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Bohlens Sprüche, Klums Tipps – Der Umgang Heranwachsender ...

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Autor/en: Hajok, Daniel / Selg, Olaf.<br />

1<br />

www.mediaculture-online.de<br />

Titel: <strong>Bohlens</strong> <strong>Sprüche</strong>, <strong>Klums</strong> <strong>Tipps</strong> <strong>–</strong> <strong>Der</strong> <strong>Umgang</strong> <strong>Heranwachsender</strong> mit<br />

Castingshow-Jurys.<br />

Quelle: Hajok, Daniel / Selg, Olaf / Hackenberg, Achim (Hrsg.): Auf Augenhöhe?<br />

Rezeption von Castingshows und Coachingsendungen. Konstanz 2012,<br />

S. 101 <strong>–</strong> 114.<br />

Verlag: UVK Verlagsgesellschaft mbH.<br />

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.<br />

Die Zahlen in eckigen Klammern kennzeichnen das Seitenende der Originalausgabe.<br />

Daniel Hajok/Olaf Selg<br />

<strong>Bohlens</strong> <strong>Sprüche</strong>, <strong>Klums</strong> <strong>Tipps</strong> <strong>–</strong><br />

<strong>Der</strong> <strong>Umgang</strong> <strong>Heranwachsender</strong> mit Castingshow-Jurys<br />

Ein wesentlicher Kritikpunkt an Castingshows ist der <strong>Umgang</strong> einzelner Juroren mit<br />

den Kandidaten, der durch die Inszenierung der Juroren als öffentliche Autoritäten<br />

besonderes Gewicht bekommt. Aber sind Medienfiguren wie Dieter Bohlen und Heidi<br />

Klum wirklich wichtige Identifikationsfiguren, die Kindern und jugendlichen ‹falsche›<br />

Ideale vom zwischenmenschlichen <strong>Umgang</strong> vermitteln? Und vor allem: Was fangen<br />

die jungen Zuschauer tatsächlich mit den vorgeführten Verhaltensweisen an? Im<br />

Folgenden wird gezeigt, wie Kinder und jugendliche die Juroren der beiden populären<br />

Castingshows «Deutschland sucht den Superstar» (DSDS) und «Germany´s next<br />

Topmodel» (GNTM) wahrnehmen und ihren <strong>Umgang</strong> mit den Kandidaten bewerten.<br />

Grundlage bildet eine von der Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien<br />

(AKJM) durchgeführte Studie zur Wahrnehmung und Verarbeitung aktueller Reality-TV-Formate<br />

durch Heranwachsende (Eckdaten zur Studie siehe S. 102).<br />

Neben der Beantwortung grundsätzlicher Fragen zur Nutzung und Bewertung von<br />

Castingshows und Coachingsendungen wurden in der AKJM-Studie die verschiedenen<br />

Formen der Wahrnehmung und Verarbeitung ausgewählter Sendungsinhalte einer näheren<br />

Betrachtung unterzogen. In der Onlinebefragung wurden die jugendlichen und<br />

jungen Erwachsenen zunächst gebeten, die Jurys der Castingshow, die sie «oft» oder<br />

«manchmal» nutzen, als zentrale Inhalte bzw. Elemente der Sendungen zu bewerten. 1<br />

Nach der Frage, wie sie es überhaupt finden, «dass die Kandidaten durch eine Jury bewertet<br />

werden», ging es hier auch um die Zusammensetzung der Jurys («dass die Jury<br />

1 Von den insgesamt 1165 befragten 12- bis 17-Jährigen und 1484 befragten 18- bis 24-Jährigen<br />

bewerteten 394 Jugendliche und 230 junge Erwachsene die Jury von DSDS sowie 469 Jugendliche<br />

und 390 junge Erwachsene die Jury von GNTM.


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mit Prominenten besetzt ist») und ihr Auftreten als Bewertungsinstanz («dass den<br />

Kandidaten klar gesagt wird, ob sie gut oder [101] schlecht sind» und «dass manche<br />

Juroren ihre Urteile in freche <strong>Sprüche</strong> verpacken»). Im Weiteren sollten die Befragten<br />

die einzelnen Juroren der Castingshow, die sie am liebsten sehen, hinsichtlich ausgewählter<br />

Eigenschaften und Kompetenzen (vor allem Fairness, Bewertungskompetenz,<br />

Unterhaltungs- und Sympathiewert) bewerten, deren vordergründig ausgefüllte Rolle<br />

bzw. Funktion als «Bestimmer», «Berater», «Förderer», «Kritiker» oder «Tröster»<br />

festlegen und «die Art und Weise, in der die Jury mit den Kandidaten umgeht», beurteilen<br />

und mit eigenen Worten begründen.<br />

Diese und einige andere von den Heranwachsenden selbst als wichtig erachtete<br />

Aspekte wurden in Intensivinterviews mit 36 Kindern und Jugendlichen im Alter von<br />

8 bis 15 Jahren, von denen die meisten Castingshows bereits seit Längerem sehen,<br />

unter Berücksichtigung der zentralen Kontexte (persönliche Lebenshintergründe, Rezeptionsmotive,<br />

