STRATEGIC DESIGN - innovation for leadership
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<strong>STRATEGIC</strong> <strong>DESIGN</strong><br />
Wie man eine Insel erobert<br />
Oder: Warum die Designtheorie und die Designausbildung in Deutschland<br />
eine strategische Neuausrichtung brauchen<br />
Vortrag an der Bergischen Universität Wuppertal<br />
Christoph Herrmann, 20. Oktober 2004<br />
Unveröffentlichtes Manuskript
„Breite Erziehung muss den richtigen Weg weisen für die richtige<br />
Art der Zusammenarbeit zwischen dem Künstler, dem Wissenschaftler<br />
und dem Geschäftsmann.“<br />
Walter Gropius (in seiner Eröffnungsrede an der HfG Ulm am<br />
2. Oktober 1955)<br />
2
Meine sehr verehrten Damen und Herren<br />
herzlichen Dank für Ihre Einladung, hier an der Bergischen Universität Wuppertal im Fachbereich<br />
Architektur / Design / Kunst einen Vortrag zum Thema Designtheorie halten zu dürfen. Sie haben mir<br />
für diesen Vortrag drei Fragen gestellt:<br />
1. Warum braucht die Designausbildung eine wissenschaftliche Theorie?<br />
2. Welche ästhetischkonzeptionellen Elemente sind für die Designtheorie wichtig?<br />
3. Welche Felder sollte dementsprechend das Fach Designtheorie in Zukunft besetzen?<br />
Wie Sie wissen, habe ich in den letzten 1213 Jahren in unterschiedlichsten Projekten an den Schnittstellen<br />
von Produktentwicklung, Markenführung und Design gearbeitet. Was mich dabei gleichermaßen<br />
irritiert wie fasziniert hat, ist die Tatsache, wie gering das strategische Bewusstsein im Umgang<br />
mit Designprojekten immer noch ist, sei es nun im Produktdesign, im Kommunikationsdesign oder<br />
auch im Bereich Multimedia. Vor diesem Hintergrund möchte ich die heutige Gelegenheit nutzen, um<br />
anhand unterschiedlicher Argumentationsstränge deutlich zu machen, warum die Designtheorie und<br />
die Designausbildung in Deutschland eine stärker strategische Ausrichtung benötigen.<br />
EINLEITUNG<br />
Schaut man sich den Status Quo der Designtheorie, so wie sich diese heute in Deutschland darstellt,<br />
einmal genauer an, so muss man feststellen, dass es sich hierbei um eine durch und durch plurale Wissenschaftsdisziplin<br />
handelt. So unterschiedlich wie die Herkunft der Vertreter dieses Faches ist, so<br />
unterschiedlich sind auch die Zugangsweisen zum Thema. 1 Auf den ersten Blick lassen sich dabei – in<br />
Deutschland wie auch im Ausland – zwei Gruppen von Designwissenschaftlern unterscheiden: Die<br />
„Theoretiker“ unter den Designwissenschaftlern, die einen eher abstrakten Zugang zum Gegenstand<br />
der Designwissenschaften besitzen, und die „Praktiker“ unter den Hochschullehrern, die bei der Ausgestaltung<br />
von Forschung und Lehre eine eher praxeologische Ausrichtung suchen. 2 Bei genauerem<br />
Hinsehen fällt allerdings auf, dass es nicht zwei, sondern im Prinzip vier Felder sind, in denen sich die<br />
Designtheorie bewegt. Berücksichtigt man nämlich, dass es sowohl unter den Designtheoretikern wie<br />
unter den Designpraktikern jeweils Ansätze mit unterschiedlichen Abstraktionsgraden gibt, so ergeben<br />
sich daraus insgesamt vier Bereiche einer theoretischen Auseinandersetzung mit dem Design:<br />
(i) Theoretische Theorien, die auf einem hohen Abstraktionsniveau das Design z. B. philosophisch<br />
oder systemtheoretisch analysieren (so z. B. bei Siegfried Maser, Michael Erlhoff oder bei Wolfgang<br />
Jonas).<br />
(ii) Praktische Theorien, die ebenfalls einen „Theoriecharakter“ besitzen, dabei aber deutlich näher<br />
dran sind am eigentlichen Tun des Designers = der Gestaltung von Produkten (so z. B. die Theorie der<br />
Produktsprache).<br />
(iii) Fallstudien, die auf einen expliziten Theorieanspruch verzichten, aber – in der angloamerikanischen<br />
Tradition – auf der Grundlage von praktischen Beispielfällen dennoch wichtige Ableitungen<br />
für die Designausbildung ermöglichen, und schließlich<br />
(iv) die Methodenlehre, die zwar auch direkt auf der Praxis aufbaut, aber auf der Grundlage praktischer<br />
Erfahrungswerte allgemeine methodische Ableitungen trifft und daher einen deutlich höheren<br />
Abstraktionsgrad besitzt als reine Fallstudien.<br />
Eine derartige Betrachtung offenbart, wie plural die Designtheorie in Deutschland momentan aufgestellt<br />
ist. Diesen Pluralismus zu erkennen und zu akzeptieren, ist eine erste wichtige Erkenntnis, wenn<br />
1 Dies sind z. B. die Mathematik, die Physik und die Philosophie bei Siegfried Maser, die Technikwissenschaften bei Wolfgang Jonas, die<br />
Literaturwissenschaften bei Michael Erlhoff, die Psychologie bei Uta Brandes, die Kunstpädagogik bei Gert Selle oder eben das Design bei<br />
Bernhard E. Bürdek (um nur ein paar Beispiele zu nennen). Zu den unterschiedlichen Herangehensweisen der genannten Vertreter siehe u. a.<br />
BRANDES et al. 1986, BRANDES 1998 u. 2003, BÜRDEK 1994, ERLHOFF 2000a, 2000b, JONAS 19942004c, MASER 19722001b,<br />
SELLE 1994 u. 1997.<br />
2 Siehe zur Dichotomie in den Designwissenschaften <strong>DESIGN</strong> REPORT 2004, JONAS 2004, S. 1, FRIEDMAN 1997, GROS 1984, S. 5 etc.<br />
3
man sich mit dem Gegenstand der Designwissenschaften auseinandersetzt. Viel wichtiger ist jedoch<br />
die Frage, wie man mit diesem Pluralismus umgehen soll, wenn man einen aktiven Beitrag zur Weiterentwicklung<br />
der Designtheorie und Designpraxis leisten will. Eine schöne Antwort hierauf findet<br />
man bei dem französischen Philosophen JeanFrancois Lyotard, der in einer Auseinandersetzung mit<br />
der Kantschen Rechtsphilosophie einmal festgestellt hat, jede Diskursart sei im Prinzip wie eine „Insel“<br />
und das Urteilsvermögen entsprechend wie „ein Reeder oder Admiral..., der von einer Insel zur<br />
anderen Expeditionen ausschickte mit dem Ziel, auf der einen darzustellen, was auf der anderen gefunden<br />
... würde und der ersteren als ,AlsobAnschauung‘ zu ihrer Validierung dienen könnte" 3 . Eine<br />
Insel, die es im Bereich der Designtheorie definitiv neu zu erobern gilt, ist eine ökonomischstrategische.<br />
Dies sage ich nicht nur, weil ich von meiner Herkunft her Ökonom bin und in den letzten<br />
Jahren an unterschiedlichsten Schnittstellen von strategischen und ästhetischen Fragestellungen gearbeitet<br />
habe. Viel wichtiger ist die Tatsache, dass eine „Ökonomie des Design“ zumindest in Deutschland<br />
eine weitgehend unbesetzte Insel, eine „terra incognita“ darstellt. So gibt es meines Wissens bisher<br />
keinen einzigen DesignLehrstuhl in Deutschland, der von einem Volks oder Betriebswirt besetzt<br />
wäre. Natürlich gibt es eine ganz Zahl von Forschern, die sich von der „Insel“ einer anderen Disziplin<br />
aus (z. B. der Psychologie, der Soziologie oder der Betriebswirtschaftslehre) mit Designthemen auseinandergesetzt<br />
haben. 4 Eine an der Schnittstelle von Design und Ökonomie entwickelte „strategische<br />
Theorie des Design“ gibt es jedoch noch nicht. Dieser Zustand ist umso eklatanter, da das Design –<br />
wenn man sich die Praxis heute einmal anschaut – eine durch und durch „ökonomisierte Disziplin“<br />
darstellt. Dass dies tatsächlich so ist, was dies für die Designtheorie und Designausbildung bedeutet<br />
und wie meiner Meinung nach ein Kanon einer Theorie des Strategischen Design zukünftig aussehen<br />
sollte, will ich Ihnen anhand der folgenden drei Kapitel aufzeigen:<br />
1. Die ökonomischen Realitäten des Design<br />
2. Die Zukunft der Designtheorie<br />
3. Strategic Design: Zentrale Aspekte einer strategischen Neuausrichtung der Designtheorie und<br />
der Designausbildung<br />
1. DIE ÖKONOMISCHEN REALITÄTEN DES <strong>DESIGN</strong><br />
Design als ökonomische Ressource<br />
Die Erkenntnis, dass das Design eine wichtige ökonomische Ressource darstellt, hat sich in den letzten<br />
20 Jahren sowohl bei Unternehmern, Managern und Politikern wie auch bei Designpraktikern und<br />
Designwissenschaftlern mehr und mehr durchgesetzt. 5 In ihrem Buch „Design Management – Using<br />
Design to build Brand Value and Corporate Innovation“ zählt die französische Design und Managementwissenschaftlerin<br />
Brigitte Borja de Mozota gleich mehrere Dutzend Studien auf, die auf internationaler<br />
wie nationaler Ebene den wichtigen Beitrag belegen, den das Design für eine gesunde wirtschaftliche<br />
Entwicklung liefert. 6 Diese Studien ähneln sich dabei im Hinblick auf die Identifizierung<br />
der jeweiligen positiven „externen Effekte“, die das Design für eine Volkswirtschaft mit sich bringt:<br />
Es geht dabei z. B. um die Schaffung von Arbeitsplätzen und den Beitrag des Design zu Wachstum,<br />
Innovativität und Wettbewerbsstärke. Aber auch die Wirkungen des Design im Hinblick auf die Ertragskraft<br />
der Unternehmen (und das daran gekoppelte Steueraufkommen), die qualitäts und effizienzsichernden<br />
sowie differenzierenden und identitätsbildenden Aspekte des Design werden dabei<br />
immer wieder genannt. Selbst konservative Wirtschaftsvertreter wie der bayerische Wirtschaftsminister<br />
