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heimischen gewinnen Abstand mit dem<br />
Rückzug in die Datsche; ich folge dem Rat<br />
Robert Walsers, der in das „obrigkeitliche<br />
Ohr“ seines Steuerbeamten spricht, um das<br />
fortlaufende Spazierengehen zu erklären:<br />
„Ohne Spazieren wäre ich tot. Auf weitschweifi<br />
gem Spaziergang fallen mir tausend<br />
brauchbare Gedanken ein. Ein Spaziergang<br />
tröstet, freut, erquickt mich, ist mir ein Genuss,<br />
hat aber zugleich die Eigenschaft, dass<br />
er mich spornt und zu fernerem Schaffen<br />
reizt, indem er mir zahlreiche mehr oder<br />
minder bedeutende Gegenständlichkeiten<br />
darbietet. Jeder Spaziergang ist voll von<br />
sehenswerten, fühlenswerten Erscheinungen.<br />
Von Gebilden, lebendigen Gedichten,<br />
anziehenden Dingen, die sich reiz- und<br />
anmutvoll vor den Sinnen und Augen des<br />
aufmerksamen Spaziergängers öffnen.“ Mit<br />
diesem „edlen Gedanken des Spazierganges“<br />
im Kopf setze ich mich auf eine Bank vor<br />
dem Teich mit der Aufschrift: Voll daneben<br />
das Leben und lasse mich von nutzlosen<br />
Gefühlen überfallen, als mein Blick auf<br />
ein Hinweisschild knallt und - von dessen<br />
Inschrift benommen - irritiert zurückweicht.<br />
Was ihn verstört ist das Paradoxon<br />
auf einer Tafel, aufgestellt von einem Verein<br />
‚Lebenskunst` mit folgender Beschriftung:<br />
Senioren- Spielplatz Litzenseepark, Vital in<br />
Deutschland (vid), Deutscher Spielraum –<br />
Preis 2009. Darunter, als Gebot adressiert<br />
an die herkömmlichen Benutzer eines Spielplatzes:<br />
Aktionsspielplatz ab 60 Jahre. Nun<br />
weiß ich, seit der Philosoph Sloterdijk seine<br />
Regeln für den Menschenpark aufgestellt<br />
hat, dass Menschen „sich selbst hegende,<br />
selbst hütende Wesen sind, die – wo auch<br />
immer sie leben – einen Parkraum um sich<br />
erzeugen. In Stadtparks, Nationalparks,<br />
Kantonalparks, Ökoparks – überall müssen<br />
Menschen sich eine Meinung darüber bilden,<br />
wie ihre Selbsterhaltung zu regeln sei.“<br />
Hier im Lietzenseepark geschieht sie zum<br />
Nulltarif, wie das amtliche Schild, das sich<br />
am Eingang der Anlage für die politischen<br />
Fördermittel bedankt, vermerkt. Es prahlt<br />
mit der Aufschrift:<br />
Fit zum Nulltarif !<br />
SENIOREN – SPIELPLATZ ?<br />
Wo bin ich? Alogische Räume, fi ktionale<br />
Gespinste, fremde Welten?!<br />
Paradox sind Phänomene, die einen Widerspruch<br />
in sich enthalten, dem menschlichen<br />
Verstand widersprechen. Auf diesem Platz<br />
sollen also alle, die sechzig und drüber sind<br />
spielen dürfen. Ich überlege, noch sieben<br />
Monate, bis ich mitspielen darf und in den<br />
Gedanken drängen sich die Bilder von Eimer,<br />
Schaufel, Sand und Förmchen. Gereizt<br />
von dieser Vorstellung dämpfe ich jedoch<br />
meinen Ingrimm mit Robert Walser, der<br />
mich ermahnt „höchst aufmerksam und<br />
liebevoll jedes kleinste Ding...ob hoch oder<br />
niedrig, ernst oder lustig zu studieren und<br />
zu betrachten.“ Ich soll, so trägt er mir<br />
auf, meinen „Blick überallhin schweifen,<br />
herumstreifen“ lassen und meine eigenen<br />
Klagen gering achten oder völlig vergessen.<br />
Geht aber nicht! Ich stehe vor dem Schild<br />
und ärgere mich. Was empört mich? Das<br />
Schild, das Wort, die Anlage? Der Blick auf<br />
eine Spielwiese ist mir unter gewöhnlichen<br />
Umständen sehr angenehm. Hier aber sind<br />
es die Umstände, die vor der Wiese stehende<br />
Tafel mit den hüpfenden Buchstaben<br />
und die auf der Wiese platzierten Gerätschaften<br />
mit ihrem Bedienungspersonal,<br />
um die sich meine Empfi ndungen erregt<br />
bewegen. Sie müssen sich bewegen, denn<br />
so fordert es die Aufschrift: AKTIONS-<br />
SPIELPLATZ!<br />
Der Zorn beim Anblick des Spielplatzes<br />
fährt in meine Muskeln und mein Fuß wird<br />
