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Nebels – wiederentdeckt<br />

Liegenden aber für eine Leiche halten<br />

und Munition sparen. Im Juni 1944 -<br />

liest man- werden deutsche Geschütze<br />

unter der Aufsicht von schwankenden<br />

Landsern, die Wein- und Schnapsfl aschen<br />

schwenken, von Ochsenkarren durch die<br />

Po-Ebene gezogen. Mal wieder verliebt,<br />

verliert er sich zuletzt an Antonia, wollte<br />

sich aber in den unsicheren Zeiten nicht<br />

an die Studentin binden und entweicht<br />

ohne Abschied, womit er wohl nicht nur<br />

sie, sondern vor allem auch sich selbst<br />

verraten hat. Endlich gerät er in amerikanische<br />

Kriegsgefangenschaft, erkrankt<br />

schwer und empfi ndet das Grauen in den<br />

Lazaretten Norditaliens entsetzlicher als<br />

die ausonischen Tage hinter der Front.<br />

Von Hitlers Tod erfährt er in Cortina<br />

d´Ampezzo und feiert das Ende der Bestie<br />

mit Sekt.<br />

Gerhard Nebel, 1903 geboren, hatte<br />

Philosophie und Altphilologie studiert,<br />

u.a. bei Heidegger und Jaspers. Politisch<br />

treibt es ihn als Berufsanfänger Ende der<br />

Zwanziger Jahre zur Sozialistischen Arbeiterpartei<br />

(SAP) und er setzt sich auch<br />

handgreifl ich mit den Nationalisten auseinander<br />

(Narbe neben dem linken Auge).<br />

Mit seinem dreibändigen Kriegstagebuch<br />

schreibt sich Nebel in die literarische<br />

Öffentlichkeit Nachkriegsdeutschlands.<br />

Er hält Vorträge über Ernst Jünger, der<br />

nach dem Krieg zunächst wegen eines<br />

Verbots der Alliierten selbst nicht publizieren<br />

durfte und schreibt ein Buch über<br />

ihn. Bald aber streiten sich die beiden, die<br />

zunächst in gleicher Weise vom Publikum<br />

wie auch der Kritik geschätzt wurden,<br />

kämpfen gegeneinander und beleidigen<br />

sich. Skandalös, wie Ernst Jünger die<br />

Übersetzung von Nebels „Hesperiden“<br />

ins Französische gezielt verhindert hat.<br />

1950 erhält Nebel den Eduard von der<br />

Heydt-Preis der Stadt Wuppertal. Hier<br />

hat er von 1950 bis 1955 als Studienrat<br />

am Gymnasium in der Bayreuther Straße<br />

gearbeitet. In Wuppertal gründet er, der<br />

promovierte Philosoph, die Gesellschaft<br />

„Der Bund“, in der zusammen mit der<br />

Elite der Zeit - Ernst Jünger, Gottfried<br />

Benn, Theodor W. Adorno, Ernst Bloch,<br />

Jürgen Habermas, Arnold Gehlen, Carl<br />

Schmitt u.a. waren Gäste - die geistige<br />

Erneuerung und Orientierung nach dem<br />

Nationalsozialismus diskutiert wird.<br />

Durch Aufklärung wollte man nachhaltig<br />

gegen „Gastfeindschaft, Barbarei<br />

und Dehumanisierung“ wirken (Zitat<br />

Michael Okroy s.u.). Gerhard Nebel<br />

schreibt im Laufe seines Lebens etliche<br />

Bücher und regelmäßig in der FAZ. Mit<br />

seinen Beiträgen macht er sich nicht<br />

nur Freunde. Thomas Mann konnte er<br />

nicht leiden. Zu dessen 75. Geburtstag<br />

erscheint am 6. Juni 1950 von G. Nebel<br />

ein bösartiger Artikel in der FAZ. Über<br />

Wuppertal schreibt er ein wenig freundlicher:<br />

„Wuppertal ist rauh und knochig,<br />

aber treu. Gewebe sind hier nicht wie<br />

anderswo Lügengewebe, Garne sind<br />

keine Betrugsschlingen. Die Solidität ist<br />

nicht Schwerfälligkeit, sondern Stärke<br />

- man hat sich nicht für den Oberfl ächenschmelz,<br />

