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Die Balkankriege 1912/13 Erster Weltkrieg: Die 2. und 3. OHL ...

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Heft 2/2008<br />

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C 21234 ISSN 0940 - 4163<br />

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Militärgeschichte im Bild: Niederschlagung des Prager Frühlings durch Warschauer-Pakt-Truppen am 21. August 1968<br />

<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> <strong>1912</strong>/<strong>13</strong><br />

<strong>Erster</strong> <strong>Weltkrieg</strong>: <strong>Die</strong> <strong>2.</strong> <strong>und</strong> <strong>3.</strong> <strong>OHL</strong><br />

Henning von Tresckow 1941<br />

Das Bauwesen der NVA<br />

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Impressum<br />

Militärgeschichte<br />

Zeitschrift für historische Bildung<br />

Herausgegeben<br />

vom Militärgeschichtlichen Forschungsamt<br />

durch Oberst Dr. Hans Ehlert <strong>und</strong><br />

Oberst i.G. Dr. Hans-Hubertus Mack (V.i.S.d.P.)<br />

Produktionsredakteur<br />

der aktuellen Ausgabe:<br />

OTL Dr. Harald Potempa<br />

Redaktion:<br />

Hauptmann Matthias Nicklaus M.A. (mn)<br />

Hauptmann Magnus Pahl M.A. (mp)<br />

Oberstleutnant Dr. Harald Potempa (hp)<br />

Hauptmann Klaus Storkmann M.A. (ks)<br />

Mag. phil. Michael Thomae (mt)<br />

Bildredaktion:<br />

Dipl.-Phil. Marina Sandig<br />

Redaktionsassistenz:<br />

Michael Schadow, cand. phil. (ms)<br />

Lektorat:<br />

Dr. Aleksandar-S. Vuletić<br />

Layout/Grafik:<br />

Maurice Woynoski / Medienwerkstatt D. Lang<br />

Karten:<br />

Dipl.-Ing. Bernd Nogli<br />

Anschrift der Redaktion:<br />

Redaktion »Militärgeschichte«<br />

Militärgeschichtliches Forschungsamt<br />

Postfach 60 11 22, 14411 Potsdam<br />

E-Mail: MGFARedaktionMilGeschichte@<br />

b<strong>und</strong>eswehr.org<br />

Telefax: 03 31 / 9 71 45 07<br />

Homepage: www.mgfa.de<br />

Manuskripte für die Militärgeschichte werden<br />

an diese Anschrift erbeten. Für unverlangt eingesandte<br />

Manuskripte wird nicht gehaftet.<br />

Durch Annahme eines Manuskriptes erwirkt<br />

der Herausgeber auch das Recht zur Veröffentlichung,<br />

Übersetzung usw. Honorarabrechnung<br />

erfolgt jeweils nach Veröffentlichung. <strong>Die</strong> Redaktion<br />

behält sich Kürzungen eingereichter<br />

Beiträge vor. Nachdrucke, auch auszugsweise,<br />

fotomechanische Wiedergabe <strong>und</strong> Übersetzung<br />

sind nur nach vorheriger schriftlicher Zustimmung<br />

durch die Redaktion <strong>und</strong> mit Quellenangaben<br />

erlaubt. <strong>Die</strong>s gilt auch für die Aufnahme in<br />

elektronische Datenbanken <strong>und</strong> Vervielfältigungen<br />

auf CD-ROM. <strong>Die</strong> Redaktion hat keinerlei<br />

Einfluss auf die Gestaltung <strong>und</strong> die Inhalte<br />

derjenigen Seiten, auf die in dieser Zeitschrift<br />

durch Angabe eines Link verwiesen wird. Deshalb<br />

übernimmt die Redaktion keine Verantwortung<br />

für die Inhalte aller durch Angabe einer Linkadresse<br />

in dieser Zeitschrift genannten Seiten<br />

<strong>und</strong> deren Unterseiten. <strong>Die</strong>ses gilt für alle ausgewählten<br />

<strong>und</strong> angebotenen Links <strong>und</strong> für alle Seiteninhalte,<br />

zu denen Links oder Banner führen.<br />

© 2008 für alle Beiträge beim<br />

Militärgeschichtlichen Forschungsamt (MGFA)<br />

Sollten nicht in allen Fällen die Rechteinhaber<br />

ermittelt worden sein, bitten wir ggf. um Mitteilung.<br />

Druck:<br />

SKN Druck <strong>und</strong> Verlag GmbH & Co., Norden<br />

ISSN 0940-4163<br />

Editorial<br />

Das vorliegende Heft widmet sich in drei Großbeiträgen<br />

dem sogenannten Zeitalter der <strong>Weltkrieg</strong>e.<br />

<strong>Die</strong>se »Katastrophenzeit« in der ersten<br />

Hälfte des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts ist gekennzeichnet<br />

durch »die Extensivierung im Einsatz von Gewaltmitteln<br />

<strong>und</strong> -methoden, die Ausbreitung<br />

[des Krieges] in den europäischen Großraum<br />

<strong>und</strong> [dessen] Ausweitung in den innergesellschaftlichen<br />

Binnenraum« (Bruno Thoß).<br />

Ein Schlüsselbegriff im Zeitalter der <strong>Weltkrieg</strong>e ist »Vernichtung«. Burkhard<br />

Köster arbeitet am Beispiel der <strong>2.</strong> <strong>und</strong> <strong>3.</strong> Obersten Heeresleitung (<strong>OHL</strong>) das<br />

Verständnis von »Vernichtungs- <strong>und</strong> Ermattungsstrategie« im Ersten <strong>Weltkrieg</strong><br />

heraus, die beide, bei allen Unterschieden, eines zum Ziel hatten: den<br />

Feind niederzuwerfen. <strong>Die</strong> Vernichtung ganzer Bevölkerungen war weder in<br />

der einen noch in der anderen dieser Strategien vorgesehen. Michael Schwartz<br />

führt am Beispiel der <strong>Balkankriege</strong> von <strong>1912</strong> <strong>und</strong> 19<strong>13</strong> aus, dass die Niederwerfung<br />

des Gegners jedoch schon damals auch die Vernichtung der Zivilbevölkerung<br />

oder die Vertreibung ganzer Volksgruppen bedeuten konnte. Thomas<br />

Reuthers Beitrag über Generalmajor Henning von Tresckow (1901 bis<br />

1944), einen der führenden Köpfe des militärischen Widerstands gegen Hitler,<br />

zeigt unter anderem den Wandel des Verständnisses von Vernichtung bei<br />

den obersten Strategen. Das NS-Regime wollte seine Gegner nicht nur militärisch<br />

niederwerfen, sondern aus rasseideologischen Gründen sowie zur<br />

Gewinnung von »Lebensraum« im Osten Kombattanten <strong>und</strong> Zivilisten gleichermaßen<br />

physisch vernichten. Tresckow war an der Ostfront im Hauptquartier<br />

der Heeresgruppe Mitte eingesetzt <strong>und</strong> hatte Kenntnis von den Vorgängen<br />

an der Front <strong>und</strong> im rückwärtigen Bereich. Seine Entscheidung zum<br />

Widerstand <strong>und</strong> damit letztlich zur Mitwirkung am 20. Juli wurde durch die<br />

erlebte Praxis der unterschiedslosen Vernichtung maßgeblich beeinflusst.<br />

Innerhalb eines Zeitraumes von wenig mehr als 30 Jahren verlor Deutschland<br />

zwei Kriege. <strong>Die</strong> beiden Kriegsenden konnten unterschiedlicher nicht sein.<br />

Burkhard Köster verweist darauf, dass die <strong>OHL</strong> im Herbst 1918 den Krieg für<br />

verloren hielt. Sie drängte die Reichsregierung zu einem raschen Waffenstillstand,<br />

der am 11. Nov. 1918 unterzeichnet wurde. 1944/45 zeichnete sich die<br />

deutsche Niederlage im Zweiten <strong>Weltkrieg</strong> ab. Thomas Reuther führt am Beispiel<br />

Tresckows die Problematik des militärischen Widerstandes aus: Militärische<br />

Widerstandshandlungen gegen das NS-Regime hatten nur angesichts<br />

einer Niederlage Aussicht auf Erfolg. <strong>Die</strong> Soldaten des Widerstandes mussten<br />

also die Erfolglosigkeit auf dem Schlachtfeld in ihr Kalkül mit einbeziehen.<br />

Ein Mittel, das verbrecherische NS-Regime <strong>und</strong> den verlorenen Krieg schnell<br />

zu beenden, war das (gescheiterte) Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944.<br />

Im vierten Großbeitrag beschreibt Klaus Udo Beßer schließlich das Bauwesen<br />

der Nationalen Volksarmee <strong>und</strong> stellt sie als Wirtschaftsreserve der<br />

DDR vor.<br />

Ein Schlusswort in eigener Sache: <strong>Die</strong> Redaktion begrüßt Herrn Hauptmann<br />

Magnus Pahl M.A. in ihren Reihen <strong>und</strong> dankt Herrn Oberleutnant<br />

Julian Finke M.A., der aus dem Team der »Militärgeschichte« ausscheidet,<br />

für sein gezeigtes Engagement. Der Redaktionsassistent hat ebenfalls gewechselt.<br />

Wir danken Herrn cand.phil. Stefan Stahlberg für seine Arbeit <strong>und</strong><br />

heißen Herrn Michael Schadow willkommen.<br />

Oberstleutnant Dr. Harald Potempa


<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> <strong>1912</strong>/<strong>13</strong>:<br />

Kriege <strong>und</strong> Vertreibungen in<br />

Südosteuropa<br />

Prof. Dr. Michael Schwartz, geboren 1963<br />

in Recklinghausen, Wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

am Institut für Zeitgeschichte<br />

(Abteilung Berlin) <strong>und</strong> Professor für Neuere<br />

<strong>und</strong> Neueste Geschichte an der Westfälischen<br />

Wilhelms-Universität Münster<br />

Ermattungs- oder Vernichtungsstrategie?<br />

<strong>Die</strong> Kriegführung<br />

der <strong>2.</strong> <strong>und</strong> <strong>3.</strong> Obersten Heeresleitung<br />

(<strong>OHL</strong>)<br />

Dr. Burkhard Köster, geboren 1961 in<br />

Rheine/Westf., Oberstleutnant <strong>und</strong> Referent im<br />

Führungsstab der Streitkräfte I 4<br />

Auf dem Weg zum 20. Juli 1944.<br />

Henning von Tresckow<br />

im Jahre 1941<br />

Thomas Reuther, geboren 1973 in Mannheim,<br />

Hauptmann d.R. <strong>und</strong> Historiker, Potsdam<br />

Nationale Volksarmee:<br />

Arbeitskraftreserve der DDR?<br />

Das Bauwesen der NVA<br />

Dipl.-Bauingenieur Klaus Udo Beßer,<br />

geboren 1950 in Aue/Sachsen, Oberstleutnant<br />

<strong>und</strong> Wissenschaftlicher Mitarbeiter im MGFA<br />

4<br />

10<br />

14<br />

18<br />

Inhalt<br />

Service<br />

Das historische Stichwort:<br />

Der Entsatz von Wien<br />

im September 1683<br />

Medien online/digital<br />

Lesetipp<br />

Ausstellungen<br />

Geschichte kompakt<br />

Militärgeschichte<br />

im Bild<br />

22<br />

24<br />

26<br />

28<br />

30<br />

ČSSR 1968: Militärische<br />

Reaktionen des Westens 31<br />

Niederschlagung des Prager Frühlings<br />

durch Warschauer-Pakt-Truppen am<br />

21. August 1968.<br />

Foto: Süddeutsche Zeitung Photo<br />

Weitere Mitarbeiter dieser Ausgabe:<br />

Major Heiner Bröckermann M.A.,<br />

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, MGFA;<br />

Dr. Rüdiger Wenzke, Wissenschaftlicher<br />

Oberrat, MGFA.


<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> <strong>1912</strong>/<strong>13</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong><br />

<strong>1912</strong>/<strong>13</strong><br />

Kriege <strong>und</strong> Vertreibungen<br />

in Südosteuropa<br />

Serben <strong>und</strong> Albaner betrachten das<br />

seit Februar 2008 unabhängige<br />

Kosovo als Mittelpunkt der eigenen<br />

Geschichte <strong>und</strong> als Herz des Balkans<br />

gleichermaßen. Wem das Kosovo<br />

»eigentlich« gehört, ist zwischen beiden<br />

Völkern bis heute heftig umstritten.<br />

Der jugoslawische Präsident Slobodan<br />

Milošević suchte die Streitfrage<br />

durch die großangelegte Vertreibung<br />

von Albanern zu lösen – was 1999 zur<br />

internationalen Besetzung des Kosovo<br />

<strong>und</strong> 2008 zur Unabhängigkeitserklärung<br />

eines albanisch dominierten<br />

Staates führte.<br />

<strong>Die</strong> Geschichte Jugoslawiens im 20.<br />

Jahrh<strong>und</strong>ert <strong>und</strong> die Kriege <strong>und</strong> Konflikte<br />

auf dem Balkan im ausgehenden<br />

20. <strong>und</strong> frühen 21. Jahrh<strong>und</strong>ert prägen<br />

unsere Wahrnehmung der Region. Dabei<br />

beherrschte vor knapp h<strong>und</strong>ert Jahren<br />

der Vorgängerstaat der heute weitgehend<br />

auf Kleinasien beschränkten<br />

Türkischen Republik, das nach seiner<br />

Sultansfamilie benannte »Osmanische<br />

Reich«, noch weite Teile Südosteuro-<br />

4 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

5 <strong>Erster</strong> Balkankrieg <strong>1912</strong>/<strong>13</strong>: Aus Kleinasien vertriebene Griechen in Saloniki.<br />

pas: Mazedonien, Albanien <strong>und</strong> Teile<br />

Griechenlands, Serbiens <strong>und</strong> Bulgariens.<br />

Auf dem Höhepunkt seiner Macht,<br />

im 16. Jahrh<strong>und</strong>ert, hatte sich dieses<br />

Vielvölkerreich von Budapest bis Bagdad,<br />

von der Krim bis Kairo <strong>und</strong> Tunis<br />

erstreckt. Osmanische Armeen standen<br />

1529 <strong>und</strong> nochmals 1683 vor der Kaiserstadt<br />

Wien, nach deren Eroberung<br />

womöglich weitere Teile des Heiligen<br />

Römischen Reiches Deutscher Nation<br />

den Angreifern in die Hände gefallen<br />

<strong>und</strong> muslimisch geworden wären. Bekanntlich<br />

kam es anders. Das Osmanische<br />

Reich verlor seitdem immer<br />

mehr Grenzprovinzen an mächtiger<br />

werdende Nachbarn; Österreich-Ungarn<br />

<strong>und</strong> das Russische Zarenreich<br />

profitierten am meisten. Hinzu kam<br />

seit dem 19. Jahrh<strong>und</strong>ert die Sprengkraft<br />

des modernen Nationalismus,<br />

der die Zukunft der Völker nicht in<br />

multinationalen »Völkerkerkern« erblickte,<br />

sondern in einheitlichen, möglichst<br />

»sauber« getrennten »Nationalstaaten«.<br />

In nur wenig mehr als h<strong>und</strong>ert Jahren<br />

– von 1804 bis 1923 – zerstörte der<br />

Nationalismus die Stabilität der alten<br />

Vielvölkerreiche, darunter auch die des<br />

Osmanischen Reiches, von dem sich<br />

immer mehr »Nationalstaaten« abspalteten:<br />

zuerst die Serben <strong>und</strong> Griechen,<br />

dann die Rumänen, Montenegriner,<br />

Bulgaren, schließlich die Albaner. Das<br />

letzte Jahrzehnt dieser Entwicklung<br />

verlief besonders gewalttätig – beginnend<br />

mit dem »Ersten Balkankrieg«<br />

(<strong>1912</strong>/<strong>13</strong>), fortgesetzt im »Zweiten Balkankrieg«<br />

(19<strong>13</strong>) sowie unmittelbar danach<br />

im Ersten <strong>Weltkrieg</strong>, endend mit<br />

ethnischen »Säuberungen« <strong>und</strong> weiteren<br />

Kriegen bis 192<strong>3.</strong> <strong>Die</strong> Entstehung<br />

eines türkischen Nationalstaates auf<br />

den Trümmern des Osmanischen Reiches<br />

war der vorläufige Schlusspunkt<br />

dieser Entwicklung.<br />

Je nachdem, wer gerade die Oberhand<br />

in diesen militärischen Konflikten<br />

besaß: Es kam stets zu Gewalttaten<br />

auch an der Zivilbevölkerung des<br />

»Feindes«. Türkische Gräueltaten wie<br />

ullstein bild


die Ermordung oder Versklavung der<br />

orthodoxen Bevölkerung von Chios<br />

während des griechischen Aufstands<br />

1822, die türkischen »Bulgarengräuel«<br />

während des Aufstands von 1876 oder<br />

die türkischen Armeniermassaker von<br />

1896 <strong>und</strong> 1915/16 prägten nachhaltig<br />

die Wahrnehmung der »zivilisierten«<br />

christlichen Welt. Letztere übersah dabei<br />

oft, dass muslimische Bevölkerungsgruppen<br />

unter den Gewalttaten<br />

seitens der christlichen Balkanvölker<br />

ebenso litten <strong>und</strong> – da das Osmanische<br />

Reich diese Kriege zumeist verlor –<br />

letztlich auch die Hauptleidtragenden<br />

von Flucht <strong>und</strong> Vertreibung waren.<br />

Ethnische »Säuberungen« im<br />

langen 19. Jahrh<strong>und</strong>ert<br />

<strong>Die</strong> ethnische »Säuberung« des Balkans<br />

von den meisten Muslimen wurde<br />

nach den jahrelangen Aufständen der<br />

Serben (1804-1817) <strong>und</strong> der Griechen<br />

(1821-1830) nicht rückgängig gemacht,<br />

sondern auch im Frieden fortgesetzt<br />

<strong>und</strong> systematisiert. 1830 wurde den<br />

muslimischen Einwohnern Serbiens<br />

befohlen, »sich aus den ländlichen Gegenden<br />

Serbiens in Garnisonsstädte<br />

zurückzuziehen«, <strong>und</strong> dreißig Jahre<br />

später wurden auch diese Städte – allen<br />

voran Belgrad – von dort lebenden<br />

Türken zwangsweise geräumt. Als sich<br />

Serbien zwischen 1876 <strong>und</strong> 1878 mit<br />

russischer Hilfe die Unabhängigkeit<br />

vom Osmanischen Reich erkämpfte<br />

<strong>und</strong> sein Gebiet auf türkische Kosten<br />

vergrößerte, bewegte sich ein neuer<br />

muslimischer Flüchtlingsstrom über<br />

die Grenze.<br />

Eine ähnliche Vertreibungswirkung<br />

erzielte ab 1821 der griechische Unabhängigkeitskrieg.<br />

Hier war nicht nur<br />

die Zahl der Vertriebenen größer, hier<br />

erfolgte die Vertreibung – wiederum<br />

begleitet von Massakern – auch rascher.<br />

Wie der österreichische Historiker<br />

Carl von Sax bemerkte, waren binnen<br />

eines Monats auf dem Peloponnes<br />

»dreitausend türkische Häuser zerstört<br />

<strong>und</strong> fast zehntausend Mohammedaner<br />

getötet« worden, wofür sich die Türken<br />

an den Griechen andernorts mit<br />

Plünderung, Mord, Brandlegung <strong>und</strong><br />

Versklavung christlicher Frauen <strong>und</strong><br />

Kinder rächten. <strong>Die</strong> bedrohten Muslime<br />

des Peloponnes flüchteten aus den<br />

Dörfern in die Provinzhauptstadt Tri-<br />

Chronologie der Kriege in Südosteuropa<br />

1804–1817 Serbischer Aufstand <strong>und</strong> Befreiungskrieg gegen die Osmanen; Serbien<br />

wird autonom.<br />

1821–1830 Griechischer Aufstand <strong>und</strong> Befreiungskrieg gegen die Osmanen.<br />

1830 Griechenland wird unabhängig.<br />

1877/78 Russisch-Osmanischer Krieg um die Vorherrschaft auf dem Balkan.<br />

1878 Berliner Kongress. <strong>Die</strong> Großmächte regeln die Verhältnisse auf dem<br />

Balkan: Serbien, Montenegro <strong>und</strong> Rumänien werden unabhängig,<br />

Bulgarien bleibt tributpflichtig, Bosnien-Herzegowina fällt unter österreichisch-ungarische<br />

Verwaltung.<br />

1894–1896 Im Osmanischen Reich Unruhen zwischen Muslimen <strong>und</strong> Armeniern,<br />

Massaker an den Armeniern.<br />

1908 Bulgarien wird unabhängig, Bosnien-Herzegowina von Österreich-<br />

Ungarn annektiert.<br />

1911/12 Aufstände der Albaner gegen die osmanische Herrschaft.<br />

<strong>1912</strong>/<strong>13</strong> <strong>Erster</strong> Balkankrieg: Das Osmanische Reich verliert seine europäischen<br />

Besitzungen an Serbien, Bulgarien, Griechenland <strong>und</strong> Montenegro;<br />

Albanien wird unabhängig.<br />

19<strong>13</strong> Zweiter Balkankrieg: Bulgarien kämpft erfolglos gegen Serbien, Griechenland<br />

<strong>und</strong> Montenegro <strong>und</strong> wird auch von Rumänien <strong>und</strong> dem<br />

Osmanischen Reich angegriffen; die Osmanen erobern Edirne zurück.<br />

1914–1918 <strong>Erster</strong> <strong>Weltkrieg</strong>.<br />

1918–1922 Zerfall des Osmanischen Reiches, das zu den Verlierern des Ersten<br />

<strong>Weltkrieg</strong>es gehört.<br />

1920–1922 Griechisch-Türkischer Krieg endet mit der Vertreibung der Griechen<br />

aus Kleinasien.<br />

1923 Vertrag von Lausanne, »Bevölkerungsaustausch« zwischen Griechenland<br />

<strong>und</strong> der Türkei; Mustafa Kemal (Atatürk) gründet die Türkische<br />

Republik.<br />

1939–1945 Zweiter <strong>Weltkrieg</strong>.<br />

1991–1999 Kriege auf dem Staatsgebiet des früheren Jugoslawiens<br />

(1991: Slowenien; 1991–1995: Kroatien; 1992–1995: Bosnien;<br />

1999: Kosovo).<br />

politsa (die später von Griechen zerstört<br />

wurde) oder in die Festungen an<br />

der Küste. Gelang es den Griechen,<br />

eine solche Stadt zu erobern, wurde<br />

diese dem Erdboden gleichgemacht;<br />

deren Einwohner wurden massakriert.<br />

Als die Osmanen 1825 mit ägyptischen<br />

Hilfstruppen im Bürgerkrieg<br />

zeitweilig die Oberhand gewannen,<br />

wurde ihnen die Absicht unterstellt,<br />

alle Christen nach Ägypten zu verschleppen<br />

<strong>und</strong> sie in Griechenland<br />

durch Araber zu ersetzen. Dazu kam es<br />

nicht, stattdessen unterbreiteten 1826<br />

die Großmächte Großbritannien <strong>und</strong><br />

Russland den Vorschlag, »zum Zwecke<br />

der völligen Trennung der Nationen«,<br />

deren friedliches Zusammenleben<br />

nicht mehr möglich erscheine, sollten<br />

die Türken die griechischen Gebiete<br />

räumen. <strong>Die</strong>se völlige Ausweisung der<br />

Muslime aus dem griechischen Kernstaat<br />

wurde 1829/30 friedensvertrag-<br />

lich durchgesetzt. Und die territoriale<br />

Erweiterung Griechenlands im Laufe<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts bewirkte wie im<br />

serbischen Parallelfall immer wieder<br />

Flucht oder Vertreibung von Muslimen.<br />

Ein besonders heikler Fall war die Insel<br />

Kreta – seit den 1860er Jahren von<br />

griechischen Aufständen erschüttert,<br />

durch griechisch-europäisches Zusammenwirken<br />

immer mehr aus dem Osmanischen<br />

Reich herausgetrennt <strong>und</strong><br />

<strong>1912</strong> im Ersten Balkankrieg mit Griechenland<br />

vereinigt. <strong>Die</strong> ethnische »Säuberung«<br />

Kretas in diesen Bürgerkriegen<br />

vollzog sich ganz nach dem Muster<br />

des griechischen Aufstandes von<br />

1821/22: Ein gewalttätiger Partisanenkrieg<br />

der Griechen trieb die muslimische<br />

Bevölkerung zur Flucht aus<br />

den Dörfern in die Hafenstädte, wo ihrerseits<br />

die Türken Rache an der griechischen<br />

Stadtbevölkerung nahmen.<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008


<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> <strong>1912</strong>/<strong>13</strong><br />

