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38<br />
An dieser Stelle müsste die ‚Machtfrage’<br />
gestellt werden: Welche Mächte prägen den<br />
öffentlichen Raum und welche Bedeutung<br />
hat er für die eigene Identität? Diese Fragen<br />
aber bringen mich von den Dingen ab, die<br />
ich vor mir sehe, und so lasse ich sie fallen.<br />
„Je kürzer die Zeit, die mir zu leben verbleibt,<br />
desto tiefer und reicher muss ich sie<br />
gestalten“ trägt uns Montaigne auf. Meint er<br />
Spielzeit im Aktiv-Park, um dort die Reste<br />
von Agilität zu demonstrieren?<br />
Ich behaupte, dass jedes Alter die ihm gemäße<br />
Bewegungsgestalt hat, ein Bewegungsverhalten,<br />
das sich in seine Erscheinungsweise<br />
fügt: Ein Baby strampelt, Kinder hüpfen,<br />
springen, Jugendliche schleppen ihren Körper<br />
mit sich herum wie eine voll gestopfte<br />
Alditüte und idealtypisch geht ein Erwachsener<br />
möglichst aufrecht und gerade bei<br />
gleichzeitiger Gelöstheit.<br />
Da der Körper eine vom Leben bearbeitete<br />
Masse ist, weist er im Laufe der Jahre<br />
Beschädigungen auf oder wie Montaigne<br />
in seinem letzten Essai sinniert: „An einer<br />
schadhaften Stelle zu kranken ist normal für<br />
Gebäude dieses Alters.“<br />
Die Beeinträchtigungen am Körper – Bau<br />
verändern auch die Haltungs- und Bewegungsgewohnheiten<br />
eines Menschen. Sein<br />
Gang ist weniger dynamisch, die Schultern<br />
hängen, der Rücken ist gebeugt, die Bewegungen<br />
langsamer.<br />
Jetzt soll also so ein gut abgehangener<br />
Schöngeist auf den Spielplatz, um sich<br />
dort zu rühren. Er soll wippen, schaukeln,<br />
balancieren, hüpfen, schwingen und mit<br />
kindischem Gebaren aus sich eine lächerliche<br />
Erscheinung machen. Die peinliche<br />
Zurschaustellung eines alternden Körpers<br />
in grotesken Positionen macht aus seinem<br />
Inhaber eine komische Figur. Der Anblick<br />
eines zappelnden Seniors lässt ihn würdelos<br />
erscheinen. Ist dieses Bild beabsichtigt?<br />
Oder steckt hinter der ganzen Aktion das<br />
schwungvolle Bemühen unserer Gesundheitspolitiker<br />
den Verfall der Kosten verursachenden<br />
Körpers aufzuhalten?<br />
Ich beginne mich in den wirren Gedanken<br />
anderer zu verfangen.<br />
Alte, eine Population, die für ein Bündel<br />
schwerwiegender, ökonomischer, sozialer<br />
und ethischer Probleme steht, Bewohner<br />
einer kauzigen Welt, die Schrecken und<br />
Abwehrrefl exe auslöst, werden mit GIRO<br />
VITALE in die Pfl icht genommen. Damit<br />
sie sich nicht störrisch verweigern, lockt<br />
man sie mit Schmeicheleien und bastelt an<br />
der Kreation einer neuen Sozialfi gur den<br />
„jungen Alten“. Eine vitale, dynamische,<br />
aktive, je nach Einkommen konsumfreudige<br />
und daher wirtschaftlich interessante Gruppe,<br />
die wegen ihrer zunehmenden Größe<br />
für Politiker und Gesundheitsökonomen<br />
immer mehr an Bedeutung gewinnt. Diese<br />
„jungen Alten“ sind die primäre Zielgruppe<br />
von gesundheitspolitischen Präventionsprogrammen,<br />
die einen wichtigen Baustein für<br />
„kompetentes Altern“ bilden. Das Krisenszenario<br />
einer drohenden Überalterung,<br />
das die Alten zu einer, das soziale System<br />
strapazierenden, Problemgruppe macht und<br />
die regelmäßige Konfrontation mit entsprechenden<br />
Bildern und Debatten bleiben<br />
nicht ohne Folgen. Es drängt die ‚jungen<br />
Alten’ zu vielfältigen Praktiken der Arbeit<br />
am Körper: Sport, Diät, Kosmetik, physiologische<br />
Eingriffe, Gehirnjogging. Alter ist<br />
ein Virus, dem nur mit rigider Körper- und<br />
Bedürfniskontrolle beizukommen ist.<br />
Hinfälligkeit, Gebrechlichkeit, Siechtum<br />
fungieren als Negativvision vom Leben im<br />
Alter, die eine biotechnologische Abhilfe<br />
nachgerade zur moralischen Pfl icht erhebt.<br />
Der alternde Körper wird als Baustelle gesehen<br />
für deren Zustand man selbst Verantwortung<br />