zu einem Produkt aus Kraft und Dauer.<br />
Ich trete zu. Es geschieht mir und hätte ich<br />
den Mut der alten Berliner Stadtindianer<br />
und die Fitness, die der Platz vorzugeben<br />
verspricht, würde ich das Licht der Öffentlichkeit<br />
nicht scheuen und das Schild jetzt<br />
sofort umhauen.<br />
Spielplätze sind Freiräume zum Spielen.<br />
Kinder lernen dort geschützt das Hineinwachsen<br />
in die Welt. Sie erleben ihren Körper<br />
und erwerben motorische Fähigkeiten.<br />
Auf dem Spielplatz machen sie die ersten<br />
Erfahrungen mit elementaren Naturgesetzen<br />
und entwickeln sich im Spiel mit anderen<br />
Kindern zu sozialen Wesen. Sie verrichten<br />
dort wichtige Tätigkeiten wie Klettern,<br />
Krabbeln, Buddeln, Rutschen und Bauen.<br />
Und nicht zuletzt ermöglichen Spielplätze<br />
den Eltern eine kurze Pause, in dem sie ihre<br />
Kinder für eine gewisse Zeit in dieses geschlossene<br />
Terrarium stecken und sicher sein<br />
können, es dort meist unbeschädigt, wenn<br />
auch nicht sauber wieder raus zu holen<br />
War es der Notschrei einer fi tnesssüchtigen<br />
Gesellschaft? oder was hat die Berliner<br />
Kommunalverwaltung dazu angeregt für ihre<br />
beschäftigungslosen und bewegungsscheu-<br />
en Mitbürger über sechzig diese Spielwiese<br />
anzulegen? Auf dem eingezäunten Gelände<br />
stehen überall abstrakte, rätselhafte Objekte.<br />
Zur Interaktion mit diesen sehen sich ältere<br />
Mitbürger veranlasst, gekleidet in Funktionslaufhose,<br />
Fleece Weste und BaseCap. Obwohl<br />
die Bewegungs – und Wahrnehmungsentwicklung<br />
in diesem Alter längst abgeschlossen<br />
ist, drücken sie ihre Füße gegen Federwiderstände,<br />
bewegen Stangen, kreisen auf dem<br />
Stehkarrussell, balancieren auf der Pendelscheibe<br />
und bemühen sich so, den Kindern<br />
die Illusion zu nehmen, es sei ihr Spielplatz.<br />
Diese verstehen zwar nicht, warum das<br />
Happy Big Wheel nur für den Opa sein soll,<br />
überlassen es ihm aber großzügig und erobern<br />
die Seniorenschaukel. Um die Bewegungen<br />
richtig ausführen zu können, beschreiben die<br />
Infoschilder altersgerechte Übungen und sind<br />
mit dem Hinweis versehen: „ Führen Sie ein<br />
Vorgespräch mit ihrem Hausarzt, bevor sie sich<br />
an die Geräte trauen.“<br />
Hallo? Habe ich was verpasst? Gibt es ergänzend<br />
zum Kinderfördergesetz ein Altenfördergesetz<br />
mit dem Inhalt Ausbau von Fitnessangeboten<br />
für Übersechzigjährige? Sind hier<br />
Baumaßnahmen beschlossen, die den Körper,<br />
dessen Markenzeichen der Verfall ist, durch<br />
permanente Vollbeschäftigung in einem<br />
Menschenpark am Altern hindern sollen?<br />
Das Konzept GIRO VITALE, das der Gerätehersteller<br />
play fi t gemeinsam mit Ingenieuren<br />
entwickelt hat, entstand nach einer<br />
China Reise der Firmeninhaberin. Dort sah<br />
sie viele Menschen, die sich morgens in<br />
den Parks der Städte trafen, um gemeinsam<br />
rituelle Bewegungen auszuführen, die auch<br />
als „Schattenboxen“ bekannt sind. Nach<br />
dem chinesischen Glauben verspricht Tai<br />
Chi dem Übenden die Geschmeidigkeit<br />
eines Kindes.<br />
Unter dem Motto: 50 + Eine Generation<br />
fordert einen neuen Ansatz - möbliert play<br />
fi t öffentliche Anlagen mit Balancebalken,<br />
Pendelbrettern, Schaukeln, Wippen u.v.m.<br />
für einen Preis in der Spanne von 25000 bis<br />
430000 Euro. „Wir bieten Ihnen an frischer<br />
Luft in Park-Atmosphäre die Möglichkeit<br />
einer kleinen Radtour, aber in bequemer Sitzhaltung,<br />
ohne auf das entspannte Gespräch zu<br />
verzichten. Ohne großen Aufwand trainieren<br />
Sie an den Geräten Bewegungsabläufe,<br />
Muskulatur, Kondition, Gleichgewicht. Im<br />
‚Twister’ lassen Sie schwungvoll Ihre Hüfte<br />
Kreisen“.<br />
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