Zeitweilig flüchteten in den 1860er<br />

Jahren Tausende kretischer (griechischer)<br />

Frauen <strong>und</strong> Kinder per Schiff<br />

nach Griechenland, wo viele verhungerten,<br />

da der schwache Staat mit ihrer<br />

Versorgung völlig überfordert war.<br />

Und obwohl Kreta trotz mehrerer Versuche<br />

erst 19<strong>13</strong> an Griechenland fiel,<br />

wanderten schon lange zuvor viele<br />

Muslime aus ihrer unsicher gewordenen<br />

Heimat in andere Gebiete des<br />

Osmanischen Reiches aus, von denen<br />

sie annahmen, dass es für Muslime<br />

dort sicherer sei. Konflikte wie auf<br />

Kreta blieben daher nur scheinbar begrenzt,<br />

denn die Flüchtlinge verbreiteten<br />

ihre Gewalterlebnisse <strong>und</strong> ihre<br />

Revanchestimmung auch in den Aufnahmeregionen.<br />

Ein Teil der muslimischen Kreta-<br />

Flüchtlinge wandte sich nach Saloniki<br />

(Selanik), der Geburtsstadt des späteren<br />

türkischen Präsidenten Kemal<br />

Atatürk, das <strong>1912</strong> im Ersten Balkankrieg<br />

aber ebenfalls von den Griechen<br />

erobert wurde, was zur Flucht <strong>und</strong><br />

Vertreibung von Muslimen <strong>und</strong> Juden<br />

führte. Viele Muslime auf Kreta emigrierten<br />

nach Kleinasien, etwa in die<br />

große Hafenstadt Smyrna, wo sie auf<br />

neue griechische Nachbarn trafen <strong>und</strong><br />

wo die wechselseitigen Konflikte bald<br />

eskalierten – von den Massakern griechischer<br />

Besatzungstruppen an türkischen<br />

Zivilisten 1919 bis zur Flucht<br />

<strong>und</strong> Vertreibung der griechischen Zivilbevölkerung<br />

192<strong>2.</strong> Damals wurde<br />

die mehrheitlich von Griechen bewohnte<br />

Stadt Smyrna von den Türken<br />

zurückerobert, verbrannt <strong>und</strong> brutal<br />

von ihren christlichen Minderheiten<br />

»gesäubert«, um als türkisch geprägtes<br />

Izmir neu errichtet zu werden. Auch<br />

bei den osmanischen Türken hatten<br />

sich vor dem Hintergr<strong>und</strong> siegreicher<br />

christlicher Nationalismen ein intolerantes<br />

nationalistisch-ethnisches Denken<br />

durchgesetzt.<br />

Der auf beiden Seiten brutal geführte<br />

griechisch-türkische Krieg von 1919 bis<br />

1922 mit seinen Massakern <strong>und</strong> Vertreibungen<br />

ging 1923 durch den Vertrag<br />

von Lausanne in einen international<br />

geregelten »Bevölkerungsaustausch«<br />

über, sodass r<strong>und</strong> eineinhalb<br />

Millionen kleinasiatische Griechen<br />

nach Griechenland <strong>und</strong> über 350 000<br />

Muslime aus Griechenland in die kleinasiatische<br />

Türkei zwangsweise umgesiedelt<br />

wurden. <strong>Die</strong>se Vorgänge erin-<br />

6 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

nerten deutlich an die ganz ähnliche<br />

Gewalt während der <strong>Balkankriege</strong><br />

<strong>1912</strong>/<strong>13</strong>. Auch damals wurde nationale<br />

Befreiung durch Massaker <strong>und</strong> Vertreibung<br />

erreicht, <strong>und</strong> schon damals mündeten<br />

Flucht <strong>und</strong> Vertreibung in staatliche<br />

Verträge über Zwangsumsiedlungen.<br />

Der Erste Balkankrieg <strong>1912</strong>/<strong>13</strong><br />

Der Erste Balkankrieg begann im Oktober<br />

<strong>1912</strong>, als ein »Balkanb<strong>und</strong>« aus<br />

Bulgarien, Serbien, Griechenland <strong>und</strong><br />

Montenegro das Osmanische Reich angriff,<br />

um diesem die letzten europäischen<br />

Besitzungen zu entreißen. <strong>Die</strong><br />

bulgarische Armee eroberte Adrianopel<br />

(Edirne) <strong>und</strong> kämpfte sich bis an<br />

die feindliche Hauptstadt Konstantinopel<br />

(seit 1930 Istanbul) heran. Währenddessen<br />

eroberten die Griechen das<br />

südmazedonische Selanik (Thessalonike/Saloniki)<br />

<strong>und</strong> Epiros, die Serben<br />

das zentralmazedonische Üsküb<br />

(Skopje) <strong>und</strong>, zusammen mit Montenegro,<br />

das Kosovo – jene Region, die für<br />

das serbische Nationalbewusstsein besonders<br />

wichtig ist, da dort die Hauptorte<br />

des mittelalterlichen serbischen<br />

Großreiches liegen: die alte Zarenstadt<br />

Prizren, der alte Hauptsitz der serbisch-orthodoxen<br />

Kirche in Peć, die<br />

von den serbischen Nemanjiden-Königen<br />

<strong>und</strong> -Kaisern gegründeten Klöster<br />

Visoki Dečani <strong>und</strong> Sveti Arhandjeli<br />

(= Erzengelkloster). Was dieser Nationalismus<br />

– wie alle übrigen intoleranten<br />

Nachbarnationalismen – geflissentlich<br />

übersah, war zweierlei: zum<br />

einen, dass das mittelalterliche Reich<br />

der Serben – ebenso wie das Byzantinische<br />

Reich der Griechen oder das Osmanische<br />

Reich – kein moderner Nationalstaat,<br />

sondern ein Vielvölkerreich<br />

gewesen war; zum zweiten, dass das<br />

Kosovo seit mehreren h<strong>und</strong>ert Jahren<br />

osmanisch beherrscht wurde, weshalb<br />

viele Serben – oft nach gescheiterten<br />

Aufständen – nach Norden in österreichisch-ungarisches<br />

Gebiet geflohen<br />

<strong>und</strong> viele Muslime (besonders Albaner)<br />

eingewandert waren.<br />

Montenegro versuchte im Ersten Balkankrieg<br />

<strong>1912</strong>/<strong>13</strong> zugleich das heutige<br />

Nordalbanien um Shkoder (Skutari) zu<br />

erobern. Der Krieg endete unter Vermittlung<br />

der Großmächte im Mai 19<strong>13</strong><br />

mit dem Frieden von London, der den<br />

Siegern die gesamte europäische Türkei<br />

zur Teilung überließ. Nur Konstantinopel<br />

blieb mit etwas europäischem Vorgebiet<br />

osmanisch, <strong>und</strong> nur der Kern<br />

5 <strong>Erster</strong> Balkankrieg: Bulgarische Artilleriestellung während der Belagerung von<br />

Adrianopel (Edirne), Januar 19<strong>13</strong>.<br />

ullstein bild


des albanischen Siedlungsgebiets<br />

wurde dem Expansionsstreben der Serben,<br />

Griechen <strong>und</strong> Montenegriner<br />

durch die Großmächte entzogen, die<br />

einen unabhängigen Staat Albanien zu<br />

bilden beschlossen. <strong>Die</strong>se Unabhängigkeit<br />

war, wie sich zeigen sollte, durch<br />

innere Konflikte <strong>und</strong> starke auswärtige<br />

Nachbarn immer wieder bedroht. Zugleich<br />

gerieten andere Gebiete mit albanischer<br />

Bevölkerungsmehrheit unter<br />

die Herrschaft der vergrößerten Balkanstaaten;<br />

die heutigen Minderheitenprobleme<br />

in Serbien, Montenegro <strong>und</strong><br />

Mazedonien, auch in Nordgriechenland<br />

gehen darauf zurück. Hierin liegt<br />

auch der Ursprung des nach wie vor<br />

bestehenden Kosovo-Problems.<br />

Der Zweite Balkankrieg 19<strong>13</strong><br />

Mit den Ergebnissen des Londoner<br />

Friedens zeigte sich Bulgarien nicht zufrieden.<br />

Zwar hatte dieses Land unter<br />

enormen Opfern Ostthrakien mit<br />

Edirne erobert, doch das symbolträchtige<br />

Hauptziel: die Besetzung bzw. –<br />

aus christlich-romantischer Sicht – die<br />

»Befreiung« Konstantinopels war gescheitert.<br />

Hingegen hatten Bulgariens<br />

Verbündete Serbien <strong>und</strong> Griechenland<br />

weit mehr Land erobert. Problematisch<br />

wurde die Weigerung Serbiens, auf<br />

große Teile des eroberten Mazedoniens<br />

zugunsten Bulgariens zu verzichten.<br />

Vorangegangen war diesem Schritt<br />

Serbiens die Verzichtsforderung seitens<br />

der Bulgaren. <strong>Die</strong> verbündeten<br />

Nationen waren sich in der Frage uneins,<br />

ob die Bewohner dieser Region eigentlich<br />

Serben oder Bulgaren oder<br />

Griechen seien; hinzu kam, dass der<br />

neue Staat Albanien Serbien den Weg<br />

zur Adria verbaute, weshalb Belgrad<br />

im Raum Skopje zu keinerlei Kompromissen<br />

bereit war. Serbien <strong>und</strong> Griechenland<br />

verbündeten sich bereits kurz<br />

nach dem Londoner Frieden, <strong>und</strong> das<br />

isolierte Bulgarien suchte sein Heil im<br />

Überraschungsangriff: Im Juni 19<strong>13</strong> begann<br />

der Zweite Balkankrieg um die<br />

Beute aus dem Ersten. Dabei hielt die<br />

geschwächte bulgarische Armee den<br />

neuen Feinden nicht lange stand, zumal<br />

Bulgarien auch noch durch das<br />

bisher neutrale Rumänien <strong>und</strong> das im<br />

Ersten Balkankrieg besiegte Osmanenreich<br />

im Rücken angegriffen wurde.<br />

Im Frieden von Bukarest (Juli 19<strong>13</strong>)<br />

musste Bulgarien den Siegern alle gewünschten<br />

territorialen Zugeständnisse<br />

machen. Im Separatfrieden von<br />

Konstantinopel holte sich das Osma-<br />

5 Zweiter Balkankrieg: Gefangene bulgarische Soldaten auf dem Marsch durch Saloniki,<br />

August 19<strong>13</strong>.<br />

nische Reich das geostrategisch wie<br />

symbolisch wichtige Edirne zurück –<br />

eine alte osmanische Sultansresidenz<br />

<strong>und</strong> das wichtigste Bollwerk für die<br />

Hauptstadt Konstantinopel.<br />

Für die meisten Staaten Europas galt<br />

damals die Norm der möglichst auf<br />

militärische Auseinandersetzungen begrenzten<br />

Staatenkriege, zu deren Einhegung<br />

1899/1907 die Haager Landkriegsordnung<br />

geschaffen worden<br />

war; auch Bulgarien, Griechenland,<br />

Montenegro, Rumänien <strong>und</strong> Serbien<br />

sowie die Türkei hatten den Vertrag<br />

1907 unterzeichnet. Auf dem Balkan<br />

aber fanden <strong>1912</strong>/<strong>13</strong> regelrechte »ethnische<br />

Bürgerkriege« statt, deren Brutalität<br />

sich aus dem völligen Verzicht<br />

auf die Unterscheidung von Soldaten<br />

<strong>und</strong> Zivilisten ergab. Das grausame<br />

Vorgehen gegen unerwünschte Teile<br />

der Zivilbevölkerung verfolgte das<br />

Ziel, durch Ermordung oder Vertreibung<br />

ganzer Volksgruppen in ethnisch<br />

bisher gemischten Gebieten größere<br />

»nationale« Einheitlichkeit zu erzwingen.<br />

Eine durch Furcht vor Massenmord<br />

ausgelöste panikartige Flucht<br />

der muslimischen Bevölkerung vor der<br />

serbischen Armee <strong>und</strong> der christlichen<br />

Bevölkerung vor muslimischen Aktionen<br />

erlebte der deutsche Journalist<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

ullstein bild


<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> <strong>1912</strong>/<strong>13</strong><br />

5 <strong>Erster</strong> Balkankrieg: Montenegrinische Soldaten in Skutari (Shkoder) überwachen<br />

die Rückkehr vertriebener Einwohner in die Innenstadt, März 19<strong>13</strong>.<br />

Carl Pauli im Herbst <strong>1912</strong> in der mazedonischen<br />

Hauptstadt Üsküb, dem<br />

heutigen Skopje, von dessen 47 000<br />

Einwohnern 30 000 Muslime waren.<br />

Pauli berichtete:<br />

»<strong>Die</strong> Einheimischen suchten so rasch<br />

als möglich die Stadt zu verlassen, die<br />

Christen in ihrer Furcht vor einem [türkischen]<br />

Gemetzel, die Türken in ihrer<br />

Angst vor einem Bombardement der<br />

Stadt [...] Auf allen Seiten drängten die<br />

Massen heran <strong>und</strong> strömten gegen den<br />

Bahnhof [...] Alle die H<strong>und</strong>erte leer liegenden<br />

Lastwagen waren besetzt; zu<br />

H<strong>und</strong>erten hockten Weiber <strong>und</strong> Kinder<br />

in einem Wagen, <strong>und</strong> auch auf den<br />

Wagendächern hockten die kläglichen<br />

Gestalten der armen türkischen Frauen<br />

mit ihren weinenden Kindern <strong>und</strong> mit<br />

dem in Todesangst zusammengerafften<br />

Bündel. Und der kalte Regen rieselte<br />

mitleidlos über dem unsäglichen<br />

Jammer [...] Menschenknäuel, Flüchtlinge,<br />

die nur das eine riefen, baten<br />

<strong>und</strong> bettelten, mussten <strong>und</strong> kannten:<br />

Fort, Flucht, Hilfe! [...] Alles planlos,<br />

verwirrt, ohne Kopf <strong>und</strong> ohne Sinn. Es<br />

war die Todesfurcht, die Angst vor etwas<br />

nie erlebtem, die alle Menschen<br />

gleichmäßig gepackt hatte, <strong>und</strong> da gab<br />

es kein Halten mehr.«<br />

Zur selben Zeit herrschte in der von<br />

den Bulgaren bedrohten osmanischen<br />

Hauptstadt Konstantinopel das Gerücht,<br />

die Muslime wollten dort aus<br />

Rache alle »Fremden« ermorden. Zugleich<br />

ging eine andere »alte Prophe-<br />

8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

zeiung« unter Muslimen um: Es werde<br />

eine Zeit kommen, in der die alte kleinasiatische<br />

Hauptstadt Brussa, wo die<br />

Grabstätten der ersten Sultane liegen,<br />

wieder zur Hauptstadt der Türkei<br />

werde. Das türkische Volk werde dann<br />

in Anatolien einen eigenen Nationalstaat<br />

errichten, der ausschließlich ihm<br />

gehöre <strong>und</strong> keine fremden Rassen<br />

mehr als Mitbesitzer dulden werde. In<br />

diesem erträumten <strong>und</strong> schon bald von<br />

Atatürk (mit der Hauptstadt Ankara<br />

statt Brussa) realisierten anatolisch-türkischen<br />

Kernstaat war für christliche<br />

Minderheiten kaum noch Platz.<br />

<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> von <strong>1912</strong>/<strong>13</strong> führten<br />

nicht nur zu massenhaften Vertreibungen,<br />

sie erzeugten auch die ersten<br />

bilateralen Abkommen über »Bevölkerungsaustausch«.<br />

Das erste war der<br />

19<strong>13</strong> in Konstantinopel geschlossene<br />

Friedensvertrag zwischen dem Osmanischen<br />

Reich <strong>und</strong> Bulgarien. Es handelte<br />

sich um einen Frieden zwischen<br />

zwei geschwächten, hintereinander besiegten<br />

Staaten, <strong>und</strong> gerade diese beiderseitige<br />

Erschöpfung ermöglichte<br />

die Vereinbarung eines wechselseitigen<br />

»Bevölkerungstransfers«. <strong>Die</strong>se<br />

Vereinbarung war allerdings auf eine<br />

nur »15 km lange Zone entlang der gemeinsamen<br />

Grenze« beschränkt <strong>und</strong><br />

blieb hypothetisch, da die betroffenen<br />

48 000 Bulgaren <strong>und</strong> 49 000 Türken bereits<br />

während des Krieges »emigriert«<br />

waren. Beiden Regierungen ging es daher<br />

primär darum, die ethnischen<br />

ullstein bild<br />

»Säuberungen« völkerrechtlich zu bestätigen<br />

<strong>und</strong> die zurückgelassenen Vermögenswerte<br />

miteinander zu verrechnen.<br />

<strong>Die</strong> wenig später herbeigeführte griechisch-osmanische<br />

Ȇbereinkunft zu<br />

einem Bevölkerungsaustausch« vom<br />

Frühsommer 1914 hatte andere Hintergründe,<br />

denn Griechenland gehörte zu<br />

den Siegerstaaten der <strong>Balkankriege</strong>.<br />

Gerade deshalb wollte das in Konstantinopel<br />

regierende »jungtürkische« Regime<br />

die an der kleinasiatischen Küste<br />

siedelnden r<strong>und</strong> eine Million Griechen<br />

nicht mehr dulden. Seit Anfang 1914<br />

wurden 150 000 Griechen zur Flucht<br />

nach Griechenland getrieben, weitere<br />

50 000 nach Zentralanatolien deportiert.<br />

Dadurch sah sich die griechische<br />

Regierung gezwungen, dem osmanischen<br />

Vorschlag zuzustimmen, die<br />

hellenische Bevölkerung Thrakiens<br />

<strong>und</strong> Westanatoliens (die Region um<br />

Smyrna) gegen muslimische Einwohner<br />

Makedoniens <strong>und</strong> des Epiros auszutauschen.<br />

Infolge des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />

wurden die vertraglichen Regelungen<br />

nicht mehr ratifiziert.<br />

Der Unterschied zur osmanisch-bulgarischen<br />

Konvention lag bei dieser osmanisch-griechischen»Absichtserklärung«<br />

darin, dass sie eine wesentlich<br />

größere Zahl von Menschen (über eine<br />

Million) innerhalb eines viel größeren<br />

Raumes hätte betreffen sollen. Der<br />

griechisch-türkische »Bevölkerungsaustausch«<br />

von Lausanne 1923, der einen<br />

weiteren Krieg beendete, griff<br />

dann bekanntlich noch sehr viel weiter<br />

aus. Dabei wurde der Lausanner Frieden<br />

während des Zweiten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />

für einige der gegen Hitler-Deutschland<br />

kämpfenden Alliierten – namentlich<br />

für die Polen <strong>und</strong> Tschechoslowaken,<br />

aber auch für die Briten <strong>und</strong> US-<br />

Amerikaner – zu einem wesentlichen<br />

Vorbild für die geplante <strong>und</strong> ab 1944/45<br />

in die Tat umgesetzte Vertreibung <strong>und</strong><br />

Zwangsaussiedlung von zwölf bis<br />

fünfzehn Millionen Deutschen aus den<br />

»Ostgebieten» des Deutschen Reiches.<br />

Vorspiel für den Ersten <strong>Weltkrieg</strong><br />

<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> von <strong>1912</strong>/<strong>13</strong> verschärften<br />

weitere Konflikte. Der damals<br />

als verfolgter Kommunist aus<br />

dem Zarenreich emigrierte <strong>und</strong> als Balkan-Korrespondent<br />

tätige spätere so-


wjetische Spitzenpolitiker Leo Trotzki<br />

interviewte <strong>1912</strong> Andranik Toros Ozanian,<br />

der eine armenische Freiwilligenmiliz<br />

zur Unterstützung der bulgarischen<br />

Armee gegen die Osmanen aufstellte.<br />

Ozanian legte Wert auf die Feststellung,<br />

dass er »gegen die türkische<br />

Zivilbevölkerung [...] niemals irgendwelche<br />

feindlichen Aktionen unternommen«<br />

habe. Doch als Trotzki im<br />

November <strong>1912</strong> in Sofia auf Verw<strong>und</strong>ete<br />

dieser armenischen Truppe traf,<br />

gaben diese zu, unterdessen türkische<br />

Zivilisten massakriert zu haben. Zur<br />

Rechtfertigung beriefen sie sich auf<br />

zwanzig Jahre zurückliegende osmanische<br />

»Armenier-Pogrome«, an die<br />

sich jeder Armenier noch gut erinnern<br />

könne. Nach Beginn des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />

stellten sich solche Freiwilligenverbände<br />

osmanischer Armenier<br />

sofort auf die Seite der Russen – des<br />

Kriegsgegners der Osmanen. <strong>Die</strong>s wiederum<br />

bot Anlass <strong>und</strong> mehr noch Vorwand<br />

für die osmanische Verfolgung<br />

sämtlicher Armenier ab 1915: Auch<br />

hilflose Frauen <strong>und</strong> Kinder wurden als<br />

»Verräter« eingestuft <strong>und</strong> unter grausamen<br />

Umständen nach Mesopotamien<br />

deportiert. Den Tod zahlreicher<br />

Menschen kalkulierten die türkischen<br />

Verantwortlichen in die Aktion ein. Ein<br />

Teil der Opfer kam durch gezielte<br />

Mordaktionen um, was die staatlich organisierte<br />

Operation nach Ansicht vieler<br />

Historiker zu einem Genozid (Völkermord)<br />

machte.<br />

Nach den <strong>Balkankriege</strong>n erlebte Südosteuropa<br />

eine kurze Friedenspause.<br />

Doch schon im Sommer 1914 begann<br />

der Erste <strong>Weltkrieg</strong>, der auf dem Balkan<br />

womöglich noch grausamer geführt<br />

wurde als andernorts. <strong>Die</strong> österreichisch-ungarischen<br />

<strong>und</strong> deutschen<br />

Besatzer Serbiens <strong>und</strong> Montenegros sahen<br />

sich ab 1915/16 mit einem Partisanenkrieg<br />

konfrontiert <strong>und</strong> reagierten<br />

mit harten Repressalien gegen die Zivilbevölkerung.<br />

In Serbien soll während<br />

des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es ein Viertel<br />

der gesamten Bevölkerung umgekommen<br />

sein. Als ihre Besatzungsherrschaft<br />

in Montenegro 1918 zusammenbrach,<br />

massakrierten die Montenegriner<br />

sofort massenhaft Albaner <strong>und</strong><br />

Muslime. Im Kosovo ließ der <strong>Weltkrieg</strong><br />

einen schon seit <strong>1912</strong> dauernden Kampf<br />

zwischen Serben <strong>und</strong> Albanern ungehindert<br />

eskalieren; <strong>und</strong> dieser Nationalitätenkonflikt<br />

ging dort (wie auch<br />

an vielen anderen Orten des Balkans)<br />

auch nach Ende des <strong>Weltkrieg</strong>es jahrelang<br />

weiter. Bulgarien, ab 1915 Verbündeter<br />

der Deutschen <strong>und</strong> Österreicher,<br />

hatte im <strong>Weltkrieg</strong> Serbisch-Makedonien<br />

<strong>und</strong> das Kosovo besetzt <strong>und</strong> dort<br />

derart brutal gewütet, dass Aufstände<br />

die Folge waren. Der Historiker Misha<br />

Glenny bezeichnet daher den Ersten<br />

<strong>Weltkrieg</strong> auf dem Balkan als eine Art<br />

»Dritten Balkankrieg«. <strong>Die</strong> Gewalt <strong>und</strong><br />

der dadurch erzeugte gegenseitige<br />

Hass dieser Kriege wirkten lange nach.<br />

<strong>Die</strong>se gegenseitige Gewalt wurde im<br />

Zweiten <strong>Weltkrieg</strong> auf mindestens<br />

ebenso grausame Weise eine Generation<br />

später erneuert – <strong>und</strong> wieder nicht<br />

vergessen.<br />

Seit jeher erklären viele die hier geschilderte<br />

Gewalt mit vorgeblich uralten<br />

nationalen Gegensätzen auf dem<br />

Balkan. Doch die interethnische Gewalt<br />

basierte nicht nur auf »uraltem«<br />

Hass, sondern war primär die brutale<br />

Folge neuartiger Modernisierungs-<br />

<strong>und</strong> »Verwestlichungsprozesse«. <strong>Die</strong><br />

intolerante nationalistische Ideologie<br />

selbst, welche die traditionellen Vielvölkerreiche<br />

infrage stellte <strong>und</strong> sie<br />

schließlich zerstörte, war ein westeuropäischer<br />

Import. <strong>Die</strong>se Ideologie wurde<br />

durch das moderne Schulwesen unter<br />

den zuvor analphabetischen Bauern<br />

des Balkans verbreitet. Ein weiterer Import<br />

erfolgte durch das Militär, das<br />

westliche Vorbilder hatte <strong>und</strong> das für<br />

eine flächendeckende »ethnische«<br />

Kriegführung unerlässlich war. <strong>Die</strong><br />

Gewalttaten der <strong>Balkankriege</strong> dienten<br />

nicht nur – wie frühere – der spontanen<br />

Rache <strong>und</strong> Plünderung, bei denen der<br />

Effekt ethnischer »Säuberung« eher nebenbei<br />

eintrat, sondern sie dienten der<br />

Vertreibung als vorgeplantes Hauptziel.<br />

Historiker haben festgestellt, dass<br />

derart massive Flucht- <strong>und</strong> Vertreibungsprozesse<br />

vor 1914 untypisch für<br />

den Rest von Europa gewesen <strong>und</strong> erst<br />

durch die Ereignisse des Zweiten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />

übertroffen worden seien – sowohl<br />

was die Opferzahlen als auch was<br />

die räumliche Ausdehnung der Vertreibungen<br />

anbelangt. Für den Balkan<br />

konstatierte 1914 die Carnegie-Kommission<br />

– eine international besetzte,<br />

von der privaten Stiftung eines US-<br />

Multimillionärs finanzierte Untersuchungskommission,<br />

welche die Kriegsgebiete<br />

19<strong>13</strong> bereist hatte – für Mazedonien<br />

<strong>und</strong> Thrazien eine regelrechte<br />

Völkerwanderung mit zahlreichen Todesopfern.<br />

Türken seien vor Christen<br />

geflüchtet, Bulgaren vor Griechen <strong>und</strong><br />

Türken, Griechen <strong>und</strong> Türken vor Bulgaren,<br />

Albaner vor Serben. Später haben<br />

Historiker die Opferzahlen nachgeliefert.<br />

Von dort bei Kriegsbeginn lebenden<br />

2,3 Millionen Muslimen waren<br />

bei Kriegsende Mitte 19<strong>13</strong> – neun Monate<br />

später – nur noch 1,4 Millionen<br />

vorhanden. 632 000 Menschen (27 Prozent)<br />

sollen durch Massaker, Fluchtstrapazen<br />

oder Seuchen zu Tode gekommen<br />

sein. Zwar hatten auch türkische<br />

Soldaten <strong>und</strong> albanische Muslime Verbrechen<br />

verübt, doch nach Kriegsende<br />

sahen sich die verbliebenen Muslime<br />

harter christlicher Herrschaft ausgeliefert,<br />

die durch Diskriminierung eine<br />

scheinbar freiwillige Auswanderung<br />

von Muslimen bewirkte oder letztere<br />

zu weitgehender Unterwerfung <strong>und</strong><br />

Anpassung zwang. Zu dieser auf bedingungslose<br />

Assimilation zielenden<br />

»Nationalitätenpolitik« der Balkanstaaten<br />

nach <strong>1912</strong>/<strong>13</strong> bemerkte die britische<br />

Publizistin Mary Edith Durham<br />

(eine Verteidigerin der Albaner <strong>und</strong><br />

Anklägerin der Serben) später sarkastisch:<br />

»So manches englische Dorf<br />

würde sich für indianisch erklären,<br />

wenn fünftausend bewaffnete Männer<br />

dies verlangten – <strong>und</strong> im Weigerungsfalle<br />

es mit der Vernichtung bedrohen.«<br />

<strong>Die</strong> Gewaltgeschichte des Balkans ist<br />

eine wesentliche (aber nicht alleinige)<br />

Ursache für die blutigen Bürgerkriege<br />

Ende des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts. Das multiethnische<br />