zu tragen hat. Trainieren Sie! Unterstützende<br />
Bausteine liefert eine gesamtgesellschaftliche<br />
anti-ageing-Strategie. In Turnhallen,<br />
Fitness-Studios, Sportparks und auf<br />
„Aktionsspielplätzen“ sollen die Individuen<br />
für den kollektiven Kampf gegen die alternde<br />
Gesellschaft mobilisiert werden. Dort wird<br />
das korporale Kapital bearbeitet, um erfolgreich<br />
– nämlich gar nicht – zu altern. Dieser<br />
inszenierte Diskurs behauptet, dass es kein<br />
Alter gibt, sondern nur ein den Ideen des<br />
einzelnen überlassenes Gestaltungsprojekt.<br />
Der Provokation des Menschen durch das<br />
Unumgängliche – das Altern – das zugleich<br />
das Nichtbewältigbare scheint, stellt sich seit<br />
Jahren die Sport – bzw. Biomedizin. Ausgehend<br />
von einem Verständnis des Alterns<br />
als „behandelbare, molekularbiologische<br />
Metakrankheit“ entwirft sie ein medizinisches<br />
Programm zur ‚Maximierung der Physiologie’<br />
alternder Körper. Schauen wir uns<br />
um! Alte werden als erstes durch ihre Körper<br />
bzw. bestimmte, sinnlich wahrnehmbare<br />
körperliche Zeichen identifi ziert: Welke<br />
Haut, verknitterte Züge, blasse Augen,<br />
müder Blick, brüchige Stimme, eingesunkener<br />
Brustkorb, unsicherer Gang. Friederike<br />
Mayröcker schaut an einem Geburtstag erbarmungslos<br />
auf ihren Körper und beklagt:<br />
„nämlich dass hineingegriffen worden war<br />
in dieses Gesicht, in dieses mein Altersgesicht,<br />
ich glaube die Zeit habe hineingegriffen<br />
und ihre Spuren in ihm zurückgelassen,<br />
die düsteren Nischen der eingesunkenen<br />
Augen, die schlaffen Wangen: senile Bäckchen:<br />
Beutelchen eines Kleinkindes, aber<br />
heruntergerutscht in die untere Hälfte des<br />
Gesichtes, greisenhaft, hässlich, clownesk,<br />
die vertrackten Nervenbahnen, die gemergelten<br />
Füße, der faltenverschnürte Leib.“<br />
Schauen wir uns um! Wo sehen wir das so<br />
gezeichnete Alter? Der junge Körper, der<br />
zugleich als Idealbild des Körpers kodiert<br />
ist, wird zur Norm erhoben und ist überall,<br />
wo es etwas zu verkaufen gibt präsent.<br />
Der alternde Körper dagegen wird als<br />
problematisch wahrgenommen, er ist ein<br />
außer - ordentlicher Körper, der aus dem<br />
Rahmen fällt und als solcher eine ästhetische<br />
Zumutung. Bei Medizinern weckt er<br />
das Reparaturbedürfnis, bei Angehörigen<br />
Überforderungs – oder Abschiebungsgedanken<br />
und bei Gesundheitspolitikern<br />
Vernichtungsimpulse. Der alte, hinfällige<br />
Körper ist nahezu unsichtbar faktisch und<br />
medial. Man sehe sich dazu die in der<br />
kommerziellen Werbung genutzte Darstellung<br />
von Alter an, z.B. die Werbeanzeige des<br />
Schweizer Uhrenfabrikanten Patek Philippe,<br />
2009, aus der Serie „Timeless Portraits“,<br />
wo ein smarter Eidgenosse um die 50+ mit<br />
vollem Haupthaar und faltenlos dem Sohn<br />
seinen Chronometer und demnächst die<br />
Firma vererbt. Hat also die Biomedizin ihr<br />
Programm erfolgreich umgesetzt? Oder hat<br />
der auf sich selbst gerichtete Blick die Alten<br />
so verstört, dass sie sich vor der Welt verbergen?<br />
In einem seiner fotografi sch inspirierten<br />
„snapshots“ Selbstbildnis im Supermarkt<br />
beschreibt Rolf Dieter Brinkmann wie eine<br />
solche Begegnung verlaufen sein könnte:<br />
In einer großen Fensterscheibe des Supermarkts<br />
komme ich mir selbst entgegen, wie ich bin.<br />
Der Schlag, der trifft, ist nicht der erwartete<br />
Schlag aber der Schlag trifft mich trotzdem.<br />
Und ich geh weiter bis ich vor einer kahlen<br />
Wand steh und nicht weiter weiß.<br />
Gerade der Blick auf sich selbst ist der<br />
grausame, weil es der Blick der anderen ist.<br />
Wir sehen uns mit den Augen der anderen.<br />
Wenn also das Alter nahezu unsichtbar ist,<br />
wenn das Bekannte in etwas absichtlich Verborgenes<br />
verwandelt wird, etwas Öffentli-