04.01.2013 Aufrufe

Download - Druckservice HP Nacke KG

Download - Druckservice HP Nacke KG

Download - Druckservice HP Nacke KG

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

DIE BESTE ZEIT<br />

Das Magazin für Lebensart<br />

Wuppertal und Bergisches Land Ausgabe 9, 2011 - 3,50 Euro<br />

Sisley kommt!<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Klaus Armbruster<br />

Die Städte sind für dich gebaut<br />

Von der Heydt-Museum<br />

Zeichnungssammlung Klüser<br />

Unausgesprochene Dinge<br />

Hochschule für Tanz und Musik<br />

Die Dummheit<br />

Schauspiel von Rafael Spregelburd<br />

Zwei Paare - zwei Schwestern<br />

Georg Köhl inszeniert „Arabella“<br />

Schloss Lüntenbeck<br />

Textilmarkt erleben<br />

Nico Ueberholz<br />

Baumeister der Kommunikation<br />

Johanna Hilbrandt<br />

Über die Altersgrenze<br />

Verlag Edition 52<br />

Literatur in graphischer Gestaltung<br />

Andreas Steffens<br />

Höfl ichkeit - Essay<br />

Ulrich Land<br />

Fundsache<br />

1


Bezugsquellen:<br />

„Die Beste Zeit – Das Magazin für Lebensart“ erhalten Sie ab sofort:<br />

Friedrich-Ebert-Str. /<br />

Ecke Laurentiusstr. 12<br />

42103 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 30 40 01<br />

www.mackensen.de<br />

Bahnhofsbuchhandlung im<br />

Barmer Bahnhof<br />

Winklerstraße 2 · 42283 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 59 53 85<br />

Wohn- und Objektbeleuchtung<br />

Karlstraße 37 · 42105 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 2 44 34 40<br />

www.lichtbogen-wuppertal.de<br />

<strong>Druckservice</strong> <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong><br />

Mediapartner · Druck · Verlag<br />

Friedrich-Engels-Allee 122<br />

42285 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 28 10 40<br />

www.hpnackekg.de<br />

Impressum<br />

„Die beste Zeit“ erscheint in Wuppertal und im<br />

Bergischen Land<br />

Erscheinungsweise: 5 – 6 mal pro Jahr<br />

Verlag <strong>HP</strong> <strong>Nacke</strong> <strong>KG</strong> - Die beste Zeit<br />

Friedrich-Engels-Allee 122, 42285 Wuppertal<br />

Telefon 02 02 - 28 10 40<br />

E-Mail: verlag@hpnackekg.de<br />

V. i. S. d. P.: HansPeter <strong>Nacke</strong> und Frank Becker<br />

Erfüllungsort und Gerichtsstand Wuppertal<br />

Bürobedarf Illert<br />

Grabenstraße 4 · 42103 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 97 65 808<br />

www.buero-illert.de<br />

Museums-Shop<br />

Turmhof 8<br />

42103 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 563-6231<br />

www.von-der-heydt-museum.de<br />

Galerie<br />

Friedrich-Ebert-Straße 152a<br />

42117 Wuppertal · Tel.: 4 26 52 62<br />

www.galerie-epikur.de<br />

epikurepikur<br />

Hauptstraße 17<br />

42349 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 47 28 70<br />

www.nettesheim.com<br />

Bildnachweise/Textquellen sind unter den<br />

Beiträgen vermerkt.<br />

Gastbeiträge durch Autoren spiegeln nicht<br />

immer die Meinung des Verlages und der Herausgeber<br />

wider. Für den Inhalt dieser Beiträge<br />

zeichnen die jeweiligen Autoren verantwortlich.<br />

Umschlagabbildung: La rade de Cardiff, (Bateaux<br />

dans la Baie de Cardiff),<br />

1897 Reims, Musée des Beaux-Arts de Reims<br />

Copyright Foto: C. Devleeschauwer /Musée des<br />

Beaux-Arts de la Ville de Reims<br />

Bücher Köndgen<br />

Werth 79 · 42103 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 24 800-50<br />

www.koendgen.de<br />

Hirschstraße 12 · 42285 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 31 72 98 9<br />

www.skulpturenpark-waldfrieden.de<br />

Bücherladen<br />

Jutta Lücke<br />

Hünefeldstraße 83<br />

42285 Wuppertal<br />

Telefon (0202) 88 353<br />

Kürzungen bzw Textänderungen, sofern nicht<br />

sinnentstellend, liegen im Ermessen der<br />

Redaktion. Für unverlangt eingesandte Beiträge<br />

kann keine Gewähr übernommen werden.<br />

Nachdruck – auch auszugsweise – von Beiträgen<br />

innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist nur mit der<br />

ausdrücklichen Genehmigung des Verlages.<br />

Trotz journalistischer Sorgfalt wird für Verzögerung,<br />

Irrtümer oder Unterlassungen keine<br />

Haftung übernommen.


Editorial<br />

Liebe Leserinnen und Leser,<br />

auch Sie werden es bemerkt haben: Mitleid ist in Verruf geraten.<br />

Kranke, Behinderte, Menschen, die einen schweren Schicksalsschlag erlitten<br />

haben, versichern meist vehement: ‚Wir wollen kein Mitleid‘.<br />

Vielleicht, weil dieser Begriff mittelalterliche Bilder von barmherzigen<br />

Spendern heraufdämmern lässt, die dem elenden Bettler vor der<br />

Kirchentür von der Höhe ihres Wohlergehens ihr ‚Mitleid‘ in Gestalt<br />

einer kleinen Münze hinabreichen.<br />

An die Stelle des Mitleids hat man heute die Empathie gestellt,<br />

die Fähigkeit, sich in Situation und Lage eines Anderen hineinzuversetzen.<br />

Das Fremdwort klingt sachlicher, scheint irgendwie cooler als das<br />

sentimentalitätsverdächtige Mitleid. Leider fehlt es in unsrer Gesellschaft<br />

an allen Ecken an Empathie, etwa wenn jugendliche Gewalttäter ihre<br />

wehrlosen Oper immer grausamer zurichten, oder wenn ein Mann<br />

ein Kind umbringt, weil er sich über seinen Chef geärgert hat.<br />

Der Andere, in den hineinzuversetzen Empathie ermöglichen sollte,<br />

bleibt in solchen Fällen ausgeblendet, wird zum bloßen Objekt.<br />

Aber vielleicht ist es gerade auch unsere Weigerung, in diesem Bereich Gefühle<br />

zuzulassen, vielleicht sogar die Ablehnung des Mitleids,<br />

wodurch etwas wie Empathie bei uns immer seltener wird.<br />

Denn eine auf das rein Verstandesmäßige beschränkte Empathie<br />

ist ein Papiertiger. Wo mangelnde Phantasie und Trägheit des Herzens<br />

die gefühlsmäßige Reaktion verhindern, die auf das verstandesmäßige<br />

Erfassen einer Situation erfolgen müsste, kann Empathie keine positiven<br />

Folgen haben. Was unsere Gesellschaft wieder braucht, ist Mitfühlen<br />

mit dem andern und Mitleiden – denn nicht anderes bedeutet Mitleid.<br />

Kein Almosengeben, das die Distanz zum Leidenden, zu all den Armen,<br />

Vertriebenen, Kranken und Verletzten in aller Welt und in unserer Nähe<br />

aufrechterhalten soll. Sondern Mitleiden fremder Schmerzen:<br />

‚Fac me vere tecum fl ere‘, wie es im Stabat mater heißt – ‚Lass mich<br />

wahrhaft mit dir weinen‘. Es ist nicht den Christen vorbehalten.<br />

Wir sollten es wieder zulassen – es würde unsere Welt zu einem weniger<br />

kalten Ort machen. Überall und hier.<br />

Dorothea Renckhoff<br />

3


4<br />

Keine Angst vor Berührung<br />

Barbara Neusel-Munkenbeck und die Urne “moi“<br />

seit 1813<br />

Alles hat seine Zeit.<br />

Berliner Straße 49 + 52-54 · 42275 Wuppertal · www.neusel-bestattungen.de Tag und Nacht 66 36 74


Inhalt<br />

Ausgabe 9, 2. Jahrgang, Mai 2011<br />

Sisley kommt!<br />

Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />

von Frank Becker<br />

Geld oder Wahrheit<br />

„Die Dummheit“ – Schauspiel<br />

von Rafael Spregelburd<br />

von Daniel Diekhans<br />

Zettels Traum<br />

Seite 6<br />

Seite 10<br />

Die Zeichnungssammlung Bernd und<br />

Verena Klüser im Von der Heydt-Museum<br />

von Dr. B. Eickhoff und F. Becker Seite 13<br />

Die unausgesprochenen Dinge<br />

Begegnungen in der Hochschule<br />

für Musik und Tanz – Variation IV<br />

von Marlene Baum Seite 16<br />

Zwei Paare, zwei Schwestern<br />

Georg Köhl inszeniert in Wuppertal<br />

„Arabella“ von Richard Strauss<br />

von Martin Hagemeyer Seite 20<br />

Schloss Lüntenbeck stoffl ich erlebt<br />

Textilmarkt Schloss Lüntenbeck<br />

2. – 5. Juni 2011<br />

von Antonia Dinnebier Seite 22<br />

Baumeister der Kommunikation<br />

Nico Ueberholz setzt Meilensteine<br />

in der temporären Architektur<br />

von Andrea Weiß Seite 25<br />

Die Städte sind für Dich gebaut<br />

Tafelbildmontage von<br />

Klaus Armbruster auf Zollverein<br />

von Frank Becker Seite 30<br />

Wo man ankommt,<br />

wenn man die über die Altersgrenze<br />

spaziert<br />

von Johanna Hilbrandt Seite 36<br />

Literatur in hochwertiger graphischer<br />

Gestaltung<br />

Der Wuppertaler Verlag Edition 52<br />

von Frank Becker Seite 40<br />

Höfl ichkeit<br />

Eine historische Abhandlung<br />

von Andreas Steffens Seite 43<br />

Fundsache<br />

von Ulrich Land Seite 46<br />

Neue Kunstbücher<br />

Alte Meister<br />

vorgestellt von Thomas Hirsch Seite 48<br />

Zwischen den Fronten<br />

Die Kriegstagebücher Gerhard Nebels,<br />

wiederentdeckt von Michael Zeller<br />

von Johannes Vesper Seite 50<br />

Kulturnotizen<br />

vom Frank Becker und<br />

Andreas Rehnolt<br />

Seite 52<br />

5


6<br />

Als hätten Sie einen Sommertag im Arm<br />

Von der Heydt-Museum Wuppertal<br />

Sisley kommt!<br />

Im September öffnet die große Wuppertaler<br />

Sisley-Ausstellung ihr Pforten<br />

Man merkt Dr. Gerhard Finckh neben<br />

der hellen Begeisterung des Kunstfreundes<br />

die große persönliche Freude an,<br />

wenn er von der kommenden Impressionisten-Ausstellung<br />

berichtet, mit der er<br />

die Erfolgslinie Barbizon – Renoir – Monet<br />

– Bonnard fortschreibt. Der Direktor<br />

des Städtischen Wuppertaler Von der<br />

Heydt-Museums holt nämlich für die<br />

erste Einzel-Ausstellung Alfred Sisleys in<br />

Deutschland überhaupt weltweit Werke<br />

des wohl zartesten, feinsten, „impressionistischsten“<br />

Malers des französischen<br />

Impressionismus in sein Haus, das sich<br />

durch sein Engagement längst einen Ruf<br />

als Tempel dieser Epoche gesichert hat.<br />

Als Franzose darf Sisley (1839-1899)<br />

durchaus gelten, wenn er auch aus einem<br />

englischen Elternhaus stammte und<br />

seine erste Erziehung in London bekommen<br />

hat, wo er schon als junger Mann<br />

Interesse für englische Vorläufer der<br />

Kunstrichtung zeigte, als deren Vertreter<br />

er posthum Weltruhm erlangen sollte.<br />

Richard Parkes Bonnington, William<br />

Turner und John Constable waren damit<br />

quasi seine künstlerischen Taufpaten,<br />

denen alsbald in Frankreich sein Lehrer<br />

Charles Gleyere folgte, bei dem er von<br />

1860 bis 1863 studierte. Aus dieser<br />

Zeit rührt auch Sisleys Freundschaft zu<br />

Auguste Renoir und Claude Monet her,<br />

die wie er zu den Begründern der Schule<br />

wurden, die auch Camille Pissarro, Edgar<br />

Degas und Edouard Manet unter dem<br />

1874 durchaus zunächst von der Kunstkritik<br />

nicht positiv gemeinten Dach des<br />

„Impressionismus“ vereinte. Als legitime<br />

Erben der Schule von Barbizon führten<br />

diese Maler ihren wundervoll lebensnahen,<br />

Licht und Leichtigkeit atmenden<br />

Stil zu der Blüte, die dessen Bilder heute<br />

zu den begehrtesten Objekten auf dem<br />

Kunstmarkt macht.<br />

Kanal – Le canal du Loing, 1884<br />

Von der Heydt-Museum Wuppertal


8<br />

Les Champs, 1874 Leeds, City Art Galleries Copyright Foto: Leeds Museums and Galleries (City ArtGallery) U.K./Bridgeman Berlin<br />

Die Leihgaben u.a. aus Paris, New York,<br />

Toronto, Wien, London, München,<br />

Köln, Madrid, Zürich, Hamburg, Lille<br />

und Denver werden in „10-11 Kapiteln“<br />

nach Lebensabschnitten gehängt, vom 13.<br />

September 2011 bis zum 29. Januar 2012<br />

also in Wuppertal Alfred Sisleys Werden<br />

und Wirken zeigen. Die Vorarbeiten<br />

begannen bereits 2009 – erste Bilder der<br />

Leihgeber werden etwa drei Wochen vor<br />

Ausstellungsbeginn erwartet. Immerhin<br />

bisher 80 Bilder des 884 Gemälde umfassenden<br />

Œuvres Sisleys konnte Dr. Finckh<br />

bis heute zusammentragen, wobei unter<br />

diesen zehn Prozent des Gesamtwerks<br />

sicher einige der Kernstücke vertreten sein<br />

werden. Man kann in Wuppertal dabei<br />

auch auf eigene Bestände zurückgreifen,<br />

denn das Bild „Le canal du Loing“ (1884)<br />

gehört der Städtischen Galerie. Die<br />

Bereitschaft der Museen, sich gegenseitig<br />

mit Leihgaben zu unterstützen, macht<br />

eine solche Ausstellung erst möglich.<br />

Gefragt, was denn andere Häuser sich in<br />

Gegenzug aus Wuppertal erbitten, kann<br />

Gerhard Finckh spontan Paus Cézanne<br />

nennen und Edvard Munchs „Sternennacht“.<br />

Was wird in Wuppertal zu sehen sein?<br />

Natürlich die Flußlandschaften, für die<br />

Alfred Sisley so berühmt war, die Kirche<br />

von Moret-sur Loing, die er in vielen Variationen<br />

gemalt hat, ländliche Szenen aus<br />

der Umgebung von Paris und Lille, seine<br />

dokumentarische Serie „Überschwemmung<br />

in Pont-Marly“ aber auch Motive<br />

aus England, die er während späterer<br />

Aufenthalte gemalt hat. Gerhard Finckh<br />

umreißt Sisleys Œuvre mit einer treffen-<br />

den Bemerkung: „Zauberhaft, duftig,<br />

bewegt – als hätten Sie einen Sommertag<br />

im Arm.“<br />

Möglich gemacht wurde auch diese<br />

Ausstellung, wie schon andere zuvor,<br />

von der Jäckstädt Stiftung. Nun wird die<br />

Werbetrommel gerührt – mit guten Ideen<br />

und einer Kompanie von 100 Pappkameraden,<br />

besser gesagt: 100 Sisleys in<br />

Lebensgröße, die überall da Reklame für<br />

die Ausstellung machen sollen, wo Organisationen,<br />

Firmen, Geschäftsleuten das<br />

durch das Aufstellen gerne im Interesse<br />

des Museums tun möchten. 30 von den<br />

Herren sind schon vergeben, Anfragen<br />

können an das Von der Heydt-Museum<br />

gerichtet werden.<br />

Was auch schon jetzt ins Auge gefaßt<br />

werden sollte, sind Anmeldungen zu<br />

Führungen durch die Ausstellung. Die


Unsere Kulturförderung<br />

ist gut für die Sinne.<br />

Sparkassen-Finanzgruppe<br />

Kunst und Kultur prägen die gesellschaftliche Entwicklung. Die Sparkassen-Finanzgruppe ist der größte nicht-staatliche Kulturförderer<br />

Deutschlands. Auch die Stadtsparkasse Wuppertal ist ein wichtiger Partner für Kunst und Kultur in unserer Stadt. Das ist gut für<br />

die Kultur und gut für Wuppertal. www.sparkasse-wuppertal.de<br />

Sparkasse. Gut für Wuppertal.<br />

Erfahrungen der früheren Impressionisten-Ausstellungen<br />

haben gelehrt, daß<br />

man gut daran tut, sich rechtzeitig eine<br />

solche kundige Führung zu sichern. Alle<br />

Informationen über Kosten, Öffnungszeiten<br />

und Anreise bekommen Sie in einem<br />

Faltblatt des Museums und im Internet:<br />

Kontakt:<br />

von-der-heydt-museum@stadt.wuppertal.de<br />

Informationen unter:<br />

www.sisley-ausstellung.de und<br />

www.von-der-heydt-museum.de<br />

Telefon: 0202-563-2626<br />

Frank Becker<br />

La rade de Cardiff, (Bateaux dans la<br />

Baie de Cardiff), 1897 Reims, Musée des<br />

Beaux-Arts de Reims Copyright Foto: C.<br />

Devleeschauwer /Musée des Beaux-Arts de<br />

la Ville de Reims<br />

S<br />

9


10<br />

„Die Dummheit.<br />

Teil IV der Heptalogie des<br />

Hieronymus Bosch“.<br />

Schauspiel von<br />

Rafael Spregelburd<br />

Inszenierung: Christian von Treskow<br />

Ausstattung: Kristina Böcher<br />

Musik: Jens-Uwe Beyer<br />

Fotos: Uwe Stratmann<br />

Die Besetzung: Laetitia Hanon,<br />

Emma Toogood, Jane Pockett,<br />

Berta Wilkinson (Sophie Basse)<br />

Veronica Aldgate, Ivy Posgate, Maggie Dorset,<br />

Flo Cohen, Susan Price (Maresa Lühle)<br />

Robert Finnegan, Martin Stacey-Waddy,<br />

Offi cer Zielinsky, Lee Okazu Buckley,<br />

Carlo Bonelli (Lutz Wessel)<br />

Brad Finnegan, Ken Lemon, Offi cer Wilcox,<br />

John Posgate, Mr. Bancroft (Hendrik Vogt)<br />

Richard Troy, Ralph Dorset,<br />

Offi cer Davis, Donnie Crabtree,<br />

Lino Venutti (Holger Kraft)<br />

v. l. n. r. Maresa Lühle, Hendrik Vogt<br />

Geld oder Wahrheit !<br />

Christian von Treskow setzt für „Die<br />

Dummheit“ auf fünf Verwandlungskünstler<br />

und gewinnt.<br />

Maresa Lühle sieht schrecklich aus. Erschöpft<br />

sitzt sie im Rollstuhl, das Gesicht<br />

mit Kunstblut verschmiert, die Perücke<br />

zerzaust. Als Ivy Posgate erleidet sie in der<br />

Wuppertaler Inszenierung der Komödie<br />

„Die Dummheit“ eine Demütigung nach<br />

der anderen. Gelähmt und stumm, ist sie<br />

den Schikanen ihres sadistischen Bruders<br />

John hilfl os ausgeliefert. Von den skrupellosen<br />

Kunsthändlern Troy und Toogood,<br />

die auf der Suche nach ergaunertem Geld<br />

sind, wird sie überfallen und mißhandelt.<br />

Die größte Demütigung steht Ivy freilich<br />

noch bevor. Als einzige könnte sie den<br />

Millionenbetrug der beiden Kunsthändler<br />

ans Licht bringen und dadurch endlich<br />

aus ihrem Schattendasein heraustreten.<br />

Doch die Polizisten, die sie befragen,<br />

können oder wollen ihre Gebärdenspra-<br />

che nicht verstehen. Schlimmer noch,<br />

am Ende machen sie sich lustig über Ivys<br />

verzweifelte Verständigungsversuche.<br />

Was aber macht das Publikum? Es lacht<br />

aus vollem Halse. Erst wenn das Gelächter<br />

verebbt, wird sich mancher Zuschauer<br />

fragen, ob er eher über die dummen<br />

Polizisten oder über das Opfer ihrer<br />

Dummheit lacht. Und vielleicht wird er<br />

sich ertappt fühlen und erkennen, wie<br />

nahe ihm die Figuren des Stücks tatsächlich<br />

stehen.<br />

Im amerikanischen Nirgendwo<br />

Das Geschehen um Ivy Posgate ist nur<br />

einer von mehreren Handlungssträngen,<br />

die in „Die Dummheit“ zunächst parallel<br />

laufen und sich dann – in Anlehnung an<br />

Robert Altmans „Short Cuts“ – virtuos<br />

miteinander verknüpfen. Alle Handlungen<br />

sind in den tristen Vorstädten von<br />

Las Vegas mit ihren anonymen Highway


motels situiert. Dieser Gesichtslosigkeit<br />

entspricht das einheitlich weiße Hotelzimmer<br />

mit kleinem Bad und Minibar,<br />

das Bühnenbildnerin Kristina Böcher auf<br />

die Bühne des Kleinen Schauspielhauses<br />

stellt. Eine ideale Projektionsfl äche im<br />

doppelten Sinn, denn einerseits wechselt<br />

die Handlung tatsächlich nur von einem<br />

Motel zum nächsten und andererseits<br />

lassen sich auf den kleinen weißen Raum<br />

weite Wüstenlandschaften projizieren –<br />

zum Schluß des Stücks sogar ein Abspann<br />

in Schwarz-Weiß als Hommage an den<br />

Hollywoodfi lm.<br />

Der Tanz ums Goldene Kalb<br />

Natürlich ist die räumliche Nähe zum<br />

amerikanischen Mekka der Glücksspieler<br />

vom Autor Spregelburd bewußt gewählt.<br />

Sein Stück illustriert auf ebenso anschauliche<br />

wie komische Weise das Sprichwort<br />

“Money talks, truth only whispers!”.<br />

v. l. n. r. Holger Kraft, Lutz Wessel, Maresa Lühle, Sophie Basse<br />

Mit Ausnahme von Ivy, die durch ihre<br />

zweifache Behinderung außen vor bleibt,<br />

sind alle Figuren eifrig darum bemüht,<br />

entweder an Geld zu kommen oder es<br />

zu behalten. Da sind die drei korrupten<br />

Polizisten, die unterschlagenes Geld<br />

geradezu zwanghaft ausgeben müssen.<br />

Da ist die skurrile Spielergemeinschaft,<br />

die beim Roulette statt dem großen Geld<br />

jeden Abend nur 151 Dollar gewinnt.<br />

Den Kunsthändlern Troy und Toogood<br />

geht es ganz so wie ihren Kunden nicht<br />

um Kunst, sondern um das Kapital,<br />

das man daraus schlagen kann. Ihr fast<br />

vollständig verblichenes Gemälde, das sie<br />

als „neo-modernes“ Meisterwerk ausgeben,<br />

erinnert an das monochrome Bild in<br />

Yasmina Rezas „Kunst“.<br />

Selbst der idealistische Wissenschaftler<br />

Robert Finnegan kann sich dem hektischen<br />

Tanz um das Goldene Kalb nicht<br />

entziehen, obwohl er deutlich vor Augen<br />

hat, wohin die große Gier führt: „Wir<br />

leben in Zeiten enormer Dummheit!“<br />

So will er denn auch ursprünglich seine<br />

Lösung der berühmten Lorenz’schen Gleichung<br />

um keinen Preis veröffentlichen,<br />

weil er die Welt noch nicht reif dafür hält.<br />

Doch die prekäre Lage seines Sohnes, der<br />

ebenso gefährlichen wie falschen Mafi osi<br />

Geld schuldet, zwingt ihn zum Umdenken.<br />

Als er seine Erkenntnisse schließlich<br />

in die Öffentlichkeit bringt, ist diesen ein<br />

ähnliches Schicksal beschieden wie Ivys<br />

Wahrheiten. Denn das Geld hat das große<br />

Wort …<br />

Verwandlungskünstler<br />

Rafael Spregelburd hat seinen Bilderbogen<br />

nach Hieronymus Bosch mit einem<br />

wunderbar bunten Figurenensemble<br />

bevölkert. Christian von Treskow vertraut<br />

die zwei dutzend Rollen zwei Schauspielerinnen<br />

und drei Schauspielern an. Das<br />

Ergebnis ist großartig. Dank der Professi-<br />

11


12<br />

onalität von Maresa Lühle, Sophie Basse,<br />

Lutz Wessel, Holger Kraft, Hendrik Vogt<br />

gelingt noch der schnellste Kostüm- und<br />

Rollenwechsel. Selbst wenn gegen Ende<br />

der fast dreistündigen Inszenierung die<br />

eine oder andere Perücke schief sitzt oder<br />

ein Schnurrbart halb von der Oberlippe<br />

absteht, stört dies kein bißchen die<br />

Illusion, es hier mit weit mehr als fünf<br />

Spielern zu tun zu haben. Neben Maresa<br />

Lühle glänzt besonders Lutz Wessel<br />

Sophie Basse, Holger Kraft, Lutz Wessel<br />

durch seine Darstellung des japanischen<br />

Geschäftmanns Lee Okazu Buckley, die<br />

das Romanklischee des geheimnisvollen<br />

Asiaten auf die groteske Spitze treibt.<br />

Mit „Die Dummheit“ hat Regisseur von<br />

Treskow nach „Eine Billion Dollar“ und<br />

„Der Kirschgarten“ dem großen Thema<br />

„Geld“ eine weitere gelungene Inszenierung<br />

gewidmet. Gelungen auch deshalb,<br />

weil das Stück Wahrheiten ausspricht, die<br />

bei Diskussionen ökonomischer Natur<br />

keinen Platz haben – auch auf das Risiko<br />

hin, daß dem Zuschauer mitunter das<br />

Lachen im Halse stecken bleibt.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.wuppertaler-buehnen.de<br />

