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46<br />

Fundsache<br />

Ulrich Land<br />

Geboren 1956 in Köln. Freier Autor seit<br />

1987. Romandebüt: „Der Letzte macht<br />

das Licht aus“, Münster 2008.<br />

Jüngste Romanveröffentlichung: „Einstürzende<br />

Gedankengänge“, Münster 2010.<br />

Im Übrigen Lyrik, Prosa, Essays und fast<br />

hundert Hörspiele und Radiofeatures.<br />

Herausgeber von Anthologien und mehrfach<br />

von Literaturzeitschriften.<br />

Dozent für „creative writing“ an der Uni<br />

Witten/Herdecke.<br />

Mehrere Auszeichnungen, u. a. Kölner<br />

Medienpreis; Hörspiel-Stipendien der<br />

Filmstiftung NRW und des nordrheinwestfälischen<br />

Kulturministeriums.<br />

Ulrich Land<br />

Höhenweg 60<br />

45529 Hattingen<br />

Tel.: 02052 / 807 22<br />

Email: ulrichland@gmx.de<br />

Web: www.ulrichland.de<br />

Na ja, ich bitte Sie! Fahren Sie mal jeden Tag – Wochen, Monate, Jahre, ein halbes Leben,<br />

jeden Tag – immer die gleiche Strecke. Gut, da gibt‘s jetzt bei der Schwebebahn nicht<br />

viel Auswahl. Wupper rauf Wupper runter. Jedenfalls wär Ihnen auch anders geworden.<br />

Ganz anders.<br />

Es war: Wupper runter. Wie jeden Tag um die Zeit – und plötzlich – plötzlich ist<br />

alles anders! Dieser Handschuh. Der musste einem einfach ins Auge springen. Leuchtend<br />

weiß, wie er war. Aber keiner außer mir schien diese Kirschblüte im Ständerwerk bemerkt<br />

zu haben. Hoch droben – ich meine, von der Schwebebahn aus natürlich: unten – hoch<br />

im Gestängegestakse. Irgendwie anrührend. Hätte Sie auch mitgenommen, der einsame<br />

Handschuh. Wie er sich da mit fl achen Fingern festklammerte. Mit dreien seiner Finger.<br />

Daumen und Zeigefi nger hingen schlaff faltig herab und beteiligten sich nicht an der<br />

Mühe, diese halsbrecherische Position zu wahren. Wenn‘s nach ihnen gegangen wär, wäre<br />

die Reise abwärts in die Wupper einfach fortgesetzt worden. Wurde sie aber nicht. Die<br />

drei andern Kollegen Handschuhfi nger hatten das Gestänge gut im Griff. Diese irrsinnige,<br />

tagelang, wochenlang anhaltende Anstrengung dieser drei verlorenen Handschuhfi nger,<br />

das war‘s, was mich so schwermütig stimmte.<br />

Von nun an wurde ich jeden Tag, an dem ich da vorbeiruckelte, magisch angezogen<br />

von diesem fl ügellahmen weißen Schmetterling da oben und seinem Geheimnis. Stand<br />

für mich außer Frage, dass das jungfräuliche Stück einer jungen Dame gehörte. Nein,<br />

ich kenne sie nicht. Sie kämmt ihr goldenes Haar, sie kämmt es mit goldenem Kamme<br />

und singt ein Lied dabei, das hat eine wundersame, gewaltige Melodei. Ausgeschlossen,<br />

dass die bildschöne Besitzerin ihren Handschuh so hoch hätte hinauf werfen können. Bei<br />

diesen schmalen Fingern, dieser zierlichen Statur, diesem eleganten Mantel. Und wozu<br />

auch? Wozu hätte sie das Ding da rauf katapultieren, das Frieren der einen Hand in Kauf<br />

nehmen sollen!<br />

Und es war hier auch weit und breit kein Haus, aus dessen Fenster jemand dieses<br />

fl atterhafte Corpus Delicti hätte pfeffern können. Irgendwann nach Tagen und Tagen des<br />

Vorbeifahrens einigte ich mich mit mir – nein nein, nicht weil ich davon total überzeugt

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