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Juni 2011 - Deutsch-Polnische Gesellschaft der BRD eV

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Fortsetzung <strong>der</strong> Berichterstattung <strong>der</strong> Jahrestagung <strong>der</strong><br />

<strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong> <strong>BRD</strong> in Potsdam<br />

Erinnerungskultur in Polen nach 1990<br />

Polen hat mit seiner Geschichte noch nicht abgeschlossen<br />

Von Mateusz J. Hartwich, Berlin<br />

Auf <strong>der</strong> Jahrestagung <strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<br />

<strong>Polnische</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

<strong>Deutsch</strong>land in Potsdam (sh.<br />

POLEN und wir Heft 1/<strong>2011</strong>)referierte<br />

<strong>der</strong> Kulturwissenschaftler Mateusz J.<br />

Hartwich über die Erinnerungskultur in<br />

Polen. Für dieses Heft aktualisierte er<br />

seinen Beitrag.<br />

Die neuerliche Diskussion um ein Buch<br />

des polnisch-amerikanischen Historikers<br />

Jan Tomasz Gross, die im Januar/ Februar<br />

<strong>2011</strong> ihren Höhepunkt erreichte, bewies<br />

aufs Neue, dass Polen mit seiner Geschichte<br />

noch nicht abgeschlossen hat. Seit<br />

dem Systemumbruch 1989-91 erlebt das<br />

Land wie<strong>der</strong>kehrende Debatten über seine<br />

historischen Mythen, insbeson<strong>der</strong>e im<br />

Verhältnis zu <strong>Deutsch</strong>en, Juden und Ukrainern.<br />

Gleichzeitig befindet sich die staatliche<br />

Erinnerungskultur im steten Wandel,<br />

<strong>der</strong> zuvor<strong>der</strong>st Aspekte wie Staatswappen,<br />

Nationalfeiertage o<strong>der</strong> Denkmäler<br />

und Straßennamen betraf, und wie<strong>der</strong>holt<br />

Themen wie <strong>der</strong> nationale Kulturkanon berührte.<br />

In diesem Beitrag soll eine kurze<br />

Analyse dieses Diskurses versucht und ein<br />

Ausblick gewagt werden.<br />

Pluralistische Erinnerungskultur<br />

Spätestens seit Ende <strong>der</strong> 1970er Jahre<br />

kann vom Aufkommen einer pluralistischen<br />

Erinnerungskultur gesprochen werden.<br />

Konkurrierende Diskurse existierten<br />

zwar auch im ersten Vierteljahrhun<strong>der</strong>t<br />

nach 1945 und wurden vor allem im Exil,<br />

in unabhängigeren Milieus (wie <strong>der</strong> katholischen<br />

Wochenzeitung „Tygodnik<br />

Powszechny“) und im Privaten gepflegt.<br />

Die regierenden Kommunisten hatten in<br />

dieser Zeit jedoch den Geschichtsdiskurs<br />

weitestgehend dominiert, so dass erst seit<br />

eine organisierte demokratische Opposition<br />

Ende <strong>der</strong> 1970er Jahre eigene Samisdat-<br />

Medien und Publikationen herausgab, ein<br />

Gegenentwurf zur offiziellen Geschichtspolitik<br />

wahrnehmbar wurde. Dabei ging es<br />

um Aufdeckung <strong>der</strong> sog. Weißen Flecken<br />

im polnisch-russischen Verhältnis (z .B.<br />

Katyń) o<strong>der</strong> die Anerkennung für den nichtkommunistischen<br />

bewaffneten Wi<strong>der</strong>stand<br />

während <strong>der</strong> deutschen Besatzung. Schon<br />

relativ früh wurde die sog. Versöhnung mit<br />

<strong>Deutsch</strong>land zu einem wichtigen Thema.<br />

Die weltpolitische Konstellation <strong>der</strong> Umbruchsjahre<br />

erzwang eine grundlegende<br />

Neuorientierung <strong>der</strong> Außenpolitik Polens<br />

seit dem Herbst 1989. Entscheidenden<br />

Einfluss auf diesen Prozess, wie auch die<br />

gesamte Systemtransformation, übten<br />

vielfach jene Aktivisten <strong>der</strong> antikommunistischen<br />

Opposition aus, die sich intensiv an<br />

<strong>der</strong> Debatte über das historische Verhältnis<br />

zu den Nachbarn beteiligt haben. Nicht<br />

zufällig wurden die deutsch-polnischen<br />

Beziehungen in <strong>der</strong> Geschichte zu einem<br />