Jugoslawien brach schließlich<br />

in den 1990er Jahren auseinander.<br />

Ob die durch Kriegsintervention oder<br />

mit Friedensmissionen dort engagierten<br />

internationalen Organisationen der<br />

UN, der NATO <strong>und</strong> der EU diese Spirale<br />

der Gewalt werden eindämmen<br />

können, ist ungewiss. Auch wenn wir<br />

heute vorsichtig optimistisch sein wollen,<br />

gilt immer noch, was der österreichische<br />

Historiker Carl von Sax schon<br />

vor h<strong>und</strong>ert Jahren – kurz nach den<br />

<strong>Balkankriege</strong>n <strong>und</strong> kurz vor dem Ersten<br />

<strong>Weltkrieg</strong> – feststellte: »Ruhe wird<br />

[...] überhaupt nicht eher eintreten, als<br />

bis der blinde Nationalfanatismus,<br />

diese moderne Geißel der Menschheit,<br />

durch Vernunft, Kultur <strong>und</strong> Humanitätssinn<br />

überw<strong>und</strong>en sein wird.«<br />

� Michael Schwartz<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

9


Ermattungs- oder Vernichtungsstrategie?<br />

ullstein bild<br />

Ermattungs- oder<br />

Vernichtungsstrategie?<br />

<strong>Die</strong> Kriegführung der <strong>2.</strong> <strong>und</strong> <strong>3.</strong> Obersten Heeresleitung (<strong>OHL</strong>)<br />

Im September 1914 war der Erste<br />

<strong>Weltkrieg</strong> bereits verloren! So könnte<br />

das Fazit lauten, wenn die operativen<br />

<strong>und</strong> strategischen Planungen des<br />

deutschen Generalstabes vor dem Krieg<br />

begründet waren. Angesichts der politischen<br />

<strong>und</strong> militärischen Rahmenbedingungen<br />

eines Zweifrontenkrieges<br />

sowie der begrenzten personellen <strong>und</strong><br />

materiellen Ressourcen Deutschlands<br />

schien nur der Vernichtungsgedanke<br />

eines »Schlieffenplans« den notwendigen<br />

schnellen Sieg zu ermöglichen.<br />

Insbesondere dem Zeitfaktor kam dabei<br />

eine existenzielle Bedeutung zu.<br />

Folgerichtig wurden die Erfolgsaussichten<br />

einer naturgemäß lang anzulegenden<br />

Ermattungsstrategie für das<br />

Deutsche Reich vor 1914 als äußerst gering<br />

bewertet. Dennoch führte die <strong>2.</strong> <strong>OHL</strong><br />

(1914–1916) in den folgenden Kriegsjahren<br />

mit General Erich von Falken-<br />

10 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

hayn ein Offizier, der »gegenüber der<br />

neuzeitlichen Waffenwirkung fortan<br />

Vernichtungsschläge von feldzugentscheidender<br />

Wirkung für ausgeschlossen«<br />

hielt.<br />

Daher stand seine Kriegführung unter<br />

dem Vorzeichen einer Ermattungsstrategie,<br />

so die allgemeine Forschungsmeinung.<br />

Seit Sommer 1916 hätten<br />

dann mit Paul von Hindenburg <strong>und</strong><br />

Erich Ludendorff zwei Offiziere die<br />

<strong>3.</strong> <strong>OHL</strong> (1916–1918) geführt, die aufgr<strong>und</strong><br />

ihrer Vorverwendungen auf<br />

dem östlichen Kriegsschauplatz eher<br />

offensiv geprägt waren <strong>und</strong> daher die<br />

Entscheidung im Westen 1918 wiederum<br />

klassisch durch militärische Vernichtung<br />

der Gegner suchten.<br />

Der Frage eines Strategiewechsels<br />

gilt im Folgenden die Analyse aus einer<br />

betont militärhistorischen Perspektive<br />

»von oben«, die einen Zugang zum<br />

Erich Ludendorff (1865–1937) mit einem Offizier eine<br />

Landkarte betrachtend:<br />

3Planung ...<br />

6... <strong>und</strong> Realität: Stellungskrieg 1916.<br />

Verständnis der handelnden militärischen<br />

Führer aus der ihnen zugänglichen<br />

taktischen <strong>und</strong> operativen Gedankenwelt<br />

ermöglicht. Anders gefragt:<br />

Wie ist der operative Ansatz unter<br />

den während des Krieges gegebenen<br />

strategischen Zielsetzungen <strong>und</strong> Rahmenbedingungen<br />

zu bewerten? <strong>Die</strong>s<br />

soll anhand des militärischen Vorgehens<br />

der Führer der <strong>2.</strong> <strong>und</strong> <strong>3.</strong> <strong>OHL</strong>, der<br />

Generale Falkenhayn bzw. Ludendorff,<br />

untersucht werden.<br />

Operatives Denken<br />

Vernichtungsstrategie auf der einen<br />

<strong>und</strong> Ermattungsstrategie auf der anderen<br />

Seite waren deutschen Generalstabsoffizieren<br />

spätestens durch den<br />

Strategiestreit mit dem zivilen Historiker<br />

Hans Delbrück wohlvertraut. Beide<br />

Süddeutsche Zeitung Photo<br />

Logo der Reihe »Strategie«<br />

unter Verwendung eines Bildes<br />

von bpk/Antikensammlung;<br />

Foto: Jürgen Liepe;<br />

Gestaltung: MGFA


Erich von Falkenhayn (1861–1922).<br />

Strategien sollten dem gleichen Ziel<br />

dienen: »Das Niederwerfen des Feindes<br />

ist das Ziel des Krieges«, so der Vordenker<br />

Carl von Clausewitz, der hinzufügte,<br />

dass die »Vernichtung der<br />

feindlichen Streitkräfte das Mittel« sei.<br />

Demnach gehörte in der deutschen Militärtheorie<br />

des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts das<br />

Niederwerfen als Ziel zur strategischen<br />

Ebene <strong>und</strong> erforderte weitaus mehr als<br />

militärische Mittel. <strong>Die</strong> Vernichtung<br />

der feindlichen Streitkräfte betraf dagegen<br />

die operative Ebene. Wichtig ist<br />

festzuhalten, dass sowohl eine Vernichtungs-<br />

als auch eine Ermattungskriegführung<br />

zugleich beide Elemente,<br />

Angriff <strong>und</strong> Verteidigung, beinhalten<br />

konnte. In diesem Zusammenhang<br />

hieß »Vernichtung« für die Offiziere<br />

des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>s nichts anderes,<br />

als die Feinde »so vollkommen niederzuwerfen,<br />

dass sie bedingungslos um<br />

Frieden bitten müssten« (Falkenhayn).<br />

Sie bedeutete aber nicht einmal ansatzweise<br />

die Vernichtung der Bevölkerung<br />

oder gar die Durchführung eines<br />

Genozids.<br />

In Deutschland wurde <strong>und</strong> wird jedem<br />

Offizier auf allen Führungsebenen<br />

das Führen mit Auftrag (kurz: Auftragstaktik)<br />

als zentrales Führungsdenken<br />

vermittelt. Das heißt mit den<br />

prägenden Worten Moltkes, dass der<br />

Vorgesetzte das übergeordnete Ziel bekannt<br />

gibt, <strong>und</strong> all das, »aber auch nur<br />

das« befiehlt, »was der Untergebene<br />

ullstein bild<br />

Paul von Hindenburg (1847–1934).<br />

zur Erreichung eines bestimmten<br />

Zweckes nicht selbständig bestimmen<br />

kann«. Ansonsten blieb <strong>und</strong> bleibt es<br />

dem Untergebenen überlassen, wie er<br />

den Auftrag erfüllt, frei von Schemadenken,<br />

Spielraum nutzend <strong>und</strong> selbstständig<br />

Initiative zeigend. <strong>Die</strong>ses Denken<br />

kooperierte mit der operativen<br />

Führung, auch hier war Statisches verpönt.<br />

Vielmehr galt es, die Möglichkeiten<br />

des Handelns abzuwägen; Folgerungen<br />

mussten in einen Entschluss<br />

münden, an dem dann aber zunächst<br />

mit aller Kraft festzuhalten war.<br />

Auf operativer Ebene ging es um die<br />

Planung von verfügbaren Kräften nach<br />

Raum <strong>und</strong> Zeit sowie um die Beurteilung<br />

der eigenen <strong>und</strong> der gegnerischen<br />

Kampfkraft. Dabei hatte der militärische<br />

Führer das von der Strategie –<br />

modern ausgedrückt: Politik – vorgegebene<br />

Ziel mit höchster Aussicht auf<br />

Erfolg zu erreichen. Angesichts dieser<br />

Vorgabe besaßen die Kriegführungen<br />

Falkenhayns <strong>und</strong> Ludendorffs bei allen<br />

Unterschieden auch Gemeinsamkeiten:<br />

1. Für beide war eine entscheidende<br />

Voraussetzung aller Planungen<br />

gleich; sie hatten die Operationen<br />

so zu führen, dass am Ende ein –<br />

wie auch immer gearteter – militärischer<br />

Erfolg mit politischen Gewinnen<br />

stand.<br />

<strong>2.</strong> Ob Abnutzungs- oder Vernichtungsstrategie:<br />

In beiden konnten<br />

ullstein bild<br />

sowohl Angriffs- als auch Verteidigungsoperationengleichermaßen<br />

zum Tragen kommen.<br />

<strong>3.</strong> <strong>Die</strong> rein militärischen Führungsprozesse<br />

in der <strong>OHL</strong> waren bis<br />

zum Sommer 1918 immer nüchtern<br />

lage- <strong>und</strong> kriegsorientiert.<br />

Hinzu traten operative <strong>und</strong> strategische<br />

Rahmenbedingungen, die für<br />

beide Akteure während des gesamten<br />

Kriegs letztlich gleich blieben:<br />

1. Von Anfang an waren die Deutschen<br />

ihren Gegnern materiell<br />

<strong>und</strong> personell deutlich unterlegen.<br />

<strong>2.</strong> Das sich ständig verschlechternde<br />

Kräfteverhältnis konnte nur in begrenztem<br />

Rahmen durch eine<br />

überlegene Taktik <strong>und</strong> ein überlegenes<br />

Führungsdenken ausgeglichen<br />

werden. Daher war der Faktor<br />

Zeit ein dominierendes Element<br />

bei allen Beurteilungen der Lage.<br />

<strong>3.</strong> Eine für die Vernichtungsstrategie<br />

notwendige Angriffsoperation mit<br />

dem Ziel der »Zerstörung der<br />

feindlichen Streitmacht« bedurfte<br />

im Schwerpunkt einer deutlichen<br />

Kräfteüberlegenheit. Angesichts<br />

der eigenen Kräfte waren damit<br />

Angriffe bei dem gegebenen<br />

Mehrfrontenkrieg auf operativer<br />

Ebene nur örtlich <strong>und</strong> zeitlich eng<br />

begrenzt zu führen.<br />

Falkenhayns Operationsführung<br />

Unsicher <strong>und</strong> gefährlich – so stellte<br />

sich die strategische Lage für Falkenhayn<br />

im November 1914 dar. Im Westen<br />

stand das Heer zwei etwa gleichstarken<br />

Gegnern gegenüber, die ebenso<br />

wie die Deutschen notgedrungen begonnen<br />

hatten, sich an der gesamten<br />

Front einzugraben. Unbestritten kommt<br />

Falkenhayn, so der Historiker Holger<br />

Afflerbach, das Verdienst zu, im November<br />

1914 »die ungünstige Lage erkannt<br />

<strong>und</strong> seine weitere Strategie nach<br />

ihr ausgerichtet zu haben«. Angesichts<br />

der skizzierten Lage sei Falkenhayn<br />

davon ausgegangen, dass der Krieg für<br />

ihn schon dann gewonnen wäre, wenn<br />

er nicht verloren würde. Eine diplomatische<br />

Lösung sollte, so unrealistisch<br />

sie auch im Rückblick erscheint, den<br />

Ausweg weisen. Andererseits waren<br />

der Kaiser, die Armee <strong>und</strong> die Bevölkerung<br />

noch fest davon überzeugt, den<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

11


Ermattungs- oder Vernichtungsstrategie?<br />

»Ermattungsstrategie«? Deutsche Soldaten in der »Knochenmühle« Verdun.<br />

Krieg mit einem »Sieg-Frieden« beenden<br />

zu können. Das bedeutete aber im<br />

Umkehrschluss eine Erwartungshaltung<br />

oder – militärisch formuliert –<br />

eine Vorgabe, der die Operationsplanung<br />

zu folgen hatte: Ein Kriegsende,<br />

dass aus Sicht des Deutschen Reiches<br />

nur die Situation vor 1914 wiederherstellen<br />

oder gar eine reduzierte Machtposition<br />

des Reiches zur Folge haben<br />

würde, war unbedingt zu verhindern.<br />

<strong>Die</strong> erhofften diplomatischen Verhandlungen<br />

mussten jedoch aus einer<br />

Position der Stärke heraus geführt werden.<br />

Doch wie war Stärke militärisch<br />

zu demonstrieren? Offensive benötigt<br />

Überlegenheit an Feuerkraft <strong>und</strong> an<br />

Soldaten sowie den Raum zum Operieren.<br />

<strong>Die</strong> Erfolge Hindenburgs <strong>und</strong> Ludendorffs<br />

im Osten hatten zwar gezeigt,<br />

dass großräumiges Operieren<br />

mit der Inkaufnahme von Lücken <strong>und</strong><br />

zeitlich begrenzter Schwerpunktbildungen<br />

personelle Unterlegenheit auszugleichen<br />

vermochten. Im Westen gab<br />

es jedoch nach dem Scheitern der deut-<br />

12 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

sche Offensive 1914 weder Personal,<br />

Material noch den Raum für weitere<br />

Offensiven. Eine offensive Kriegführung<br />

verbot sich dort wegen mangelnder<br />

Aussicht auf Erfolg für 1915 daher<br />

von selbst.<br />

Damit war der Rahmen für die Operationsführung<br />

des Jahres 1915 vorgegeben.<br />

Es galt, das Eroberte zu halten<br />

<strong>und</strong> dort offensiv zu werden, wo erwartbare<br />

Erfolge nach innen <strong>und</strong> außen<br />

die eigene Verhandlungsposition<br />

stärken konnten. Halten im Westen<br />

<strong>und</strong> großräumige Offensiven im Osten<br />

waren demnach Ergebnisse eines gemeinsamen<br />

militärstrategischen Ansatzes.<br />

Im Rückblick erweist sich das Jahr<br />

1915 für die Mittelmächte als das erfolgreichste<br />

des Krieges. Im Westen<br />

<strong>und</strong> auf den Dardanellen wurden<br />

feindliche Angriffe erfolgreich abgewehrt<br />

<strong>und</strong> im Osten gelangen große<br />

operative Raumgewinne. Doch dem eigentlichen<br />

Ziel, dem nun einmal eine<br />

erfolgreiche Ermattungsstrategie zu-<br />

gr<strong>und</strong>e liegt, kam Falkenhayn 1915<br />

nicht einen Schritt näher. Der Gegner<br />

konnte nicht zum Frieden gezwungen<br />

werden. <strong>Die</strong> für Angriffe notwendige<br />

örtliche Überlegenheit von mindestens<br />

drei zu eins, an welcher Front auch immer,<br />

hätte die anderen Fronten existenzbedrohend<br />

von Kräften entblößt.<br />

Zugleich zeigte das Beispiel der französischen<br />

Offensiven 1915 warnend,<br />

dass auch Angriffe mit deutlich überlegenen<br />

Kräften »keinen durchschlagenden<br />

Erfolg garantierten«. Demnach<br />

hätte – wie 1914 – die zweite Variante<br />

zum Tragen kommen können: zu halten,<br />

um so den Gegner zu schwächen<br />

<strong>und</strong> auf eine politische Lösung zu setzen.<br />

Abwegig war dieser Ansatz nicht,<br />

wie ein Blick auf die Lage zum Jahresende<br />

1915 zeigt. Im Osten waren die<br />

Russen zwar nicht besiegt, aber nur<br />

noch zur Verteidigung fähig. In<br />

Deutschland war die Umstellung auf<br />

die Kriegswirtschaft erfolgreich angelaufen.<br />

Der notwendige Ersatz kam in<br />

die Regimenter. Vieles, was heute im<br />

Süddeutsche Zeitung Photo


Nachhinein als operativ fragwürdig erscheint,<br />

war zeitbedingt logisch entwickelt<br />

<strong>und</strong> bedurfte zunächst einmal des<br />

Scheiterns, um es als falsch zu erkennen.<br />

Das gilt auch für den operativen<br />

Ansatz Falkenhayns für das Jahr 1916.<br />

Er hatte gelernt, dass Russland durch<br />

eine Offensive nicht kriegsentscheidend<br />

zu schlagen war <strong>und</strong> ihm für eine<br />

entscheidende Offensive an der Westfront<br />

die Kräfte fehlten. <strong>Die</strong> Operation<br />

gegen Frankreich sollte daher keine<br />

mit hohen Opfern für Deutschland verb<strong>und</strong>ene<br />

Durchbruchsschlacht werden.<br />

Vielmehr sollten in der »Blutmühle«<br />

von Verdun nur die Franzosen<br />

verbluten <strong>und</strong> so zusammen mit den<br />

Erfolgen im U-Boot-Krieg die Briten<br />

zum Kriegsaustritt gezwungen werden.<br />

Falkenhayns Ansatz war ein bewusst<br />

strategischer. Er war auch nicht nur<br />

das Produkt einer aus Not geborenen<br />

Ermattungsstrategie des Novembers<br />

1914. Vielmehr war er Teil einer Strategie,<br />

die jetzt Züge einer Vernichtungsstrategie<br />

annahm. So kann es auch<br />

kaum verw<strong>und</strong>ern, dass die Truppe<br />

seine operativen Planungen für Verdun<br />

als offensive Vernichtung des Gegners<br />

missinterpretierte. Der Plan, den<br />

Gegner zu locken, um ihn dann im Artilleriefeuer<br />

ausbluten zu lassen, war<br />

zu konstruiert <strong>und</strong> scheiterte in einem<br />

ungeplanten Blutbad.<br />

Der Wechsel zu Ludendorff<br />

Der Wechsel in der <strong>OHL</strong> im August<br />

1916 hat etwas vom Wechseln der Trainer<br />

im Profimannschaftssport an sich.<br />

<strong>Die</strong> Mannschaft, ihre Gegner <strong>und</strong> die<br />

Regeln bleiben gleich. Und dennoch<br />

hofft man mit einer neuen Spitze auf<br />

eine entscheidende Neuausrichtung.<br />

Aber auch die neue, <strong>3.</strong> <strong>OHL</strong> stellte nach<br />

einer nüchternen Analyse im Herbst<br />

1916 fest, dass das Kräfteverhältnis<br />

<strong>und</strong> die Ressourcen am Jahresende<br />

1916 keine Möglichkeiten für eine<br />

kriegsentscheidende Offensive im Westen<br />

1917 bieten würden.<br />

<strong>Die</strong> strategische Hoffnung richtete<br />

sich nun auf den uneingeschränkten<br />

U-Boot-Krieg, der die Briten zum Frieden<br />

zwingen <strong>und</strong> so den Krieg beenden<br />

sollte. Offenk<strong>und</strong>ig war aber auch,<br />

dass die Alliierten 1917 die Entscheidung<br />

mit Angriffen an allen Fronten<br />

auf dem Kontinent suchen würden.<br />

Daher widmete sich Ludendorff nun<br />

vordringlich einer Aufgabe, die er meisterhaft<br />

beherrschte: Er ließ ein taktisches<br />

Verteidigungsverfahren entwickeln,<br />

um den Angreifer mit möglichst<br />

geringen eigenen Verlusten abwehren<br />

zu können. Der kongeniale operative<br />

Ansatz zu der neuen beweglichen<br />

Raumverteidigung war dann der operative<br />

Teilrückzug in die »Siegfriedstellung«<br />

im März 1917. Damit könnte der<br />

erfolgreiche operative Ansatz der<br />

Kräfte im Westen für 1917 sogar als<br />

noch defensiver als der Falkenhayns in<br />

den Vorjahren, vielleicht sogar als reine<br />

Ermattungsstrategie bewertet werden.<br />

<strong>Die</strong>se Wertung würde jedoch das Wesentliche<br />

aus dem Blick verlieren: Ludendorffs<br />

Defensive bereitete lediglich<br />

die erneute Offensive vor. Dabei fehlte<br />

der <strong>3.</strong> <strong>OHL</strong> jedoch der für Falkenhayn<br />

nachweisbare strategische Gesamtansatz.<br />

Ludendorff wollte den Krieg militärisch<br />

gewinnen. Realistische politische<br />

Optionen waren ihm fremd. Vor<br />

dem Hintergr<strong>und</strong> des Kriegseintritts<br />

der USA fehlte dem operativen Ansatz<br />

für die Offensive im Westen jedoch der<br />

gesamtstrategische Rahmen.<br />

Nur das Frühjahr 1918 erschien günstig.<br />

<strong>Die</strong> drei für den Hauptstoß der<br />

Operation Michael vorgesehenen Armeen<br />

besaßen jedoch nur bei einer Armee<br />

ein Kräfteverhältnis von drei zu<br />

eins bei den Divisionen, ansonsten war<br />

das Verhältnis etwa zwei zu eins.<br />

Der Ansatz 1918, mit einem überlegenen<br />

Stoß im Cambraibogen den Gegner<br />

zu umfassen <strong>und</strong> die Briten so zum<br />

Verlassen des Kontinents zu zwingen,<br />

war ein taktisch-operativer, kein strategischer.<br />

Maßgebend blieb der Faktor<br />

Zeit. Es gab nur ein enges Zeitfenster<br />

für einen erfolgversprechenden Angriff.<br />

In dem Augenblick, wo sich die<br />

militärische Potenz der USA auswirken<br />

würde, spätestens im Sommer<br />

1918, war der Krieg verloren.<br />

Ein Vergleich<br />

<strong>Die</strong> Operationsführung während des<br />

Ersten <strong>Weltkrieg</strong>s hat mehrfach zwischen<br />

offensiven <strong>und</strong> defensiven Planungen<br />

gewechselt. Eine scharfe Trennung<br />

zwischen einer Ermattungsstrategie<br />

Falkenhayns <strong>und</strong> der Vernichtungsstrategie<br />

Ludendorffs hat es aber<br />

Strategie<br />

nicht gegeben. Vielmehr nahm schon<br />

Falkenhayns Kriegführung für 1916<br />

Züge einer Vernichtungsstrategie an.<br />

Bezeichnend für diese These ist auch,<br />

dass Ludendorff ähnlich wie die <strong>2.</strong> <strong>OHL</strong><br />

zunächst einen defensiven operativen<br />

Ansatz wählte, weil er militärisch begründet<br />

war. Der Ansatz 1917, aus einer<br />

durch erfolgreiche Verteidigung<br />

gestärkten Position heraus im Folgejahr<br />

offensiv zu werden, verweist auf<br />

Parallelen in Falkenhayns Überlegungen<br />

Ende 1915. Daher liegt die<br />

Schlussfolgerung nahe, Falkenhayn<br />

hätte unter den Rahmenbedingungen<br />

des Jahresendes 1917 mit seinem Stab<br />

zu einem ähnlichen operativen Ansatz<br />

gelangen können wie Ludendorff. Das<br />

liegt in den militärischen Verfahren begründet,<br />

die verlangen, dass eine militärische<br />

Beurteilung der Lage immer<br />

alle Möglichkeiten des Handelns prüfen<br />

muss, offensive wie defensive. Im<br />

Zeitfenster März/April 1918 war der<br />

Ansatz, den Gegner mit einer Angriffsoperation<br />

zu vernichten, beim Abwägen<br />

gegenüber anderen Möglichkeiten<br />

des Handelns – orientiert an der Absicht<br />

der übergeordneten Führung –<br />

der am erfolgversprechendste.<br />

Der eigentliche Unterschied zwischen<br />

<strong>2.</strong> <strong>und</strong> <strong>3.</strong> <strong>OHL</strong> besteht nicht im<br />

