich, aber<br />

er zeigte ein intensives Interesse an den<br />

Äußerungen anderer Leute.<br />

Es war meine <strong>Zeit</strong> langer und fast täglicher,<br />

gemeinsamer Spaziergänge. An den<br />

Wochenenden wurden Wanderungen daraus.<br />

Vielleicht wollte auch ich das Leben<br />

aufschieben. Es war auch die <strong>Zeit</strong> unserer<br />

Freundschaft. Er nahm Anteil an meinem<br />

Leben, ich an seinem.<br />

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48<br />

Was uns hauptsächlich verband, waren<br />

die unzähligen langen Abendspaziergänge,<br />

die Wanderungen an Samstagen und<br />

Sonntagen – lehmgelbe Wege, Zäune,<br />

glitzernde Kuhaugen, spiegelnde Weiher,<br />

die geheimnisvolle grüne und bemooste<br />

Schönheit von Lichtungen, weiße Wolken,<br />

unter denen der Sommerwind fächelte;<br />

sprachlose Wanderungen meistens,<br />

aber ich behaupte, sie verbanden uns, die<br />

wir widerstands- und konfl iktlos miteinander<br />

durch die <strong>Zeit</strong> wanderten. Denn es<br />

vergingen Jahre.<br />

Tagsüber war ich im Büro einer mittelgroßen<br />

Versandfi rma, diktierte Briefe auf<br />

ein Gerät und kümmerte mich um die<br />

Werbung. <strong>Die</strong> bestand hauptsächlich<br />

aus Postwurfsendungen, die wir zunächst<br />

in meiner Abteilung kouvertierten. Aber<br />

das hielt uns alle sehr auf, und es war gut,<br />

dass ich einen ungewöhnlichen Einfall<br />

hatte.<br />

Nachdem ich mir die Genehmigung vom<br />

Geschäftsführer besorgt hatte, fragte ich<br />

den Präsidenten, ob er die Arbeit des<br />

Werbeversands nicht bei sich zu Hause<br />

erledigen könne, gegen Bezahlung,<br />

versteht sich. Der magere, blasse Präsident<br />

erkannte, dass er keine Aufseher und<br />

keine Kritiker haben würde, und er traute<br />

sich das Adressensammeln und Einschätzen<br />

von vermuteten Abnehmern zu, das<br />

Versenden natürlich auch.<br />

Aus dem angeblich arbeitsscheuen<br />

Präsidenten war bald eine hoch motivierte<br />

Arbeitskraft geworden. Niemand<br />

in der Firma arbeitete so präzise wie er.<br />

Bald war er die erste Adresse für jeden<br />

Mitarbeiter, wenn der etwas Detailliertes<br />

über Branchen oder Firmen und<br />

deren Umsätze oder Bedarf erfahren<br />

musste – der Präsident verfügte bald<br />

über eine Fülle von Wirtschaftsinformationen.<br />

Sobald er sich eingearbeitet hatte, wurde<br />

er auch sozial aktiv. Er verabredete sich<br />

mit einer zarten, leisen Lehrerin aus dem<br />

TURM – klingt merkwürdig, aber solche<br />

gab es – und traf sich einige Male mit ihr<br />

im Café. Er hat mir nie erzählt, was sie<br />

besprachen, aber es muss Missverständnisse<br />

gegeben haben, ich weiß aus einer<br />

kurzen Begegnung, dass sie ein empfi ndliches<br />

Seelchen war und sonst niemals<br />

Männer traf.<br />

Aber für den Präsidenten war es ein tiefes<br />

Erlebnis. Ein Mensch war durch ihn<br />

bewegt worden, vielleicht enttäuscht, vielleicht<br />

sogar erschüttert. Und er hatte das<br />

auf dem Gewissen! Ich tat mein <strong>Beste</strong>s,<br />

um ihn davon zu überzeugen, dass diese<br />

Lehrerin völlig ungeeignet für eine Gemeinschaft<br />

war. Ich weiß aber nicht, ob<br />

ihn irgend jemand überhaupt von irgend<br />

etwas überzeugen konnte. Er versteckte<br />

sich ja sein Leben lang auf eine unerhört<br />

höfl iche Art.<br />

Aber er hatte doch einen weiteren Schritt<br />

ins Leben getan, denke ich. Er hatte zu<br />

tun, er wurde gebraucht, er musste hier<br />

hin und dort hin – aber vor allem hatte<br />

er gefühlt, dass ein Mensch ein Vulkan ist,<br />

der ausbrechen kann. Und starke Gefühle<br />

können unerträglich sein. Das alles war<br />

vorher für ihn anders gewesen.<br />

Jetzt macht meine Erinnerung einen<br />

Sprung, der Präsident ist nicht mehr im<br />

Blickfeld, sondern die Szenen, in denen<br />

mein Lebens- und Berufsweg eine andere<br />

Richtung einschlug. Ich wechselte die<br />

Firma und zog in eine andere Stadt.<br />

Ich habe noch zu berichten, dass mein<br />

arbeitsscheuer, blasser, magerer, dünnknochiger<br />

Präsident in dem Jahr meiner<br />

Abwesenheit zum Leiter der EDV-Abteilung<br />

ernannt worden war und endlich<br />

sozialversichert. Mit Unterschriftsberechtigung.<br />

Ich glaube, er war der zuverlässigste<br />

und eifrigste Mitarbeiter geworden,<br />

dieser Eigenbrötler, der bis vor kurzem<br />

den Status Waisenkind innehatte; er, der<br />

nie direkt widersprach, der niemanden<br />

bewertete, der sich für zu unwichtig hielt,<br />

um zu erwarten, dass sich jemand um ihn<br />

kümmerte, er, dieser unendlich liebenswerte<br />

Mensch.<br />

Übrigens hatte er geheiratet. Eine ebenfalls<br />

dünnknochige, kleine Schneidermeisterin.<br />

Sie wurden ein glücklich turtelndes,<br />

betuliches Paar, er und die Frau, die, wie<br />

schon erwähnt, bei seinem ersten Anblick<br />

gedacht und gefühlt hatte: Wat fürn lev<br />

Männeken. Den musste haben.<br />

Schließlich hatte er aufhören müssen zu<br />

arbeiten, und nun war er krank, schlimmer<br />

noch, er war halbseitig gelähmt.<br />

Er hatte einen Schlaganfall gehabt, und<br />

danach verschlechterte sich sein Zustand<br />

rasch. Schließlich konnte er nicht mehr<br />

sprechen.<br />

Ich hörte davon. Als ich anrief, sagte mir<br />

seine Frau, dass ich ihn besuchen dürfe.<br />

Ich fuhr hin und fand ihn in seinem<br />

riesigen Ledersessel in einem kleinen<br />

Wohnzimmer. Es war im Reihenhaus<br />

seiner verstorbenen Eltern, ein Haus aus<br />

der <strong>Zeit</strong> vor dem ersten Weltkrieg, und<br />

die Zimmer waren sehr klein. Er war immer<br />

noch das kleine, graue Männlein mit<br />

den großen, wasserblauen Alien-Augen.<br />

Sprach nicht, blickte nur vor sich hin.<br />

Ich merkte, ich konnte nur mit seiner<br />

Frau sprechen, der Präsident schien aber<br />

aufmerksam zuzuhören. Ich sah aber, dass<br />

die beiden sich mühelos verständigten.<br />

Ob sie die ganze Pfl ege übernahm, ob ein<br />

Pfl egedienst kam, erfuhr ich nicht.<br />

Irgendwann sagte seine Frau etwas<br />

Hoffnungsvolles zu ihm, ich versuchte es<br />

auch, erinnerte an die alten <strong>Zeit</strong>en, wo<br />

wir Abend für Abend Gesundheitsspaziergänge<br />

machten, aber auch wundervolle<br />

Wochenend-Wanderungen. <strong>Die</strong> Wiesenwege<br />

im Bergischen Land tauchten auf,<br />

verlorene Paradiese, und dem Präsidenten<br />

rollten einige Tränen die Wangen herab.<br />

Ich nahm ihn in den Arm, drückte ihn<br />

an mich, und verabschiedete mich. Er sah<br />

mich stumm an, und dann liefen Tränen<br />

über sein Gesicht. Weinen konnte er<br />

noch.<br />

An der Haustür sagte ich zu seiner Frau<br />

etwas über die Kraft, die sie jetzt brauche<br />

– aber sie unterbrach mich: „Wir sind<br />

aber glücklich. Es ist so schön, dass ich<br />

ihn noch habe.“<br />

Ich war beschämt. Ich sah, hier gab es<br />

etwas, das stärker war als das Schlimmste.<br />

Karl Otto Mühl


Annäherungen an ein Porträt<br />

von Heiko Meins<br />

Einer, der sich engagiert.<br />

Neugierig geblieben ist und gerne seine<br />

Kenntnisse weitergibt an Kollegen und<br />

Freunde, Auszubildende oder –<br />

Stichwort Junioruni – an Kinder:<br />