Anschlusskommunikation etc.) vertieft.<br />

Studie «Wahrnehmung und Verarbeitung aktueller Reality-TV-Formate durch<br />

Heranwachsende»<br />

Auftraggeber Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V. (FSF)<br />

Durchführung<br />

Arbeitsgemeinschaft Kindheit, Jugend und neue Medien<br />

(AKJM) (Projektleitung Dr. Daniel Hajok) und Freie Universität<br />

Berlin, Arbeitsbereich Philosophie der Erziehung (Dr.<br />

Achim Hackenberg)<br />

Untersuchungs zeitraum Frühjahr 2009 bis Frühjahr 2011<br />

Methoden<br />

1. Quantitative Befragung (Herbst 2009): Onlinebefragung<br />

von 1 165 12- bis 17-Jährigen und 1484 18- bis 24-Jährigen<br />

(Vergleichsgruppe)<br />

2. Qualitative Interviewerhebung (Sommer 2010): leitfadengestützte<br />

Intensivinterviews mit 36 Heranwachsenden<br />

zwischen 8 und 15 Jahren<br />

Diskussionen über Juroren als wichtiger Gesprächsinhalt<br />

Castingshows werden von den jungen Zuschauern vor allem deshalb gesehen, weil sie<br />

ihnen eine Menge Unterhaltung, Spaß und Spannung bieten und viele Anknüpfungspunkte<br />

für persönliche Orientierungen beinhalten (vgl. Hajok/Selg 2010). Schaut man<br />

sich die persönlichen Motive bzw. [102] Gründe der Nutzung von DSDS und GNTM<br />

noch etwas genauer an, wird deutlich, dass es auch einen nicht zu unterschätzenden


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Gruppendruck unter den Heranwachsenden gibt, sich die Sendungen anschauen zu<br />

müssen (vgl. Götz/Gather 2010). Denn Castingshows setzen Themen, über die man<br />

auf dem Laufenden sein sollte, um mitreden zu können und auf diese Weise Gruppenzugehörigkeit<br />

herzustellen oder zu festigen (vgl. Lünenborg/Töpper 2011). Eine<br />

11-Jährige bringt das im Interview zu ihrer GNTM-Nutzung so auf den Punkt: «In der<br />

Schule redet man ja oft drüber, und da möchte man ja auch mitreden können eigentlich,<br />

nicht dass man so ausgegrenzt ist und nichts drüber weiß.»<br />

Erwartungsgemäß sind Gespräche zu Castingshows vor allem in den Peergroups weit<br />

verbreitet: Zwei Drittel der online befragten 12- bis 17-Jährigen sprechen «manchmal»<br />

oder «oft» mit Freunden/Bekannten über die Show. Bei einem Drittel der<br />

Befragten finden auf Castingshows bezogene Gespräche (ebenfalls) im familiären<br />

Kontext statt (vgl. Hajok/Selg 2010). In den vertiefenden Interviews zeigt sich: Hauptgesprächsthema<br />

bei der Peergroup-Kommunikation sind die Kandidatinnen und<br />

Kandidaten. Thematisiert werden sowohl deren Aussehen und Outfit als auch deren<br />

Leistung und Auftreten (vgl. Klaus/O´Connor 2010), wobei die diskursiven Auseinandersetzungen<br />

hierüber nicht zuletzt der Aushandlung von Identitätspositionen dienen<br />

(vgl. Götz/Gather 2010).<br />

In den Peergroups und bei Gesprächen in der Familie, die sich in aller Regel während<br />

der gemeinsamen Rezeption entwickeln, wird oft der <strong>Umgang</strong> der Juroren mit den<br />

Kandidaten thematisiert und einer persönlichen Wertung unterzogen. Diskussionen<br />

um die exponierten Vertreter werden durch die vielfältigen und weit verbreiteten<br />

crossmedialen Aneignungsmöglichkeiten (vgl. Roth-Ebner 2009) unterstützt und können<br />

für Außenstehende mit ganz anders gelagerten Fernsehpräferenzen durchaus ein<br />

wichtiger Anstoß sein, sich die entsprechende Castingshow anzusehen. So stellt ein<br />

11-Jähriger, der eigentlich nur sehr wenig fernsieht, fest:<br />

«Alle reden drüber, guck ich mal, ob man mitreden kann. Wegen Dieter<br />

Bohlen. Den finden alle so blöd, da möchte man auch mal wissen, warum die<br />

den alle so blöd finden.»<br />

Die Zugänge einiger anderer Interviewter lassen ebenfalls vermuten, dass es sich für<br />

die Anbieter von Castingshows durchaus auszahlt, wenn in unterschiedlichen medialen<br />

und kommunikativen Kontexten gerade auf die normabweichenden und die Grenze<br />

des Anstands überschreitenden <strong>Umgang</strong>sformen einzelner Juroren fokussiert wird.<br />

Da die Dichte der in diesem Sinne provokativen Ereignisse bei DSDS viel höher ist als<br />

bei GNTM, ver- [103] wundert es nicht, dass die GNTM-Jury bei Kindern und Jugendlichen<br />

weit weniger wegen ihres aufsehenerregenden Agierens Gesprächsthema ist. 2<br />

2 In ihrer Studie zu Skandalisierungen im Reality-TV (Lünenborg et al. 2011) weisen die Autoren<br />

nach, dass solch »provokative Ereignisse«, definiert als »Abwertung von Personen aufgrund ihres<br />

Verhaltens und Aussehens« (ebd., S. 72), in fast jeder Folge der im Jahr 2009 ausgestrahlten sechsten<br />

DSDS-Staffel zu finden sind und insgesamt um ein Vielfaches häufiger auftreten als bei der im<br />

gleichen Jahr ausgestrahlten vierten GNTM-Staffel.