Dr. Otto Wiesheu kommen vor dem Hintergrund derartiger Analysen zu dem Schluss: „Design<br />
wird zum strategischen Wettbewerbsfaktor.“ 7 Wie sehr sich ein starkes DesignEngagement für das<br />
einzelne Unternehmen rentiert, hat jüngst eine Untersuchung offenbart, die im Auftrag des britischen<br />
Design Council durchgeführt wurde. Die Studie hat gezeigt, dass die Unternehmen, die nachhaltig in<br />
3 LYOTARD 1987, S. 218.<br />
4 Im deutschsprachigen Raum sind hier u. a. Eugen Leitherer, Ursula Hansen, Lutz Rosenstiel, Werner KroeberRiel, Udo Koppelmann,<br />
Erich Küthe, Richard Linxweiler sowie Helene Karmasin zu nennen; siehe hierzu u. a. HANSEN 2001, KARMASIN 1998, KOPPELMANN<br />
2001, KROEBERRIEL u. ESCH 2000, KÜTHE 1995a, 1995b u. 1996, LINXWEILER 1999 u. ROSENSTIEL 1996.<br />
5 Vgl. hierzu u.a. BAYERN <strong>DESIGN</strong> 2004a, 2004b, WOLF 2002, FORM DISKURS 2000/2001, KERN 1998, VDI 1997 und für den internationalen<br />
Bereich DMI 2004 u. 2003, BORJA DE MOZOTA 2003, STAMM 2003, BRUCE u. BESSANT 2002, JOZIASSE 2000 etc.<br />
6 Vgl. BORJA DE MOZOTA 2003, S. 40ff.<br />
7 WIESHEU 2004, S. 3.<br />
4
Design investieren und das Design aktiv in ihre Unternehmensstrategien integrieren, über einen Zeitraum<br />
von 10 Jahren hinweg eine Marktper<strong>for</strong>mance erzielen konnten, die mehr als doppelt so hoch<br />
war wie die des Marktdurchschnitts. 8 Dass dies so ist, hat eine klare Ursache: Auf Märkten, auf denen<br />
technologische Vorsprünge immer schneller imitierbar sind und auch Kostenvorteile schnell erodieren,<br />
wird die Ästhetik zu einem wichtigen Attraktions und Differenzierungsfaktor. Um mit den Worten<br />
von Bernhard E. Schmitt und Alex Simonson von der Columbia Business School zu sprechen: „In a<br />
world in which most consumers have their basic needs satisfied, value is easily provided by satisfying<br />
customers‘ experential needs – their aesthetical needs“ 9 . Die ökonomische Disziplin, die dies als erste<br />
erkannt und für sich zu Nutzen gewusst hat, ist das Marketing. Begriffe wie „Stimmungsmarketing“,<br />
„Experiential Marketing“, „Marketing Spectacle“ und „Marketing Aesthetics“ gehören dort heute<br />
schon zum allgemeinen Sprachgebrauch. 10 Auch die Medien interessieren sich mehr und mehr für das<br />
Thema Design und erweisen sich dabei als Protagonisten eines ökonomischen Neuverständnisses des<br />
Design. 11<br />
Designer als Marktteilnehmer<br />
Bei all diesen Feststellungen darf man die Perspektive der Designerin und des Designers natürlich<br />
nicht vergessen. Auch diese sind heute – ob einem dies nun gefällt oder nicht – vor allem eines: aktive<br />
Markteilnehmer. Sie gründen Unternehmen und haben eben diese als Hauptauftraggeber. Um den<br />
immer volatiler agierenden Endverbraucher zu erreichen, arbeiten sie mit neuesten Materialien, Technologien<br />
und Innovationen unter Bezugnahme auf aktuellste Trends, Moden und Stilwelten, alles Phänomene,<br />
die selbst in hohem Maße ökonomisiert sind. Darüber hinaus stehen sie bei ihrer Arbeit unter<br />
einem enormen Zeit, Kosten und Effizienzdruck, was sie in ihrem persönlichen Erleben nicht selten<br />
zu „Opfern“ eben dieser Ökonomisierung macht. Natürlich profitieren Designer auch von der zunehmenden<br />
Okkupierung des Design durch die Ökonomie. Noch nie war die Akzeptanz und Relevanz der<br />
Arbeit eines Designers so hoch wie heute. Noch nie waren auch die Karrierewege so vielfältig, die<br />
Designern heute offen stehen. Ein vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung ist die Tatsache, dass<br />
viele Designer inzwischen zu wichtigen „Botschaftern“ für Unternehmen und Marken geworden sind.<br />
Das betrifft nicht nur einzelne Personen wie etwa die Stars der Automobilindustrie 12 oder all die anderen<br />
VorzeigeIkonen, derer sich die Industrie heute so gerne bedient, um am Markt für Aufsehen zu<br />
sorgen 13 . Vielmehr werden in der Zwischenzeit sogar ganze Designteams für die Inszenierung von<br />
Marken herangezogen. 14 Grund genug für die Neue Pinakothek in München, jüngst in einer Ausstellung<br />
dem Design und Markenmythos Lamborghini seine Referenz zu erweisen und dabei jungen Designern,<br />
die vor den Augen der Besucher live an Automodellen arbeiteten, quasi den Status eines<br />
Kunstobjektes zu verleihen. 15 Dies alles belegt, dass das Design in der Zwischenzeit zu einer Größe<br />
geworden ist, die sich alleine auf der Grundlage philosophischer, ästhetischer oder kulturgeschichtlicher<br />
Betrachtungen nicht mehr stimmig erschließt. Sie ist vielmehr zu einer zentralen ökonomischen<br />
„Ressource“ geworden, die es auch aus einem ökonomischen Blickwinkel zu betrachten und – für eine<br />
Volkswirtschaft wie für jedes Unternehmen gleichermaßen unerlässlich – genauso vorsichtig zu entwickeln<br />
gilt wie jede andere Ressource auch. Um mit den Worten von Ulrich Kern zu sprechen: „Design<br />
lässt sich nicht losgelöst betrachten und steuern, sondern nur als komplexes, integriertes Ganzes<br />
im Rahmen eines Gesamtsystems. Voraussetzung für die volle Wirksamkeit des Design im Unternehmen<br />
ist ein Management, das dieses Potenzial lenkt, gestaltet und entwickelt.“ 16<br />
8<br />
Vgl. <strong>DESIGN</strong> COUNCIL 2004.<br />
9<br />
SCHMITT u SIMONSON 1997, S. 3.<br />
10<br />
Vgl. SCHMITT 2003 u. 1999, SCHMITT u. SIMONSON 1997, SILBERER u. JAEKEL 1996, VENKATESH 1992. Thomas Hauffe<br />
verweist mit Recht darauf, das „anders als in Europa, wo Re<strong>for</strong>men in der Gestaltung stets unter sozialen oder funktionalen Fragestellungen<br />
diskutiert wurden“, das Design in den USA immer schon ein Marketingfaktor war. Er verweist dabei auf Raymond Loewy, der bereits 1929<br />
gesagt hat: „Von zwei Produkten, die gleich sind im Preis, in der Funktion und in der Qualität, wird sich das schönere besser verkaufen<br />
lassen“, vgl. HAUFFE 1995, S. 96.<br />
11<br />
Siehe hierzu z. B. die CoverStory der Business Week zum Thema „The Power of Design“ v.17. Mai 2004, oder aber die massive Berichterstattung<br />
rund um die Einführung des neuen IMAC.<br />
12<br />
So z. B. Chris Bangle (BMW), Peter Pfeiffer (DaimlerChrysler), Murat Günak (VW), Walter da Silva (Audi) etc.<br />
13<br />
Von Philip Starck, Luigi Colani und Hartmut Esslinger über Ross Lovegrove, Jasper Morrison, die Gebrüder Bouroullec, Konstantin<br />
Gricic bis hin zu Jette Joop.<br />
14<br />
So etwa bei der Marketingoffensive, die MercedesBenz aktuell im Vorfeld der Einführung des neuen „Grand Sports Tourers“ gestartet<br />
hat; vgl. http://www.mercedesbenz.com/grandsportstourer.<br />
15<br />
Siehe u. a. http://www.pinakothek.de/neuepinakothek/nachrichten/nachrichten_inc.php?inc=nachricht&which=7085.<br />
16 KERN 1998, S. 123.<br />
5
Berührungsängste im Design<br />
Es muss nicht verwundern, dass eine solche stark ökonomisch geprägte Sichtweise des Design mit<br />
enormen Widerständen zu rechnen hat. Wie stark die Berührungsängste des Design gegenüber der<br />
Ökonomie immer noch sind, belegt beispielhaft eine studentische Vertreterin des Fachbereichsrats<br />
„Produktdesign“ der HfG Offenbach, die in einer Diskussion über die mögliche Einführung eines<br />
Masterabschlusses im Bereich „Innovations und Design Management“ die Frage <strong>for</strong>mulierte: „Wollen<br />
Sie etwa Designer zu Managern machen?“ 17 Man mag solche Kommentare vorschnell belächeln,<br />
schließlich dokumentieren sie in gewissem Sinne eine durchaus archaische Angst gegenüber dem Anderen,<br />
dem Fremden. Ken Friedman, ehemaliger FluxusKünstler und heutiger Vordenker an der<br />
Schnittstelle von Management und Design, hat derartige Aussagen einmal treffend als „Argument ad<br />
hominem“, als Argument gegen den Menschen bezeichnet: „Don’t listen to him, he is not a designer!“<br />
18 Meines Erachtens sollte man die hinter diesen Aussagen verborgene Kritik jedoch ernst nehmen.<br />
Sie sind nicht nur ein Beleg für die enormen Kommunikationsschwierigkeiten, die beide Disziplinen<br />
– die Ökonomie und das Design – immer noch miteinander haben. Vielmehr offenbart sich hierin<br />
eine durchaus berechtigte und im Prinzip jahrhundertealte Skepsis ästhetischer Professionen gegenüber<br />
der Ökonomie und ihren Interessen. Schon die antiken Baumeister oder die Künstler der Renaissance<br />
waren zwischen künstlerischer Freiheit auf der einen Seite und wirtschaftlicher Abhängigkeit<br />
auf der anderen Seite hin und her gerissen. Ihren intellektuellen Höhepunkt fand der ästhetischökonomische<br />
Skeptizismus allerdings erst in der Moderne und Postmoderne. Von Guy Debords „Société<br />
du Spectacle“ über WolfgangFritz Haugs „Kritik der Warenästhetik“, Jean Beaudrillards „Amerika“<br />
und „Cool Killer“, das „First things first“ Manifesto des amerikanischen Kommunikationsdesigners<br />
Ken Garland bis hin zu den stark ästhetisch geprägten Argumentationslinien von No logo, Attac<br />
und Adbusters: Die Moderne wie die Postmoderne sind voll von Schriften, die auf die Grenzen, Probleme<br />
