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Politische Clownerien<br />

Gleich zwei Gruppen überraschten beim SdL mit Pappnasen<br />

und Clownsgesichtern auf der Bühne: die Theater-AG und<br />

der Literaturkurs der Mies-van-der-Rohe-Schule, eines<br />

Berufskollegs aus Nordrhein-Westfalen unter der Leitung<br />

von Eckhard Debour, und das Theater an der Wendeschleife<br />

des Heinrich-Heine-Gymnasiums Cottbus unter der Leitung<br />

von Angelika und Reinhold Koch.<br />

Wer nun Zirkusatmosphäre erwartet hatte, wurde im ersten<br />

Moment nicht enttäuscht, denn die Bühne war aus ihrer<br />

Guckkastenperspektive herausgefallen und hatte sich mittig<br />

zwischen die Zuschauerhälften geschoben. Die Gruppe<br />

aus Nordrhein-Westfalen bot sogar ein Bühnenrund mit erhöhtem<br />

Rand, so dass man als Zuschauer folgende Dressur-<br />

oder Artistennummern nicht ganz auszuschließen wagte.<br />

Gezeigt wurde aber Politisches, unter der Clownsmaske kaum<br />

verhüllt und durch selbige um so drastischer ausgespielt.<br />

Das Berufskolleg hatte sich der nur scheinbar unverdächtigen<br />

„Kindergeschichten“ von Peter Bichsel („Amerika gibt<br />

es nicht“, „Die Erde ist rund“, „Der Mann, der nichts mehr<br />

wissen wollte“) angenommen und das allgemein Menschliche<br />

darin vor allem auf konkrete USA-Bezüge hin ausgeschärft,<br />

die durch Videoeinspielungen unterstrichen wurden.<br />

Unterstützt von einer zielsicheren Lichtregie bogen und<br />

streckten sich die Clowns auf der Suche nach Wahrheiten,<br />

während der Zuschauer – angeregt durch das rhythmisierte<br />

und körperbetonte <strong>Spiel</strong> - begann, Altbekanntes neu zu sehen<br />

und eigene Gewissheiten in Zweifel zu ziehen. Eine anregende<br />

Vorstellung, die das jahrhundertealte Prinzip – gefährliche,<br />

unangenehme Wahrheiten lassen sich am sichersten<br />

und am deutlichsten aus der Distanz eines Narren aussprechen<br />

– unter dem Titel „America ist rund“ eindrucksvoll<br />

aufzeigte.<br />

<strong>Schultheater</strong> der Länder 2005<br />

Schul Theater Info Niedersachsen Nr. 26 10/2005 Seite 12<br />

Die Gruppe aus Cottbus wurde in ihren politischen Aussagen<br />

noch deutlicher. In einer nicht immer streng verbundenen<br />

Szenenfolge, bei der die literarischen Vorlagen weitgehend<br />

verschwunden waren, ging es um die „Fokussierung<br />

unterschiedlicher Momente menschlichen Verhaltens“ (aus<br />

dem Programmheft). Dies gelang ohne Abstriche. Machtmechanismen,<br />

Umgang mit dem Anderssein, Ausgrenzen,<br />

Abgrenzen, Grenzüberschreitungen – das waren nur einige<br />

Bezüge, die in Clowns-Choreographien unter dem treffenden<br />

Titel „Grenzfälle“ dargeboten wurden. Besonders wirkungsvoll<br />

war die Aufführung dort, wo unschuldige Kinderreime<br />

und –spiele beinahe bruchlos in Kriegsszenarien hinüberkippten;<br />

auch das fabel-hafte Gegeneinander zweier<br />

Ameisenvölker, die sich nur in der Reihenfolge ihrer Eigenschaften,<br />

nicht aber in den Eigenschaften selbst unterschieden<br />

(„die rotnasigen Ameisen mit den schwarzen Körpern<br />

gegen die schwarzen Ameisen mit den roten Nasen“), stimmte<br />

nachdenklich. Und die Zettel, welche die Zuschauer zu Beginn<br />

auf ihren Plätzen vorgefunden hatten (mit kryptischen<br />

Großbuchstaben H, G, F...), standen für unterschiedliche<br />

Völker, die dann mit Schlachtrufen eingeschworen wurden,<br />

um mitten in der Vorstellung ihre Plätze wechseln zu müssen,<br />

alle gleichzeitig völkerwandernd, schlachtrufend und sich<br />

jeweils an einem gemeinsamen Seil festhaltend. Erfahrung:<br />

Der neue Platz führt zwar zu einer neuen Perspektive, ist<br />

aber nicht unbedingt besser als der alte.<br />

Resümee: Das politische Theater ist tot – es lebe das politische<br />

Theater! Und unter der Clownsmaske kann die Botschaft<br />

selbst ungeschminkt und sehr körperlich daherkommen.<br />

Dirk Wilkening

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