Heiko Meins, geboren am 21. März 1969<br />

in Vohwinkel, arbeitet bei den Wuppertaler<br />

Stadtwerken (WSW), in deren Betriebsrat<br />

er seit der letzten Wahl Sitz und<br />

Stimme hat.<br />

Elektroniker, Geocacher, Dozent<br />

Im Westen der Stadt ist er aufgewachsen:<br />

Nach dem Besuch der Grundschule<br />

Elfenhang und der Hauptschule Alte<br />

Dorfstraße ging er bei den WSW in die<br />

Lehre, die er als Elektroanlageninstallateur<br />

und Energieanlagenelektroniker<br />

abschloss. Im Unternehmen durchlief<br />

er verschiedene Abteilungen und ist<br />

momentan als technischer Sachbearbeiter<br />

in der „Planung und Projektierung<br />

Strom“ beschäftigt. So gehörte es zu<br />

seinen Aufgaben, den voraussichtlichen<br />

Strombedarf der neuen Justizvollzugsanstalt<br />

in Ronsdorf zu ermitteln und zu<br />

überprüfen, welche neuen Leitungen<br />

zu bauen waren, damit nicht am Tag X<br />

die Lichter in der JVA an- und in der<br />

Umgebung ausgingen.<br />

Dabei kam ihm seine Weiterbildung<br />

zum staatlich geprüften Techniker<br />

(Fachrichtung Elektrotechnik) zugute,<br />

die er 2001 beendete. <strong>Die</strong>se Qualifi kation<br />

ist mit dem Fachabitur verbunden.<br />

Zwei Jahre zuvor hatte er schon die<br />

Berechtigung erworben, selber auszubilden.<br />

Kindern Grundkenntnisse der Elektronik<br />

zu vermitteln, macht ihm großen<br />

Spaß. Bisher hat er als Dozent an der<br />

Junioruniversität sieben bis zehn Jahre<br />

Auf der Weihnachtsfreier der SPD Heckinghausen-Heidt<br />

Foto: David Mintert<br />

alte Mädchen und Jungen auf eine Reise<br />

in die Elektrotechnik mitgenommen.<br />

„Wie kommt der Strom in die Steckdose?“<br />

hieß die Ausgangsfrage. Warum<br />

bleiben Haare am Kamm hängen? Das<br />

Phänomen kennt jeder, die Erklärung<br />

ist eine andere Sache. Heiko Meins<br />

demonstriert an einem Luftballon, an<br />

dem ein Wollschal gerieben wird, wie<br />

sich Elektronen bilden: Styroporkügelchen<br />

bleiben jetzt an dem Ballon<br />

hängen, die vorher, also ohne Reibung<br />

mit dem Schal, nicht gehaftet hätten.<br />

Komplexe Vorgänge anschaulich zu<br />

machen, ist sein Anspruch. <strong>Die</strong> Kinder<br />

sollen „keine Angst, aber Respekt“ vor<br />

technischen Abläufen haben, die ja auch<br />

bei Fehlbenutzung gefährlich werden<br />

können. Sein jüngster Kurs über Mikrocontrollerprogrammierung<br />

richtet sich<br />

an Zehn bis 14-Jährige. Mikrocomputer<br />

stecken heutzutage in jeder Waschmaschine<br />

oder jedem Handy, das Interesse<br />

ist schnell geweckt.<br />

<strong>Die</strong> Arbeit für die Junioruni ist ehrenamtlich.<br />

„Sie gibt mir sehr viel.“ Aus<br />

„Spaß an der Freude“ ist Meins auch<br />

Schöffe geworden. Einmal im Monat<br />

nimmt er an einer Gerichtsverhandlung<br />

teil. Bei der Konstellation „ein Richter,<br />

zwei Schöffen“ kann es durchaus<br />

49


50<br />

vorkommen, dass die Beisitzer den<br />

ausgebildeten Juristen überstimmen.<br />

Bei einem seiner letzten Fälle ging es<br />

um den <strong>Die</strong>bstahl von Thermomixgeräten,<br />

in denen, der Leser ahnt es schon,<br />

ebenfalls ein kleiner Mikrocomputer<br />

steckt, der ausgelesen werden kann und<br />

Auskünfte darüber gibt, wie lange solch<br />

ein innovativer Küchenhelfer benutzt<br />

worden ist und ob es sich beispielsweise<br />

um ein Vorführgerät handelt. Aus<br />

diesem „Fall“ lässt sich unter Weglassung<br />

von Namen und Daten durchaus<br />

lebendiger Unterricht gestalten.<br />

Nicht meckern, sondern anpacken,<br />

könnte sein Lebensmotto heißen, und<br />

so ließ er sich auch nicht lange bitten,<br />

als ihm sein SPD-Ortsverein nahelegte,<br />

für die Bezirksvertretung Heckinghausen<br />

zu kandidieren. Über seine Arbeit<br />

in dem Gremium berichtet er kontinuierlich<br />

auf seiner eigenen Internetseite<br />

www.heiko-meins.de. Erfreut konnte er<br />

bei einem der letzten – regelmäßig stattfi<br />

ndenden – Informationsstände seiner<br />

Partei feststellen, dass Öffentlichkeitsarbeit<br />

zu bestimmten <strong>Zeit</strong>en aufmerksam<br />

registriert wird: „Ihr seid die Einzigen,<br />

die sich auch, wenn keine Wahlen angesagt<br />

sind, blicken lassen.“<br />

Dem umtriebigen Meins sind auch<br />

in seiner Freizeit schweißtreibende<br />

Geocaching: beim Klettern (Nordpark<br />

Wuppertal) Foto: Michael <strong>Die</strong>derichs<br />

Tätigkeiten nicht fremd. Gemeinsam<br />

mit seiner Lebensgefährtin Claudia<br />

Schmidt, die im Einzelhandel beschäftigt<br />

ist, geht er regelmäßig in die<br />

Tanzschule: Standard und Latein sind<br />

die Disziplinen. Beide leben seit sieben<br />

Jahren zusammen. Dritter im Bunde ist<br />

eine Katze namens „Pünktchen“. Und<br />

beide frönen einer weitgehend noch<br />

unbekannten Lieblingsbeschäftigung,<br />

dem Geocaching.<br />

Dabei handelt es sich um eine „Schnitzeljagd<br />

per Satellit“, wie es in einer<br />

Reportage heißt, die in der WSW-<br />

Mitarbeiterzeitschrift „Kontakt“<br />

erschienen ist. Heiko Meins wurde zu<br />

diesem Zweck auf die Hardt begleitet,<br />

wo er mittels eines „Cashes“ und eines<br />

GPS-Empfängers eine kniffl ige Aufgabe<br />

zu bewältigen hatte. Das Gerät, das<br />

der Verarbeitung des global positioning<br />

systems, das vielen Autofahrern vom Navi<br />

her ein Begriff ist, dient, sieht aus wie<br />

ein in die Jahre gekommenes Handy und<br />

ist das wichtigste Werkzeug des „Schatzsuchers“.<br />

<strong>Die</strong> Koordinaten des Caches holt sich<br />

der Interessent von bestimmten Seiten<br />

im Internet, die www.geocaching.de oder<br />

ähnlich heißen. Ein Geocache ist in der<br />

Regel ein wasserdichter Behälter, in dem<br />

sich ein Logbuch, in das sich der Besucher<br />

einträgt, und kleine Gegenstände<br />

befi nden, beispielsweise eine CD oder<br />

DVD oder ein Buch, die man herausnimmt<br />

beziehungsweise tauscht.<br />

<strong>Die</strong> Kunst besteht darin, das Versteck zu<br />

fi nden, in dem der Cache deponiert ist.<br />

Bei komplizierteren Aufgaben müssen<br />

Koordinaten ermittelt werden, die zu<br />

weiteren Caches führen. <strong>Die</strong>ses moderne<br />

Schatzsucherspiel ist vor allem in den<br />

nordeuropäischen Ländern Dänemark,<br />

Finnland, Schweden und Norwegen<br />

stark verbreitet. Weltweit existieren 1,6<br />

Millionen „aktive Caches“, darunter<br />

über 200.000 in der Bundesrepublik.<br />

Heiko Meins arbeitet derzeit selbst an<br />

der Installierung eines solchen Verstecks,<br />

das, so viel verrät er schon jetzt, „mit der<br />

Geschichte Wuppertals“ zu tun hat.<br />

Für den Motorradfahrer und Jogger, der<br />

17 Jahre beim Deutschen Roten Kreuz<br />

tätig war, ist die moderne Schatzsuche<br />

„genau das richtige Hobby, weil ich<br />

dabei meine Leidenschaft für Technik,<br />

Elektronik und Informationsverarbeitung<br />

mit dem Bedürfnis, mich nach der<br />

Arbeit in der freien Natur zu bewegen,<br />

verbinden kann“. Hauptsache, man<br />

kann sich orientieren.<br />

Matthias Dohmen<br />

Geocaching in einem Einbahntunnel am Dahler Berg (Eisenbahnstrecke stillgelegt)<br />

Foto: Heiko Meins (Selbstauslöser)


