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Juni 2011 - Deutsch-Polnische Gesellschaft der BRD eV

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das <strong>der</strong>zeit in <strong>Deutsch</strong>land von sich reden<br />

macht, hervorragend beschrieben. Sie war<br />

19, als sie sich 1998 in <strong>der</strong> Jugendbegegnungsstätte<br />

in Auschwitz an einem mehrstündigen<br />

Gespräch mit einem 75-jährigen<br />

ehemaligen Häftling des KL Auschwitz teilnahm.<br />

Jerzy Hronowski beeindruckte die<br />

jungen <strong>Deutsch</strong>en mit seinem Sarkasmus<br />

und Optimismus sehr. Nach <strong>Deutsch</strong>land<br />

zurückgekehrt, überredete Katarina ihre<br />

Eltern, den polnischen Zeitzeugen in ihren<br />

schwäbischen Heimatort einzuladen.<br />

Hronowski war 17, als er – als Sohn eines<br />

Offiziers und Pfadfin<strong>der</strong> – mit dem ersten<br />

Häftlingstransport (Nummer 227) ins KZ<br />

kam. 1941 wurde er unerwarteterweise<br />

freigelassen. 1943, erneut verhaftet, kehrte<br />

er zurück, diesmal nach Birkenau, wo er<br />

die neue Nummer 138793 erhielt. 1945<br />

überlebte er den Todesmarsch. Seit den<br />

sechziger Jahren war er Fremdenführer für<br />

deutsche Touristengruppen, darunter auch<br />

von <strong>der</strong> Aktion Sühnezeichen. Er war ein<br />

Zeuge <strong>der</strong> Anklage im Frankfurter Auschwitz-Prozess.<br />

Seit den siebziger Jahren<br />

reiste er auf Einladung von linksgerichteten<br />

evangelischen, sozialdemokratischen und<br />

gewerkschaftlichen Gruppen auch immer<br />

wie<strong>der</strong> mit Vorträgen durch Westdeutschland.<br />

Auch Katarinas Familie nahm Jerzy mit<br />

seiner altmodischen Eleganz und seiner<br />

Empathie für sich ein. Seine Anwesenheit<br />

löste die Zungen in <strong>der</strong> Familie des Lehrers<br />

in <strong>der</strong> deutschen Provinz, <strong>der</strong> – als Amateurhistoriker<br />

– die Leute im Ort mit seiner<br />

kritischen Einstellung zur deutschen Vergangenheit<br />

nervte. Doch erst im Beisein<br />

von Jerzy erfuhr Katarina, dass ein Onkel<br />

den Warschauer Aufstand mit nie<strong>der</strong>geworfen<br />

hat. Dass die Großmutter acht Jahre<br />

lang Arbeitsdienstlager kommandiert<br />

und bei den Appellen Auszüge aus dem<br />

NS-Evangelium „Mein Kampf“ vorgelesen<br />

hat. Und dass die Großeltern für die Zeit<br />

nach dem „Endsieg“ geplant hatten, in <strong>der</strong><br />

Ukraine nach <strong>der</strong> Vertreibung <strong>der</strong> dortigen<br />

Polen und Ukrainer ein Landgut zu übernehmen.<br />

Unter Jerzys Einfluss absolvierte Katarina<br />

in Krakau einen Polnischkurs. Einige Monate<br />

lang war sie Praktikantin in <strong>der</strong> „Polityka“,<br />

und danach studierte sie ein Jahr<br />

lang in Warschau. Jerzy war ihr Mentor. Ein<br />

strenger Polnischlehrer und Führer durch<br />

das polnische Geschehen. Die Freundschaft<br />

währte acht Jahre. Oft telephonierten<br />

sie miteinan<strong>der</strong>, und sie ließ sich von<br />

ihm Ratschläge in Berufs- und Gefühlsdingen<br />

geben. Mit nachlassen<strong>der</strong> Sehkraft<br />

wurde er immer bissiger und barscher. Im<br />

März 2006 fand man ihn in seinem Badezimmer<br />

mit eingeschlagenem Hinterkopf in<br />

einer Blutlache liegen.<br />

Katarina flog zur Beerdigung nach Warschau.<br />

Sie war schockiert, dass ein<br />

Mensch, <strong>der</strong> für Tausende <strong>Deutsch</strong>e ein<br />

Apostel <strong>der</strong> Versöhnung gewesen war, in<br />

Polen völlig vereinsamt lebte. Zu seinem<br />

Begräbnis kam nur eine Handvoll Menschen,<br />

die einan<strong>der</strong> nicht kannten. Darunter<br />

Jerzys Sohn und Enkel aus den USA.<br />

Während eines kurzen Besuchs in <strong>der</strong> Wohnung<br />

des Verstorbenen fiel Katarina auf,<br />

dass die beiden von Stanisław Witkiewicz<br />

gemalten Porträts seiner Frau verschwunden<br />

waren. Ein Raubmord? Jerzy hatte sich<br />

in letzter Zeit beklagt, sowohl Leute von<br />

<strong>der</strong> (DDR-)Stasi, als auch vom polnischen<br />

Geheimdienst trachteten ihm nach dem<br />

Leben… Dieser geheimnisvolle Tod und das<br />

deprimierende Begräbnis erschütterten<br />

die junge Frau.<br />

Nach Katarinas Berechnung haben im<br />

Laufe von 40 Jahren zehntausend <strong>Deutsch</strong>e<br />

Jerzys Geschichte gehört. Aus einem<br />

inneren Bedürfnis heraus schrieb sie einen<br />

umfangreichen Nachruf auf ihn. Danach erhielt<br />

sie eine Menge Briefe von Menschen,<br />

die Jerzy gekannt hatten. Von einem Tag<br />

auf den an<strong>der</strong>en wurde sie zur Treuhän<strong>der</strong>in<br />