operativen Denken oder einem Gegensatz<br />

von Abnutzungs- oder Vernichtungsstrategie.<br />

Er besteht vielmehr darin,<br />

dass Falkenhayn strategisch dachte,<br />

während Ludendorff in taktisch-operativen<br />

Dimensionen verhaftet blieb<br />

<strong>und</strong> damit seiner zugewiesenen politischen<br />

Rolle nicht gerecht wurde. Andernfalls<br />

hätte er erkennen können,<br />

dass selbst ein Durchbruch im Westen<br />

den Krieg nicht ohne ein strategisches<br />

Gesamtkonzept beendet hätte. Falkenhayn<br />

war ein strategischer Kopf mit<br />

beschränkter taktischer Begabung,<br />

während Ludendorff ein taktisches Genie<br />

mit großer Organisationsbegabung<br />

war, jedoch ohne die Fähigkeit, über<br />

den operativen Tellerrand hinaus zu<br />

denken.<br />

� Burkhard Köster<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

<strong>13</strong>


Auf dem Weg zum 20. Juli 1944<br />

Bis zum Attentat auf Hitler <strong>und</strong><br />

zu dem Umsturzversuch am<br />

20. Juli 1944 war es ein weiter<br />

Weg. Generalmajor Henning von<br />

Tresckow (1901–1944) war 1944 einer<br />

der führenden Offiziere des militärischen<br />

Widerstandes. Anfang der<br />

dreißiger Jahre hatte er noch als Oberleutnant<br />

für Hitler <strong>und</strong> den Nationalsozialismus<br />

Partei genommen, weil er<br />

auf die »nationale Wiedergeburt« einer<br />

»wehrfähigen« Nation gehofft<br />

hatte. <strong>Die</strong>s änderte sich gr<strong>und</strong>legend,<br />

als Hitler am 30. Juni 1934 bei der<br />

»Röhm-Affäre« die SA-Spitze, die innerparteiliche<br />

Opposition <strong>und</strong> konservative<br />

politische Gegner wie den ehemaligen<br />

Reichskanzler General Kurt<br />

von Schleicher mit Ehefrau ermorden<br />

ließ. Dem folgte Tresckows innere<br />

Abkehr von Hitler <strong>und</strong> dem NS-Regime.<br />

Als sich im Jahre 1938 erstmals<br />

ein zivil-militärischer Widerstand formierte,<br />

gehörte er dazu. Schließlich<br />

schloss sich Tresckow spätestens im<br />

Herbst 1939 dem Attentatsgedanken<br />

an, wie er von Oberst Hans Oster vertreten<br />

wurde, der Schlüsselfigur des<br />

Widerstandes im militärischen Nachrichtendienst.<br />

Der zivil-militärische<br />

Widerstand war am 28. September<br />

1938 <strong>und</strong> am 5. November 1939 einem<br />

Staatsstreich nahegekommen.<br />

Widerstand in Anlehnung an die<br />

militärische Hierarchie<br />

Im April 1940 – vor dem Angriff im<br />

Westen <strong>und</strong> nach dem vergeblichen<br />

Bemühen um einen Umsturz – traf sich<br />

Oberstleutnant i.G. (im Generalstab)<br />

von Tresckow mit seinem ehemaligen<br />

Regimentskameraden Hauptmann i.G.<br />

Wolf Graf von Baudissin. Es war ihr<br />

letztes Zusammentreffen. Tresckow<br />

zeigte sich skeptisch: Er meinte, der<br />

Angriff habe gute Erfolgsaussichten,<br />

aus politischer Sicht müsse aber auf ein<br />

Scheitern des Angriffs gehofft werden,<br />

denn bei einem Sieg wäre an Widerstand<br />

gegen Hitler kaum mehr zu denken.<br />

Widerstand durch Sabotage der<br />

eigenen Angriffsoperationen schloss<br />

Tresckow aus. <strong>Die</strong> Verantwortung für<br />

die eigenen Soldaten – sonst ein zentrales<br />

Motiv des Widerstandes – war<br />

für Tresckow in dieser Situation nicht<br />

mit seiner politischen Einsicht vereinbar.<br />

<strong>Die</strong>s änderte sich mit dem Ab-<br />

14 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

Auf dem Weg zum 20. Juli 1944.<br />

Henning von Tresckow<br />

im Jahre 1941<br />

schluss der Operationen in Frankreich.<br />

Am 24. Juni trat Tresckow an den Generalstabschef<br />

des Heeres General der<br />

Artillerie Franz Halder heran <strong>und</strong><br />

schlug die Durchführung des Attentats<br />

auf Hitler vor. Halder lehnte ab, indem<br />

er auf den Triumph Hitlers durch den<br />

Sieg über Frankreich verwies. Eine weitere<br />

solche Initiative Tresckows ist bis<br />

1941 nicht überliefert.<br />

Im Sommer 1940 begannen die Planungen<br />

des Deutschen Reiches für den<br />

Überfall auf die Sowjetunion. Am 10.<br />

Dezember wurde Tresckow in die Führungsabteilung<br />

im Generalstab der<br />

Heeresgruppe B versetzt. <strong>Die</strong> Heeresgruppe<br />

sollte im Mittelabschnitt der<br />

Ostfront den sowjetischen Schwerpunkt<br />

treffen. Oberbefehlshaber der<br />

Heeresgruppe war Generalfeldmarschall<br />

Fedor von Bock. Dessen Adjutant<br />

war der Gutsbesitzer <strong>und</strong> Major d.R.<br />

(der Reserve) Carl-Hans Graf von Hardenberg,<br />

den Tresckow seit 1918 durch<br />

die damalige <strong>Die</strong>nstzeit im selben Regiment<br />

kannte. Hardenberg war 1941<br />

sein engster Vertrauter im Widerstand.<br />

Im Februar 1941 ließ Tresckow zudem<br />

einen entfernten Verwandten als Ordonnanzoffizier<br />

zu sich versetzen, der<br />

auch zum Widerstand gehörte: den<br />

ullstein-bild<br />

3 Oberst i.G. Henning<br />

von Tresckow an<br />

seinem Arbeitsplatz<br />

in der Führungsabteilung<br />

der<br />

Heeresgruppe<br />

Mitte bei Smolensk<br />

im Sommer 194<strong>2.</strong><br />

Rechtsanwalt <strong>und</strong> Leutnant d.R. Fabian<br />

von Schlabrendorff. Tresckow erörterte<br />

mit diesem mehrfach die Frage: »Warum<br />

will Hitler den Angriff auf Russland?«<br />

<strong>Die</strong>s bedeutete den Zweifrontenkrieg,<br />

den das Deutsche Reich aller<br />

Voraussicht nach verlieren musste,<br />

wenn der Feldzug nicht innerhalb von<br />

drei Monaten siegreich beendet sein<br />

würde. Er hielt aber einen Erfolg für<br />

möglich <strong>und</strong> teilte den Standpunkt des<br />

Generalstabs des Heeres, wonach der<br />

Angriff zunächst die Masse der sowjetischen<br />

Streitkräfte zerschlagen müsse,<br />

um dann – ohne Rücksicht auf die<br />

Flankenbedrohung – in einem direkten<br />

Stoß auf Moskau das »Herz« des<br />

Gegners zu treffen. Dadurch sollte das<br />

Sowjetsystem zusammenbrechen.<br />

Am 28. April 1941 wurde die von Hitler<br />

befohlene Einplanung der berüchtigten<br />

»Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei<br />

<strong>und</strong> des SD« bekannt. Sie<br />

sollten als selbstständige Formationen<br />

neben dem Heer im rückwärtigen Gebiet<br />

auftreten. <strong>Die</strong> Einsatzgruppen unterstanden<br />

dem Reichsführer-SS<br />

Himmler <strong>und</strong> hatten den ideologisch<br />

begründeten mörderischen »Rassenkampf«<br />

gegen die Zivilbevölkerung in<br />

Osteuropa erstmals 1939/40 in Polen


geführt. Tresckow erhielt bereits um<br />

den 8. März – unter Umgehung des<br />

<strong>Die</strong>nstweges – von Oster Informationen<br />

über deren Einplanung. Mitte<br />

Juni stand fest, dass die Einsatzgruppe<br />

im Bereich der Heeresgruppe B von<br />

dem Reichskriminaldirektor <strong>und</strong> SS-<br />

Brigadeführer Arthur Nebe geführt<br />

werden würde. Nebe stand in Kontakt<br />

mit Oster. <strong>Die</strong>s war Tresckow nicht bekannt.<br />

Besorgt entsandte er Schlabrendorff<br />

nach Berlin, um Erk<strong>und</strong>igungen<br />

über Nebe einzuholen. Warum Nebe<br />

seit 1938 den Widerstand unterstützte,<br />

muss aufgr<strong>und</strong> der mangelnden Überlieferung<br />

offen bleiben. Oster verbürgte<br />

sich jedoch für den SS-Führer, der den<br />

Widerstand unterstützt habe. Vor dem<br />

Überfall nahm Nebe Verbindung zu<br />

Tresckow auf. Der Inhalt ihres Gesprächs<br />

ist nicht bekannt geworden.<br />

Überliefert ist jedoch Tresckows Erleichterung<br />

aufgr<strong>und</strong> des Gesprächs<br />

mit Nebe. Er erhoffte sich von der verdeckten<br />

Zusammenarbeit mit Nebe die<br />

Sabotage der SS-Mordaktionen. Nebe<br />

hatte Tresckow also offenbar die Nichtausführung<br />

der Mordbefehle oder zumindest<br />

die Minimierung der Mordaktionen<br />

seiner Einsatzgruppe zugesichert.<br />

Am 31. Mai 1941 gab die Heeresführung<br />

den von Hitler ausgehenden<br />

»Kriegsgerichtsbarkeitserlass« an die<br />

Truppe weiter, der die Zivilbevölkerung<br />

praktisch für »vogelfrei« erklärte.<br />

Am <strong>13</strong>. Juni folgte der »Kommissarbefehl«,<br />

der die Ermordung der sowjetischen<br />

Parteifunktionäre im Offizierrang<br />

anordnete. Damit wurde das Heer<br />

selbst zum Träger der verbrecherischen<br />

Kriegführung. Tresckow versuchte, dagegen<br />

Widerstand zu mobilisieren,<br />

scheiterte aber bereits an seinem eigenen<br />

Oberbefehlshaber. Ohne Befehlsgewalt,<br />

eingeb<strong>und</strong>en in die Kommandostrukturen<br />

einer Heeresgruppe unter<br />

einem Oberbefehlshaber <strong>und</strong> unter<br />

einem Generalstabschef, war Treskkows<br />

Handlungsspielraum auf den<br />

fortwährenden Versuch beschränkt,<br />

seine Umgebung zu beeinflussen oder<br />

seine Gesprächspartner zu überzeugen.<br />

Der Übergang zum kompromisslosen<br />

Widerstand<br />

Mit dem Überfall auf die Sowjetunion<br />

am 2<strong>2.</strong> Juni 1941 wurde die Heeresgruppe<br />

B in Heeresgruppe Mitte umbenannt.<br />

Der Kriegsgerichtsbarkeitser-<br />

5Der Oberbefehlshaber der Heeresgruppe Mitte Generalfeldmarschall Fedor von<br />

Bock (im Vordergr<strong>und</strong> grüßend), der 1. Generalstabsoffizier Oberstleutnant i.G. von<br />

Tresckow (daneben), der Adjutant Major d.R. Graf von Hardenberg (dahinter mit<br />

Mütze) <strong>und</strong> weitere Offiziere des Stabes im Hauptquartier in Borissow (zwischen dem<br />

11. <strong>und</strong> 30. Juli 1941).<br />

Privat. Uta Freifrau von Aretin<br />

lass machte dem Oberkommando der<br />

Heeresgruppe eine eindeutige Sprachregelung<br />

zur Aufrechterhaltung der<br />

Disziplin in der Truppe unmöglich,<br />

<strong>und</strong> der Kommissarbefehl wurde von<br />

zahlreichen Verbänden befolgt. Demgegenüber<br />

fiel es nicht ins Gewicht,<br />

dass Tresckow – seine Befugnisse überschreitend<br />

– einmal die Ermordung<br />

eines Kommissars verbot oder einen<br />

Soldaten mit einem Kriegsgerichtsverfahren<br />

bedrohte, nachdem dieser einen<br />

Kriegsgefangenen erschossen hatte.<br />

<strong>Die</strong> militärischen Operationen verliefen<br />

indessen planmäßig. Am <strong>13</strong>. Juli<br />

ging aber bei der Heeresgruppe die<br />

Nachricht ein, dass Hitler plane, den<br />

Angriffsschwerpunkt im Mittelabschnitt<br />

– also das Angriffsziel Moskau<br />

– aufzugeben. Dabei begann sich zu<br />

dieser Zeit das Lagebild zu verdichten,<br />

dem zufolge die sowjetischen Reserven<br />

zwischen der Heeresgruppe Mitte <strong>und</strong><br />

Moskau zu treffen waren. Für Tresckow<br />

war damit der gesamte Feldzug – <strong>und</strong><br />

damit die weitere Existenz des Deutschen<br />

Reiches – infrage gestellt. Am 25.<br />

Juli besuchte der Chef des Oberkommandos<br />

der Wehrmacht (OKW) Generalfeldmarschall<br />

Wilhelm Keitel die<br />

Heeresgruppe, um die neue Operationsplanung<br />

zu vertreten <strong>und</strong> Hitlers<br />

Idee für die künftige Kampfweise darzustellen.<br />

Keitel sagte: »Führer [= Hitler]<br />

wünscht [...], dass militärische Führung<br />

sich von großen, operativen Einkreisungsschlachten<br />

umstellt auf taktische<br />

Vernichtungsschlachten in<br />

kleineren Räumen, in denen gestellter<br />

Feind 100%ig vernichtet wird.« <strong>Die</strong>se<br />

von Hitlers Brutalität diktierte Vorstellung<br />

kam einer Verhöhnung damaliger<br />

militärischer Vernunft gleich. Gleichwohl<br />

setzte Hitler im August die<br />

Schwerpunktverlagerung nach Nord<br />

<strong>und</strong> Süd durch.<br />

Noch deutlicher wurde die Ohnmacht<br />

Tresckows angesichts des Vorgehens<br />

der Einsatzgruppe B. Ob Nebe<br />

seinen Handlungsspielraum zur Verhinderung<br />

von Mordaktionen tatsächlich<br />

voll ausschöpfte, bleibt unklar.<br />

Sicher ist, dass bei einem solchen Unterfangen<br />

die Unterstützung des Oberbefehlshabers<br />

der Heeresgruppe Mitte<br />

kaum vorhanden war, vor allem aber,<br />

dass Nebe dabei seinem Vorgesetzten,<br />

dem Höheren SS- <strong>und</strong> Polizeiführer<br />

Mitte Erich von dem Bach-Zelewski,<br />

sowie den untergebenen Chefs der Ein-<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

1


Auf dem Weg zum 20. Juli 1944<br />

satzkommandos <strong>und</strong> Sonderkommandos<br />

gegenüberstand. Bach-Zelewski<br />

trieb den unterstellten Bereich im »Rassenkampf«<br />

gnadenlos an. Er führte unmittelbar,<br />

insbesondere die beiden<br />

größten Formationen Nebes, die Einsatzkommandos<br />

8 <strong>und</strong> 9. Es konnte somit<br />

keine Rede davon sein, dass Nebe<br />

seine Einsatzgruppe mehr oder minder<br />

»neutralisierte«. Am 20. Juli wurde<br />

Tresckow ein Tätigkeitsbericht der Einsatzgruppe<br />

B für den Zeitraum vom 9.<br />

bis 16. Juli vorgelegt. Am Rand war die<br />

Zahl der Ermordeten – insgesamt <strong>13</strong>30<br />

– zusammengezählt. Der Bericht offenbarte,<br />

wie die Gewalt im rückwärtigen<br />

Heeresgebiet Mitte eskalierte.<br />

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Mit dem Versuch, innerhalb des verbrecherischen<br />

Handlungsrahmens auf<br />

eine professionelle <strong>und</strong> zivilisierte<br />

Kriegführung hinzuwirken, erreichte<br />

Tresckow nichts Wesentliches. In der<br />

zweiten Julihälfte 1941 traf er sich deshalb<br />

mit Hardenberg zu einer gr<strong>und</strong>legenden<br />

Aussprache: Sie stellten fest,<br />

dass »der bisher beschrittene Weg des<br />

Versuches der Einflussnahme auf die<br />

zur Führung berufenen Persönlichkeiten<br />

[gemeint sind die Führungsspitzen<br />

des Heeres] zu keinem Erfolge«<br />

geführt habe. Niemand finde sich, »der<br />

kraft seiner Stellung versuchte, sich<br />

gegen befohlene Verbrechen <strong>und</strong> militärischen<br />

Wahnsinn aufzulehnen«.<br />

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16 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

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Tresckow <strong>und</strong> Hardenberg blieb deshalb<br />

nur eine Möglichkeit übrig, um<br />

auf die moralische Herausforderung<br />

zu reagieren: Sie mussten im hochverräterischen<br />

Vorgehen gegen die Staatsführung,<br />

im Extremfall als Attentäter,<br />

die Initiative übernehmen. Eigentlich<br />

an mitdenkenden Gehorsam gewöhnt<br />

<strong>und</strong> in elitären Ehrbegriffen altpreußischer<br />

Tradition sowie an einem verpflichtenden<br />

Glauben geb<strong>und</strong>en, löste<br />

diese Einsicht einen inneren Konflikt<br />

aus, den Hardenberg Anfang 1946 so<br />

beschrieb:<br />

»<strong>Die</strong> Schwierigkeit der Aufgabe war<br />

uns voll bewusst. Es galt zu aktiven revolutionären<br />

Taten zu schreiten, d.h.<br />

mit allem zu brechen, was uns von den<br />

Vätern gelehrt <strong>und</strong> was mit der Ehre<br />

eines preußisch-deutschen Soldaten<br />

verb<strong>und</strong>en war. Besitz, Familie, eigene<br />

<strong>und</strong> Standesehre musste[n] in die<br />

Waagschale geworfen werden, wenn<br />

dieser Weg beschritten werden sollte.<br />

War es notwendig? War es richtig? War<br />

es zu vereinbaren mit den ethischen<br />

<strong>und</strong> christlichen Gesetzen, denen wir<br />

unterstanden? Wir schieden, als bereits<br />

der Sternenhimmel die russische Weite<br />

überdeckte, mit dem Versprechen, mit<br />

uns selber über diese Frage ins reine zu<br />

kommen.<br />

Wer [...] glaubt, dass Ehrgeiz, Ruhmsucht<br />

oder der Wunsch, sich der kommenden<br />

Katastrophe zu entziehen, die<br />

Männer [des zivil-militärischen Widerstandes]<br />

damals geleitet hat, der weiß<br />

nichts von den Gewissensbissen <strong>und</strong><br />

seelischen Qualen, mit denen jeder für<br />

sich allein fertig werden musste. Und<br />

was war, wenn uns der Erfolg nicht beschieden<br />

sein sollte? War dann nicht<br />

der ganze Einsatz vergeblich <strong>und</strong> nur<br />

ein Verbrechen? Es dauerte Tage <strong>und</strong><br />

Wochen, in denen diese Gedankengänge<br />

immer wieder abgesprochen<br />

wurden«.<br />

Als Hitler am 4. August 1941 das<br />

Hauptquartier der Heeresgruppe in<br />

Borissow besuchte, wurde die weitere<br />

Kriegführung im Osten besprochen.<br />

Dabei schnitt die Heeresgruppe die<br />

Gr<strong>und</strong>satzfragen an – auch die Behandlung<br />

der Zivilbevölkerung –, ohne<br />

dass Hitler sich hätte beeinflussen lassen.<br />

Tresckow prüfte bei dieser Lagebesprechung<br />

erstmals die Möglichkeit<br />

eines Attentats. Im letzten Septemberdrittel<br />

fiel bei Tresckow <strong>und</strong> Hardenberg<br />

die Entscheidung: »Das Wohl des


Volkes« verlange »den vollen Einsatz<br />

[...]. Auch im Falle des Missglückens<br />

muss der Welt gezeigt werden, dass es<br />

in dieser Zeit Männer gegeben hat, die,<br />

wie der Grabstein von Marwitz in Friedersdorf<br />

sagt, Ungnade wählten, wo<br />

Gehorsam nicht Ehre einbrachte.«<br />

Tresckow <strong>und</strong> Hardenberg waren<br />

nicht bereit, die moralische Richtschnur<br />

der Ehre aufzugeben. Als traditionell<br />

eingestellte Offiziere empfanden<br />

sie jedoch zugleich Attentat <strong>und</strong><br />

Umsturz als unvereinbar mit ihrem<br />

Wertegefüge. Der Entschluss zum Handeln<br />

fiel letztlich, weil beide nicht damit<br />

leben konnten, angesichts der beispiellosen<br />

Situation untätig zu bleiben.<br />

<strong>Die</strong> über Jahre gewachsene Opposition<br />

<strong>und</strong> dann der Widerstand seit 1938 waren<br />

dafür die Voraussetzungen. Dabei<br />

lässt die Überlieferung keine Aussage<br />

darüber zu, ob entweder die Beendigung<br />

des »militärischen Wahnsinns« –<br />

mit dem massenhaften Opfern von<br />

Soldaten auf dem Weg in den Untergang<br />

– oder die Beendigung der verbrecherischen<br />

Kriegführung mit dem<br />

massenhaften Morden das stärkere<br />

Widerstandsmotiv war. Ohne die »befohlenen<br />

Verbrechen« ist allerdings<br />

Tresckows <strong>und</strong> Hardenbergs im September<br />

1941 gefasster Entschluss kaum<br />

vorstellbar.<br />

Vergebliches Bemühen um den<br />

Umsturz<br />

Mit dem Umsturz sollte das Deutsche<br />

Reich wieder unter die zivilisierten Nationen<br />

zurückgeführt werden, um<br />

dann den Krieg schnellstmöglich durch<br />

einen Verständigungsfrieden zu beenden.<br />

Dafür musste verdeckt eine zivilmilitärische<br />

Umsturzorganisation aufgebaut<br />

werden. <strong>Die</strong>se Aufgabe bezeichnete<br />

Tresckow (Anfang 1944 rückblickend)<br />

unter den Bedingungen des<br />

Überwachungsstaates als die »Hauptschwierigkeit«.<br />

Absprachen waren nur<br />

über Kuriere oder durch persönliche<br />

Begegnungen möglich. So befand sich<br />

Hardenberg vom 30. Juli bis zum 26.<br />

August 1941 infolge einer Krankmeldung<br />

in Berlin. Schlabrendorff wurde<br />

im letzten Septemberdrittel zur Durchführung<br />

vorbereitender Gespräche<br />

nach Berlin entsandt. Am 8. November<br />

besprachen Tresckow <strong>und</strong> Hardenberg<br />

im Hauptquartier bei Smolensk das<br />

weitere Vorgehen mit dem zum Widerstand<br />

gehörenden Verwaltungsfachmann<br />

<strong>und</strong> Oberleutnant d.R. Fritz-<br />

<strong>Die</strong>tlof Graf von der Schulenburg. <strong>Die</strong>ser<br />

hoffte wie Hardenberg, den Umsturz<br />

noch 1941 erreichen zu können.<br />

Tresckow war skeptischer.<br />

In Berlin stellte Schulenburg mehrere<br />

Kontakte her. Am 14. November sprach<br />

er mit dem Rechtsanwalt <strong>und</strong> Kriegsverwaltungsrat<br />

im OKW Helmuth<br />

James Graf von Moltke sowie dem<br />

Oberregierungsrat <strong>und</strong> Leutnant d.R.<br />

Peter Graf Yorck von Wartenburg, die<br />

ebenfalls den Umsturz anstrebten. Parallel<br />

dazu prüften Tresckow <strong>und</strong> Hardenberg<br />

bei einigen Oberbefehlshabern<br />

an der Ostfront die Bereitschaft<br />

zum Widerstand – mit negativem Ergebnis.<br />

<strong>Die</strong> einzige Ausnahme bei den<br />

Führungsspitzen war der Oberbefehlshaber<br />

West in Paris, Generalfeldmarschall<br />

Erwin von Witzleben. Zeitweilig<br />

bestand auch die Hoffnung, dass Generalfeldmarschall<br />

Walther von Brauchitsch,<br />

der Oberbefehlshaber des<br />

Heeres, sich an die Spitze eines Umsturzes<br />

stellen würde. <strong>Die</strong>se Hoffnung<br />

endete aber spätestens am 19. Dezember,<br />

als Hitler Brauchitsch entließ <strong>und</strong><br />

selbst dessen Oberbefehl übernahm.<br />

<strong>Die</strong>s war die entscheidende Phase bei<br />

dem Bemühen um einen Umsturz, <strong>und</strong><br />

Tresckow war infolge einer Krankmeldung<br />

vom 17. bis zum 27. Dezember in<br />

Berlin. Das wichtigste Gespräch führte<br />

Tresckow wohl in dieser Zeit mit<br />

Halder, dem Generalstabschef des<br />

Heeres.<br />

Halder versicherte Tresckow unter<br />

Tränen, dass ein Staatsstreich wegen<br />

der Führungsverhältnisse nicht durchsetzbar<br />

sei. Erneut wurde sein ungenügender<br />

Widerstand deutlich: Halder<br />

setzte wie Tresckow sein gesamtes militärisches<br />

Können ein, war aber, im<br />

Gegensatz zu Tresckow, ohne innere<br />

Distanz gegenüber der strategisch-operativen<br />

Kriegführung des Reiches. <strong>Die</strong><br />

Verbrechen ließ er nicht als Handlungszwang<br />

gelten. Ende 1939 hieß es bei<br />

ihm, »erst einmal den Krieg glücklich<br />

beenden«. Nach dem Sieg über Frankreich<br />

hieß es, erst eine Krise müsse den<br />

Weg zum Umsturz freimachen. Als<br />

dann aber die militärische Krise im Dezember<br />

1941 da war, sah er – wie bei<br />

der Krise im Herbst 1939 – keine Möglichkeit<br />

für eine Aktion. Moltke fasste<br />

am 8. Februar 1942 resigniert zusam-<br />

men: »an die Stelle des mir vor Weihnachten<br />

entgegengehaltenen ›es ist zu<br />

früh‹, ist jetzt getreten ›es ist zu spät‹.«<br />

Tresckow wurde wie Moltke angesichts<br />

der militärischen Führer, die<br />

nicht einmal aus ihrer militärischen Beurteilung<br />

der Lage Konsequenzen zogen,<br />

zu einem Verächter dieser Offiziere.<br />

<strong>Die</strong> strategische Wende des Krieges<br />

war besiegelt, als die Wehrmacht einer<br />

unbesiegten Roten Armee gegenüberstand<br />

<strong>und</strong> Hitler den USA am 11. Dezember<br />

den Krieg erklärte. Vom 2<strong>2.</strong> Juni<br />

1941 bis Ende Januar 1942 hatte die<br />

Wehrmacht mehr als eine Million Tote,<br />

Verw<strong>und</strong>ete, Kranke <strong>und</strong> Vermisste,<br />

die Rote Armee etwa zehn Millionen.<br />

In den zehn Monaten bis April 1942 erschossen<br />

die Einsatzgruppen A, B, C<br />

<strong>und</strong> D mehr als 500 000 Juden. <strong>Die</strong><br />

»Endlösung der Judenfrage« wurde<br />

seit 1942 in Todeslagern wie Auschwitz-Birkenau<br />

verfolgt. Aber erst das<br />

militärische Desaster von Stalingrad<br />

im Winter 1942/43 eröffnete dem zivilmilitärischen<br />

Widerstand die Möglichkeit<br />

für einen Anlauf zum Attentat <strong>und</strong><br />

zum Umsturz am <strong>13</strong>. März 194<strong>3.</strong> Der<br />

Attentatsversuch misslang jedoch,<br />

blieb aber unentdeckt. Es dauerte danach<br />

bis zum 20. Juli 1944, ehe Attentat<br />

<strong>und</strong> Umsturzversuch unternommen<br />

wurden. Für Tresckow hatte der politische<br />

Zweck dieser Unternehmung,<br />

die Rettung des Reiches, zu diesem<br />

Zeitpunkt keine Bedeutung mehr<br />

(siehe Militärgeschichte 2/2004). Er erfuhr<br />

am Nachmittag an der Ostfront<br />

vom Scheitern des Attentats auf Hitler.<br />

Als in der Nacht auch das Scheitern<br />

des Umsturzversuchs feststand, nahm<br />

sich Tresckow am nächsten Tag das<br />

Leben.<br />

Literaturtipps:<br />

� Thomas Reuther<br />

Winfried Heinemann, Der militärische Widerstand <strong>und</strong><br />

der Krieg. In: Das Deutsche Reich <strong>und</strong> der Zweite <strong>Weltkrieg</strong>,<br />