Neue Kunstbücher<br />

Nichts als die Wahrheit<br />

vorgestellt von Thomas Hirsch<br />

Robert Capa, der als Endre Friedmann<br />

1913 in Budapest geboren wurde, ist eine<br />

Legende. Bis heute gilt er als der wichtigste,<br />

vielleicht einzig wirklich bekannteste<br />

Kriegsfotograf, auch weil er selbst seinem<br />

Metier zum Opfer gefallen ist, als er 1954<br />

in Indochina auf eine Mine trat. Capa fotografi<br />

erte für Agenturen den Spanischen<br />

Bürgerkrieg, die japanische Invasion<br />

in China, den Zweiten Weltkrieg und<br />

die Kriege in Palästina und Indochina.<br />

Zu einer <strong>Zeit</strong>, als die Fotokamera noch<br />

schweres Gepäck war, hat Capa Ikonen<br />

der Kriegsberichterstattung geschaffen.<br />

Aber er war auch Lebemann und Frauenheld.<br />

Eine gute, aus dem Französischen<br />

übersetzte und von Knesebeck verlegte<br />

Biographie von Bernard Lebrun und<br />

Michel Lefebvre geht all dem akribisch<br />

Bernard Lebrun, Michel Lefebvre: Auf den<br />

Spuren von Robert Capa, 264 S. mit 200<br />

üwg. s/w-Abb., Hardcover, 26 x 21,5 cm,<br />

Knesebeck, 39,95 Euro<br />

nach und versucht die Widersprüche und<br />

die Konsequenzen herauszuarbeiten. Vor<br />

allem ordnet sie Capa in seine <strong>Zeit</strong> ein<br />

und stellt den kulturellen Kontext her, in<br />

dem sich Capa virtuos bewegte. Und sie<br />

zeigt, dass Capa über die Kriegsberichterstattung<br />

hinaus das gesellschaftliche<br />

Leben und zeitgeschichtliche Ereignisse<br />

meisterlich fotografi ert hat. Das Buch<br />

konzentriert sich auf die <strong>Zeit</strong> in Paris, wo<br />

Capa Wohnsitz und Atelier hatte, welches<br />

nun gesichtet wurde. Hilfreich ist gewiss<br />

auch zu sehen, wie Capas Fotografi en in<br />

den Magazinen publiziert wurden. Schade<br />

ist, dass im Buch die eigentlichen und die<br />

begleitenden Fotografi en gleich behandelt<br />

werden und vor allem deshalb nur wenig<br />

von der Energie der eigentlichen Bilder<br />

rüberkommt. Aber: Gut und lebhaft<br />

geschrieben!<br />

Hier hilft ein anderes Buch weiter.<br />

Robert Capa, 96 S. mit 33 s/w und 10<br />

Farbabb., Hardcover, 36 x 26,5 cm, Stern<br />

Portfolio <strong>Nr</strong>. 66. TeNeues, 18,- Euro<br />

TeNeues hat in seiner Reihe der Stern<br />

Portfolio zu den großen Fotografen nun<br />

den Band zu Robert Capa aufgelegt. Dort<br />

ist Robert Capa nahezu ausschließlich<br />

Kriegsberichterstatter. <strong>Die</strong> Bilder haben<br />

nun die Größe und Wucht, um etwas von<br />

dem Schockierenden zu vermitteln, das<br />

sie zum <strong>Zeit</strong>punkt ihrer Veröffentlichung,<br />

inmitten der Konfl ikte, zweifelsohne<br />

besaßen. Zumal durch die doppelseitigen<br />

Aufnahmen erschließt sich, was die Qualität<br />

von Capas Fotos ausmacht, die genau<br />

die Sekunde festhalten, die berührt. Und<br />

in anderen Aufnahmen wendet er sich<br />

den Details am Rande zu. Beide Bücher<br />

zusammen runden das Wissen um Capa.<br />

Vielleicht ist der Schweizer Fotograf und<br />

Maler Jakob Tuggener (1904-1988) in<br />

seiner Intensität dem verwandt. Seine<br />

s/w-Bildfolge „Fabrik“ enthält nicht nur<br />

Maschinen- und Fabrikaufnahmen sondern<br />

zeigt auch die Arbeiter in ganzseitigen<br />

Porträts sowie Ansichten der Natur,<br />

und zwar in einer expressiv subjektiven<br />

Bildsprache, die etwas unterschwellig<br />

Bedrohliches besitzt: Es war das Jahr 1943<br />

und die Schweiz produzierte unbehelligt<br />

Waffen für den Zweiten Weltkrieg. Tuggener<br />

hat riesige Zahnräder aus der Nähe<br />

aufgenommen, eine Lokomotive verschwindet<br />

im Rauch, die hoch aufragende<br />

Backsteinfront einer Fabrikhalle nimmt<br />

das ganze Format ein. Aber plötzlich<br />

bahnt sich die Gischt eines Gebirgsbaches<br />

einen Weg zwischen den Felsen.<br />

<strong>Die</strong> Dramaturgie ist – wie die Bilder<br />

selbst – meisterlich. Aber kaum jemand<br />

in der Schweiz wusste beim Erscheinen<br />

die Kritik zu verstehen, schon bald geriet<br />

das Buch in Vergessenheit. Großartig,<br />

dass es endlich mit Unterstützung der Jak<br />

Tuggener Stiftung als Faksimile bei Steidl<br />

wieder aufgelegt wurde, schon die Haptik<br />

des Papiers, welche das Schwarz vertieft,<br />

ist ein Genuss.<br />

Tuggener selbst sprach übrigens von einem<br />

„Bildepos“, das und seine Hinwendung<br />

zu Fragen der Zivilisation hat er mit dem<br />

so ganz anderen Künstler Dan Graham<br />

gemeinsam. <strong>Die</strong> Fotografi e ist der<br />

wahrscheinlich am wenigsten bekannte<br />

Teil von Grahams Werk, das vor allem<br />

Objekte, Installationen und popkultur-<br />

und gesellschaftsanalytische Texte umfasst.<br />