Daniel Diekhans<br />

Fotos: Uwe Stratmann


Die Zeichnungssammlung<br />

Bernd und Verena Klüser<br />

15. März – 19. Juni 2011<br />

„Zeichnung ist Kammermusik und keine<br />

große Oper.“<br />

(Bernd Klüser)<br />

Taddeo Zuccaro (1529-66), Satyr<br />

Feder, laviert, 25,9 x 20,1 cm<br />

Sammlung Bernd und Verena Klüser,<br />

Salvator Rosa (1615-73), Studie eines<br />

jungen Mannes, Feder und Kreide, laviert<br />

14,5 x 9,2 cm, Zeichnungssammlung<br />

Bernd und Verena Klüser, München<br />

Zettels Traum<br />

Das Hauchartige wahrnehmen<br />

Das „Hauchartige wahrzunehmen als<br />

ästhetisches Konzept“ empfahl Joseph<br />

Beuys dem Betrachter von Arbeiten seines<br />

Schülers Blinky Palermo. Unschwer läßt<br />

sich diese Idee auch auf die Kunst der<br />

Zeichnung früherer Jahrhunderte beziehen:<br />

Anrührend feine Federzeichnungen<br />

italienischer Künstler des 16. Jahrhunderts<br />

wie Giovanni Francesco Barbieri,<br />

Stefano della Bella oder Fra Bartollomeo<br />

bilden den chronologischen Auftakt<br />

zu der überaus reichen Sammlung von<br />

Zeichnungen aus fünf Jahrhunderten,<br />

die Bernd und Verena Klüser über vierzig<br />

Jahre hinweg zusammen getragen haben.<br />

Ihre ersten Blätter von Joseph Beuys erwarben<br />

die Klüsers bereits Ende der 60er<br />

Jahre – mittlerweile ist alleine ihr Bestand<br />

an Beuys-Arbeiten auf 130 angewachsen.<br />

Unter dem Titel „Zettels Traum“ stellt<br />

das Von der Heydt-Museum die Sammlung<br />

des aus Wuppertal stammenden<br />

Galeristenpaars Bernd und Verena Klüser<br />

erstmalig der Öffentlichkeit in diesem<br />

Umfang vor. Die Parallele zu Arno<br />

Schmidts hochkomplexem Meisterwerk<br />

„Zettels Traum“ liegt auf der Hand: Wie<br />

dem Schriftsteller, so genügt oft auch<br />

dem bildenden Künstler ein einfacher<br />

Papiergrund und ein Stift oder eine Feder,<br />

um spontan und unmittelbar Ideen und<br />

Notate festzuhalten. Und im Verlaufe der<br />

fünf Jahrhunderte, in der sich die Sammlung<br />

Klüser bewegt, sind die technischen<br />

Mittel erstaunlich gleich geblieben.<br />

Ein Bogen von 500 Jahren<br />

Ein Schädel, von unbekannter italienischer<br />

Hand im 17. Jahrhundert mit Rötel<br />

skizziert, zauberhafte Landschafts- und<br />

Naturdarstellungen und Reminiszenzen<br />

an die Antike eröffnen den Reigen der<br />

ausgestellten Arbeiten. Anthonys van<br />

Dyck und Rembrandt van Rijn gehören<br />

zu den Meistern, die hier vertreten sind,<br />

ebenso wie Jean-Honoré Fragonard, Johann-Heinrich<br />

Füssli, Jean-Auguste-Dominique<br />

Ingres oder Wilhelm Leibl. Zu<br />

den jüngeren zeitgenössischen Künstlern<br />

der genau 220 Werke, die in Wuppertal<br />

bis zum 19. Juni zu sehen und nur ein<br />

Auszug aus der umfangreichen Sammlung<br />

sind, gehören Sean Scully, Jan Fabre und<br />

David Godbold. Die Berliner Künstlerin<br />

Jorinde Voigt, der innerhalb der Ausstellung<br />

ein eigener Raum gewidmet ist und<br />

deren Werk von Julia Klüser betreut wird,<br />

ist mit ihren zarten, federleicht wirkenden<br />

graphischen Großformaten sicherlich eine<br />

der spannendsten Neuentdeckungen.<br />

Hier begegnen sich in fesselnder Phantasie<br />

Musik, Poesie und Zeichenfeder.<br />

Mit umfangreicheren Werkkomplexen<br />

sind neben Beuys und Palermo so unterschiedliche<br />

Künstler wie Andy Warhol<br />

(Lenin) oder Alberto Giacometti in der<br />

Sammlung vertreten. Zur Kunst der<br />

klassischen Moderne zählen des weiteren<br />

Henri Matisse, Francis Picabia, Ernst<br />

Ludwig Kirchner, Julio Gonzales (Junges<br />

Mädchen, lesend) oder Giorgio Morandi,<br />

von denen ebenfalls Blätter von ausgesuchter<br />

Qualität zu sehen sind. Weitere<br />

Höhepunkte der Zeichnungskunst<br />

stammen von den Malern der italienischen<br />

Transavanguardia, Enzo Cucchi<br />

und Mimmo Paladino. Ein Blatt von Max<br />

Beckmann zeigt mit dem „Frauenraub“<br />

eine kraftvolle Studie, Ernst Wilhelm<br />

Nays Aquarell 1964 erinnert zart an Emil<br />

Nolde, während Nay Otto Freundlichs<br />

„Komposition“ (1938) wie einen Impuls<br />

empfunden haben könnte.<br />

Schwerpunkt 20. Jahrhundert<br />

„Munch … war der Auslöser meines<br />

Interesses an der Moderne. Vor 50 Jahren<br />

schrieb ich über ihn die ersten unbeholfenen<br />

Zeilen im Kunstkontext – in<br />

der Schülerzeitung meines Wuppertaler<br />

Gymnasiums“, erzählt Bernd Klüser im<br />

Interview des zweibändigen Katalogs.<br />

Munchs lithographiertes Selbstportrait<br />

aus dem Jahr 1895 (sein erstes) zeigt<br />

in reifer Klarheit den nachdenklichen,<br />

in sich gekehrten Blick des expressionistischen<br />

Künstlers, dessen zwei Jahre<br />

zuvor gemalter „Schrei“ ein Manifest des<br />

Expressionismus ist.<br />

Jannis Kounellis (4 – o.T.), Tony Cragg<br />

oder Olaf Metzel sind nur einige weitere<br />

Künstler, die in den folgenden Jahren<br />

als brillante Zeichner und Grafi ker die<br />

Aufmerksamkeit des Sammlerpaares auf<br />

sich zogen. Aber auch Außenseiter wie der<br />

taubstumme amerikanische Autodidakt<br />

James Castle oder bekannte Größen wie<br />

13


14<br />

Sean Scully, Ohne Titel, 4.28.97, Aquarell auf Bütten, 76 x 57,2 cm, © Sean Scully Zeichnungssammlung Bernd und Verena Klüser, München


Victor Hugo, Louise-Adolphe Soutter<br />

oder John Cage, deren grafi sche Arbeiten<br />

noch zu entdecken sind, entgingen dem<br />

Kennerblick nicht.<br />

Der Schwerpunkt der Sammlung liegt auf<br />

der Kunst des 20. Jahrhunderts. Es ist die<br />

selbst gestellte Herausforderung, Neues<br />

kennen zu lernen und zu vertiefen, die<br />

Bernd und Verena Klüser - als Galeristen<br />

ausgewiesene Spezialisten im Bereich der<br />

modernen Kunst – weiter dazu veranlaßten,<br />

für die eigene Sammlung auch alte<br />

Kunst zu erwerben. Ihnen geht es um die<br />

Zeichnung als Medium, nicht um die<br />

historische Einordnung. Der Bezug zu<br />

heutigen modernen Ansätzen leitet den<br />

Blick auf die vorangegangenen Jahrhunderte<br />

und sucht nach Parallelen, wie an<br />

einem prominenten Beispiel deutlich<br />

wird: etwa der nervös suchenden Linie,<br />

die sich bei Palma Il Giovane genauso wie<br />

im graphischen Oeuvre Alberto Giacomettis<br />

nachverfolgen läßt.<br />

Die Zeichnung als autonomes Kunstwerk<br />

Auch die Themen verbinden historische<br />

und aktuelle Kunst, wobei es sich<br />

eher um philosophische und poetische<br />

Sentenzen handelt, als um das repräsentative<br />

Motiv oder die große Erzählung.<br />

Die Sammlungstätigkeit orientiert sich<br />

folglich nicht an Bildmotiven; relevant<br />

ist einzig die individuelle, künstlerische<br />

Umsetzung einer Bildidee in das Medium<br />

der Zeichnung.<br />

Eine grundlegende Eigenschaft der Zeichnung<br />

über die Jahrhunderte hinweg, die<br />

in dieser Sammlungsausstellung deutlich<br />

wird, ist, daß Künstler hier oftmals<br />

experimentelle Gestaltungsansätze wagen,<br />

die der Malerei oder Skulptur den Weg<br />

zu neuen Methoden weisen. Die „intime<br />

Nähe zum Arbeitsprozeß“ wird zwar erst<br />

in der aktuellen Kunst zum Programm,<br />

das Ringen um Idealform und persönlichem<br />

Stil wird jedoch bei Künstlern aller<br />

Jahrhunderte gerade in der Zeichnung<br />

offenbar. Deshalb ist das Faszinierende<br />

so vieler älterer Zeichnungen, daß sie,<br />

wie Bernd Klüser sagt, bereits vor dem<br />

Beginn der eigentlichen Moderne im 19.<br />

Jahrhundert erstaunlich modern sind.<br />

Die Zeichnung wird in dieser Sammlung<br />

als autonomes Kunstwerk begriffen,<br />

nicht als Beiwerk, etwa als Vorstufe zum<br />

elaborierten Gemälde. Sie ist eine intime,<br />

private, eine sehr persönliche Zwiesprache<br />

des Künstlers mit sich selbst, mit<br />

seiner Beobachtungsgabe, mit seinen<br />

künstlerischen Möglichkeiten und seinem<br />

technischen Können, mit seinen Ideen<br />

und Zielen, und mit einem eher zufällig<br />

in diesen Prozeß eintretenden Betrachter.<br />

„Eine Zeichnungsausstellung ist keine<br />

große Oper, sondern eher ein Kammerkonzert“,<br />

folgert Bernd Klüser. Weder<br />

spektakulär noch populistisch, lädt die<br />

Zeichnung zum ästhetischen Kunstgenuß,<br />

zum Nachdenken, zum kritischen<br />

Vergleichen und Erkenntnisgewinn ein.<br />

Opulentes Katalogwerk<br />

Zur Ausstellung erscheint im Verlag des<br />

Museums ein opulenter, zwei Bände<br />

umfassender Katalog, herausgegeben von<br />

Bernd Klüser, mit insgesamt 642 Seiten<br />

und zahlreichen Abbildungen, einem<br />

Interview mit dem Herausgeber, einem<br />

Einführungstext von Michael Semff, Leiter<br />

der Staatlichen Graphischen Sammlung<br />

München und ausführlichen Werktexten<br />

von Christian Quaeitzsch. Provenienzen<br />

und Indexe erschließen die Bände<br />

mustergültig. Der Preis von nur 50,- ist<br />

angesichts der hohen Qualität und des<br />

Umfanges der in Ganzleinen gebundenen<br />

und mit Schutzumschlägen versehenen<br />

beiden Katalogbände gering.<br />

Ein zusätzlicher großformatiger Einzelband<br />

im Softcover zum Werk Jorinde<br />

Voigts gibt hervorragend Einblick in deren<br />

humorvolle Arbeits- und Gedankenwelt,<br />

die spontan an den Federstrich Paul Floras<br />

erinnert. Der Band von 144 Seiten ist im<br />

Verlag Hatje Cantz erschienen und kostet<br />

25,– Euro.<br />

Dr. Beate Eickhoff<br />

und Frank Becker<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.von-der-heydt-museum.de und<br />

www.hatjecantz.de<br />

Anton van Dyck (1599-1641), Diana und Acteon, circa 1618/20, Feder und Kreide, laviert, 9,5 x 22,3 cm, Sammlung Bernd und Verena Klüser<br />

