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Juni 2011 - Deutsch-Polnische Gesellschaft der BRD eV

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GEDENKSTÄTTEN<br />

Einst stand hier eine <strong>der</strong> größten Munitionsfabriken des Dritten Reiches.<br />

Das verschwundene Konzentrationslager<br />

Heute umhüllt <strong>der</strong> Wald das einstige Konzentrationslager<br />

Von n-ost-Korrespondentin Katrin Schrö<strong>der</strong><br />

Krzystkowice (n-ost) –Der Wald verrät seine<br />

Geheimnisse erst auf den zweiten Blick.<br />

Vor mehr als 65 Jahren, als das polnische<br />

Städtchen Krzystkowice noch Christianstadt<br />

hieß, stand hier eine <strong>der</strong> größten<br />

Sprengstoff- und Munitionsfabriken des<br />

Dritten Reiches. Heute liegen auf dem weichen<br />

Waldboden nur noch bröcklige Ziegel,<br />

die Fundamente längst zerstörter Gebäude.<br />

Ein Mann in Trekkinghose und Wan<strong>der</strong>schuhen<br />

bahnt sich hier, kurz hinter <strong>der</strong><br />

deutsch-polnischen Grenze, seinen Weg<br />

durch das Dickicht. Es ist <strong>der</strong> deutschtschechische<br />

Schriftsteller Jan Faktor. Er<br />

sucht nach den Spuren seiner Vergangenheit.<br />

Als Junge in Prag lauschte Faktor den<br />

Geschichten seiner Mutter Franzi, seiner<br />

Tante Lissy und Großmutter Anna. Die drei<br />

tschechischen Jüdinnen erzählten ihm vom<br />

Leben in den Lagern. Von Theresienstadt,<br />

Auschwitz und auch von Christianstadt. Als<br />

sie deportiert wurden, war Faktors Mutter<br />

gerade 16 Jahre alt. In Auschwitz verbrachten<br />

die Frauen nur drei Monate, bevor sie<br />

im Sommer 1944 nach Christianstadt gebracht<br />

wurden. Die Nazis brauchten dringend<br />

Arbeitskräfte für die Munitionsfabrik.<br />

Etwa 25 000 Zwangsarbeiter und KZ-<br />

Häftlinge aus ganz Europa hielten ab Frühjahr<br />

1940 den riesigen Industriekomplex in<br />

Gang, unter ihnen auch Franzi, Lissy und<br />

Anna. Christianstadt war eine Außenstelle<br />

des KZ Groß Rosen. Bis zu 1000 tschechische<br />

und ungarische Jüdinnen drängten<br />

sich allein in den fünf Baracken im Lager<br />

„Am Schwedenwall“ zusammen. Dieses<br />

war nur eines von insgesamt elf Lagern,<br />

die zum Komplex Christianstadt gehörten.<br />

„Die meisten Leute hier wissen nicht, worauf<br />

sie treten“, sagt Stefan Jasiński. Ohne<br />

ihn hätte Jan Faktor we<strong>der</strong> Lager noch Fabrik<br />

gefunden. Wer sich nicht auskennt, ist<br />

in dem mehr als 20 Quadratkilometer großen<br />

Waldgelände verloren. Jasiński lebt in<br />

Krzystkowice, das heute zu Nowogród Bobrzanski<br />

(Naumburg am Bober) gehört. Als<br />

Kind hat er in den Wäl<strong>der</strong>n gespielt. Er fand<br />

die Gebeine von Soldaten <strong>der</strong> Wehrmacht<br />

und <strong>der</strong> Roten Armee, die sich hier im Februar<br />

1945 erbitterte Kämpfe geliefert hat-<br />

26 POLEN und wir 2/<strong>2011</strong><br />

ten. Fünf Jahre hat Jasiński gebraucht, um<br />

das gesamte Areal akribisch zu vermessen<br />

und das Ergebnis auf großformatigen Karten<br />

aufzuzeichnen.<br />

Die Fundstücke seiner Streifzüge bewahrt<br />

<strong>der</strong> 67-Jährige im Keller seines Wohnblocks<br />

auf. Er hat viele Spuren von damals<br />

gefunden: Soldatenstiefel zum Beispiel.<br />

Wehrmachtsorden. O<strong>der</strong> einen Löffel mit<br />

<strong>der</strong> Aufschrift„Krupp“ und einem Namen<br />

auf Persisch, kleine Metalltafeln, in die die<br />

Daten <strong>der</strong> Arbeiter eingestanzt sind. Der<br />

frühere Berufssoldat hat seinen Dienst<br />

zum Teil in <strong>der</strong> Militäreinheit geleistet, die<br />

im Kernbereich <strong>der</strong> früheren Fabrik stationiert<br />

ist. Das Gebiet ist umzäunt und für<br />

Besucher tabu. Doch <strong>der</strong> größere Teil, dort,<br />

wo die Ruinen sind, ist frei zugänglich.<br />

Dass sich <strong>der</strong> Schriftsteller Jan Faktor<br />

und Stefan Jasiński vor vier Jahren trafen,<br />

war Zufall – und doch fast zwangsläufig.<br />

Was Christianstadt angeht, gibt es nur wenige<br />

Fachleute und wenig Geschriebenes<br />

- eine Doktorarbeit, einige Magisterarbeiten<br />

und ein Erlebnisbericht <strong>der</strong> deutschamerikanischen<br />

Literaturprofessorin Ruth<br />

Klüger. Nun hat Jan Faktor die Erlebnisse<br />

seiner Großmutter, Mutter und Tante in<br />

seinem jüngsten Roman verarbeitet. „Georgs<br />

Sorgen um die Vergangenheit o<strong>der</strong> Im<br />

Reich des heiligen Hodensack-Bimbams<br />

von Prag“, das Buch, das daraus entstanden<br />

ist, war im vergangenen Herbst für<br />

den <strong>Deutsch</strong>en Buchpreis nominiert. Es<br />

beschreibt eine Prager Jugend <strong>der</strong> Sechziger-<br />

und Siebzigerjahre, zwischen Staatssozialismus<br />

und erotischem Erwachen. Ein<br />

Kapitel spielt in Christianstadt. „Ich hätte<br />

Etwa 25.000 Zwangsarbeiter hielten den riesigen Komplex in Gang. Heute hat <strong>der</strong> Wald die Ruinen<br />

fast vollständig verschluckt. Foto: Katrin Schrö<strong>der</strong><br />

das niemals schreiben können, ohne hier<br />

gewesen zu sein“, sagt Jan Faktor. Er geht<br />

ein paar Schritte zur Seite und studiert<br />

den mitgebrachten Plan. Vom Lager „Am<br />

Schwedenwall“, in dem seine Mutter, Tante<br />

und Großmutter untergebracht waren, ist<br />

nicht viel übrig geblieben – Grundmauern,<br />

ein Keller, ein Loch im Boden. Manchmal<br />

erahnt man die Umrisse <strong>der</strong> Baracken<br />

mehr, als dass man sie sieht.<br />

Dabei war die Munitionsfabrik Christianstadt<br />

einer <strong>der</strong> größten ihrer Art in Nazi-<br />

<strong>Deutsch</strong>land, vielleicht sogar die größte.<br />

1936 liefen die Planungen für den Bau <strong>der</strong>

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