Bd 9/1, München 2004, S. 743–892<br />

Peter Hoffmann, Oberst i.G. Henning von Tresckow <strong>und</strong><br />

die Staatsstreichpläne im Jahr 194<strong>3.</strong> In Vierteljahreshefte<br />

für Zeitgeschichte, 55 (2007), S. 330–364<br />

Henning von Tresckow. Ich bin der ich war. Texte <strong>und</strong> Dokumente<br />

hrsg. von Sigrid Grabner <strong>und</strong> Henrik Röder, <strong>3.</strong>,<br />

veränderte Aufl., Berlin 2005<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

1


Das Bauwesen der NVA<br />

Das<br />

Bauwesen<br />

der NVA<br />

Von der Aufstellung der NVA am<br />

1. März 1956 bis zur Auflösung<br />

am <strong>2.</strong> Oktober 1990 verrichteten<br />

die NVA-Soldaten auch Tätigkeiten,<br />

die nicht zu den herkömmlichen Aufgaben<br />

des Militärs zählen. Neben der<br />

Erbringung von Truppeneigenleistungen<br />

beim Bau von Unterkünften, Ausbildungsanlagen<br />

<strong>und</strong> Gefechtsständen<br />

wurde an der »Getreidefront« <strong>und</strong> bei<br />

der Kartoffelernte »gekämpft«. In der<br />

Industrie <strong>und</strong> Bauwirtschaft der DDR<br />

herrschte Arbeitskräftemangel, der<br />

durch den Einsatz von Soldaten kompensiert<br />

werden sollte. Ob Hochwasser,<br />

Schnee oder Frost: <strong>Die</strong> NVA setzte<br />

teilweise die Hälfte ihres Personals im<br />

Katastrophenfall ein. Da die Braunkohle-<br />

<strong>und</strong> Energiewirtschaft der DDR<br />

krankte <strong>und</strong> fast jede Schlechtwetterlage<br />

eine Krise bedeutete, mussten immer<br />

mehr Soldaten helfen. Logische<br />

Folge war die Aufstellung neuer Ingenieur-<br />

<strong>und</strong> Pionierbautruppenteile der<br />

NVA. Ihre Geschichte soll im Folgenden<br />

kurz skizziert werden.<br />

Gesellschaftliche<br />

Rahmenbedingungen<br />

Anders als im Gr<strong>und</strong>gesetz (GG) der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland war in<br />

der Verfassung der DDR keine Trennung<br />

zwischen dem militärischen Teil<br />

der Streitkräfte <strong>und</strong> der zivilen Wehrverwaltung<br />

verankert. <strong>Die</strong>s bedeutete,<br />

dass konfliktlos Baueinheiten aufgestellt<br />

werden konnten. Neubau, Betrieb<br />

<strong>und</strong> Unterhaltung militärischer Anlagen<br />

wurden durch Unterkunftsabteilungen<br />

in jedem Bezirk geplant, organisiert<br />

<strong>und</strong> kontrolliert. Ausschreibungen<br />

an konkurrierende Firmen gab es<br />

in der staatlich gelenkten Planwirtschaft<br />

nicht. Der Sonderbedarf I, die<br />

sogenannten »Bauwerke mit spezieller<br />

militärischer Zweckbestimmung«,<br />

musste mindestens zwei Jahre vor Beginn<br />

jedes 5-Jahr-Planes durch den<br />

Nationalen Verteidigungsrat (NVR)<br />

bestätigt werden. <strong>Die</strong> Staatliche Plankommission,<br />

deren Abteilung I ein Generalleutnant<br />

führte, gliederte die Militärgroßvorhaben<br />

in den Staatsplan ein.<br />

<strong>Die</strong> Haushaltsmittel wurden geplant<br />

<strong>und</strong> es wurde eine LVO-Nummer<br />

(Leistungs- <strong>und</strong> Lieferverordnung für<br />

die sozialistische Landesverteidigung)<br />

vergeben.<br />

<strong>Die</strong> DDR kannte kein Gr<strong>und</strong>recht auf<br />

Kriegsdienstverweigerung. Mit Einführung<br />

der Allgemeinen Wehrpflicht<br />

am 24. Januar 1962 stellte sich die<br />

Frage, wie mit Staatsbürgern zu verfahren<br />

sei, die den Waffendienst aus<br />

religiösen Gründen ablehnten. Verweigerung<br />

der Wehrpflicht wurde mit<br />

Freiheitsstrafen bedroht. Das Verhältnis<br />

des Staates zu den Kirchen verschlechterte<br />

sich, wie auch der Druck<br />

der westlichen Öffentlichkeit zu einer<br />

Lösung zwang. Als einziger Staat des<br />

Ostblocks bot die DDR ab dem 7. Sep-<br />

18 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

Soldaten der NVA bei der Kartoffelernte auf Rügen, 10. Mai 196<strong>3.</strong><br />

tember 1964 den Gläubigen einen waffenlosen<br />

<strong>Die</strong>nst in Baueinheiten der<br />

NVA. <strong>Die</strong>se wurden in die Baupionierbataillone<br />

eingegliedert.<br />

Baupioniereinheiten (der NVA)<br />

1964–19 1<br />

Mit dem Befehl 108/64 des Ministers<br />

für Nationale Verteidigung (MfNV)<br />

wurden das Baupionierbataillon (BPiB)<br />

5 in Prenzlau <strong>und</strong> drei weitere in Bärenstein<br />

im Erzgebirge für die Landstreitkräfte,<br />

das BPiB-14 der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung<br />

(LSK/LV) Garz<br />

<strong>und</strong> das BPiB-7 der Marine in Nonnewitz<br />

auf Rügen aufgestellt. <strong>Die</strong> Bataillone<br />

der Landstreitkräfte setzten<br />

sich aus vier Pionierbaukompanien mit<br />

wehrdienstleistenden Soldaten <strong>und</strong><br />

zwei Baueinheiten mit 64 sogenannten<br />

Bausoldaten zusammen. Bei den LSK/<br />

LV waren neben den sieben »regulären«<br />

Baukompanien drei Baueinheiten<br />

mit 96 Bausoldaten eingesetzt,<br />

bei der Marine eine Baueinheit mit 32<br />

Angehörigen aufgestellt. <strong>Die</strong> Möglichkeit<br />

der Einberufung von 256 waffenlos<br />

Wehrdienstleistenden halbierte die<br />

Zahl der Totalverweigerer sofort. An<br />

die Stelle der Maschinenpistole trat der<br />

Spaten, der als Symbol auch die Schulterklappen<br />

zierte. <strong>Die</strong> eingezogenen<br />

Soldaten nannten sich oft »Spatensoldaten«.<br />

Bis 1973 wurden sie auch zum<br />

Bau von militärischen Ausbildungsan-<br />

ullstein bild


lagen, z.B. dem Schießtrainingsplatz in<br />

Prenzlau, verwendet. Das führte zu<br />

neuen Gewissenskonflikten, weil viele<br />

Gläubige auch die Ausbildung zum<br />

Töten nicht unterstützen wollten. <strong>Die</strong><br />

Bausoldaten kannten ihre Rechte sehr<br />

genau, die Kirchen unterstützten sie.<br />

Nicht zuletzt wegen ihrer Eingaben<br />

<strong>und</strong> Beschwerden erfolgte der Einsatz<br />

ab 1973 vorwiegend dezentral in Lazaretten,<br />

Ferienheimen <strong>und</strong> rückwärtigen<br />

Einrichtungen. Es ist eine Ironie<br />

der Geschichte, dass nach dem Ende<br />

der SED-Herrschaft mit Rainer Eppelmann<br />

ein ehemaliger Bausoldat zum<br />

letzten Verteidigungsminister der DDR<br />

ernannt wurde. Teile der Armeeangehörigen<br />

aus den Gefechtstruppen mit<br />

85%igem Bereitschaftsdienst beurteilten<br />

die Aufgaben der Bausoldaten als<br />

»leichte Hilfsarbeiten«. Sie wähnten<br />

sich benachteiligt <strong>und</strong> protestierten<br />

gegen die vorgeblich angenehmen<br />

<strong>Die</strong>nstbedingungen der Bausoldaten.<br />

<strong>Die</strong> Zahl der Wehrdienstverweigerer<br />

wuchs, mancher lehnte den NVA-<br />

<strong>Die</strong>nst nicht nur aus religiösen <strong>und</strong> Gewissensgründen,<br />

sondern gr<strong>und</strong>sätzlich<br />

ab <strong>und</strong> wurde Bausoldat. Er nahm<br />

berufliche Benachteiligungen in der<br />

DDR in Kauf.<br />

<strong>Die</strong> steigenden Forderungen nach<br />

Arbeitskräften in der Industrie veranlassten<br />

das Ministerium für Nationale<br />

Verteidigung, mit Befehl 45/82 neue<br />

Baueinheiten aufzustellen, die im Straßenbauregiment<br />

2 <strong>und</strong> in Lagern <strong>und</strong><br />

Einrichtungen der Rückwärtigen<br />

<strong>Die</strong>nste Verwendung fanden. Ab 1. No-<br />

vember 1983 wurde dem PiBB-MU-<br />

KRAN eine Baueinheit (BE) mit 150<br />

Mann unterstellt. Im Strukturschema<br />

85 hatte die Baueinheit für den Fährhafenbau<br />

auf der Insel Rügen bereits<br />

480 Angehörige. In den Chemiekombinaten<br />

Schwedt, Buna, Leuna <strong>und</strong> Bitterfeld<br />

mussten Bausoldaten Schichtarbeit<br />

leisten, die zudem noch körperlich<br />

schwer <strong>und</strong> ges<strong>und</strong>heitsgefährdend<br />

war. Mit der Auflösung der Baueinheiten<br />

im Januar 1990 wurden 1500<br />

Bausoldaten entlassen. Im August 1989<br />

noch hatte der Stellenplan 95 (STAN)<br />

des Ministeriums für Nationale Verteidigung<br />

4200 Bausoldaten vorgesehen.<br />

1966 entstanden vier weitere Baupionierbataillone<br />

mit Standorten in Bernau<br />

(2), Torgau <strong>und</strong> Prenzlau. Das<br />

BPiB-5 wurde zwischenzeitlich nach<br />

Torgelow-Drögeheide verlegt. <strong>Die</strong> Einheiten<br />

unterstanden dem Chef der Verwaltung<br />

Spezialbauwesen im Bereich<br />

Militärbauwesen/Unterbringung des<br />

Ministeriums für Nationale Verteidigung.<br />

<strong>Die</strong> militärische Führung der<br />

Baueinheiten wurde aus bestehenden<br />

Pioniertruppenteilen gebildet. Bauingenieure<br />

aus den Reihen der eingezogenen<br />

Soldaten erhielten lukrative Angebote.<br />

Der Einstellungsdienstgrad für<br />

Fachschulabsolventen war der des Unterleutnants,<br />

Diplomingenieure erhielten<br />

den Leutnantsrang, ohne die übliche<br />

Offizierausbildung durchlaufen<br />

zu müssen. <strong>Die</strong> Verpflichtungszeit betrug<br />

drei oder zehn Jahre. Ab Mitte der<br />

1970er Jahre studierten an der Inge-<br />

bpk/Horst E. Schulze<br />

Bau des Erdölkombinates<br />

Schwedt,<br />

17. September 196<strong>2.</strong><br />

nieurhochschule in Cottbus, heute<br />

Brandenburgische Technische Universität<br />

(BTU), die künftigen Spezialisten<br />

des Militärbauwesens. Sie erhielten<br />

Abschlüsse als Diplomingenieur für<br />

Technologie der Bauproduktion. Nach<br />

halbjährlichem Gr<strong>und</strong>kurs als Pionier<br />

an der Offizierschule der Landstreitkräfte<br />

in Zittau folgte der Einsatz auf<br />

den Baustellen als Zugführer in einer<br />

Ingenieurbaukompanie.<br />

<strong>Die</strong> Aufgaben <strong>und</strong> Arbeitsorte der<br />

vier Bataillone, später auch der beiden<br />

Ingenieurbauregimenter, waren streng<br />

geheim. Dem Autor ist bekannt, dass<br />

das BPiB-6 Prenzlau erstmals 1967 bei<br />

Lychen zur Errichtung von Raketenstellungen<br />

für die Sowjetarmee eingesetzt<br />

wurde. Es folgte der Führungspunkt<br />

der Volksmarine als damals<br />

größtes militärisches Bauvorhaben<br />

zwischen Tessin <strong>und</strong> Laage, unweit<br />

von Rostock. Nach dem Aushub einer<br />

riesigen Baugrube betonierten die Baupioniere<br />

mehrstöckige, auf riesigen<br />

Stahlfedern gelagerte Schutzbauwerke<br />

unter Tage. Meterdicke Betonschichten<br />

gegen Bombenwirkung wurden aufgebracht.<br />

Mehrere Schleusen sorgten für<br />

den Schutz vor atomarer Strahlung,<br />

Druckwellen oder biologischen bzw.<br />

chemischen Kampfstoffen. Spezialisten<br />

oblag die Führungstechnik sowie die<br />

Einrichtung einer autarken Strom-,<br />

Wasser- <strong>und</strong> Sauerstoffversorgung. In<br />

solchen Bunkern sollte die militärische<br />

Führung mehrere Tage nach einem<br />

Atomwaffenangriff überleben können.<br />

Letzte Arbeiten galten der Tarnung,<br />

der Wiederherstellung der natürlichen<br />

Umgebung <strong>und</strong> der Sicherung durch<br />

eine Hochspannungsanlage. Allerdings<br />

enttarnten sich die Objekte oft<br />

durch ihre Nebenanlagen, wenn aus<br />

dem Wald der Schornstein eines Heizkraftwerkes<br />

ragte.<br />

Alle Bataillone hatten feste Stammobjekte,<br />

von denen aus die Vorhaben<br />

erschlossen wurden. Dann erfolgte die<br />

Verlegung der Bau- <strong>und</strong> Sicherungskräfte.<br />

Erste Unterkünfte waren Zelte,<br />

denen Baracken folgten. Später dienten<br />

zusammenschiebbare Raumzellen der<br />

Unterbringung der Soldaten. Sie wurden<br />

auch als Kultur- <strong>und</strong> Freizeiteinrichtungen<br />

sowie als Depots genutzt.<br />

Neben den dem Ministerium direkt<br />

unterstellten Baubataillonen waren<br />

auch den Teilstreitkräften Einheiten für<br />

ihre speziellen Bauvorhaben zugeord-<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

19


Das Bauwesen der NVA<br />

net. Hier wurden vor allem Unterkünfte,<br />

Technikhallen, Sturm- bzw.<br />

Hindernisbahnen gebaut. Dem Kommando<br />

der Landstreitkräfte unterstand<br />

das Ingenieurbaubataillon 40 in Brandenburg.<br />

<strong>Die</strong> Luftstreitkräfte hatten<br />

für den Bau <strong>und</strong> die Instandsetzung<br />

von Flugbetriebsflächen das Flugplatzpionierbataillon<br />

14. Geschlossene Deckungen<br />

für Flugzeuge (GDF-12 <strong>und</strong><br />

16) errichtete das PiB-24 gemeinsam<br />

mit Spezialisten des VEB Schachtbau<br />

Nordhausen. <strong>Die</strong> beiden selbstständigen<br />

Einheiten waren in der Ruinenberg-Kaserne<br />

in Potsdam stationiert.<br />

Bauaufgaben der Marine erledigte das<br />

Ingenieurbaubataillon 18 in Saßnitz<br />

auf Rügen. <strong>Die</strong> vier Baukompanien der<br />

Grenztruppen hatten ihre Kasernen in<br />

Berlin, Gardelegen <strong>und</strong> Eisenach. Bis<br />

1971 war die Anzahl der Bau-Einheiten<br />

der NVA relativ gering.<br />

Pionier- <strong>und</strong><br />

Ingenieurbautruppen 19 1–19 8<br />

Auf dem VIII. Parteitag der SED 1971<br />

wurde Erich Honecker zum Parteichef<br />

gewählt, der die Einheit von Wirtschafts-<br />

<strong>und</strong> Sozialpolitik proklamierte<br />

<strong>und</strong> ein gewaltiges Wohnungsbauprogramm<br />

auflegte. Daraus folgte, dass<br />

die Bauindustrie ihre Kräfte auf die Errichtung<br />

der Plattenbausiedlungen z.B.<br />

in Eisenhüttenstadt, Schwedt, Halle-<br />

Neustadt, Leipzig-Grünau <strong>und</strong> Berlin-<br />

Marzahn konzentrieren musste. »Jedem<br />

seine Wohnung«, lautete die Parole,<br />

wenig später bereits zu »Jedem<br />

eine Wohnung« abgeändert. Der volkseigenen<br />

Bauwirtschaft fehlten für das<br />

ambitionierte Bauprogramm jedoch<br />

die Kapazitäten. Sie zeigte sich zunehmend<br />

überfordert, die Planauflagen<br />

mussten ständig nach unten korrigiert<br />

werden. Hilfe sollte die NVA bieten.<br />

Mit der Zunahme der »Großbaustellen<br />

des Sozialismus« musste die NVA einerseits<br />

eigene Strukturen für ihre Bauvorhaben<br />

schaffen <strong>und</strong> andererseits<br />

Unterstützungsleistungen für die Bauindustrie<br />

erbringen. Hinzu kam die<br />

Hilfe für die Kohle- <strong>und</strong> Energiewirtschaft.<br />

Da die DDR keine nennenswerten<br />

Steinkohle- oder Erdölvorkommen<br />

besaß, konnte die Energie nur aus<br />

der heimischen Braunkohle erzeugt<br />

werden. Ihre Förderung in offenen Tagebauen<br />

war ebenso lebenswichtig wie<br />

witterungsabhängig <strong>und</strong> personalintensiv.<br />

Es verw<strong>und</strong>ert nicht, dass die Braunkohlekombinate<br />

<strong>und</strong> Großkraftwerke<br />

fast ständig auf die Hilfe der NVA, der<br />

Grenztruppen wie auch der Bereitschaftspolizei<br />

angewiesen waren. Im<br />

Katastrophenwinter 1978/79 wurde ein<br />

Großteil der Armee zur Versorgung<br />

der Bevölkerung, im Verkehrswesen<br />

<strong>und</strong> zur Sicherung der Energieversorgung<br />

eingesetzt. Aufgr<strong>und</strong> der Auswertung<br />

der sich wiederholenden Wintereinsätze<br />

beantragte der Minister für<br />

Kohle- <strong>und</strong> Energiewirtschaft zwei<br />

Baubataillone für den Gleisbau in den<br />

Revieren Cottbus <strong>und</strong> Borna bei Leipzig.<br />

<strong>Die</strong> ständige Verfügbarkeit der militärischen<br />

Arbeitskräfte hatte sich bereits<br />

beim Bau des Palastes der Republik<br />

in Berlin bewährt.<br />

Aus dem NVA-Sonderbaustab <strong>und</strong><br />

den zukommandierten Kräften rekrutierte<br />

sich am 1. Dezember 1975 der<br />

Stamm des Pionierbaubataillons 22<br />

(PiBB) in Berlin-Biesdorf, das an allen<br />

wesentlichen Bauvorhaben in der Hauptstadt<br />

beteiligt war. Gleichzeitig wurden<br />

20 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

Pionierbaubataillone in Storkow, Prenzlau,<br />

Gotha <strong>und</strong> Merseburg aufgestellt.<br />

Zwei Bataillone arbeiteten für die Chemiekombinate<br />

in Buna, Leuna <strong>und</strong> Bitterfeld.<br />

Später wurde für den Bau des<br />

Hafens der Fährlinie Mukran/Rügen–<br />

Klaipeda (damals UdSSR) ein weiterer<br />

Truppenteil gebildet. Der Warenaustausch<br />

mit der Sowjetunion sollte auf<br />

dem Seeweg möglich gemacht werden.<br />

Der neue Chef Pionierwesen der NVA<br />

Oberst Waldemar Seifert (später Generalleutnant)<br />

setzte ab 1978 neue Schwerpunkte.<br />

Standen beim Vorgänger, Generalleutnant<br />

Harry Strobel, die Volkswirtschaftseinsätze<br />

im Vordergr<strong>und</strong>,<br />

sollten sich die Bataillone nun auf ihre<br />

militärische Aufgaben konzentrieren.<br />

Nach zweitägiger Mobilmachung <strong>und</strong><br />

Auffüllung mit Reservisten mussten<br />

sie Pionier- bzw. Straßen- <strong>und</strong> Brückenbauregimenter<br />

für den Kriegsfall (Soll II)<br />

bilden. Das PiBB-2 in Storkow errichtete<br />

Feldbefestigungsanlagen <strong>und</strong> Pioniersperren,<br />

in Merseburg wurde der Bau<br />

von Scheinbrücken trainiert <strong>und</strong> in<br />

Prenzlau wurden Pontonbrücken vorgehalten.<br />

Einsatz einer Pioniereinheit der NVA im Braunkohlenwerk »Jugend« in Schlabendorf bei<br />

Lübbenau, 2<strong>2.</strong> Januar 196<strong>3.</strong><br />

MHM Dresden (MBD 0908/2)