15


16<br />

Begegnungen in der Hochschule<br />

für Musik und Tanz Köln /<br />

Standort Wuppertal<br />

„Günter Wand-Haus“<br />

Variation IV:<br />

Musikalische Außenseiter<br />

Es geht um die unausgesprochenen<br />

Manchen Musikinstrumenten gegenüber<br />

haben manche Menschen Vorurteile<br />

– dazu gehörte auch ich. Bei Gitarre,<br />

Mandoline und Akkordeon assoziierte<br />

ich Folklore und war eher skeptisch. Bei<br />

der Gitarre noch am wenigsten, da mir<br />

bekannt war, dass sie eine lange Tradition<br />

als Soloinstrument in der Konzertmusik<br />

besitzt und auch im Flamenco<br />

eine bedeutende Rolle spielt. Unnötig<br />

zu sagen, dass meine Vorurteile durch<br />

den Besuch so mancher Konzerte in der<br />

Musikhochschule verschwunden sind.<br />

Erst recht eines Besseren belehrt wurde<br />

ich durch Gespräche und Hospitationen<br />

im Unterricht.<br />

Professor Gerhard Reichenbach spielt ausschließlich<br />

Konzertgitarre. Ihn faszinieren<br />

der Obertonreichtum und der individuelle<br />

Klang dieses Instrumentes. E-Gitarre<br />

lehrt er nicht. „Bei der klassischen Gitarre<br />

ist der Spieler mit seiner Seele und mit<br />

seinem Körper dem Instrument so nah<br />

wie sonst nur Sänger und Harfi nisten,<br />

denn beide Hände berühren unmittelbar


Dinge, die nie geschrieben stehen<br />

das schwingende Medium. Daher entsteht<br />

ein sehr persönlicher Ton.“<br />

Reichenbachs Vater war Amateurmusiker.<br />

Jeden Abend, wenn er von der Arbeit<br />

kam, hat er seine Gitarre zur Hand genommen<br />

und gesungen und gespielt. Dabei<br />

wirkte er so entspannt, dass der Sohn<br />

es dem Vater nachtat. Schnell erkannten<br />

die Eltern das Talent des Kindes, und bereits<br />

nach vier Jahren Musikschule durfte<br />

der junge Reichenbach sein Studium an<br />

der hiesigen Musikhochschule fortsetzen.<br />

Bei Professor Kreidler wusste er, dass er<br />

„exellent unterrichtet und motiviert wurde,<br />

denn der Dozent hat es verstanden,<br />

die Lust am Instrument zu wecken.“ Alle<br />

bisherigen Hochschulleiter, die Reichenbach<br />

kennen gelernt hat – Ingo Schmidt,<br />

Karlheinz Zarius, Dieter Kreidler und<br />

Lutz-Werner Hesse sind in seinen Augen<br />

Persönlichkeiten mit Visionen, die alle<br />

kraft einer Fülle von kulturellem Wissen<br />

und Erfahrung der Phase ihrer jeweiligen<br />

Tätigkeit ihren persönlichen Stempel<br />

aufzudrücken wussten und vor allem stets<br />

offen waren und sind.<br />

So arbeiten auch alle Dozenten für Gitarre<br />

wie in einer großen Familie miteinander<br />

im gegenseitigen Austausch. Die Studenten<br />

dürfen überall hospitieren, Bewertungskriterien<br />

liegen offen, und man macht<br />

gemeinsam Pläne.<br />

Reichenbach ist seit 16 Jahren Hochschullehrer<br />

und gehört darüber hinaus zu den<br />

international erfolgreichsten Konzertgitarristen<br />

mit zahlreichen Einladungen<br />

zu Gitarrenfestivals an großen Konzerthäusern.<br />

Bei Schnupperkursen und bei Anmeldungen<br />

zur Aufnahmeprüfung ist die<br />

Gitarre das weitaus beliebteste Instrument,<br />

und Studierende aus Wuppertal sind bei<br />

Wettbewerben häufi g unter den Preisträgern<br />

zu fi nden.<br />

Die Gitarre ist äußerst vielseitig, man kann<br />

ebenso melodisch wie akkordisch spielen,<br />

und als Begleitinstrument ist sie recht<br />

einfach zu lernen. Man kann sie schlagen<br />

oder zupfen und homophon und polyphon<br />

spielen. Sie hat ihren Platz ebenso in<br />

der Folklore wie in der Kunstmusik. Die<br />

Melodiegestaltung ist allerdings technisch<br />

äußerst anspruchsvoll und subtil. Das Publikum<br />

muss sich jeweils in den sehr persönlichen<br />

Ausdruck des Interpreten einhören,<br />

„denn jeder gezupfte Ton verzaubert, weil<br />

er seinen eigenen Mikrokosmos hat.“<br />

Deshalb bleiben Konzerte für die akustische<br />

Gitarre den Kennern und Liebhabern<br />

vorbehalten.<br />

Um den optimalen Klang zu erwirken,<br />

braucht der Spieler eine bestimmte Körperhaltung<br />

und eine Körperspannung, die<br />

besonders für ein Kind schwer durchzuhalten<br />

ist und in der Ausbildung zu Krisen<br />

führen kann. Zum Beispiel ändert sich die<br />

Körperhaltung, je nachdem ob die Saite<br />

von Innen oder von Außen gezupft wird.<br />

Bei Flamencospielern kann man beobachten,<br />

dass sie entsprechend den klanglichen<br />

Erfordernissen alle möglichen Körperbewegungen<br />

vollführen, deshalb ist Flamenco<br />

ein guter Ausgleich. Allerdings - „um ihn<br />

richtig zu spielen, muss man ihn mit der<br />

Muttermilch eingesogen haben.“<br />

Wie werden die Absolventen der Hochschule<br />

ihr Hauptfachinstrument berufl ich<br />

nutzen können? Überall gibt es Konzertreihen<br />

für klassische Gitarre, sie ist das meist<br />

gefragte Instrument im Privatunterricht, an<br />

Musikschulen und an Musikhochschulen,<br />

nicht nur an der hiesigen. Auch bei Festivals<br />

und bei Wettbewerben sind Gitarristen<br />

17


18<br />

beliebt. In Wuppertal gibt es sogar einen<br />

Lehrauftrag für Gitarrenkorrepetition:<br />

Rupert Gehrmann begleitet die Mandolinenspieler<br />

auf der Gitarre, je nach Bedarf ist<br />

die Gitarre dann Akkord- oder Melodieinstrument.<br />

Wahrscheinlich ist die Gitarre im 13. Jahrhundert<br />

aus dem Orient über Spanien nach<br />

Europa gelangt. Im 18. Jahrhundert wurde<br />

sie ein beliebtes höfi sches Instrument, bis<br />

sie gegen Ende des 18. Jahrhunderts zunehmend<br />

von der Jugendbewegung vereinnahmt<br />

wurde. Im Jazz verdrängte sie das Banjo,<br />

und in der Rock- und Popmusik wird sie<br />

elektronisch verstärkt, aber das ist eine andere<br />

Welt.<br />

Die Mandoline kommt aus Italien und ist<br />

wie die Gitarre ein Saiten- und Zupfi nstrument.<br />

In der klassischen europäischen<br />

Musik erklingt sie hauptsächlich als<br />

Melodieinstrument; ihre Hochblüte erlebte<br />

sie im 17./18. Jahrhundert in Paris,<br />

als zahlreiche Mandolinisten aus Italien<br />

dorthin ausgewandert sind. Die Literatur<br />

für Mandoline ist weniger zahlreich<br />

als die für Gitarre, aber sie erfreut sich<br />

zunehmender Beliebtheit in der Neuen<br />

Musik. Schon Gustav Mahler hat das<br />

leuchtend hell klingende Instrument in<br />

seiner 8. Sinfonie eingesetzt, aber auch<br />

Respighi, Schönberg, Webern und Henze<br />

und viele andere verwendeten es in ihren<br />

sinfonischen Werken.<br />

Frau Professor Lichtenberg hat mindestens<br />

europaweit die einzige Professur<br />

für Mandoline inne. Sie probt für ein<br />

Konzert ein Stück von Alessandro Rolla,<br />

einem Komponisten der Wiener Klassik,<br />

mit einem Quartett aus Querfl öte, zwei<br />

Mandolinen und Gitarre. Die Studierenden<br />

haben das Stück bereits vorbereitet,<br />

und nun geht es um die musikalische<br />

Gestaltung: „Wir müssen den Reiz herauskitzeln.“<br />

Die Dozentin bittet um „ein<br />

wenig mehr Schmelz, ein bisschen Wiener<br />

Schmäh, schließlich liegt Österreich<br />

zwischen Deutschland und Italien.“ Jeder<br />

Spieler soll die Stimme der anderen so gut<br />

kennen, dass man bewusst miteinander<br />

kommunizieren kann und sich die Leichtigkeit<br />

der Musik im gegenseitigen Zulächeln<br />

spiegelt. „Alles muss genießerisch<br />

vorgetragen werden, mit Charme! Die<br />

Gitarre mit der scheinbar langweiligsten<br />

Stimme hat die größte Herausforderung.<br />

Sie muss sich an entsprechenden Stellen<br />

hervortun, sich wichtig machen und so<br />

zelebriert werden, dass sie die Mitspieler<br />

wie auf einem Tablett tragen kann. Alles<br />

soll galant klingen, nicht preußisch.“ So<br />

anschaulich teilt sich die Dozentin mit.<br />

Immer wieder zieht sie Parallelen zur<br />

Sprache. Dazu gibt es Tricks für die Tongestaltung:<br />

Bereits die Art des Fingeraufsatzes<br />

auf die Saite kann dem Ton eine bestimmte<br />

Farbe geben: „Der Ton muss noch<br />

einen Bauch kriegen nach dem Anschlag.“<br />

Wichtig sind die Phrasierungen. Damit<br />

die einzelnen Teile des Stückes ineinander<br />

übergehen, müssen Übergänge musikalisch<br />

„abgefangen“ werden. Wiederholungen<br />

dürfen niemals gleich gespielt werden,<br />

„sonst klingt es so langweilig wie bei der<br />

Telefonansage.“<br />

Frau Lichtenberg hat bereits mit 6 Jahren<br />

mit dem Mandolinenspiel begonnen und<br />

damals als Kind in Magdeburg in einem<br />

Mandolinenorchester mitgewirkt. Ihr


ist es sehr wichtig, dass ihre Studenten<br />

beizeiten mehrere Standbeine fi nden. Sie<br />

sollen möglichst konzertieren, an Musikschulen<br />

arbeiten, unterrichten und<br />

Lehrgänge abhalten, um frühzeitig ihre<br />

berufl ichen Möglichkeiten zu fi nden.<br />

Ihre Klasse ist international – neben den<br />

deutschen Studenten kommen auch einige<br />

aus Osteuropa, Kolumbien oder Asien,<br />

sie selbst konzertiert in der ganzen Welt.<br />

Inzwischen interessieren sich immer mehr<br />

Komponisten für die Reize dieses kleinen<br />

Instrumentes. Sogar Lutz-Werner Hesse,<br />

Geschäftsführender Direktor der Hochschule,<br />

hat Werke für Mandoline Solo und<br />

für Mandolinenorchester geschrieben.<br />

Auch das Akkordeon ist ein Instrument, das<br />

bei zeitgenössischen Komponisten zunehmend<br />

an Beliebtheit gewinnt.<br />

Beim Akkordeon wird der Ton durch eine<br />

Metallzunge erzeugt, die mittels eines luftgefüllten<br />

Balges in Schwingung versetzt wird.<br />

Akkordeon heißt es, weil die linke Hand<br />

durch Drücken von Knöpfen feststehende<br />

Akkorde spielen kann. Die Anfänge dieses<br />

Instrumentes liegen fast 3000 Jahre zurück<br />

in Ostasien; in China war es als Mundorgel<br />

bekannt. Um 1821 verwendete Friedrich<br />

Buschmann Metallzungen auf Holzbrettchen<br />

zum einfacheren Stimmen von Orgeln.<br />

Von ihm stammt die Idee, mehrere solcher<br />

Zungen auf einem Klangholz so anzuordnen,<br />

dass man sie mit dem Mund anblasen und in<br />

Schwingung versetzen konnte, daraus wurde<br />

dann die Mundharmonika. Bis zur hochkomplizierten<br />

Konstruktion des modernen Akkordeons<br />

sollten noch hundert Jahre vergehen.<br />

Helmut Quakernack, Lehrbeauftragter für<br />

Akkordeon an der Musikhochschule, erzählt<br />

von der Entwicklung des Instrumentes.<br />

Das Schifferklavier galt als Instrument des<br />

kleinen Mannes, es gab weder Literatur noch<br />

Ästhetik, der Spieler war in der Regel Autodidakt.<br />

Das änderte sich nach dem Zweiten<br />

Weltkrieg, als durch technische Neuerungen<br />

polyphones Spiel möglich wurde. Vorher<br />

konnte man lediglich mit der rechten Hand<br />

auf der Tastatur Melodien spielen und mit<br />

der linken Akkorde. „Erst als die technische<br />

Entwicklung es ermöglichte, dass auch die<br />

linke Hand Melodien spielen konnte, weckte<br />

das Instrument allmählich das Interesse<br />

der Komponisten. Inzwischen haben unter<br />

anderen bedeutenden Komponisten der<br />

Neuen Musik wie Luciano Berio, Mauricio<br />

Kagel und Sofi a Gubaidulina eine Reihe von<br />

anspruchsvollen Stücken für das Akkordeon<br />

geschrieben. Auch Werke des Bandoneon-<br />

Interpreten und Komponisten Astor<br />

Piazolla werden gern von Akkordeonisten<br />

in Konzertprogramme aufgenommen.“ Das<br />

„Bajan“ ist eine weitere Form des Akkordeons.<br />

Es hat einen ebenso großen Tonumfang<br />

wie das Klavier und besitzt für beide Hände<br />

ausschließlich Knöpfe. Der Klang ist etwas<br />

wärmer und voller als der des Akkordeons.<br />

Der Spieler muss beide Varianten beherrschen.<br />

In Wuppertal kann man im Haupt- und<br />

Nebenfach Akkordeon studieren.<br />

In der Unterrichtsstunde wird intensiv an<br />

einem schwierigen Stück des Japaners Maki<br />

Ishii von 1987 gearbeitet. Es heißt „Tango.<br />

Prism“ und ist zum einen eine Persifl age<br />

auf den Rhythmus des Tango, zum anderen<br />

auf die verschiedenen Emotionen, die<br />

dieser Tanz evozieren kann. Daher besteht<br />

das Stück aus mehreren Teilen. Helmut<br />

Quakernack sieht die Schwierigkeit darin,<br />

es nicht „patchworkartig“ zu spielen,<br />

sondern den großen Zusammenhang<br />

hörbar zu machen. Peter Lohmer, der im<br />

ersten Semester Akkordeon studiert, rät er,<br />

innerlich mitzuatmen und die Abschnitte<br />

ausschwingen zu lassen, indem unmerklich<br />

Lautstärke und Tempo reduziert werden: „Es<br />

geht um die unausgesprochenen Dinge, die<br />

nie geschrieben stehen. Du musst Dir Dein<br />

inneres Dirigat geben. Als Solist ist man sein<br />

eigener Dirigent.“<br />

Eine besondere Schwierigkeit ist der Registerwechsel,<br />

der durch das Drücken von<br />

Knöpfen mit dem Kinn auf der Oberseite<br />

des Instrumentes erfolgt . Auch das muss<br />

mitgeübt werden. Das Akkordeon kann<br />

theoretisch endlos lange Töne halten, doch<br />

irgendwann muss der ausgezogene Balg wieder<br />

zusammengedrückt werden. Auch dieser<br />

Balgwechsel muss mitgeübt werden, denn<br />

er soll möglichst unhörbar erfolgen. Das ist<br />

besonders diffi zil bei den tiefen Tönen, da<br />

die größeren Zungen schwerer ansprechen.<br />

Hört man in das Instrument hinein, wird<br />

schnell deutlich, welche besonderen klanglichen<br />

Möglichkeiten es bietet. „Tango.Prism“<br />

beginnt z.B. mit einem Tangorhythmus, der<br />

fast tonlos, nur durch ruckartiges Bewegen<br />

des Balges erzeugt wird.<br />

Besondere Prüfsteine sind für Quakernack<br />

polyphone Klangwerke der Barockmusik<br />

und der Klassik. „Durch sehr variables und<br />

differenziertes Artikulieren des Tones durch<br />

jeden einzelnen Finger wird versucht, diese<br />

Musik äußerst transparent zu spielen. Im<br />

Gegensatz zum Klavier, dessen Ton sofort<br />

nach dem Anschlag leiser wird und damit<br />

nachfolgenden Tönen Raum zur Entfaltung<br />

lässt, erklingt beim Akkordeon ein Dauerton.<br />

Dies führt besonders bei vielstimmigen<br />

Fugen häufi g zu einem zu dichten<br />

Klangbild.“ Für Helmut Quakernack ist das<br />

Studium von Bachs polyphonen Stücken<br />

ein unbedingtes „Muss“, um sich in der<br />

Spieltechnik weiter zu entwickeln.<br />

Das Akkordeon hat nicht nur unglaublich<br />

vielfältige Klangmöglichkeiten, sondern es<br />

lässt sich problemlos mit zahlreichen anderen<br />

Musikinstrumenten oder mit Gesang<br />

kombinieren. Das war besonders gut bei den<br />

Konzerten zum Ende des Wintersemesters<br />

zu hören. Im Zusammenspiel wird deutlich,<br />

wie der vergleichsweise warme Ton der<br />

Gitarre die silbrig hell klingende Mandoline<br />

kontrastiert. Gerade die zeitgenössischen<br />

Komponisten entlocken allen drei Instrumenten<br />

ungeahnte Klangmöglichkeiten.<br />

So ist der „Rail Road Song“ von Yasuo<br />

Kuwahra eine witzige musikalische Eisenbahnfahrt<br />

zweier duettierender Mandolinen.<br />

Das Akkordeon erscheint geradezu beseelt,<br />

wenn das Atmen des Balges in die Musik<br />

einbezogen wird. Man darf gespannt sein,<br />

wie sich die einstigen Außenseiter in den<br />

verschiedenen Ensembles moderner Musik<br />

behaupten werden.<br />

Marlene Baum<br />

19


20<br />

Georg Köhl<br />

inszeniert in Wuppertal „Arabella“<br />

von Richard Strauss<br />

Musikalische Leitung: Hilary Griffi ths<br />

Inszenierung: Georg Köhl<br />

Bühnenbild: Peter Werner<br />

Kostüme: Claus Stump<br />

Dramaturgie: Ulrike Olbrich<br />

Fotos: Sonja Rothweiler<br />

Die Besetzung: Arabella: Banu Böke<br />

Mandryka: Kay Stiefermann<br />

Zdenka: Dorothea Brandt<br />

Graf Waldner: Michael Tews<br />

Gräfi n Adelaide: Joslyn Rechter<br />

Matteo: Oliver Ringelhahn<br />

Elemer: Boris Leisenheimer<br />

Dominik: Miljan Milović - Lamoral:<br />

Thomas Schobert - Fiaker-Milli: Elena Fink<br />

Kartenaufschlägerin: Marina Edelhagen<br />

Welko: Philipp Werner<br />

Zimmerkellner: Mario Trelles Diaz<br />

Chor der Wuppertaler Bühnen<br />

Sinfonieorchester Wuppertal<br />

Fink, Böke, Chor - Foto: Sonja Rothweiler<br />

Zwei Paare, zwei Schwestern<br />

Für die Oper „Arabella“ von Richard<br />

Strauss steuerte der Dichter Hugo von<br />

Hofmannsthal zum letzten Mal vor seinem<br />

unerwarteten Tod 1929 das Libretto<br />

bei. Die Wuppertaler Bühnen bringen das<br />

Werk nun in der Regie von Georg Köhl<br />

und unter der musikalischen Leitung von<br />

Hilary Griffi ths heraus.<br />

Die Titelheldin ist Tochter des Grafen<br />

Waldner, der das Familienvermögen beim<br />

Glücksspiel durchgebracht hat und jetzt<br />

nach einer guten Partie für sie sucht. Es<br />

fehlt nicht an passenden Kandidaten; aber<br />

die eigensinnige Arabella (raumgreifend:<br />

Banu Böke) ist für einen unbekannten<br />

Fremden entbrannt. Schon ihr Wechselbad<br />

der Gefühle spiegelt sich deutlich<br />

in der Musik: Ihr Gesangspart vor dem<br />

Faschingsball, von dem sie sich ein<br />

Treffen mit dem Geliebten erhofft, drückt<br />

bald Zuversicht aus, bald Zweifel, und<br />

schließlich mischen sich schon die ersten<br />

Walzerklänge hinein.<br />

Wie es der Zufall des Textes will, hat ihr<br />

Vater (Michael Tews als komische Figur)<br />

Arabellas heimliche Liebe, den Grafen<br />

Mandryka, durch einen Irrtum bereits<br />

auf seine Tochter aufmerksam gemacht;<br />

und der wohlhabende Kroate schwärmt<br />

zu Beginn des Balls auch gleich: „Das ist<br />

ein Engel, der vom Himmel niedersteigt“<br />

(Bariton Kay Stiefermann eröffnet kraftvoll<br />

den zweiten Akt). Kaum einander<br />

vorgestellt, folgt schon Arabellas Versprechen:<br />

„Und du wirst mein Gebieter sein<br />

und ich dir untertan“ – trotz der heute<br />

womöglich befremdlich anmutenden<br />

Unterwerfungsrhetorik eine der bekanntesten<br />

Strauss-Arien.<br />

Doch dann drängt der andere Handlungsstrang<br />

in den Vordergrund, der der<br />

Oper den nötigen Konfl iktstoff verleiht:<br />

Arabellas Schwester Zdenka (zart:<br />

Dorothea Brandt) wurde gezwungen, als<br />

Junge herumzulaufen, und hat sich in den<br />

Kopf gesetzt, ihre privilegierte Schwester


mit deren verzweifeltem Verehrer Matteo<br />

(Tenor Oliver Ringelhahn) zusammenzubringen,<br />

den eigentlich Zdenka selbst<br />

liebt. Wenn sie diesem dann den Schlüssel<br />

zu Arabellas Zimmer übergibt, um ihn<br />

dort selbst zu empfangen, übernimmt<br />

ihre ehrliche Sorge für Matteo die Funktion,<br />

für die es sonst in vielen Stücken eine<br />

Intrige gibt: Irritation und (hier vorübergehende)<br />

Trübung des Liebesglücks. Ihr<br />

doppeltes Spiel aus besten Motiven weckt<br />

Mandrykas Eifersucht, der den Schlüssel<br />

mißversteht und Untreue Arabellas vermutet;<br />

es verwirrt aber auch den unglücklichen<br />

Matteo, der nicht verstehen kann,<br />

wieso die Angebetete ihm nur mit Kühle<br />

begegnet – trotz mehrerer verliebter Briefe<br />

(die in Wahrheit von Zdenka stammen).<br />

„Mir graut vor so viel Virtuosität“, läßt<br />

das Libretto ihn ironisch klagen, und die<br />

Partitur macht die Konfusion mit gehetztem<br />

Tempo hörbar. Zwischendurch sorgt<br />

die frivole Fiaker-Milli (Elena Fink) mit<br />

schrillen Intervallen für Bewegung.<br />

Böke, Ringelhahn - Foto: Sonja Rothweiler<br />

Am Ende löst sich alles in (auch musikalische)<br />

Harmonie auf, und Arabella bekennt<br />

durchaus selbstkritisch: „Zdenkerl,<br />

du bist die Bessre von uns zweien: Du<br />

hast das liebevollere Herz.“ Übrigens ist<br />

die Kontrastierung der beiden ungleichen<br />

Schwestern vielleicht sogar interessanter<br />

als die Haupthandlung, und das Duett<br />

Zdenkas und Arabellas im ersten Akt<br />

gehört zu den rührendsten Momenten<br />

des Abends.<br />

Fazit: Starke Charaktere, sichere Stimmen,<br />

sinnfällige Musik – und eine Regie,<br />

die eine eher handlungsarme Geschichte<br />

mit einem Augenzwinkern zum Vergnügen<br />

macht.<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.wuppertaler-buehnen.de<br />

Martin Hagemeyer<br />

Brandt, Ringelhahn -<br />

Foto: Sonja Rothweiler<br />

21


22<br />

Schloss Lüntenbeck stoffl ich erlebt<br />

Textilmarkt Schloss Lüntenbeck<br />

Fotos Jörg Lange<br />

Textil in Wuppertal steht für eine erfolgreiche<br />

Vergangenheit, von der in der Stadt nur<br />

wenige Spuren geblieben sind. Im Verborgenen<br />

aber ist das Thema ganz gegenwärtig.<br />

Zu den herausragenden Traditionsbetrieben<br />

zählt die Bandweberei Kafka, in der Frauke<br />

Kafka der Spagat gelungen ist, historische<br />

Technik und modernes Design zu verbinden.<br />

Die dort entstehenden Bänder sind<br />

schon lange kein Geheimtipp mehr. Vor<br />

einigen Jahren hatte Frau Kafka die schöne<br />

Idee, die Gegenwart textiler Produkte und<br />

Techniken auf einem Markt in Schloss<br />

Lüntenbeck zu zeigen und damit ein sehr lebendiges<br />

Lebenszeichen der nur anscheinend<br />

ausgestorbenen Branche im Tal zu setzen.<br />

Immer wieder Himmelfahrt - nun öffnet<br />

der Textilmarkt Schloss Lüntenbeck schon<br />

zum sechsten Mal seine Pforten. In der<br />

stimmungsvollen Schlossatmosphäre von<br />

Hof und Garten bieten 50 Aussteller ein<br />

vielseitiges Angebot. Die unterschiedlichen<br />

Gestaltungsweisen und stilistischen<br />

Aussagen der angebotenen Kollektionen<br />

zeigen eine Varietät, wie sie selten in einem<br />

solchen Rahmen zu fi nden ist. Die breite<br />

Palette der Anbieter überzeugt durchweg<br />

mit anspruchsvollem Design in qualitativ<br />

hochwertiger und modisch aktueller<br />

Ausführung.<br />

In und um Wuppertal sind auch heute<br />

noch mehr im besten Wortsinne eigenwillige<br />

Kreative tätig, als man vermuten<br />

würde. Frau Niehage, die neue Besitzerin<br />

der Bandweberei Kafka, wirft ihre alten<br />

Jacquard-Webstühle an, um die Eintrittskarten<br />

für den Textilmarkt zu weben. Mit<br />

der Karte hält man ein handwerkliches<br />

Andenken und schon die erste Aufforderung<br />

zu nähen in Händen. Natürlich wird<br />

Kafka auch an ihrem Stand viele „Wuppertaler<br />

Originale“ aus ihrer großen Bänderkollektion<br />

präsentieren. In den Wuppertaler<br />

Westen kommen Aussteller aber auch<br />

aus der ganzen Republik, und die Besucher<br />

halten es ebenso. Kenner wissen schließlich<br />

die qualifi zierte Mischung von Mode und<br />

Material zu schätzen, die einmal im Jahr in<br />

Schloss Lüntenbeck zu sehen ist.<br />

Den an Mode interessierten Damen ist die<br />

Arbeit unseres lokalen Aushängeschilds


Ölberger Taschenmanufaktur (oben) – Biergarten (unten)<br />

23


24<br />

Nicola Tigges sicher schon ein Begriff. Ihre<br />

eleganten Kleider, Oberteile und Mäntel<br />

begeistern durch eine ganz eigene Formensprache.<br />

Echte Gegenstücke sind die<br />

zarten Feenkleider von Isabella’s Art oder die<br />

robusteren, aber dennoch sehr weiblichen<br />

Strickstücke von Sabine Hofi us. Vilma zeigt<br />

legere, naturnahe Mode aus unbehandeltem<br />

Flachsfaden. Junge Schneiderkunst von Monika<br />

Eisele, ragaga couture, COMO YOKi<br />

oder Sisie kommt bunt und frech daher.<br />

Dagegen beeindruckt die eigenwillige Mode<br />

von Bao Bao durch raffi nierte Schlichtheit.<br />

Die Herren geben eher der kernigen,<br />

irischen Country Ware von Out of Ireland<br />

den Vorzug. Oder werden sie doch eher bei<br />

dem afrikanisch inspirierten Label Djahstone<br />

fündig? Die süßen Kleinen bekommen<br />

bei den „liebhabsachen“ von Kalajoki oder<br />

den originellen Shirts und Kleidchen von<br />

Merle Design leuchtende Augen. Für die<br />

ganz kleinen, aber auch die großen Füße<br />

bietet Lederstrumpf eine Auswahl handgefertigter<br />

Hausschuhe aus hochwertigem<br />

handverlesenem Rindsleder.<br />

Ein nach wie vor großes Thema ist das Material<br />

Filz. Beim Textilmarkt Schloss Lüntenbeck<br />

verblüfft die Vielfalt der vorgestellten<br />

professionellen Verarbeitungsmethoden.<br />

Feste Industriefi lze, zarte Gespinste, ganze<br />

Outfi ts aus einem Stück, Perlen, Knöpfe<br />

und Hüte belegen, welche Kreativität die<br />

Technik freisetzt. Filzfrieda, Filzwerk, Filz-<br />

Woll-Lust, Filzware Handfi lz oder Linner<br />

FilzArt etwa zeigen unterschiedliche Versionen<br />

des kunstvollen Umgangs mit dem<br />

wolligen Material. Margret Riedel wendet<br />

sich vollends ins Künstlerische und fertigt<br />

beeindruckende Wandobjekte aus Filz.<br />

Das Kleid allein macht nicht die Mode.<br />

Interessierte wissen, dass der individuelle<br />

Stil auch die passenden Accessoires braucht.<br />

Hüte, Tücher und Taschen werden in unterschiedlichen<br />

Ausführungen und Stilrichtungen<br />

angeboten. Die Bandbreite geht von<br />

den eher klassischen Arbeiten des Hutsalons<br />

bis zu den trendigen Taschen der Ölberger<br />

Taschenmanufaktur. Einen Höhepunkt<br />

ganz eigener Art bieten die Schmuckstücke<br />

der Wuppertaler Designerin Fiona Fischer.<br />

Sie weiß biegsame Drähte, textil zu verarbeiten.<br />

Edle Ringe und Ketten gestrickt<br />

oder gehäkelt - wirklich ausgefallen. Einen<br />

ganz anderen Schwerpunkt setzt Rocailles<br />

Schmuck und zeigt bunten Schmuck aus<br />

böhmischen Glasperlen.<br />

Der Textilmarkt bietet auch ausgefallenes<br />

Material und Zubehör für die Gestaltung<br />

der eigenen Entwürfe. Schöne französische<br />

Stoffe in warmen Farben etwa bietet Marie<br />

Lind. In der breiten Auswahl an verführerischen<br />

Spitzen bei Fine French Laces<br />

oder Roosenrausch lohnt es sich, genauer<br />

hinzusehen. Am K(n)opfstand der Schwestern<br />

Burrow gehen begeisterte Sachensucher<br />

in geheimnisvollen Kisten auf die Jagd. Sehr<br />

ausgefallen sind auch die mit Gold oder<br />

Platin bemalten Kristallglasknöpfe sowie<br />

der daraus gefertigte Schmuck. Bei My Königskind<br />

fi nden sich eher verspielte Stoffe,<br />

Knöpfe und alle Zutaten, die es braucht,<br />

um selber zu nähen. Wer lieber stickt, fi ndet<br />

bei Der feine Faden, Kreatives und Sticken<br />

und der MWI Stickgalerie eine breite Auswahl<br />

an Material und Vorlagen. Deutlich<br />

voluminösere Fäden für die strickende<br />

Zunft bietet das Sortiment von Wolle im<br />

Atelier oder die handgefärbte Multicolorwolle<br />

von Kaschka.<br />

Auf der Suche nach Nützlichem und Schönem<br />

für Haus und Garten stößt man auf<br />

dem Lüntenbecker Textilmarkt auf einige<br />

Besonderheiten. Pottlappen fertigt kultige<br />

Produkte aus Grubenhandtüchern nicht nur<br />

für Ruhrpott-Fans. Die Tuchmacherin bietet<br />

handgewebte Tischwäsche und Handtücher<br />

aus eigener Produktion. Shalimar Garden<br />

entführt uns in die verzauberte Welt von<br />

Kashmir und Rajasthan, bestehend aus Uni-<br />

katen und Lieblingsstücken, die nach traditioneller<br />

Handwerkskunst aus hochwertigen<br />

natürlichen Materialien gefertigt wurden.<br />

Wem vom Gucken, Fühlen und Probieren<br />

der Kopf schwirrt, der gönnt sich zwischendurch<br />

mal eine Pause. Die entspannte<br />

Atmosphäre rund um die Hofwiese oder ein<br />

stiller Platz im Garten lädt zu besinnlichen<br />

Momenten ein. Das im Schloss ansässige<br />

Restaurant Küchenmeisterei bietet mit seiner<br />

Innen- und Außengastronomie einen kultivierten<br />

Rahmen, um sich kulinarisch verwöhnen<br />

zu lassen. Hier kann man in aller Ruhe<br />

genießen, plaudern und Pläne schmieden.<br />

In Sichtweite des Restaurants warten<br />

auf den Nachwuchs täglich wechselnde<br />

Angebote zum textilen Gestalten. Hier<br />

dürfen die Kleinen selbst Hand anlegen. Als<br />

Höhepunkt für die Großen bietet Schloss<br />

Lüntenbeck in diesem Jahr eine Modenschau.<br />

Wenn Donnerstag und Samstag der<br />

rote Teppich entrollt wird, schlüpfen die<br />

ausgestellten Kleider vom Bügel und stellen<br />

in lebhafter Bewegung ihre Tragbarkeit an<br />

echten Menschen unter Beweis. Derart<br />

inspiriert geht es dann wieder an den Ständen<br />

mit der auf dem Laufsteg präsentierten<br />

Mode auf Tuchfühlung.<br />

Antonia Dinnebier<br />

Textilmarkt Schloss Lüntenbeck<br />

2. – 5. Juni 2011, 11 – 18 Uhr<br />

Eintritt 3 Euro, Dauerkarte 5 Euro<br />

Kinder bis 12 Jahre frei<br />

Modenschau Do + Sa 14 Uhr


Nico Ueberholz<br />

setzt Meilensteine in der<br />

temporären Architektur<br />

In Wuppertal zu Hause, international als<br />

temporärer Architekt erfolgreich:<br />

Nico Ueberholz<br />

Baumeister der Kommunikation<br />

Andere bauen für die Ewigkeit, Nico<br />

Ueberholz für den Moment. Denn was<br />

der 52-Jährige gestaltet, ist per Defi nition<br />

meist vergänglich - egal, ob es um Messe-,<br />

Museums-, Veranstaltungsarchitektur<br />

oder den Ladenbau geht. Zusammengefasst<br />

nennt sich das „temporäre Architektur“,<br />

ein weites Feld, über das Nico Ueberholz<br />

in einem Büro nachdenkt, das in<br />

Wuppertal kaum schöner liegen könnte:<br />

Die Schwebebahn scheint fast durch das<br />

Dachgeschoss der Cleffschen Kornmühle<br />

zu gleiten, in dem sein Schreibtisch steht.<br />

Der ideale Platz für einen echten „Jungen<br />

aus dem Tal“, der als Kreativer längst internationalen<br />

Ruf hat. Davon erzählt eine<br />

stattliche Trophäensammlung, für die der<br />

Glastisch im Entrée der außergewöhnli-<br />

chen Arbeitsstätte inzwischen zu klein geworden<br />

ist: Ein „Who is Who“ sämtlicher<br />

deutscher Design-Auszeichnungen, dazu<br />

die wichtigsten Awards aus den USA.<br />

Allesamt verliehen für herausragende Leistungen<br />

auf dem Gebiet der temporären<br />

Architektur. Und erwachsen aus der Philosophie,<br />

die fast alle Ueberholz-Projekte<br />

verbindet: „Ich will Orte der Begegnung<br />

schaffen, die eine Bühne für die Kommunikation<br />

zwischen Menschen bieten.“<br />

Beim „Bühnenbildner“ Ueberholz nehmen<br />

diese Orte anfangs ganz klassisch mit<br />

Hilfe von Papier und Bleistift Kontur an.<br />

Ein kreativer Prozess, der auf seine Vita<br />

verweist: Nico Ueberholz schloss parallel<br />

zum Architektur-Studium Anfang der<br />

25


26<br />

80er Jahre auch als einer der ersten Absolventen<br />

den damals neuen Studiengang<br />

Diplom-Kommunikationsdesign an der<br />

Bergischen Universität ab. Nach der Mitarbeit<br />

im Architekturbüro seines Vaters<br />

wagte er früh den Sprung in die Selbständigkeit:<br />

unter anderem mit der Gründung<br />

der Firma „artlight“, die individuelle<br />

Leucht- und Lichtobjekte entwarf. Licht<br />

war und ist für Nico Ueberholz immer<br />

ein ganz besonderer Stoff. Und es spielte<br />

eine wichtige Rolle bei der Umsetzung<br />

seiner Ideen für den weiten Bereich des<br />

Designs im Raum, den er 1987 mit der<br />

Gründung seines „Büros für temporäre<br />

Architektur“ erschloss. Seitdem liegt er<br />

international auf Erfolgskurs - natürlich<br />

auch Ausdruck für die Qualität der in<br />

Wuppertal ausgebildeten Kommunikationsdesigner.<br />

Dass dieser Studiengang jetzt<br />

zerschlagen wurde, hält (nicht nur) Nico<br />

Ueberholz für eine Katastrophe...<br />

Aber zurück zur temporären Architektur<br />

- und dem scheinbaren Widerspruch, der<br />

Nico Ueberholz so sehr daran reizt: „Ob-<br />

wohl temporäre Architektur dem Betrachter<br />

nur für einen gewissen Zeitraum zur<br />

Verfügung steht, soll sie sich in seinen Kopf<br />

brennen und für lange Zeit in Erinnerung<br />

bleiben.“ Und die Mittel dazu? „Eine interessante<br />

Architektur zeichnet sich aus durch<br />

die spannungsvolle Auseinandersetzung<br />

mit Material, Form, Farbe, Größe, Proportionen<br />

und der Lichtgestaltung.“ In der<br />

richtigen Kombination ist das alles dann<br />

nicht Selbstzweck, sondern die Plattform<br />

um Kommunikation in Gang zu setzen.<br />

Wie so etwas ideal funktioniert, führte<br />

Ueberholz mit einem auch für Insider<br />

verblüffenden Messeauftritt in eigener<br />

Sache auf dem Branchen-Marktplatz<br />

„EuroShop“ in Düsseldorf vor: Riesige<br />

„Klangsteine“ luden Besucher dazu ein, die<br />

Macht der Musik als Urform der non-verbalen<br />

Kommunikation zu entdecken. Die<br />

mystischen Töne, die Gäste auf dem Stand<br />

selbst mit Hämmern unter anderem einem<br />

symbolhaft in Form einer Stimmgabel der<br />

Länge nach gespaltenen, fünf Meter hohen<br />

Monolithen entlockten, wurden an einer<br />

36 Quadratmeter großen LED-Wand vor<br />

Kopf in Bildwellen umgesetzt. Angeleitet<br />

vom eng mit der „documenta“ verbundenen<br />

Klang-Künstler Olaf Pyras und von<br />

Zeit zu Zeit durch Spontan-Auftritte der<br />

Tänzerin Nusara Mai-ngarm begleitet<br />

wurde das Publikum zum Bestandteil<br />

einer Inszenierung, die jedem Besucher<br />

tatsächlich weit über den Moment hinaus<br />

in Erinnerung blieb. Für Ueberholz eine<br />

Art Grundlagenexperiment: „Wir haben<br />

einen Raum für die Demonstration erinnerbarer<br />

Kommunikation geschaffen, der<br />

beispielhaft zeigt, wie man sich durch den<br />

kreativen Umgang mit den Teildisziplinen<br />

temporärer Architektur völlig jenseits des<br />

Messe-Mainstreams positionieren kann.“<br />

Aus dieser Philosophie heraus sind im Lauf<br />

der Jahre ganz unterschiedliche „Bühnen“<br />

entstanden: Sehr große und ganz kleine<br />

Messestände, verblüffende Ausstellungskonzepte<br />

und neuerdings sogar Unternehmensauftritte<br />

„out of the box“ - mobile<br />

Container, die ein einziger Mensch in<br />

nur 25 Minuten zu einem vollwertigen


Mit diesem Stand rund um einen 250<br />

Jahre alten Olivenbaum machte Ueberholz<br />

auf der Euroshop 2005 Eigenwerbung.<br />

Der Wuppertal wurde dafür als erster<br />

Deutscher überhaupt mit dem amerikanischen<br />

„Edge Award“ für herausragende<br />

Leistungen im Bereich des internationalen<br />

Messe-Designs ausgezeichnet.<br />

Die leuchtenden Lichtwände waren über<br />

Jahre hinweg das von Ueberholz geprägte<br />

Markenzeichen der Messeauftritte des<br />

Haustechnik-Spezialisten GIRA.<br />

Tonnenschwere Steine, auf denen Besuchern<br />

mit Hämmern Urklänge erzeugen,<br />

die im Hintergrund in Bilder umgesetzt<br />

werden: Mit diesem Kommunikations-<br />

Experiment überraschte Ueberholz auf der<br />

Euroshop 2008. Der vielfach prämierte<br />

Stand gilt als Musterbeispiel dafür, wie sich<br />

temporäre Architektur in die Erinnerung<br />

brennt...<br />

Realisiert mit kleinem Budget und doch<br />

prämiert im Wettbewerb „Gute Gestaltung“<br />

des Deutschen Designer-Clubs: Der<br />

Ueberholz-Stand für den Lichttechnik-<br />

Hersteller BOCOM auf der Light &<br />

Building 2010.<br />

27


28<br />

Präsentationsraum entfalten kann. Was sie<br />

alle verbindet, ist der besondere Anspruch<br />

an ihre Gestaltung. Und zwar ganz egal,<br />

ob es um einen zweistöckigen Messestand<br />

mit über 1.000 Quadratmetern<br />

Fläche oder den winzigen Auftritt eines<br />

Nischenunternehmens geht. „Design“,<br />

fi ndet Ueberholz, „ist keine Frage des<br />

Budgets. Ein guter Designer kann für<br />

jeden Etat kreative Lösungen fi nden!“ Wie<br />

ein Uebeholz-Beitrag zum renommierten<br />

Wettbewerb „Gute Gestaltung“ des<br />

Deutschen Designer-Clubs eindrucksvoll<br />

bewies: Dessen Jury hatte den von Ueberholz<br />

entworfenen Auftritt eines Fachunternehmens<br />

für Farblichtsteuerungen auf der<br />

Messe „Light & Buidling“ prämiert - und<br />

den ganze 60 Quadratmeter großen Stand<br />

in der Kategorie „Raum/Architektur“<br />

damit eine Stufe mit einem Mega-Prestigeobjekt<br />

wie dem Deutschen Pavillon auf<br />

der Weltausstellung in Shanghai gestellt! In<br />

Asien wurde dafür ein Millionetat verbaut,<br />

hier dagegen mit einem Gesamtbudget<br />

von gerade einmal 14.000 Euro große<br />

Wirkung entfaltet.<br />

Apropos Etats: Dass viele Unternehmen in<br />

Zeiten der Wirtschaftskrise gerne an der<br />

Außendarstellung sparen, hält Nico Ueberholz<br />

für einen gefährlichen Irrweg. Nicht<br />

aus Eigennutz, sondern aus der Überzeugung<br />

heraus, dass Konjunktur ebenso wie<br />

Kreativität im Kopf entsteht. In einem<br />

Editorial für die Fachzeitschrift „wörkshop“<br />

brachte der Wuppertaler das 2009 mit<br />

Blick auf die Hannover-Messe zu Papier,<br />

bei der zahlreiche Unternehmen bis zuletzt<br />

über einen Teilnahmeverzicht nachdachten.<br />

„Ein fatales Signal im Hinblick auf<br />

die wirtschaftliche Gemütslage, die durch<br />

die Unsicherheit weiter negativ befeuert<br />

wurde“, so seine Überzeugung. Gegen die<br />

Depression setzte er die Aufforderung,<br />

die Krise als Chance zu begreifen - auch<br />

für die eigene Branche: „Wer es schafft,<br />

innerhalb eines für die Aussteller machbaren<br />

wirtschaftlichen Rahmens kreative Sonderlösungen<br />

zu fi nden und dabei aufregend<br />

anders zu sein, wird sich durchsetzen.“<br />

Für den Marktführer KME setzte Ueberholz auf der Bau 2007 Kupfer als Werkkunststück in Szene.<br />