sondern die Tiefenstruktur<br />

entschieden, nicht für die geschwinde,<br />

huschende Intelligenz, sondern für zähes<br />

Festhalten und bohrende Berechnung.<br />

Den Verlust an Charme und Lieblichkeit<br />

nimmt man, wenn man sieht, was in der<br />

Nachbarschaft mit diesen Kategorien<br />

getrieben wird, gern in Kauf.“ (zitiert<br />

nach Christine Hummel, 2004, s.u.).<br />

Georg Nebel starb 1974. Er wurde in<br />

Braunsbach-Steinkirchen (Landkreis<br />

Schwäbisch-Hall) beerdigt.<br />

Die Kriegstagebücher Gerhard Nebels<br />

(ursprünglich dreibändig) wurden von<br />

Michael Zeller, Von der Heydt-Preisträger<br />

2008, wiederentdeckt. Der heutige Leser<br />

des Werkes ist fasziniert von der Authentizität<br />

und Frische der Sprache, hinter der<br />

die gesamte Kultur des alten Europa immer<br />

wieder aufblitzt, von Nebels Humor,<br />

seinem Zynismus und der Souveränität<br />

des Gebildeten. Der Schriftsteller Michael<br />

Zeller hat das vergessene Werk von<br />

historischen Schlacken befreit, gekürzt,<br />

mit einem sehr informativen Nachwort<br />

zu Biographie, Werk und Rezeptionsgeschichte<br />

versehen und neu herausgegeben.<br />

Das Buch wurde von der Süddeutschen<br />

Zeitung im Januar 2011 auf Platz 3 (von<br />

10) der Liste der Sachbücher des Monats<br />

gesetzt.<br />

Literatur:<br />

1. Dr. Christine Hummel: Ungeschminktes<br />

Wuppertal, 2004 Bergische Universität<br />

(http://www.presse-archiv.uni-wuppertal.<br />

de/html/module/medieninfos/archiv/2004/1907_stadtjubilaeum_collage.<br />

htm)<br />

2. Michael Okroy: „Lebendig. ungeschminkt<br />

und voller Geist. Ein kulturgeschichtlicher<br />

Spaziergang durch das<br />

Wuppertal, der 1950er Jahre.“ Vortrag am<br />

24.11.2010 in der Citykirche Elberfeld)<br />

3. www.michael-zeller.de/<br />

Nachbemerkung<br />

mit Notizen zu Michael Zeller:<br />

Michael Zeller wurde 1944 in Breslau<br />

geboren und lebt seit 1998 in Wuppertal.<br />

1978 veröffentlichte er seinen ersten Roman<br />

(„Fehlstart-Training“). Nach seiner<br />

Promotion 1974 habilitierte er sich 1981<br />

in Erlangen. Michael Zeller erhielt zahlreiche<br />

Auszeichnungen, so z.B. 1984/85<br />

das Atelierhaus Stipendium Worpswede,<br />

als dessen literarisches Ergebnis sein<br />

Roman über Paula Moderson-Becker<br />

entstand („Die Sonne! Früchte. Ein<br />

Tod“, 4. Aufl age 2007). 1997 erhielt er<br />

das Schriftstellerstipendium der Robert-<br />

Bosch-Stiftung und lebte ein Jahr in<br />

Krakau. In „Café Europa“ und „Die Reise<br />

nach Samosch“ hat er diesen Aufenthalt<br />

literarisch verarbeitet. 2006 bereiste er das<br />

kriegszerstörte Bosnien und hielt seine<br />

Impressionen in „Granaten und Balladen“<br />

fest. 2008 erhielt er den Von der<br />

Heydt-Preis der Stadt Wuppertal, und es<br />

erschien sein achter Roman („Falschspieler“).<br />

Seit 2007 arbeitet Michael Zeller<br />

literarisch mit Schülern. Inzwischen sind<br />

vier „Schulhausromane“ entstanden. Der<br />

jüngste Roman „Ein Schuss Jugendliebe“<br />

wird im Mai 2011 erscheinen. Michael<br />

Zeller publiziert auch in den Musenblättern<br />

und im Wuppertaler NordPark<br />

Verlag.<br />

Weitere Informationen unter: www.<br />

michael-zeller.de<br />

Johannes Vesper<br />

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