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deinen Fehler, der mir ermöglichen wird,<br />

dich offen als den Feind zu behandeln,<br />

als den ich dich sehen will. Unhöfl ichkeit<br />

ist Herausforderung zum Konfl ikt durch<br />

den, der davon überzeugt ist, aus ihm als<br />

Sieger hervorzugehen.<br />

Höfl ichkeit dagegen ist Freundschaft<br />

auf Distanz zwischen Fremden. Auf<br />

Gegenseitigkeit geübt, macht sie die<br />

gemeinsame Welt für ihre Angehörigen<br />

freundlich. Ihre Gesten signalisieren den<br />

Verzicht auf Feindseligkeit.<br />

Höfl ichkeit kann nur üben und<br />

erfahren, wer den anderen als Person<br />

wahrnimmt, und von ihm als Person<br />

wahrgenommen wird. In der Gesellschaft<br />

des totalen ‚homo oeconomicus’ jedoch<br />

darf jeder alle nur noch in ihrer System-<br />

Funktion wahrnehmen.<br />

In ihrer Ausdehnung auf alle Lebensbereiche<br />

hat die Totalisierung der<br />

ökonomischen ‚Werte’ die alte humane<br />

Trennung von gesellschaftlichem und<br />

privatem Leben aufgehoben. Privatleben<br />

wurde tendenziell aozial. Wer auf seiner<br />

Privatsphäre besteht, gibt zu erkennen,<br />

dass er sich dem Anspruch der totalen<br />

Verwertung seiner Person widersetzt.<br />

Der medial existierende Mensch ist<br />

der öffentliche Mensch, sein Modell<br />

der ‚Prominente’, dessen Intimsphäre<br />

unablässig veröffentlicht wird. Höfl ichkeit<br />

dagegen ist Achtung für die Sphäre des<br />

Privaten, in der einer unabhängig von<br />

seiner gesellschaftlichen Funktion sein<br />

kann, was er als Person ist.<br />

Der höfl iche Mensch, der sich nicht<br />

nur höfl ich verhält, sondern höfl ich<br />

ist, nimmt den anderen, mit dem er in<br />

Beziehung steht, vor der Blöße seiner<br />

Wahrheit in Schutz. Gegenseitig geübt,<br />

ist die Höfl ichkeit eine Rückversicherung<br />

gegen Enttarnung unverzichtbarer<br />

‚Lebenslügen’. Die Wahrheit zu verbergen,<br />

sie hinter Vorhängen zu halten (5) , ist<br />

eine Geste der Humanität als gegenseitige<br />

Schonung. Der Höfl iche übersieht, was<br />

sein Gegenüber in Verlegenheit setzen<br />

müsste, würde es bemerkt; der tüchtige<br />

Funktionär der totalen Ökonomie nutzt<br />

es im allumfassenden, nie ausgesetzten<br />

und keine Lebenssituation auslassenden<br />

Konkurrenzkampf gezielt für seine<br />

Zwecke aus.<br />

So verkehrt der Unhöfl iche die<br />

Aufmerksamkeit, mit der Höfl ichkeit<br />

verwirklicht wird, in ihr Gegenteil.<br />

Die Aufmerksamkeit ist keine Regel, die<br />

man kennt und einhält oder verletzt; sie gehört<br />

zum Fundament der Person. Aufmerksamkeit<br />

ist eine Grundhaltung des Menschen<br />

der Welt gegenüber. Der Aufmerksame<br />

hat sich entschlossen, nicht sich selber,<br />

sondern die ihn umgebenden Phänomene<br />

zu betrachten, man könnte auch sagen, sich<br />

selbst ausschließlich im Spiegel der anderen<br />

wahrzunehmen. Er blickt die Menschen,<br />

die ihm begegnen, an. Diese Menschen sind<br />

ihm wichtig. (…). Nur, dass der Aufmerksame<br />

von ihnen nicht profi tieren möchte.<br />

Seine Aufmerksamkeit ist seine Natur. Es ist<br />

wichtig, Menschen zu erkennen, sie haben<br />

ein Recht darauf. (…). Der Aufmerksame<br />

hat nicht vergessen, wer eine Fischallergie<br />

hatte; er wird dem Elternpaar, das Kummer<br />

mit seinen Kindern hat, nicht von den<br />

Erfolgen der eigenen berichten; er kennt die<br />