Die Castingshow-Jurys als Bewertungsinstanz<br />

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Als zentrales Element der Castingshows werden die Jurys von den jungen Zuschauern<br />

nicht nur als wichtig erachtet, sondern auch überwiegend positiv bewertet, insbesondere<br />

wenn es um die Entscheidungen über das Weiterkommen der Kandidaten geht.<br />

Denn während das Voting des Fernsehpublikums ohne nachvollziehbare Begründung<br />

bleibt, muss die Jury öffentlich argumentieren. Auch deshalb findet es die große<br />

Mehrheit aller befragten Nutzerinnen und Nutzer von DSDS und GNTM «gut»/«eher<br />

gut», dass die Kandidaten in den Sendungen durch eine Jury bewertet werden. Es fällt<br />

allerdings auf, dass sich die negativen Stimmen zur DSDS-Jury als Bewertungsinstanz<br />

mehren, je älter die Befragten sind, während die GNTM-Jury in dieser Hinsicht immer<br />

positiver gesehen wird. Offenbar spielen bei älteren Jugendlichen und jüngeren<br />

Erwachsenen die persönlichen Werturteile zur Art und Weise, wie die Bewertung der<br />

Kandidaten erfolgt, eine größere Rolle. Diesbezüglich hat die DSDS-Jury mit Dieter<br />

Bohlen, dessen Verhalten überwiegend abgelehnt wird, offensichtlich einen schlechteren<br />

Stand.<br />

Überwiegend positiv beurteilen die jungen Zuschauer, dass die Jurys von DSDS und<br />

GNTM «mit Prominenten besetzt» sind und den Kandidatinnen und Kandidaten «klar<br />

gesagt wird, ob sie gut oder schlecht sind». Wie später noch ausgeführt wird, ist die<br />

entscheidende Frage allerdings, in welcher Form dies artikuliert wird. Kritik, die den<br />

Unterhaltungswert steigern soll, wird überwiegend positiv, abhängig vom (populären)<br />

Juror aber ambivalent gesehen.<br />

Eine knappe Mehrheit der Befragten findet es «gut»/«eher gut», wie die DSDS-Jury<br />

mit den Kandidaten umgeht. Die anderen schätzen den <strong>Umgang</strong> als «schlecht»/«eher<br />

schlecht» ein. Damit schneidet die DSDS-Jury, den häufigeren Grenzverletzungen entsprechend,<br />

deutlich schlechter ab als die GNTM-Jury. <strong>Der</strong>en <strong>Umgang</strong> mit den Kandidatinnen<br />

wird von einer großen Mehrheit der jungen Zuschauer positiv bewertet (vgl.<br />

Hajok/Selg 2010). [104] Showübergreifend fällt auf, dass die ablehnende Haltung bei<br />

Mädchen und höher gebildeten Jugendlichen am stärksten ausgeprägt und im Kern<br />

auf die populären Köpfe der Jurys gerichtet ist.<br />

Fokussierung auf populäre Köpfe<br />

Bereits in der Onlinebefragung zeigte sich, dass die Jury von DSDS vor allem mit dem<br />

prominentesten und in der jugendschützerischen Kritik stehenden Juror Dieter Bohlen<br />

in Verbindung gebracht wird (vgl. Hajok/Selg 2010). Die wechselnden Juroren neben<br />

ihm (zum Erhebungszeitpunkt Nina Eichinger und Volker Neumüller) stehen nicht im<br />

Mittelpunkt des Interesses und werden <strong>–</strong> häufig im Kontext besonderer Ereignisse<br />

und Situationen <strong>–</strong> als Für- oder Gegensprecher von Bohlen wahrgenommen. Fragt<br />

man die jungen Zuschauer, die DSDS als ihre «Lieblingscastingshow» nutzen, nach den<br />

Rollen, die die Juroren in ihrer Funktion ausfüllen, wird deutlich: Bohlen ist für die


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jungen Zuschauer der große «Bestimmer» (vor allem für die Mädchen) und «Kritiker»<br />

(vor allem für die Jungen), Eichinger die «Trösterin», Neumüller eher der «Berater».<br />

Unabhängig von den differierenden Rollenzuschreibungen wird am Expertenstatus<br />

der Juroren kaum gezweifelt. Die meisten, die DSDS als Lieblingscastingshow nutzen,<br />

sehen die drei Juroren auf vergleichbarem Niveau als Experten an («schätzen die Leistung<br />

der Kandidaten meistens/immer richtig ein»). Deutliche Unterschiede erkennen<br />

die jungen Zuschauer indes hinsichtlich der Fairness und des Unterhaltungswertes<br />

der Juroren. Während sie Dieter Bohlen den mit Abstand höchsten Unterhaltungsfaktor<br />

zuweisen, wird sein Verhalten gegenüber den Kandidaten als deutlich unfairer<br />

beurteilt als das seiner beiden Jurykollegen. In den offenen Statements der Onlinebefragung<br />

und in den differenzierenden Ausführungen der vertiefenden Interviews ist<br />

häufig die Rede davon, dass die <strong>Sprüche</strong> von Bohlen «übertrieben», «unangebracht»,<br />

«gemein», «abfällig», «respektlos», «beleidigend», «unfair», «verletzend» bzw. «fies»<br />

sind. In der Wahrnehmung der meisten, auch derjenigen, die den <strong>Umgang</strong> der DSDS-<br />

Jury mit den Kandidaten insgesamt eher positiv beurteilen, gehen die <strong>Sprüche</strong> häufig<br />

«unter die Gürtellinie» und «zu weit».<br />

Moniert wird von den jungen Zuschauern damit letztlich genau das, was Eltern,<br />

Pädagogen und Jugendschützer oft ebenso vehement kritisieren. Doch während die<br />

Erwachsenen eher aus ethisch-moralischer Perspektive argumentieren, speist sich<br />

die Kritik der jungen Zuschauer an <strong>Bohlens</strong> Um- [105] gang aus ihrer Empathie für die<br />

Kandidaten und einer besonderen Sensibilität für adäquate soziale <strong>Umgang</strong>sformen,<br />

die sie in den inszenierten Bewertungssituationen der Shows offenbar konterkariert<br />

sehen.<br />

In aller Regel können die DSDS-Nutzer sehr wohl zwischen dem ‹Unterhaltungsfaktor<br />

Bohlen›, der die Zuschauer mit seinen Äußerungen belustigt, und der ‹Spaßbremse<br />

Bohlen›, der die Kandidaten teilweise beleidigt, unterscheiden. So findet ein 8-jähriges<br />