Wenn Nico Ueberholz von solchen<br />

aufregend anderen Ideen erzählt, hört<br />

man gerne zu und staunt. Zum Beispiel<br />

darüber, wie ein profanes Rohr vom Weltmarktführer<br />

für Kupfererzeugnisse wirkt,<br />

wenn man es als „Werkkunststück“ begreift<br />

und im Stile eines Juwels auf tiefschwarzem<br />

Grund präsentiert. Oder über die Herausforderung,<br />

in der temporären Architektur<br />

absolut plane Wand- und Deckenfl ächen<br />

herzustellen, bei denen kein unerwünschter<br />

Schattenwurf die Lichtkomposition stört.<br />

Und natürlich über ein Vorzeige-Objekt<br />

wie den soeben eröffneten Info-Pavillon<br />

für die Großbaustelle am Düsseldorfer<br />

Kö-Bogen, den der Wuppertaler in Zusammenarbeit<br />

mit dem Designer-Kollegen<br />

Lutz Menze realisierte.<br />

Dass ein international beachteter Designer<br />

wie Nico Ueberholz ausgerechnet in seiner<br />

Heimatstadt bisher kaum Spuren hinterlassen<br />

hat, erinnert an den alten Spruch<br />

vom Propheten, der im eigenen Land<br />

nichts gilt. Den Satz „Wir haben eigentlich<br />

nur Auftraggeber von außerhalb“ streut er


deshalb in Gesprächen gerne ein. Nicht<br />

um der Aufträge willen, sondern weil Wuppertal<br />

dem bodenständigen Barmer sehr<br />

am Herzen liegt. Und weil kaum etwas<br />

kann seine Diskussionsfreude so befeuern<br />

kann wie manches Beispiel für gelinde<br />

gesagt merkwürdige lokale Stadtplanung.<br />

Umso größer ist seine Freude, wenn<br />

er sich einmischen darf. So wie bei der<br />

Planung für die Nordbahntrasse, wo Nico<br />

Ueberholz kräftig zu dem ausgeklügelten<br />

Beleuchtungskonzept beitrug, mit dem im<br />

großen Stil Fördermittel für das wegweisende<br />

Projekt gewonnen wurden. Wieder<br />

ein Fall von „aufregend anders“. Genau wie<br />

die drei neuen Kundencenter der Wuppertaler<br />

Stadtwerke, deren Innenausstattungen<br />

die Ueberholz-Handschrift tragen. Sie<br />

wurden dadurch zu einladenden Service-<br />

Landschaften, in denen sich Besucher und<br />

Mitarbeiter von intelligenten Lichtsystemen<br />

gelenkt vor vertikal mit Pfl anzen<br />

begrünten Wänden treffen. Hightech<br />

und Natur prägen hier Hand in Hand die<br />

einladende Atmosphäre. Die Sache mit<br />

dem Propheten scheint sich also langsam<br />

zu verbessern.<br />

Ob man sich im WSW-Kundencenter<br />

am Wall, auf einem Messestand des<br />

Haustechnik-Spezialisten „GIRA“ oder auf<br />

der viel beachteten Wanderausstellung des<br />

NRW-Fachverbandes der Tischler umsieht<br />

- überall wird man die unverkennbare<br />

Ueberholz-Handschrift wiederentdecken:<br />

klare Linien, das geschickte Spiel mit Gegensätzen<br />

und Licht als prägendes Element<br />

einer überraschenden Inszenierung. Ein Stil,<br />

mit dem Ueberholz speziell den Messeauftritten<br />

vieler Unternehmen über Jahrzehnte<br />

hinweg bei aller Wandlung der Stände ein<br />

unverwechselbares Gesicht gegeben hat.<br />

Das amerikanische Fachblatt „Exhibitor“<br />

vergibt genau dafür bei seinen jährlichen<br />

„Exibition Design Awards“ sogar Preise in<br />

einer eigenen Wettbewerbskategorie: Die<br />

heißt „Design Consistency“ und hebt auf<br />

das Problem ab, bei immer neuen Präsentationsideen<br />

doch die Markenidentität erkennbar<br />

zu wahren - Ueberholz durfte sich<br />

jenseits des Atlantik bereits über mehrere<br />

dieser Awards freuen. Und mehr noch: Erstmals<br />

in der mehr als zwei Jahrzehnte langen<br />

Geschichte der „Exhibition Design“-Prämierungen<br />

holte der Wuppertaler 2006 den<br />

„Edgde Award“ nach Deutschland! Mit die-<br />

Nico Ueberholz und Mitarbeiter André Füsser mit zwei von vielen Awards aus dem In- und<br />

Ausland, die sich mittlerweile im Büro in der Cleff‘schen Kornmühle angesammelt haben.<br />

Dem WSW-Anspruch auf Nachhaltigkeit und perfekten Service hat Nico Ueberholz in den<br />

