Sonderausgabe Phantomschmerzen - stolperstein
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Heute trage ich moderne Prothesen<br />
auf dem neuesten Stand: Ein völlig<br />
neues Lebensgefühl! Jetzt habe<br />
ich ein enorm gutes Gangbild, das<br />
Laufen fällt mir erheblich leichter.<br />
Viele Menschen, denen ich auf der<br />
Straße begegne und die mich von<br />
früher her kennen, können gar nicht<br />
glauben, wie gut ich jetzt laufe.<br />
Auch meine <strong>Phantomschmerzen</strong>,<br />
unter denen ich jahrelang bis zur<br />
absoluten Handlungsunfähigkeit litt,<br />
habe ich in den Griff bekommen.<br />
Mir geht es heute wieder sehr gut.<br />
Ich kann mir nicht mehr richtig vorstellen,<br />
wie es früher mit gesunden<br />
Beinen war.<br />
STOLPERSTEIN Was machen Sie<br />
beruflich?<br />
GRIEBEL Ich bin stark im sozialen Bereich<br />
engagiert und habe mehrere<br />
Ehrenämter inne. Meine Tage sind<br />
oft sehr lang, ich bin teilweise von<br />
7.00 Uhr bis 23.00 Uhr unterwegs.<br />
Da kann ich mir natürlich keine<br />
Probleme mit der Prothese oder gar<br />
<strong>Phantomschmerzen</strong> leisten!<br />
Meine wichtigste Aufgabe ist unsere<br />
Selbsthilfegruppe. Inzwischen sind<br />
wir über 80 aktive Mitglieder und<br />
zudem betreue ich weitere Gruppen<br />
in der Region. In der Selbsthilfegruppe<br />
haben wir es uns zur Aufgabe<br />
gemacht, Menschen mit Beinamputationen<br />
Hilfe, Orientierung und<br />
Zuversicht zu geben.<br />
Außerdem mache ich Besuchsdienste<br />
in Krankenhäusern, begleite<br />
Betroffene bei Behördengängen<br />
oder leiste Aufklärungsarbeit, z. B.<br />
bei Krankenkassen. Auch Haus- und<br />
Krankenbesuche, Hilfe in Notsituationen,<br />
psychologische Unterstützung,<br />
feste Beratungs-Sprechstunden,<br />
Vorträge, Öffentlichkeitsarbeit<br />
und vieles mehr gehört zu meinen<br />
Aufgaben.<br />
Zusätzlich bin ich im Beirat für<br />
Selbsthilfegruppen der Städte<br />
Coburg, Lichtenfels, Kulmbach und<br />
Bayreuth. All das sind wichtige Aufgaben<br />
ohne geregelte Arbeitszeiten!<br />
STOLPERSTEIN Haben Sie Erfahrungen<br />
mit <strong>Phantomschmerzen</strong><br />
und wie sind Sie in der Vergangenheit<br />
damit zurecht gekommen?<br />
GRIEBEL Erst einige Jahre nach der<br />
Amputation verspürte ich zunächst<br />
ein Kribbeln in meinen nicht mehr<br />
vorhandenen Unterschenkeln. Nach<br />
und nach bekam ich jedoch immer<br />
häufiger Schmerzattacken, die an<br />
Stärke mehr und mehr zunahmen.<br />
Der Phantomschmerz ist ein attackenartiger,<br />
stechender Schmerz,<br />
der mich unvermittelt überfällt. Ich<br />
fühle mich, als würde man mir alle 5<br />
Sekunden mit einem Messer in die<br />
Fußsohle stechen. Zunächst blieben<br />
alle Behandlungsversuche ohne<br />
langfristige Linderung der Schmerzen.<br />
Akupunktur, leichte Stromschläge,<br />
starke Medikamente – ich habe<br />
alles probiert. Die Medikamente<br />
haben mir großen körperlichen<br />
Schaden zugefügt, denn heute sind<br />
meine Nieren wegen der jahrelangen<br />
starken Tabletten geschädigt.<br />
STOLPERSTEIN Wie begegnen Sie<br />
heute <strong>Phantomschmerzen</strong>?<br />
GRIEBEL Vor einigen Jahren erhielt<br />
ich die Möglichkeit, einen damals<br />
neu entwickelten Silikonliner zu<br />
testen. Man hat mir versichert,<br />
dass dieses Produkt meine <strong>Phantomschmerzen</strong><br />
erheblich reduzieren<br />
kann.<br />
Bis zum heutigen Tag trage ich die<br />
Liner und kann mich auf jeden Fall<br />
als Langzeit-Experten bezeichnen.<br />
Im Laufe der Zeit wurden meine<br />
Phantomschmerz-Attacken immer<br />
seltener und auch schwächer.<br />
Medikamente musste ich immer<br />
seltener und weniger einnehmen.<br />
Heute nehme ich keine Schmerzmedikamente<br />
mehr. Nur das leichte<br />
Kribbeln in meinen Unterschenkeln,<br />
Anwenderinterview mit Egon Griebel<br />
das ist geblieben, was aber nicht<br />
schmerzhaft ist.<br />
Ohne <strong>Phantomschmerzen</strong> hat sich<br />
mein Leben wirklich verändert. Mein<br />
ganzes Engagement mit der Selbsthilfegruppe<br />
wäre ohne diese Hilfe<br />
nie möglich gewesen, da bin ich<br />
mir sicher. Bei meiner Arbeit treffe<br />
ich Betroffene, die auch <strong>Phantomschmerzen</strong><br />
haben. Hier kann ich oft<br />
mit meinen eigenen Schmerzerfahrungen<br />
weiterhelfen.<br />
STOLPERSTEIN Sie engagieren sich<br />
sehr für andere Menschen. Dafür<br />
haben Sie sogar die Bayerische<br />
Staatsmedaille für soziale Dienste<br />
bekommen…<br />
GRIEBEL Also, ich freue mich wirklich<br />
sehr über die Medaille. Aber mit dieser<br />
Art von Öffentlichkeit fühle ich<br />
mich gar nicht wohl. Ich sehe das<br />
so: Die Auszeichnung hilft, unsere<br />
Botschaft ein Stück weiter zu streuen,<br />
so dass die Öffentlichkeit und<br />
weitere Betroffene auf uns aufmerksam<br />
werden.<br />
STOLPERSTEIN Vielen Dank für das<br />
interessante Gespräch. Für Ihre<br />
gesetzten Ziele und die Zukunft<br />
wünschen wir Ihnen viel Erfolg.<br />
Weitere Erfahrungen von<br />
Egon Griebel auf Seite 20.<br />
Bayerische Staatsministerin Christa Stewens<br />
und Egon Griebel<br />
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