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Gesamtausgabe 2011-1 - Pastoraltheologische Informationen

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Tobias Kläden – Sebastian Berndt<br />

Negativer Aspekt dieser themenspezifischen Gemeinschaftsbildung ist freilich<br />

das „Cocooning“: Gerade weil man noch für die abseitigsten Interessen<br />

andere Interessierte finden kann und weil in der „Infokalypse“ 13 jederzeit genug<br />

<strong>Informationen</strong> auf jeden Einzelnen einströmen, kann es dazu kommen,<br />

dass das Interesse, neue Menschen, neue Denkweisen und neue Perspektiven<br />

kennenzulernen, abebbt und man sich in einen angenehmen Kokon wohliger<br />

Selbstbezüglichkeit zurückzieht.<br />

Klare Erfolgskriterien auf diesem Hintergrund des Wandels sozialer Kommunikation<br />

durch ihre Medialisierung gibt es noch nicht. Meist wird Erfolg<br />

immer noch analog zur klassischen Auflage quantitativ in Followern, Reichweite<br />

oder „unique visitors“ gemessen. Dem qualitativen Aspekt, der sozialer<br />

Kommunikation aus sich selbst heraus innewohnt, werden diese Kriterien<br />

nicht gerecht. Sie sind nur auf abgeleitete Weise qualitativ, insofern eine große<br />

Zahl an Followern bedeutet, dass viele Menschen mit dieser Informationsquelle<br />

verbunden sein wollen. Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass die<br />

gesendeten Botschaften auch tatsächlich gelesen, wahrgenommen und als<br />

relevant eingestuft werden. Dies ließe sich vielleicht über den Rückkanal<br />

messen und darüber, wie die Quelle auf die zurückkommenden Botschaften<br />

reagiert – wie stark sie also vernetzt ist und interagiert. Doch würde man damit<br />

immer noch nur die Quantität sozialer Kommunikation messen. Ob ihr<br />

zugleich eine Qualität innewohnt, bliebe weiterhin offen und liegt wohl auch<br />

im Auge des Betrachters. 14<br />

Vielleicht holt die soziale Kommunikation auch nur ein Defizit auf, durch<br />

das es die medialisierte Massenkommunikation ungerechtfertigt einfach hatte,<br />

ihre Botschaften zu verbreiten. Soziale Medien machen die Massenkommunikation<br />

eben nicht überflüssig, reihen sie aber als ein herausgehobenes<br />

Ereignis in die häufigere und meist auch stabilere n:m-Kommunikaiton ein.<br />

Was vor 40 Jahren noch eine große, einflussreiche Macht war (durch Gatekeeper,<br />

Reichweite und schwachen Rückkanal), ist heute nur noch Auslöser<br />

von komplexeren, noch wenig erforschten Meinungsbildungsprozessen.<br />

13<br />

Der Begriff ist wertungsfrei aus dem 1992 erschienenen Cyberpunk-Roman Snow Crash<br />

von Neal Stephenson übernommen.<br />

14<br />

Ein Beispiel aus der jüngsten Vergangenheit für die Fehlinterpretation einer großen Zahl<br />

war die Guttenberg-Gruppe auf Facebook, die nach dem Rücktritt des Verteidigungsministers<br />

zu Demonstrationen aufrief. Sie wies ein hohes und überraschend langes kontinuierliches<br />

Wachstum auf, die tatsächlichen Demonstrationen zogen aber nicht nur im<br />

Vergleich zur hohen Zahl der Gruppenmitglieder wenig Teilnehmer an. Die bloße Zahl<br />

der Gruppenmitglieder sagte nichts über deren Gesinnung aus, da auch die Guttenberg-<br />

Gegner der Gruppe beitreten mussten, um mitdiskutieren zu können.<br />

urn:nbn:de:hbz:6-93449620713 PThI, 31. Jahrgang, <strong>2011</strong>-1, S. 137–150<br />

Das Arbeitspapier „Kirche und gesellschaftliche Kommunikation“<br />

3.3 Herausforderungen für die kirchliche Kommunikation:<br />

Acht Thesen<br />

Wir schließen mit acht Thesen zur Bedeutung dieser kommunikativen und<br />

gesellschaftlichen Wandlungen, die durch das Internet mit ausgelöst wurden,<br />

aber nicht auf die virtuelle Realität beschränkt bleiben, für kirchliche Kommunikation:<br />

1) In qualitativ zu beurteilender Kommunikation wird die Frage nach dem Ziel<br />

der Kommunikation umso wichtiger. Daher ist die Frage nach dem kirchlichen<br />

Umgang mit der „digitalen Revolution“ vom Ziel kirchlicher Kommunikation<br />

ausgehend zu beantworten, das Evangelium unter die Leute zu<br />

bringen.<br />

2) Kirchliche Verkündigung ist stark narrativ geprägt und daher nur schwer<br />

als „Öffentlichkeitsarbeit für das Evangelium“ zu verstehen. Sie ist auf das<br />

Ziel ausgerichtet, von je individuellen Voraussetzungen ausgehend das<br />

Evangelium tiefer zu erschließen. Daher hat die Kirche großes Potenzial,<br />

die Sozialen Medien erfolgreich zu nutzen, zumal deren technische Infrastruktur<br />

– im Kern hierarchisch mit Server und Clients und doch netzwerkartig<br />

egalitär – ihrer eigenen Struktur ähnelt.<br />

3) Der christliche Glaube ist zwar in seiner Komplexität nicht einfach auf den<br />

Punkt zu bringen. Die für die Wahrnehmung nötige Pointierung kann jedoch<br />

auf bereits bestehende Kurzformeln wie im Credo zurückgreifen. Hier<br />

liegt ein Ansatzpunkt, sich interessant zu machen, pointiert einzubringen<br />

und so durch Provokation die Hemmschwelle bei den Adressaten zu<br />

überwinden, sich auf eine Kommunikationsbeziehung einzulassen.<br />

4) Die sich aus der Pointierung ergebenden Diskussionen müssen dem Individuum<br />

gerecht werden und dazu führen, verschiedene Dimensionen der<br />

Glaubensaussagen auszuloten und ihre je unterschiedliche Aktualisierung<br />

im je unterschiedlichen Leben des Einzelnen zu kommunizieren.<br />

5) Es ist offensichtlich, dass das nicht durch hauptamtliche Profis allein zu<br />

leisten ist. Sie können Anstöße geben und Diskussionen begleiten sowie<br />

anderweitig die Voraussetzungen schaffen, dass solche Kommunikation<br />

möglich wird und gelingen kann. Doch in der sozialen Netzwerkstruktur<br />

des Internets sind sie auf die glaubwürdige, authentische Unterstützung<br />

durch viele Gläubige angewiesen, die zusammen die Komplexität und<br />

Alterität des Glaubens zum Ausdruck bringen: Wer für den einen offen,<br />

glaubwürdig und authentisch wirkt, ist für den anderen ein Buch mit sieben<br />

Siegeln.<br />

PThI, 31. Jahrgang, <strong>2011</strong>-1, S. 137–150 urn:nbn:de:hbz:6-93449620713<br />

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