neuen WSW-Kundencentern ein eigenes Gesicht gegeben.<br />

ser Auszeichnung würdigt eine hochkarätig<br />

besetzte Jury herausragende Leistungen im<br />

Bereich des internationalen Messe-Designs.<br />

Prämiert wurde ein Aufsehen erregender<br />

Messestand, den Ueberholz zur Euroshop<br />

2005 in Düsseldorf als Werbung in eigener<br />

Sache entworfen hatte: Er zeigt exemplarisch<br />

die Umsetzung des Unternehmens-<br />

Leitsatzes „Wir bauen Atmosphäre“ – unter<br />

anderem durch die spektakuläre Integration<br />

eines 250 Jahre alten Olivenbaums in ein<br />

High-Tech-Umfeld. Bei der Preisverleihung<br />

im deYoung-Museum von San Francisco<br />

schwärmte Design-Nestorin Deborah<br />

Sussman – unter anderem verantwortlich<br />

für das Erscheinungsbild der Olympischen<br />

Spiele in Los Angeles – dazu: „Es ist so weit<br />

entfernt von allem, was wir sonst gesehen<br />

haben. Ich wünschte mir, ich hätte es<br />

gemacht!“<br />

Nach dem Edge-Award holte Ueberholz<br />

dieses Jahr übrigens erneut einen Sonderpreis:<br />

Mit dem schon beschriebenen<br />

„Einklang“-Stand gewann Ueberholz Gold<br />

in der zum Jubiläum der US-Awards ausgeschriebenen<br />

Wettbewerbs-Kategorie „Best<br />

of 25 Years“. Die beiden „Amerikaner“<br />

stehen demnächst einträchtig nebeneinander<br />

auf dem Glastisch in der Kornmühle.<br />

Die Erinnerung ist also nicht das Einzige,<br />

was den Moment überdauert...<br />

Andrea Weiß<br />

29


30<br />

Tafelbildmontage von Klaus<br />

Armbruster auf Zollverein: Eine<br />

Hommage an das Ruhrgebiet<br />

Die Städte sind für Dich gebaut<br />

Große Bilder einer großen Geschichte<br />

präsentiert die Stiftung Zollverein vom<br />

14. April bis 27. Mai 2011 mit der Tafelbildmontage<br />

DIE STÄDTE SIND FÜR<br />

DICH GEBAUT von Klaus Armbruster.<br />

Damit setzt sie das Programm des vergangenen<br />

Kulturhauptstadtjahres fort und<br />

zeigt die Werkschau eines Künstlers, der<br />

das Ruhrgebiet und seine Menschen zum<br />

Thema seines Schaffens machte.<br />

25 Jahre lang hat sich Armbruster als<br />

Film- und Medienkünstler immer wieder<br />

mit der Region auseinandergesetzt. Inzwischen<br />

zu seiner ursprünglichen Profession<br />

als Maler zurückgekehrt, bringt er ihre<br />

Geschichte und Gegenwart seit nunmehr<br />

vier Jahren mit dem Pinsel auf die Lein-<br />

wand. Bevor er das Ruhrgebiet zum Ende<br />

des Jahres wieder verläßt, widmet er ihm<br />

jetzt ein monumentales Werk.<br />

Hinter dem Ausstellungstitel DIE STÄD-<br />

TE SIND FÜR DICH GEBAUT aus<br />

Bertolt Brechts „Lesebuch für Städtebewohner“<br />

steckt ein vielschichtiges künstlerisches<br />

Gesamtwerk, das die Grundthemen<br />

des Ruhrgebiets als Brennpunkt<br />

existenzieller Menschheitsfragen aufgreift<br />

und sich den hier lebenden Menschen<br />

widmet. DIE STÄDTE SIND FÜR<br />

DICH GEBAUT refl ektiert die Entwicklung<br />

vom Industriezeitalter bis zum<br />

gegenwärtigen Strukturwandel, die ihren<br />

Ausdruck in alltäglichen Szenen, in dra-


matischen Ereignissen und in den Gesichtern<br />

der Menschen fi ndet. 81 Tafelbilder<br />

sind in 27 Triptychen unterschiedlicher<br />

Formate miteinander verbunden und in<br />

fünf Sequenzen übereinander zu einem<br />

groß dimensionierten Gesamt-Triptychon<br />

zusammengefaßt. Es wird auf einem 18<br />

Meter breiten und 6 Meter hohen Tableau<br />

in der ehemaligen Zentralwerkstatt,<br />

Halle 5, auf Zollverein gezeigt.<br />

Klaus Armbruster hat zentrale Video-<br />

Einzelbilder aus seinem letzten großen<br />

Multimedia-Projekt, dem 1998 in der<br />

Bochumer Jahrhunderthalle uraufgeführten<br />

RUHRWERK, ausgewählt<br />

und ihr fl üchtiges Aufscheinen in die<br />

dauerhafte Materialität des Tafelbildes<br />

transformiert. Durch die von ihm aus<br />

seiner Medienarbeit entwickelte, in dieser<br />

Form einzigartige Montage der Tafelbilder<br />

entstehen vielfältige Beziehungen<br />

zwischen den einzelnen Motiven, vom<br />

Maler thematisch und kompositorisch<br />

strukturiert und zugleich offen gelassen<br />

für die individuelle Rezeption des<br />

Publikums.<br />

Das bildmächtige Triptychon wird als<br />

Raum-Installation in die Architektur<br />

der Halle eingefügt. Auch das mit dem<br />

Komponisten Wolfgang Hufschmidt<br />

erarbeitete RUHRWERK wird in einem<br />

Projektionsraum zu sehen und in der Ausstellung<br />

zu hören sein.<br />

Für die Besucher bietet sich so die Möglichkeit,<br />

die Herkunft der Bildmotive in ihrem<br />

szenischen Zusammenhang aufzuspüren<br />

und den von Hufschmidt geschaffenen<br />

Klangraum auch beim Betrachten der Tafelbildmontage<br />

als Kommentar und emotionale<br />

Basis in das eigene Sehen, Erinnern und<br />

Assoziieren hineinzunehmen.<br />

In Armbrusters Tafelbildmontage werden die<br />

von ihm selbst in die Welt gebrachten, viel-<br />

schichtig gestalteten, immateriellen Film-/<br />

Video-Einzelbilder Pinselstrich um Pinselstrich<br />

in eine reale Tafelbild-Existenz überführt<br />

und inhaltlich wie formal noch weiter<br />

verdichtet. Gleichzeitig werden sie in der<br />

Montage aus dem linearen Fluss der Film-<br />

Zeit und der ausformulierten Film-Erzäh-<br />

31


34<br />

lung herausgelöst und in eine zeitunabhängige,<br />

fortwährende Gegenwart still gestellt.<br />

Die einzelnen Bildmotive folgen, ihrem Ursprung<br />

als Filmkameraeinstellungen entsprechend,<br />

der Bewegung der Handlung und<br />

drängen dabei im Unterschied zu fotografi -<br />

schen Abbildungen über den Bildausschnitt<br />

hinaus.<br />

In der Tafelbildmontage nehmen sie mit den<br />

danebenstehenden, aber auch mit darüber-,<br />

darunter- oder weiter entfernt montierten<br />

Bildern Kontakt auf.<br />

So entstehen formale und inhaltliche Bezüge<br />

und Verbindungen, die jeder Betrachter,<br />

seiner persönlichen Resonanz und Assoziation<br />

folgend, entdecken und darin eigene<br />

Erlebnisse und Erzählungen einweben kann.<br />

Mehrteilige Bildmontagen spielten auch in<br />

Armbrusters multimedialen Bühnen-<br />

Installationen eine wesentliche Rolle, bei<br />

denen er mit Choreographen wie Pina<br />

Bausch, Bühnenregisseuren wie Ruth<br />

Berghaus und Hansgünther Heyme und<br />

Komponisten wie Wolfgang Hufschmidt,<br />

Nikolaus A. Huber und Gerhard Stäbler<br />

zusammenarbeitete.<br />

Trotz eines komplexen theoretischen und<br />

konzeptionellen Hintergrundes kommt<br />

Armbrusters erstes Tafelbildmontage-Projekt<br />

sehr einfach und bescheiden aus dem<br />

Atelier. Dem Leben, Arbeiten, existenziellen<br />

und oft vergeblichen Kämpfen der<br />

Menschen im Ruhrgebiet gewidmet, in<br />

Anteil nehmender, fast demütiger Haltung<br />

Schicht um Schicht sehr sorgfältig gemalt<br />

und jedem, auch dem Laien, in seinem<br />

malerischen und erzählerischen Reichtum<br />

unmittelbar zugänglich.<br />

Drei Konzerte in der Ausstellung (am 14.<br />

April, 19. und 27. Mai 2011, jeweils um<br />

20.00 Uhr), darunter eine Uraufführung aus<br />

Wolfgang Hufschmidts Zyklus „Engel der<br />

Geschichte“, machen diese für das Welterbe<br />

wie geschaffene Malerei-Inszenierung zum<br />

Erlebnis eines Gesamtkunstwerkes.<br />

DIE STÄDTE SIND FÜR DICH<br />

GEBAUT<br />

Tafelbildmontage von Klaus Armbruster<br />

14. April bis 27. Mai 2011<br />

Welterbe Zollverein, Halle 5, Schacht XII<br />

[A5]<br />

Gelsenkirchener Str. 181 – 45309 Essen<br />

Öffnungszeiten: Di bis Do 12.00 Uhr bis<br />

18.00 Uhr, Fr bis So 11.00 Uhr bis 20.00<br />

Uhr<br />

Weitere Informationen unter Tel.<br />

0201-246810 und im Internet unter<br />

www.zollverein.de<br />

Redaktion Frank Becker


36<br />

wenn man über<br />

die Altersgrenze spaziert<br />

Johanna Hilbrandt<br />

geboren 19. Dezember 1950 in Lahr,<br />

verheiratet, zwei Kinder<br />

1973 – 1984 Lehrtätigkeit an einer<br />

Förderschule in Baden-Württemberg<br />

Tätigkeit im parlamentarischen<br />

Beratungsdienst im Landtag<br />

von Baden-Württemberg<br />

1986 – 1989 Lehrtätigkeit an<br />

verschiedenen Schulen in Niedersachsen<br />

10/2010 Studium im Masterstudiengang<br />

Literarisches Schreiben<br />

an der IB Hochschule Berlin-Stuttgart<br />

Wo man ankommt<br />

Charlottenburg ist ein bürgerlicher Bezirk<br />

im Westen der Hauptstadt. Ehemals<br />

königliche Residenz, war der Ort zu dieser<br />

Zeit bekannt für das Vergnügungslokal<br />

FLORA, wo, zur Belustigung des Berliner<br />

Publikums, anthropologische Ausstellungen<br />

stattfanden. In der FLORA wurden<br />

Angehörige fremder Völker in möglichst<br />

naturgetreuer Kulisse präsentiert. So ist<br />

in der Ortschronik eine Kalmücken- und<br />

Irokesen – Schau unter dem Titel „Wild-<br />

Afrika“ dokumentiert. Obwohl in den<br />

Medien enthemmender Unterhaltung alle<br />

möglichen freak shows gezeigt werden,<br />

verbietet sich doch heute die Reproduktion<br />

kolonialer Blickverhältnisse. Dass es aber in<br />

Charlottenburg noch immer Schauplätze<br />

der besonderen Art gibt, erfahre ich auf<br />

dem Weg durch eine Grünanlage.<br />

Es ist einer der ersten, schon an den<br />

Sommer erinnernden Frühlingstage, als ich<br />

auf der Suche nach Ruhe und Ordnung<br />

zum Lietzensee spaziere, einem Gewässer<br />

mit Park nicht weit vom Schloss. Keine<br />

Bolz-, keine Bier-, keine Kindergärten und<br />

wenn ich Glück habe, entdecke ich hier<br />

einen Fleck ohne Hunde. Es gibt Dinge im<br />

Alltag, die verhindern, dass Städte auseinander<br />

fallen. Dazu gehören Parks. Es sind<br />

stabile verlässliche Flächen. In einem Park<br />

zu spazieren scheint mir ein wirksames<br />

Mittel gegen die Reizüberfl utung in der<br />

Hauptstadt, deren schiere Größe mich als<br />

Neubewohnerin überfordert. Die Ein-


heimischen gewinnen Abstand mit dem<br />

Rückzug in die Datsche; ich folge dem Rat<br />

Robert Walsers, der in das „obrigkeitliche<br />

Ohr“ seines Steuerbeamten spricht, um das<br />

fortlaufende Spazierengehen zu erklären:<br />

„Ohne Spazieren wäre ich tot. Auf weitschweifi<br />

gem Spaziergang fallen mir tausend<br />

brauchbare Gedanken ein. Ein Spaziergang<br />

tröstet, freut, erquickt mich, ist mir ein Genuss,<br />

hat aber zugleich die Eigenschaft, dass<br />

er mich spornt und zu fernerem Schaffen<br />

reizt, indem er mir zahlreiche mehr oder<br />

minder bedeutende Gegenständlichkeiten<br />

darbietet. Jeder Spaziergang ist voll von<br />

sehenswerten, fühlenswerten Erscheinungen.<br />

Von Gebilden, lebendigen Gedichten,<br />

anziehenden Dingen, die sich reiz- und<br />

anmutvoll vor den Sinnen und Augen des<br />

aufmerksamen Spaziergängers öffnen.“ Mit<br />

diesem „edlen Gedanken des Spazierganges“<br />

im Kopf setze ich mich auf eine Bank vor<br />

dem Teich mit der Aufschrift: Voll daneben<br />

das Leben und lasse mich von nutzlosen<br />

Gefühlen überfallen, als mein Blick auf<br />

ein Hinweisschild knallt und - von dessen<br />

Inschrift benommen - irritiert zurückweicht.<br />

Was ihn verstört ist das Paradoxon<br />

auf einer Tafel, aufgestellt von einem Verein<br />

‚Lebenskunst` mit folgender Beschriftung:<br />

Senioren- Spielplatz Litzenseepark, Vital in<br />

Deutschland (vid), Deutscher Spielraum –<br />

Preis 2009. Darunter, als Gebot adressiert<br />

an die herkömmlichen Benutzer eines Spielplatzes:<br />

Aktionsspielplatz ab 60 Jahre. Nun<br />

weiß ich, seit der Philosoph Sloterdijk seine<br />

Regeln für den Menschenpark aufgestellt<br />

hat, dass Menschen „sich selbst hegende,<br />

selbst hütende Wesen sind, die – wo auch<br />

immer sie leben – einen Parkraum um sich<br />

erzeugen. In Stadtparks, Nationalparks,<br />

Kantonalparks, Ökoparks – überall müssen<br />

Menschen sich eine Meinung darüber bilden,<br />

wie ihre Selbsterhaltung zu regeln sei.“<br />

Hier im Lietzenseepark geschieht sie zum<br />

Nulltarif, wie das amtliche Schild, das sich<br />

am Eingang der Anlage für die politischen<br />

Fördermittel bedankt, vermerkt. Es prahlt<br />

mit der Aufschrift:<br />

Fit zum Nulltarif !<br />

SENIOREN – SPIELPLATZ ?<br />

Wo bin ich? Alogische Räume, fi ktionale<br />

Gespinste, fremde Welten?!<br />

Paradox sind Phänomene, die einen Widerspruch<br />

in sich enthalten, dem menschlichen<br />

Verstand widersprechen. Auf diesem Platz<br />

sollen also alle, die sechzig und drüber sind<br />

spielen dürfen. Ich überlege, noch sieben<br />

Monate, bis ich mitspielen darf und in den<br />

Gedanken drängen sich die Bilder von Eimer,<br />

Schaufel, Sand und Förmchen. Gereizt<br />

von dieser Vorstellung dämpfe ich jedoch<br />

meinen Ingrimm mit Robert Walser, der<br />

mich ermahnt „höchst aufmerksam und<br />

liebevoll jedes kleinste Ding...ob hoch oder<br />

niedrig, ernst oder lustig zu studieren und<br />

zu betrachten.“ Ich soll, so trägt er mir<br />

auf, meinen „Blick überallhin schweifen,<br />

herumstreifen“ lassen und meine eigenen<br />

Klagen gering achten oder völlig vergessen.<br />

Geht aber nicht! Ich stehe vor dem Schild<br />

und ärgere mich. Was empört mich? Das<br />

Schild, das Wort, die Anlage? Der Blick auf<br />

eine Spielwiese ist mir unter gewöhnlichen<br />

Umständen sehr angenehm. Hier aber sind<br />

es die Umstände, die vor der Wiese stehende<br />

Tafel mit den hüpfenden Buchstaben<br />

und die auf der Wiese platzierten Gerätschaften<br />

mit ihrem Bedienungspersonal,<br />

um die sich meine Empfi ndungen erregt<br />

bewegen. Sie müssen sich bewegen, denn<br />

so fordert es die Aufschrift: AKTIONS-<br />

SPIELPLATZ!<br />

Der Zorn beim Anblick des Spielplatzes<br />

fährt in meine Muskeln und mein Fuß wird<br />

zu einem Produkt aus Kraft und Dauer.<br />

Ich trete zu. Es geschieht mir und hätte ich<br />

den Mut der alten Berliner Stadtindianer<br />

und die Fitness, die der Platz vorzugeben<br />

verspricht, würde ich das Licht der Öffentlichkeit<br />

nicht scheuen und das Schild jetzt<br />

sofort umhauen.<br />

Spielplätze sind Freiräume zum Spielen.<br />

Kinder lernen dort geschützt das Hineinwachsen<br />

in die Welt. Sie erleben ihren Körper<br />

und erwerben motorische Fähigkeiten.<br />

Auf dem Spielplatz machen sie die ersten<br />

Erfahrungen mit elementaren Naturgesetzen<br />

und entwickeln sich im Spiel mit anderen<br />

Kindern zu sozialen Wesen. Sie verrichten<br />

dort wichtige Tätigkeiten wie Klettern,<br />

Krabbeln, Buddeln, Rutschen und Bauen.<br />

Und nicht zuletzt ermöglichen Spielplätze<br />

den Eltern eine kurze Pause, in dem sie ihre<br />

Kinder für eine gewisse Zeit in dieses geschlossene<br />

Terrarium stecken und sicher sein<br />

können, es dort meist unbeschädigt, wenn<br />

auch nicht sauber wieder raus zu holen<br />

War es der Notschrei einer fi tnesssüchtigen<br />

Gesellschaft? oder was hat die Berliner<br />

Kommunalverwaltung dazu angeregt für ihre<br />

beschäftigungslosen und bewegungsscheu-<br />

en Mitbürger über sechzig diese Spielwiese<br />

anzulegen? Auf dem eingezäunten Gelände<br />

stehen überall abstrakte, rätselhafte Objekte.<br />

Zur Interaktion mit diesen sehen sich ältere<br />

Mitbürger veranlasst, gekleidet in Funktionslaufhose,<br />

Fleece Weste und BaseCap. Obwohl<br />

die Bewegungs – und Wahrnehmungsentwicklung<br />

in diesem Alter längst abgeschlossen<br />

ist, drücken sie ihre Füße gegen Federwiderstände,<br />

bewegen Stangen, kreisen auf dem<br />

Stehkarrussell, balancieren auf der Pendelscheibe<br />

und bemühen sich so, den Kindern<br />

die Illusion zu nehmen, es sei ihr Spielplatz.<br />

Diese verstehen zwar nicht, warum das<br />

Happy Big Wheel nur für den Opa sein soll,<br />

überlassen es ihm aber großzügig und erobern<br />

die Seniorenschaukel. Um die Bewegungen<br />

richtig ausführen zu können, beschreiben die<br />

Infoschilder altersgerechte Übungen und sind<br />

mit dem Hinweis versehen: „ Führen Sie ein<br />

Vorgespräch mit ihrem Hausarzt, bevor sie sich<br />

an die Geräte trauen.“<br />

Hallo? Habe ich was verpasst? Gibt es ergänzend<br />

zum Kinderfördergesetz ein Altenfördergesetz<br />

mit dem Inhalt Ausbau von Fitnessangeboten<br />

für Übersechzigjährige? Sind hier<br />

Baumaßnahmen beschlossen, die den Körper,<br />

dessen Markenzeichen der Verfall ist, durch<br />

permanente Vollbeschäftigung in einem<br />

Menschenpark am Altern hindern sollen?<br />

Das Konzept GIRO VITALE, das der Gerätehersteller<br />

play fi t gemeinsam mit Ingenieuren<br />

entwickelt hat, entstand nach einer<br />

China Reise der Firmeninhaberin. Dort sah<br />

sie viele Menschen, die sich morgens in<br />

den Parks der Städte trafen, um gemeinsam<br />

rituelle Bewegungen auszuführen, die auch<br />

als „Schattenboxen“ bekannt sind. Nach<br />

dem chinesischen Glauben verspricht Tai<br />

Chi dem Übenden die Geschmeidigkeit<br />

eines Kindes.<br />

Unter dem Motto: 50 + Eine Generation<br />

fordert einen neuen Ansatz - möbliert play<br />

fi t öffentliche Anlagen mit Balancebalken,<br />

Pendelbrettern, Schaukeln, Wippen u.v.m.<br />

für einen Preis in der Spanne von 25000 bis<br />

430000 Euro. „Wir bieten Ihnen an frischer<br />

Luft in Park-Atmosphäre die Möglichkeit<br />

einer kleinen Radtour, aber in bequemer Sitzhaltung,<br />

ohne auf das entspannte Gespräch zu<br />

verzichten. Ohne großen Aufwand trainieren<br />

Sie an den Geräten Bewegungsabläufe,<br />

Muskulatur, Kondition, Gleichgewicht. Im<br />

‚Twister’ lassen Sie schwungvoll Ihre Hüfte<br />

Kreisen“.<br />

37


38<br />

An dieser Stelle müsste die ‚Machtfrage’<br />

gestellt werden: Welche Mächte prägen den<br />

öffentlichen Raum und welche Bedeutung<br />

hat er für die eigene Identität? Diese Fragen<br />

aber bringen mich von den Dingen ab, die<br />

ich vor mir sehe, und so lasse ich sie fallen.<br />

„Je kürzer die Zeit, die mir zu leben verbleibt,<br />

desto tiefer und reicher muss ich sie<br />

gestalten“ trägt uns Montaigne auf. Meint er<br />

Spielzeit im Aktiv-Park, um dort die Reste<br />

von Agilität zu demonstrieren?<br />

Ich behaupte, dass jedes Alter die ihm gemäße<br />

Bewegungsgestalt hat, ein Bewegungsverhalten,<br />

das sich in seine Erscheinungsweise<br />

fügt: Ein Baby strampelt, Kinder hüpfen,<br />

springen, Jugendliche schleppen ihren Körper<br />

mit sich herum wie eine voll gestopfte<br />

Alditüte und idealtypisch geht ein Erwachsener<br />

möglichst aufrecht und gerade bei<br />

gleichzeitiger Gelöstheit.<br />

Da der Körper eine vom Leben bearbeitete<br />

Masse ist, weist er im Laufe der Jahre<br />

Beschädigungen auf oder wie Montaigne<br />

in seinem letzten Essai sinniert: „An einer<br />

schadhaften Stelle zu kranken ist normal für<br />

Gebäude dieses Alters.“<br />

Die Beeinträchtigungen am Körper – Bau<br />

verändern auch die Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten<br />

eines Menschen. Sein<br />

Gang ist weniger dynamisch, die Schultern<br />

hängen, der Rücken ist gebeugt, die Bewegungen<br />

langsamer.<br />

Jetzt soll also so ein gut abgehangener<br />

Schöngeist auf den Spielplatz, um sich<br />

dort zu rühren. Er soll wippen, schaukeln,<br />

balancieren, hüpfen, schwingen und mit<br />

kindischem Gebaren aus sich eine lächerliche<br />

Erscheinung machen. Die peinliche<br />

Zurschaustellung eines alternden Körpers<br />

in grotesken Positionen macht aus seinem<br />

Inhaber eine komische Figur. Der Anblick<br />

eines zappelnden Seniors lässt ihn würdelos<br />

erscheinen. Ist dieses Bild beabsichtigt?<br />

Oder steckt hinter der ganzen Aktion das<br />

schwungvolle Bemühen unserer Gesundheitspolitiker<br />

den Verfall der Kosten verursachenden<br />

Körpers aufzuhalten?<br />

Ich beginne mich in den wirren Gedanken<br />

anderer zu verfangen.<br />

Alte, eine Population, die für ein Bündel<br />

schwerwiegender, ökonomischer, sozialer<br />

und ethischer Probleme steht, Bewohner<br />

einer kauzigen Welt, die Schrecken und<br />

Abwehrrefl exe auslöst, werden mit GIRO<br />

VITALE in die Pfl icht genommen. Damit<br />

sie sich nicht störrisch verweigern, lockt<br />

man sie mit Schmeicheleien und bastelt an<br />

der Kreation einer neuen Sozialfi gur den<br />

„jungen Alten“. Eine vitale, dynamische,<br />

aktive, je nach Einkommen konsumfreudige<br />

und daher wirtschaftlich interessante Gruppe,<br />

die wegen ihrer zunehmenden Größe<br />

für Politiker und Gesundheitsökonomen<br />

immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese<br />

„jungen Alten“ sind die primäre Zielgruppe<br />

von gesundheitspolitischen Präventionsprogrammen,<br />

die einen wichtigen Baustein für<br />

„kompetentes Altern“ bilden. Das Krisenszenario<br />

einer drohenden Überalterung,<br />

das die Alten zu einer, das soziale System<br />

strapazierenden, Problemgruppe macht und<br />

die regelmäßige Konfrontation mit entsprechenden<br />

Bildern und Debatten bleiben<br />

nicht ohne Folgen. Es drängt die ‚jungen<br />

Alten’ zu vielfältigen Praktiken der Arbeit<br />

am Körper: Sport, Diät, Kosmetik, physiologische<br />

Eingriffe, Gehirnjogging. Alter ist<br />

ein Virus, dem nur mit rigider Körper- und<br />

Bedürfniskontrolle beizukommen ist.<br />

Hinfälligkeit, Gebrechlichkeit, Siechtum<br />

fungieren als Negativvision vom Leben im<br />

Alter, die eine biotechnologische Abhilfe<br />

nachgerade zur moralischen Pfl icht erhebt.<br />

Der alternde Körper wird als Baustelle gesehen<br />

für deren Zustand man selbst Verantwortung<br />

zu tragen hat. Trainieren Sie! Unterstützende<br />

Bausteine liefert eine gesamtgesellschaftliche<br />

anti-ageing-Strategie. In Turnhallen,<br />

Fitness-Studios, Sportparks und auf<br />

„Aktionsspielplätzen“ sollen die Individuen<br />

für den kollektiven Kampf gegen die alternde<br />

Gesellschaft mobilisiert werden. Dort wird<br />

das korporale Kapital bearbeitet, um erfolgreich<br />

– nämlich gar nicht – zu altern. Dieser<br />

inszenierte Diskurs behauptet, dass es kein<br />

Alter gibt, sondern nur ein den Ideen des<br />

einzelnen überlassenes Gestaltungsprojekt.<br />

Der Provokation des Menschen durch das<br />

Unumgängliche – das Altern – das zugleich<br />

das Nichtbewältigbare scheint, stellt sich seit<br />

Jahren die Sport – bzw. Biomedizin. Ausgehend<br />

von einem Verständnis des Alterns<br />

als „behandelbare, molekularbiologische<br />

Metakrankheit“ entwirft sie ein medizinisches<br />

Programm zur ‚Maximierung der Physiologie’<br />

alternder Körper. Schauen wir uns<br />

um! Alte werden als erstes durch ihre Körper<br />

bzw. bestimmte, sinnlich wahrnehmbare<br />

körperliche Zeichen identifi ziert: Welke<br />

Haut, verknitterte Züge, blasse Augen,<br />

müder Blick, brüchige Stimme, eingesunkener<br />

Brustkorb, unsicherer Gang. Friederike<br />

Mayröcker schaut an einem Geburtstag erbarmungslos<br />

auf ihren Körper und beklagt:<br />

„nämlich dass hineingegriffen worden war<br />

in dieses Gesicht, in dieses mein Altersgesicht,<br />

ich glaube die Zeit habe hineingegriffen<br />

und ihre Spuren in ihm zurückgelassen,<br />

die düsteren Nischen der eingesunkenen<br />

Augen, die schlaffen Wangen: senile Bäckchen:<br />

Beutelchen eines Kleinkindes, aber<br />

heruntergerutscht in die untere Hälfte des<br />

Gesichtes, greisenhaft, hässlich, clownesk,<br />

die vertrackten Nervenbahnen, die gemergelten<br />

Füße, der faltenverschnürte Leib.“<br />

Schauen wir uns um! Wo sehen wir das so<br />

gezeichnete Alter? Der junge Körper, der<br />

zugleich als Idealbild des Körpers kodiert<br />

ist, wird zur Norm erhoben und ist überall,<br />

wo es etwas zu verkaufen gibt präsent.<br />

Der alternde Körper dagegen wird als<br />

problematisch wahrgenommen, er ist ein<br />

außer - ordentlicher Körper, der aus dem<br />

Rahmen fällt und als solcher eine ästhetische<br />

Zumutung. Bei Medizinern weckt er<br />

das Reparaturbedürfnis, bei Angehörigen<br />

Überforderungs – oder Abschiebungsgedanken<br />

und bei Gesundheitspolitikern<br />

Vernichtungsimpulse. Der alte, hinfällige<br />

Körper ist nahezu unsichtbar faktisch und<br />

medial. Man sehe sich dazu die in der<br />

kommerziellen Werbung genutzte Darstellung<br />

von Alter an, z.B. die Werbeanzeige des<br />

Schweizer Uhrenfabrikanten Patek Philippe,<br />

2009, aus der Serie „Timeless Portraits“,<br />

wo ein smarter Eidgenosse um die 50+ mit<br />

vollem Haupthaar und faltenlos dem Sohn<br />

seinen Chronometer und demnächst die<br />

Firma vererbt. Hat also die Biomedizin ihr<br />

Programm erfolgreich umgesetzt? Oder hat<br />

der auf sich selbst gerichtete Blick die Alten<br />

so verstört, dass sie sich vor der Welt verbergen?<br />

In einem seiner fotografi sch inspirierten<br />

„snapshots“ Selbstbildnis im Supermarkt<br />

beschreibt Rolf Dieter Brinkmann wie eine<br />

solche Begegnung verlaufen sein könnte:<br />

In einer großen Fensterscheibe des Supermarkts<br />

komme ich mir selbst entgegen, wie ich bin.<br />

Der Schlag, der trifft, ist nicht der erwartete<br />

Schlag aber der Schlag trifft mich trotzdem.<br />

Und ich geh weiter bis ich vor einer kahlen<br />

Wand steh und nicht weiter weiß.<br />

Gerade der Blick auf sich selbst ist der<br />

grausame, weil es der Blick der anderen ist.<br />

Wir sehen uns mit den Augen der anderen.<br />

Wenn also das Alter nahezu unsichtbar ist,<br />

wenn das Bekannte in etwas absichtlich Verborgenes<br />

verwandelt wird, etwas Öffentli-


ches in etwas Nicht-Öffentliches, ist es dann<br />

ein Geheimnis? Eine Heimlichkeit aufs<br />

beste ge- und behütet in Seniorenanlagen,<br />

Seniorenresidenzen, oder Domizilen für<br />

Senioren, wie KURSANA, einer Tochter<br />

der DUSSMANN-GRUPPE ihre Einrichtung<br />

nennt. Natürlich heißt heute kein<br />

Haus für die Alten mehr Altenheim. Dieser<br />

Begriff klingt nach Abschiebehaft und ist<br />

Angst besetzt. Er erregt Schauder und sofort<br />

fallen jedem Gruselgeschichten ein, die man<br />

gelesen hat. Ich würde – bei Seite gesprochen<br />

- mein Alter von der DUSSMANN<br />

- Gruppe managen lassen, denn die sind<br />

Management-Profi s, die neben Energie,<br />

Sicherheit, Gebäude, Büros, Catering auch<br />

noch Kultur managen und demnächst vielleicht<br />

Seniorensiedlungen mit integrierten<br />

Entsorgungsparks, wo die Jungalten vom<br />

Seniorenspielplatz - inzwischen zu Altalten<br />

geworden – als endzeitliche Pfl egeobjekte<br />

auf dem Rasen – über kurz oder lang – unterm<br />

Rasen Platz nehmen.<br />

Die Anti-Aging-Religion hat das Alter<br />

zu einem Mysterium gemacht. Sie, die<br />

lautstark das gesunde, positive, fröhliche,<br />

im Erscheinungsbild schöne Dasein propagiert,<br />

lässt die Körpervielfalt nicht mehr<br />

zu. Die ungebrochene Idealisierung von<br />

Jugendlichkeit und Schönheit bewirkt die<br />

Ausgrenzung des alternden und sterblichen<br />

Körpers. Während der asketische oder<br />

technisch (auf)gerüstete Körper so seine<br />

ästhetisch-erotisch Attraktivität maximiert<br />

und an das tradierte Ideal der klassischen<br />

Skulptur erinnert, erscheint der ‚gebrechliche<br />

Mensch’ aufgrund seines Alters, seiner<br />

Behinderung, seiner chronischen Erkrankung<br />

„als verkörperte Negation der Normen<br />

physischer und psychischer Fitness,<br />

Jugendlichkeit und Schönheit“ so problematisiert<br />

der Rehabilitationswissenschaftler<br />

Markus Dederich diese Sicht auf das<br />

Alter. Altern wird nach dem Verständnis<br />

dieser Religion nicht mehr als natürlicher<br />

Prozess betrachtet sondern als ein nichtwünschenswerter<br />

Zustand des menschlichen<br />

Lebens, den es zu vermeiden gilt. Die<br />

Anti-Aging-Religion stellt mich vor ihr<br />

höchstes Gericht und meine Körperteile<br />

sagen gegen mich aus. Ein Albtraum gegen<br />

den nur die Nervenkekse der Hildegard<br />

von Bingen helfen. Ich trage sie immer bei<br />

mir, wenn ich spazieren gehe. Sie enthalten<br />

50 Gramm Muskat, das in dieser Menge<br />

halluzinogen wirkt.<br />

Auf Spaziergängen beschäftigen mich immer<br />

allerlei Gedanken und weil es heute kaum<br />

noch eine Debattenkultur gibt, spreche ich<br />

beim Spazierengehen mit mir selbst – auch<br />

eine Marotte des Alters. Früher konnte man<br />

jederzeit einen diskutierfreudigen Kreis<br />

zusammen trommeln, der ein hingeworfenes<br />

Thema mit Gedanken bombardierte, heute….das<br />

ist ein weites Feld, über das ich jetzt<br />

nicht mit Fontane spaziere. Beim Spazierengehen<br />

halte ich mich an Robert Walser. Der<br />

geht spazieren, währenddessen ihn „allerlei<br />

Gedanken stark beschäftigen, weil sich beim<br />

Spazieren Einfälle, Lichtblitze und Blitzlich-<br />

ter ganz von selbst einmengen und einfi nden<br />

um sorgsam verarbeitet zu werden“. Man<br />

muss dem Blitzlichtgewitter standhalten, das<br />

sich im Kopf entlädt, während man über die<br />

Altersgrenze geht. Der Gang über Grenzen<br />

kann riskant sein. Man weiß nicht, was<br />

einen jenseits der Grenze erwartet und die<br />

Quälgeister, die man diesseits der Grenze<br />

zurückgelassen hat, können einem auch<br />

jenseits davon wieder aufl auern. Eine Grenze<br />

bedeutet Trennung, Ausschluss, Ende.<br />

Über die Altersgrenze zu gehen, ist kein<br />

Spaziergang, auch wenn das Flanieren im<br />

Park den Anschein hat. Zur Vorbereitung<br />

empfehle ich: Warm anziehen! Nervenkekse!<br />

Und gutes Schuhwerk mit Stahlkappen,<br />

wegen der Schilder!<br />

Literatur<br />

Aristoteles: De anima (II 3, 414b4-6), S.29)<br />

Bovenschen Silvia: Älter werden, 2006<br />

Dederich Markus, Zur medialen repräsentation<br />

alter behinderter Körper in der<br />

Gegenwart, in : Mehlmann Sabine, Ruby<br />

Sigrid « Für Dein Alter siehst Du gut<br />

aus ! », 20010<br />

De Montaigne, Michel: Essais<br />

De Montaigne, Michel: Letzter Essai,<br />

Von der Erfahrung<br />

Kursbuch 151, Das Alter, 2003<br />

Mayröcker, Friederike: Und ich schüttelte<br />

einen Liebling, 2005<br />

Walser, Robert: Der Spaziergang, 1978<br />

39


40<br />

Literatur in hochwertiger graphischer Gestaltung<br />

Der Wuppertaler Verlag<br />

Edition 52 hat das Genre der<br />

Graphic Novel zur Hochblüte<br />

gebracht<br />

Ully Arndt, Cartoons aus<br />

dem Playboy-Magazin<br />

Schon lange bevor große Buchverlage<br />

auf den mittlerweile unaufhaltsam rollenden<br />

Zug aufgesprungen sind, nämlich<br />

vor bereits 15 Jahren, haben der Sozialwissenschaftler<br />

Uwe Garske und der<br />

Buchhändler Thomas Schützinger mit<br />

der Gründung ihres Verlages „Edition<br />

52“ die Bedeutung des Genres der Graphic<br />

Novel erkannt, einen entscheidenden<br />

Schritt in einen neues Kapitel der<br />

Literatur gemacht und damit anderen<br />

die später kamen, den Weg geebnet.<br />

Zitieren wir aus einem Faltblatt, das von<br />

einer Interessengemeinschaft der Verlage<br />

Edition 52, Avant-Verlag, Reprodukt,<br />

Carlsen und Fischer herausgegeben wurde,<br />

um dem Publikum das neue Medi-<br />

um näherzubringen: „Graphic Novels sind<br />

Comics mit Themen, die sich nicht mehr<br />

nur an Kinder und Jugendliche, sondern<br />

an erwachsene Leser richten. (…) Erzählt<br />

wird eine Geschichte mit Bildern, die zu<br />

Sequenzen angeordnet sind. Den Themen<br />

sind wie im Film, der Literatur und dem<br />

Theater keine Grenzen gesetzt. (…)“<br />

Und es ist in der Tat so, daß die Themenpalette<br />

unerschöpfl ich ist, da der<br />

Zeichner der Graphic Novel nicht der<br />

Beschränkung auf einzig effektvoll lustige<br />

Plots unterliegt, sondern graphisch<br />

und technisch höchst anspruchsvoll Literatur<br />

umsetzt, die durchaus ernste und<br />

literarisch seriöse Stoffe aus Geschichte<br />

und Alltag, Poesie und Musik aufgreift.<br />

Mit beachtlichen 70 Titeln unterschied-


Rich Koslowski „The King“<br />

lichster Inhalte in höchster Qualität und<br />

von namhaften Zeichnern hat die Edition<br />

52 mittlerweile ein Programm aufgelegt,<br />

das den Verlag in die Spitzengruppe<br />

des Genres stellt. Uwe Garske: „Wir<br />

veröffentlichen ambitionierte Comic-<br />

Romane von anerkannten Autoren wie<br />

z.B. Seth, Jeff Lemire (Geschichten vom<br />

Land) oder Jamiri (Arsenic Album, Kamikaze<br />

d´Amour) und möchten daneben<br />

begabte Autoren/Zeichner fördern.“<br />

Die Edition 52 publiziert gleichermaßen<br />

deutsche wie internationale Zeichner<br />

und Autoren, die mit besonderem künstlerischem<br />

Anspruch an ihre graphische<br />

und literarische Arbeit herangehen. „Mo-<br />

derne Autoren-Comics, Graphic Novels<br />

mit internationalem Renommee und<br />

verschiedenster Herkunft fi nden bei uns<br />

eine publizistische Heimat“. Hierzu zählen<br />

u.a. die Künstler der „Nouvelle Ligne<br />

Claire“ - ein Schwerpunkt der Edition<br />

52, „deren Autoren wir auch zukünftig<br />

bevorzugt mitpublizieren werden.“ Daniel<br />

Torres (Der dunkle Wald), der Poet<br />

unter den Zeichnern und Geschichten-<br />

Erzählern Ulf K., Joost Swarte oder<br />

beispielsweise auch Jean Claude Floc´h<br />

sind neben den bereits oben Genannten<br />

Künstler, die international eine hohe<br />

Reputation haben und als Vertreter einer<br />

„modernen“ Ligne Claire international<br />

sehr bewundert werden.<br />

„Wut im Bauch“ und „Elende Helden“,<br />

von Baru, sozialkritisch graphische Erzählungen,<br />

die in Frankreich mehrfach<br />

prämiert wurden, gehören ebenso zum<br />

Verlagsprogramm wie „Ausgetrickst“<br />

von Alex Robinson, der bei den Harvey<br />

Awards 2006 den Preis als bestes<br />

Album / „Best Graphic Novel“ erhielt,<br />

Rich Koslowskis mysteriöse Story „The<br />

King“ und das grandiose Highlight<br />

„Wimbledon Green“ von Seth. Auch<br />

die Werke von Joe Matt (Peepshow)<br />

und Michel Rabagliati (Pauls Ferienjob)<br />

werden in der Edition 52 verlegt, eine<br />

Auswahl also, die sich durchaus mit<br />

internationalen Konkurrenten messen<br />

kann. Comics, Graphic Novels und<br />

Portfolios deutscher Künstler wie Ulf<br />

K. (Silence, Floralia, Sternennächte, Hieronymus<br />

B.), Reinhard Kleist (Johnny<br />

Cash, Luxus-Edition), Boris Kiselicki,<br />

Uli Oesterle (Der halbautomatische<br />

Wahnsinn, Frass), Calle Claus (Findrella),<br />

Tim Dinter, Frank Schmolke (Die<br />

Schuld von Moby Dick), Ully Arndt<br />

(Playboy-Cartoons), Jule K. (Cherry<br />

Blossom Girl, Love Rehab) - um nur<br />

einige zu nennen – haben ebenfalls eine<br />

Heimat bei der Edition 52 gefunden.<br />

Wer bislang vielleicht etwas geringschätzig<br />

die Stirn gerunzelt hat, wenn<br />

das Gespräch auf den Begriff „Comics“<br />

kam, wird umdenken müssen. Hier<br />

ist ein anspruchsvolles neuen Medium<br />

entstanden, das vielleicht sogar in der<br />

Lage sein wird, die leseunlustig gewordene<br />

junge Generation mit den Mitteln<br />

des brillant gezeichneten Comics,<br />

besser und richtiger: der Graphic Novel<br />

wieder an die Literatur heranzuführen.<br />

Denken wir nur daran, daß es etwas<br />

verwandtes auch schon vor über 50<br />

Jahren gegeben hat, die „Illustrierten<br />

Klassiker“ die von 1956–1972 vor<br />

allem der Jugend literarische, historische<br />

und populäre Stoffe vermittelten.<br />

So wie sie sich bewährt haben, wird<br />

auch die Graphic Novel ihren festen<br />

Platz erobern – und dank der besseren<br />

beteiligten Künstler ihn auch über die<br />

Zeitläufe behaupten.<br />

41


42<br />

Silence 1, 2 und 10 (von oben nach unten)<br />

Silence -<br />

Ulf K. macht die Stille sichtbar<br />

Ulf K.’s „Silence“ gehört zum Berührendsten,<br />

was mir je in die Finger<br />

gekommen und mir intensiv unter die<br />

Haut gegangen ist.<br />

Selten bekommt man die Gelegenheit, so<br />

zarte und aussagekräftige Sujets der Stille zu<br />

sehen, wie sie der in Oberhausen geborene<br />

und jetzt in Düsseldorf lebende Zeichner<br />

und Cartoonist Ulf K. für sein Portfolio „Silence“<br />

geschaffen hat. Aus dem Jahr 2001,<br />

also seiner Pariser Zeit stammend, sind die<br />

10+1 auf feinem 240 Gramm Papier Rivoli<br />

exzellent gedruckten Blätter im Format<br />

12,4 x 16,4 cm eine Delikatesse, zeichnerisch<br />

wie drucktechnisch. 444 Exemplare,<br />

begleitet von einem Büchlein gleichen<br />

Formats und Inhalts und in eine gediegene<br />

Schachtel gelegt, brachte der spezialisierte<br />

Pariser Verlag Éditions Le 9ème Monde<br />

damals in den Verkauf. Die Schachtel trägt<br />

auf dem Deckel eine Vignette von Ulf K.,<br />

die als Deckblatt des Portfolio wiederkehrt.<br />

Die zehn verzauberten und bezaubernden<br />

Szenen zeigen berührende Momente der<br />

Stille, die Sprachlosigkeit eines zerstrittenen<br />

Paares, die Zufriedenheit im Einklang<br />

mit sich selbst, die leise, tiefe Trauer, zarte<br />

Mutterliebe, den Kummer des Unverstandenen,<br />

die Behaglichkeit des Heims mit<br />

Buch und Katze oder einem Goldfi schglas<br />

und die Erfüllung in körperlicher Liebe. Ulf<br />

K. versteht die in grau-oliv weich abgetönten<br />

Schwarz-Weiß-Kontrasten gezeichneten<br />

Situationen mit einer Form von Stille<br />

auszustatten, die man glaubt mit den Fingerspitzen<br />

fühlen, beim Atmen einsaugen,<br />

ja sogar hören zu können. Die Faszination,<br />

die den Betrachter einfängt, wiederholt sich<br />

Mal um Mal. Die Stimmungen der Bilder<br />

stecken an. Mit sensiblem Gefühl für den<br />

Moment, den leisen Augenblick läßt Ulf K.<br />

uns an intimsten Situationen teilnehmen.<br />

Edition 52<br />

Hofaue 55, 42103 Wuppertal<br />

Kontakt: Tel. 0202-735772 und<br />

info@Edition52.de<br />

Web-Seite: www.Edition52.de<br />

Weitere interessante Web-Seiten sind:<br />

www.fantagraphics.com<br />

www.grafi k-novel.info<br />

Frank Becker<br />

Peter Krämer<br />

WP/StB<br />

Andreas Niemeyer<br />

WP/StB<br />

Thomas Pintzke<br />

StB<br />

Katrin Schoenian<br />

WP/StB<br />

Dr. Jörg Steckhan<br />

RA/WP/StB<br />

Peter Temmert<br />

WP/StB<br />

Anke Jagau<br />

RA/StB<br />

Susanne Schäfer<br />

StB<br />

Stephan Schmacks<br />

StB<br />

VIEL<br />

MEHR<br />

ALS<br />

NUR<br />

STEUERN<br />

RINKE TREUHAND GmbH Wirtschaftsprüfungs-/Steuerberatungsgesellschaft<br />

Wall 39 – 42103 Wuppertal – 0202 2496-0<br />

www.rinke.eu Unternehmensberatung – Steuerberatung – Wirtschaftsprüfung


Höfl ichkeit<br />

Andreas Steffens,<br />

Schriftsteller und Philosoph; lebt in<br />

Wuppertal; 2009 Träger des Springmann-<br />

Preises; 2010 erschienen von ihm im<br />

NordPark Verlag „Gerade genug. Essays<br />

und Miniaturen“ und „Vorübergehend.<br />

Miniaturen zur Weltaufmerksamkeit“.<br />

Soeben erschien dort: „Ontoanthropologie.<br />

Vom Unverfügbaren und seinen Spuren“,<br />

sowie im Athena-Verlag die kunstphilosophische<br />

Studie „Selbst-Bildung. Die<br />

Perspektive der Anthropoästhetik“<br />

Ich bin der höfl ichste Mensch von der Welt. Ich tue mir was darauf zu Gute, niemals grob<br />

gewesen zu sein auf dieser Erde (1) .<br />

Wer könnte dies heute noch uneingeschränkt von sich behaupten wie Heinrich<br />

Heine zu Beginn seiner Schilderung einer Italienreise im Jahr 1828? Ja, wer empfände es<br />

noch als erstrebenswert, gar als ein Ideal, dies von sich sagen zu können?<br />

Das liegt nicht nur am historischen Abstand. Die Gesellschaft, in der Höfl ichkeit ein<br />