Mädchen Bohlen zwar «sehr lustig», sie schließt sich aber der Bewertung ihrer<br />

14-jährigen Interviewpartnerin bezüglich der verbalen Attacken an: «Diese Ausdrücke<br />

mag ich nich, also diese Ausdrücke find ich halt nich gut.» Andere sagen in den Interviews:<br />

«Ach, an Dieter Bohlen gut ist, dass er Leute, die was können, das sagt er ihnen,<br />

die lobt er wirklich. Schlecht ist, dass er Leute, die nichts können, runtermacht»<br />

(m, 13), oder: «Dieter Bohlen, was der für <strong>Sprüche</strong> rauslässt, das find ich einfach zu<br />

krass» (w, 13).<br />

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass Bohlen deutlich geringere Sympathiewerte<br />

erhält als seine Jurykollegen: Fast die Hälfte der befragten DSDS-Zuschauer<br />

findet ihn «eher unsympathisch»/«unsympathisch». Betrachtet man dieses Ergebnis<br />

im Kontext des besonderen Blicks der jungen Zuschauer auf die Kandidaten (vgl. Hackenberg<br />

et al. 2011a), erscheint es eher fraglich, dass Bohlen eine wichtige Identifikationsfigur<br />

für Heranwachsende ist. Insgesamt und in aller Regel auch auf der Ebene<br />

einzelner Zuschauer wird er ambivalent bewertet: <strong>Der</strong> teilweise heftigen Kritik an<br />

seinen <strong>Sprüche</strong>n steht die Wahrnehmung als durchaus «unterhaltsam» und «witzig»


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gegenüber. Dieser Charakter von Bohlen kommt vornehmlich in einer Rezeptionshaltung<br />

zum Tragen, in der sich die jungen Zuschauer unterhalten lassen wollen. Zuweilen<br />

überlagert diese besondere Attraktivität einer Reizfigur wie Dieter Bohlen die<br />

eigentlich ablehnende Haltung gegenüber solchen <strong>Umgang</strong>sformen. Ohnehin wüssten<br />

im Prinzip alle Kandidaten durch die schon gezeigten Staffeln, was sie bei einer Teilnahme<br />

an der Sendung erwartet.<br />

In der GNTM-Jury ist Heidi Klum das exponierte Mitglied. Kritisch betrachtet kann<br />

man sie durchaus als eine strenge, Druck auf die Kandidatinnen ausübende Jurorin<br />

beschreiben, die in diesem Punkt strukturell ganz ähnlich wie Dieter Bohlen, im direkten<br />

<strong>Umgang</strong> mit den Kandidatinnen aber dann doch anders agiert. Diese Sichtweise<br />

steht bei den jungen GNTM-Zuschauern allerdings nicht im Vordergrund. Sie sehen in<br />

Heidi Klum <strong>–</strong> der öffentlichen Wahrnehmung als populärkulturelles Phänomen entsprechend<br />

(vgl. Seifert 2010) <strong>–</strong> eine erfolgreiche Fernsehbekanntheit, Werbe- bzw.<br />

Model-Ikone, Geschäftsfrau und nicht zuletzt Mutter. Bei GNTM betrachten sie Heidi<br />

Klum vor allem als eine Art Trainerin bzw. [106] Anleiterin, die <strong>–</strong> zusammen mit ihren<br />

Jurykollegen und anderen Experten <strong>–</strong> die Kandidatinnen auf ihrem Weg begleitet. In<br />

diesem Kontext verwundert es nicht, dass sie im Unterschied zu Dieter Bohlen vergleichsweise<br />

hohe Fairness- und Sympathiewerte genießt. Die Rollen der Juroren von<br />

GNTM sind in der Perspektive der jungen Zuschauer indes ähnlich klar verteilt wie bei<br />

DSDS: Heidi Klum ist vor allem die «Bestimmerin», Peyman Amin (Staffeln 1-4) der<br />

«Kritiker» und Rolf Scheider (Staffeln 3-4) der «Tröster».<br />

Auf welche Weise persönliche Erfahrungen mit dem in der Show Gesehenen verknüpft<br />

werden, zeigt das Beispiel einer 10-jährigen GNTM-Zuschauerin. Mit Verweis<br />

auf ihren Tanz- und Ballettunterricht wertet sie «Übung» als wichtig für den Erfolg<br />

und hebt hier die besondere Bedeutung von Trainern hervor. An dem Missverhältnis<br />

zwischen ihr und ihrer Trainerin war ihr Turnunterricht gescheitert. Mit besonderer<br />

Aufmerksamkeit verfolgte sie bei GNTM, wie Catwalk-Trainer Jorge auf die Kandidatinnen<br />

eingeht bzw. ihnen die Dinge ‹auf Augenhöhe› vormacht, indem er «sich selbst<br />

auf den Tisch stellt, die Füße hochstellt». Im Resultat festigte sich hier ihre Vorstellung,<br />

dass Übung unter professioneller Anleitung erfolgen muss und vor allem dann<br />

Erfolg versprechend ist, wenn die Chemie zwischen Trainern und Trainierten stimmt.<br />

Bewertung auf Grundlage eigener Wertvorstellungen<br />

Die vertiefenden Interviews mit den 8- bis 15-Jährigen haben in ganz unterschiedlichen<br />

Gesprächskontexten gezeigt, dass die jungen Zuschauerinnen und Zuschauer<br />

nicht nur einen besonderen Blick auf den <strong>Umgang</strong> der Juroren mit den Kandidaten<br />

haben, sondern diesen auch auf der Grundlage eigener, bereits recht gefestigter<br />

Wertvorstellungen bewerten. Insbesondere die deutliche Unterscheidung der beiden<br />

Seiten von Bohlen (unsympathisch, aber unterhaltsam) erfolgt oft auf der Grundlage<br />

bestimmter Wertebezüge, die sich bei vielen, aber keineswegs bei allen Befragten als