und Risiken einer Überästhetisierung des Alltagslebens auf der Grundlage eines rein ökonomischen<br />
Kalküls verweisen. 19<br />
Der ästhetische Analphabetismus der Ökonomie<br />
Dieser kritische Blick des Design auf die Wirtschaft trifft auf Seiten der Ökonomie auf eine zwar praktisch<br />
selbstbewusste, aber dennoch theoretisch reichlich verunsicherte Markt und Managementlehre.<br />
Zwar werden die alten Paradigmen von funktionierenden Märkten, rational handelnden Marktteilnehmern,<br />
mathematisch berechenbaren Wachstumskuren, an klaren Kosten und Effizienzgesichtspunkten<br />
ausgerichteten Unternehmensstrukturen und auf Alleinstellungsmerkmale ausgerichteten Unternehmens<br />
und Markenstrategien nach wie vor gelehrt. Innovativere Ansätze wie die verhaltensorientierte<br />
Ökonomie, die Transaktionskosten und die Institutionenlehre, die pragmatische Organisationswissenschaft,<br />
die Überlegungen zum „Real Business Cycle“ oder auch die postmoderne Management und<br />
Marketingkritik haben inzwischen zu einem zunehmenden New School Denken in der Ökonomie geführt.<br />
Konzepte wie das des „multioptionalen“ oder gar „unmanageable consumer“, des Unternehmens<br />
als „Mülleimer“ oder auch der Ökonomie als Ort von „Chaos“ und „Komplexität“ gehören daher<br />
heute fast schon zum guten Ton in den Wirtschaftswissenschaften. 20 Eine derart „aufgeklärte“ Ökonomie<br />
enthält also durchaus Ansätze, die selbst kritischen Maßstäben standhalten, nur sind diese leider<br />
nur viel zu wenig bekannt. Ein wichtiger Grund dafür, dass man als Designerin oder Designer der<br />
Ökonomie dennoch kritisch begegnen sollte, ist meines Erachtens die Tatsache, dass dort das Design –<br />
trotz des wachsenden Interesses an diesem – immer noch ein Schattendasein fristet. Vergleicht man<br />
etwa die Zahl der Publikationen, die man dort zu Designthemen findet, mit denen, die zu anderen<br />
„Key Issues“ wie zum Beispiel dem Customer Relationship Management veröffentlicht werden, so ist<br />
es durchaus berechtigt, in der Ökonomie von einem „ästhetischen Analphabetismus“ zu sprechen. Dies<br />
manifestiert sich nicht zuletzt auch in der Tatsache, wie oberflächlich in der unternehmerischen Praxis<br />
immer noch mit dem Designphänomen umgegangen wird. So äußerte jüngst der Vorsitzende eines<br />
weltweit führenden Markt<strong>for</strong>schungsunternehmens in einem Interview die Frage: „Design, ist dass<br />
nicht eigentlich nur für Marken wie Bang & Olufsen relevant?“ 21 Ganz ähnlich der neue deutsche<br />
Marketingchef einer Schweizer Bank, der – kurz nachdem das Unternehmen mehrere Millionen für<br />
17 Zitiert nach HERRMANN u. MOELLER 2004d.<br />
18 FRIEDMAN 2004 (ohne Seitenangaben).<br />
19 Vgl. BAUDRILLARD 1987, 1983, 1982 u. 1977, DEBORD 1992, GARLAND 1964, HAUG 1980 u. 1971, KLEIN 2000.<br />
20 Siehe hierzu bspw. GROTH u. NICOLAI 20002, BUERGIN 1999, GABRIEL u. LANG 1995, BAECKER 1994, FRAUNHOFER o. Jg.<br />
21 Zitiert nach HERRMANN u. MOELLER 2004d.<br />
6
eine neue Corporate Design Strategie ausgegeben hatte, zu dem Urteil kam: „Ach wissen Sie, Design,<br />
das ist vielleicht für Automobile wichtig. Nicht jedoch für uns als Bank.“ 22 Dass solche Fehleinschätzungen<br />
keine Ausnahme sind, zeigen unter anderem die Ergebnisse einer EUStudie. Die dort befragten<br />
Business Manager waren zwar einvernehmlich der Meinung, dass das Design einen Wertbeitrag<br />
für ihre Unternehmen liefert. Dennoch tendierten fast alle Manager dazu, Design im Wesentlichen nur<br />
als einen Aspekt der Formgebung zu betrachten. 23 „Von der Existenz eines strategischen Design<br />
Managements – das gleichermaßen die ästhetische, technologische und ökonomische Dimension von<br />
Produkten behandelt“, kann deshalb, so Franz Liebl von der Universität Witten/Herdecke, auf keinen<br />
Fall „die Rede sein“ 24 .<br />
Wenn Märkte (und Marktteilnehmer) versagen<br />
Vor dem Hintergrund einer solchen Diagnose stellt sich naturgemäß die Frage, ob es überhaupt sinnvoll<br />
ist, den „Analphabetismus“ auf beiden Seiten zu beseitigen. So mag sich mancher Manager mit<br />
Recht fragen, ob er sich nicht schon um genügend andere Dinge kümmern muss, als dass man nun<br />
ernsthaft noch von ihm eine Auseinandersetzung mit designspezifischen Fragestellungen verlangen<br />
könne. Umgekehrt hört man von Designern immer wieder das Argument, eine zu starke Auseinandersetzung<br />
mit den Fragestellungen und Zielen des Managements verhindere geradezu die notwendige<br />
kreative Freiheit, die ein Designer für seine Arbeit benötige. So wahr diese Argumente für sich genommen<br />
auch sein mögen, so führen sie in der wirtschaftlichen Praxis jedoch immer wieder zu einem<br />
deutlichen Marktversagen. Seriöse Studien gehen davon aus, dass heute immer noch zwischen 30 und<br />
70% aller Neuprodukteinführungen scheitern. 25 Auf den zunehmend ästhetisierten Märkten ist dafür<br />
nicht selten auch das Design zumindest mitverantwortlich. Die Liste der Designflops jedenfalls ist<br />
lang. POLAROID’s verzweifeltes Bemühen, technologisch wie ästhetisch anschlussfähig zum Digitaltrend<br />
in der Fotografie zu bleiben, Jacobs misslungener Versuch einer futuristischen Neu<br />
Interpretation des STARBUCK’s Gedankens unter dem Namen JCUPS, SONY’s Aufholbedarf in<br />
Sachen MP3Player und FlachbildschirmTechnologie oder auch der Flop von XELIBRI, eines Ablegers<br />
der Mobilfunksparte von SIEMENS: Dies sind nur einige von vielen Beispielen, die zeigen, dass<br />
nicht zuletzt auch das Design beim Erfolg wie Misserfolg von Innovationen eine zentrale Rolle spielt.<br />
Erstes Zwischenfazit<br />
Fasst man die bisherige Argumentation zusammen, so wird man unschwer feststellen müssen, dass das<br />
Design heute tatsächlich ein durch und durch ökonomisierter Tatbestand ist. Dies lässt sich nicht nur<br />
aus den wirtschaftlichen Erfolgen ableiten, die das Design ermöglicht, sondern ebenso aus einer Betrachtung<br />
wirtschaftlicher Misserfolge. Unabhängig davon, wie man grundsätzlich einer ökonomischen<br />
Betrachtung des Design gegenübersteht, so muss man doch erkennen, dass eine falsche Steuerung<br />
des Design und die Entwicklung falscher Designstrategien eindeutig zu einer Ressourcenverschwendung<br />
führt, und zwar in ökonomischer genauso wie in ökologischer Hinsicht. Eine derartige<br />
Analyse zeigt bereits deutlich, dass es für die Begründung einer stärker ökonomischstrategischen<br />
Ausrichtung der Designtheorie eine Vielzahl schlüssiger Argumente gibt. Noch deutlicher wird die<br />
Begründetheit dieser Forderung jedoch, wenn man einen kurzen Blick auf die wesentlichen Heraus<strong>for</strong>derungen<br />
wagt, denen sich die Designtheorie aktuell gegenübersieht und denen sie sich zukünftig<br />
stellen muss.<br />
22 Ebenda.<br />
23 Vgl. JOZIASSE 2000, S. 38.<br />
24 LIEBL 1998, S. 38.<br />
25 So etwa A.C. Nielsen zitiert nach SEIFERT 2004.<br />
7
2. DIE ZUKUNFT DER <strong>DESIGN</strong>THEORIE<br />
Von der eher zufälligen Geburt des Design als wissenschaftlicher Disziplin<br />
Die Designtheorie ist, wie bereits einleitend festgestellt wurde, nicht nur eine sehr plurale Wissenschaft.<br />
Sie ist vor allem auch in hohem Maße diskursiv. 26 Dieser Zustand sollte nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass das Design als Wissenschaft eine noch sehr junge Disziplin ist, deren Entwicklung sich<br />
in mehreren Stufen beschreiben lässt. Richard Buchanan, der Dekan der „School of Design“ an der<br />
Carnegie Mellon University und Vorsitzende der DesignResearchSociety, geht zum Beispiel in seiner<br />
Beschreibung von einem dreistufigen Prozeß aus, der mit dem Design als „handwerklicher Fähigkeit“<br />
beginnt, über das Entstehen einer eigenständigen „Profession“ <strong>for</strong>tläuft und bis zur Etablierung<br />
des Design als wissenschaftlicher Disziplin reicht. 27 Dieser Prozess erklärt, warum historisch die Designausbildung<br />
immer schon eher auf die Praxis als auf eine Grundlagen<strong>for</strong>schung ausgerichtet war. 28<br />
Carl Swann, Professor für Design an der Curtin University of Technology in Perth (Australien), hat<br />
vor ein paar Jahren sehr schön aufgezeigt, dass das Design seine Integration in einen universitären<br />
Kontext dabei fast schon einem „Zufall“ verdankt. So war etwa in Großbritannien und Australien die<br />
Aufnahme des Designfachs in die dortigen Universitäten im Wesentlichen finanzpolitisch, nicht wissenschaftstheoretisch<br />
motiviert. Sie ist letztendlich das Resultat eines mehrstufigen Fusionsprozesses,<br />
der vom Zusammenschluss von Designschulen und Technical Colleges über die Verschmelzung unterschiedlicher<br />
Colleges zu Polytechnika bis hin zur Fusion von technischen Hochschulen mit Universitäten<br />
reicht. Ähnliche Entwicklungslinien lassen sich auch in Deutschland erkennen. Hier hat der Sparzwang<br />
im Bildungsbereich sogar dazu geführt, dass das Design inzwischen an vielen Hochschulen<br />
seine Existenz als eigenständiger Fachbereich zu Gunsten konglomerater Kunst und Gestaltungsfachbereiche<br />