Stellen im Zimmer, an denen am wenigsten<br />

Zug herrscht, und weiß, wen er dorthin<br />

platzieren wird (6) .<br />

Nur dort, wo die Aufmerksamkeit am<br />

wichtigsten ist, in der exklusiven Liebesbeziehung,<br />

die die Welt ausschließt, gibt<br />

es keine Höfl ichkeit, weil sie verhinderte,<br />

ihr größtes Bedürfnis nach größtmöglicher<br />

körperlicher Nähe zu befriedigen.<br />

Hier kann das grobe Wort die letzte<br />

Distanz zum Verschwinden bringen, das<br />

im gesellschaftlichen Umgang die Distanz<br />

herstellt, die der, dem es gilt, nicht einzuhalten<br />

bereit ist.<br />

In einer Welt, die durch unablässige<br />

Zunahme der Bevölkerung für jeden<br />

Einzelnen immer enger wird, muß die<br />

Fähigkeit, sich die anderen im Umgang<br />

mit ihnen vom Leib zu halten, wie sie sich<br />

in der Frühzeit der bürgerlichen Gesellschaft<br />

als Selbstbildung des Individuums<br />

ausprägte und einen neuen gesellschaftlichen<br />

Kodex akzeptierter Umgangsformen<br />

entstehen ließ, aufs neue zu einer<br />

Grundfähigkeit all derer werden, die sich<br />

die Lebensform des Individuums bewahren<br />

wollen. Abstand zu halten, wird zum<br />

Handgriff einer neuen Kunst gesellschaftlicher<br />

Virtuosität, Nähe so zu dosieren,<br />

dass sie einen nicht von sich selbst fern<br />

rückt, ohne dabei ins Hintertreffen im<br />

totalen Konkurrenzspiel zu geraten,<br />

dessen Erfolg oder Mißerfolg darüber<br />

entscheidet, welche Lebensform man sich<br />

leisten kann.<br />

Das Verschwinden der Höfl ichkeit als<br />

selbstverständliche Umgangsform signalisiert<br />

ein Verblassen des Gemeinsinns, dessen<br />

Schwäche nichts anderes ist als eine<br />

Erscheinungsform der Lebensschwäche.<br />

Aber auch die Lebensklugheit gebietet<br />

uns höfl ich zu sein, und nicht verdrießlich<br />

zu schweigen, oder gar Verdrießliches zu<br />

erwidern, wenn irgend ein schwammiger<br />

Kommerzienrat oder dürrer Käsekrämer<br />

sich zu uns setzt, und ein allgemein europäisches<br />

Gespräch anfängt mit den Worten:<br />

„Es ist heute eine schöne Witterung.“ Man<br />

kann nicht wissen, wie man mit einem<br />

solchen Philister wieder zusammentrifft,<br />

und er kann es uns dann bitter eintränken,<br />

dass wir nicht höfl ich geantwortet: „Die<br />

Witterung ist sehr schön.“ (7) .<br />

Der grenzenlose Egoismus muß diese<br />

‚Lebensklugheit’ verlieren, die auf dem<br />

einfachen Bewußtsein der Unmöglichkeit<br />

beruht, alleine zu leben. Wer die anderen<br />

aus seiner Gesellschaft ausschließt,<br />

schließt sich selbst aus der Gesellschaftlichkeit<br />

aus, die darauf beruht, dass der<br />

Mensch ein Lebewesen der Selbstbehauptung<br />

auf Gegenseitigkeit ist.<br />

(1) Heinrich Heine, Italien (1828), in: ders., Sämtliche Schriften, hg. von Klaus Briegleb, Bd. 3, Ffm-Berlin-Wien 1981, 311-389; 315<br />

(2) Gracian, Balthasar, Handorakel und Kunst der Weltklugheit (1647), dt. von Arthur Schopenhauer, Stuttgart 1978<br />

(3) Carl Friedrich von Rumohr, Schule der Höfl ichkeit für Alt und Jung, 2 Bde., Stuttgart-Tübingen 1834/35; 51 f.; 53<br />

(4) François Emmanuel, Der Wert des Menschen. Roman, München-Zürich 2002<br />

(5) Andreas Steffens, Hinter Vorhängen oder Von der Wahrheit, in: ders., Gerade genug. Essays und Miniaturen, Wuppertal 2010, 13-18<br />

(6) Asfa-Wossen Asserate, Manieren, Ffm 2003, 39 f.<br />

(7) Heine, Italien, 315<br />

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