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Basis für ihre Urteile herauskristallisiert haben: Es wird großer Wert gelegt auf Fairness,<br />

Respekt und Gerechtigkeit <strong>–</strong> egal ob zu Hause, in der Schule oder eben im Fernsehen:<br />

Im zwischenmenschlichen <strong>Umgang</strong> darf Spaß nicht auf Kosten anderer gehen<br />

(vgl. Hackenberg et al. 2011b).<br />

Abzulesen ist an den Äußerungen der Interviewten auch keine möglicherweise durch<br />

Kritik aus dem eigenen Umfeld bzw. der Familie entstandene, sozial erwünschte<br />

pauschale Antipathie oder <strong>–</strong> als Trotzreaktion auf eine mögliche sozial erwünschte<br />

Ablehnung <strong>–</strong> Sympathie für die Person [107] Bohlen. Die Einordnung des Gesehenen<br />

erfolgt vielmehr im Abgleich mit den eigenen Werte- und Wunschvorstellungen für<br />

den zwischenmenschlichen <strong>Umgang</strong>. Dabei kann durchaus das Saalpublikum, das den<br />

Zuschauern eine stellvertretende Form der Teilhabe ermöglicht (vgl. Döveling et al.<br />

2007) und gegebenenfalls Anteilnahme/Ablehnung gegenüber einzelnen Protagonisten<br />

hervorhebt (vgl. Schwender 2006), bestärkend auf die eigene Bewertung einwirken:<br />

«Also manchmal da hat er auch unrecht, weil, da hat der mal Kim, ich weiß<br />

nicht, was es war, wie die hieß, da hat der mal gesagt, dass sie nicht so gut ist,<br />

da haben die dann alle buh geschrien» (w, 12).<br />

Auch die <strong>Umgang</strong>sweisen der weniger exponierten Juroren werden im Kontext persönlicher<br />

Wertvorstellungen wahrgenommen. Sehr deutlich wird das bei einem<br />

13-jährigen Gymnasiasten, der sich mit seiner älteren Schwester und seiner Mutter<br />

regelmäßig GNTM ansieht. Für ihn ist «Respekt» ein bedeutender Wert für den zwischenmenschlichen<br />

<strong>Umgang</strong>. Ihm ist wichtig, «dass man freundlich zueinander ist»,<br />

was er bei Auseinandersetzungen im schulischen Umfeld häufig vermisst. Hier identifiziert<br />

er Respektlosigkeiten von eigentlichen Respektspersonen: «Lehrer fallen einem<br />

ins Wort und so, sowas mag ich überhaupt nicht, sie lassen einem gar nicht die Chance.»<br />

Aus dieser persönlichen Werteorientierung heraus beurteilt er das Agieren der<br />

Juroren <strong>–</strong> mit besonderem Blick für seiner Meinung nach falsche (weil respektlose)<br />

<strong>Umgang</strong>sweisen. Er erinnert sich noch sehr gut an eine Auseinandersetzung, bei der<br />

Q (Juror in Staffel 5 von GNTM) einer Kandidatin vorwirft, «dass sie da Hampelmann<br />

für die anderen gespielt hat, und da hat sie dann eben so diskutiert und er ist ihr ständig<br />

ins Wort gefallen, so, also das auch so gegenseitig, da ist kein richtiges Gespräch<br />

draus geworden». Dass die Kandidatin in diesem Sinne gleichermaßen respektlos war,<br />

hat nach Meinung des 13-Jährigen dann letztlich auch zu ihrem Rauswurf geführt.<br />

An diesem Beispiel wird deutlich, dass die Castingshows ihre Attraktivität daraus<br />

beziehen, dass sie an den Praktiken und Erfahrungen von Menschen anknüpfen (vgl.<br />

Stehling/Thomas 2010). Die Anknüpfungspunkte (hier die <strong>Umgang</strong>sformen zwischen<br />

Juroren und Kandidaten) werden von den jungen Zuschauern in aller Regel nicht<br />

unreflektiert wahrgenommen. Gerade die vermittelten Klischees und Strukturen des<br />

menschlichen Zusammenlebens, die ihnen aus ihrem eigenen Leben bekannt sind und<br />

den eigenen Wertvorstellungen zuwiderlaufen, führen zu einer produktiven Auseinandersetzung<br />

mit dem Gesehenen. Im skizzierten Fall verfestigt sich durch die Erfahrun-


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gen in Schule und Medien zwar die Vorstellung, dass Respektlosigkeit bei Schwachen<br />

(Schüler bzw. Kandidaten) sanktioniert und bei Starken (Lehrer [108] bzw. Juroren)<br />

toleriert wird, als Gegenentwurf dazu wird aber die persönliche Idealvorstellung von<br />

einem freundlichen zwischenmenschlichen <strong>Umgang</strong> gestärkt.<br />

Konstruktive Kritik statt Beleidigungen gewünscht<br />

«Die werden also total fertiggemacht da von dem Bohlen, und, also wenn die<br />

mal Sänger werden und eigentlich total gut singen und viel leicht nur ´n paar<br />

Töne zu hoch, könnte der Bohlen denen mal sagen, was die falsch machen,<br />

ich mein, was sie, also was die richtig machen, anstatt was die immer falsch<br />

machen, muss er auch mal ´n bisschen positiv betonen das Ganze, was die da<br />

machen. [...] Also erst mal sollte der daran arbeiten, [...] sich zu mäßigen, die<br />

Leute nicht zu beleidigen, dann sollte der sie auch richtig wahrnehmen, und er<br />

sollte denen sagen, was falsch ist <strong>–</strong> und was gut ist» (m, 11).<br />