Richtfest des Palastes der Republik am 18. November 1974.<br />

Bautruppen ab 19 8<br />

<strong>Die</strong> verstärkte Rüstung der NVA<br />

machte den Bau immer neuer Führungsstellen,<br />

Einsatzzentralen <strong>und</strong><br />

Schutzbauwerke erforderlich. Obwohl<br />

sich die ökonomische Lage der DDR<br />

verschlechterte, wurde dafür Geld <strong>und</strong><br />

vor allen Dingen Material bereitgestellt.<br />

<strong>Die</strong> dem Chef Militärbauwesen/<br />

Unterbringung unterstellten Einheiten<br />

wurden in zwei Ingenieurbauregimentern<br />

(IBR) in Bernau <strong>und</strong> Torgau mit<br />

Stärken von 1058 Mann zusammengefasst.<br />

<strong>Die</strong> IBR waren nicht in Bataillone<br />

gegliedert, sondern entsprechend der<br />

Anzahl von Großbaustellen, in variable<br />

Oberbauleitungen unterteilt. <strong>Die</strong>se<br />

erhielten für die Lösung ihrer Aufgaben<br />

Ingenieurbaukompanien, Wach-<br />

<strong>und</strong> Sicherstellungskräfte sowie Transportmittel<br />

<strong>und</strong> Bautechnik unterstellt.<br />

Großtechnik wurde vom Regiment bereitgestellt.<br />

Für die Bahnentladung von<br />

Ganzzügen (bis 36 Waggons) mit<br />

Schüttgütern bildete man »Entladekomplexe«.<br />

Zivile Auftragnehmer leisteten<br />

Arbeiten, die nicht zum Leistungsumfang<br />

der Regimenter gehörten.<br />

<strong>Die</strong> Vorhaben besonderer Geheimhaltung<br />

planten die Unterkunftsabteilungen<br />

2 in Leipzig bzw. 12 in Berlin.<br />

Sie erarbeiteten die Vorgaben, nach denen<br />

das Zentrale Entwicklungs- <strong>und</strong><br />

Konstruktionsbüro Berlin bzw. das<br />

Projektierungsbüro Süd Dresden die<br />

Feinplanungen <strong>und</strong> Bauzeichnungen<br />

erstellten. Vorhaben ohne Geheimhaltung<br />

planten die Projektierungsgruppen<br />

der Unterkunftsabteilung (UKA)<br />

in den Bezirken. <strong>Die</strong> Oberbauleitungen<br />

erstellten den Jahreseinsatzplan, den<br />

Plan der Militärökonomie <strong>und</strong> den für<br />

Rationalisierung. Mit »Bestenbewegung«<br />

<strong>und</strong> »sozialistischem Wettbewerb«<br />

sollten die Vorgaben überboten<br />

werden. Deren Nichterfüllung war indes<br />

kaum möglich, da alle Pläne so<br />

lange »präzisiert« wurden, bis sie dem<br />

tatsächlich Geleisteten entsprachen.<br />

<strong>Die</strong> Versorgung mit Baustoffen,<br />

»Engpassmaterialien« sowie Spezialdienstleistungen<br />

war durch die LVO<br />

gesichert. Bis in die frühen 1980er Jahre<br />

besaß die Landesverteidigung Priorität.<br />

Seit Mitte der 1980er Jahre konzentrierten<br />

man sich erneut auf den Wohnungsbau.<br />

Hinzu kamen nun devisenbringende<br />

Aufträge. Hauptaufgaben<br />

des IBR-2 waren die Errichtung von<br />

Schutzbauwerken in Berlin-Oberschöneweide<br />

<strong>und</strong> Bad Sulza/Thüringen,<br />

Wohn- <strong>und</strong> Gesellschaftsbauten in<br />

Strausberg <strong>und</strong> des Zentrallazaretts in<br />

Bad Saarow. Das IBR-12 baute das<br />

»Komplexlager« 23 in Blankenburg/<br />

Harz, in dem Waffen <strong>und</strong> Ausrüstung<br />

deponiert wurden, die Untertageanlage<br />

Regenstein, das Tagungszentrum<br />

Strausberg, ein Ferienheim in Schierke/<br />

Harz sowie Fla-Raketen-Stellungen bei<br />

Apolda. Letztere war die größte Baustelle<br />

der NVA vor dem Zusammenbruch<br />

der DDR.<br />

Auch außerhalb der Befehlsgewalt<br />

des Ministeriums für Nationale Verteidigung<br />

waren Armeeangehörige an<br />

Bauvorhaben beteiligt. <strong>Die</strong> Abteilung I<br />

Spezialbauwesen im Ministerium für<br />

Bauwesen führte ein Generalleutnant.<br />

Ihm unterstanden unmittelbar jeweils<br />

drei Regimenter <strong>und</strong> Baubetriebe. Das<br />

in Seelow stationierte Hochbauregiment<br />

7001 errichtete bis 1988 insgesamt<br />

ullstein bild Meßner<br />

16 400 Wohnungen für Armeeangehörige.<br />

Es war Auftragnehmer für den<br />

VEB GAN Schwedt, der die Bauten des<br />

Ministeriums für Staatssicherheit ausführte.<br />

Der VEB Spezialbau Potsdam<br />

zeichnete für die Baumaßnahmen der<br />

Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte<br />

in Deutschland (GSSD) verantwortlich.<br />

Auch in Seelow war das Straßen- <strong>und</strong><br />

Brückenbauregiment 7004 stationiert,<br />

dessen Hauptaufgabe die Vorfertigung<br />

<strong>und</strong> Montage von Stahlbetonbrücken<br />

für Kettenfahrzeuge auf den Marschstraßen<br />

der GSSD <strong>und</strong> NVA war. Im<br />

Kriegsfalle sollten hierauf die Truppen<br />

des Warschauer Vertrages Richtung<br />

Westen rollen.<br />

Das Straßenbauregiment 7002 Neuseddin<br />

war zur Gleisnetzstabilisierung<br />

bei der Deutschen Reichsbahn befohlen.<br />

Bröselnde Betonschwellen mussten<br />

ausgetauscht werden. Auch das Eisenbahnbauregiment<br />

2 Walddoehna verlegte<br />

Gleise. Eine Kompanie arbeitete<br />

ständig im Betonschwellenwerk Rethwisch.<br />

In Verantwortung der Abteilung<br />

Spezialbauwesen im Bauministerium<br />

sanierten die Truppenteile Polizeireviere,<br />

den Flugplatz Basepohl <strong>und</strong><br />

bauten ein Internat für die SED-Parteihochschule.<br />

Aufgr<strong>und</strong> des zunehmenden<br />

Bedarfs erfolgte 1988 die Aufstellung<br />

eines weiteren Straßenbauregimentes.<br />

Das Nachrichteninstandsetzungsregiment<br />

2 Oschatz unterstützte<br />

das Ministerium für Post- <strong>und</strong> Fernmeldewesen<br />

bei der Wartung <strong>und</strong> Instandsetzung<br />

militärischer Nachrichtenverbindungen,<br />

indem es Übertragungsstellen<br />

baute <strong>und</strong> Kabel verlegte.<br />

Insgesamt haben acht Regimenter<br />

<strong>und</strong> zehn personalstarke, selbstständige<br />

Bataillone im Interesse der bewaffneten<br />

Organe <strong>und</strong> zur Unterstützung<br />

der Volkswirtschaft Bauaufgaben<br />

erfüllt. Mit dem Fortschreiten des politischen<br />

<strong>und</strong> wirtschaftlichen Niedergangs<br />

der DDR wurden ab 1988 alle<br />

Soldaten des <strong>3.</strong> <strong>Die</strong>nsthalbjahres in der<br />

Volkswirtschaft eingesetzt. Wie so viele<br />

Entwicklungen in Staat <strong>und</strong> Gesellschaft<br />

nahmen die Unterstützungsleistungen<br />

inflationären Charakter an.<br />

1989 setzte die Staatsführung weitere<br />

10 000 Soldaten für die Realisierung<br />

wichtiger Volkswirtschaftsvorhaben<br />

ein. Der Zusammenbruch der DDR<br />

war damit jedoch nicht aufzuhalten.<br />

� Klaus Udo Beßer<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

21


Service<br />

4 Einzug der Befreier in Wien am<br />

<strong>13</strong>. September 1683 nach dem Entsatz<br />

der belagerten Stadt in der Schlacht am<br />

Kahlenberg, 1<strong>2.</strong> September. Holzstich,<br />

um 1860, nach einer Zeichnung von Wilhelm<br />

Camphausen, spätere Kolorierung.<br />

Bereits 1529 belagerten Truppen<br />

des Osmanischen Reiches die<br />

kaiserlich-erzherzogliche Haupt-<br />

<strong>und</strong> Residenzstadt Wien. <strong>Die</strong> Belagerung<br />

scheiterte am entschlossenen Widerstand,<br />

an zu geringer Belagerungsartillerie<br />

<strong>und</strong> an schlechten Witterungsbedingungen.<br />

<strong>Die</strong> Osmanen zogen ab,<br />

beherrschten ab 1541 allerdings große<br />

Teile des benachbarten Ungarn. 1664<br />

misslang ein erneuter Versuch, Wien<br />

zu erobern, bereits beim Anmarsch auf<br />

die Stadt. Bei St. Gotthard/Raab (heute<br />

Szentgotthárd in Ungarn) konnte einem<br />

osmanischen Truppenteil eine vernichtende<br />

Niederlage beigebracht werden.<br />

Daraufhin wurde zwischen dem Osmanischen<br />

Reich <strong>und</strong> dem Habsburgerreich<br />

ein zwanzigjähriger Friede geschlossen.<br />

Noch vor Ablauf der Friedensfrist begann<br />

das Osmanische Heer unter dem<br />

Großwesir Kara Mustafa im Frühjahr<br />

1683 erneut einen Feldzug gegen den<br />

»Goldenen Apfel« Wien, wie die Türken<br />

die Stadt unter anderem nannten. <strong>Die</strong><br />

120 000 Mann starke Truppe – manche<br />

sprechen gar von bis zu 350 000 Mann,<br />

die schließlich vor Wien standen –<br />

setzte sich am 31. März 1683 in Adrianopel<br />

(heute Edirne, Bulgarien) in Bewegung.<br />

Nach etlichen Gefechten erreichte<br />

sie in der zweiten Juliwoche die<br />

Umgebung von Wien. Ab dem 15. Juli<br />

1683 belagerten die Truppen die modern<br />

befestigte Stadt, was mit einer<br />

Verheerung des Umlandes einherging.<br />

Hinter den Stadtmauern <strong>und</strong> Bastionen<br />

standen r<strong>und</strong> 10 000 Verteidiger<br />

unter Waffen, die von Ernst Rüdiger<br />

Graf Starhemberg kommandiert wurden,<br />

unterstützt von etwa 5000 Wiener<br />

Bürgern.<br />

Schon bald neigten sich die Lebensmittelvorräte<br />

dem Ende zu. Seuchen<br />

brachen aus, welche die Verluste bei<br />

den Verteidigern der Stadt <strong>und</strong> der Bevölkerung<br />

noch zusätzlich in die Höhe<br />

schnellen ließen. Hungersnöte plagten<br />

auch die Belagerer, denn 120 000 Soldaten,<br />

ihre Pferde <strong>und</strong> der dazugehö-<br />

Das historische Stichwort<br />

22 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

Der Entsatz von<br />

Wien im<br />

September 1683<br />

rende Tross wollten versorgt werden.<br />

<strong>Die</strong> Belagerten kämpften mit zunehmender<br />

Verbissenheit <strong>und</strong> dem Mut<br />

der Verzweifelung. Nach damaligem<br />

Kriegsbrauch erhielten einfache Soldaten<br />

<strong>und</strong> Hilfstruppen geringen Sold.<br />

Ihre Entlohnung war die Beute: Eine<br />

eroberte Stadt war drei Tage lang zur<br />

Plünderung freigegeben.<br />

Das osmanische Vorgehen unterschied<br />

sich allerdings von den üblichen<br />

Belagerungen. <strong>Die</strong> Truppen Kara<br />

Mustafas verfügten über zu wenig<br />

schwere (Belagerungs-)Artillerie. Somit<br />

konnten die Befestigungen weder<br />

im Sturm genommen noch sturmreif<br />

geschossen werden. Also verlegten die<br />

Truppen sich auf die langsameren Belagerungstaktiken<br />

des Sappeurkrieges<br />

(= Grabenkrieg) <strong>und</strong> des Mineur-<br />

krieges. Beim sogenannten Minenkampf<br />

wurden unterirdische Stollen<br />

an die Bastionen Wiens getrieben, mit<br />

Schießpulver gefüllt <strong>und</strong> gezündet,<br />

was Teile der Befestigungen zum Einsturz<br />

bringen sollte. <strong>Die</strong> Gegentaktik<br />

bestand darin, selbst Tunnel zu bauen<br />

<strong>und</strong> den Angreifer zu überwältigen.<br />

Ein nicht geringer Teil der Belagerung<br />

spielte sich also unterirdisch ab. <strong>Die</strong><br />

Lage in Wien Anfang September war<br />

verzweifelt, die Stadt stand kurz vor<br />

dem Fall.<br />

<strong>Die</strong> osmanischen Belagerer hatten jedoch<br />

die nahe an Wien heranreichende<br />

Erhebung des Kahlenberges – einen<br />

Ausläufer des Wienerwaldes – weder<br />

besetzt noch aufgeklärt. Außerdem<br />

hatten sie es versäumt, sich in ihrem<br />

Rücken durch eine zweite Befesti-<br />

akg-images


gungslinie zu sichern. Dadurch erhielt<br />

die eilig zusammengestellte Armee<br />

zum Entsatz der belagerten Stadt ihre<br />

Chance. Allerdings hatte es dazu<br />

großen diplomatischen Geschicks bedurft.<br />

Das »christliche Abendland« war<br />

auf dem Kontinent Europa zwar als<br />

Idee vorhanden, tatsächlich rangen<br />

aber unterschiedliche Mächte um die<br />

Vorherrschaft. Ein Dauerkonflikt bestand<br />

zwischen dem Heiligen Römischen<br />

Reich Deutscher Nation <strong>und</strong><br />

Frankreich, doch König Ludwig XIV.<br />

von Frankreich unternahm nun zumindest<br />

keine militärischen Aktivitäten gegen<br />

das Reich. Somit herrschte Ruhe an<br />

dessen Westgrenze.<br />

Für die Aufstellung der Entsatzarmee<br />

mussten vorhandene Pflichten zur<br />

Heerfolge genutzt <strong>und</strong> zahlreiche Drohungen<br />

ausgesprochen werden, Geld<br />

musste fließen <strong>und</strong> Zugeständnisse<br />

wurden gemacht, um die Allianz zur<br />

Rettung Wiens zu schmieden <strong>und</strong> sich<br />

von mehr oder weniger souveränen<br />

Staaten Truppen stellen zu lassen. An<br />

den Verhandlungen waren neben dem<br />

Kaiser, diversen Reichsständen, darunter<br />

Bayern, Sachsen <strong>und</strong> der Südwesten<br />

des Reiches, auch Papst Innozenz<br />

IX., König Jan III. Sobieski von Polen<br />

<strong>und</strong> die Republik Venedig beteiligt.<br />

Den Oberbefehl über die so geschaffene<br />

Entsatzarmee hatte der polnische<br />

König inne, die kaiserlichen Truppen<br />

6 Kara Mustafa (um 1630–1683), türkischer<br />

Großwesir seit 1676. Öl auf Leinwand,<br />

anonym.<br />

akg-images<br />

wurden von Herzog Karl V. von Lothringen<br />

kommandiert. <strong>Die</strong> Truppe bestand<br />

aus ca. 80 000 Mann, darunter<br />

24 000 polnische, 21 000 kaiserliche,<br />

10 500 bayerische, 9500 südwestdeutsche<br />

(Franken, Schwaben, Baden, Hessen)<br />

<strong>und</strong> 9000 sächsische Soldaten. Sie<br />

rückte in zwei Kolonnen vor, die sich<br />

am 7. September bei Tulln an der Donau<br />

vereinigten <strong>und</strong> dann durch den<br />

Wienerwald auf den Kahlenberg vorstießen.<br />

Am 1<strong>2.</strong> September eröffnete die polnische<br />

Kavallerie, die »Husaria«, mit<br />

ihrer Attacke von den Höhen des Kahlenberges<br />

die Schlacht <strong>und</strong> die gesamte<br />

Armee kämpfte sich gegen die überraschten<br />

Osmanen vor. Der rechte Flügel,<br />

bestehend aus polnischen Truppen,<br />

hatte den weitesten Anmarschweg;<br />

er befand sich im Kampf mit der<br />

osmanischen Hauptmacht. <strong>Die</strong> wirkungsvolle<br />

Unterstützung durch das<br />

Zentrum unter Max II. Emanuel von<br />

Bayern <strong>und</strong> Graf Christian Friedrich<br />

von Waldeck führte schließlich zum<br />

Durchbruch in das Lager der Osmanen.<br />

Der linke Flügel unter Karl von<br />

Lothringen <strong>und</strong> Johann Georg III. von<br />

Sachsen kämpfte sich zeitgleich zum<br />

Wiener Becken vor. Durch diese starken<br />

Angriffe sowie durch einen Ausfall der<br />

Wiener Verteidiger sahen sich die Osmanen<br />

in die Zange genommen, worauf<br />

die Führung unentschlossen reagierte.<br />

<strong>Die</strong> Osmanen flohen, auf dem<br />

Platz blieben 15 000 tote <strong>und</strong> verw<strong>und</strong>ete<br />

Osmanen, die Entsatzarmee zählte<br />

4000 bis 5000 Verluste. Eine festliche<br />

Siegesparade beendete am 18. September<br />

den Einsatz der Armee <strong>und</strong> in<br />

Teilen auch ihre Existenz, da die nur<br />

wegen der osmanischen Bedrohung<br />

ruhenden Gegensätze wieder aufbrachen.<br />

Den osmanischen Oberbefehlshaber<br />

Kara Mustafa erwartete die<br />

Todesstrafe. Am 25. Dezember 1683<br />

wurde er in Belgrad auf Befehl des Sultans<br />

hingerichtet.<br />

Anders als nach der ersten Belagerung<br />

Wiens 1529 erfolgte diesmal eine<br />

Offensive gegen das Osmanische Reich.<br />

In den folgenden Jahren setzten kaiserliche,<br />

bayerische, sächsische, polnische<br />

<strong>und</strong> badische Verbände den Türken<br />

nach, eroberten in blutigen Kämpfen<br />

Ungarn, rückten auf Belgrad <strong>und</strong> Sarajewo<br />

vor. Venezianische Verbände bekämpften<br />

die Türken in Griechenland.<br />

Der Friede von Karlowitz 1699 been-<br />

dete diesen Krieg, der Konflikt mit<br />

dem Osmanischen Reich schwelte jedoch<br />

weiter. Österreich schuf sich durch<br />

diese Siege einen Großmachtstatus, beherrschte<br />

fortan Ungarn <strong>und</strong> sicherte<br />

seine gemeinsame Grenze mit dem<br />

Osmanischen Reich durch die Einrichtung<br />

einer besonderen »Militärgrenze«.<br />

Es hat nicht an zeitgenössischen Versuchen<br />

gefehlt, diesen Konflikt als einen<br />

Kampf der Religionen zu deuten: Der<br />

Türke sei der Antichrist, sein Heiliges<br />

Buch, der Koran, ein Lügengespinst. Er<br />

weigere sich, die überkommenen Regeln<br />

des Krieges anzuerkennen. Es waren<br />

nicht zuletzt die weltlichen <strong>und</strong><br />

geistlichen Führer des Abendlandes,<br />

welche die »Türkenangst« schürten.<br />

Allerorten fürchtete man die Grausamkeit,<br />

insbesondere gegen Frauen, Kinder<br />

<strong>und</strong> Alte, des plündernden, raubenden<br />

<strong>und</strong> mordenden Feindes. <strong>Die</strong><br />

Bilder vom »Türken«, die so gezeichnet<br />

wurden, dienten nicht zuletzt dazu,<br />

die Stellung der Obrigkeiten zu festigen.<br />

Darüber hinaus sollten die Menschen<br />

für den Kampf gegen die Türken<br />

mobilisiert werden. Und der zeitgenössische<br />

Prediger Abraham a Sancta Clara<br />

sprach von »der Anfrischung der christlichen<br />

Waffen wider den Tuerckischen<br />

Bluetengel«.<br />

Aus den erbeuteten osmanischen Bronzekanonen<br />

wurde eine neue Glocke für<br />

den Stephansdom gegossen. <strong>Die</strong> katholische<br />

Kirche schuf im Gedenken an<br />

den Sieg am 1<strong>2.</strong> September den Feiertag<br />

»Mariä Namen«. Im oberösterreichischen<br />

Stift St. Florian ist der Kampf<br />

gegen die Osmanen in zahllosen Bildern<br />

<strong>und</strong> Skulpturen präsent. <strong>Die</strong> an<br />

den Kämpfen beteiligten Truppenführer<br />

verewigten sich <strong>und</strong> ihre Siege in<br />

weltlichen Bauten: Prinz Eugen von Savoyen<br />

(»der edle Ritter«) im Wiener<br />

Belvedere, Kurfürst Max II. Emanuel<br />

von Bayern (»der blaue König«) in<br />

Schleißheim <strong>und</strong> Markgraf Ludwig<br />

Wilhelm von Baden (»Türkenlouis«) in<br />

Rastatt. Auf den Konflikt sind aber<br />

auch kulturelle Importe aus dem Orient<br />

zurückzuführen. So fanden der<br />

Schellenbaum der osmanischen Musikgruppen,<br />

auf dessen Herkunft vor<br />

allem der englischsprachige Begriff<br />

»Turkish crescent« hinweist, <strong>und</strong> die<br />

ihn zierenden Rosshaarschweife Eingang<br />

in die deutsche Militärmusik.<br />

� Harald Potempa<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

23


Service<br />

Freiheit <strong>und</strong> Unfreiheit<br />

Markus Bultmann, Erfahrung von Freiheit <strong>und</strong> Unfreiheit<br />

in der deutschen Geschichte. Rastatt <strong>und</strong> Offenburg:<br />

Erinnerungsorte der Revolution 1848/49. Darstellung –<br />

Dokumentation – Vermittlung, Koblenz 2007 (= Materialien<br />

aus dem B<strong>und</strong>esarchiv, Heft 19). ISBN 978­3­<br />

86509­768­2; 312 S., <strong>und</strong> eine CD, 15,50 Euro<br />

<strong>Die</strong> Soldatinnen <strong>und</strong> Soldaten der B<strong>und</strong>eswehr<br />

bekennen sich durch ihr feierliches<br />

Gelöbnis bzw. ihren Eid, »der<br />

B<strong>und</strong>esrepublik Deutschland treu zu<br />

dienen <strong>und</strong> das Recht <strong>und</strong> die Freiheit<br />

des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«.<br />

Als »Staatsbürgerinnen <strong>und</strong><br />

Staatsbürger in Uniform« sind sie den<br />

Werten <strong>und</strong> Normen des Gr<strong>und</strong>gesetzes<br />

in besonderer Weise verpflichtet.<br />

<strong>Die</strong> politische Bildung in den Streitkräften<br />

soll daher auch verdeutlichen,<br />

dass die freiheitlich demokratische<br />

Gr<strong>und</strong>ordnung schützens- <strong>und</strong> verteidigenswert<br />

ist. Für diese Gr<strong>und</strong>werte<br />

wurde lange gestritten, sie sind verletzlich.<br />

Es bedurfte Mut, sich für sie<br />

einzusetzen <strong>und</strong> es bedarf nach wie<br />

vor des Mutes, sie zu verteidigen. <strong>Die</strong>s<br />

vermittelt die Publikation »Erfahrung<br />

von Freiheit <strong>und</strong> Unfreiheit in der<br />

deutschen Geschichte«. Der Autor,<br />

Markus Bultmann, ist Gymnasiallehrer<br />

in Offenburg <strong>und</strong> entwarf in den Jahren<br />

2003 bis 2005 ein museumspädagogisches<br />

Konzept für die »Erinnerungsstätte<br />

für die Freiheitsbewegungen in<br />

Medien online/digital<br />

24 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

der deutschen Geschichte« in Rastatt.<br />

Dementsprechend versteht sich die<br />

nun vorliegende Studie als eine Handreichung<br />

für die historisch-politische<br />

Bildung.<br />

Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf<br />

der Revolution von 1848/49. Aus erfahrungsgeschichtlicher<br />

Perspektive werden<br />

die historischen Wurzeln unserer<br />

heutigen Demokratie erschlossen. <strong>Die</strong><br />

Darstellung beschränkt sich dabei nicht<br />

nur, wie man aufgr<strong>und</strong> des Untertitels<br />

glauben könnte, auf regionalgeschichtliche<br />

Ereignisse, sondern umfasst die<br />

gesamtdeutsche Entwicklung ebenso<br />

wie die europäische Dimension. Das<br />

Militär spielt bei der Erfahrung von<br />

Freiheit <strong>und</strong> Unfreiheit eine zentrale<br />

Rolle: Es fungierte damals als Instrument<br />

der obrigkeitsstaatlichen Unterdrückung.<br />

Zugleich konnte es sich dem<br />

revolutionären Gedankengut nicht völlig<br />

entziehen, wie Bultmann eindrucksvoll<br />

am Leitbild des »Bürgersoldaten«<br />

erörtert.<br />

Neben dem darstellenden Teil <strong>und</strong><br />

der Vorstellung der Städte Rastatt <strong>und</strong><br />

Offenburg als historische Lernorte bietet<br />

die Publikation zusätzlich auf einer<br />

beigefügten CD zahlreiche Vermittlungshilfen<br />

<strong>und</strong> umfangreiches Quellenmaterial<br />

– alles im PDF-Format. Das<br />

digitale Begleitmedium beinhaltet eine<br />

192 Seiten umfassende kommentierte<br />

Quellensammlung, darunter allein 20<br />

Quellen zum Thema »Der Kampf um<br />

die Streitkräfte«, eine Auswahl an digitalisierten<br />

Handschriften, Arbeitsmaterialien<br />

für den Besuch der Erinnerungsstätte,<br />

praktische Vermittlungshilfen<br />

für die Bildungsarbeit <strong>und</strong> Längsschnitte<br />

zur deutschen Demokratiegeschichte.<br />

Buch <strong>und</strong> CD geben dem Nutzer<br />

sowohl theoretische Gr<strong>und</strong>lagen<br />

als auch eine Vielzahl von praktischen<br />

Hilfestellungen zur Thematik.<br />

DDR<br />

mn<br />

www.nationaler-verteidigungsrat.de<br />

Das Militärgeschichtliche Forschungsamt<br />

(MGFA) hat in Zusammenarbeit<br />

mit dem B<strong>und</strong>esarchiv <strong>und</strong> dem Institut<br />

für Zeitgeschichte, München–Berlin,<br />

eine Website mit den digitalisierten<br />

Akten der Protokolle des Nationalen<br />

Verteidigungsrates der DDR von 1960<br />

bis 1989 erstellt. Das Gemeinschaftsprojekt<br />

wurde von der »B<strong>und</strong>esstiftung<br />

zur Aufarbeitung der SED-Diktatur«<br />

gefördert.<br />

<strong>Die</strong> bis Anfang 1990 streng geheimen<br />

Akten des Nationalen Verteidigungsrates<br />

der DDR sind ein Schlüsselinstrument<br />

für die Erforschung der Sicherheits-<br />

<strong>und</strong> Militärpolitik der SED, aber<br />

auch des Warschauer Paktes insgesamt<br />

sowie der UdSSR. An der Spitze dieses<br />

geheim tagenden Gremiums standen<br />

die Spitzenfunktionäre der SED: Walter<br />

Ulbricht bis 1971, dann Erich Honecker<br />

<strong>und</strong> schließlich in der Endphase<br />

1989 Egon Krenz. <strong>Die</strong> Protokolle der<br />

Sitzungen dokumentieren neben den<br />

eigentlichen militärischen Sicherheits-<br />

<strong>und</strong> Verteidigungsanstrengungen des<br />

SED-Regimes die umfassende Militari


digital<br />

hochrangigen Plenum präsentiert. Fer-<br />

sierung von Staat <strong>und</strong> Gesellschaft in<br />

der DDR <strong>und</strong> erlauben auch einen<br />

Blick auf die NATO von außen. So wurden<br />

regelmäßig Auswertungen von<br />

Manövern <strong>und</strong> Übungen vor dem<br />

ner spiegeln die Dokumente des NVR<br />

den Aufbau des Warschauer Paktes als<br />

Instrument zur Wahrung der sowjetischen<br />

Hegemonial- <strong>und</strong> Sicherheitsinteressen<br />

in Osteuropa wider. Sie<br />

erlauben somit tiefe Einblicke in entscheidende<br />

Dimensionen des ostdeutschen<br />

sowie sowjetischen Herrschaftssystems.<br />

Deshalb waren die Projektpartner<br />

der Ansicht, dass die Akten des<br />

Nationalen Verteidigungsrates der<br />

DDR Wissenschaftlern in aller Welt sowie<br />

einer breiteren, interessierten Fachöffentlichkeit<br />

ohne Beschränkungen<br />

zugänglich gemacht werden sollten.<br />

Eine Veröffentlichung der mehr als<br />

20 000 Blatt umfassenden Sitzungsprotokolle<br />

des NVR von 1960 bis 1989<br />

nebst Anlagen konnte daher nur im<br />

Publikationsmedium Internet erfolgen.<br />

So wird erreicht, dass gerade Wissenschaftlerinnen<br />

<strong>und</strong> Wissenschaftler in<br />

Osteuropa, deren einzige Quelle aus<br />

Mangel an Finanzen zumeist das Internet<br />

ist, einen unbeschränkten <strong>und</strong> vergleichsweise<br />

kostengünstigen Zugang<br />

zu historisch bedeutenden Aktenbeständen<br />

erhalten, die auch für die Aufarbeitung<br />

der Nachkriegsgeschichte<br />

ihrer eigenen Staaten von erheblicher<br />

Bedeutung sein können <strong>und</strong> es zugleich<br />

ermöglichen, Besonderheiten<br />

der von Westeuropa nach 1945 teilweise<br />

abgekoppelten gesellschaftlichen<br />

<strong>und</strong> politischen Entwicklung Osteuropas<br />

besser zu verstehen. Ein weiterer<br />

Nutzen soll darin bestehen, ein Zeichen<br />

in Richtung dieser ehemaligen<br />

Ostblockstaaten zu setzen, ebenfalls<br />

ihre Akten für die Wissenschaft weiter<br />

zu öffnen. Hierzu wurde auf der Internetplattform<br />

des Projektes ein Bereich<br />

für die ehemaligen Staaten des Warschauer<br />

Vertrages – Albanien, Bulgarien,<br />

Polen, Rumänien, Tschechoslowakei,<br />

Sowjetunion <strong>und</strong> Ungarn – geschaffen,<br />

der Forschern aus diesen Ländern<br />

die Möglichkeit eröffnet, über die<br />

Verteidigungsräte ihrer Länder <strong>und</strong><br />

den Verbleib der dazugehörigen Akten<br />

zu informieren.<br />

Heiner Bröckermann<br />

Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände<br />

Mit Nürnberg werden beim Blick auf<br />

die NS-Zeit vier Dinge eng verb<strong>und</strong>en:<br />

die Reichsparteitage der NSDAP, die<br />

»Nürnberger Gesetze« des Jahres 1935,<br />

der Verlagsort der NS-Hetzschrift »Der<br />

Stürmer« sowie die Nürnberger Prozesse<br />

1945/46.<br />

Das »Dokumentationszentrum Reichsparteitagsgelände«<br />

stellt alle vier der<br />

Öffentlichkeit vor, unter anderem auch<br />

auf der Internetseite www.museen.<br />

nuernberg.de/dokuzentrum. <strong>Die</strong><br />

Homepage präsentiert neben aktuellen<br />

Veranstaltungshinweisen die Themenbereiche<br />

»<strong>Die</strong> Stadt der Reichsparteitage«,<br />

»Das Reichsparteitagsgelände«<br />

<strong>und</strong> die Dauerausstellung »Faszination<br />

<strong>und</strong> Gewalt«. So wird einerseits<br />

deutlich, wieso die NS-Bewegung gerade<br />

die alte Kaiserstadt Nürnberg zur<br />

Stadt ihrer »Reichsparteitage« wählte.<br />

<strong>Die</strong> Verbindung zwischen Mittelalter-<br />

Mythos, Gedenken an die Gefallenen<br />

des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es, das den »Frontkämpfer-Mythos«<br />

einschloss, <strong>und</strong> NS-<br />

Bewegung wird herausgestellt. Ein<br />

Lageplan, zahlreiche Fotos <strong>und</strong> Texte<br />

informieren über die Größe des Reichsparteitagsgeländes,<br />

über die verschiedenen<br />

Bauten <strong>und</strong> Einrichtungen.<br />

<strong>Die</strong> Dauerausstellung »Faszination<br />

<strong>und</strong> Gewalt« wird in Gr<strong>und</strong>riss <strong>und</strong><br />