Jak Tuggener, Fabrik, Ein Bildepos der<br />

Technik, 104 S. mit 95 s/w Abb., Leinen<br />

mit Schutzumschlag, 30 x 22 cm, Steidl,<br />

Faksimile der Originalausgabe von 1943,<br />

65,- Euro<br />

51


52<br />

Dan Graham’s New Jersey, englisch, 192 S.<br />

mit 110 Farbabb., geb. in Leinen, 26 x 19<br />

cm, Lars Müller Publishers, 45,- Euro<br />

Damit gehört Dan Graham (geb. 1942) zu<br />

den einfl ussreichsten US-amerikanischen<br />

Künstlern. Ein Fokus seiner Arbeit liegt auf<br />

den Riten und Formen des Bürgerlichen.<br />

Das ist nun auch das Thema der farbfotografi<br />

schen Serien „Homes for America“,<br />

die Graham in der zweiten Hälfte der<br />

1960er Jahre aufgenommen hat, und des<br />

inhaltlich daran anschließenden Projektes<br />

„Dan Graham’s New Jersey“ aus dem Jahr<br />

2006. Beides fasst nun ein grandioses Buch<br />

zusammen, für das er eine konzentrierte dialogische<br />

Auswahl getroffen hat – mitunter<br />

kehren die frühen Orte und Motive später<br />

wieder. Zu sehen sind gutbürgerliche Einfamilienhäuser,<br />

Plätze und Straßensituationen<br />

an der urbanen Peripherie, wobei sich<br />

Graham für Oberfl ächen, Fassaden und<br />

Architekturstrukturen interessiert. In den<br />

frühen Fotografi en geht er extrem nahe<br />

heran und arbeitet mit Unschärfen und<br />

Spiegelungen. 2006 ist es immer noch der<br />

gleiche Blick, der banale Funktionalitäten<br />

fokussiert, aber Graham wahrt nun mehr<br />

die Übersicht und zeigt das Ganze. Übrigens<br />

hat Graham einzelne der Fotografi en<br />

kommentiert, lapidar, trocken. Fotografi e<br />

ist hier kein autarkes Ereignis, sondern<br />

kontextorientiertes Medium zur Analyse.<br />

Das Buch aber, das Lars Müller Publishers<br />

daraus gemacht hat, gehört (obzwar leider<br />

nur in Englisch) mit zu den schönsten<br />

und besten auf dem Kunstbuch-Markt der<br />

letzten <strong>Zeit</strong>.<br />

Was ist aus der „eigentlichen“ Fotografi e<br />

geworden, die im 19. Jahrhundert mit<br />

dem Anspruch angetreten ist, in einzelnen<br />

prägnanten Bildern aufrichtig nichts als die<br />

Wahrheit zu vermitteln? Bei Capa ist sie<br />

von einer bestimmten Intention gesteuert<br />

(und unterliegt bei ihm sogar der Vermutung<br />

gestellter Aufnahmen), bei Tuggener<br />

Cindy Sherman, Das Frühwerk 1975-<br />

1977, 374 S. mit 240 Duplex- und 44<br />

Farbabb., geb. mit Schutzumschlag, 28,5 x<br />

23 cm, Hatje Cantz, 58,- Euro<br />

Kultur, Information und Unterhaltung im Internet<br />

Täglich neu – mit großem Archiv<br />

Literatur – Musik – Bühne – Film – Feuilleton – Museen – Comic – Fotografi e – Reise<br />

Unabhängig, werbefrei und ohne Maulkorb<br />

www.musenblaetter.de<br />

verfügt sie über einen Subtext, der das<br />

fotografi sch Ansichtige in Frage stellt. Mit<br />

der Autonomie als Kunstform und der Nobilitierung<br />

konzeptueller Verfahren aber ist<br />

alles möglich. Dan Graham behandelt die<br />

Fotografi e als Referenzmaterial. Und Cindy<br />

Sherman (geb. 1954) setzt sie bewusst<br />

zur Camoufl age ein: Sie ist Regisseurin,<br />

Kostümbildnerin und Akteurin vor und<br />

hinter der Kamera. Sie inszeniert Bilder,<br />

die bedeutungsschwanger, erzählerisch und<br />

verstörend sind. Einziger Gegenstand ihrer<br />

Aufnahmen ist sie selbst in Verkleidungen,<br />

auch die Anmutung als Bild wechselt –<br />

dazu hat Sherman ein Repertoire entwickelt,<br />

das immer weitere Kreise zieht. Wie<br />

sehr dieses schon zu Beginn ihres künstlerischen<br />

Tuns ausdifferenziert ist, das zeigt<br />

nun der Werkkatalog der Jahre 1975-77,<br />

erschienen bei Hatje Cantz. Das Frühwerk<br />

wird hier minutiös aufgeblättert; zu sehen<br />

sind Cutouts inszenierter, verkleideter Figuren,<br />

die nun an der Ausstellungswand ein<br />

Theaterstück aufführen, wobei Sherman<br />

selbst alle Rollen einnimmt. Es gibt Tableau<br />

mit Porträts, die sich unmittelbar aufeinander<br />

beziehen, oder sukzessive Serien ein<br />

und derselben fotografi erten Person, wobei<br />

lediglich Körperhaltung und Mimik differieren.<br />

Vieles aus dem späteren Programm<br />

ist schon da zu sehen und deswegen ist<br />

dieses Buch so wichtig für die Rezeption<br />

von Shermans weltweit geschätztem Werk.<br />

Auch ihre soziokulturellen Themen liegen<br />

bereits vor; mit diesen behandelt Sherman<br />

Fragen der weiblichen Identität und der<br />

Entstehung von Klischees und Rollenbildern<br />

in unserer Gesellschaft und geht<br />

der emotionalen Wirkung fotografi scher<br />

Bilder nach. Fotografi e erweist sich bei ihr<br />

als indirektes Medium, ohne an Direktheit<br />

einzubüßen – aus diesem brisanten Wechselverhältnis<br />

erwächst bedeutende Kunst.