Anhand dieser Interviewpassage lässt sich erkennen: Nicht konstruktive Kritik, wohl<br />

aber Beschimpfungen und Beleidigungen werden als grundsätzlich kontraproduktiv<br />

für das soziale Miteinander gewertet (vgl. Hackenberg et al. 201b). Das eigene Wertesystem<br />

der Befragten gerät also nicht durch das prominente (Negativ-) Beispiel ins<br />

Wanken, vielmehr dient Bohlen als medial transportierter Sparringspartner: «Wir<br />

schalten´s an, gucken und wenn da was Blödes kommt, geben wir auch Kommentare<br />

dazu wie: Boah, ist Dieter echt blöd, der beleidigt schon wieder» (w, 14). Gerade bei<br />

der gemeinsamen Rezeption scheint es vor dem Fernseher zur Bildung einer Art Gegenjury<br />

zu kommen. Die Aussage «er sollte denen sagen, was falsch ist <strong>–</strong> und was gut<br />

ist» drückt die Forderung nach konstruktiver Kritik aus. In der Werteskala der jungen<br />

Zuschauer werden demnach ehrliche und konstruktive Urteile als wichtiger erachtet<br />

als witzig-fiese oder zu harte Formulierungen. Letztere tragen dazu bei, dass sich die<br />

Zuschauer in der Auseinandersetzung über das Gesehene gemeinsamer Werte und<br />

Normen vergewissern (vgl. Lünenborg/Töpper 2011) und diese gegebenenfalls neu<br />

verhandeln (vgl. Hill 2005).<br />

DSDS bietet den jungen Zuschauern auch die Möglichkeit, die Auseinandersetzung der<br />

Juroren untereinander bzw. das Verhandeln eines Kandidatenurteils mitzuverfolgen.<br />

Auch wenn Dieter Bohlen von vielen die «Bestimmer»-Rolle zugesprochen wird:<br />

«Es geht darum, dass sie sich dann erst mal einig werden und darüber sprechen,<br />

wie sie die halt erst mal fanden, und dann wird darüber gesprochen:<br />

Naja, die war eigentlich gut, die nicht, naja, vielleicht sollte [109] sie doch<br />

raus, darüber wird dann halt gesprochen <strong>–</strong> und dann werden sie sich irgendwie<br />

dann einig, wer bleibt und wer geht» (w, 14).<br />

Konstruktive Kritik durch die Jurys der Castingshows ist auch den jungen Zuschauern<br />

von GNTM wichtig. Einerseits erkennen sie an, dass Heidi Klum und die anderen Juro-


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ren als Experten ihres Fachs konstruktive Kritik üben, also nicht nur urteilen, sondern<br />

zusätzlich Ratschläge geben und zeigen, wie es richtig geht:<br />

«Also die meiste Ahnung, ich glaub, eigentlich schon Heidi, weil die ist am<br />

längsten dabei, die hat am meisten Erfahrung von den allen, die weiß am besten,<br />

wie man mit den Mädels umgehen kann, und sonst von der jetzigen, wie<br />

gesagt auch Kristian» (w, 10).<br />

«Ich find die schon kompetent, also Heidi Klum mag ja jetzt nicht die Klügste<br />

sein, aber ich denke, so was das Modeln und Casten angeht, da kennt sie sich<br />

aus. Den Fotograf, der weiß, was er macht, der kann auch die Bilder bewerten,<br />

und dann dieser Q, Modelagent, der weiß eben so, was eben ´n Model machen<br />

muss, der erkennt dann wahrscheinlich auch das gewisse Etwas, was sie<br />

dann brauchen» (m, 13).<br />

Andererseits erkennen die jungen Zuschauer punktuell auch bei der GNTM-Jury<br />

unsachliche Kritik, die den Kandidatinnen eigentlich nicht weiterhilft <strong>–</strong> sei es, weil bei<br />

der Kritik der persönliche Geschmack eine Rolle spielt oder weil die GNTM-Juroren<br />

im Gegensatz zu Bohlen zwar in aller Regel nicht beleidigen, aber doch ebenfalls<br />

ihre Witze über die Kandidatinnen machen. Für einen 13-Jährigen geht es zu oft um<br />

«Entertainment» und um «persönliche Dinge, die sie an denen nicht mögen» und<br />

die dann zu Benachteiligungen führen. Hier grenzt sich der 13-Jährige ab von der in<br />

GNTM praktizierten Jurykritik, die bei der inszenierten Suche nach einer perfekten<br />

Leistungspersönlichkeit nicht nur auf die fachliche Leistung, sondern auch auf die<br />

Persönlichkeit der Kandidatinnen abzielt (vgl. Stach 2011). Seiner Ansicht nach sollte<br />

die Kritik der Jury «komplett unpersönlich» und konkret auf die fachliche Leistung der<br />

betreffenden Kandidatin bezogen sein: «Dann sollen sie das professionell ihr erklären,<br />

was sie da falsch gemacht hat, fertig.» Kandidatinnen, die nicht so gut sind, müssten<br />

im Verständnis des 13-Jährigen zudem mit gesetzten Anforderungen zu besseren<br />

Leistungen motiviert werden: «Die brauchen einfach noch Druck, die sind jung, und<br />

denen musst du in dem Sinne wirklich noch Druck geben, sonst schaffen die das in<br />

dem Sinne nicht.» [110]<br />

Jurys und Juroren im Vergleich<br />

Wie die Jurys von DSDS und GNTM von den jungen Zuschauern wahrgenommen und<br />

bewertet werden, hat viel, aber nicht nur mit dem spezifischen Auftreten von Dieter<br />

Bohlen und Heidi Klum zu tun. Auch die anderen, von Staffel zu Staffel wechselnden<br />

Juroren spielen eine nicht unwichtige Rolle. Sehr deutlich zeigt sich dies an Nina<br />

Eichinger und Volker Neumüller, die Dieter Bohlen in der sechsten und siebten DSDS-<br />

