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Juni 2010 (PDF) - an.schläge

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literatur<br />

Bücher von Irena Brežná:<br />

Die beste aller Welten.<br />

edition ebersbach 2008<br />

Die Sammlerin der Seelen.<br />

Unterwegs in meinem<br />

Europa. Aufbau 2003<br />

Irena Brežná u.a.: Eine<br />

Sprache – viele Horizonte<br />

… Die Osterweiterung der<br />

deutschsprachigen Literatur.<br />

Porträts einer neuen europäischen<br />

Generation<br />

Hg. v. Michaela Bürger-<br />

Koftis. Praesens 2009<br />

www.brezna.ch<br />

34 l <strong>an</strong>.<strong>schläge</strong> <strong>Juni</strong> <strong>2010</strong><br />

„Die Fremdheit ist<br />

mein Weltbeschleuniger“<br />

Was es bedeutet, sich<br />

in einer neuen Sprache<br />

als Schriftstellerin zu<br />

behaupten, und welche<br />

Bilder Frauen in Ost- und<br />

Westeuropa vonein<strong>an</strong>der<br />

haben: Michèle Thoma<br />

traf die Autorin Irena<br />

Brežná zum Gespräch<br />

über diese und <strong>an</strong>dere<br />

Verwicklungen.<br />

<strong>an</strong>.<strong>schläge</strong>: In Ihrem Rom<strong>an</strong> „Die beste<br />

aller Welten“ beschreiben Sie eine<br />

idyllisch <strong>an</strong>mutende Kindheit in der<br />

kommunistischen Slowakei. D<strong>an</strong>n<br />

„werden“ Sie von den Eltern 1968 in<br />

die Schweiz „emigriert“. Sie verloren<br />

die Heimat, was gew<strong>an</strong>nen Sie?<br />

Irena Brežná: Ich habe die Welt<br />

gewonnen, die Vielfalt, eine hybride<br />

Persönlichkeit. Mit dieser polyphonen<br />

Persönlichkeit muss ich lernen, so umzugehen,<br />

dass sie harmonisch klingt.<br />

Sie sprechen vom Messer der deutschen<br />

Sprache, vom geschliffenen<br />

Geist ...<br />

Ich kam aus einer Welt, in der die<br />

Gefühle dominieren, in der das Denken<br />

festgelegt und beschränkt ist, und habe<br />

mir <strong>an</strong> der Universität das Denken<br />

<strong>an</strong>geeignet. Das Deutsche ist für mich<br />

eine Denksprache. Es war eine neue<br />

Sprache, deren Begriffe ich erst abklopfen<br />

musste. Ich schätze die Disziplin<br />

des Geistes, den kritischen Geist, die<br />

Analyse. Das k<strong>an</strong>n ich zu dem Gefühl,<br />

aus dem ich komme, addieren.<br />

1989 gehen Sie nach Bratislava. Ernüchterung<br />

folgt. Sie haben zum zwei-<br />

ten Mal die Heimat verloren, nämlich<br />

die Illusion der Heimat.<br />

Ich bin herausgerissen worden aus einer<br />

Gemeinschaft und bin d<strong>an</strong>n nie stehengeblieben.<br />

Als ich 21 Jahre später<br />

wiederkam, habe ich dieselbe Zugehörigkeit<br />

erwartet. D<strong>an</strong>n habe ich die<br />

b<strong>an</strong>ale Wahrheit herausgefunden, dass<br />

die Slowakei nur ein L<strong>an</strong>d ist wie jedes<br />

<strong>an</strong>dere, dass ich zufällig diese Kindheit<br />

dort hatte, zufällig diese Sprache spreche.<br />

Ich habe jetzt dort genau wie in<br />

allen Ländern der Welt Freunde, die ich<br />

ausgesucht habe nach Kriterien, nach<br />

denen ich überall in der Welt Menschen<br />

suche und finde.<br />

Ist das „Recht auf Fremdheit“ der<br />

Schatz, den Sie sich durch den Verlust<br />

erobert haben?<br />

Liebe zur Fremdheit wurde mir<br />

attestiert. Die Fremdheit ist mein<br />

Weltbeschleuniger. Wenn ich beim<br />

Schreiben dar<strong>an</strong> denken müsste, dass<br />

es meiner T<strong>an</strong>te gefallen muss, geht<br />

das einfach nicht. H<strong>an</strong>deln nicht viele<br />

Rom<strong>an</strong>e davon, wie ein Fremder<br />

in eine Stadt, ein Dorf kommt, und<br />

dieser fremde Blick bringt die Dinge<br />

zum Vibrieren?<br />

Foto: edition ebersbach<br />

Gibt es also ein Heilung von der Schizophrenie<br />

„Heimat-Fremde“?<br />

Die Emigration ist ein Fenster zur Welt.<br />

Ich habe nicht meine verlassene, <strong>an</strong>gestammte,<br />

kleine Gemeinschaft gegen<br />

eine fremde Mickrigkeit eingetauscht.<br />

Ich leiste einen Beitrag durch mein<br />

Anderssein. Die ersten Jahre spürte<br />

ich nur den Verlust. Irgendw<strong>an</strong>n habe<br />

ich gemerkt, dass ich etwas habe, das<br />

den Einheimischen fehlt. Dass sie sogar<br />

neidisch sind. Dass ich gerade damit<br />

arbeiten und es nicht verleugnen soll.<br />

Ich bin in das größte Loch geg<strong>an</strong>gen,<br />

in die Stummheit, die fremde Sprache.<br />

Ich konnte nicht glauben, hoffen, mir<br />

<strong>an</strong>maßen, dass ich jemals in dieser<br />

Sprache Literatur schreiben würde. Ich<br />

hatte die Frechheit, mir die Sprache zu<br />

erobern und das fremde Territorium zu<br />

besetzen.<br />

Sie zitieren die kroatische Autorin<br />

Dubravska Ugresic, die den Raum<br />

des ehemaligen Kommunismus als<br />

schlafende Frau beschreibt, die der<br />

männliche Westen brauche oder auch<br />

gebrauche. Die horizontale Lage diene<br />

der geistigen und wirtschaftlichen<br />

Erektion.

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