Geschichtsbücher, Buchgeschichten<br />

Vorgestellt von Matthias Dohmen<br />

Einen zu Unrecht vergessenen deutschen<br />

Spitzenpolitiker stellt Dr. Hildegard Wehrmann<br />

in ihrer wissenschaftlichen Biographie<br />

„Hermann Pünder“ vor. Der in Trier<br />

geborene Jurist war schon in frühen Jahren<br />

Staatssekretär unter Luther, Marx, Müller<br />

und Brüning sowie Regierungspräsident<br />

in Münster, in der jungen Bundesrepublik<br />

dann Oberbürgermeister von Köln<br />

und Oberdirektor der Bizone respektive<br />

Trizone. In der Weimarer <strong>Zeit</strong> Mitglied<br />

der Zentrumspartei, gehörte er nach 1945<br />

zu den Mitbegründern der CDU und<br />

engagierte sich an exponierter Stelle für<br />

Europa. Nach dem 20. Juli 1944 wurde er<br />

verhaftet und in den Konzentrationslagern<br />

Buchenwald und Dachau drangsaliert. Zu<br />

unterschiedlichen <strong>Zeit</strong>en gehörte er dem<br />

nordrhein-westfälischen Landtag, dem<br />

Deutschen Bundestag und dem Europaparlament<br />

an. Sohn seiner <strong>Zeit</strong>, sah er die<br />

„bolschewistische Weltanschauung“ als fulminante<br />

Bedrohung gerade des westlichen<br />

Deutschland. Auch wenn das ständige<br />

Einrücken von Zitaten den Lesefl uss mitunter<br />

hemmt: Dem beachtenswerten Werk<br />

ist eine große Verbreitung zu wünschen.<br />

Hildegard Wehrmann, Hermann Pünder<br />

(1888-1976). Patriot und Europäer, Essen:<br />

Klartext 2011 (= Düsseldorfer Schriften<br />

zur Neueren Landesgeschichte und zur<br />

Geschichte Nordrhein-Westfalens, Bd. 85).<br />

523 S., 49,95 Euro<br />

Der Wahrheit eine Gasse. In seiner außergewöhnlich<br />

materialreichen und auch<br />

noch gut geschriebenen Untersuchung<br />

„Nicht ermittelt“ weist der Historiker<br />

und Journalist Dr. Stefan Klemp nach,<br />

dass trotz erwiesener systematisch begangener<br />

Gräueltaten „Angehörige der<br />

Ordnungspolizei und insbesondere von<br />

Polizeibataillonen systematisch von einer<br />

Strafverfolgung ausgenommen worden<br />

sind“. Einer dieser Schergen schrieb<br />

1941 über seine Verwendung an einem<br />

osteuropäischen Schauplatz an seine Frau:<br />

„<strong>Die</strong> Juden werden gänzlich ausgerottet.<br />

Liebe Hannah, mach dir keine Gedanken<br />

drüber. Es muss sein. Und dem Rüdiger<br />

nichts davon erzählen, später mal.“ Des<br />

Sohnes Altersgenossen ging es weniger<br />

kommod: „Helm. F. und ich haben einen<br />

Juden und jeder eine Jüdin, die eine ist<br />

15 und die andere 19 Jahre alt, die eine<br />

heißt Eide und die andere Chahwa. <strong>Die</strong><br />

machen für uns alles, was wir wollen“<br />

(sämtliche Zitate S. 7 f.).<br />

Es kam im Westen, dem Eldorado hoher<br />

und höchster NS-Polizeioffi ziere, zu<br />

ganzen 17 Verurteilungen, in der DDR<br />

dagegen zu 26 (S.10). Das wird zu gerne<br />

vergessen.<br />

Stefan Klemp, „Nicht ermittelt“. Polizeibataillone<br />

und die Nachkriegsjustiz – Ein<br />

Handbuch, Essen: Klartext 22011 (= Villa<br />

ten Hompel, Bd. 5). 601 S., 39,95 Euro<br />

Ein Tabuthema, gewiss. Aber ein Autor,<br />

der als international renommierter<br />

Palliativmediziner und in der Philosophie<br />

von Seneca bis Schopenhauer bewanderter<br />

Mann „Über das Sterben“ schreibt<br />

und, wie es schon im Vorwort heißt, den<br />

Menschen „ein Stück weit“ die „Angst vor<br />

einem qualvollen Sterben“ nehmen will,<br />

weil Panik zu einer Art sich selbst erfüllender<br />

Voraussage werde, wie es Prof. Dr.<br />

Gian Domenico Borasio in seinem Vorwort<br />

formuliert.<br />

Das Buch ist im besten Sinne populärwissenschaftlich<br />

und bietet desungeachtet<br />

einen Anmerkungsapparat sowie eine<br />

Liste nützlicher Internetseiten. Nicht das<br />

Sterben sei das Problem, zitiert er eine<br />

britische Ärztin, sondern „festzustellen,<br />

dass man nicht gelebt hat“.<br />

„Was wissen wir über das Sterben?“, heißt<br />

das erste Kapitel. Der Autor beschäftigt<br />

sich ferner mit den Orten, an denen man<br />

zu Tode kommt (Krankenhäuser, Hospize,<br />

zu Hause), mit den Dingen, die der<br />

Mensch am Lebensende benötigt (medizinische<br />

Therapie, psychosoziale Begleitung,<br />

spirituelle Begleitung, allem gemeinsam:<br />

Kommunikation), Vorsorge, Sterbehilfe<br />

und dem „Geschenk der Palliativmedizin“.<br />

Gian Domenico Borasio, Über das Sterben.<br />

Was wir wissen – Was wir tun können –<br />

Wie wir uns darauf einstellen, München:<br />

Beck 2012.207 S., 17,95 Euro<br />

53


54<br />

Daniel Glattauers E-Mail-Dialog<br />

„Gut gegen Nordwind“<br />

im TiC-Theater Wuppertal<br />

Regie: Ralf Budde<br />

Bühne: Iljas Enkaschew<br />

Kostüme: Wiebke Fichte<br />

Besetzung:<br />

Petra Koßmann als Emmi Rothner<br />

und André Klem als Leo Leike<br />

unten links:<br />

Petra Koßmann als Emmi Rothner<br />

unten rechts:<br />

André Klem als Leo Leike<br />

Fotos: Martin Mazur<br />

Angenagte Herzen<br />

Nicht neu, aber originell<br />

Es ist im <strong>Zeit</strong>alter der E-Post offenbar<br />

beinahe unmöglich, ein <strong>Zeit</strong>schriften-<br />

Abonnement zu kündigen, zumindest<br />

wenn man sich konsequent bei der<br />

elektronischen Adresse vertippt. Das<br />

passiert Emmi Rothner (Petra Koßmann),<br />

als sie das LIKE-Magazin abbestellen will<br />

und durch einen permanenten Tippfehler<br />

immer wieder im PC-Postfach des Kommunikationsberaters<br />

und Sprachpsychologen<br />

Leo Leike (André Klem) landet. <strong>Die</strong><br />

gleichermaßen charmant unterhaltsame<br />

wie dramatisch überzeugende Geschichte,<br />

die Daniel Glattauer aus der nicht<br />

gänzlich neuen Idee („The Shop around<br />

the Coner“/“E-Mail for you“) entwickelt<br />

hat, wurde von Ralf Bude mit sicherer<br />

Hand auf zweigeteilter Bühne im Wuppertaler<br />

TiC-Theater in Szene gesetzt.<br />

Aus dem anfangs schnippischen, wenn<br />

auch neugierigen Austausch von Belanglosigkeiten<br />

entsteht bald ein reger Dialog<br />

zweier Menschen, die sich nicht kennen,<br />

aber ganz offenbar das Bedürfnis haben,<br />

sich jemandem zu öffnen. Spitzfi ndig,<br />

