ª1'96 - Aktuell
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Offener Brief an die Angehörigen<br />
von Organspendern:<br />
Herzlichen Dank für mein Leben!<br />
Ich verdanke mein Leben einem gestorbenen Menschen, dessen Organ mir geschenkt worden<br />
ist, damit ich weiterleben kann. Er oder stellvertretend Sie als Angehörige haben Ja<br />
dazu gesagt.<br />
Ich weiß, daß Ihnen diese Entscheidung nicht leicht gefallen ist, weil sie in einer<br />
Stunde der Trauer und des Abschiednehmens von einem lieben Angehörigen getroffen<br />
werden mußte. Ich weiß auch, daß es schwer ist, sich zu trennen und loszulassen. Die<br />
Fragen nach dem „Warum” und „Warum jetzt“ und „Warum gerade er (oder sie)” stellen<br />
sich unweigerlich. Es gibt darauf kaum eine Antwort. Und das ist schmerzlich.<br />
Diese Fragen stellen sich auch Menschen und deren Angehörigen, die erfahren, daß sie<br />
so schwer erkrankt sind, daß ihr Leben nur durch eine Organspende gerettet werden<br />
kann. Diese Nachricht kommt genauso überraschend wie der Tod und ist unfaßbar. Sie<br />
wissen und hoffen, daß die Transplantation für sie die Chance ist, weiterzuleben. Die<br />
Wartezeit bis zum Tage X, an dem die Nachricht kommt ”wir haben eine Leber für Sie”<br />
ist eine Zeit der Angst und des Bangens für alle Beteiligten. Hoffentlich wird es<br />
nicht zu spät sein?<br />
Umso mehr danke ich meinem „Spender” und seiner Familie für das Geschenk zu meinem<br />
Leben. Sie haben es mir mit Ihrem Ja zur Organspende gerettet.<br />
Ich kenne Sie nicht und ich weiß auch nicht, ob der Verstorbene einen Organspenderausweis<br />
hatte oder ob die Entscheidung von seinen Lieben in seinem Sinne getroffen<br />
worden ist. Es ist mir ein großes Bedürfnis, Ihnen meine Lebensfreude mitzuteilen.<br />
Meinem unbekannten Lebensretter bzw. seinen Angehörigen, danke ich täglich für das<br />
große Geschenk in der Stunde der tiefsten persönlichen Betroffenheit. Vielleicht ist<br />
es ein Trost für Sie, daß jetzt irgendwo ein Mensch mit seiner Familie weiterlebt,<br />
vielleicht sind es sogar zwei, drei oder mehr.<br />
Die Transplantation kann ich nur im Vertrauen annehmen, daß die Ärzte alles getan<br />
haben, um z. B. den durch einen Unfall lebensgefährlich Verletzten zu retten. Und<br />
erst dann das Organ zu entnehmen, wenn sich der Verstorbene zu Lebzeiten dazu<br />
eindeutig erklärt hat bzw. seine Angehörigen zugestimmt haben. Ich kann die<br />
Transplantation aber auch nur dann annehmen, wenn der Hirntod vor der Organentnahme<br />
nach den (künftig) gesetzlich geregelten und für die Medizin in der ganzen Welt<br />
verbindlichen Richtlinien festgestellt worden ist. Ich könnte mich meines Lebens<br />
nicht freuen, wenn ein anderer hätte sterben müssen, damit ich überlebe!<br />
Weil ich also weiß, wie schwer die Entscheidung fällt, setze ich mich dafür ein, daß<br />
sich möglichst viele Menschen persönlich und verantwortet zur Organspende bekennen<br />
(oder sie auch eindeutig ablehnen), einen Spenderausweis bei sich tragen - und ihre<br />
Familien darüber informieren! Denn keiner weiß, wann seine Stunde schlägt. Und dann<br />
erspart er seinen Angehörigen einen großen Konflikt.<br />
[26]<br />
In großer Dankbarkeit<br />
Ihr Unbekannter