Detail vorgestellt. Der Bogen spannt<br />

sich hier von dem Aufstieg der NSDAP<br />

über »Führer-Mythos«, »Volksgemeinschaft«<br />

<strong>und</strong> »Rassismus/Antisemitismus«<br />

bis hin zur Nutzung des Geländes<br />

nach 1945.<br />

<strong>Die</strong> Homepage gewährt einen Einblick<br />

in den Aufbau einer Ausstellung<br />

am historischen Ort. <strong>Die</strong> auf der Seite<br />

angesprochenen Filmpräsentationen,<br />

Bilder, Zeitzeugeninterviews <strong>und</strong> elektronischen<br />

Schaustationen zeigen die<br />

Möglichkeiten heutiger historisch-politischer<br />

Bildung.<br />

hp<br />

www.museen.nuernberg.de/dokuzentrum<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

2


Service<br />

Lesetipp<br />

Eisernes Kreuz<br />

Welt-online titelte »Ein Orden, in<br />

dem deutsche Geschichte steckt«,<br />

am 6. März 2008 über das Eiserne<br />

Kreuz. 18<strong>13</strong> wurde es vom preußischen<br />

König Friedrich Wilhelm III. als Tapferkeitsauszeichnung<br />

in den Befreiungskriegen<br />

gegen Napoleon gestiftet.<br />

Zu Beginn der Kriege 1870, 1914 <strong>und</strong><br />

1939 wurde die Stiftung von König,<br />

Kaiser <strong>und</strong> »Führer« jeweils erneuert.<br />

Seit 1956 ist das Eiserne Kreuz Hoheitszeichen<br />

der B<strong>und</strong>eswehr. In modernerer<br />

Erscheinungsform ist es seit einigen<br />

Jahren auch als Symbol <strong>und</strong> quasi<br />

Markenzeichen der deutschen Streitkräfte<br />

erkannt, respektiert <strong>und</strong> geachtet<br />

im In- <strong>und</strong> Ausland.<br />

<strong>Die</strong> Symbolgeschichte des Eisernen<br />

Kreuzes war nicht frei von Brüchen,<br />

Widersprüchen <strong>und</strong> Missbrauch. Einen<br />

Teil dieser Historie untersucht Ralph<br />

Winkle in seinem Buch. Er beschränkt<br />

sich auf den Zeitraum 1914 bis 1936. Im<br />

Mittelpunkt der Untersuchung steht<br />

der Begriff der »sozialen Ehre«. Winkle<br />

zeigt die Ordenspolitik <strong>und</strong> die Rituale<br />

der Verleihung des Eisernen Kreuzes<br />

im Ersten <strong>Weltkrieg</strong> als Funktionselement<br />

symbolischer Ordnung im Heer.<br />

Orden <strong>und</strong> Ehrenzeichen waren »billige<br />

Zahlungsmittel« <strong>und</strong> zugleich »moralisches<br />

Kapital«. In der Nachkriegsoder<br />

vielmehr Zwischenkriegszeit forderten<br />

Kriegsinvaliden, Veteranen oder<br />

deren Hinterbliebene den »Dank des<br />

Vaterlands« ein. »Der tote Held <strong>und</strong><br />

der bettelnde Kriegskrüppel« symbolisierten<br />

die Verweigerung sozialer Anerkennung.<br />

Nach 1933 folgten »Glorifizierung«<br />

<strong>und</strong> »Wiederaufwertung«<br />

des Eisernen Kreuzes <strong>und</strong> damit der<br />

»soldatischen Ehre«, so Winkle. »Das<br />

soziale Drama der Ehrung <strong>und</strong> der Entehrung,<br />

der Verleihung, der Verweigerung<br />

[...] von Orden« ist für den Autor<br />

Ralph Winkle, Der<br />

Dank des Vaterlandes.<br />

Eine<br />

Symbolgeschichte<br />

des Eisernen<br />

Kreuzes 1914 bis<br />

1936, Essen 2007.<br />

ISBN 978­3­89861­<br />

610­2; 400 S.,<br />

35,00 Euro<br />

26 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

Ausdruck eines Konflikts innerhalb<br />

des deutschen Heeres, der sich nach<br />

1918 in der zivilen Gesellschaft fortsetzte.<br />

Wer mehr über die Geschichte<br />

des Eisernen Kreuzes erfahren will,<br />

dem sei Winkles Buch empfohlen.<br />

ks<br />

Reichstagsbrand<br />

Sven Felix Kellerhoff,<br />

Der Reichstagsbrand.<br />

<strong>Die</strong> Karriere<br />

eines Kriminalfalls,<br />

Berlin 2008. ISBN 978­<br />

3­89809­078­0; 160 S.,<br />

14,90 Euro<br />

Der Brand des Reichstagsgebäudes<br />

im Februar 1933 erhitzt noch immer<br />

die Gemüter. War es Marinus van<br />

der Lubbe, der junge Niederländer?<br />

Hatte er kommunistische Hintermänner,<br />

wie die Nationalsozialisten sofort<br />

lautstark behaupteten? Oder waren es<br />

die Nationalsozialisten selber, um sich<br />

einen Vorwand für die Verfolgung der<br />

Opposition zu schaffen?<br />

<strong>Die</strong> These von der »kommunistischen<br />

Verschwörung« wurde schon<br />

1933 in einem spektakulären Prozess<br />

vor dem Reichsgericht in Leipzig ad<br />

absurdum geführt. Der Reichstagspräsident<br />

<strong>und</strong> preußische Ministerpräsident<br />

Hermann Göring, als Zeuge wohl<br />

eher Ankläger, fand sich verbal selbst<br />

in der Rolle des Angeklagten wieder.<br />

Das NS-Regime erlitt eine herbe Niederlage:<br />

die kommunistischen Parteifunktionäre<br />

wurden freigesprochen.<br />

Bis heute diskutieren Historiker <strong>und</strong><br />

Publizisten das pro <strong>und</strong> contra der<br />

Thesen einer Verstrickung der NS-Führung<br />

oder des Einzeltäters van der<br />

Lubbe.<br />

Zum 75. Jahrestag des Brandes legt<br />

Sven Felix Kellerhoff ein wichtiges<br />

Buch zum Thema vor: »<strong>Die</strong> Karriere<br />

eines Kriminalfalls«. Kellerhoff gibt<br />

zunächst das Geschehen in der Nacht<br />

vom 27. auf den 28. Februar 1933 minutiös<br />

<strong>und</strong> detailliert wieder. Dabei stützt<br />

er sich auf die protokollierten Aussagen<br />

der Kriminalbeamten. Der größere<br />

Teil des Buches befasst sich mit den<br />

weitreichenden Folgen des Brandes:<br />

Hetze gegen <strong>und</strong> Jagd auf Kommunisten,<br />

»Schutzhaft«, die Reichstagswahlen<br />

im Schatten der Verfolgungen<br />

<strong>und</strong> der Hysterie gegen alle Oppositionellen,<br />

schließlich in Konsequenz dessen<br />

das Ermächtigungsgesetz vom<br />

März 193<strong>3.</strong><br />

Kellerhoff schreibt leicht verständlich<br />

<strong>und</strong> anschaulich. Er zitiert auch<br />

aus dem Prozessprotokoll, wie der Angeklagte<br />

Georgi Dimitroff den Zeugen<br />

Göring vorführte: »Gegen die kommunistische<br />

Partei in Deutschland einen<br />

Kampf zu führen, ist Ihr Recht. Mein<br />

Recht ist [...] Ihre Regierung zu bekämpfen<br />

[...].« Göring antwortete: »Sie<br />

sind in meinen Augen ein Gauner, der<br />

längst an den Galgen gehört!« Dimitroff:<br />

»Haben Sie Angst [...], Herr<br />

Ministerpräsident?« Der Richter entzog<br />

Dimitroff das Wort. Vor den Augen<br />

der Öffentlichkeit aber war Göring<br />

bloßgestellt.<br />

ks<br />

Der Kaukasus<br />

Marie-Carin von<br />

Gumppenberg <strong>und</strong><br />

Udo Steinbach (Hg.),<br />

Der Kaukasus.<br />

Geschichte – Kultur –<br />

Politik, München<br />

2008. ISBN 978­3­<br />

406­56800­8; 240 S.,<br />

12,95 Euro<br />

Der EU-Beitritt Rumäniens <strong>und</strong> Bulgariens<br />

im Jahr 2007 rückte den<br />

Kaukasus in unmittelbare Nachbarschaft<br />

zu Europa. Dennoch ist die Region<br />

nach wie vor für viele Europäer<br />

»Terra incognita«. <strong>Die</strong> drei südkaukasischen<br />

Staaten Georgien, Armenien<br />

<strong>und</strong> Aserbaidschan waren Teil der Sowjetunion<br />

<strong>und</strong> wurden Anfang der<br />

1990er Jahre unabhängig. Innerhalb<br />

Georgiens versuchen seitdem die Provinzen<br />

Abchasien <strong>und</strong> Südossetien die<br />

Unabhängigkeit zu erlangen. <strong>Die</strong> daraus<br />

resultierenden Konflikte <strong>und</strong> die<br />

langjährige Auseinandersetzung zwischen<br />

Armeniern <strong>und</strong> Aserbaidschanern<br />

um »Berg Karabach« beschäftigen<br />

die Weltöffentlichkeit. Im Gegensatz<br />

zu den »eingefrorenen« Konflikten im


Südkaukasus dauern die bewaffneten<br />

Auseinandersetzungen in den zur Russischen<br />

Föderation gehörenden nordkaukasischen<br />

Teilrepubliken weiter an.<br />

Zwar wurde der Tschetschenienkonflikt<br />

offiziell längst beigelegt. Anschläge<br />

<strong>und</strong> Gefechte stehen aber bis<br />

heute auf der Tagesordnung. Allerdings<br />

haben sie an Zahl <strong>und</strong> Intensität<br />

in Tschetschenien abgenommen bzw.<br />

sich in die Nachbarrepubliken verlagert.<br />

16 namhafte Wissenschaftler zeigen<br />

in dem über 250 Seiten umfassenden<br />

Buch zunächst kenntnisreich die politische<br />

Situation auf. Mit der Türkei <strong>und</strong><br />

dem Iran werden dabei auch zwei an<br />

den Kaukasus grenzende Staaten in<br />

den Blick genommen. <strong>Die</strong> Perspektiven,<br />

die Rolle internationaler Organisationen<br />

sowie die wirtschaftliche Lage<br />

in der Region sind Gegenstand weiterer<br />

prof<strong>und</strong>er Beiträge.<br />

Darauf aufbauend werden die eingangs<br />

skizzierten vielschichtigen Konflikte<br />

analysiert <strong>und</strong> dem Leser gut<br />

verständlich vorgestellt. Im Mittelpunkt<br />

des Bandes stehen allerdings<br />

nicht nur die politischen Verhältnisse<br />

<strong>und</strong> die Konflikte. Informative Beiträge<br />

über ausgesuchte kulturelle Aspekte<br />

erzählen über die Ethnien, Sprachen,<br />

Religionen, Kunst, politischen Traditionen<br />

<strong>und</strong> Rechtskultur. Sie bringen<br />

dem Leser in gelungener Weise den<br />

kulturellen Reichtum der Region nahe.<br />

Mehrere Karten zu Geografie, Ethnien,<br />

Politik <strong>und</strong> Wirtschaft erleichtern dem<br />

Leser die Orientierung <strong>und</strong> r<strong>und</strong>en das<br />

Buch ab.<br />

mp<br />

Militärbiografie<br />

»<br />

Jedesmal, wenn ein Buch mit einer<br />

Erfahrung zusammenstößt, kommt<br />

es zu einer Interferenz, zu einer pro-<br />

Hans Magnus<br />

Enzensberger, Hammerstein<br />

oder der Eigensinn.<br />

Eine deutsche<br />

Geschichte, Frankfurt<br />

a.M. 2008. ISBN 978­3­<br />

518­41960­1; 376 S.,<br />

64 Abb., 22,90 Euro<br />

duktiven Störung«, so der Schriftsteller<br />

Hans Magnus Enzensberger 1979 bei<br />

seiner Übersetzung von Molières »Der<br />

Menschenfeind«. Reich an produktiven<br />

Störungen ist sein Versuch, das<br />

Leben des Generalobersten Kurt von<br />

Hammerstein-Equord (1878-1943) für<br />

ein breites Publikum zu »übersetzen«.<br />

Hammerstein war ein erklärter Gegner<br />

der Nationalsozialisten, Russland-Spezialist<br />

<strong>und</strong> hatte Kontakt zum Widerstand.<br />

In der Endphase der Weimarer<br />

Republik war er Chef der Heeresleitung<br />

(1930-1934). Hitler hielt seine berühmt-berüchtigte<br />

erste Rede zur künftigen<br />

Militärpolitik vor den Spitzen der<br />

Reichswehr am <strong>3.</strong> Februar 1933 in<br />

Hammersteins <strong>Die</strong>nstwohnung im<br />

Bendlerblock. Zwei seiner Söhne waren<br />

am 20. Juli 1944 beteiligt, die Töchter<br />

sympathisierten offen bzw. verdeckt<br />

mit der KPD.<br />

Enzensberger schrieb ein Psycho-<br />

<strong>und</strong> Soziogramm einer deutschen<br />

Adelsfamilie, die Widerstand leistete.<br />

Es gewährt Einblicke in die persönlichen<br />

Verbindungen führender Militärs<br />

sowie in die Struktur der (1933 verbotenen)<br />

KPD sowie der KPdSU. Es<br />

macht zugleich die Problematik <strong>und</strong><br />

Vielschichtigkeit des Widerstandes gegen<br />

das NS-Regime fassbar.<br />

Elf fiktive Unterhaltungen mit Toten<br />

sowie sieben eingeschobene Glossen<br />

(etwa »<strong>Die</strong> Schrecken der Weimarer<br />

Republik«) bieten einen eigenwilligen<br />

Zugang zur deutschen Geschichte. Sie<br />

rütteln auf – <strong>und</strong> erreichen dadurch<br />

beim Leser mehr als so manche nüchterne<br />

Darstellung von Historikern. »Es<br />

bleibt ein ungesagter Rest, den keine<br />

Biographie auflösen kann; <strong>und</strong> vielleicht<br />

ist es dieser Rest, auf den es ankommt«,<br />

so Enzensberger am Ende seines<br />

ungewöhnlichen Buches (S. 343).<br />

hp<br />

Hitlers Helfer<br />

Wer in einer beliebigen deutschen<br />

Stadt Kriegerdenkmäler betrachtet<br />

oder sich in den populären Medien<br />

über Kriege der letzten 200 Jahre mit<br />

Beteiligung deutscher Truppen informiert,<br />

der kann einen falschen Eindruck<br />

bekommen. Er oder sie mag annehmen,<br />

dass diese Kriege die Unternehmungen<br />

von nur einem deutschen<br />

Staat oder dem Deutschen Reich gewesen<br />

seien. <strong>Die</strong>sem schiefen Bild eines<br />

»einfachen« nationalen Krieges wird<br />

dann gerne die heutige komplexe Gemengelage<br />

von Bündnissen, »Rules of<br />

Engagement« <strong>und</strong> Truppenstellerkonferenzen<br />

entgegengehalten.<br />

Rolf-<strong>Die</strong>ter Müller,<br />

An der Seite der<br />

Wehrmacht. Hitlers<br />

ausländische Helfer<br />

beim »Kreuzzug gegen<br />

den Bolschewismus«<br />

1941­1945, Berlin<br />

2007. ISBN 978­3­<br />

86153­448­8; 275 S.,<br />

24,90 Euro<br />

Rolf-<strong>Die</strong>ter Müller ist es gelungen,<br />

dieses Bild mit Blick auf den Zweiten<br />

<strong>Weltkrieg</strong> an der Ostfront im Zeitraum<br />

1941 bis 1945 zu korrigieren. Was sich<br />

auf den ersten Blick als der »letzte<br />

deutsche Krieg« darstellt, entpuppt<br />

sich als Einsatz von Truppen aus 20 europäischen<br />

Völkern, die an der Seite<br />

der Wehrmacht – gezwungen oder freiwillig<br />

– gegen die Rote Armee im Einsatz<br />

waren. Das Buch ist nach Ländern<br />

gegliedert. <strong>Die</strong> Analyse der drei Gruppen<br />

– Verbündete, Freiwillige aus neutralen<br />

<strong>und</strong> besetzten Gebieten, osteuropäische<br />

Völker im Kampf gegen den<br />

Stalinismus – macht den Hauptteil des<br />

Buches aus.<br />

Der Autor kommt zu dem Ergebnis,<br />

dass die Zahl der Verbündeten 1941 an<br />

der Ostfront etwa eine Million Mann<br />

ausmachte, bei einer Wehrmachtsstärke<br />

von drei Millionen deutscher<br />

Soldaten. Während des Krieges sank<br />

die Stärke der Wehrmacht auf 2,5 Millionen<br />

Mann, die der Verbündeten erhöhte<br />

sich auf zwei Millionen. Ohne<br />

diese Verbündeten hätte sich die Wehrmacht<br />

nicht auf den Hauptstoß Richtung<br />

Moskau konzentrieren können,<br />

wäre die Sommeroffensive 1942 nicht<br />

möglich gewesen <strong>und</strong> hätte die Wehrmacht<br />

niemals so lange durchhalten<br />

können. Hinzu kam der Einsatz hinter<br />

der Front im Rahmen der »Partisanenbekämpfung«.<br />

Auch sie wäre ohne<br />

Deutschlands Verbündete nicht möglich<br />

gewesen.<br />

hp<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

2


� Alzey<br />

Service<br />

Als Not erfinderisch machte.<br />

»Notprodukte« aus der Zeit<br />

vor <strong>und</strong> nach dem Ende<br />

des Zweiten <strong>Weltkrieg</strong>es.<br />

Museum der Stadt Alzey<br />

Antoniterstraße 41<br />

55232 Alzey<br />

Telefon: 0 67 31/49 88 96<br />

Telefax: 0 67 31/99 08 85<br />

www.museum-alzey.de<br />

museum@alzey.de<br />

18. Mai bis 6. Juli 2008<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 1<strong>2.</strong>00 <strong>und</strong><br />

14.00 bis 16.30 Uhr<br />

Montag geschlossen<br />

Eintritt frei<br />

� Artstetten<br />

Feldmarschallleutnant<br />

Freiherr Guido von Novak<br />

Arienti: »Ein Leben für<br />

Gott, Kaiser <strong>und</strong> Vaterland«.<br />

Ein Offizier <strong>und</strong><br />

seine Zeit<br />

Schloss Artstetten<br />

Erzherzog Franz Ferdinand<br />

Museum<br />

A-3661 Artstetten<br />

Telefon:<br />

+43 (0) 74 <strong>13</strong> / 80 06-0<br />

Telefax:<br />

+43 (0) 74 <strong>13</strong> / 80 06-15<br />

www.schloss-artstetten.at<br />

museum@schloss-artstetten.at<br />

1. April bis <strong>2.</strong> Nov. 2008<br />

täglich von 9.00 bis 17.30<br />

Uhr<br />

Eintritt: 7,00 €<br />

ermäßigt ab 4,00 €<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: A1 Ri chtung Linz/<br />

Salzburg Abfahrt »Pöchlarn«.<br />

Ausstellungen<br />

� Bad Bocklet<br />

Aufstand des Gewissens<br />

Wandelhalle im Kurpark<br />

97708 Bad Bocklet<br />

Telefon: 0 97 08 / 7 07 03-0<br />

Telefax: 0 97 08 / 7 07 03-9<br />

www.badbocklet.de<br />

info@badbocklet.de<br />

<strong>2.</strong> Juli bis 4. August 2008<br />

Öffnungszeiten:<br />

täglich 8.30 bis 2<strong>2.</strong>00 Uhr<br />

Eintritt frei<br />

� Berlin<br />

The Making of ... <strong>Die</strong><br />

Männer <strong>und</strong> Frauen der<br />

Berliner Luftbrücke 1948/49<br />

AlliiertenMuseum<br />

Clayallee <strong>13</strong>5<br />

14195 Berlin<br />

Telefon: 030 / 81 81 99-0<br />

Fax: 030 / 81 81 99-91<br />

www.alliiertenmuseum.de<br />

info@AlliiertenMuseum.de<br />

27. Juni 2008 bis<br />

20. September 2009<br />

Öffnungszeiten<br />

täglich außer Mittwoch<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt frei<br />

Verkehrsanbindung:<br />

S-Bahn: S 1 bis Station »Zehlendorf«,<br />

weiter mit Bus 115<br />

bis Haltestelle »Alliierten-<br />

Museum«; U-Bahn: U 3 bis<br />

Station »Oskar-Helene-<br />

Heim«; Bus: Linie 115 oder<br />

183 bis Haltestelle »Alliierten-<br />

Museum«.<br />

Welt im Umbruch.<br />

Fotojournalismus in den<br />

90er Jahren<br />

Deutsches Historisches<br />

Museum – Pei-Bau<br />

Hinter dem Gießhaus 3<br />

10117 Berlin<br />

Telefon: 0 30 / 20 30 40<br />

Telefax: 0 30 / 20 30 45 43<br />

www.dhm.de<br />

bresky@dhm.de (Führungen)<br />

14. März bis 15. Juni 2008<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 4,00 €<br />

(unter 18 Jahren frei)<br />

28 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

Verkehrsanbindung:<br />

S-Bahn: Stationen »Hackescher<br />

Markt« <strong>und</strong> »Friedrichstraße«;<br />

U-Bahn: Stationen<br />

»Französische Straße«,<br />

»Hausvogteiplatz« <strong>und</strong><br />

»Friedrichstraße«; Bus: Linien<br />

100, 157, 200 <strong>und</strong> 348 bis<br />

Haltstellen »Staatsoper«<br />

oder »Lustgarten«.<br />

Brennpunkt Berlin: <strong>Die</strong><br />

Blockade 1948/49. Der Fotojournalist<br />

Henry Ries<br />

Deutsches Historisches<br />

Museum – Pei-Bau<br />

(siehe oben)<br />

1<strong>2.</strong> Juni bis 21. Sept. 2008<br />

Jewgeni Chaldej – Der<br />

bedeutende Augenblick.<br />

Eine Retrospektive<br />

Martin-Gropius-Bau<br />

Niederkirchnerstraße 7<br />

10963 Berlin<br />

Telefon: 030 / 2 54 86-0<br />

Telefax: 030 / 2 54 86-1 07<br />

www.gropiusbau.de<br />

post@gropiusbau.de<br />

www.chaldej.de<br />

8. Mai bis 28. Juli 2008<br />

Mittwoch bis Montag<br />

10.00 bis 20.00 Uhr<br />

Eintritt: 5,00 €<br />

ermäßigt 3,00 €<br />

Verkehrsverbindung:<br />

U-Bahn: U 2 bis Station<br />

»Potsdamer Platz« ;<br />

S-Bahn: Linien 1, 2, 25 bis<br />

Stationen »Potsdamer Platz«<br />

oder »Anhalter Bahnhof«;<br />

Bus: M 29 bis Station<br />

»S Anhalter Bahnhof«, M 4<br />

bis Station »Abgeordnetenhaus«.<br />

Geschichte der Luftfahrzeugantriebe<br />

Luftwaffenmuseum der<br />

B<strong>und</strong>eswehr<br />

Kladower Damm 182<br />

14089 Berlin-Gatow<br />

Telefon: 030 / 36 87 26 01<br />

Telefax: 030 / 36 87 26 10<br />

www.luftwaffenmuseum.com<br />

LwMuseumBwEingang@<br />

b<strong>und</strong>eswehr.org<br />

1<strong>2.</strong> Oktober 2007 bis<br />

31. Oktober 2008<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt frei<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Eingang zum Museum: Ritterfelddamm<br />

/Am Flugfeld Gatow.<br />

� Celle<br />

Nec Aspera Terrent.<br />

Hannoversche Militärgeschichte<br />

vom Siebenjährigen<br />

Krieg bis zur<br />

Schlacht bei Langensalza.<br />

Zinnfiguren-Ausstellung<br />

in der Ehrenhalle der<br />

Hannoverschen Armee<br />

Bomann-Museum Celle<br />

Schloßplatz 7<br />

29221 Celle<br />

Telefon: 0 51 41 / 1 23 72<br />

Telefax: 0 51 41 / 1 25 35<br />

www.bomann-museum.de<br />

(links unter »Museen« auf<br />

»Bomann-Museum« klicken)<br />

bomann-museum@celle.de<br />

20. April bis 26. Okt. 2008<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt: 3,00 €<br />

ermäßigt ab 1,00 €<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: (von Norden) A 7<br />

