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Download - Fachverband Schultheater - Darstellendes Spiel ...

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Die Vorlage<br />

Drama Fünf vor Zwölf<br />

von Marcus Jauer<br />

In der Nacht. Ein Gewerbegebiet vor der Stadt. Eine<br />

Straße führt hinein, die Lampen am Rand geben<br />

orangefarbenes Licht. Zwischen einem Küchenstudio<br />

und einem Laden für Autoteile steht ein Pavillon. Seine<br />

Fenster sind mit Leuchtfolie beklebt, aus seinem Inneren<br />

dringt Musik. Als die Tür aufgeht, hört man Menschen<br />

lachen. Ein junger Mann kommt heraus, auf seinem<br />

Hemd klebt ein Herz, darauf steht sein Name. Er nimmt<br />

sein Telefon und wählt. Es ist kalt. Während er wartet,<br />

kann man seinen Atem sehen.<br />

Ein Dorf. In der Küche eines Hauses brennt noch Licht.<br />

Ein älterer Mann hört Radio. Der Reporter erzählt.<br />

„Ja, ich steh jetzt hier, der Platz ist voll Menschen,<br />

Tausende sind da und warten auf das Feuerwerk. Es sind<br />

jetzt noch genau dreiundzwanzig Minuten.“<br />

Der Mann schaut zur Uhr an der Wand. Sie geht nicht<br />

vor. Dann klingelt das Telefon und der Mann muss<br />

aufstehen.<br />

„Hallo?“<br />

„Ja, ich bin’s.“<br />

„Hallo.“<br />

„Wie geht’s?“<br />

„Gut.“<br />

„Seid ihr zu Hause geblieben?“<br />

„Ja.“<br />

„Was macht Mutter?“<br />

„Schläft.“<br />

„Und sonst?“<br />

„Ich schaff dann noch den Hund rein, hat doch immer<br />

Angst bei der Knallerei.“<br />

„Ja.“<br />

„Na dann, gesundes Neues, mein Junge.“<br />

„Ja. Gesundes Neues.“<br />

Der junge Mann vor dem Pavillon nimmt das Handy<br />

vom Ohr. Er steckt es in seine Hosentasche. Er läuft ein<br />

paar Schritte. Dann holt er das Handy noch einmal<br />

heraus und wählt eine andere Nummer<br />

Ein Wohnung in einem Neubauviertel. Im Fernsehen<br />

läuft eine Gala. Auf dem Sofa sitzen ein junger Mann<br />

und eine junge Frau, zwischen ihnen schläft ein Junge,<br />

den Kopf auf dem Schoß der Frau.<br />

„Ich glaub’, ich bring’ ihn jetzt ins Bett.“<br />

„Dann hol’ ich den Champagner.“<br />

„Ja, mach das.“<br />

„Ich warte auf dem Balkon auf dich.“<br />

„Hattest dir das bestimmt anders vorgestellt heute.“<br />

<strong>Spiel</strong>projekt: Unterrichtsentwürfe<br />

(Der folgende Text fand sich 2003 in einer Beilage der Süddeutschen Zeitung)<br />

„Wie denn?“<br />

„Schöner, vielleicht.“<br />

„Ich fand’s schön.“<br />

„Ist lieb, dass du das sagst.“<br />

Die Frau trägt den Jungen ins Bett. Der Mann geht in<br />

die Küche, öffnet den Champagner und füllt zwei Gläser.<br />

Dann geht er auf den Balkon, von dem aus man die<br />

Stadt sehen kann, und wartet. Als das Telefon klingelt,<br />

kommt die Frau aus dem Kinderzimmer und nimmt den<br />

Hörer ab.<br />

„Hallo?“<br />

„Katrin, ich bin’s.“<br />

Die Frau antwortet nicht.<br />

„Bist du dran, Katrin? Ich bin, also, ich wollt’ nur anrufen,<br />

ich dachte, es ist doch Silvester, und ich, na ja also,<br />

gesundes Neues, hörst du, Katrin?“<br />

Die Frau antwortet nicht. Sie hat den Hörer in der hand,<br />

aber sie antwortet nicht. Sie merkt, dass sie ganz ruhig<br />

ist. Dann legt sie auf. Im Fernsehen läuft die Gala und<br />

draußen steigen Raketen auf.<br />

Der junge Mann vor dem Pavillon nimmt das Handy<br />

vom Ohr. Dann wählt er eine neue Nummer. Und der<br />

ältere Mann in der Küche muss noch einmal aufstehen.<br />

„Habt ihr was von Katrin gehört?“<br />

„Nee.“<br />

„Dachte nur, die meldet sich.“<br />

„Warum?“<br />

„Ist doch Silvester.“<br />

„Würd’ sie in Ruhe lassen, Junge.“<br />

„Wieso?“<br />

„Is’ besser, mal’n Schnitt zu machen und neu<br />

anzufangen.“<br />

„Wie denn neu anfangen, wenn alles immer weitergeht?“<br />

„Tut es ja nicht.“<br />

Der ältere Mann schweigt einen Moment, aber es kommt<br />

keine Antwort.<br />

„Ich muss jetzt den Hund reinschaffen.“<br />

„Mach’s gut, Papa.“<br />

„Mach’s gut, Junge.“<br />

Der junge Mann legt auf. Hinter ihm kommen Menschen<br />

aus dem Pavillon, sie haben Gläser in der hand. Sie<br />

zählen die Sekunden. Auf dem Parkplatz eines Gewerbegebietes.<br />

Im Fernseher einer Plattenbauwohnung mit<br />

Balkon. Im Radio in der Küche eines Hauses. Zählen<br />

sie die Sekunden, bis das neue Jahr beginnt.<br />

-Ende-<br />

Schul Theater Info Niedersachsen Nr. 26 10/2005 Seite 27

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