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50<br />
Gerhard Nebel<br />
„Zwischen den Fronten –<br />
Kriegstagebücher 1942-1945“<br />
Wiederentdeckt, ausgewählt und mit<br />
einem Nachwort von Michael Zeller<br />
© 2010 Wolf Jobst Siedler Verlag jr. Berlin,<br />
1. Aufl age<br />
282 Seiten, ISBN 978-3-937989-69-3<br />
Weitere Informationen unter:<br />
www.wjs-verlag.de<br />
Die Kriegstagebücher Gerhard<br />
Die spezifi sch deutsche literarische Aufarbeitung<br />
des grauenhaften 1. Weltkriegs<br />
(schätzungsweise 17 Millionen Tote)<br />
stammt von Ernst Jünger. „In Stahlgewittern“<br />
ist das Tagebuch seiner Erlebnisse in<br />
Frankreich. Der pathetische Titel kündigt<br />
bereits vom heldenhaften Kampf der<br />
Soldaten, von der trunkenen Stimmung<br />
der Jugend 1914, die, angefeuert von der<br />
großen nationalen Bewegung, sehnsüchtig<br />
mitmachen wollte bei dem Wahnsinn<br />
1914-1918 und die Kriegsgefahr begeistert<br />
suchte (Stichwort: Langemarck).<br />
Nach dem 2. Weltkrieg (schätzungsweise<br />
55 Millionen Tote) erscheint 1948-1950<br />
von Gerhard Nebel (1903-1974) sein<br />
dreibändiges Tagebuch der Kriegszeit.<br />
Von Pathos und Heldentum ist da überhaupt<br />
nicht die Rede. Mit Haß auf den<br />
Despoten und innerlich unbeteiligt am<br />
Krieg wollte er diesen nur überleben. Aktiv<br />
war er nicht am Widerstand beteiligt.<br />
Wie er dachten Hunderttausende.<br />
Gerhard Nebel wird im Februar 1942<br />
infolge eines lockeren Artikels über den<br />
Kommiß-Ton bei der Luftwaffe und die<br />
in der Wehrmacht herrschenden soldatischen<br />
(Un-)Sitten vom Gefreiten und<br />
Dolmetscher zum Bausoldaten degradiert,<br />
muß Paris verlassen, verliert damit seine<br />
Freundschaften und gesegneten Mußestunden,<br />
die er in Paris mit einzelnen<br />
intellektuellen Fliegern und Offi zieren<br />
(u.a. Ernst Jünger) erlebt und geschätzt<br />
hatte, und spricht von seiner hirnverbrannten<br />
Torheit, die Despotie mit einem<br />
unbedachten Artikel herausgefordert zu<br />
haben.<br />
„Die Lage, der ich entgegengehe, erscheint<br />
mir unangenehm“. So beginnen<br />
diese Tagebücher. Als Bausoldat wird er<br />
auf eine Insel des Kanal-Archipels westlich<br />
von Cherbourg versetzt. Dort muß<br />
er körperlich arbeiten, wird aber auch immer<br />
wieder als Dolmetscher in Anspruch<br />
genommen. In seiner Freizeit liest er<br />
Mommsen und Victor Hugo, beschreibt<br />
die stimmungsvolle Insellandschaft mit<br />
Kirchen, Kirchhöfen und ihren Menhiren<br />
und spricht dem französischen Wein gerne<br />
und ausgiebig zu. Was im Osten angerichtet<br />
wurde, ist bei den Soldaten an der<br />
Kanalküste bekannt. Seine Überlegungen<br />
zum preußischen Drill, der den Soldaten<br />
entwürdigt, ihm Qual verursacht und<br />
verursachen soll, was dem Kommiß zur<br />
Wache eingefallen ist, wie wichtig dieser<br />
hohle Stumpfsinn von Offi zieren bis<br />
hinauf zum General genommen wird, das<br />
hält G. Nebel für Wahnsinn. Über die<br />
bei der Wehrmacht verbreitete und mit<br />
Vorschriften manifestierte Kombination<br />
aus subalterner Dummheit und Grausamkeit<br />
erregt er sich, glaubt aber nicht an<br />
die Identität von Volk und Regime und<br />
ist sich der Gefahr, die aus der Identität<br />
von Politik und Verbrechertum resultiert,<br />
bewußt. Solange man noch Wein trinken<br />
kann, ist die Lage jedoch nicht völlig<br />
hoffungslos: Jenseits des Krieges erwartet<br />
Gerhard Nebel eine Welt der Freiheit, der<br />
Bildung und der Humanität.<br />
1943 wird er nach Italien versetzt, wo<br />
er als Dolmetscher für den Stab der<br />
Luftwaffe mit der aufgeräumten Anarchie<br />
der Italiener gut zurecht kommt. „Auf<br />
ausonischer Erde“ organisiert er Wein,<br />
Früchte, Brot und Eier für soldatische<br />
Feste, besorgt italienische Frauen für Bordelle<br />
der Luftwaffe, übersetzt Liebesbriefe<br />
der Landser und Flieger ins Italienische,<br />
hat selbst verschiedene Affären, kommentiert<br />
natürlich Affären der Offi ziere,<br />
wird beschossen, auch bombardiert, und<br />
versucht zu überleben, auch wenn ihn<br />
die „kochende Angst, die allen Inhalt der<br />
Seele verdampft und in deren Dunkel<br />
alle Farbe verlosch“ überfällt, sobald ihm<br />
Steine, Äste, Felssplitter um den Kopf<br />
fl iegen und die feindlichen Jabos (Jagdbomber)<br />
dicht über den Köpfen dröhnen.<br />
Dem Kradmelder bietet der Stahlhelm,<br />
der wie Butter von den kleinen Fetzen<br />
der Splitterbomben durchschnitten wird,<br />
keinen Schutz. Das Hirn spritzt aus dem<br />
Schädel. Nebel sieht und beschreibt es.<br />
Andererseits bleiben Gerhard Nebel aber<br />
schöne Frühlingstage mit weiten Blicken<br />
über die italienische Abruzzenlandschaften<br />
auf türmereiche Städte ebenso unvergeßlich<br />
wie noch schönere Nächte, in<br />
denen unzählige glühende Johanniskäfer<br />
durch samtenes Dunkel tanzen, nachdem<br />
die Nachtigallen verstummen und die<br />
Grillen das Nachtkonzert eröffnen. Jugendliche<br />
Partisanen muß er in Notwehr<br />
mit dem Maschinengewehr abwehren.<br />
Auf der Lagunenbrücke Venedigs wird er<br />
als Fußgänger von Jagdbombern überfl ogen,<br />
die den zwischen den Buhnensteinen