Staffel zur Seite standen. Die Kojuroren werden zwar nicht immer namentlich erinnert,<br />

und ihr Auftreten kann seltener detailliert beschrieben werden, doch zeigt sich<br />

an den Äußerungen, dass sie oft als faires und besonnenes Gegengewicht zu Bohlen


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wahrgenommen werden: «Zwei sind immer nett», Nina Eichinger beispielsweise «ist<br />

sehr lieb» (w, 8), «die verhält sich gut, die sagt erst mal, was sie schlecht fand, so in<br />

einem netten ruhigen Ton, und was sie gut fand, und dass sie halt vielleicht nächstes<br />

Mal besser oder verbessert sein könnte» (w, 14). Volker Neumüller, «der ist so ruhig<br />

und nicht so aufgedreht» (m, 13), «der verhält sich eigentlich auch ruhig» (w, 14).<br />

In klarer Abgrenzung zu Bohlen wird an der Art und Weise, wie die beiden anderen Juroren<br />

Kritik gegenüber den Kandidaten äußern, geschätzt: «Dass sie nicht so ´ne <strong>Sprüche</strong><br />

ablassen, sondern auch nur sagen: Tut mir leid, das reicht nicht, oder so» (m, 13).<br />

Letztlich stellt deren zurückhaltende und respektvolle bzw. freundliche Art für viele<br />

Heranwachsende einen positiven Gegenentwurf zu Bohlen dar: «Gut find ich, dass die<br />

anderen Juroren [...] nicht so sind, also nicht so sehr, sagen wir, aggressiv oder so» (m,<br />

13). Wie stabil die jeweiligen Wertesysteme der Befragten sind, kann natürlich nicht<br />

abschließend beurteilt werden. Es lässt sich jedoch feststellen, dass sie sich mit ihren<br />

Überzeugungen deutlich positionieren: Sie vergleichen das Verhalten und kritisieren<br />

es gegebenenfalls, eine Autoritätenhörigkeit in einem problematischen Sinne ist nicht<br />

erkennbar.<br />

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass die fachlichen Qualitäten und die<br />

Kompetenz zur Beurteilung der Kandidaten von Bohlen und den anderen Juroren zwar<br />

durchaus thematisiert werden, wesentlich auffälliger ist aber, dass alle Befragten auf<br />

die menschlichen Qualitäten der Juroren eingehen. Die bereits ausgeführte Fokussierung<br />

auf die populären Köpfe lässt sich auch bei den zuweilen vorgenommenen<br />

Vergleichen von DSDS- und GNTM-Jury beobachten. Letztere wird von den befragten<br />

Heranwachsenden mehrheitlich als «nett» und «kompetent» wahrgenommen, wobei<br />

Heidi Klum eine Sonderrolle zugesprochen wird, die der von Bohlen gleicht <strong>–</strong> allerdings<br />

mit einem entscheidenden Unterschied: [111]<br />

«Wie Heidi Klum da ihre Witzchen macht, sag ich mal, macht das Dieter Bohlen<br />

auch, nur dass Dieter Bohlen eben da natürlich ´n bisschen heftiger und<br />

so, naja also: Hasenfurz hat mehr Power als deine Stimme, und sowas, also so<br />

übertrieben jetze macht es Heidi Klum eben nicht» (m, 13).<br />

Eine 12- und eine 13-Jährige waren sich in einem Doppelinterview beim Vergleich der<br />

Jury-Protagonisten einig: «[Heidi Klum] sollte mal Dieter Bohlen Unterricht geben, wie<br />

man das macht.» Es zeigt sich also, dass die Nutzung selbst mehrerer in der öffentlichen<br />

Kritik stehender Formate nicht nur Nachteile haben muss: Ein Vergleich der <strong>Umgang</strong>sweisen<br />

ermöglicht den jungen Zuschauern, Handlungsalternativen zu erkennen.<br />

Fazit<br />

Die mit Prominenten besetzten Jurys sind für die jungen Zuschauer ein wichtiges und<br />

genau beobachtetes Inszenierungselement von Castingshows. Ihr Blick richtet sich dabei<br />

nicht nur, aber hauptsächlich auf deren Protagonisten, die für die Zuschauer aller


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Altersgruppen eine besondere Bedeutung haben und deren Verhalten von Jugendlichen<br />

und ihren Eltern, von Pädagogen und Jugendschützern oft kontrovers diskutiert<br />

wird.<br />

Insgesamt gehen Heranwachsende differenziert mit dem Gezeigten um, zumindest<br />

punktuell folgen sie aber auch den sie faszinierenden Sendungselementen entsprechend<br />

ihrer Inszenierung als unterhaltsames Spektakel. Dabei ähneln ihre Aussagen<br />

einerseits den Diskussionen der Erwachsenen, andererseits haben sie aber auch eine<br />

eigene Art, sich produktiv mit dem Gesehenen auseinanderzusetzen.<br />

<strong>Der</strong> AKJM-Studie kann die Kritik vonseiten der Öffentlichkeit und des Jugendmedienschutzes,<br />

Kinder und Jugendliche könnten den hämischen und zynischen <strong>Umgang</strong> der<br />

Jury mit den Kandidaten als nachahmenswerte Verhaltensmuster übernehmen, nicht<br />

bestätigen. Bei den Befragten ließen sich keine eindeutigen Hinweise dafür finden,<br />

dass die jungen Zuschauer das in den Castingshows zu beobachtende Verhalten in ihr<br />

Handlungsrepertoire integrieren und antisoziales Verhalten als nachahmenswerte Alternative<br />

internalisieren. Vielmehr lässt sich zeigen, dass gerade die harsch kritisierten<br />

<strong>Umgang</strong>sformen zu einer ‹produktiven Auseinandersetzung› mit dem beim Fernsehen<br />