aufgeben musste . 29<br />
Vom richtigen Umgang mit der Pluralität<br />
Die Tatsache, dass das Design als Wissenschaft eine eher junge, anwendungsorientierte Disziplin ist,<br />
begründet, warum die Designtheorie, so wie sie sich heute darstellt, keinesfalls ein geschlossenes Theoriefeld<br />
mit klar gefassten Modellen und Methoden darstellt. Man muss sie eher, um Wolfgang Jonas<br />
zu zitieren als ein „floating subject matter“ 30 verstehen. Mit dieser Situation ist die Designtheorie<br />
allerdings nicht alleine. Seit dem Werturteils und Positivismusstreit, der Einsicht in eine in hohem<br />
Maße „selbstreferentielle“ und „paradigmatische“ Wissenschaft und postmodernen Diagnosen wie<br />
denen von der „Absage an die großen Erzählungen“, der „Unendlichkeit der Texte“ und den „rhizomatischen<br />
Grundstrukturen menschlichen Denkens“ lässt sich Theorie sowieso kaum mehr anders begreifen<br />
als eben plural. 31 Die Wissenschaftstheoretiker Helga Nowotny, Peter Scott und Michael Gibbons<br />
sprechen in diesem Zusammenhang gar von einem „Mode 2“ in den Wissenschaften, der sich deutlich<br />
von dem stark disziplinär und monistisch geprägten Denken der Vergangenheit unterscheidet. 32 Die<br />
Tatsache, dass man sich mit der Pluralität des eigenen Theoriefeldes somit gewissermaßen in guter<br />
Gesellschaft weiß, sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Designwissenschaft aufgrund<br />
ihrer eher „zufälligen“ Universitätskarriere sowie des zunehmenden Rechtfertigungs und Spardrucks<br />
zukünftig verstärkt der Frage gegenübersehen wird, ob die Designausbildung überhaupt eine<br />
theoretische Basis braucht und wenn ja, wie diese denn aussehen sollte. Dass für eine stimmige Designausbildung<br />
tatsächlich eine hinreichende Unterfütterung mit theoretischen Überlegungen unerläss<br />
26 Man beachte hierzu etwa die breiten Diskurse, die in Journals wie Design Issues, The Design Journal, The Journal of Design Research,<br />
dem Design Studies Journal, auf den Veranstaltungen von Institutionen wie dem Design Management Institute (DMI), der Design Research<br />
Society, der European Academy of Design (EAD), dem Design Theory & Methodology Committee der American Society of Mechanical<br />
Engineers (ASME) oder der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie u. <strong>for</strong>schung (DGTF e.V.) sowie in den diversen InternetForen und<br />
Mailinglists zu diesem Thema geführt werden. Siehe hierzu ausführlicher die Literaturliste im Anhang.<br />
27 Vgl. BUCHANAN 1998, S. 64 u. SWANN 2000. Eine ähnliche Darstellung findet man bei Siegfried Maser. Er beschreibt die Etablierung<br />
des Design als Prozeß in fünf Stufen, der von der reinen Produktgestaltung (Jugendstil = Kunst + Handwerk) über die erste Auseinandersetzungen<br />
mit der industrielle Formgebung (Werkbund + Bauhaus = Kunst + Industrie), die Etablierung als Wissenschaft (HFG Ulm = Industrial<br />
Design = Wissenschaft + Industrie) und die Kybernetik (CAD = SystemDesign) bis hin zur Automation und dem heutigen Pluralismus im<br />
Design reicht. Siehe hierzu u. a. MASER 1992, S. 3.<br />
28 Vgl. FRIEDMAN 1997.<br />
29 So z. B. an der Universität/GH in Kassel, an der FH Köln oder auch der Bergischen Universität Wuppertal. In Köln hat man durch die<br />
Gründung der „Köln International School of Design“ versucht, sich dieser Entwicklung trotzend doch noch so etwas wie eine eigenständige<br />
Identität zu erhalten.<br />
30 JONAS 1999, S. 2.<br />
31 Siehe hierzu u. a. GERGEN u. JOSEPH 1996, SEIFFERT 1992b, OBERMAIER 1984, HILLMANN 1989; ferner im Original ADORNO<br />
1984, DAHRENDORF 1961, POPPER 1973, DERRIDA 1967 u. 1968, LYOTARD 1979, DELEUZE u. GUATTARI 1980, 1976 u. 1972.<br />
32 Siehe hierzu ausführlicher NOWOTNY et al. 2001 u. 2003.<br />
8
lich ist, lässt sich meines Erachtens anhand der folgenden sechs zentralen Argumente relativ leicht<br />
nachweisen:<br />
(i) Antwortkompetenz<br />
Schaut man sich als Außenstehender den Zustand der Designdiskurse einmal genauer an, so kommt<br />
man nicht umhin, festzustellen, dass das Design vor allem eines ist: Eine fragende Disziplin!<br />
What is is design theory?<br />
Is design theory possible?<br />
Is design important?<br />
Does design matter?<br />
Do you speak design?<br />
Wer braucht Design?<br />
Warum Design?<br />
Dies sind nur einige der zahlreichen Überschriften, die mir während meiner Recherchen zur Vorbereitung<br />
dieses Vortrags begegnet sind. Der DesignParcours in München hat sich in diesem Jahr einem<br />
solchen Denken folgend gleich ganz der Frage verschrieben: „Was ist Design?“. Bei Google findet<br />
man zu eben dieser Frage sogar mehr als 10.000 Einträge. 33 Es darf nicht verwundern, wenn sich das<br />
Design aufgrund einer derartigen Nabelschau immer wieder ins Abseits manövriert. Um aus dieser<br />
„Adoleszenzkrise“ 34 , so die Zeitschrift design report, herauszukommen, muss das Design als Hochschuldisziplin<br />
die eigene Antwortkompetenz deutlich stärken. So stellt etwas die Deutsche Gesellschaft<br />
für Designtheorie und <strong>for</strong>schung auf ihrer Website fest: „Weil sich Design aber, in der Praxis<br />
wie in der Theorie, jenseits der Areale des bloß Funktionalen, Dekorativen oder wirtschaftlich Machbaren<br />
immer wieder in Widersprüche verstrickt, von Selbstzweifeln geplagt und von Legitimationsproblemen<br />
geschüttelt wird, tut eine fundierte Orientierung dringend Not.“ 35 Genau zu einer solchen<br />
fundierten Orientierung braucht es meines Erachtens jedoch eine hinreichende Unterfütterung des<br />
Design mit theoretischem Material.<br />
(ii) Ausbildungskompetenz<br />
Wer ausbilden will, zumal auf Hochschulniveau, darf in der Praxis nicht stehenbleiben. Praxis ist<br />
wichtig und theoretisches Wissen kann sicher die Praxis nicht ersetzen, wohl aber diese sinnvoll ergänzen;<br />
zum Beispiel durch die Ausbildung eines Bewusstseins dafür, was man jeweils tut. Ken<br />
Friedman spricht in diesem Zusammenhang von dem wichtigen Unterschied zwischen einem ‘doing<br />
things‘ und dem ‘doing things right‘.„The challenge design schools face is the transition from an education<br />
in crafting things to an education in understanding things... Doing things right requires a decision<br />
on what to do. That requieres a design decision prior to technical facilitation.“ 36 ‘Doing things<br />
right‘ bedeutet in der kontingenten Gegenwart dabei vor allem eines, nämlich die Fähigkeit, zwischen<br />
einer Vielzahl von Möglichkeiten auswählen zu können. Soziologen nennen dies auch Kompetenz im<br />
Umgang mit „Kontingenzen“. 37 Diese Kompetenz setzt jedoch unweigerlich eine Auseinandersetzung<br />
damit voraus, wie groß die stilistischen und marktlichen Möglichkeitsräume heute bereits geworden<br />
sind. Auch hierzu braucht es eine Theorie des Design. Um noch einmal Ken Friedman zu zitieren: „A<br />
dynamic world requires dynamic concepts. Artefacts that function in that dynamic world must rest on<br />
an effective understanding of the world itself.“ 38<br />
33<br />
Vgl. http://www.google.de; Eine Abfrage v. 1.10.2004 ergab 9.500 Einträge zum Suchbegriff „What is design“ und 544 Einträge zum<br />
Suchbegriff „Was ist Design“.<br />
34<br />
<strong>DESIGN</strong> REPORT 2004, Heft 2/2004, In der Adoleszenzkrise?, http://www.designreport.de/sixcms/detail.php?id=156931<br />
35<br />
Vgl. http://www.dgtf.de/7.0.html<br />
36<br />
FRIEDMAN 1997, S. 60. In einem OnlineForum stellt er ähnlich fest: 'To rely on per<strong>for</strong>mance patterns and skills alone is to be an artisan<br />
rather than a designer. . . To rely on objectspecific methods engages a field ranging from a pure craft orientation to the design tradition<br />
reflected in applied engineering and industrial design. In contrast, a general theory of design will support a rich, comprehensive understanding<br />
of the design process. It will also nourish the specific methods reflected in design practice. This is the distinction between design as a<br />
science and design as a craft.“ Und weiter: „The distinction between a science and a craft is systematic thought organized in theory. Craft<br />
involves doing, perhaps even experiment, but it is the frame of theory that allows us to organize observations. Theory permits us to question<br />
what we see and do, and it helps us to develop generalizable answers that can be put to use by other human beings in other times and places.“<br />
Siehe hierzu FRIEDMAN 1999 (ohne Seitenangabe).<br />
37<br />
Vgl. BEYES 2002.<br />
38 Ebenda S. 61.<br />
9
(iii) Wissenschaftskompetenz<br />
Wer an einer Hochschule unterrichtet, sollte nicht vergessen, dass er dort nicht nur Praktiker ausbildet,<br />
sondern auch einen potenziellen wissenschaftlichen Nachwuchs. Die Güte der Ausbildung dieses<br />
Nachwuchses ist nicht zuletzt mit dafür ausschlaggebend, wie sich das Design im wissenschaftlichen<br />
Umfeld behauptet. Obwohl die meisten Designprofessoren heute stolz darauf sind, nicht mehr nur an<br />