seiner Biographie. Von den <strong>Deutsch</strong>en<br />

lernte sie eine an<strong>der</strong>e Seite von Jerzys<br />

Persönlichkeit – Streitlust und Misstrauen<br />

- kennen, aber auch die verworrenen Motive<br />

<strong>der</strong> deutschen Faszination für den ehemaligen<br />

Auschwitz-Häftling aus Polen. Als<br />

sie erfuhr, dass Jerzy – laut <strong>der</strong> polnischen<br />

Staatsanwaltschaft – nicht ermordet wurde,<br />

da die Wohnung von innen verschlossen<br />

war und die Kopfwunde durch einen<br />

Fall zu Boden verursacht wurde, beschloss<br />

sie, seinen Nachlass zu ordnen. Und als Ergebnis<br />

einer skrupulösen journalistischen<br />

Recherche schrieb sie ein Buch, das eine<br />

exzellente Tatsachenliteratur, Reportage<br />

und Untersuchung des Auschwitz-Traumas<br />

ist, das seinen Schatten auf mehrere Generationen<br />

einer Familie wirft. Und zugleich<br />

ist es eine subtile Nachzeichnung <strong>der</strong><br />

deutsch-polnischen Neurose und <strong>der</strong> vertrackten<br />

Untertöne <strong>der</strong> Versöhnung.<br />

Für Jerzy wie<strong>der</strong>um waren die Gespräche<br />

mit <strong>Deutsch</strong>en ein Lebenselixier, und in<br />

<strong>der</strong> Versöhnung sah er eine Mission, die<br />

allerdings das Trauma nicht lin<strong>der</strong>te – die<br />

Sinnlosigkeit <strong>der</strong> Gräuel, die er durchlitten<br />

hatte und die ihm selbst den Glauben genommen<br />

hatten. Was weiß Karol Wojtyła<br />

denn schon von Nächstenliebe? – fragte<br />

POLEN und wir 2/<strong>2011</strong><br />

POLITIK<br />

er Katarina einmal gereizt: Er hat im Krieg<br />

Theater gespielt. Währenddessen hob in<br />

Auschwitz je<strong>der</strong> den Happen Brot, <strong>der</strong> seinem<br />

verhungernden Pritschennachbarn<br />

das Leben um einen Tag hätte verlängern<br />

können, für sich selbst auf. Auch die Geste<br />

von Maksymilian Kolbe überschätzte Jerzy<br />

nicht –er meinte vielmehr, dass <strong>der</strong> Franziskaner<br />

nicht mehr die Kraft mehr gehabt<br />

habe, um das Überleben zu kämpfen, und<br />

seinem Tod noch irgendeinen Sinn habe<br />

geben wollen…<br />

Neben Konrad Schullers „Der letzte Tag<br />

von Borów” „Polityka” 35/2009) ist Katarina<br />

Ba<strong>der</strong>s Buch, das <strong>der</strong> Verlag „Świat<br />

Książki“ Ende August, Anfang September<br />

in Polen herausbringt, ein ausgezeichnetes<br />

Beispiel dafür, wie sich eine neue Generation<br />

von <strong>Deutsch</strong>en den deutsch-polnischen<br />

Traumata <strong>der</strong> Kriegszeit annähert: ohne die<br />

Komplexe <strong>der</strong> Kriegsgeneration und ohne<br />

jene nationale Erleuchtung, wie sie nach<br />

1989 einstmals extrem linke Sympathisanten<br />

<strong>der</strong> polnischen Revolution erlebten.<br />

Dafür mit viel Empathie für ihre polnischen<br />

Gesprächspartner und Freunde. ��<br />

Erschienen in <strong>der</strong> Rubrik “Polityka auf<br />

<strong>Deutsch</strong>“ im Portal Point. Das <strong>Deutsch</strong>-<br />

<strong>Polnische</strong> Portal. Copyright Stiftung für<br />

deutsch-polnische Zusammenarbeit <strong>2011</strong>.<br />

Der Text erschien im Original unter dem Titel<br />

"Taniec pamięci" in <strong>der</strong> Polityka Nr. 07<br />

vom 09.02.<strong>2011</strong>. Übersetzung: Silke Lent<br />

Redaktion: Paul-Richard Gromnitza.<br />

Nachrichten DPG Bielefeld<br />

Verbunden mit einem Sommerfest findet<br />

am Samstag, 16. Juli die Mitglie<strong>der</strong>versammlung<br />

<strong>der</strong> <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>n<br />

<strong>Gesellschaft</strong> Bielefeld statt. Bei <strong>der</strong> Versammlung<br />

sollen sich auch die <strong>Deutsch</strong>-<br />

<strong>Polnische</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>der</strong> Bundesrepublik<br />

<strong>Deutsch</strong>land, <strong>der</strong> die <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong><br />

<strong>Gesellschaft</strong> Bielefeld seid ihrer Gründung<br />

angehört, und die <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />

Bundesverband, <strong>der</strong> Zusammenschluß<br />

regionaler <strong>Deutsch</strong>-<strong>Polnische</strong>r<br />

<strong>Gesellschaft</strong>en, die eben ihr 25-jährigen<br />

Bestehen feierte, vorstellen. Zuvor findet<br />

am 6. Mai ein Empfang aus Anlaß des polnischen<br />

Nationalfeiertags statt. ��<br />

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