Wert selbstverständlicher Verbindlichkeit war, gibt es nicht mehr. Daraus zu schließen,<br />

Höfl ichkeit sei gesellschaftlich bedeutungslos geworden, hieße, die Grundbedingungen<br />

jedes gesellschaftlichen Lebens verkennen. Ihre Beziehung zur Höfl ichkeit und deren<br />

Geltung in ihr, sind vielmehr ein Zeichen dafür, wie gut oder schlecht eine gegebene<br />

Gesellschaft ihre elementaren menschlichen Pfl ichten erfüllt. Eine Gesellschaft, die Höflichkeit<br />

nicht mehr kennen wollte, wäre eine, die es aufgegeben hätte, eine menschliche<br />

sein zu wollen.<br />

Bei Hofe ging es grob zu, aber nach feinen Regeln. Sie hatten die tatsächlichen Feindschaften<br />

hinter der Maske des Höfl ings zu verstecken. Die offenen zu verbergen, und<br />

die verborgenen verborgen zu halten. Das gesprochene freundliche Wort war Tarnung<br />

so sehr wie Puder, Parfum und Perücke. Es verbarg den feindlichen Gedanken. Da der<br />

Höfl ing nicht weiß, wer tatsächlich Freund, wer Feind ist, muß er jeden behandeln, als<br />

wäre er Freund, und vor jedem als möglichem Feind auf der Hut sein (2) .<br />

43


44<br />

Als Erbe des Höfl ings, der ein Heuchler<br />

sein musste, um zu überleben, blieb<br />

Höfl ichkeit lange ein Synonym für Verstellung.<br />

Es dauerte einige Generationen,<br />

bis auch die bürgerliche Gesellschaft, die<br />

die aristokratische verdrängt hatte, sie als<br />

einen eigenen Wert entdeckte, und übernahm.<br />

Denn in ihr trat an die Stelle des<br />

Kampfes der Höfl inge um die Gunst des<br />

Fürsten, von der ihre Stellung abhing, die<br />

Konkurrenz der Wirtschaftsbürger, deren<br />

ökonomischer Erfolg am Markt über ihr<br />

gesellschaftliches Sein entschied.<br />

Gegenwärtig also bezeichnet das Wort<br />

Höfl ichkeit nicht mehr die courtoisie, oder<br />

streng höfi sche Sitte, sondern die Gewohnheit<br />

und Kunst in jeglicher Beziehung von<br />

Menschen zu Menschen, im Reden, wie<br />

im Handeln, stets den zu treffenden Ton<br />

zu fi nden und anzuschlagen. Ihr sind die<br />

Begriffe Behaglichkeit, Unbefangenheit,<br />

Behendigkeit, Anstand, Freundlichkeit, Bereitwilligkeit,<br />

Dienstwilligkeit, Ehrerbietung<br />

und jener allgemeine Ton untergeordnet,<br />

welcher alle vorangenannten Eigenschaften,<br />

gleich einem musikalischen Grundtone, mit<br />

einander verknüpft und harmonisirt.<br />

Ihr Prinzip ist stets dasselbe: der<br />

gütige, der positive Wille (3) . Als der Baron<br />

von Rumohr diese Bestimmung 1834<br />

formulierte, gab es noch Höfe, und die<br />

sich gerade ausbildende bürgerliche Gesellschaft<br />

hatte noch nicht ihre endgültige<br />

Form gefunden, die erst mit der Industrialisierung<br />

der Ökonomie ausgeprägt<br />

werden sollte.<br />

Ein spätes Echo jener Fragwürdigkeit<br />

des ‚Höfi schen’ als Ursprung der Höflichkeit<br />

ist das Unbehagen, mit dem man<br />

noch heute einen Zeitgenossen als „ausgesucht<br />

höfl ich“ gekennzeichnet fi ndet: als<br />

verstecke sich im Lob eine Warnung vor<br />

Arroganz und Verstellung, die Unehrlichkeit<br />

und Bosheit verhüllen.<br />

Der Kleinbürger, zu dem die Nutznießer<br />

der Weltwirtschaftsgesellschaft<br />

wurden, seitdem der liberale Kapitalismus<br />

verschwand, dessen gesellschaftliche<br />

Stellung das ökonomische System für ihn<br />

festlegt, ohne seinen individuellen Einsatz<br />

dabei mehr zu berücksichtigen, darf in ihr<br />

nur noch eine unverbindliche Altertümlichkeit<br />

sehen: Rentnernostalgie.<br />

Niemand wirft einem mehr einen<br />

Handschuh vor die Füße, niemand<br />

schickt mehr einen Fehdebrief. Die Codes<br />

der Auseinandersetzung haben sich nicht<br />

nur geändert, sie sind bei gleichzeitiger<br />

Abnahme von Subtilität und symbolischer<br />

Präzision verborgener geworden, als sie<br />

es in den Zeiten einer streng geordneten<br />

Gesellschaft waren und sein mußten, da<br />

jeder seine klar bestimmte Position, seinen<br />

Rang und seine Funktion besaß. Im Zeitalter<br />

des universalen Kleinbürgertums, in<br />

dem Rang als symbolischer Wert ebenso<br />

verloren gegangen ist wie Ehre, gibt es nur<br />

noch den einen, auf alles angewandten<br />

Wert der ökonomischen Potenz, über die<br />

von der eigenen Stellung im Verwertungssystem<br />

der monetarisierten Ökonomie<br />

entschieden wird: Besitz an, oder Verfügungsgewalt<br />

über, Geld weist nun jedem<br />

seinen Ort in der Gesellschaft an.<br />

Nun wird auch der ‚Wert’ des<br />

einzelnen Menschen zum Posten betriebswirtschaftlicher<br />

Kosten-Nutzen-<br />

Kalkulationen. Nur der, der in einer<br />

solchen Kalkulation einen Platz auf der<br />

Nutzen-Seite einnimmt, verfügt über<br />

gesellschaftlichen Wert. Der ‚menschliche<br />

Faktor’ ersetzt den Menschen (4) .<br />

In der Folge verschwinden die konkreten<br />

Menschen. Wer nicht nachweislich<br />

Teil einer Bilanzoptimierung ist, dessen<br />

Existenz hat keinen gesellschaftlichen Ort<br />

mehr: er wird zur Last des Überfl üssigen.<br />

Der Mensch ist zum Störfaktor der Bereicherungsökonomie<br />

geworden. Sie kennt<br />

nur noch eine Regel, deren erfolgreiche<br />

Befolgung das Recht auf gesellschaftliches<br />

Dasein garantiert: setz dich durch, mit allen<br />

Mitteln, und erhöhe den Profi t dessen,<br />

für den du deine Arbeitskraft einsetzen<br />

darfst, und verzichte auf deinen Anteil an<br />

deren Ertrag.<br />

Nichts könnte dazu in größerem Gegensatz<br />

stehen als die Grundlage der Höflichkeit:<br />

die bedingungslose Anerkennung<br />

des Seinsrechts des Anderen. Wer sich<br />

höfl ich verhält, übt Toleranz in der direkten<br />

Begegnung mit einem Andersartigen.<br />

Höfl ichkeit als Daseinsanerkennung wird<br />

zur Grundlage gesellschaftlichen Miteinanderlebens,<br />

wenn sie in allgemeiner<br />

Gegenseitigkeit praktiziert wird.<br />

Ihr Gegenteil, hat die Gleichgültigkeit<br />

zum Wesenskern, deren äußerste Konsequenz<br />

das Einverständnis mit dem Nichtsein<br />

des Anderen ist: mit seinem Tod.<br />

Die Unhöfl ichkeit ist dem Faustrecht im<br />

Bürgerkrieg aller gegen alle so nah, wie die<br />

Höfl ichkeit dem Recht der zivilisierten<br />

Gesellschaft, die jedem ihrer Mitglieder<br />

das Recht auf Leben gewährleistet.<br />

Da alle füreinander ausschließlich<br />

Konkurrenten sind, begegnen sie einander<br />

unablässig mit heimlichen Schlichen<br />

einer informellen Gegnerschaft, die nicht<br />

offengelegt werden darf. Das letzte Tabu<br />

nach der Enterotisierung der Sexualität<br />

in einem allgegenwärtigen Körperkult ist<br />

die tatsächliche Unverträglichkeit aller<br />

füreinander, deren Beziehungen vom ökonomischen<br />

Grundsatz der ausnahmslosen<br />

Konkurrenz bestimmt werden.<br />

Niemand muß der verborgenen<br />

Feindschaft auf Schritt und Tritt so gewärtig<br />

sein wie der ‚Parteifreund’, nach dessen<br />

Funktionärsposten unablässig mehr<br />

Konkurrenten gieren, als er kennen kann,<br />

vor deren heimlicher Illoyalität keine gemeinsamen<br />

‚Grundüberzeugungen’, kein<br />

Einstehen für eine ‚gemeinsame Sache’<br />

mehr schützen, seit das ‚Gemeinwohl’<br />

zum Spielball des Postenkungelns einer<br />

Gemeinheit aller gegen alle zum Zweck<br />

der Optimierung des Wohles einiger<br />

gegen das der vielen verkam.<br />

Die Verweigerung der Höfl ichkeit,<br />

die kalkulierte Geste der Unhöfl ichkeit<br />

ist gleichbedeutend der Erfi ndung eines<br />

Feindes. Der herausfordernde Blick, der<br />

Blick, der übersieht, wo gesehen werden<br />

sollte, die ironische oder höhnische<br />

Bemerkung, das Schweigen, das die<br />

schuldige Antwort versagt, die gezielte<br />

Ignoranz gegenüber der Leistung aller, die<br />

keiner ‚pressuregroup’ angehören, entwerten<br />

nicht nur, sondern entwirklichen den,<br />

dem sie gelten.<br />

Jede Feindschaft ist in ihrem Kern<br />

Todfeindschaft: ihr Gegenstand soll nicht<br />

sein. Der Feind ist der Andere, der nicht<br />

sein soll, weil er das eigene Sein in Frage<br />

stellt. Wie sehr die Stimmung in der<br />

Gesellschaft der Bereicherungsökonomie<br />

unterschwellig von der Sehnsucht nach<br />

Feindschaft beherrscht ist, verrät der nicht<br />

mehr nur unter Teilnehmern wochenendlicher<br />

Management-Seminare beliebte<br />

‚killer’-Instinkt, der zu ‚Führungspositionen’<br />

angeblich besonders geeignet macht.<br />

Unhöfl ichkeit ist die latente Aggression,<br />

die auf den Anlaß lauert, hervorzutreten.<br />

Sie signalisiert die Bereitschaft<br />

zur Feindseligkeit. Sie warnt: sieh dich<br />

vor, ich beobachte dich, und warte auf


deinen Fehler, der mir ermöglichen wird,<br />

dich offen als den Feind zu behandeln,<br />

als den ich dich sehen will. Unhöfl ichkeit<br />

ist Herausforderung zum Konfl ikt durch<br />

den, der davon überzeugt ist, aus ihm als<br />

Sieger hervorzugehen.<br />

Höfl ichkeit dagegen ist Freundschaft<br />

auf Distanz zwischen Fremden. Auf<br />

Gegenseitigkeit geübt, macht sie die<br />

gemeinsame Welt für ihre Angehörigen<br />

freundlich. Ihre Gesten signalisieren den<br />

Verzicht auf Feindseligkeit.<br />

Höfl ichkeit kann nur üben und<br />

erfahren, wer den anderen als Person<br />

wahrnimmt, und von ihm als Person<br />

wahrgenommen wird. In der Gesellschaft<br />

des totalen ‚homo oeconomicus’ jedoch<br />

darf jeder alle nur noch in ihrer System-<br />

Funktion wahrnehmen.<br />

In ihrer Ausdehnung auf alle Lebensbereiche<br />

hat die Totalisierung der<br />

ökonomischen ‚Werte’ die alte humane<br />

Trennung von gesellschaftlichem und<br />

privatem Leben aufgehoben. Privatleben<br />

wurde tendenziell aozial. Wer auf seiner<br />

Privatsphäre besteht, gibt zu erkennen,<br />

dass er sich dem Anspruch der totalen<br />

Verwertung seiner Person widersetzt.<br />

Der medial existierende Mensch ist<br />

der öffentliche Mensch, sein Modell<br />

der ‚Prominente’, dessen Intimsphäre<br />

unablässig veröffentlicht wird. Höfl ichkeit<br />

dagegen ist Achtung für die Sphäre des<br />

Privaten, in der einer unabhängig von<br />

seiner gesellschaftlichen Funktion sein<br />

kann, was er als Person ist.<br />

Der höfl iche Mensch, der sich nicht<br />

nur höfl ich verhält, sondern höfl ich<br />

ist, nimmt den anderen, mit dem er in<br />

Beziehung steht, vor der Blöße seiner<br />

Wahrheit in Schutz. Gegenseitig geübt,<br />

ist die Höfl ichkeit eine Rückversicherung<br />

gegen Enttarnung unverzichtbarer<br />

‚Lebenslügen’. Die Wahrheit zu verbergen,<br />

sie hinter Vorhängen zu halten (5) , ist<br />

eine Geste der Humanität als gegenseitige<br />

Schonung. Der Höfl iche übersieht, was<br />

sein Gegenüber in Verlegenheit setzen<br />

müsste, würde es bemerkt; der tüchtige<br />

Funktionär der totalen Ökonomie nutzt<br />

es im allumfassenden, nie ausgesetzten<br />

und keine Lebenssituation auslassenden<br />

Konkurrenzkampf gezielt für seine<br />

Zwecke aus.<br />

So verkehrt der Unhöfl iche die<br />

Aufmerksamkeit, mit der Höfl ichkeit<br />

verwirklicht wird, in ihr Gegenteil.<br />

Die Aufmerksamkeit ist keine Regel, die<br />

man kennt und einhält oder verletzt; sie gehört<br />

zum Fundament der Person. Aufmerksamkeit<br />

ist eine Grundhaltung des Menschen<br />

der Welt gegenüber. Der Aufmerksame<br />

hat sich entschlossen, nicht sich selber,<br />

sondern die ihn umgebenden Phänomene<br />

zu betrachten, man könnte auch sagen, sich<br />

selbst ausschließlich im Spiegel der anderen<br />

wahrzunehmen. Er blickt die Menschen,<br />

die ihm begegnen, an. Diese Menschen sind<br />

ihm wichtig. (…). Nur, dass der Aufmerksame<br />

von ihnen nicht profi tieren möchte.<br />

Seine Aufmerksamkeit ist seine Natur. Es ist<br />

wichtig, Menschen zu erkennen, sie haben<br />

ein Recht darauf. (…). Der Aufmerksame<br />

hat nicht vergessen, wer eine Fischallergie<br />

hatte; er wird dem Elternpaar, das Kummer<br />

mit seinen Kindern hat, nicht von den<br />

Erfolgen der eigenen berichten; er kennt die<br />

Stellen im Zimmer, an denen am wenigsten<br />

Zug herrscht, und weiß, wen er dorthin<br />

platzieren wird (6) .<br />

Nur dort, wo die Aufmerksamkeit am<br />

wichtigsten ist, in der exklusiven Liebesbeziehung,<br />

die die Welt ausschließt, gibt<br />

es keine Höfl ichkeit, weil sie verhinderte,<br />

ihr größtes Bedürfnis nach größtmöglicher<br />

körperlicher Nähe zu befriedigen.<br />

Hier kann das grobe Wort die letzte<br />

Distanz zum Verschwinden bringen, das<br />

im gesellschaftlichen Umgang die Distanz<br />

herstellt, die der, dem es gilt, nicht einzuhalten<br />

bereit ist.<br />

In einer Welt, die durch unablässige<br />

Zunahme der Bevölkerung für jeden<br />

Einzelnen immer enger wird, muß die<br />

Fähigkeit, sich die anderen im Umgang<br />

mit ihnen vom Leib zu halten, wie sie sich<br />

in der Frühzeit der bürgerlichen Gesellschaft<br />

als Selbstbildung des Individuums<br />

ausprägte und einen neuen gesellschaftlichen<br />

Kodex akzeptierter Umgangsformen<br />

entstehen ließ, aufs neue zu einer<br />

Grundfähigkeit all derer werden, die sich<br />

die Lebensform des Individuums bewahren<br />

wollen. Abstand zu halten, wird zum<br />

Handgriff einer neuen Kunst gesellschaftlicher<br />

Virtuosität, Nähe so zu dosieren,<br />

dass sie einen nicht von sich selbst fern<br />

rückt, ohne dabei ins Hintertreffen im<br />

totalen Konkurrenzspiel zu geraten,<br />

dessen Erfolg oder Mißerfolg darüber<br />

entscheidet, welche Lebensform man sich<br />

leisten kann.<br />

Das Verschwinden der Höfl ichkeit als<br />

selbstverständliche Umgangsform signalisiert<br />

ein Verblassen des Gemeinsinns, dessen<br />

Schwäche nichts anderes ist als eine<br />

Erscheinungsform der Lebensschwäche.<br />

Aber auch die Lebensklugheit gebietet<br />

uns höfl ich zu sein, und nicht verdrießlich<br />

zu schweigen, oder gar Verdrießliches zu<br />

erwidern, wenn irgend ein schwammiger<br />

Kommerzienrat oder dürrer Käsekrämer<br />

sich zu uns setzt, und ein allgemein europäisches<br />

Gespräch anfängt mit den Worten:<br />

„Es ist heute eine schöne Witterung.“ Man<br />

kann nicht wissen, wie man mit einem<br />

solchen Philister wieder zusammentrifft,<br />

und er kann es uns dann bitter eintränken,<br />

dass wir nicht höfl ich geantwortet: „Die<br />

Witterung ist sehr schön.“ (7) .<br />

Der grenzenlose Egoismus muß diese<br />

‚Lebensklugheit’ verlieren, die auf dem<br />

einfachen Bewußtsein der Unmöglichkeit<br />

beruht, alleine zu leben. Wer die anderen<br />

aus seiner Gesellschaft ausschließt,<br />

schließt sich selbst aus der Gesellschaftlichkeit<br />

aus, die darauf beruht, dass der<br />

Mensch ein Lebewesen der Selbstbehauptung<br />

auf Gegenseitigkeit ist.<br />

(1) Heinrich Heine, Italien (1828), in: ders., Sämtliche Schriften, hg. von Klaus Briegleb, Bd. 3, Ffm-Berlin-Wien 1981, 311-389; 315<br />

(2) Gracian, Balthasar, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647), dt. von Arthur Schopenhauer, Stuttgart 1978<br />

(3) Carl Friedrich von Rumohr, Schule der Höfl ichkeit für Alt und Jung, 2 Bde., Stuttgart-Tübingen 1834/35; 51 f.; 53<br />

(4) François Emmanuel, Der Wert des Menschen. Roman, München-Zürich 2002<br />

(5) Andreas Steffens, Hinter Vorhängen oder Von der Wahrheit, in: ders., Gerade genug. Essays und Miniaturen, Wuppertal 2010, 13-18<br />

(6) Asfa-Wossen Asserate, Manieren, Ffm 2003, 39 f.<br />

(7) Heine, Italien, 315<br />

45


46<br />

Fundsache<br />

Ulrich Land<br />

Geboren 1956 in Köln. Freier Autor seit<br />

1987. Romandebüt: „Der Letzte macht<br />

das Licht aus“, Münster 2008.<br />

Jüngste Romanveröffentlichung: „Einstürzende<br />

Gedankengänge“, Münster 2010.<br />

Im Übrigen Lyrik, Prosa, Essays und fast<br />

hundert Hörspiele und Radiofeatures.<br />

Herausgeber von Anthologien und mehrfach<br />

von Literaturzeitschriften.<br />

Dozent für „creative writing“ an der Uni<br />

Witten/Herdecke.<br />

Mehrere Auszeichnungen, u. a. Kölner<br />

Medienpreis; Hörspiel-Stipendien der<br />

Filmstiftung NRW und des nordrheinwestfälischen<br />

Kulturministeriums.<br />

Ulrich Land<br />

Höhenweg 60<br />

45529 Hattingen<br />

Tel.: 02052 / 807 22<br />

Email: ulrichland@gmx.de<br />

Web: www.ulrichland.de<br />

Na ja, ich bitte Sie! Fahren Sie mal jeden Tag – Wochen, Monate, Jahre, ein halbes Leben,<br />

jeden Tag – immer die gleiche Strecke. Gut, da gibt‘s jetzt bei der Schwebebahn nicht<br />

viel Auswahl. Wupper rauf Wupper runter. Jedenfalls wär Ihnen auch anders geworden.<br />

Ganz anders.<br />

Es war: Wupper runter. Wie jeden Tag um die Zeit – und plötzlich – plötzlich ist<br />

alles anders! Dieser Handschuh. Der musste einem einfach ins Auge springen. Leuchtend<br />

weiß, wie er war. Aber keiner außer mir schien diese Kirschblüte im Ständerwerk bemerkt<br />

zu haben. Hoch droben – ich meine, von der Schwebebahn aus natürlich: unten – hoch<br />

im Gestängegestakse. Irgendwie anrührend. Hätte Sie auch mitgenommen, der einsame<br />

Handschuh. Wie er sich da mit fl achen Fingern festklammerte. Mit dreien seiner Finger.<br />

Daumen und Zeigefi nger hingen schlaff faltig herab und beteiligten sich nicht an der<br />

Mühe, diese halsbrecherische Position zu wahren. Wenn‘s nach ihnen gegangen wär, wäre<br />

die Reise abwärts in die Wupper einfach fortgesetzt worden. Wurde sie aber nicht. Die<br />

drei andern Kollegen Handschuhfi nger hatten das Gestänge gut im Griff. Diese irrsinnige,<br />

tagelang, wochenlang anhaltende Anstrengung dieser drei verlorenen Handschuhfi nger,<br />

das war‘s, was mich so schwermütig stimmte.<br />

Von nun an wurde ich jeden Tag, an dem ich da vorbeiruckelte, magisch angezogen<br />

von diesem fl ügellahmen weißen Schmetterling da oben und seinem Geheimnis. Stand<br />

für mich außer Frage, dass das jungfräuliche Stück einer jungen Dame gehörte. Nein,<br />

ich kenne sie nicht. Sie kämmt ihr goldenes Haar, sie kämmt es mit goldenem Kamme<br />

und singt ein Lied dabei, das hat eine wundersame, gewaltige Melodei. Ausgeschlossen,<br />

dass die bildschöne Besitzerin ihren Handschuh so hoch hätte hinauf werfen können. Bei<br />

diesen schmalen Fingern, dieser zierlichen Statur, diesem eleganten Mantel. Und wozu<br />

auch? Wozu hätte sie das Ding da rauf katapultieren, das Frieren der einen Hand in Kauf<br />

nehmen sollen!<br />

Und es war hier auch weit und breit kein Haus, aus dessen Fenster jemand dieses<br />

fl atterhafte Corpus Delicti hätte pfeffern können. Irgendwann nach Tagen und Tagen des<br />