einer Werkkunstschule, sondern an einer veritablen Hochschule unterrichten zu dürfen, wird die wissenschaftspropädeutische<br />
Aufgabe in der Designausbildung immer noch vernachlässigt. Beispielhaft<br />
sei hier auf die Argumentation einer Mitarbeiterin der Verwaltung einer Kunsthochschule verwiesen,<br />
die im Hinblick auf Reaktanzen seitens der dortigen DesignProfessoren gegenüber einer Umstellung<br />
der Designausbildung vom Diplomstudiengang auf gestufte Bachelor und Masterstudiengänge feststellte:<br />
„Es ist durchaus verständlich, dass sich viele DesignProfessoren gegen eine mehrstufige Ausbildung<br />
wehren. Schließlich sind sie selbst erst vor einigen Jahren in den Genuss des Universitätsstatus<br />
und des damit verbundenen Privilegs einer vierjährigen Ausbildung des Designnachwuchses gekommen.<br />
Wenn sie den jedoch erhalten und das Feld der Master und PhDAusbildung nicht anderen<br />
Disziplinen überlassen wollen, dann müssen sie selbst aktiv zur Re<strong>for</strong>m ihrer eigenen Studiengänge<br />
beitragen.“ 39 Um eine solche Re<strong>for</strong>m aktiv begleiten und im Hinblick auf neue Abschluss<strong>for</strong>men<br />
(Master of Science, PhD etc.) stimmige Studienkonzepte erstellen zu können, braucht es ebenfalls eine<br />
hinreichende theoretische Fundierung. Dies belegen nicht zuletzt die umfangreichen Diskurse, die es<br />
zum Beispiel im Hinblick auf die Einführung von „Doktorprogrammen“ an ausländischen Fakultäten<br />
gegeben hat. 40<br />
(iv) Kommunikationskompetenz<br />
Neben eher ausbildungs und wissenschaftsorientierten Argumenten sprechen jedoch auch ganz praktische<br />
Argumente für eine Stärkung der Theorie im Design. Hierzu zählen nicht zuletzt die enormen<br />
Sprachschwierigkeiten, die zwischen dem Design und wichtigen Nachbardisziplinen wie etwa den<br />
Ingenieurwissenschaften und der Ökonomie immer noch bestehen. Michael Krohn, Professor an der<br />
HGK Zürich, hat in der Zeitschrift design report daher jüngst zu einer stärkeren Interdisziplinarität in<br />
der Designausbildung aufge<strong>for</strong>dert. Dazu stellt er fest: „Oft erleben wir, dass während eines Projektes<br />
gemeinsam und im Gespräch unerwartete Lösungen gefunden werden... Dies bedingt aber, dass man<br />
seine Ideen auch kommunizieren kann.“Genau im Hinblick auf die Ausbildung derartiger Kommunikationskompetenz<br />
bestehen in der Designausbildung jedoch noch deutliche Defizite. 41 Um diese zu<br />
stärken, ist es keinesfalls ausreichend, Design, Technologie und Wirtschaftsstudenten einfach nur in<br />
einen Kurs zu stecken und dann zu schauen, was dabei heraus kommt. Diverse Modellversuche zeigen,<br />
dass ein solches Vorgehen zwar viele wichtige Inspirationen liefert und ein erster wichtiger Schritt ist<br />
im Hinblick auf ein wechselseitiges „VoneinanderLernen“. 42 Allerdings entstehen dabei immer wieder<br />
auch deutliche Irritationen, die vor allem eines zeigen: Zur Verbesserung der Sprach und Verständnisfähigkeit<br />
auf beiden Seiten müssen neben interdisziplinären verstärkt auch transdiziplinäre<br />
Ansätze entwickelt werden, wozu wiederum eine Theorie des Design einen wichtigen Beitrag leisten<br />
muss.<br />
(v) Politische Kompetenz<br />
Designer sind nicht nur Gestalter und Marktteilnehmer. Sie sind vor allem Interessenvertreter, die sich<br />
mit ihren Anliegen in unternehmerischen Strukturen durchsetzen müssen, die zunehmend „politische<br />
Züge“ aufweisen. Um hier eigene, gerade ästhetische Interessen wirksam vertreten zu können, braucht<br />
man ein entsprechendes Rüstzeug. Vor allem aber muss man verstehen, wie die jeweils andere Seite<br />
denkt. Sonst lassen sich selbst die schönsten kreativen Ideen und die beste Ästhetik häufig nicht umsetzen.<br />
Um mit Christoph Loch, Professor für Innovationsmanagement am INSEAD in Fontainebleau<br />
zu sprechen: „You have just come up with the most beautiful design ever devised. You know it will<br />
dazzle the product engineers, factory managers, salespeople and customers alike. But when you present<br />
your design to management, you are devastated by a cacophony of hostile reactions. ‘This is<br />
goof! And it doesn’t even fit the product line. Is it a strategic priority to fill this tiny market niche?<br />
39<br />
Zitiert nach HERRMANN u. MOELLER 2004d.<br />
40<br />
Siehe hierzu beispielhaft LOVE 2003 u. 2000a, DURLING u. FRIEDMAN 2000, SWANN 2000, BUCHANAN 1998b.<br />
41<br />
Vgl. HERMANN u. MOELLER 2004d.<br />
42<br />
Vgl. hierzu die diversen Kooperationsprojekte aus jüngerer Zeit, so z. B. zwischen den Fachbereichen Wirtschaft, Ingenieurwissenschaften<br />
und Design an der FH München, zwischen der Universität Witten/Herdecke und der HfG Offenbach oder zwischen der Hochschule für<br />
Gestaltung und Kunst in Zürich, der ETH und der Universität St. Gallen.<br />
10
Who told you to mess with this product areas anyway, that is the responsibility of department XYZ!‘<br />
Your are not alone – history is filled with brilliant product ideas that did not go anywhere in the organization.<br />
It is not always objectively clear what the best design is. That depends on the evaluation criteria.<br />
And even if the „best“ design exists, it does not always win. If you want your design idea to be<br />
heard, you have to understand who the ‘players‘ are in the organization, what their objectives are,<br />
and you need to give them the feeling that they are involved. This element of ‘politics‘ is not necessarily<br />
a sign of a dysfunction, but reflects the inherent ambiguity and fuzziness of important product decisions.“<br />
43 Auch im Hinblick auf die Rechtfertigung und Sicherung von Designprofessuren, Forschungsund<br />
Lehrbudgets in einer immer kompetitiver werdenden Wissenschaftslandschaft liefert eine theoretische<br />
Auseinandersetzung mit dem Design wichtige Hilfestellungen. Beispielhaft sei hier auf die umfassenden<br />
Diskurse verwiesen, die etwas im Vorfeld der geplanten Gründung einer „School of Design“<br />
an der Universität von Kali<strong>for</strong>nien in Irvine geführt wurden und im Hinblick auf die politische<br />
Durchsetzbarkeit solcher Projekte eine wichtige Rolle spielen. 44<br />
(vi) Wettbewerbskompetenz<br />
Last but not least ist Design wie jeder andere Markttatbestand auch in ein immer globaler werdendes<br />
Wettbewerbsumfeld eingeschrieben. Bernhard Bürdek beispielsweise hat jüngst darauf hingewiesen,<br />
dass China zur Zeit neben Hunderttausenden von Ingenieuren stabsplanmäßig auch zigtausend neue<br />
Designer ausbilde. 45 Wer hier konkurrenzfähig bleiben will, sollte nicht nur auf die Ausbildung praktischer<br />
Fähigkeiten achten, sondern muss – anderen Wissenschaftsdisziplinen gleich – auch Grundlagen<strong>for</strong>schung<br />
betreiben. Dies ist auch deshalb wichtig, um das Interesse und die Fähigkeit des Designnachwuchses<br />
zu fördern, sich aktiver als bisher an den internationalen DesignDiskursen zu beteiligen.<br />
Wenn etwa bei der Jahreskonferenz der <strong>DESIGN</strong> RESEARCH SOCIETY vom 17.21. November in<br />
Melbourne mit Hans Kaspar Hugentobler von der Kunsthochschule in Bremen unter insgesamt mehr<br />
als 200 Rednern nur ein einziger deutscher Teilnehmer zu finden ist, so zeigt dies eindeutig, dass es in<br />
Deutschland in dieser Hinsicht noch einen enormen Entwicklungsbedarf gibt. 46<br />
Zweites Zwischenfazit<br />
Eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Design bleibt also auch und gerade vor dem Hintergrund<br />
einer zunehmend pluralistisch geprägten Realität wichtig. Die Frage ist nur, wie diese zukünftig<br />
aussehen sollte? Dass Design per se immer auf einem pluralen Fundament aufbaut und man dieses<br />
plurale Fundament entsprechend auch in der Designlehre weitervermitteln muss, habe ich einleitend<br />
bereits ausgeführt. Dass die Designausbildung heute zwangsläufig immer auch ökonomische Kompetenzen<br />
ausbilden muss, dürfte bisher ebenfalls hinreichend begründet worden sein. Dennoch bleibt zu<br />
überlegen, ob sich daraus gleich eine primär strategischökonomische Ausrichtung der Designtheorie<br />
ableiten lässt. So hat etwa Petra Eisele, Habilitandin an der BauhausUniversität Weimar. auf der Jahrestagung<br />
der Deutschen Gesellschaft für Designtheorie und <strong>for</strong>schung Anfang Januar in Hamburg<br />
die Auffassung vertreten, dass sich die Design<strong>for</strong>schung zunächst auf ihre eigenen Ressourcen und<br />
Kapazitäten besinnen müsse. Erst wenn das Design durch eine ausgebaute eigenständige Grundlagen<strong>for</strong>schung<br />
als Disziplin innerlich gefestigt sei, könne es zu einem „Durchlöchern“ (Eisele) der eigenen<br />
disziplinären Grenzen zu den Nachbardisziplinen kommen. 47 Warum ich an dieser Stelle für eine etwas<br />
andere Position plädiere, nämlich der Designtheorie zukünftig eine immanent „strategische“ Ausrichtung<br />
zu geben und sich dabei durchaus anderen Disziplinen zu öffnen (ohne dabei jedoch ihre eigenen<br />