wortreich, humorvoll, ironisch – ja, auch<br />

frivol, entwickelt sich das ewige Spiel der<br />

Geschlechter, wobei Emmi jene ist, die<br />

dabei die Köder auslegt, welche von Leo<br />

zu gerne geschluckt werden.<br />

Petra Koßmann zieht alle Register<br />

Ist Emmi wirklich verheiratet, wie sie im<br />

Moment der ersten Möglichkeit einer<br />

wirklichen Begegnung behauptet? Hat<br />

sie Angst vor einem „richtigen“ Kontakt?<br />

Und schiebt das zum Schutz vor? Es sieht<br />

ganz so aus, denn natürlich ist sie nicht<br />

verheiratet, mutmaßt der Zuschauer,<br />

die Zuschauerin, werden doch Emmis<br />

Avancen beim zweiten Anlauf intimer,<br />

erotischer. Leo hingegen räumt seine<br />

Schwachstelle, seine „Ex“ Marlene offen<br />

ein, die ihm auch jetzt noch im Kopf<br />

herumspukt. Wer und was beide aber<br />

sind, wissen sie geschickt voreinander<br />

zu verbergen, wobei Emmi den Schleier<br />

dichter hält als Leo. Während Leos<br />

verliebtes Emmi-Dossier wächst, spielt


Emmi ihr Spiel – durchaus durchtrieben<br />

und gelegentlich sogar ein bißchen<br />

perfi de. Petra Koßmann, eine brillante<br />

Charakterdarstellerin, deren „Fräulein<br />

Else“, „Iphigenie“, „Camille Claudel“<br />

oder die „Blanche“ in „Endstation Sehnsucht“<br />

noch vital in Erinnerung sind, zog<br />

alle Register der Schauspielkunst, ließ<br />

dabei die tiefe Emotionalität erkennen,<br />

die in der scheinbaren Leichtigkeit des<br />

Stoffes liegt. So wie ihre Emmi ziemlich<br />

durchtrieben ihr Mail-Gegenüber Leo<br />

bei gelegentlichem Wechsel des Kräfteverhältnisses<br />

über die entscheidenden<br />

Strecken des Stückes führt, hatte auch<br />

Petra Koßmann mit brillanter Sprache,<br />

Körpersprache und Mimik stets den<br />

Faden des Geschehens in der Hand. Ob<br />

schmelzend sehnsuchtsvoll oder verführerisch<br />

lockend, fordernd zornig oder<br />

melancholisch betrübt, verzagt ängstlich<br />

oder forsch geradeaus, provozierend<br />

erotisch oder abwartend zögerlich – sie<br />

beherrscht nicht nur ihren (linken) Teil<br />

der Bühne (Iljas Enkaschew).<br />

Angenagte Herzen<br />

Fast unmerklich entwickelt sich der elektronische<br />

Flirt zu einer wenn auch berührungslosen,<br />

aber doch handfesten Affäre<br />

mit unverhüllten erotischen Begehrlichkeiten,<br />

schäumender Eifersucht, vorbehaltlosen<br />

Liebesgeständnissen „Leo, Sie sind<br />

phantastisch gut gegen Nordwind!“ und<br />

unverhüllten Angeboten – wobei die<br />

erotischen Impulse genauso wie die kalten<br />

Duschen von Emmi ausgehen. <strong>Die</strong> dramatische<br />

Wendung tritt mit einer aus dem<br />

Off gelesenen Mail von Emmis Ehemann<br />

Bernhard an Leo ein Er existiert tatsächlich,<br />

ebenso wie offenbar die Kinder des<br />

Paares. Doch hier gelingt es Glattauer nicht<br />

ganz, die eigene Vorgabe spritziger Intelligenz,<br />

mit der er den Stoff angegangen ist,<br />

zu halten – es wird verstörend kitschig,<br />

wenn auch notwendig für die Katharsis.<br />

Leos Lage wird unhaltbar. André Klem<br />

vermittelt den Schockzustand, in den Leo<br />

dadurch tritt, nachvollziehbar. Doch auch<br />

trotz seines festen Entschlusses, von Emmi<br />

zu lassen, die für die Phase des ersten<br />

Erschreckens ebenfalls Abstand zu nehmen<br />

vorhat, läßt sich Leo erneut auf das Spiel<br />

mit dem Feuer ein, erliegt der – Verzeihung<br />

meine Damen – typisch weiblichen Manipulation<br />

Emmis in typisch – Verzeihung<br />

meine Herren – männlicher Bereitschaft,<br />

sich verführen, überreden zu lassen. <strong>Die</strong><br />

verhängnisvolle Affäre steuert unter großer<br />

Spannung auf eine Entscheidung zu…<br />

Dramatisches Kammerspiel<br />

Ralf Budde hat das sich dramatisch zuspitzende<br />

Kammerspiel auf der originellen<br />

Bühne in großer Dichte umgesetzt und<br />

dabei vor allem mit Petra Koßmann, einer<br />

mit allen Wassern gewaschenen Schauspielerin<br />

einen wirklichen Glücksgriff<br />

getan. Gelegentliche Unsicherheiten bei<br />

ihrem Partner André Klem werden sich in<br />

der Praxis der Aufführung abschleifen.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.tic-theater.de<br />

Frank Becker<br />

55


56<br />

Bei Vermögensübertragungen<br />

geht es immer<br />

um die Fragen, ob, wie, wann<br />

und an wen Sie Ihr Vermögen<br />

übertragen wollen. Wir unterstützen<br />

Sie, Ihre persönlichen<br />

Ziele der lebzeitigen und/oder<br />

letztwilligen Vermögensübertragung<br />

konkret zu ermitteln.<br />

Wir stellen sicher, dass die Umsetzung<br />

Ihrer Übertragungsziele<br />

steueroptimiert erfolgt, die<br />

rechtlich-formalen Wirksamkeitsvoraussetzungen<br />

eingehalten<br />

werden und sorgen auch auf<br />

Wunsch für flexible künftige<br />

Anpassungsmöglichkeiten.<br />

Dr. Jörg Steckhan<br />

RA/WP/StB<br />

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ALS<br />

NUR<br />

STEUERN<br />

RINKE TREUHAND GmbH Wirtschaftsprüfungs-/Steuerberatungsgesellschaft<br />

Wall 39 – 42103 Wuppertal – 0202 2496-0<br />

www.rinke.eu Unternehmensberatung – Steuerberatung – Wirtschaftsprüfung<br />

Kulturnotizen<br />

Museum Ludwig<br />

Ausstellung David Hockney<br />

27. Oktober 2012 - 3. Februar 2013<br />

Seine Swimmingpool-Paintings gehören<br />

zu den populärsten Bildformeln der<br />

1960er Jahre. Als schillernde Figur des<br />

„Swinging London“ und Bildchronist<br />

eines coolen Californian Way of Life<br />

wurde David Hockney weltbekannt, aber<br />

auch mit seinen einfühlsamen Porträts,<br />

meisterhaften Stillleben oder Lanschaftsgemälden,<br />

Fotocollagen, Bühnenbildern<br />

und intelligenten Verarbeitungen<br />

kunstgeschichtlicher Phänomene hat er<br />

seit Jahrzehnten einen Platz unter den<br />

bedeutendsten Künstlern der Gegenwart.<br />

David Hockney „The Arrival of Spring in<br />

Woldgate, East Yorkshire in 2011 (Twenty<br />

Eleven) - 2 January 2011!“ (1 Zeichnung<br />

aus einem 52 -teiligen Werk), Zeichnung<br />

auf Papier 144,14 x 107,95 cm<br />

© David Hockney<br />

Öffnungszeiten<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag: 10 – 18 Uhr, jeden<br />