Vorbeifahrens einigte ich mich mit mir – nein nein, nicht weil ich davon total überzeugt


gewesen wäre, sondern damit ich diese<br />

bohrende Frage loswurde, mich freischwimmen<br />

konnte aus dem Strudel dieser<br />

klaffenden Erklärungslücke – einigte ich<br />

mich mit mir darauf, dass diese weiße<br />

Fünffi ngermöwe direkt aus der Schwebebahn<br />

zum Sinkfl ug angesetzt haben<br />

musste. Der Schönen in der Schwebe aus<br />

der Handtasche gefallen. Oder aus der<br />

Manteltasche. Auf dem Boden von unachtsamen<br />

Füßen hin- und hergeschoben und<br />

schließlich durch die Gummilippen der<br />

Wagentür gequetscht – aus den Augen aus<br />

dem Sinn.<br />

Stimmt, Sie haben recht. Dann hätte<br />

der Handschuh nicht in diesem Gestänge<br />

landen können, bei dem Winkel, mit dem<br />

sich die Ständer schräg unter der Schwebebahn<br />

zum Flussufer spreizen, da hätte er<br />

nur schnurstracks bei den Fischen landen<br />

können. Also muss ihn irgendein jugendlicher<br />

Übeltäter der Goldblonden stibitzt<br />

und mit kraftvollem Schwung aus dem<br />

Handgelenk durch einen der Klappfensterschlitze<br />

der Schwebebahn geworfen haben.<br />

Ja. So war‘s.<br />

Die Frage nach dem Wer, nach dem<br />

Namen des armen Opfers interessierte<br />

mich nicht im Entferntesten. Mitnichten.<br />

Ich hatte sie ohnedies genau vor Augen.<br />

Nein, die Frage, die mir jetzt nach der<br />

Klärung des Entwendungsdeliktes das<br />

Hirn zermarterte, war die, wie sich das<br />

Drama weiter gestalten würde. Der traurige<br />

Anblick würde sich ja nicht einfach so<br />

aufheitern. Im Gegenteil. Jeden Tag, den<br />

das schneeweiße Geschöpf in seinem kalten<br />

Gestänge Wind und Wetter ausgesetzt<br />

war, bedeutete beträchtliche Einbußen an<br />

jungfräulicher Reinheit. Wurde Tag für<br />

Tag unansehnlicher. Schon nach kurzer<br />

Zeit hatte es den Charakter schmuddliger<br />

Novembermontagnachmittage angenommen.<br />

Fahlgelb, dreckig. Tat einem in der<br />

Seele weh.<br />

Es musste gehandelt werden. Das werden<br />

Sie als Hüter von Recht und Ordnung<br />

verstehn!<br />

Ich gab der unglücklichen Schönen<br />

noch fünf Tage, den verlustig gegangenen<br />

Handschuh aus seiner misslichen Lage zu<br />

befreien. Als sie auch diese Frist trauernd<br />

womöglich, doch tatenlos verstreichen<br />

ließ, war meine Stunde gekommen. Nachts<br />

um zwei. Ja, sicher. Und zwar nicht weil<br />

ich wie ein Strauchdieb die Dunkelheit<br />

gesucht hätte, sondern um Störungen<br />

des Schwebebahnbetriebsablaufes einerseits<br />

und meines höchste Konzentration<br />

erfordernden Unterfangens andererseits<br />

vorzubauen. Ich meine, immerhin galt es,<br />

die staksigen Ständer in stockfi nstrer Nacht<br />

aufzuentern.<br />

Stirnlampe und Klettersteigausrüstung<br />

hatte ich mir beim Alpenverein Sektion<br />

Unterbarmen Nordwest ausgeliehen. Aber<br />

womit ich nicht gerechnet hatte, dass die<br />

Füße sich bei jedem Schritt in den gekreuzten<br />

Streben verkanteten. Stechender<br />

Schmerz. Können Sie mir glauben, und ich<br />

bin nicht grade zimperlich. Aber immerhin,<br />

auf meine Hände konnte ich mich<br />

verlassen. Klammerten sich so fest um die<br />

schräggestellten Streben wie die Finger<br />

dieses ehedem so hübschen, gottverlassenen<br />

Handschuhs, den ich jetzt – fehlten noch<br />

zwölf, sieben, drei Zentimeter – den ich<br />

jetzt in Händen hielt! Endlich in Händen<br />

hielt.<br />

Und jetzt runter damit und rein damit<br />

in die Jackeninnentasche, dass das arm<br />

weiß Vögelein mit dem einen, dem gefi ngerten<br />

Flügel sofort ins Trockene kommt!<br />

Raus aus dem Schmuddel.<br />

Ja nein, wusste ich natürlich nicht,<br />

nicht zu dem Zeitpunkt, wohin mit dem<br />

geborgenen Schatz, wenn ich erst mal<br />

zu Hause angelangt sein würde. Jetzt,<br />

verdammt, hatte ich erst mal hier runter zu<br />

kommen. Ohne mir <strong>Nacke</strong>n und Knochen<br />

zu brechen. Bei dem Herzrasen! Das<br />

weniger der Angst vorm Abstieg geschuldet<br />

war als vielmehr dem Schatz, den ich am<br />

Herzen trug und der mir einen Kreislauftaumel<br />

nach dem andern durch die Gefäße<br />

jagte.<br />

Ich kam jedenfalls heil zu Hause an<br />

und auch das Objekt, das jetzt unter<br />

meinem Schutz, unter meinem persönlichen<br />

Schutz stand. Wie weggeblasen das<br />

Problem: wohin damit. Ich räumte ein<br />

Regalbrett hinter den Glastüren des von<br />

alten Küchenschrank meiner Großtante<br />

frei und gewährte dem Kleinod auf diese<br />

Weise einen staub- und feuchtigkeitssicheren,<br />

wiewohl stets einsehbaren Ehrenplatz.<br />

Ich war glücklich. Überglücklich.<br />

Zusätzlich beseelt von dem Gedanken<br />

– das ist auch der Grund, weshalb ich von<br />

da an nicht mehr nur zur Arbeit und wieder<br />

nach Haus fuhr, sondern auch etliche<br />

Stunden meiner durchaus knapp bemesse-<br />

nen Freizeit im ratternden Schwebezustand<br />

verbrachte, weshalb ich nicht selten bis<br />

Fahrplanende zwischen Oberbarmen und<br />

Vohwinkel hin- und herpendelte – zusätzlich<br />

beseelt also von der Hoffnung, eines<br />

Tages die traumschöne Goldblonde mit der<br />

zierlichen Figur unter elegantem Mantel zu<br />

treffen! Würde ich sie doch ohne jede Frage<br />

sofort an ihrem unruhigen Blick erkennen,<br />

mit dem sie die Bänke und den Boden des<br />

Schwebebahnwagens abtasten mochte auf<br />

der Suchen nach der verlorenen Preziose.<br />

Aber sie kommt nicht, sucht nicht,<br />

fährt nicht Schwebebahn. Vermutlich will<br />

sie den zweiten Handschuh nicht auch<br />

noch verlieren.<br />

Auch mein Gang zum Fundbüro trug<br />

keine Früchte. Erstens hat keine Dame einen<br />

weißen Handschuh vermisst gemeldet,<br />

und wenn, dann würde man mir zweitens<br />

aus Datenschutzgründen keinesfalls die<br />

Personalien zur Kenntnis geben.<br />

Ja nun, ich meine, ist ja doch sonnenklar,<br />

dass mir irgendwann etwas fehlen<br />

musste. Setzen Sie sich mal in die Schwebebahn<br />

und fahren 15 mal pro Tag rauf<br />

und runter, hin und her, kreuz und quer<br />

und nirgends, absolut nirgends hängt ein<br />

weißer Frauenhandschuh im Gestänge! Da<br />

wird man schier verrückt! Kriegt‘s mit der<br />

Angst zu tun. Der Horror ausgekochter<br />

Inhaltsleere. Das ist wie ein Nichts im<br />

Nichts. Ein schwarzes Loch in der Leere<br />

der Überfülle. Das ist, als würde man die<br />

ganze Zeit bloß nach der Bestätigung dafür<br />

suchen, dass einfach nichts da ist, dass in<br />

dem ganzen vorbeischwebenden Spektakel<br />

nichts ist, was einen aufmerken lässt.<br />

Logisch, dass ich da noch mal rauf<br />

bin. Wieder zu nachtschlafender Zeit.<br />

Den trostlosen Handschuh wieder dahin<br />

hängen wollte. Musste. Exakt gleiche<br />

Stütze, exakt gleiche Höhe, exakt gleiches<br />

Strebenkreuz. Aber, versteht sich, frisch<br />

gereinigt, jungfräulich weiß.<br />

So. Und jetzt kommen Sie mir nicht<br />

und sagen, ich sei vermutlich schon bei den<br />

Vorbereitungen der Expedition weniger<br />

umsichtig gewesen als bei der Erstbesteigung.<br />

Sie und kein anderer trägt die volle<br />

Verantwortung dafür, dass mich der Ihrerseits<br />

ausgelöste Martinshornschock auf<br />

Sturzfl ug in die fl achen Fluten der Wupper<br />

schickte und der Handschuh nicht wieder<br />

dort oben sitzt und tiriliert. Seine gewaltige<br />

Melodei.<br />

47


48<br />

Neue Kunstbücher<br />

Alte Meister<br />

Vorgestellt von Thomas Hirsch<br />

Giorgio Vasari, Das Leben des Sandro<br />

Botticelli, Filippino Lippi, Cosimo Rosselli<br />

und Alesso Baldovinetti, 205 S. mit 25<br />

farb. und 16 s/w-Marginalabb., Broschur,<br />

19 x 12 cm, Wagenbach, 14,90 Euro<br />

Ein alter Meister berichtet von den<br />

alten Meistern, denjenigen in Italien: Sukzessive<br />

bis 2014 veröffentlicht der Wagenbach<br />

Verlag die Schilderungen der Renaissancekünstler<br />

aus der Feder des italienischen<br />

Malers und Kunstschriftstellers Giorgio Vasari.<br />

Vasari ist aus der Kunstgeschichtsschreibung<br />

nicht wegzudenken, verdanken wir<br />

ihm doch erhebliche Einsichten zur Kunst<br />

des 14. bis 16. Jahrhunderts in Italien.<br />

Giorgio Vasari war selbst respektabler Maler<br />

des Cinquecento in Florenz, angesehen vor<br />

allem für seine Porträtmalerei, infolgedessen<br />

besaß er einen profunden und weitreichenden<br />

Einblick in das Metier. Als erste Sammlung<br />

von Künstlerviten in Verbindung<br />

mit einer Autobiographie gelten zwar die<br />

„Commentarii“ (um 1448) von Ghiberti.<br />

In der nordischen Renaissance gibt es<br />

dazu ein (auch die Antike bedenkendes)<br />

Pendant von Carel van Mander (1604) –<br />

bedeutender aber sind eben Giorgio Vasaris<br />

„Lebensbeschreibungen der berühmtesten<br />

Maler und Bildhauer“, die erstmals 1550<br />

im Druck vorlagen. Seine Künstlerportraits<br />

widmen sich Meistern aller künstlerischen<br />

Gattungen, sie sind überwiegend knapp<br />

gefasst, partiell legendenhaft und mitunter<br />

von Unkenntnis geprägt, stellen dann wieder<br />

Genealogien und Werkstätten klar und<br />

gehen auf wichtige Werke ein. Ausgehend<br />

von den antiken Tugenden der Mühsal und<br />

der Liebe zur Kunst entwirft Vasari hier<br />

eine zeitgenössische Vorstellung vom Künstler,<br />

der in Askese und Hinwendung den<br />

Gipfel der Kunst erklimmt. Mithin haben<br />

seine Biographien, so wahr oder unwahr<br />

sie waren, bereits in ihrem sprachlichen<br />

Duktus die Wahrnehmung der Künstler<br />

– und des Mythos vom Künstler – in der<br />

Nachwelt geprägt.<br />

Zunächst vom Kunsthistorischen Institut<br />

der Goethe-Universität Frankfurt/M.<br />

und heute vom Kunsthistorischen Institut<br />

Florenz erarbeitet, geht der Wagenbach<br />

Verlag die Edierung der Schriften von<br />

Vasari neu an: ausgehend vom Urtext mit<br />

einer ungekürzten Übersetzung, mit (leider<br />

etwas marginalen) Abbildungen, kritischen<br />

Einleitungen und einem ausgiebigen,<br />

noch kommentierenden Anmerkungsapparat.<br />

Die handlichen Bände ermöglichen<br />

die schnelle Lektüre wie auch die wissenschaftliche<br />

Beschäftigung auf einem<br />

sehr konkreten, anschaulichen Niveau. Zu<br />

den Veröffentlichungen der letzten Zeit<br />

gehören „Die Leben von Botticelli, Lippi,<br />

Cosimo Rosselli und Alesso Baldovinetti“,<br />

die in einem (wie gehabt) Taschenbuch<br />

zusammengeführt sind. Respekt!<br />

Michelangelo – Zeichnungen eines Genies,<br />

414 S. mit 223 Farbabb., geb. mit Schutzumschlag,<br />

31 x 24,5 cm, Hatje Cantz,<br />

49,80 Euro<br />

Einer der Künstler, denen Vasari ein<br />

Kapitel widmet, ist Michelangelo (1476-<br />

1564). Obwohl schon so viele Bücher zu<br />

Michelangelo und seinem genialen Werk<br />

erschienen sind, ist die nun vorliegende,<br />

bei Hatje Cantz verlegte Monographie<br />

„Michelangelo – Zeichnungen eines<br />

Genies“ eine wichtige Erweiterung unseres<br />

Blickes auf ihn. Sie wendet sich ganz den<br />

Zeichnungen zu. Begleitend zur Ausstellung<br />

in der Albertina in Wien, bildet sie<br />

über 100 Blätter aus seiner gesamten,<br />

fast sieben Jahrzehnte umspannenden<br />

Schaffenszeit ab, also einen beträchtlichen<br />

Teil der 600 erhaltenen Werke, die<br />

vereinzelt noch auf der Rückseite Zeichnungen<br />

besitzen und in verschiedenen<br />

Techniken zwischen Skizze und malerischer<br />

Bildhaftigkeit ausgeführt sind. Im Buch<br />

werden Michelangelos Zeichnungen<br />

ergänzt um Blätter von Zeitgenossen und<br />

begleitet von Abbildungen der Malereien<br />

und Skulpturen Michelangelos. Gerade<br />

die vielen anatomischen Studien sind in<br />

ihren Kontext zur Skulptur gerückt und in<br />

ihrer wissenschaftlichen Relevanz wie auch<br />

der Genauigkeit des Blickes vermittelt.<br />

Deutlich wird (und das ist die Leistung<br />

dieses opulenten Bandes), jede Zeichnung<br />

ist ein Kunstwerk für sich. Das brachte die<br />

Bearbeiter dieses Buches in die Schwierigkeit<br />

des Angemessenen – ein grafi sches,<br />

strukturelles Problem, welches indes nicht<br />

zu lösen war. Aber, bei allen Wechseln<br />

im Lay-Out, bei der fast überbordenden<br />

Textmenge, dominiert doch die Klarheit,<br />

zusammengehalten durch die Werke selbst,<br />

die Großzügigkeit, mit der diese reproduziert<br />

sind. Dass der einführende Text des<br />

Wiener Kurators Achim Gnann ebenso<br />

grundsätzlich wie verständlich ist, macht<br />

dieses Buch weiter empfehlenswert.<br />

Ebenfalls aus Anlass einer Ausstellung<br />

und ebenfalls verlegt bei Hatje Cantz, ist<br />

ein weiterer gewichtiger Band zu einem der<br />

frühen Meister erschienen, nun aus dem<br />

Norden: Zu Hans Holbein d. Ä., der um<br />

1465 geboren wurde, mit seiner Werkstatt<br />

in Augsburg ansässig war und um 1523/24<br />

gestorben ist. Zwar ist heute sein Sohn<br />

Hans Holbein d. J. bekannter, aber auch<br />

der Vater war über seine Lebenszeit hinaus<br />

hoch angesehen. Im Mittelpunkt der Stuttgarter<br />

Monographie steht sein Hauptwerk<br />

„Die Graue Passion“, die, im Besitz der


Hans Holbein d. Ä. – Die Graue Passion in<br />

ihrer Zeit, 448 S. mit 411 Farbabb., geb.<br />

mit Schutzumschlag, 31,2 x 25 cm, Hatje<br />

Cantz, 58,- Euro<br />

Staatsgalerie Stuttgart, nach der Restaurierung<br />

dort erstmals wieder gezeigt wird. „Die<br />

Graue Passion“ zählt zu den herausragenden<br />

Passionsfolgen der altdeutschen Kunst.<br />

Sie besteht aus zwölf Tafeln, die wahrscheinlich<br />

die Seiten eines Flügelaltares<br />

bildeten; ihr besonderes, durchgehendes<br />

Kolorit hat dieser Folge an Malereien auf<br />

Holz den Namen gegeben. Es ist die Leistung<br />

des Buches, dieses wichtige Kunstwerk<br />

erstmals ausgiebig im Detail und im<br />

Überblick vorzustellen, wissenschaftlich<br />

zu verorten und seinen sinnlichen Reiz<br />

Cranach und die Kunst der Renaissance<br />

unter den Hohenzollern, 364 S. mit 320<br />

Farbabb., Hardcover, 27,5 x 22,5 cm,<br />

Deutscher Kunstverlag, 39,90 Euro<br />

zu vermitteln. Es liefert einen konzisen<br />

Überblick über das Schaffen des Augsburger<br />

Künstlers und einen Vergleich zum<br />

zeitgleichen und vorausgehenden Schaffen,<br />

etwa mit Martin Schongauer und Albrecht<br />

Dürer und der frühen niederländischen<br />

Malerei. Anders als das Michelangelo-<br />

Buch ist die bildliche Darstellung durch<br />

Spezialkapitel immer wieder unterbrochen,<br />

dafür aber im Lay-Out gut leserlich: Also,<br />

jedes Buch ist anders, auch bei den frühen<br />

Meistern.<br />

Nach all der Euphorie über diese<br />

Neuerscheinungen, nun ein etwas komplizierter<br />

Fall. Zeitlich schließt das Buch<br />

„Cranach und die Kunst der Renaissance<br />

unter den Hohenzollern“, erschienen im<br />

renommierten Deutschen Kunstverlag, an<br />

die Monographie zu Hans Holbein d. Ä.<br />

an. Aber es verfolgt eine andere Akzentuierung,<br />

bindet die Bildende Kunst in den<br />

gesellschaftspolitischen und kulturellen<br />

Kontext der Hohenzollern ein und ist<br />

darin wesentlich Katalog mit Architektur,<br />

Kunst, Kunstgewerbe, Buchkunst<br />

und Urkunden, obzwar die Sammlung<br />

deutscher Malerei des 15./16. Jahrhunderts<br />

im Besitz der Stiftung Preußische<br />

Gärten und Schlösser Berlin-Brandenburg<br />

und der Abschluss des Bestandskataloges<br />

dazu Ausgangspunkt waren. Mit<br />

Beiträgen so renommierter Autoren bei<br />

Bredekamp, Koepplin, Warnke ergibt<br />

sich ein tieferer Einblick in die Kunst und<br />

deren gesellschaftliche Stellung zur Zeit<br />

der Renaissance in Berlin-Brandenburg<br />

und am Hof der Kurfürsten Joachim I.<br />

und Joachim II.; eigene Themen sind die<br />

Stadtkultur und die Rolle der Kirche in<br />

Bezug auf die Kultur. Aber das ist wenig<br />

koordiniert, insgesamt scheint das Buch,<br />

das zu einer Ausstellung erschienen ist, mit<br />

heißer Nadel gestrickt. So sind mögliche<br />

Gegenüberstellungen vergleichbarer Epitaphgemälde<br />

gerade nicht eingelöst. Teils<br />

fehlen die Maße der Werke. Und doch,<br />

reich bebildert und von einem ausführlichen<br />

Literaturverzeichnis begleitet, ist es<br />

ein Gewinn und eine gute Klärung der<br />

Bedingungen altdeutscher Kunst.<br />

Den alten Meistern ist Antonio Canal,<br />

genannt Canaletto (1697-1768) nicht<br />

mehr zuzurechnen – aber er zitiert die<br />

Antike und die Renaissance, indem er<br />

Canaletto in Venedig – Der Meister und seine<br />

Rivalen, 192 S. mit 64 Farbtafeln, geb.<br />

mit Schutzumschlag, 29 x 25 cm, Belser,<br />

39,95 Euro<br />

ihre architektonischen Zeugnisse malt, auf<br />

dem Fundament realistischer Erfassung.<br />

Im Anschluss an Capricci – erfundene<br />

Architekturen – wendet sich Canaletto der<br />

Vedutenmalerei zu, als deren Hauptvertreter<br />

er sich in seiner Heimatstadt Venedig<br />

etabliert. Er gibt die Atmosphäre und<br />

Abfolge des architektonischen Außenraums<br />

in seinen Ansichten wieder und<br />

greift doch künstlerisch ein. Er nimmt<br />

Perspektivwechsel innerhalb der Darstellung<br />

vor und setzt Licht und Schatten mit<br />

zunehmend lockerer Pinselführung. Das<br />

erfreulich unprätentiöse, geradlinige Buch<br />

Canalettto in Venedig. Der Meister und<br />

seine Rivalen, das nun im Belser Verlag<br />

erschienen ist und von Charles Beddington<br />

bearbeitet wurde, untersucht noch das<br />

Eigene in Canalettos Malerei, indem es ihn<br />

in den Zusammenhang der venezianischen<br />

Vedutenmalerei stellt und noch mit Bilddetails<br />

arbeitet. Zu den Künstlern, die<br />

vorgestellt werden, gehören seine Schüler<br />

Francesco Guardi und Bernardo Bellotto,<br />

wobei letzterer auch sein Neffe war und als<br />

Hofmaler in Dresden Erfolge feierte: Ein<br />

Bild von Bellotto, der ebenfalls den Namen<br />

Canaletto trug, hängt seit kurzem, als<br />

Leihgabe der Staatlichen Kunstsammlungen<br />

Dresden, im Büro des Bundespräsidenten<br />

in Berlin. Aber das ist eine andere<br />

Geschichte.<br />

49


50<br />

Gerhard Nebel<br />

„Zwischen den Fronten –<br />

Kriegstagebücher 1942-1945“<br />

Wiederentdeckt, ausgewählt und mit<br />

einem Nachwort von Michael Zeller<br />

© 2010 Wolf Jobst Siedler Verlag jr. Berlin,<br />

1. Aufl age<br />

282 Seiten, ISBN 978-3-937989-69-3<br />

Weitere Informationen unter:<br />

www.wjs-verlag.de<br />

Die Kriegstagebücher Gerhard<br />

Die spezifi sch deutsche literarische Aufarbeitung<br />

des grauenhaften 1. Weltkriegs<br />

(schätzungsweise 17 Millionen Tote)<br />

stammt von Ernst Jünger. „In Stahlgewittern“<br />

ist das Tagebuch seiner Erlebnisse in<br />

Frankreich. Der pathetische Titel kündigt<br />

bereits vom heldenhaften Kampf der<br />

Soldaten, von der trunkenen Stimmung<br />

der Jugend 1914, die, angefeuert von der<br />

großen nationalen Bewegung, sehnsüchtig<br />

mitmachen wollte bei dem Wahnsinn<br />

1914-1918 und die Kriegsgefahr begeistert<br />

suchte (Stichwort: Langemarck).<br />

Nach dem 2. Weltkrieg (schätzungsweise<br />

55 Millionen Tote) erscheint 1948-1950<br />

von Gerhard Nebel (1903-1974) sein<br />

dreibändiges Tagebuch der Kriegszeit.<br />

Von Pathos und Heldentum ist da überhaupt<br />

nicht die Rede. Mit Haß auf den<br />

Despoten und innerlich unbeteiligt am<br />

Krieg wollte er diesen nur überleben. Aktiv<br />

war er nicht am Widerstand beteiligt.<br />

Wie er dachten Hunderttausende.<br />

Gerhard Nebel wird im Februar 1942<br />

infolge eines lockeren Artikels über den<br />

Kommiß-Ton bei der Luftwaffe und die<br />

in der Wehrmacht herrschenden soldatischen<br />

(Un-)Sitten vom Gefreiten und<br />

Dolmetscher zum Bausoldaten degradiert,<br />

muß Paris verlassen, verliert damit seine<br />

Freundschaften und gesegneten Mußestunden,<br />

die er in Paris mit einzelnen<br />

intellektuellen Fliegern und Offi zieren<br />

(u.a. Ernst Jünger) erlebt und geschätzt<br />

hatte, und spricht von seiner hirnverbrannten<br />

Torheit, die Despotie mit einem<br />

unbedachten Artikel herausgefordert zu<br />

haben.<br />

„Die Lage, der ich entgegengehe, erscheint<br />

mir unangenehm“. So beginnen<br />

diese Tagebücher. Als Bausoldat wird er<br />

auf eine Insel des Kanal-Archipels westlich<br />

von Cherbourg versetzt. Dort muß<br />

er körperlich arbeiten, wird aber auch immer<br />

wieder als Dolmetscher in Anspruch<br />

genommen. In seiner Freizeit liest er<br />

Mommsen und Victor Hugo, beschreibt<br />

die stimmungsvolle Insellandschaft mit<br />

Kirchen, Kirchhöfen und ihren Menhiren<br />

und spricht dem französischen Wein gerne<br />

und ausgiebig zu. Was im Osten angerichtet<br />

wurde, ist bei den Soldaten an der<br />

Kanalküste bekannt. Seine Überlegungen<br />

zum preußischen Drill, der den Soldaten<br />

entwürdigt, ihm Qual verursacht und<br />

verursachen soll, was dem Kommiß zur<br />

Wache eingefallen ist, wie wichtig dieser<br />

hohle Stumpfsinn von Offi zieren bis<br />

hinauf zum General genommen wird, das<br />

hält G. Nebel für Wahnsinn. Über die<br />

bei der Wehrmacht verbreitete und mit<br />

Vorschriften manifestierte Kombination<br />

aus subalterner Dummheit und Grausamkeit<br />

erregt er sich, glaubt aber nicht an<br />

die Identität von Volk und Regime und<br />

ist sich der Gefahr, die aus der Identität<br />

von Politik und Verbrechertum resultiert,<br />

bewußt. Solange man noch Wein trinken<br />

kann, ist die Lage jedoch nicht völlig<br />

hoffungslos: Jenseits des Krieges erwartet<br />

Gerhard Nebel eine Welt der Freiheit, der<br />

Bildung und der Humanität.<br />

1943 wird er nach Italien versetzt, wo<br />

er als Dolmetscher für den Stab der<br />

Luftwaffe mit der aufgeräumten Anarchie<br />

der Italiener gut zurecht kommt. „Auf<br />

ausonischer Erde“ organisiert er Wein,<br />

Früchte, Brot und Eier für soldatische<br />

Feste, besorgt italienische Frauen für Bordelle<br />

der Luftwaffe, übersetzt Liebesbriefe<br />

der Landser und Flieger ins Italienische,<br />

hat selbst verschiedene Affären, kommentiert<br />

natürlich Affären der Offi ziere,<br />

wird beschossen, auch bombardiert, und<br />

versucht zu überleben, auch wenn ihn<br />

die „kochende Angst, die allen Inhalt der<br />

Seele verdampft und in deren Dunkel<br />

alle Farbe verlosch“ überfällt, sobald ihm<br />

Steine, Äste, Felssplitter um den Kopf<br />

fl iegen und die feindlichen Jabos (Jagdbomber)<br />

dicht über den Köpfen dröhnen.<br />

Dem Kradmelder bietet der Stahlhelm,<br />

der wie Butter von den kleinen Fetzen<br />

der Splitterbomben durchschnitten wird,<br />

keinen Schutz. Das Hirn spritzt aus dem<br />

Schädel. Nebel sieht und beschreibt es.<br />

Andererseits bleiben Gerhard Nebel aber<br />

schöne Frühlingstage mit weiten Blicken<br />

über die italienische Abruzzenlandschaften<br />

auf türmereiche Städte ebenso unvergeßlich<br />

wie noch schönere Nächte, in<br />

denen unzählige glühende Johanniskäfer<br />

durch samtenes Dunkel tanzen, nachdem<br />

die Nachtigallen verstummen und die<br />

Grillen das Nachtkonzert eröffnen. Jugendliche<br />

Partisanen muß er in Notwehr<br />

mit dem Maschinengewehr abwehren.<br />

Auf der Lagunenbrücke Venedigs wird er<br />

als Fußgänger von Jagdbombern überfl ogen,<br />

die den zwischen den Buhnensteinen


Nebels – wiederentdeckt<br />

Liegenden aber für eine Leiche halten<br />

und Munition sparen. Im Juni 1944 -<br />

liest man- werden deutsche Geschütze<br />

unter der Aufsicht von schwankenden<br />

Landsern, die Wein- und Schnapsfl aschen<br />

schwenken, von Ochsenkarren durch die<br />

Po-Ebene gezogen. Mal wieder verliebt,<br />

verliert er sich zuletzt an Antonia, wollte<br />

sich aber in den unsicheren Zeiten nicht<br />

an die Studentin binden und entweicht<br />

