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L(i)ebenswertes - Gemeinde Aibl

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Ausgeflippt in der Heiligen Nacht<br />

Das junge Ehepaar Gisi und Alex lebte auf einem<br />

Bauernhof am Rande der Steiermark. Vor knapp<br />

einem Jahr haben sie geheiratet und den Hof übernommen.<br />

Mit Jugendkraft und Eifer gingen sie jeden<br />

Tag zur Arbeit. Gerade am Vorabend des großen<br />

Christfestes wollten sie es den Altbauern zeigen, wie<br />

ihr gemeinsames Leben in voller Harmonie läuft.<br />

Alex war ein kräftiger Mann, leicht cholerisch veranlagt,<br />

sonst aber ein warmherziger und tief sensibler<br />

Mensch, der sein Mitgefühl mit Bedrängten nur<br />

schwer verdrängen konnte.<br />

Gisi war die „Ruhe in Person“ und ließ sich nicht<br />

leicht aus der Fassung bringen. Sie legte großen Wert<br />

auf Sauberkeit im Haushalt und war eine exzellente<br />

Köchin. Zu den Schwiegereltern hatte sie stets ein<br />

gutes Verhältnis. Eine bessere Jungbäuerin hätten<br />

sie nicht bekommen können. Das wussten alle Hausleute<br />

wohl zu schätzen.<br />

Ausgerechnet am Heiligen Abend, bevor sich die<br />

ganze Familie zur Feier um den Christbaum versammeln<br />

konnte, kam es zwischen Alex und Gisi zu einem<br />

Wortgefecht. Vermutlich waren beide wegen der vielen<br />

Arbeit in den vergangenen Tagen überreizt und<br />

übermüdet. Alex schnaubte seine Frau wegen einer<br />

Lappalie an. Gisi setzte sich zur Wehr – und der<br />

Weihnachtsfriede war für diesen Abend zerstört.<br />

„Heute ist Heiliger Abend, heute will ich nicht<br />

streiten“, schoss es Alex durch den Sinn. Aber Alex<br />

fühlte sich wegen der Widerrede der Frau in seiner<br />

Ehre gekränkt. Er steigerte sich in einen „Beleidigungstaumel“<br />

hinein. Um weitere Auseinandersetzungen<br />

zu vermeiden, verließ er schleunigst das<br />

Haus.<br />

In verwirrte Gedanken versunken, trat Alex hinaus<br />

in die finstere Nacht, trottete dem alten Fuhrweg<br />

entlang, den er schon oft gegangen war und mit dem<br />

Traktor befahren hatte. Diesmal erschien ihm die<br />

sonst vertraute Umgebung wie ein fremdes Land.<br />

Nur die Schuhsohlen knirschten auf dem harschen<br />

Schnee. Ansonsten herrschte eine unheimliche Stille<br />

um ihn her. Unentwegt schritt er voran, bis er zu einer<br />

Lichtung kam, die ihn aus seinen düsteren Gedanken<br />

riss. Neben einem dicken Baumstrunk hielt er an,<br />

setzte sich darauf, schüttelte den Kopf und fragte<br />

L(i)<strong>ebenswertes</strong> <strong>Aibl</strong> · 4/2012<br />

sich: „Was machst du denn hier mitten in der Heiligen<br />

Nacht“! Wie von einem Lichtstrahl getroffen,<br />

schaute er hinauf zum Himmelsgewölbe, das ihn von<br />

einem Horizont zum anderen überspannte. Geisterhaft<br />

erschien ihm der „unendliche“ Sternenhimmel,<br />

der mit unzähligen großen und kleinen Lichtquellen<br />

übersät war. Die ganze Umgebung erschien ihm wie<br />

eine riesengroße Geisterburg.<br />

Von einem Augenblick zum anderen vermeinte er,<br />

eine zaghafte Stimme zu hören, die ihn fragte: „Alex,<br />

was tust du hier und deutelst an einigen Wörtern, die<br />

im Affekt geäußert wurden? Daheim warten deine<br />

Frau, das Kind, Oma und Opa. Sie warten darauf, die<br />

Kerzen auf dem Christbaum zu entzünden; die Frohbotschaft<br />

von der Geburt Christi zu lesen und die Geschenke<br />

auszuteilen. Und du! Du stehst ratlos da und<br />

störst den Frieden dieser Heiligen Nacht!“<br />

Einige Zeit hatte Gisi auf die Rückkehr ihres Mannes<br />

vergeblich gewartet. Aber er blieb verschwunden.<br />

„Wo kann er nur sein? Hat er sich in der Fins -<br />

ternis doch verirrt? Oder – hat er sich in seiner Unberechenbarkeit<br />

sogar etwas angetan?“, hämmerte<br />

es in ihrem Kopf.<br />

Alex war bereits auf dem Heimweg. Unterwegs beschäftigte<br />

er sich mit dem Mysterium um Weihnachten,<br />

mit dem Geschehen, das sich zwischen Himmel<br />

und Erde in der Heiligen Nacht abgespielt haben soll.<br />

Wer und was ist heilig? Was ist in den Geschichten<br />

und Legenden, in den Liedern und Gedichten, die um<br />

Weihnachten erdacht worden sind, Realität? Was ist<br />

Theorie? Was ist Fantasie? Für den aufgeklärten<br />

Menschen des 21. Jahrhunderts müssen solche Fragen<br />

erlaubt sein, wenngleich viele Fragen während<br />

der vergangenen zwei Jahrtausende ein Geheimnis<br />

blieben.<br />

Während Gisi der Verzweiflung nahe war, knackste<br />

die Türklinke und herein kam reumütig Alex. Eng<br />

schlug er die Arme um den Körper seiner zitternden<br />

Frau und versuchte, ihr Küsse auf Wange und Mund<br />

zu drücken. Er wusste, dass er in dieser „Heiligen<br />

Nacht” den Hausfrieden gebrochen hatte.<br />

Ob ihm seine allzeit um die Familie sich sorgende<br />

Frau verziehen hat?<br />

Konrad Maritschnik<br />

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