zentralen Thema des neu entstehenden<br />

offenen Geschichtsdiskurses. Dabei war<br />

die Diskussion nicht selten den gesellschaftlichen<br />

Entwicklungen (zu) weit voraus<br />

– so hat bereits Mitte <strong>der</strong> Neunziger in<br />

polnischen Massenmedien eine intensive<br />

Diskussion über die Vertreibungen stattgefunden,<br />

die in <strong>Deutsch</strong>land nicht bemerkt<br />

und von <strong>der</strong> polnischen Bevölkerung nur<br />

teilweise verinnerlicht wurde. An<strong>der</strong>erseits<br />

gehörte die Hinwendung zum „kleinen<br />

Vaterland“ (poln. mała ojczyzna), d.h. die<br />

Entdeckung <strong>der</strong> Ortsgeschichte und eine<br />

offene Auseinan<strong>der</strong>setzung damit (wobei<br />

diese oft multikulturell, „europäisch“ verklärt<br />

wird und lediglich dem Stadtmarketing<br />

dient), zu den wichtigsten Phänomenen<br />

dieser Zeit.<br />

Geschichtsvergessenheit<br />

Der Geschichtsdiskurs <strong>der</strong> Neunziger<br />

wurde von konservativen Publizisten und<br />

Politikern im Rückblick als „zu kritisch“<br />

bewertet, und den meinungsbildenden<br />

Eliten <strong>der</strong> sog. Dritten Republik wurde gar<br />

oft „Geschichtsvergessenheit“ vorgeworfen.<br />

Seit Anfang <strong>der</strong> 2000er Jahre wurden<br />

daher Stimmen nach einer neuen, affirmativen<br />

„Geschichtspolitik“ laut, wobei<br />

eine positive Einstellung zur polnischen<br />

Vergangenheit, ja! <strong>der</strong> Stolz auf die eigene<br />

Geschichte, zum Ziel erklärt wurde. Unmittelbarer<br />

Anlass dieser konservativen<br />

„Gegenoffensive“ war nicht zuletzt die sog.<br />

Jedwabne-Debatte 2000/2001. Die öffent-<br />

POLEN und wir 2/<strong>2011</strong><br />

TAGUNG<br />

Mateusz Hartwich sprach über die Erinnerungskultur<br />

in Polen. Sein Beitrag wird in <strong>der</strong> nächsten<br />

Ausgabe dokumentiert. Fotos: Forster<br />

lich und intensiv geführte Diskussion über<br />

den Mord an jüdischen Nachbarn in <strong>der</strong><br />

ostpolnischen Kleinstadt Jedwabne, ausgelöst<br />

durch eine Veröffentlichung des schon<br />

genannten Jan Tomasz Gross, rüttelte stark<br />

an den nationalen Geschichtsmythen, vor<br />

allem an <strong>der</strong> verbreiteten Überzeugung,<br />

während des Zweiten Weltkriegs nur Opfer<br />

gewesen zu sein. Diese neue Verunsicherung<br />

über die historische Identität <strong>der</strong> Polen<br />

und die allgemeine Unzufriedenheit mit<br />

den politisch-gesellschaftlichen Verhältnissen<br />

im Land führten dann zur Formulierung<br />

eines neuen Projekts: <strong>der</strong> sog. Vierten Republik.<br />

Museumsprojekte<br />

In den Regierungsjahren <strong>der</strong> PiS (2005-<br />

2007) wird diese „Geschichtspolitik“ zum<br />

offiziellen Programm. Der Versuch, den<br />

nationalkonservativen Diskurs über die<br />

Vergangenheit zum allgemeinen und verbindlichen<br />

zu machen, was insbeson<strong>der</strong>e<br />

vom seinerzeitigen Bildungsminister<br />

Roman Giertych und Kulturminister Kazimierz<br />

Ujazdowski angestrebt wurde, kann<br />

als misslungen angesehen werden. Zwar<br />

wurden in diesen Jahren viele neue Museumsprojekte<br />

umgesetzt bzw. angeschoben,<br />

wie das Museum des Warschauer<br />

Aufstands, das Museum <strong>der</strong> Geschichte<br />

Polens o<strong>der</strong> das Museum <strong>der</strong> Westgebiete,<br />

und die „Geschichtspolitik“ hat Spuren<br />

im Bewusstsein <strong>der</strong> Polen hinterlassen,<br />

wie Umfragen belegen. Jedoch fanden in<br />

dieser Zeit und finden weiterhin intensive<br />

und kritische Debatten über die polnische<br />

Vergangenheit statt.<br />

Nicht zuletzt wurde in dieser Zeit (2006)<br />

ein weiteres Buch von Gross veröffentlicht,<br />

das solch kontroverse Themen wie die<br />

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