ersten Donnerstag im Monat: 10 – 22 Uhr<br />

www.museum-ludwig.de<br />

Museum Folkwang<br />

Im Farbenrausch - Munch, Matisse<br />

und die Expressionisten<br />

29. September 2012 - 13. Januar<br />

2013<br />

Das Museum Folkwang widmet<br />

einem der spannendsten Kapitel der<br />

Kunst des frühen 20. Jahrhunderts eine<br />

einzigartige Ausstellung. Sie stellt erstmals<br />

die „Fauves“, die sogenannten Wilden in<br />

der französischen Kunst, Henri Matisse,<br />

André Derain, Maurice de Vlaminck, den<br />

Norweger Edvard Munch und die jungen<br />

deutschen und russischen Expressionisten<br />

wie Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel,<br />

Alexej von Jawlensky, Wassily Kandinsky,<br />

Gabriele Münter und Franz Marc einander<br />

gegenüber. <strong>Die</strong> Fauves vollzogen eine<br />

grundlegende Neuerung, sie defi nierten<br />

in ihren Bildern das Verhältnis zwischen<br />

Natur und Kunst neu und ließen den<br />

Bildraum aus dem kraftvollen Zusammenwirken<br />

der Farben entstehen.<br />

Max Pechstein<br />

Sitzendes Mädchen / Sitzender weiblicher<br />

Akt, 1910, Staatliche Museen zu Berlin,<br />

Nationalgalerie<br />

© 2012 Pechstein, Hamburg/Tükendorf<br />

© Foto: Staatliche Museen zu Berlin,<br />

Nationalgalerie, Roman März<br />

André Derain, Vue de Collioure, 1905,<br />

Collioure. Das Dorf und das Meer<br />

Museum Folkwang, Essen<br />

© VG Bild-Kunst, 2011<br />

© Foto: Museum Folkwang, 2011<br />

Öffnungszeiten:<br />

Di bis So 10-20 Uhr, Fr 10-22.30 Uhr<br />

Montags geschlossen<br />

www.museum-folkwang.de/ausstellungen


im Skulpturenpark Waldfrieden, Wuppertal<br />

KUNST. MUSIK. NATUR.<br />

Im vierten Jahr bietet die Konzertreihe<br />

KlangArt im Skulpturenpark in der<br />

Sommerzeit 2012 mit sieben Konzerten<br />

in internationaler Besetzung ein Spektrum<br />

von zeitgenössischem Jazz, Improvisierter<br />

Musik und Weltmusik.<br />

Konzerte im August<br />

Samstag 18. > 19 Uhr > OPEN AIR ><br />

Jazz goes HipHop <<br />

SQUEEZEBAND<br />

Chico Freeman, Saxofon - Dany Martinez,<br />

Gitarre - Michel Alibo, Bass - Nino G., Beatbox<br />

- Reto Weber Schlagzeug, Perkussion<br />

<strong>Die</strong> „Squeezeband“ ist ein Projekt des<br />

Schweizer Perkussionisten Reto Weber. Mit<br />

dem Vocalisten NINO G, der zur Weltklasse<br />

der Beatboxszene gehört, hat er das<br />

Squeezeprojekt auf einen neuen Level gehoben.<br />

Er lud weitere seiner Freunde ein, allen<br />

voran Chico Freeman aus den USA. Neu in<br />

der Squeezeband sind auch der Gitarrist und<br />

Komponist Dany Martinez aus Cuba sowie<br />

Michel Alibo aus Martinique am Bass.<br />

Sonntag 19. > 19 Uhr > OPEN AIR<br />

> Ukuba Noma Unkungabi <<br />

JASPER VAN’T HOF‘s PILI PILI<br />

Jasper van‘t Hof Keyboards, Piano - Tutu<br />

Puoane, Gesang - Tineke Postma, Saxofon<br />

- Vasile Darnea, Violine - Anton Peisakhov<br />

Cello - Nic Thijs, Bass - Dra Diarra, Perkussion,<br />

Kora<br />

Der niederländische Pianist und Komponist<br />

Jasper van’t Hof verfolgt ein besonderes<br />

Interesse an afrikanischer Musik, das zur<br />

Zusammenarbeit mit afrikanischen Musikern<br />

und zur Gründung der Gruppe „Pili<br />

Pili“ führte.<br />

www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />

Kunstsammlung NRW<br />

Thomas Schütte – Wattwanderung<br />

noch bis zum 9. September 2012<br />

K21 Ständehaus<br />

Das Werk Wattwanderung setzt sich<br />

aus 138 einzelnen Radierungen zusammen,<br />

die auf einer Spannleine aufgehängt<br />

sind. Der Titel unterstreicht die Idee<br />

des Wanderns und des Entdeckens. Das<br />

Bildnis des Meeres assoziiert Ebbe und<br />

Flut, die Bewegung von einem Bild zum<br />

anderen. <strong>Die</strong> Motive bestehen zum großen<br />

Teil aus Portraits, Frauen und Blumen,<br />

Themen, die sich seit vielen Jahren wie<br />

Leitfäden durch das Oeuvre von Thomas<br />

Schütte (geboren 1954, lebt in Düsseldorf)<br />

ziehen. <strong>Die</strong> einzelnen Blätter verstehen<br />

sich auch als eine Art Tagbuch, in<br />

dem der Künstler 2001 die dramatischen<br />

und die banalen Geschehnisse des Alltags<br />

festhält.<br />

Thomas Schütte, Wattwanderung, No. 122,<br />

2001, Kupferstich, 32 x 44 cm, Kunstsammlung<br />

Nordrhein-Westfalen, erworben<br />

2004, © VG Bild-Kunst, Bonn 2012<br />

Foto: © Kunstsammlung NRW<br />

Viele der Radierungen sind mit Wörtern<br />

untermalt. Durch diese Wortspiele<br />

wirft der Künstler ernste Themen und<br />

Fragen auf: „Desaster des Friedens“, „Wie<br />

sieht eine Seele aus“, „Ground zero wie<br />

geht es weiter“ oder „Atmen nicht vergessen“.<br />

<strong>Die</strong> unterschiedlichen Bilder und<br />

Wörter lösen Assoziationen aus; Bilder aus<br />

der eigenen Welt werden wachgerufen.<br />

Durch die Reise zwischen den Bildern<br />

entfaltet sich die passive Bildanschauung<br />

zu einer aktiven Bildaufnahme, in der der<br />

Betrachter selbst Position zu beziehen hat.<br />

Öffnungszeiten:<br />

dienstags bis freitags 10.00-18.00 Uhr<br />

samstags, sonntags, feiertags<br />

www.bundeskunsthalle.de<br />

11.00-18.00 Uhr<br />

montags geschlossen<br />

www.bundeskunsthalle.de<br />

Sinfonieorchester Wuppertal<br />

Das Orchester wird 150 Jahre alt und<br />

spielt, was die Gäste hören wollen: In der<br />

neuen Saison gibt es viele Überraschungen.<br />

Bei der Vorstellung des Programms für<br />

die Saison 2012/2013: Chef-Dirigent<br />

Toshiyuki Kamioka mit Gerald Hacke,<br />

Nicola Hammer und Martin Schacht vom<br />

„Education-Team“ der Sinfoniker (von<br />

links nach rechts) Foto: Uwe Schinkel<br />

Im Jubiläumsjahr gibt’s sechs statt der<br />

sonst üblichen fünf Kammerkonzerte.<br />

Neben einem Gastspiel in Mailand (27.<br />

Februar) sind auch sechs Sonderauftritte<br />

in der Heimat geplant – darunter ein<br />

Konzert, in dem Abonnenten mitspielen<br />

(2. Februar).<br />

Los geht’s mit einem Paukenschlag:<br />

Das große Festkonzert soll am Samstag,<br />

15. September, um 20 Uhr in der Stadthalle<br />

über die Bühne gehen – mit Stücken<br />

57


58<br />

Kulturnotizen<br />

von Richard Wagner (Meistersinger-<br />

Ouvertüre) und Ludwig van Beethoven<br />

( Sinfonie <strong>Nr</strong>. 5 c-Moll op. 67). Beendet<br />

wird der Festreigen an der frischen Luft:<br />

Bei einer Open-Air-Gala soll sich der<br />

Laurentiusplatz am 13. Juli 2013 in eine<br />

große Bühne verwandeln.<br />

Schon einen guten Monat zuvor gibt<br />

es einen weiteren Grund zum Feiern: Mathias<br />

Christian Kosel komponiert eigens<br />

für das Wuppertaler Orchester ein neues<br />

Stück, das „Pan“ heißt und im neunten<br />

Sinfoniekonzert (2. und 3. Juni 2013)<br />

vorgestellt wird.<br />

Bundeskunsthalle Bonn<br />

Pixar – 25 Years of Animation<br />