Grundlagen zu vergessen), möchte ich anhand der folgenden Ausführungen erläutern.<br />
43 LOCH 2003, S. 212.<br />
44 Vgl. FRIEDMAN 2003a sowie den offiziellen Antrag unter http://www.evc.uci.edu/growth/design/SoDproposal.pdf.<br />
45 Zitiert nach HERRMANN u. MOELLER 2004d.<br />
46 Siehe hierzu http://futureground.monash.edu/presentations.html.<br />
47 Vgl. hierzu <strong>DESIGN</strong> REPORT, Heft 4/2004, In der Adoleszenzkrise? Quelle: http://www.designreport.de/sixcms/detail.php?id=156931;<br />
ferner EISELE 2004.<br />
11
3. <strong>STRATEGIC</strong> <strong>DESIGN</strong>: ZENTRALE ASPEKTE EINER STRATEGISCHEN NEUAUS<br />
RICHTUNG DER <strong>DESIGN</strong>THEORIE UND <strong>DESIGN</strong>AUSBILDUNG<br />
Versuch einer Definition<br />
Logischer Ausgangspunkt einer strategischen Neuorientierung der Designtheorie ist zunächst einmal<br />
eine Definition des Theoriegegenstandes, also dessen, was man in Anlehnung an Tuomo Antikainen<br />
und andere als „Strategic Design“ bezeichnen kann. 48 Setzt man „Design“ mit dem Gestaltungsprozess,<br />
vor allem aber dem Ergebnis dieses Gestaltungsprozesses – sprich mit Produkten, wahrnehmbaren<br />
Objekten, Artefakten – gleich und definiert man in Anlehnung an Gälweiler „Strategie“ als Prozess<br />
der Auseinandersetzung mit Erfolgspotenzialen 49 (im Unterschied zu operativen Erfolgen), so bedeutet<br />
eine strategische Designtheorie nichts anderes, als dass sich diese mit den Erfolgsvoraussetzungen und<br />
mit den Erfolgswirkungen des Design zu beschäftigen hat. Die Auseinandersetzung mit den strategischen<br />
Erfolgsvoraussetzungen und Erfolgswirkungen des Design zwingt die Designtheorie automatisch<br />
in ein theoretisches Mittelfeld. Wenn man sich noch einmal die einleitend beschriebenen vier<br />
Felder der Designtheorie vor Augen führt, dann kann eine theoretische Auseinandersetzung mit den<br />
praktischen Erfolgsdimensionen des Design nur gelingen, wenn diese in der Mitte dieser Felder angesiedelt<br />
ist. Eine strategische Designtheorie muss auf kreative Art und Weise praktische Beobachtungen<br />
mit theoretischen Konzepten und Modellen verknüpfen, um daraus innovative Tools und Handlungsempfehlungen<br />
für die Designpraxis von Morgen ableiten zu können. Strategische Theorien umgehen,<br />
sofern sie sauber aufgestellt sind, somit die Gefahr, in die „ParadoxonFalle“ einer „nur“ theoretischen<br />
Designtheorie zu gelangen, und setzen sich auch nicht dem Vorwurf einer vorschnellen „Banalisierung“<br />
durch ausschließlich praktische Erwägungen aus. 50 Eine derart pragmatische Ausrichtung der<br />
Designtheorie an einer „theoretischen Mitte“ und um diese herum ist in den Wissenschaften keinesfalls<br />
außergewöhnlich. Im Gegenteil: Ein Großteil der naturwissenschaftlichen Forschung und Lehre<br />
ist heute so aufgestellt. 51 Auch in den Sozialwissenschaften gehört ein solches Denken spätestens seit<br />
Strauss‘ und Glaser’s Modell einer „Grounded Theory“ zum üblichen Theoriekanon. 52 Selbst die Betriebswirtschaftslehre<br />
weist zahlreiche Spuren auf, die in diese Richtung zeigen, von der entscheidungsorientierten<br />
Betriebswirtschaftslehre in Anlehnung an Heinen über postmoderne Ansätze in der<br />
Marketing und Managementtheorie bis zu der von Franz Liebl propagierten „Soft OR“. 53 All diesen<br />
Ansätzen ist gemein, dass sie sich bei der Beobachtung und Analyse systematischer Zusammenhänge<br />
in der Praxis nicht nur innerhalb ihrer eigenen Fächergrenzen bewegen, sondern auf der Suche nach<br />
kreativen Interpretationsweisen häufig auch Erkenntnisse aus anderen Disziplinen berücksichtigen.<br />
Einer solchen Herangehensweise kann sich auf Dauer auch die Designtheorie nicht verschließen. Will<br />
sie, wie Petra Eisele feststellt, die eigenen Grundlagen festigen, so kann sie dies natürlich auch durch<br />
eine Konzentration auf die eigenen Ressourcen erreichen. Die Frage ist allerdings, ob der Erkenntnisgewinn<br />
(für die Designtheorie wie die Designpraxis) nicht größer ist, wenn man die Grundlagen<strong>for</strong>schung<br />
von vorneherein nicht nur auf dem eigenen Terrain, sondern eben gezielt auch an den Schnittstellen<br />
zu anderen Disziplinen ansiedelt. Gerade so ließe sich meines Erachtens viel effektiver die<br />
Festigung der Identität der Designtheorie als eigenständiger Wissenschaft erreichen, die auch Petra<br />
Eisele sich wünscht, als wenn man dabei eher regressiven Tendenzen folgt und sich nach außen abschottet.<br />
Strategic Design im Trend<br />
Eine Neuausrichtung der Designtheorie an strategischen Fragen, wie ich sie in diesem Beitrag ein<strong>for</strong>dere,<br />
ist natürlich keineswegs gänzlich neu. Sie liegt sogar vielmehr seit einigen Jahren deutlich im<br />
Trend. Neben der zunehmenden Zahl von Symposien, Seminaren und Konferenzen sind in den letzten<br />
vier Jahren auffällig viele – meist englischsprachige – Publikationen zu diesem Thema erschienen. 54<br />
Außerdem gibt es in der Zwischenzeit eine Vielzahl neuer Studiengänge, die vom Studienschwerpunkt<br />
„Design Management“ an der Köln International School of Design über eigenständige Masterpro<br />
48<br />
Vgl. ANTIKAINEN 2004.<br />
49<br />
Vgl. GÄLWEILER u. SCHWANINGER 1990.<br />
50<br />
Vgl. zur Auseinandersetzung mit dem Thema, inwieweit die Designtheorie in einem „Paradoxon“ gefangen ist u. a. JONAS 20012002;<br />
zum Vorwurf einer Banalisierung von Wissenschaft durch ein reines CaseStudyDenken siehe u. a. McKEOWN 1999.<br />
51<br />
Siehe hierzu u. a. NOWOTNY et al. 2003, 2001.<br />
52<br />
Vgl. WIEDEMANN 1995, GLASER u. STRAUSS 1967.<br />
53<br />
Vgl. LIEBL 2002, REIHLEN 1999, RUHLAND u. WILDE , 1994, VENKATESH et al. 1993 etc.<br />
54<br />
Siehe hierzu beispielhaft LAUREL 2003, STAMM 2003, BORJA DE MOZOTA 2003 sowie BRUCE u. BESSANT 2002.<br />
12
gramme zum Thema „Design Management“ und „Design Strategy“ an Hochschulen wie der Inholland<br />
School und der Brunel University bis zu entsprechenden PhDProgrammen z. B. an der De Mont<strong>for</strong>t<br />
University in Großbritannien reichen. Diese Entwicklung sollte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen,<br />
dass die strategische Designtheorie – vor allem in Deutschland – noch eine Menge Defizite und blinder<br />
Flecken aufweist. Hierunter sind aus meiner Sicht die folgenden fünf Punkte besonders erwähnenswert:<br />
(i) Babylonische Sprachverwirrung<br />
Darüber, was eine „design theory“, speziell eine „strategic design theory“ überhaupt ist, herrscht nach<br />
wie vor in Theorie wie Praxis eine große Verwirrung. Dies hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass<br />
ja schon der Begriff des Design einer modischen Attitüde folgend momentan für praktisch alles herhalten<br />
muss, was auch nur im Entferntesten etwas mit „Gestaltung“ zu tun hat. Da ist von „Food Design“<br />
die Rede, von „Business Design“, „Sound Design“ oder gar vom „Intelligent Design“. 55 Es verwundert<br />
daher nicht, wenn selbst Designtheoretiker den Begriff des Design und die Auseinandersetzung<br />
damit immer wieder mit Attributen wie „humpty dumpty“ (zerbrochen) oder auch „swampy“<br />
(sumpfig, morastig) versehen. 56 Aus der Sicht des Produktdesign ist eine solche Entwicklung in sofern<br />
problematisch, da sie tendenziell die Gefahr in sich birgt, dass auf diese Weise der Hauptbezugspunkt<br />
des „Industrial Design“ – das Produkt und seine Formgebung – zunehmend aus dem Fokus des Design<br />
geraten. Die Auseinandersetzung mit dem Produkt ist jedoch gerade im Hinblick auf die Erfolgsvoraussetzungen<br />
und Erfolgswirkungen des Design von entscheidender Bedeutung.<br />
(ii) Abgrenzungsschwierigkeiten<br />
In gewissem Maße symptomatisch für die oben beschriebene Sprachverwirrung ist die Tatsache, dass<br />
die einzelnen Teilbereiche des Design nur sehr selten sauber voneinander abgegrenzt werden. So gibt<br />
es zum Beispiel einen deutlichen Unterschied zwischen den jeweiligen Aufgabenbereichen des operativen<br />
Design, des strategischen Design und des Business Design. 57 Diese Ebenen werden in der Theorie<br />
wie in der Praxis jedoch immer noch viel zu stark durcheinandergewürfelt. Das Gleiche gilt übrigens<br />
auch für den Umgang mit dem Begriff des Design Management. Obwohl es auch hier eine Vielzahl<br />
unterschiedlicher Handlungsebenen gibt – so z. B. das operative, das funktionale, das taktische,<br />
das strategische und das normative Design Management – werden diese in der Auseinandersetzung<br />
mit diesem Thema allzu gerne vermischt. 58 Dies hat z. B. zur Konsequenz, dass das Strategic Design<br />
häufig vorschnell mit einem strategischen Design Management, zum Teil sogar mit dem Design Management<br />
insgesamt gleichgesetzt wird. Im Sinne des hier vertretenen Verständnisses ist das Strategic<br />
Design dabei deutlich mehr als nur ein „Strategisches Design Management“. Es befasst sich nicht nur<br />
mit dem strategischen Management von Designprozesse, sondern auch mit den zentralen Erfolgspotenzialen<br />