Erlebten führen.<br />

Populärster Juryvertreter in dieser Hinsicht ist zweifelsohne Dieter Bohlen. Zwar üben<br />

seine <strong>Sprüche</strong> auf die Zuschauer eine gewisse Faszination [112] aus, jedoch scheinen<br />

Jugendliche und auch ältere Kinder klar zu trennen zwischen dem ‹Unterhaltungsfaktor<br />

Bohlen›, und seinen in Beleidigungen und Häme verpackten problematischen<br />

Wertorientierungen für das soziale Miteinander. Hinweise auf eine grundsätzliche<br />

Beeinträchtigung von Kindern und Jugendlichen durch die vermittelten Verhaltensmuster<br />

finden sich nicht. Im Gegenteil wird stellenweise eine eher unerwartete Reaktanz<br />

auf das ‹Modell Bohlen› deutlich, die noch verstärkt wird durch die Möglichkeit,<br />

die verschiedenen Juroren bei DSDS miteinander zu vergleichen und die DSDS-Jury<br />

der GNTM-Jury gegenüberzustellen. Respektlose <strong>Umgang</strong>sweisen werden erkannt<br />

und kritisiert. Die DSDS-Juroren neben Bohlen und sendungsübergreifend die GNTM-<br />

Jury kommen den von Kindern und Jugendlichen favorisierten Wertvorstellungen für<br />

den zwischenmenschlichen <strong>Umgang</strong> am nächsten. Hier werden von den jungen Fernsehnutzern<br />

positive Alternativen im Sinne adäquater sozialer <strong>Umgang</strong>sformen hervorgehoben.<br />

Insgesamt legen die Ergebnisse nahe, dass zumindest Heranwachsende ab 12 Jahren<br />

in der Lage sind, den <strong>Umgang</strong> der Juroren mit den Kandidaten auf der Grundlage<br />

bereits entwickelter eigener Wert- und Beurteilungsmaßstäbe distanziert und differenziert<br />

wahrzunehmen. Die teilweise beleidigenden und von Häme geprägten Äußerungen<br />

insbesondere von Dieter Bohlen werden dabei als menschliches Fehlverhalten<br />

und/oder bewusste Inszenierung aus Unterhaltungsgründen gedeutet. Die jungen<br />

Zuschauer vergleichen die präsentierten Rollenmodelle und <strong>Umgang</strong>sweisen mit den<br />

eigenen Wertvorstellungen und setzen sich mit ihnen auseinander. Eine besondere<br />

Bedeutung hat hier die Anschlusskommunikation im nahen sozialen Umfeld. Bei den


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Jüngeren (unter 12-Jährigen) kann es zumindest in Einzelfällen zu Problemen kommen,<br />

das Gesehene ‹richtig› einzuordnen: Bei diesen Zuschauern ist die Fähigkeit zur<br />

distanzierten und differenzierten Wahrnehmung noch begrenzt, insbesondere was<br />

das Erkennen und Entschlüsseln von Stilmitteln der Inszenierung betrifft.<br />

Die Gefahr einer Übernahme problematischer Verhaltensmuster erscheint nicht zuletzt<br />

dadurch minimiert, dass Kinder und Jugendliche sich stark mit den Kandidaten<br />

identifizieren und eine hohe Sensibilität für die Verletzlichkeit der Leidtragenden von<br />

unsozialen <strong>Umgang</strong>sweisen haben. Zwar wird Bohlen von den jungen Zuschauern als<br />

Experte mit hoher fachlicher Kompetenz wahrgenommen. Er ist jedoch kein großer<br />

Sympathieträger und keine wichtige Identifikationsfigur <strong>–</strong> zumindest nicht im direkten<br />

Vergleich mit den anderen Juroren und erst recht nicht im Vergleich mit den von<br />

den jungen Zuschauern favorisierten Kandidaten. Vor diesem Hintergrund bewerten<br />

die jüngeren wie die älteren Heranwachsenden die gezeigten Grenzüberschreitungen<br />

negativ. [113]<br />

Literatur<br />

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Jugendliche aus «Deutschland sucht den Superstar» und «Germany´s Next Topmodel»<br />

mitnehmen. In: TelevIZIon, 1/2010, S. 52-59<br />

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Nutzung und Aneignung von Castingshows durch Heranwachsende. In: JMSReport,<br />

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Hackenberg, Achim/Hajok, Daniel/Selg, Olaf (2011b): «Konstruktive Kritik ist in Ordnung,<br />

aber manche <strong>Sprüche</strong> müssen wirklich nicht sein.» Wie Kinder und Jugendliche<br />

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bewerten. In: BPjM-aktuell, 2/2011, S. 17-22<br />

Hajok, Daniel/Selg, Olaf (2010): Castingshows im Urteil ihrer Nutzer. In: tv diskurs, 14,<br />

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Lünenborg, Margreth/Martens, Dirk/Köhler, Tobias/Töpper, Claudia (2011): Skandalisierung<br />

im Fernsehen. Strategien, Erscheinungsformen und Rezeption von Reality<br />

TV-Formaten. Berlin: Vistas<br />

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Schwender, Clemens (2006): Medien und Emotionen: Evolutionspsychologische Bausteine<br />

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Seifert, Alrun (2010): Das Model(l) Heidi Klum. Celebrities als kulturelles Phänomen.<br />

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Stach, Anna (2011): Ist «Germany´s Next Topmodel» emanzipiert? Zur Modellierung<br />

eines ‹weiblichen Arbeitssubjekts›. In: E. Kleinau/S. Mauer/A. Messerschmidt (Hrsg.):<br />

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S. 115-128<br />

Stehling, Miriam/Thomas, Tanja (2010): Lifestyle-TV zwischen Kritik und Attraktivität.<br />

Transkulturelle Perspektiven auf global gehandelte Fernsehformate. In: medien +<br />

erziehung, 54, 2/2010, S. 22-29

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