Fr 6. Juli 2012 - So 6. Januar 2013<br />

Abb.: © Disney/Pixar<br />

Ab Sommer ist es soweit: Mit Nemo<br />

and Friends kommen zum ersten Mal<br />

die Helden von Pixars weltbekannten<br />

Animationsfi lmen nach Deutschland und<br />

machen ein halbes Jahr lang Station in der<br />

Bonner Bundeskunsthalle. <strong>Die</strong> Ausstellung<br />

bietet die seltene Gelegenheit, einen Blick<br />

hinter die Kulissen des kalifornischen<br />

Filmkonzerns zu werfen, der 1995 mit<br />

dem ersten vollständig computeranimierten<br />

Film 'Toy Story' riesige Erfolge feierte.<br />

Mit intelligentem Humor, feinem Gespür<br />

für Charaktere und immer brandneuer<br />

Animationstechnik gelingt es den PIXAR-<br />

Machern seit Jahren, ein Film-Highlight<br />

nach dem anderen zu produzieren. Für die<br />

bisher 12 Spiel- und diversen Kurzfi lme<br />

hat das Studio bereits 14 Oscars erhalten<br />

und war für 36 weitere nominiert.<br />

Dabei steht besonders die Arbeitsweise<br />

von Pixar mit über 500 Skizzen, Grafi ken,<br />

Farbzeichnungen und Skulpturen im<br />

Fokus. Zu den Höhepunkten der Ausstellung<br />

zählen das Artscape, ein Kinoraum,<br />

in dem Originalzeichnungen digital zum<br />

Leben erweckt werden und das Zoetrop,<br />

eine Art rotierendes Daumenkino. Besonders<br />

das junge Publikum dürfte sich auf<br />

eine Begegnung mit den Protagonisten aus<br />

'Ratatouille', 'Das große Krabbeln' und<br />

'Cars' freuen!<br />

Museumsmeile Bonn<br />

Friedrich-Ebert-Allee 4 53113 Bonn<br />

Öffnungszeiten:<br />

dienstags bis freitags 10.00-18.00 Uhr<br />

samstags, sonntags, feiertags<br />

www.bundeskunsthalle.de<br />

Theaterfest<br />

der Wuppertaler Bühnen<br />

am 8. und 9. September 2012<br />

Unser Theaterfest, mit dem wir die neue<br />

Spielzeit 2012/2013 eröffnen, fi ndet an<br />

einem Wochenende statt, an dem zugleich<br />

einige andere Feste gefeiert werden: am 8.<br />

und 9. September gratulieren die Wuppertaler<br />

ihrem Stadtteil Unterbarmen und<br />

der Friedrich-Engels-Allee zu ihrem 200.<br />

Geburtstag, feiern das Geschichtsfest und<br />

veranstalten am Samstagabend unter dem<br />

Titel „Flanieren auf der Allee“ ein autofreies<br />

Straßenfest. Der 9. September ist zudem der<br />

Tag des offenen Denkmals. Das Opernhaus<br />

markiert das Ende der Allee, es ist gleichzeitig<br />

ein „offenes Denkmal“ und mit einigem<br />

Recht Teil der Geschichte Wuppertals.<br />

Also nehmen wir an allen Festen teil. Am<br />

Samstag ab 14:00 Uhr lässt sich das Theater<br />

hinter die Kulissen schauen und zeigt dabei<br />

alles, was es kann: Maskenvorführungen,<br />

Kostümherstellung (inkl. Kostümversteigerung),<br />

Technikvorführungen, Beleuchtungsshows,<br />

Tonpräsentationen etc. Am Abend,<br />

wenn fl aniert wird, laden wir zu musikalischen<br />

Abstechern in historische Gebäude<br />

entlang der Allee ein. Und am Sonntag<br />

öffnen wir unser Denkmal für zahlreiche<br />

Führungen und berichten über die bewegte<br />

Geschichte des Theaters in Wuppertal und<br />

des Gebäudes in Barmen.<br />

Großes Kino an der Gathe:<br />

TALFLIMMERN – Freiluftkino<br />

im August<br />

<strong>Die</strong> Freiluftkino-Reihe in der Alten<br />

Feuerwache verspricht wieder einen guten<br />

Mix aus Mainstream und Anspruch.<br />

Mark Tykwer und Mark Rieder sind<br />

beiden Macher der „Talfl immern“-Reihe<br />

die schon die 15. Aufl age erlebt.<br />

Am 7. Juli hieß es das erste Mal „Film<br />

ab!“ – mit dem Oscar-gekrönten Meisterwerk<br />

„The Artist“.<br />

Steven Spielbergs Comic-Adaption<br />

„<strong>Die</strong> Abenteuer von Tim und Struppi“<br />

(16. August ) dürften an der Gathe<br />

ebenso ihr Publikum fi nden wie Andreas<br />

Dresens anspruchsvolles Drama „Halt auf<br />

freier Strecke“ (11. Juli) oder „The Lady“,<br />

das von Amnesty International am 24.<br />

August präsentierte Porträt der birmanischen<br />

Friedensnobelpreisträgerin Aung<br />

San Suu Kyi.<br />

Auch eine Vorpremiere ist wieder<br />

dabei: „Le Skylab – Familientreffen“ von<br />

Julie Delpy am 5. August. Dazu steht<br />

am 15. August mit „Buschka entdeckt<br />

Deutschland“ eine der im Moment angesagtesten<br />

Independent-Reportagen der<br />

Republik auf dem Spielplan. Regisseur<br />

Jörg Buschka wird seine Improvisations-<br />

Dokumentation selbst an der Gathe<br />

vorstellen – unterstützt vom Wuppertaler<br />

Musiker Sascha Gutzeit, der ab 22 Uhr<br />

das Publikum mit Live-Musik auf den<br />

Film einstimmt.<br />

<strong>Die</strong> Abendkasse ist an den jeweiligen<br />

Veranstaltungsabenden ab 20 Uhr geöffnet.<br />

Alles dazu und das volle Programm<br />

gibt es auf:<br />

www.talfl immern.de<br />

Freilichtbühne im Innenhof der Alten<br />

Feuerwache in der Elberfelder Nordstadt,<br />

Gathe 6, 42107 Wuppertal


Öffnungszeiten: Fr von 15 – 22 Uhr | Sa von 11 – 15 Uhr | Eintritt frei | Schloss Lüntenbeck | 42327 Wuppertal | www.schloss-luentenbeck.de<br />

KA<br />

RUS<br />

SELL<br />

Bergische<br />

<strong>Zeit</strong>schrift für<br />

Literatur<br />

Ausgabe 1/2012<br />

9,00 Euro<br />

Wuppertaler Literatur Biennale 2012<br />

TANZ ANZ TRÄUM TRÄUME<br />

Jugendliche tanzen „Kontakthof“ von Pina Bausch.<br />

Das Buch zum Film von Anne Linsel und Ulli Weiss<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal, 2011<br />

120 Seiten, 23 x 17 cm, Softcover<br />

ISBN 978-3942043-81-6, 19,80 Euro<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong><br />

Friedrich-Engels-Allee 122<br />

42285 Wuppertal -<br />

Telefon 0202 - 28 10 40<br />

verlag@hpnackekg.de<br />

Götterspeise<br />

14. / 15. September 2012<br />

Kulinarische Meile Schloss Lüntenbeck<br />

1<br />

NEU<br />

zur Wuppertaler Literatur Biennale 2012<br />

Prosa | Lyrik | Essay<br />

von Marlene Baum, Eugen Egner,<br />

Christiane Gibiec, Arnim Juhre,<br />

Karl-Otto Mühl, Karla Schneider,<br />

Hermann Schulz, Andreas Steffens,<br />

Michael Zeller u. v. a.<br />

Karussell | Bergische <strong>Zeit</strong>schrift für Literatur<br />

<strong>Nr</strong>. 1/2012 – 115 Seiten, 9.– Euro –<br />

ab Juni im Buchhandel<br />

Herausgeber: Verband Deutscher Schriftsteller (VS),<br />

Region Bergisch Land und die Autorengemeinschaft<br />

Literatur im Tal mit freundlicher Unterstützung<br />

durch Kulturbüro der Stadt Wuppertal<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> Wuppertal<br />

ISBN 978 - 3 - 942043 - 85 - 4<br />

59


Der Tipp für alle<br />

ab 60<br />

Mit dem BärenTicket sind Sie im ganzen<br />

VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und<br />

in der 1. Klasse.<br />

Weitere Infos im MobiCenter<br />

Tel.: 0202 569-5200<br />

www.wsw-online.de<br />

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