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Ärzteblatt August 2010 - Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern

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LeItARtIKeL<br />

So kann es nicht weitergehen !!!<br />

Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />

die (Welt)-wirtschaftskrise ist nicht überstanden. Die Bürgerinnen<br />

und Bürger werden allenthalben zum Sparen und zur<br />

Zurückhaltung aufgefordert, die eigentlich Schuldigen und<br />

weiterhin hochgradig am derzeitigen Desaster Mitbeteiligten<br />

werden aus fadenscheinigen Gründen nicht zur Verantwortung<br />

gezogen. Im Gegenteil, Ihnen werden bereits wieder<br />

Erfolgshonorare von bis zu einer halben Million Euro<br />

gezahlt. Es ist überhaupt nicht zu verstehen, warum Investmentbanker,<br />

z. B. auch der Deutschen Bank, Jahreseinkommen<br />

in Höhe von bis zu 100 Millionen Euro verzeichnen. Nicht<br />

das Sie mich falsch verstehen, es geht hier nicht um Sozialneid,<br />

auch nicht um eine Gleichmacherei. Es kann aber<br />

keiner so gut sein, daß er dieses Geld auf „realem“ Wege<br />

verdient und damit meine ich, ein Äquivalent für diese Summe<br />

geschaffen hat. Im Gegenteil, es sind durch fast nicht<br />

mehr nachvollziehbare Geschäfte und heikle Transaktionen<br />

imaginäre Summen geschaffen und transferiert worden,<br />

ohne daß auch nur irgend jemand einen Gegenwert durch<br />

seiner Hände Arbeit dagegensetzen könnte.<br />

Sie werden sich fragen, was das mit dem Gesundheitswesen<br />

zu tun hat – eine ganze Menge.<br />

Im 19. und 20igsten Jahrhundert wurde die gottgewollte<br />

Verursachung von Krankheiten durch naturwissenschaftliche<br />

Erklärung, z. B. durch Obduktion von Verstorbenen und Erklärung<br />

physiologischer und pathophysiologischer Vorgänge,<br />

abgelöst, die ihren Anfang schon im Mittelalter hatten. Auch<br />

galt es, die Heere für Eroberungskriege oder für die Verteidigung<br />

durch gesunde Soldaten zu gewährleisten. Darüber<br />

hinaus wurden gesunde Arbeitskräfte für die industrielle<br />

Produktion benötigt. Der Erhalt der Gesundheit wurde zur<br />

Staatsdoktrin erklärt. Um dies zu gewährleisten, übertrug<br />

die Politik die Gesamtverantwortung für die Gesundheit der<br />

Gesellschaft als Ganzes der Ärzteschaft. Zur Aufrechterhaltung<br />

der gleichmäßigen Versorgung wurden Krankenkassen<br />

geschaffen, die die eingehenden Beiträge zum Nutzen aller<br />

verwalteten.<br />

Was ist heute daraus geworden? Noch unter Ulla Schmidt<br />

wurde das Gesundheitswesen zum freien Markt erklärt, der<br />

Privatisierung des Gemeinwohls durch eine SPD-Ministerin<br />

das Wort geredet, der Wettbewerb um Kranke eröffnet und<br />

damit letztendlich die Möglichkeit geschaffen, mit Krankheit<br />

Rendite aus Pflichtbeiträgen der Sozialversicherung zu erwirtschaften<br />

– eine Amoralität an sich.<br />

Die Gesundheit ist auf Grund der Technisierung in der Wirtschaft<br />

nicht mehr von gesellschaftlichem Interesse, im Sinne<br />

von Gesunderhaltung und Prävention, sondern die Krankheit<br />

ist in höchstem Maße attraktiv geworden, besonders in renditeorientierten<br />

Krankenhäusern. So kommt es täglich vor,<br />

daß am Gewinn beteiligte Geschäftsführer den Ärzten die<br />

Aufforderung zukommen lassen, noch mehr Patienten aufzunehmen.<br />

Eine Diagnose läßt sich schon finden, auch wenn<br />

aus einer Operation durch geschicktes Entlassungsmanagement<br />

drei gemacht werden.<br />

Der kranke Patient wird also rentabel, der Mensch an sich<br />

wird von der „Gesundheitsindustrie“ zum Produkt erklärt.<br />

Der Vorstandsvorsitzende von den Rhönkliniken behauptet<br />

sogar, daß Medizin im wesentlichen ein Konsumgut ist.<br />

Ein HIV-Patient ist ein lukrativer „Kunde“. Der Patient ist<br />

„Werkstück“ bzw. „Ware“ in der Gesundheitsindustrie.<br />

Ärzte und Apotheker werden einem ökonomischen Druck<br />

ausgesetzt und die Entscheidung über Therapie und Diagnostik,<br />

für die sie beide fast autonom zuständig waren, kündigen<br />

einen Paradigmenwechsel im Gesundheitswesen an:<br />

Ökonomie vor Ethik. Damit verlieren wir Arzte unsere Glaubwürdigkeit<br />

und unser gutes Arzt-Patienten Verhältnis – politisch<br />

gewollt???<br />

Lassen wir uns unser hippokratisches Mandat „Anwälte unser<br />

Patienten zu sein“, nicht politisch zerstören. Mahnen wir die<br />

Politik und schützen die Patienten vor renditeorientierten<br />

Bestrebungen in der beitragsfinanzierten Medizin.<br />

In diesem Sinne<br />

collegialiter<br />

Ihr<br />

Dr. Andreas Crusius<br />

Seite 272 ÄRZTEBLATT MECKLENBURG-VORPOMMERN

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