Hamburg-Hannover, Abfahrt<br />

Soltau-Süd, B 3 Soltau-Celle<br />

bzw. A 250 Hamburg-Lüneburg,<br />

B 4 Lüneburg-Uelzen,<br />

B 191 Uelzen-Celle (von Süden),<br />

B 214 Braunschweig-Celle<br />

bzw. A 7 Hannover-Hamburg,<br />

Abfahrt AB-Kreuz Hannover-<br />

Kirchhorst: A 37 Hannover-<br />

Burgdorf, B 3 Burgdorf-Celle.<br />

� Frankfurt (Oder)<br />

Friedrich Wilhelm Carl<br />

von Schmettau – Pionier<br />

der modernen Kartographie,<br />

Übersetzer, Militärschriftsteller,<br />

Gestalter von<br />

Parks <strong>und</strong> Gärten<br />

Kleist-Museum<br />

Faberstraße 7<br />

15230 Frankfurt (Oder)<br />

Telefon: 03 35 / 53 11 55<br />

Telefax: 03 35 / 5 00 49 45<br />

www.kleist-museum.de<br />

info@kleist-museum.de<br />

27. April bis 29. Juni 2008<br />

Eintritt: 3,00 €<br />

ermäßigt 2,00 €<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Wegbeschreibung:<br />

www.kleist-museum.de<br />

(Menüpunkt »Museumsbesuch«).<br />

� Kossa/Söllichau<br />

Militärmuseum Bunker<br />

Kossa<br />

Dauerausstellung zur NVA-<br />

Geschichte


Dahlenberger Str. 1<br />

04849 Kossa/Söllichau<br />

Telefon: 03 42 43 / 2 21 20<br />

Telefax: 03 42 43 / 2 31 20<br />

www.bunker-kossa.de<br />

mmk@bunker-kossa.de<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

9.00 bis 16.00 Uhr<br />

(Führungen jeweils 10.00<br />

<strong>und</strong> <strong>13</strong>.00 Uhr)<br />

Eintritt: 5–10 €<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Von Bad Düben nach<br />

Söllichau, am Ortsausgang<br />

Söllichau hinter Bahnübergang<br />

links der Waldstraße folgen,<br />

Ausschilderung beachten.<br />

� Krefeld<br />

Das Geheimnis der Kelten<br />

Museum Burg Linn<br />

Rheinbabenstraße 85<br />

47809 Krefeld<br />

Telefon: 0 21 51 / 57 00 36<br />

www.diekelten.de<br />

burglinn@krefeld.de<br />

20. Jan. bis <strong>3.</strong> Aug. 2008<br />

bis Ende März <strong>Die</strong>nstag bis<br />

Sonntag 11.00 bis 17.00 Uhr<br />

ab April <strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

11.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 3,00 €<br />

ermäßigt: ab 1,50 €<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: A 57 Abfahrt Krefeld-<br />

Oppum/Linn; Straßenbahn:<br />

ab Hauptbahnhof Linie 044-<br />

Rheinhafen bis Haltestelle<br />

»Burg Linn«.<br />

� Ludwigsburg<br />

Zwischen Kunst <strong>und</strong><br />

Kitsch – Erinnerungskultur<br />

der Soldaten<br />

Garnisionmuseum<br />

Ludwigsburg<br />

Asperger Straße 52<br />

71634 Ludwigsburg<br />

Telefon: 0 71 41 / 9 10 24 12<br />

Telefax: 0 71 41 / 9 10 23 42<br />

www.garnisionmuseumludwigsburg.deinfo@garnisionmuseumludwigsburg.de<br />

1. Juli 2007 bis 27. Juli 2008<br />

Mittwoch<br />

15.00 bis 18.00 Uhr<br />

Sonntag<br />

<strong>13</strong>.00 bis 17.00 Uhr<br />

(<strong>und</strong> auf Anfrage)<br />

Eintritt frei<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: A 81-B 27; S-Bahn: S 4<br />

<strong>und</strong> S 5 (von Stuttgart bzw.<br />

Bietigheim) bis Station<br />

»Ludwigsburg«.<br />

� Munster<br />

Unverschämtes Glück<br />

Deutsches Panzermuseum<br />

Munster<br />

Hans-Krüger-Str. 33<br />

29633 Munster<br />

Telefon: 05 19 / 22 55 2<br />

Telefax: 05 19 / 21 30 21 5<br />

www.munster.de (links Verlinkung<br />

zum »Panzermuseum«)<br />

panzermuseum@munster.de<br />

5. Juni bis 1. Nov. 2008<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

10.00 Uhr bis 18.00 Uhr<br />

Montag geschlossen<br />

(letzter Einlass 17.00 Uhr)<br />

An den Feiertagen auch<br />

montags geöffnet<br />

Eintritt: 5,00 €<br />

ermäßigt 2,50 €<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Pkw: Eine Anfahrtsskizze gibt<br />

es auf der Internetseite über<br />

»Kontakt«, dann »Anfahrt«;<br />

Bahn: Vom Bahnhof Munster<br />

entweder mit Taxi oder zu<br />

Fuß über Bahnhofsstraße,<br />

Wagnerstraße <strong>und</strong> Söhlstraße<br />

zur Hans-Krüger-Straße<br />

(ca. 15 Minuten Fußweg).<br />

� Nordholz<br />

Manfred von Richthofen<br />

AERONAUTICUM<br />

Deutsches Luftschiff- <strong>und</strong><br />

Marinefliegermuseum<br />

Peter-Strasser-Platz 3<br />

27637 Nordholz<br />

Telefon: 0 47 41 / 18 19-<strong>13</strong><br />

(oder -11)<br />

Telefax: 0 47 41 / 18 19-15<br />

www.aeronauticum.de<br />

info@aeronauticum.de<br />

10. April bis 14. Sept. 2008<br />

Februar bis November<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Dezember bis Januar<br />

täglich 10.00 bis 16.00 Uhr<br />

Eintritt: 6,50 €<br />

ermäßigt 2,50 €<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Anfahrtsbeschreibung per Kfz:<br />

www.aeronauticum.de<br />

(Menüpunkt Besucherinformation,<br />

Anfahrt).<br />

� Prora<br />

Erinnerung bewahren.<br />

Sklaven <strong>und</strong> Zwangsarbeiter<br />

des Dritten Reiches<br />

aus Polen 1939–1945<br />

Dokumentationszentrum<br />

Prora<br />

Objektstraße, Block 3/<br />

Querriegel<br />

18609 Prora<br />

Telefon: 03 83 93 / 1 39 91<br />

Telefax: 03 83 93 / 1 39 34<br />

www.proradok.de<br />

info@proradok.de<br />

24. April bis 31. Aug. 2008<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 3,00 €<br />

ermäßigt 2,00 €<br />

(Kinder unter 14 Jahren<br />

freier Zutritt)<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Anfahrtsbeschreibung für<br />

Anreise mit Bahn, Bus <strong>und</strong><br />

Kfz: www.proradok.de/seiten_<br />

deutsch/service.html.<br />

� Speyer<br />

Samurai<br />

Historisches Museum<br />

der Pfalz<br />

Domplatz, 67346 Speyer<br />

Telefon: 0 62 32 / 1 32 50<br />

Telefax: 0 62 32 / 1 32 54 0<br />

www. museum.speyer.de<br />

info@museum.speyer.de<br />

24. Februar bis 5. Okt. 2008<br />

<strong>Die</strong>nstag bis Sonntag<br />

10.00 bis 18.00 Uhr<br />

Eintritt: 10,00 €<br />

ermäßigt 7,00 €<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Anfahrtsbeschreibung per Bus<br />

<strong>und</strong> Kfz:<br />

www.museum.speyer.de<br />

(Menüpunkt Informationen,<br />

Anreise).<br />

� Wien<br />

Einmarsch ‘38<br />

Heeresgeschichtliches<br />

Museum<br />

Militärhistorisches Institut<br />

Arsenal, Objekt 1<br />

A-1030 Wien<br />

Telefon: +43 (1) / 79 56 1-0<br />

Telefax: +43 (1) / 79 56 1-17<br />

70 7<br />

www.hgm.or.at<br />

bmlv.hgm@magnet.at<br />

11. Juni bis 9. Nov. 2008<br />

täglich 9.00 bis 17.00 Uhr<br />

Freitag geschlossen<br />

Eintritt: 5,10 €<br />

ermäßigt 3,30 €<br />

(bis 10 Jahre frei)<br />

Verkehrsanbindung:<br />

Schnellbahn: Bis Station<br />

»Südbahnhof«; Straßenbahn:<br />

Linien 18, D, O; Autobus:<br />

Linien <strong>13</strong> A, 69 A; U-Bahn:<br />

U 1 bis Station »Südbahnhof«,<br />

U 3 bis Station<br />

»Schlachthausgasse«.<br />

� Wilhelmshaven<br />

Meuterei – Revolution –<br />

Selbstversenkung. <strong>Die</strong><br />

Marine <strong>und</strong> das Ende des<br />

Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />

Deutsches Marinemuseum<br />

Südstrand 125<br />

26382 Wilhelmshaven<br />

Telefon: 0 44 21 / 4 10 61<br />

www.marinemuseum.de<br />

info@marinemuseum.de<br />

25. April bis 9. Nov. 2008<br />

April bis Oktober<br />

täglich 10.00 bis 18.00 Uhr<br />

November bis März<br />

täglich 10.00 bis 17.00 Uhr<br />

Eintritt: 8,50 €<br />

ermäßigt 5,00 €<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

29


<strong>3.</strong> September 1 83<br />

ullstein bild - Granger Collection<br />

Service<br />

Militärgeschichte kompakt<br />

Friede zu Versailles 1 83 – Ende des<br />

Amerikanischen Unabhängigkeitskrieges<br />

Der Friedensschluss zu Versailles – auch Friede zu Paris genannt<br />

– beendete am <strong>3.</strong> September 1783 den Amerikanischen<br />

Unabhängigkeitskrieg (1776-1783). Er wurde zwischen<br />

Großbritannien <strong>und</strong> den dreizehn aufständischen Kolonien<br />

in Nordamerika geschlossen. Dem Friedensvertrag waren<br />

britische Niederlagen <strong>und</strong> ein Vorfriede vom 20. November<br />

1782 vorausgegangen. Ratifiziert wurde der Friedensvertrag<br />

von Versailles seitens der USA am 14. Januar 1784, die<br />

britische Seite ließ mit ihrer Unterschrift bis zum 9. April<br />

1784 auf sich warten.<br />

Zeitgleich schloss Großbritannien Frieden mit den am Kriege<br />

5 Friede zu Paris, 1783: ebenfalls beteiligten Königreichen Frankreich <strong>und</strong> Spanien.<br />

<strong>Die</strong> amerikanischen Friedens- <strong>Die</strong> Vereinigten Staaten von Amerika wurden durch den<br />

kommissare (<strong>3.</strong> v. links Benja- Frieden anerkannt, diverse amerikanische Fischereierechte<br />

min Franklin). Unvollendetes wurden ebenso garantiert wie die freie Nutzung des Missis-<br />

Gemälde (die britischen Friesippi. Beide Kriegsparteien hatten ihre Kriegsschulden zu<br />

denskommissare weigerten bezahlen; verbliebenes britisches Militärmaterial in den<br />

sich, für das Gemälde zu posie- USA durfte nicht beschädigt werden, die Kriegsgefangenen<br />

ren) von Benjamin West. waren freizulassen. <strong>Die</strong> USA hatten Gebiete, die nach dem<br />

Frieden besetzt worden waren, zu räumen.<br />

Der Friede von Versailles bedeutete den Anfang der USA als Nation sowie den Beginn<br />

der ersten großen Republik mit demokratischer Herrschaftsform der Neuzeit.<br />

<strong>Die</strong>ses Beispiel wirkte auf Frankreich, wo 1789 die Revolution ausbrach, sowie auf Polen,<br />

das sich 1791 die erste geschriebene Verfassung Europas gab.<br />

hp<br />

26. August 19 8<br />

ullstein bild - ADN-Bildarchiv<br />

Start des ersten Deutschen in den Weltraum<br />

Am letzten Samstag im August 1978 startete Major Sigm<strong>und</strong><br />

Jähn (Luftstreitkräfte/Luftverteidigung der NVA) als<br />

erster Deutscher einen Flug in den Weltraum. Jähn, 1937 im<br />

Vogtland geboren, trat nach einer Lehre als Buchdrucker im<br />

April 1955 seinen Wehrdienst in der DDR an. Nach mehreren<br />

Verwendungen in den DDR-Luftstreitkräften wurde Jähn<br />

Mitte der 60er Jahre für ein Studium an die Militärakademie<br />

der Luftstreitkräfte der Sowjetunion »J.A. Gagarin« berufen,<br />

das er mit dem Diplom eines Militärwissenschaftlers<br />

abschloss. Ab 1976 nahm Jähn an einer Kosmonautenausbildung<br />

im Rahmen des Interkosmos-Programms der UdSSR<br />

teil. Es sah die Einbindung nicht-sowjetischer Technik in<br />

5 Waleri F. Bykowski (links) das sowjetische Raumfahrtprogramm vor. Am 26. August<br />

<strong>und</strong> Sigm<strong>und</strong> Jähn vor der ge- flog Jähn schließlich gemeinsam mit Waleri F. Bykowski in<br />

borgenen Raumkapsel, der sowjetischen Raumkapsel Sojus 31 ins All. Insgesamt<br />

<strong>3.</strong>9.1978.<br />

125 Mal sollten die beiden Kosmonauten die Erde umkreisen<br />

<strong>und</strong> dabei etliche wissenschaftliche Experimente durchführen.<br />

Nach sieben Tagen, 20 St<strong>und</strong>en, 49 Minuten <strong>und</strong> vier Sek<strong>und</strong>en landete die<br />

Rückkehrkapsel Sojus 29 wieder auf der Erde – unerwartet hart, was bei Jähn bleibende<br />

Wirbelsäulenschäden hinterließ.<br />

<strong>Die</strong> DDR würdigte Jähn ausgiebig. Zahlreiche Schulen <strong>und</strong> Freizeiteinrichtungen<br />

tragen noch heute seinen Namen. Der »Held der DDR« <strong>und</strong> »Held der Sowjetunion«<br />

stieg 1986 zum Generalmajor der NVA auf. Der Name Jähn ist auch heute noch zahlreichen<br />

Menschen in den neuen B<strong>und</strong>esländern ein Begriff: 2005 erinnerten sich im<br />

Osten bei einer Umfrage noch 60 Prozent an Jähn. Sigm<strong>und</strong> Jähn erfuhr im All die<br />

»totale Glückseligkeit: Unsere Erde, in leuchtendes Blau gehüllt.« <strong>Die</strong> DDR war das<br />

fünfte Land, das an der bemannten Raumfahrt teilhaben konnte; er habe, so der Kosmonaut<br />

denn auch im September 1978, seinem Land »das Tor ins Weltall aufgestoßen«.<br />

Fünf Jahre später, 1983, flog mit Ulf Merbold der erste Westdeutsche ins All. Mit<br />

besonderen Worten würdigte 2002 der damalige B<strong>und</strong>espräsident Johannes Rau den<br />

ehemaligen NVA-General Jähn: »Sie haben an diesem Tag vielen Menschen das Gefühl<br />

gegeben, zum ersten Mal sei ›einer von uns‹ hinaus ins All geflogen.« Sigm<strong>und</strong> Jähn<br />

ist heute als freier Berater für die European Space Agency (ESA) <strong>und</strong> für das Deutsche<br />

Zentrum für Luft- <strong>und</strong> Raumfahrt e.V. (DLR) tätig.<br />

mt<br />

30 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

Heft 3/2008<br />

Militärgeschichte<br />

Zeitschrift für historische Bildung<br />

� Vorschau<br />

Im November vor 90 Jahren endete der Erste<br />

<strong>Weltkrieg</strong>, der auch als die »Urkatastrophe<br />

des 20. Jahrh<strong>und</strong>erts« bezeichnet wird. Doch<br />

nicht nur der Krieg selbst war katastrophal,<br />

die Folgen waren es ebenfalls. In Deutschland<br />

kam es zu Revolution <strong>und</strong> Bürgerkrieg.<br />

<strong>Die</strong> »Vielvölkerreiche« Österreich-Ungarn<br />

<strong>und</strong> das Osmanische Reich zerbrachen durch<br />

nationale Aufstände. Aus den Trümmern des<br />

zaristischen Russlands erwuchs nach blutigen<br />

Kämpfen die Sowjetunion. Das damalige<br />

Europa <strong>und</strong> die Welt wurden erschüttert,<br />

die Nachwirkungen sind bis heute spürbar.<br />

Im Mittelpunkt der nächsten Ausgabe der<br />

Militärgeschichte stehen die Ereignisse des<br />

Herbstes 1918. <strong>Die</strong>se waren so vielfältig, dass<br />

der Versuch, sie alle historisch zu würdigen,<br />

nur scheitern kann. <strong>Die</strong> Redaktion traf daher<br />

eine Auswahl, die unvollständig bleiben<br />

muss. Ausschlaggebend war letztlich eine engere<br />

Verbindung zur deutschen Militärgeschichte.<br />

Werner Rahn blickt auf die Ereignisse in<br />

Kiel <strong>und</strong> Wilhelmshaven im Oktober/November<br />

1918 zurück. <strong>Die</strong>ter Storz schildert<br />

den Zusammenbruch der Westfront. Beide<br />

Aufsätze greifen somit zwei Hauptstränge jener<br />

militärischen Entwicklungen am Ende<br />

des Krieges auf, die, neben anderen tiefer liegenden<br />

Ursachen, zur Revolution im November<br />

führten. Der Beitrag von Rüdiger Bergien<br />

geht zeitlich über den November 1918 hinaus.<br />

Er stellt die Zeit des Bürgerkriegs, der<br />

bewaffneten Aufstände <strong>und</strong> deren Zerschlagung<br />

durch ehemalige Fronttruppen, vor,<br />

wobei die besondere Rolle der Freikorps aufgezeigt<br />

wird.<br />

<strong>Die</strong> Kriegsmüdigkeit aller Völker Europas<br />

hielt nicht lange an. 21 Jahre später begann<br />

Deutschland einen neuen <strong>Weltkrieg</strong>. Aus den<br />

schrecklichen Lehren beider Kriege heraus<br />

entstand die Überzeugung der Weltgemeinschaft,<br />

dass sich Ähnliches nicht mehr wiederholen<br />

darf. <strong>Die</strong>sem Ziel verpflichtet, verabschiedete<br />

die Generalversammlung der<br />

Vereinten Nationen im Dezember 1948 die<br />

Konvention über die Verhütung <strong>und</strong> Bestrafung<br />

des Völkermords. Sie jährt sich damit<br />

zum 60. Mal, ein Gr<strong>und</strong> für Franz-Joseph<br />

Hutter, darauf zurückzublicken.<br />

Ein anderes, erfreuliches Jubiläum feiert<br />

die Deutsche Marine <strong>und</strong> mit ihr die B<strong>und</strong>eswehr<br />

im Dezember: den 50. Jahrestag der Indienststellung<br />

des Segelschulschiffs »Gorch<br />

Fock«. <strong>Die</strong> kommende Ausgabe der Militärgeschichte<br />

geht auf dieses Jubiläum ein.<br />

ks


Militärgeschichte im Bild<br />

ČSSR 1968: Militärische<br />

Reaktionen des Westens<br />

In der Nacht vom 20. zum 21. August<br />

1968 marschierten Truppen des Warschauer<br />

Paktes – aus vier Richtungen<br />

kommend – auf breiter Front <strong>und</strong> unter<br />

Einhaltung völliger Funkstille in die<br />

ČSSR ein. Mehr als 200 000 Mann mit<br />

Tausenden von Panzern <strong>und</strong> Schützenpanzerwagen<br />

fluteten ins Land. <strong>Die</strong><br />

militärische Intervention beendete gewaltsam<br />

den Versuch der Tschechen<br />

<strong>und</strong> Slowaken, einen »Sozialismus mit<br />

menschlichem Antlitz« aufzubauen,<br />

der als »Prager Frühling« in die Geschichte<br />

einging. Das totalitäre sowjetische<br />

System hatte damit im eigenen<br />

Herrschaftsbereich noch einmal seine<br />

Macht demonstriert (siehe Militärgeschichte<br />

3/2003).<br />

<strong>Die</strong> zügig durchgeführte Militäroperation<br />

der Sowjets kam nicht nur für<br />

die Führung der ČSSR, sondern auch<br />

für den Westen überraschend. <strong>Die</strong> tatsächliche<br />

Überraschung bezog sich vor<br />

allem darauf, dass es bis zuletzt nicht<br />

gelungen war, den Tag <strong>und</strong> die St<strong>und</strong>e<br />

des Überfalls exakt festzustellen.<br />

Freilich waren der NATO die militärischen<br />

Aktivitäten der UdSSR <strong>und</strong> ihrer<br />

Verbündeten an den Grenzen zur<br />

ČSSR nicht verborgen geblieben. Spätestens<br />

seit Ende Juli bestand in der mi-<br />

litärischen NATO-Führung kein Zweifel<br />

mehr an der Absicht des Warschauer<br />

Paktes, in der ČSSR militärisch aktiv zu<br />

werden. Doch weder der Militärausschuss<br />

noch der Ständige Rat der<br />

NATO hielten es für notwendig, vorausschauend<br />

eine besondere Spannungs-<br />

<strong>und</strong> Alarmbereitschaft anzuordnen,<br />

obwohl der Oberbefehlshaber<br />

Europa (SACEUR), General Lyman L.<br />

Lemnitzer, zu einer verstärkten militärischen<br />

Wachsamkeit riet. Im NATO-<br />

Hauptquartier (SHAPE) bei Mons, 40<br />

km südlich von Brüssel, war man sich<br />

offenbar ziemlich sicher, dass dem<br />

Westen seitens der sowjetischen Truppen<br />

<strong>und</strong> ihrer Verbündeten keine Gefahr<br />

drohte. Eine inoffizielle Nachricht<br />

der Russen, dass der Aufmarsch im<br />

Ostblock auf keinen Fall gegen den<br />

Westen gerichtet sei, soll angeblich in<br />

den westlichen Führungskreisen der<br />

Hauptgr<strong>und</strong> für diese Ruhe <strong>und</strong> Gelassenheit<br />

gewesen sein.<br />

Es war ein Spiel mit dem Feuer. <strong>Die</strong><br />

regionalen Befehlshaber <strong>und</strong> Kommandeure<br />

wurden am 21./ 2<strong>2.</strong> August<br />

1968 ohne jegliche »Vorwarnung« seitens<br />

der NATO mit der sowjetischen<br />

Militäraktion gegen die ČSSR konfrontiert.<br />

In dieser Situation befahl der<br />

5 Besatzung eines sowjetischen Panzers in Prag inmitten einer aufgebrachten Menschenmenge,<br />

26. August 1968.<br />

ullstein bild<br />

Oberbefehlshaber der CENTAG (Central<br />

Army Group), General James<br />

H. Polk, eigenverantwortlich sofort<br />

erste Alarmmaßnahmen für seine<br />

Truppen. Ebenso schnell <strong>und</strong> konzentriert<br />

handelte der Kommandierende<br />

General des II. Korps der B<strong>und</strong>eswehr,<br />

Generalleutnant Karl Wilhelm Thilo.<br />

Er traf umgehend in seinem grenznahen<br />

Verantwortungsbereich einige vorsorgliche<br />

Anordnungen zur Erhöhung<br />

der Einsatzbereitschaft der Truppe.<br />

»Ich meinerseits hatte meinem G 4<br />

[Logistik, Nachschub] bereits befohlen,<br />

die Munitionsbestände des Korps zu<br />

überprüfen <strong>und</strong> einige vorgezogene<br />

Vorratslager mit Munition <strong>und</strong> Treibstoff<br />

einzurichten. Auch einen vorgeschobenen<br />

Korpsgefechtsstand ließ ich<br />

erk<strong>und</strong>en«, so erinnerte sich Thilo später.<br />

<strong>Die</strong>ses verantwortungsvolle Handeln<br />

stieß in Bonn aber nur auf wenig<br />

Verständnis. Hier beharrte man auf äußerste<br />

militärische Zurückhaltung. Seitens<br />

des B<strong>und</strong>esministeriums der Verteidigung<br />

wurden jedoch zumindest<br />

die Wochenendurlaube der Soldaten<br />

ausgesetzt.<br />

Als erste militärische Reaktion der<br />

NATO auf den Einmarsch war nur die<br />

Luftwarnstufe »Gelb« für die Luftverteidigungskräfte<br />

der Kommandobereiche<br />

»Zentraleuropa« <strong>und</strong> »Ostseeausgänge«<br />

ausgelöst worden. Ab den<br />

Mittagsst<strong>und</strong>en des 21. August <strong>und</strong> in<br />

den folgenden Tagen liefen in den<br />

NATO-Landstreitkräften jedoch offizielle<br />

Teilmaßnahmen zu den Stufen<br />

»Militärische Wachsamkeit« <strong>und</strong> »Einfacher<br />

Alarm« an, die unter anderem<br />

ein kurzfristiges Verlegen von Truppen<br />

in Konzentrierungs- bzw. Handlungsräume<br />

möglich machen sollten. <strong>Die</strong><br />

Aufklärung <strong>und</strong> die Beobachtung an<br />

den Grenzen zu Lande, zur See <strong>und</strong> in<br />

der Luft wurden wesentlich verstärkt.<br />

Ende August kam es jedoch bereits zu<br />

Lockerungen im militärischen Bereitschaftssystem.<br />

<strong>Die</strong> Lage in der Tschechoslowakei<br />

hatte sich – zumindest für<br />

die Militärs im Westen – entspannt.<br />

Rüdiger Wenzke<br />

Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />

31


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Das große<br />

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Das bei der Deutschen Verlags-Anstalt erscheinende Reihenwerk<br />

»Das Deutsche Reich <strong>und</strong> der Zweite <strong>Weltkrieg</strong>«<br />

gilt als das wissenscha� liche Flaggschiff des Militärgeschichtlichen<br />

Forschungsamtes (MGFA) <strong>und</strong> zählt zu den<br />

größten <strong>und</strong> ambitioniertesten Projekten der modernen<br />

deutschen Wissenscha� sgeschichte. In zehn Bänden (mit<br />

Teilbänden in dreizehn Büchern) haben über fünfzig Autoren<br />

zu einer umfassenden Geschichte des Zweiten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />

beigetragen.<br />

»Eines der größten Unternehmen der modernen<br />

Geschichts wissenscha� «<br />

Johannes Hürter, Frankfurter Allgemeine Zeitung<br />

»Eine überaus eindrucksvolle Gesamtleistung, von<br />

der Öff entlichkeit <strong>und</strong> Forschung fortab profi tieren<br />

werden«<br />

Hans-Ulrich Wehler, <strong>Die</strong> Zeit

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