im Design und der Frage, wie man Produkt, Marken und Designstrategien erfolgreich miteinander<br />
verknüpfen kann.<br />
(iii) CrossOverMentalität<br />
Selbst wenn man wie ich für eine weitere Öffnung der Designtheorie nach außen eintritt, so sollte man<br />
doch vorsichtig sein, welche gedanklichen Modelle man dabei aus anderen Wissenschaftsbereichen<br />
übernimmt. Die aktuell im Management wie im Design feststellbare Tendenz, Konzepte aus der jeweils<br />
anderen Disziplin auf den eigenen Tätigkeitsbereich zu übertragen (so etwa das Prinzip der<br />
Kernkompetenzen, das Leitbildkonzept, das Roadmapping oder die Rapid Prototyping Idee), ist zwar<br />
deutlich zu begrüßen, dokumentiert sie doch ein steigendes Interesse an der jeweils anderen Disziplin.<br />
Dennoch sollte man bei derartigen Übertragungen vorsichtig prüfen, inwieweit sich die jeweils adaptierten<br />
gedanklichen Konzepte tatsächlich für eine konkrete Anwendung im eigenen Fachbereich eignen<br />
und ob man diese dazu nicht vorab weiterentwickeln muss. Ferner sollte man dabei den jeweils<br />
aktuellen Diskussionsstand zu diesen Konzepten berücksichtigen, was zum Beispiel bei der Übertra<br />
55 Vgl. HOEGL 2002; die Sprachverwirrung, was alles Design ist, hängt nicht zuletzt mit dem ursprünglichen etymologischen Bedeutung des<br />
Begriffs Design zusammen, die in der englischen Sprache sehr viel weiter gefaßt wird, als etwa im deutschen Sprachraum.<br />
56 Siehe BRUCE u. BESSANT 2000, S. 18, LOVE 2002a.<br />
57 Während sich das operative Design mit dem tatsächlichen Gestaltungsprozeß und dessen Ergebnisse beschäftigt, setzt sich Strategische<br />
Design mit den Erfolgsvoraussetzungen und Erfolgswirkungen des Design auseinander. Das Business Design (oder auch Systems Design)<br />
wiederum beschäftigt sich mit der Gestaltung von übergreifenden Geschäftsprozessen und der Identifizierung von Unternehmens und Geschäftsfeldstrategien.<br />
58 Vgl. hierzu beispielhaft MORJA DE MOZOTA 2003, BRUCE u. BESSANT 2002 und KERN 1998.<br />
13
gung klassischer Strategieansätze auf das Design oder aber von visuellen Leitbildern auf das Management<br />
eher selten passiert. 59 Was die Zukunft der Designtheorie als transdisziplinärer Disziplin anbetrifft,<br />
so sollte diese jedoch nicht dabei stehen bleiben, einfach nur Ansätze aus anderen Fachbereichen<br />
zu übernehmen und gegebenenfalls weiterzuentwickeln. Vielmehr geht es darum, vermehrt Konzeptansätze<br />
im Interfacebereich von Design, Technologie und Ökonomie zu generieren.<br />
(iv) Fehlendes StakeholderBewusstsein<br />
Es liegt in der Natur der Sache, dass sich eine strategische Designtheorie, die sich mit den Erfolgsvoraussetzungen<br />
und Erfolgswirkungen des Design beschäftigt, natürlich auch mit der Frage auseinandersetzen<br />
muss, was „Erfolg“ im Kontext des Design überhaupt ist und wie dieser von unterschiedlichen<br />
StakeholderGruppen beurteilt wird. Nicht nur Ingenieure, Manager und Designer haben nämlich in<br />
der Regel ganz unterschiedliche Vorstellungen von dem, was ein „erfolgreiches Design“ ausmacht,<br />
sondern genauso auch die Kunden, Investoren, Eigentümer, Medien und die breite Öffentlichkeit. Genau<br />
eine solche Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Stakeholdergruppen im Design und<br />
ihren jeweiligen Interessenlagen und Erfolgserwartungen findet jedoch in der Literatur zum strategischen<br />
Design viel zu selten statt.<br />
(v) Best Case Denken<br />
Nimmt man die Vielzahl von Innovations und Designflops, aber auch die Kritik an einer zunehmenden<br />
„Überästhetisierung“ der Märkte ernst, dann kommt man, wenn man über die Erfolgspotenziale<br />
von Design nachdenkt, um eine Analyse der Probleme, Defizite, Gefahren und Grenzen des Design<br />
Management nicht herum. Genau auf solche Überlegungen trifft man jedoch in der strategischen Designliteratur<br />
und ausbildung bisher nur sehr selten. Stattdessen folgt man lieber einem Denken in positiven<br />
Benchmarks. In dem für das Frühjahr 2005 geplanten Buch „Innovation Overkill“ gehen Günter<br />
Moeller und ich der Frage nach, ob nicht gerade in dieser einseitigen Ausrichtung an den Erfolgsstories<br />
der „Innovation + Design Leader“ und in der damit verbundenen fehlenden Kritikfähigkeit<br />
eine der Hauptursachen für die massiven Defizite zu sehen sind, die viele Unternehmen im Bereich<br />
des Innovationsmanagements immer noch aufweisen.<br />
(vi) Ästhetische Ignoranz<br />
Die sicher problematischste aller hier beschriebenen Schwachstellen im Umgang mit dem Strategic<br />
Design ist jedoch die Tatsache, dass dort ästhetische Überlegungen so gut wie überhaupt nicht angestellt<br />
werden. Es wird zwar viel über die strategische Bedeutung des Design räsoniert. Ebenso findet<br />
man dort eine Vielzahl dezidierter Orientierungshilfen im Hinblick auf die Generierung grundlegender<br />
„Brand + Design Values“ und darauf aufbauende GlobalStrategien. Eine direkte Auseinandersetzung<br />
mit den ästhetischen Konsequenzen solcher Festlegungen und der Frage, wie man zum Beispiel Unternehmens<br />
und Markenstrategien auf der einen Seite und Designstrategien auf der anderen Seite<br />
wirkungsvoll miteinander verknüpft, gibt es hier aber bisher so gut wie überhaupt nicht. Dabei bietet<br />
gerade die Auseinandersetzung mit ästhetischen Überlegungen, wie sie etwa in der Semiotik (Saussure,<br />
Peirce, Eco), der Theorie der Produktsprache (Offenbach), den Stil und Modetheorien (Simmel,<br />
Bordieu, Schulze) oder auch kognitiven Wahrnehmungstheorien (z. B. Minsky) enthalten sind, eine<br />
Vielzahl interessanter Ansatzpunkte für das Strategic Design. 60 Um das komplexe Zusammenspiel von<br />
Unternehmens und Markenstrategien, Zielgruppenbedürfnissen, marktlichen Moden und Trends und<br />
der Produktgestaltung besser verstehen zu können, kommt man jedenfalls um eine direkte Verknüpfung<br />
von strategischen mit ästhetischen Überlegungen nicht herum. Ich selbst habe Mitte der Neunzigerjahre<br />
gemeinsam mit Produktdesignern in Frankfurt/Main ein gedankliches Modell entwickelt, das<br />
versucht, diesen Notwendigkeiten Rechnung zu tragen. Durch das Arbeiten mit Stilprinzipien, Stilangeboten<br />
und Stilwelten, die Verknüpfung ästhetischer, technologischer und soziokultureller Analysen<br />
im Kontext der so genannten „Produktwirkungstriade“ und die Einführung ästhetischer Positionierungsräume<br />
haben wir damals gezeigt, welch wichtigen Beitrag ästhetische Überlegungen für die Gewinnung<br />
stimmiger Produkt und Marktkonzepte leisten können. Dass sich strategische Überlegungen<br />
direkt mit ästhetischen Abwägungen verknüpfen lassen, hat jüngst auch TomiMatti Karjalainen vom<br />
TAI Research Center an der Helsinki University of Technology gezeigt. Am Beispiel Volvo erläutert<br />
59<br />
.Siehe HERBST u. SCHIERER 2004, ZALTMAN 2000; ferner zum Stand der Strategischen Managementlehre VOLBERDA u. ELFRING<br />
2001a, 2001b, 2001c.<br />
60<br />
Siehe hierzu ausführlicher HERRMANN 1998c; ferner STEFFEN 2000, SCHNIERER 1995, ECO 1994 und HERRMANN 1999.<br />
14
dieser, wie sich markenstrategische Grundwerte in produktsemantische Rasterungen überführen lassen.<br />
61 Natürlich haben auch diese Modelle – wie jedes andere auch – ihre Schwächen. Sie zeigen jedoch<br />
auf, wie man in der Praxis ästhetische Überlegungen direkt mit strategischen Festlegungen verknüpfen<br />
kann. Genau hierin besteht noch ein enormes Defizit im Umgang mit dem strategischen Design.<br />
Drittes Zwischenfazit<br />
Angesichts der Vielzahl der hier erwähnten Schwachstellen präsentiert sich die strategische Designtheorie<br />
momentan noch als eine Landkarte mit vielen blinden Flecken. Zwar haben die in den letzten<br />
Jahren erschienenen Studien und Publikationen einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, diese Flecken<br />
weniger werden zu lassen. Dennoch sind die erwähnten Theoriedefizite immer noch deutlich spürbar.<br />
So kommt etwas Tuomos Antikainen von der University of Art + Design in Helsinki in einem Arbeitspapier<br />
aus diesem Jahr zum dem Schluss: „Defining the research and development areas of strategic<br />
design is not very easy. Partly of it being quite a new notion with many open questions and a few<br />
applications and methods. Strategic design is still something that rises questions but leaves them somehow<br />
unanswered. How does design fit in an organization and its strategies? How does the corporate<br />
and company management see design as a part of creating successful stories of companies? Is there<br />
a more important role <strong>for</strong> design in the company strategies in the future than seen today?“ 62<br />
Neue An<strong>for</strong>derungen für Forschung und Lehre<br />
Will man sich als Designtheoretiker dieser Situation stellen, dann muss man meines Erachtens Folgendes<br />
tun. Zum einen gilt es, die theoretische Grundausbildung im Design zu stärken. Neben allgemeinen<br />
methodischen und wissenschaftstheoretischen Grundlagen müssen dabei auch Grundlagen der<br />