ohne Abschied, womit er wohl nicht nur<br />

sie, sondern vor allem auch sich selbst<br />

verraten hat. Endlich gerät er in amerikanische<br />

Kriegsgefangenschaft, erkrankt<br />

schwer und empfi ndet das Grauen in den<br />

Lazaretten Norditaliens entsetzlicher als<br />

die ausonischen Tage hinter der Front.<br />

Von Hitlers Tod erfährt er in Cortina<br />

d´Ampezzo und feiert das Ende der Bestie<br />

mit Sekt.<br />

Gerhard Nebel, 1903 geboren, hatte<br />

Philosophie und Altphilologie studiert,<br />

u.a. bei Heidegger und Jaspers. Politisch<br />

treibt es ihn als Berufsanfänger Ende der<br />

Zwanziger Jahre zur Sozialistischen Arbeiterpartei<br />

(SAP) und er setzt sich auch<br />

handgreifl ich mit den Nationalisten auseinander<br />

(Narbe neben dem linken Auge).<br />

Mit seinem dreibändigen Kriegstagebuch<br />

schreibt sich Nebel in die literarische<br />

Öffentlichkeit Nachkriegsdeutschlands.<br />

Er hält Vorträge über Ernst Jünger, der<br />

nach dem Krieg zunächst wegen eines<br />

Verbots der Alliierten selbst nicht publizieren<br />

durfte und schreibt ein Buch über<br />

ihn. Bald aber streiten sich die beiden, die<br />

zunächst in gleicher Weise vom Publikum<br />

wie auch der Kritik geschätzt wurden,<br />

kämpfen gegeneinander und beleidigen<br />

sich. Skandalös, wie Ernst Jünger die<br />

Übersetzung von Nebels „Hesperiden“<br />

ins Französische gezielt verhindert hat.<br />

1950 erhält Nebel den Eduard von der<br />

Heydt-Preis der Stadt Wuppertal. Hier<br />

hat er von 1950 bis 1955 als Studienrat<br />

am Gymnasium in der Bayreuther Straße<br />

gearbeitet. In Wuppertal gründet er, der<br />

promovierte Philosoph, die Gesellschaft<br />

„Der Bund“, in der zusammen mit der<br />

Elite der Zeit - Ernst Jünger, Gottfried<br />

Benn, Theodor W. Adorno, Ernst Bloch,<br />

Jürgen Habermas, Arnold Gehlen, Carl<br />

Schmitt u.a. waren Gäste - die geistige<br />

Erneuerung und Orientierung nach dem<br />

Nationalsozialismus diskutiert wird.<br />

Durch Aufklärung wollte man nachhaltig<br />

gegen „Gastfeindschaft, Barbarei<br />

und Dehumanisierung“ wirken (Zitat<br />

Michael Okroy s.u.). Gerhard Nebel<br />

schreibt im Laufe seines Lebens etliche<br />

Bücher und regelmäßig in der FAZ. Mit<br />

seinen Beiträgen macht er sich nicht<br />

nur Freunde. Thomas Mann konnte er<br />

nicht leiden. Zu dessen 75. Geburtstag<br />

erscheint am 6. Juni 1950 von G. Nebel<br />

ein bösartiger Artikel in der FAZ. Über<br />

Wuppertal schreibt er ein wenig freundlicher:<br />

„Wuppertal ist rauh und knochig,<br />

aber treu. Gewebe sind hier nicht wie<br />

anderswo Lügengewebe, Garne sind<br />

keine Betrugsschlingen. Die Solidität ist<br />

nicht Schwerfälligkeit, sondern Stärke<br />

- man hat sich nicht für den Oberfl ächenschmelz,<br />

sondern die Tiefenstruktur<br />

entschieden, nicht für die geschwinde,<br />

huschende Intelligenz, sondern für zähes<br />

Festhalten und bohrende Berechnung.<br />

Den Verlust an Charme und Lieblichkeit<br />

nimmt man, wenn man sieht, was in der<br />

Nachbarschaft mit diesen Kategorien<br />

getrieben wird, gern in Kauf.“ (zitiert<br />

nach Christine Hummel, 2004, s.u.).<br />

Georg Nebel starb 1974. Er wurde in<br />

Braunsbach-Steinkirchen (Landkreis<br />

Schwäbisch-Hall) beerdigt.<br />

Die Kriegstagebücher Gerhard Nebels<br />

(ursprünglich dreibändig) wurden von<br />

Michael Zeller, Von der Heydt-Preisträger<br />

2008, wiederentdeckt. Der heutige Leser<br />

des Werkes ist fasziniert von der Authentizität<br />

und Frische der Sprache, hinter der<br />

die gesamte Kultur des alten Europa immer<br />

wieder aufblitzt, von Nebels Humor,<br />

seinem Zynismus und der Souveränität<br />

des Gebildeten. Der Schriftsteller Michael<br />

Zeller hat das vergessene Werk von<br />

historischen Schlacken befreit, gekürzt,<br />

mit einem sehr informativen Nachwort<br />

zu Biographie, Werk und Rezeptionsgeschichte<br />

versehen und neu herausgegeben.<br />

Das Buch wurde von der Süddeutschen<br />

Zeitung im Januar 2011 auf Platz 3 (von<br />

10) der Liste der Sachbücher des Monats<br />

gesetzt.<br />

Literatur:<br />

1. Dr. Christine Hummel: Ungeschminktes<br />

Wuppertal, 2004 Bergische Universität<br />

(http://www.presse-archiv.uni-wuppertal.<br />

de/html/module/medieninfos/archiv/2004/1907_stadtjubilaeum_collage.<br />

htm)<br />

2. Michael Okroy: „Lebendig. ungeschminkt<br />

und voller Geist. Ein kulturgeschichtlicher<br />

Spaziergang durch das<br />

Wuppertal, der 1950er Jahre.“ Vortrag am<br />

24.11.2010 in der Citykirche Elberfeld)<br />

3. www.michael-zeller.de/<br />

Nachbemerkung<br />

mit Notizen zu Michael Zeller:<br />

Michael Zeller wurde 1944 in Breslau<br />

geboren und lebt seit 1998 in Wuppertal.<br />

1978 veröffentlichte er seinen ersten Roman<br />

(„Fehlstart-Training“). Nach seiner<br />

Promotion 1974 habilitierte er sich 1981<br />

in Erlangen. Michael Zeller erhielt zahlreiche<br />

Auszeichnungen, so z.B. 1984/85<br />

das Atelierhaus Stipendium Worpswede,<br />

als dessen literarisches Ergebnis sein<br />

Roman über Paula Moderson-Becker<br />

entstand („Die Sonne! Früchte. Ein<br />

Tod“, 4. Aufl age 2007). 1997 erhielt er<br />

das Schriftstellerstipendium der Robert-<br />

Bosch-Stiftung und lebte ein Jahr in<br />

Krakau. In „Café Europa“ und „Die Reise<br />

nach Samosch“ hat er diesen Aufenthalt<br />

literarisch verarbeitet. 2006 bereiste er das<br />

kriegszerstörte Bosnien und hielt seine<br />

Impressionen in „Granaten und Balladen“<br />

fest. 2008 erhielt er den Von der<br />

Heydt-Preis der Stadt Wuppertal, und es<br />

erschien sein achter Roman („Falschspieler“).<br />

Seit 2007 arbeitet Michael Zeller<br />

literarisch mit Schülern. Inzwischen sind<br />

vier „Schulhausromane“ entstanden. Der<br />

jüngste Roman „Ein Schuss Jugendliebe“<br />

wird im Mai 2011 erscheinen. Michael<br />

Zeller publiziert auch in den Musenblättern<br />

und im Wuppertaler NordPark<br />

Verlag.<br />

Weitere Informationen unter: www.<br />

michael-zeller.de<br />

Johannes Vesper<br />

51


52<br />

Kulturnotizen<br />

Ausstellung „Schloßgeschichten“<br />

über den Adel in Schlesien<br />

Ratingen - „Schloßgeschichten“ lautet<br />

der Titel einer Ausstellung, die ab dem 8.<br />

Mai im Oberschlesischen Landesmuseum<br />

in Ratingen zu sehen ist. Die Schau über<br />

den Adel in Schlesien zeigt Gemälde,<br />

Epitaphien, Waffen, Jagdtrophäen und<br />

einen zwei Meter großen präparierten<br />

Wisent. Unter den Ausstellungsstücken<br />

sind viele erstmals in Deutschland präsentierte<br />

Exponate. Die Schau läuft bis zum<br />

8. Januar kommenden Jahres.<br />

Über 3000 adelige Güter gab es in Schlesien,<br />

einige der bedeutendsten lagen in<br />

Oberschlesien. Die Ausstellung will den<br />

Besucher in die Lebenswelt der Schlösser<br />

und ihrer Bewohner führen. Der zeitliche<br />

Bezugsrahmen reicht vom Mittelalter<br />

bis in die Gegenwart. Der Reichtum der<br />

Besitzer stand im krassen Gegensatz zu<br />

den Lebensbedingungen vieler Arbeiter<br />

und Bauern.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 bis 17 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.oslm.de<br />

Museum Kurhaus Kleve<br />

präsentiert das Werk von Carl Andre<br />

Kleve - Das Museum würdigt ab dem<br />

17. April in einer Einzelausstellung Carl<br />

Andre, den Mitbegründer der Minimal<br />

Art in Amerika. Gezeigt werden über 20<br />

teils großformatige Skulpturen. Besonderes<br />

Augenmerk gilt den für das Werk<br />

fundamentalen, aber noch immer wenig<br />

bekannten Textarbeiten, heißt es.<br />

Es handelt sich um Andres erste Ausstellung<br />

in einem deutschen Museum seit<br />

15 Jahren. Nur wenige Tage nach ihrer<br />

Eröffnung wird der Künstler am 5. Mai<br />

in Zürich mit einem der renommiertesten<br />

europäischen Kunstpreise ausgezeichnet,<br />

dem Roswitha Haftmann-Preis. Der 1935<br />

geborene Andre lebt und arbeitet in New<br />

York und hat entscheidenden Einfl uß<br />

auf die Entwicklung der Kunst im 20.<br />

Jahrhundert ausgeübt.<br />

Seit den frühen 1960er Jahren hat er<br />

den Begriff von Skulptur revolutioniert,<br />

indem er sie nicht länger in den Kategorien<br />

von Form und Struktur, sondern von<br />

Material und Ort defi nierte. Seine Werke<br />

sind im strengen Sinn des Wortes elementar,<br />

denn sie repräsentieren den äußersten<br />

Grad an Einfachheit und Klarheit.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 bis 17 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.museumkurhaus.de<br />

Ausstellung über Armut als Motiv<br />

in der Kunst<br />

Künstlerische Sichtweisen auf Armut<br />

und Arme in Europa<br />

Trier - Eine Ausstellung in Trier zeigt<br />

erstmals eine Geschichte der Armut von<br />

der Antike bis zur Gegenwart im Spiegel<br />

der Kunst. „Armut - Perspektiven in<br />

Kunst und Gesellschaft“ lautet der Titel<br />

der Schau, die im Stadtmuseum Simeonsstift<br />

sowie im Rheinischen Landesmuseum<br />

in Trier zu sehen ist. Insgesamt zeigt<br />

die bis 16. Juli laufende Ausstellung<br />

250 Kunstwerke. Pieter Breughel d.J.,<br />

Rembrandt und Picasso, Käthe Kollwitz,<br />

Liebermann und Immendorff sind nur<br />

einige der berühmten Künstler, die sich<br />

mit dem Thema Armut auseinandergesetzt<br />

haben.<br />

Breughel etwa hält mit seinem berühmten<br />

Gemälde „Die sieben Werke der<br />

Barmherzigkeit“ dem Betrachter die<br />

Mildtätigkeit und Anteilnahme an armen<br />

Gesellschaftsschichten als moralische<br />

Pfl icht vor Augen. Rembrandts „Bettelmusikanten“<br />

stehen als Beispiel für die<br />

Idealisierung des Lebens in Armut. Später<br />

wurden grafi sche Arbeiten zu einem<br />

zentralen Medium in der Auseinandersetzung<br />

mit der Sozialen Frage. Kollwitz,<br />

Ernst Barlach oder Heinrich Zille wurden<br />

durch das Leid und Elend der Menschen<br />

zu einer neuen, expressiven Formensprache<br />

inspiriert.<br />

Die Ausstellung im Stadtmuseum ist<br />

dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr<br />

geöffnet. Die Ausstellung im Rheinischen<br />

Landesmuseum ist dienstags bis sonntags<br />

von 10 bis 17 Uhr zu sehen.<br />

Galerie Villa Zanders<br />

Bergisch Gladbach:<br />

„Knüller, Falter, Reißer“ lautet der Titel<br />

einer Ausstellung, die in der Städtischen<br />

Galerie Villa Zanders in Bergisch<br />

Gladbach zu sehen ist. Die bis zum 26.


Juni laufende Schau zeigt Exponate aus<br />

der Sammlung Kunst aus Papier, die in<br />

diesem Jahr ihr 25-jähriges Bestehen<br />

feiert. Die Sammlung umfaßt heute fast<br />

300 Arbeiten von Künstlern aus aller<br />

Welt, hierunter Künstlerbücher ebenso<br />

wie raumgreifende Installationen und<br />

Skulpturen.<br />

International renommierte Künstler<br />

wie Wolf Vostell, Christo, Felix Droese,<br />

Günther Uecker, Kenneth Noland oder<br />

Jiri Kolar markieren die Bandbreite der<br />

Sammlung und ihren Rang. Aber auch<br />

viele junge, weniger bekannte Künstler<br />

wurden ermutigt, sich mit diesem<br />

unerschöpfl ich vielseitigen Material<br />

auseinander zu setzen, sodaß die Sammlung<br />

nie bei etablierten Positionen stehen<br />

geblieben ist, sondern sich immer wieder<br />

auch in unbekanntes Land vorgewagt hat.<br />

Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs,<br />

freitags und samstags von 14 bis 18 Uhr,<br />

donnerstags von 14 bis 20 Uhr und sonntags<br />

von 11 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.villa-zanders.de<br />

Museum Kunstpalast feiert<br />

Wiedereröffnung seines<br />

Sammlungsfl ügels<br />

Düsseldorf - Unter dem Motto „Kunst<br />

befreit“ feiert das Museum Kunstpalast<br />

in Düsseldorf am 6. Mai die Wiedereröffnung<br />

des Sammlungsfl ügels und die<br />

Neupräsentation der eigenen Bestände. Bis<br />

zum 22. Mai können Besucher bei freiem<br />

���������������������������<br />

Eintritt die Neupräsentation von 450 ausgewählten<br />

Kunstwerken bewundern.<br />

Das Museum vereint fünf verschiedene<br />

Sammlungsbereiche unter einem Dach.<br />

Die Graphische Sammlung mit einem<br />

Schwerpunkt auf Zeichnungen des Barock,<br />

die Gemäldegalerie mit italienischer,<br />

fl ämischer, niederländischer und deutscher<br />

Malerei der Jahre 1490 bis 1920, den<br />

Sammlungsbereicch Moderne sowie den<br />

Bereich Skulptur und Angewandte Kunst.<br />

Schließlich zählt auch das integrierte<br />

Glasmuseum Henrich mit Objekten von<br />

1500 vor Christus bis hin zu aktuellem<br />

Studioglas zum Kunstpalast. Hier befi ndet<br />

sich die umfassendste Glaskollektion auf<br />

dem europäischen Kontinent.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 bis 18 Uhr sowie donnerstags von<br />

11 bis 21 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.museum-kunst-palast.de<br />

Buddhismus im Mittelpunkt der<br />

diesjährigen Ruhrtriennale<br />

Gelsenkirchen - Nach der Erforschung<br />

der Kultur des Judentums<br />

und des Islams in den vergangenen<br />

beiden Spielzeiten steht in diesem Jahr<br />

der Buddhismus im Mittelpunkt des<br />

Kulturfestivals Ruhrtriennale. Bei der<br />

nicht-theistischen religiösen Tradition<br />

stünde die Überwindung des Ichs als<br />

Voraussetzung für bedingungslose Mitmenschlichkeit<br />

und absolute Gewaltlosigkeit<br />

im Zentrum, hieß es in einer<br />

Mitteilung der Kultur-Ruhr GmbH in<br />

Gelsenkirchen.<br />

Schwerpunkt der Triennale sei das Entdecken<br />

buddhistischer Wahrheiten in den<br />

theatralen, musikalischen und literarischen<br />

Werken unseres Abendlandes, so<br />

die Veranstalter weiter. Vom 26. August<br />

bis zum 9. Oktober fi ndet das Festival<br />

mit über 130 Vorstellungen in Bochum,<br />

Essen, Duisburg, Gladbeck und Oberhausen<br />

statt. Am 5. Mai soll das konkrete<br />

Programm der dritten und letzten Spielzeit<br />

des Ruhrtriennale-Intendanten Willy<br />

Decker in Bochum vorgestellt werden.<br />

Verstorbene Irene Ludwig<br />

schenkte der Stadt Aachen<br />

zahlreiche Kunstwerke<br />

Aachen - Die am 28. November<br />

vergangenen Jahres verstorbene Kunstmäzenin<br />

Irene Ludwig hat der Stadt<br />

Aachen testamentarisch Kunstwerke im<br />

Gesamtwert von 15 bis 20 Millionen<br />

Euro hinterlassen. In ihrem Testament<br />

hatte Irene Ludwig unter anderem festgelegt,<br />

daß der Stadt insgesamt 47 Werke<br />

hinterlassen werden. 37 davon gehen an<br />

das Suermondt-Ludwig- Museum und<br />

10 an das Couven-Museum, das ihr stets<br />

besonders am Herzen lag, so Philipp.<br />

Villa Hügel zeigt Krupp-Fotografi en<br />

Essen - „Krupp - Fotografi en aus<br />

zwei Jahrhunderten“ lautet der Titel<br />

einer Ausstellung, die vom 18. Juni bis<br />

53


54<br />

zum 11. Dezember in der Villa Hügel in<br />

Essen präsentiert wird. Die Ausstellung<br />

zeigt erstmals umfassend Fotografi en der<br />

Krupp-Geschichte.<br />

In insgesamt 15 Räumen der Villa Hügel<br />

werden rund 400 Aufnahmen in aufwendig<br />

inszenierten Themenbereichen zu<br />

sehen sein. Die Ausstellung schlägt einen<br />

Bogen von den Anfängen der Fotografi e<br />

bis zur zeitgenössischen Fotokunst. Zu<br />

sehen sind Familienfotos ebenso wie Bilddokumente<br />

der Industriegeschichte, Produkte,<br />

Bilder von Arbeitern und Direktoren,<br />

Sozialeinrichtungen, Reisealben,<br />

Schnappschüsse sowie Inszenierungen.<br />

Die meisten Bilder sind bislang noch nie<br />

öffentlich vorgestellt worden.<br />

Internet: www.villahuegel.de<br />

Bilderbuchmuseum zeigt Künstlerbücher<br />

von Leiko Ikemura<br />

Troisdorf - Unter dem Titel „Wußtest<br />

du, ich habe zwei versteckte Flügel“ ist<br />

im Bilderbuchmuseum Burg Wissem der<br />

Stadt Troisdorf bei Bonn eine Ausstellung<br />

mit Künstlerbüchern und Zeichnungen<br />

der Japanerin Leiko Ikemura<br />

zu sehen. Zugunsten der Opfer der<br />

Erdbeben-, Tsunami- und Atomkraft-<br />

Katastrophen erscheint zu der bis zum<br />

19. Juni laufenden Schau eine Edition<br />

der Künstlerin in einer Aufl age von 25<br />

Exemplaren. Der Erlös aus dem Verkauf<br />

der Edition werde für die Opfer in Japan<br />

gespendet, erklärte Museumsleiterin<br />

Maria Linsmann zum Auftakt.<br />

Mit ihrem Engagement will die<br />

Künstlerin nach Angaben von Linsmann<br />

nicht nur ihre Landsleute unterstützen,<br />

sondern auch zur Diskussion über die<br />

Frage der Bedeutung von Kunst in<br />

Mom enten der Katastrophe anregen.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis sonntags<br />

von 11 bis 17 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.Troisdorf.de<br />

Museum Morsbroich zeigt Zeichnungen<br />

von Gotthard Graubner<br />

Leverkusen - Mit der Ausstellung<br />

„Gotthard Graubner. Das zeichnerische<br />

Werk“ gibt es ab dem 10. April<br />

im Museum Morsbroich in Leverkusen<br />

erstmals seit 25 Jahren wieder einen<br />

Überblick über die Zeichnungen des<br />

inzwischen 80 Jahre alten Künstlers.<br />

Wie das Museum mitteilte, verkörpern<br />

die Zeichnungen in elementarer Form,<br />

was Graubners gesamte Kunst ausmacht,<br />

nämlich das Verständnis der Form als<br />

Prozess und das Bildkonzept der Entfaltung<br />

von Bewegung und Räumlichkeit.<br />

Die bis zum 6. November laufende<br />

Schau präsentiert frühe, großformatige<br />

Aktzeichnungen der Düsseldorfer Akademiezeit<br />

ebenso wie seine abstrakten,<br />

abgerundeten Rechteck-“Körper“, seine<br />

transparent-schimmernden „Frottagen“<br />

der 1970er Jahre sowie seine meist<br />

farbigen Raumstrukturen der letzten<br />

Jahrzehnte.<br />

Die Ausstellung ist donnerstags von 11<br />

bis 21 Uhr, dienstags bis sonntags von<br />

11 bis 17 Uhr geöffnet.<br />

Internet: www.museum-morsbroich.de


Ausstellung „Reiselust“ zum Werk<br />

von Emil Nolde in Hamm<br />

Hamm - „Emil Nolde - Reiselust“ lautet<br />

der Titel einer Ausstellung, die vom<br />

kommenden Sonntag an bis zum 19. Juni<br />

im Gustav-Lübcke-Museum in Hamm zu<br />

sehen ist. Damit würdige man den Maler<br />

umfassend in seiner Rolle als Reisender in<br />

Deutschland, Spanien und der Schweiz.<br />

Neben seiner wohl bekanntesten einjährigen<br />

Reise in die Südsee in den Jahren<br />

1913/14 unternahm er zahlreiche mehrwöchige<br />

Urlaubsreisen, die auf markante<br />

Weise in seinem Schaffen Niederschlag<br />

gefunden haben. Von den ersten Aquarellarbeiten<br />

1907 in Thüringen über Bilder<br />

der Zigeuner und Flamencotänzer in<br />

Spanien, von der Bergwelt der Schweiz<br />

und Porträts von Freunden auf der Nordseeinsel<br />

Sylt spannt sich der Bilder-Bogen<br />

in der Ausstellung bis zum Jahr 1946.<br />

Viele der rund 100 Werke sind erstmals<br />

öffentlich zu sehen. Die Präsentation wird<br />

ergänzt um die Abteilung „Emil Nolde<br />

und der westfälische Expressionismus“.<br />

In dieser Abteilung werden Werke aus<br />

dem Eigenbestand zum Expressionismus<br />

in Westfalen gezeigt sowie Werke von<br />

Nolde, die während seines Aufenthaltes in<br />

Soest 1905/06 entstanden sind.<br />

Die Ausstellung ist dienstags bis samstags<br />

von 10 bis 17 Uhr sowie sonntags von 10<br />

bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Internet:<br />

www.hamm.de/gustav-luebcke-museum<br />

Ausstellung zeigt Highlights des<br />

amerikanischen Fotorealismus<br />

Aachen - Unter dem Titel „Hyper Real<br />

– Kunst und Amerika um 1970“ zeigt das<br />

Aachener Ludwig-Forum Highlights des<br />

US-amerikanischen Fotorealismus. Die<br />

bis zum 19. Juni laufende Schau präsentiert<br />

die Aufnahmen im Kontext ihrer<br />

gesellschaftspolitischen Entwicklungen<br />

wie etwa der Nixon-Ära, dem Vietnam-<br />

Krieg oder der ersten Öl-Krise. Die rund<br />

250 Werke von 100 Fotografen waren in<br />

dieser Zusammenstellung in Deutschland<br />

noch nie zu sehen.<br />

Die Ausstellung wird aus Anlaß des<br />

20jährigen Bestehens des Ludwig-Forums<br />

gezeigt. Stilprägend wirkten in den<br />

1970er Jahren vor allem die großformatigen<br />

Arbeiten der Fotorealisten, die dem<br />

„American Way of Life“ ein visuelles<br />

Denkmal setzten. Unter den zahlreichen<br />

Bildern sind auch großformatige Aufnahmen<br />

wie etwa „Man with a Rifl e“ von<br />

Jeff Wall aus dem Jahr 2000, „das Bild<br />

„Orange Car Crash“ von Andy Warhol<br />

aus dem Jahr 1963 oder „Das Parkstück“<br />

von Gerhard Richter von 1971.<br />

Die Ausstellung ist dienstags, mittwochs<br />

und freitags von 12 bis 18 Uhr,<br />

donnerstags von 12 bis 20 Uhr sowie<br />

samstags und sonntags von 11 bis 18 Uhr<br />

geöffnet.<br />

Internet: www.ludwigforum.de<br />

Akademie-Galerie Düsseldorf zeigt<br />

„Rendezvous der Maler“<br />

Düsseldorf - „Rendezvous der Maler“<br />

lautet der Titel einer Ausstellung in der<br />

Akademie-Galerie Düsseldorf, die ab dem<br />

6. Mai die Malerei an der renommierten<br />

Kunstakademie in den Jahren 1946 bis<br />

1986 präsentiert. Die bis zum 17. Juli<br />

laufende Schau wird die Malergenerationen<br />

der Düsseldorfer Kunstakademie<br />

anhand von ausgewählten Werken aus der<br />

Zeit ihrer Professuren dokumentieren.<br />

Es werden rund 50 Werke von Künstlern<br />

wie Heinrich Kamps, Werner Heuser,<br />

Theo Champion, Bruno Goller, Ferdinand<br />

Macketanz, Georg Meistermann,<br />

Robert Pudlich, Joseph Fassbender, K.O.<br />

Götz, Gerhard Hoehme, Peter Brüning,<br />

Rupprecht Geiger, Gerhard Richter, Gotthard<br />

Graubner, Dieter Krieg, Konrad Klapheck<br />

und Markus Lüpertz gezeigt. Als<br />

im Januar 1946 die Kunstakademie Düsseldorf<br />

nach dem Krieg wieder eröffnet<br />

wurde, befand sie sich laut Mitteilung am<br />

Anfang eines Neubeginns.<br />

Die Ausstellung ist mittwochs bis<br />

sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet.<br />

Schweben<br />

Mit dem Kaiserwagen zwischen<br />

den Zeilen<br />

Neun Wuppertaler AutorInnen aus drei<br />

Generationen und ein Musikus gratulieren<br />

der ältesten Dame des Tals zum<br />

hundertzehnten Geburtstag:<br />

der Schwebebahn!<br />

Aus gegebenem Anlass fährt kein geringerer<br />

als der Kaiserwagen selbst die<br />

Geburtstagsgäste zur Schwebebahnwerkstatt<br />

in Vohwinkel, wo neun AutorInnen<br />

zwischen 19 und 88 – David Grashoff,<br />

Michael Heinrich, Dieter Jandt, Ulrich<br />

Land, Rebekka Möller, Karl Otto Mühl,<br />

Hermann Schulz, Wolf von Wedel, André<br />

Wiesler – ein literarisches Geburtstagsständchen<br />

darbringen. Und Michael<br />

Burger stimmt mit seiner akustischen Gitarre<br />

den Soundtrack des Stahlengels mit<br />

nassen Füßen an. Seit 110 Jahren windet<br />

sich der eiserne Tausendfüßler durchs Tal<br />

und lässt die merkwürdige Straßenbahn<br />

kopfüber am Himmel über der Wupper<br />

baumeln, die – sehr zu ihrem Leidwesen<br />

– bekanntlich nicht schiffbar ist. Also<br />

hängt man ein Luftschiff darüber. Voller<br />

Geschwätz, Gezänk, Gedankenfl uten,<br />

die versuchen, das Rappeln der Räder<br />

hoch droben zu übertönen, neugierige<br />

Blicke in die Wohnzimmer am Talesrand<br />

werfen und jede Menge Lovestorys in der<br />

Schwebe halten.<br />

Freitag, den 6. Mai 2011, um 19.3o Uhr<br />

Abfahrt des Kaiserwagens in Oberbarmen<br />

zur Lesung in der Schwebebahnwerkstatt,<br />

Vohwinkel<br />

Eintritt inklusive Fahrkarte und einem<br />

Freigetränk: 10 Euro<br />

Reservierung wegen des begrenzten<br />

Platzangebots unbedingt erforderlich:<br />

dieterjandt@aol.com<br />

Frank Becker und<br />

Andreas Rehnolt<br />

55


Der Tipp für alle<br />

ab 60<br />

Mit dem BärenTicket sind Sie im ganzen<br />

VRR-Gebiet unterwegs, rund um die Uhr und<br />

in der 1. Klasse.<br />

Weitere Infos im MobiCenter<br />

Tel.: 0202 569-5200<br />

www.wsw-online.de<br />

56

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!