Jahresbericht 2004 - Klinik Wysshölzli
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Frauen und Alkohol<br />
Braucht es überhaupt geschlechterspezifische stationäre<br />
Behandlungseinrichtungen?<br />
Die starke Prävalenz der Männer im Bereich<br />
der Alkoholabhängigkeit hat bis heute zur<br />
Folge, dass dem Frauenalkoholismus ein<br />
geringes Interesse zu Teil wird. Aus demographischer<br />
Sicht steht dem eine Entwicklung entgegen,<br />
welche einen deutlichen Zuwachs der<br />
Alkoholabhängigkeit bei Frauen beschreibt.<br />
Lag das Verhältnis zwischen Männern und<br />
Frauen 1939 bei 10:1, verschob es sich bis<br />
zum Anfang der sechziger Jahre auf ein Verhältnis<br />
von 3:1, wie Erhebungen von<br />
Wancke 1970 in Deutschland zeigten.<br />
Nach Auffassung diverser Forscher konnte<br />
bislang aber nicht definitiv geklärt werden,<br />
ob es sich beim männlichen und weiblichen<br />
Alkoholismus um eigenständige Gebiete handelt.<br />
Im Allgemeinen geht man davon aus,<br />
dass das Trinken der Frau ihrer Natur nach<br />
eigene Eigenschaften besitzt, aber gleichen<br />
gesellschaftlichen Regeln unterworfen ist.<br />
Ferner wird angenommen, dass die Besonderheiten<br />
auf dem Gebiet des Frauenalkoholismus<br />
bis auf wenige biologische Phänomene<br />
sozioökonomisch bestimmt sind und von<br />
daher nur eine relative Autonomie des Frauenalkoholismus<br />
besteht. Folglich sind einige<br />
Forscher der Ansicht, dass <strong>Klinik</strong> und Therapie<br />
weitestgehend nicht geschlechterspezifisch<br />
sind, wobei aber eine gesellschaftlich<br />
bedingte männliche und weibliche Sozialisation<br />
im Suchtprozess vorliegt. Ob diese Meinungen<br />
und Ansichten, die aufgrund der bisherigen<br />
Forschung über Alkoholismus<br />
gewonnen werden konnten, tatsächlich der<br />
Realität entsprechen oder aufgrund der statistischen<br />
Signifikanz der Männer und der<br />
daraus entstehenden Vernachlässigung der<br />
Frauenthematik entstanden sind, ist bis anhin<br />
noch unklar.<br />
Betrachtet man die 259 zwischen 1972 und<br />
1980 publizierten Studien, die über das Therapieergebnis<br />
nach psychotherapeutischer<br />
und/oder medikamentöser Behandlung<br />
berichteten, so waren nur 7,8% dieser Patienten<br />
Frauen. Von grösserer Bedeutung ist<br />
dabei, dass weibliche Autoren mehr als dreimal<br />
so viele weibliche Patientinnen untersuchten,<br />
als männliche Autoren. Weibliche<br />
Autoren verfolgten mehr als eineinhalb mal<br />
soviel weibliche Themen im Vergleich zu<br />
ihren männlichen Kollegen und dreimal so<br />
viele weibliche Autoren präsentierten Daten,<br />
die über die Differenz zwischen den<br />
Geschlechtern berichteten. Dieselbe Art von<br />
Differenz zwischen männlichen und weiblichen<br />
Autoren wurde auch bezüglich Untersuchung<br />
prognostischer Faktoren hinsichtlich<br />
des Therapieergebnisses von Frauen beobachtet.<br />
Diese Daten legen nahe, dass ein<br />
subtiler Geschlechterbias zur inadäquaten<br />
Untersuchung von Frauen mit Alkoholkonsum<br />
beigetragen hat (Vanicelli M. Nash L.,<br />
1984). Zudem wurde in einigen Untersuchungen<br />
gefunden, dass verschiedene Auffassungen<br />
des Behandlungspersonals bezüglich<br />
des Werts des jeweiligen Geschlechts<br />
die Patientinnenzufriedenheit beeinflusste,<br />
dass weibliche Patientinnen mit einem Alkoholproblem<br />
als Patientinnen mit einer deutlich<br />
schlechteren Prognose betrachtet werden<br />
und dass Probleme, die entsprechend der<br />
typischen Geschlechterrolle berichtet werden,<br />
als wichtiger wahrgenommen werden<br />
als Probleme, die nicht dem Geschlecht entsprechend<br />
geschildert werden.<br />
In den letzten Jahren wurde jedoch zunehmend<br />
im Rahmen der gesamten psychiatrischen<br />
sowie auch somatischen Medizin die<br />
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