Markt und Managementlehre, der Kultur und Sozialwissenschaften, den Technikwissenschaften und<br />
natürlich der Kommunikationstheorie und Ästhetik vermittelt werden. Darüber hinaus gilt es, die<br />
Kompetenz des Designnachwuchses im Bereich eines DesignManagement (und zwar des operativen,<br />
strategischen wie funktionalen Design Management) zu stärken. Last but not least muss eine strategische<br />
Designtheorie durch gezielte Forschungsprojekte die empirische Basis für einen besseren strategischen<br />
Umgang mit dem Design bilden.<br />
Wichtige Forschungsfragen einer strategisch orientierten Designtheorie sind dabei zum Beispiel:<br />
(i) Die Schaffung eines theoretischmethodischen Rahmens für die Entwicklung integrierter Produkt/<br />
Marken und Designstrategien, die gezielt ästhetische u. strategische Überlegungen miteinander<br />
verknüpfen (s. o.).<br />
(ii) Eine detaillierte Untersuchung externer Erfolgseffekte des Design und ihrer Hintergrundfaktoren.<br />
63<br />
(iii) Empirische Überlegungen zur Abgrenzung von Designzielgruppen bzw. Stilgruppen. 64<br />
(iv) Die Entwicklung neuer methodischer Instrumente für den Bereich der designorientierten<br />
Markt<strong>for</strong>schung (Design Research) und des „Strategic Design Planning“. 65<br />
61 Vgl. KARJALAINEN 2003a u. 2003b.<br />
62 ANTIKAINEN 2004, S. 3.<br />
63 Wie eine solche Studie angelegt sein könnte, zeigen wegweisend z. B. TEKES 2005 und <strong>DESIGN</strong> COUNCIL 2004 auf.<br />
64 Obwohl in der Literatur schon seit längerem von „Stilgruppen“ als Alternative zu Zielgruppen geredet wird, finden sich bisher kaum<br />
Modelle dafür, wie man diese denn voneinander abgrenzen kann; vgl. hierzu u. a. die Ausführungen von Günter Moeller und mir in der im<br />
November erscheinenden Neuauflage von Bernhard E. Bürdek’s Klassiker „Design – Geschichte, Theorie und Praxis der Produktgestaltung“.<br />
65 In einer 2003 durchgeführten Befragung von ca. 30 Führungskräften zum Thema „Innovations und Design Management“ hat sich das<br />
Fehlen entsprechender Instrumente als ein Kerndefizit des Innovationsmanagements herausgestellt; vgl. hierzu HERRMANN u. MOELLER<br />
2004d. Designer wehren sich also zu Recht gegen den Einsatz von „falscher“ Planung und „falscher“ Markt<strong>for</strong>schung, bei der gerade die<br />
innovativsten Spitzen häufig abgeschnitten werden. Konsumenten wie Manager sind in der Regel über<strong>for</strong>dert, wenn es um die Beurteilung<br />
von Designstrategien und Gestaltungsleistungen für zukünftige Produkte geht. Wer deshalb aber gleich die Abstinenz von jedweder Form<br />
von Markt<strong>for</strong>schung und Planung im Design <strong>for</strong>dert, verkennt zum einen die „Legitimationsrealitäten“ von Unternehmen zum anderen aber<br />
auch die kommunikative und integrative Bedeutung stimmiger Planungs und Forschungsansätze. Um aus dieser Zwickmühle heraus zu<br />
kommen, bleibt dem Design nichts anderes übrig, als selbst innovative Planungs und Forschungsinstrumente zu entwickeln, die ästhetischen<br />
Gesichtspunkten besser gerecht werden, als dies die bisherigen Instrumente tun. Siehe hierzu u. a. HERRMANN u. MOELLER 2004b.<br />
15
Einige kurze Anmerkungen zum Schluss<br />
Mit diesem Vortrag habe ich den Versuch unternommen aufzuzeigen, warum ich ein „Mehr“ an strategischökonomischem<br />
Denken in der Designtheorie für unerlässlich halte. Wenn sich nicht das Design<br />
selbst der oben gestellten Fragen annimmt, dann passiert das, was Jochen Gros bereits 1983 in<br />
seiner Einleitung zur Theorie der Produktsprache kritisch festgestellt hat 66 : dann übernehmen nämlich<br />
andere Disziplinen das Feld. 67 Sicher können auch diese vor dem Hintergrund des oben propagierten<br />
Pluralismus einen wichtigen Beitrag zur Weiterentwicklung der Designtheorie leisten. Wenn sich die<br />
Designtheorie jedoch nicht selbst aktiv an den Diskursen zum Strategischen Design beteiligt, dann<br />
darf sie sich auch nicht beschweren, wenn sie als wissenschaftliche wie auch als praktische Disziplin<br />
zunehmend an den Rand gedrängt wird.<br />
Am Ende meines Vortrages bleibt die Bitte, mich nicht falsch zu verstehen. Ich plädiere keineswegs<br />
für eine „Übergewichtung“ strategischökonomischer Inhalte in der Design<strong>for</strong>schung oder Designlehre,<br />
nur für ihre „Gleichgewichtung“. Gleichzeitig gebe ich all denjenigen Vertretern des Design Recht,<br />
die für dieses ein gewisses „Freistellungsinteresse“ konstatieren. Um einen ehemaligen Kollegen aus<br />
dem Kommunikationsdesign zu zitieren: „Wirklich schöpferisch kann ich nur sein, wenn ich den ganzen<br />
Managementkrams hinter mir lasse“. Richtig hinter sich lassen kann man allerdings nur das, was<br />
man auch einmal durchgearbeitet, analysiert und verstanden hat. Dass man hierzu im breiten Fächerkanons<br />
des Design auch strategischökonomische Ausbildungsbestandteile braucht, daran kann heute<br />
kaum noch ein Zweifel bestehen. Roby Stancel, Geschäftsführer von IDEO Deutschland und Lehrbeauftragter<br />
an der ETH Zürich, hat hierfür einmal den schönen Begriff der „TShape“ geprägt. Wer in<br />
Zukunft im Design genauso wie auch im Management oder den Ingenieurwissenschaften erfolgreich<br />
sein will, braucht seiner Meinung nach zwei Dinge: Eine systematische Tiefenausbildung im Hinblick<br />
auf klar abgrenzbare Kompetenzen, aber ebenso auch ein hinreichendes Breitenwissen, ein Bewusstsein<br />
dafür, in welche kulturellen, technischen und ökonomischen Kontexte das eigene Tun jeweils<br />
eingebettet ist. Genau dieses Verständnis von Forschung und Lehre, von Theorie und Praxis teile auch<br />
ich.<br />
Christoph Herrmann, 20. Oktober 2004<br />
66 GROS 1984, S.5<br />
67 So z. B. das Marketing oder aber das Strategische Management, eine Tendenz, die im Hinblick auf das Strategic Design bereits deutlich zu<br />
spüren ist.<br />
16
Ergänzende Ausführungen im Nachgang zum Vortrag vom 20. Oktober 2004 an der Bergischen<br />
Universität Wuppertal<br />
Es ist meines Erachtens ein Fehlglaube zu meinen, Theoriebildung sei nur möglich, wenn man sich<br />
vom Gegenstand der Betrachtung möglichst weit entfernt. Genau das Gegenteil davon ist der Fall. Es<br />
ist vor allem die Auseinandersetzung mit der empirischen Praxis, die gerade auch im Design die wertvollsten<br />
theoretischen Erkenntnisse hervor gebracht hat: Von Herman Obrist, August Endell und Richard<br />
Riemerschmid (Vereinigte Werkstätten), über Henry van der Velde, Peter Behrens und Herman<br />
Muthesius (Deutscher Werkbund) und Walter Gropius, Marcel Breuer und Ludwig Mies van der Rohe<br />
(Bauhaus) bis hin zu Max Bill und Otl Aicher (HfG Ulm)... Die Geschichte des Design in Deutschland<br />
kennt zahlreiche Persönlichkeiten, die es verstanden haben, Theorie und Praxis hervorragend miteinander<br />
zu verbinden. Unternehmen wie AEG (Peter Behrens), Siemens und Reemtsma (Hans Domizlaff),<br />
Lufthansa (Otl Aicher) oder Braun (Dieter Rams) verdanken ihre zum Teil heute noch gültigen<br />
visuellen Identitäten diesem kreativen Wechselspiel.<br />
Gestaltung findet heute im Gegensatz zu früher jedoch kaum mehr als Einzelleistung statt. Sie ist<br />
selbst ein Teil hoch ausdifferenzierter Kollaborations und Kommunikationsprozesse geworden, die zu<br />
einem nicht unerheblichen Teil ökonomischen Erwägungen folgen. Wer sich – von welcher „Insel“<br />
aus er oder sie das auch immer tut – einer Auseinandersetzung mit diesen ökonomischen Rahmenbedingungen<br />
widersetzt, versperrt damit automatisch den Blick auf die Realität der Gestaltungsarbeit so<br />
wie sie heute aussieht. „Theoretische Reflexion“ oder auch „kritische Reflexion“ im Design muss sich<br />
demnach auch mit den wirtschaftlichen, organisatorischen und strategischen Rahmenbedingungen des<br />
Design in der heutigen Unternehmenspraxis auseinander setzen. Erst eine solche ehrliche Auseinandersetzung<br />
ermöglicht meines Erachtens auch Überlegungen dahin gehend, wie man sich als Designer<br />
oder Designerin vor einer Prädominanz des WirtschaftlichStrategischen „schützen“ kann.<br />
Um es positiv zu <strong>for</strong>mulieren: Wie kann man gerade in den durch und durch ökonomisierten Umfeldern<br />
von heute der Stimme der Gestaltung wieder so Gehör verschaffen, dass die Ästhetik nicht nur<br />
zum willfährigen Erfüllungsgehilfen von unternehmerischen Strategien wird („design follows strategy“),<br />
sondern auch umgekehrt (wie von Peter Behrens, Hans Domizlaff, Otl Aicher oder Dieter Rams<br />
intendiert) zu einer zentralen Grundlage des unternehmerischen Handelns werden kann („strategy<br />
follows design“)? Derartige Überlegungen sind meines Erachtens nur an der Schnittstelle von Design<br />
und Ökonomie, gestalterischer Praxis und unternehmerischem Kontext möglich, nicht jedoch auf der<br />
Grundlage einer strikten Trennung dieser Disziplinen.<br />
Christoph Herrmann, Nachtrag vom 21. Oktober 2004<br />
17
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