Die Balkankriege 1912/13 Erster Weltkrieg: Die 2. und 3. OHL ...
Die Balkankriege 1912/13 Erster Weltkrieg: Die 2. und 3. OHL ...
Die Balkankriege 1912/13 Erster Weltkrieg: Die 2. und 3. OHL ...
- TAGS
- balkankriege
- www.mgfa.de
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> <strong>1912</strong>/<strong>13</strong><br />
5 <strong>Erster</strong> Balkankrieg: Montenegrinische Soldaten in Skutari (Shkoder) überwachen<br />
die Rückkehr vertriebener Einwohner in die Innenstadt, März 19<strong>13</strong>.<br />
Carl Pauli im Herbst <strong>1912</strong> in der mazedonischen<br />
Hauptstadt Üsküb, dem<br />
heutigen Skopje, von dessen 47 000<br />
Einwohnern 30 000 Muslime waren.<br />
Pauli berichtete:<br />
»<strong>Die</strong> Einheimischen suchten so rasch<br />
als möglich die Stadt zu verlassen, die<br />
Christen in ihrer Furcht vor einem [türkischen]<br />
Gemetzel, die Türken in ihrer<br />
Angst vor einem Bombardement der<br />
Stadt [...] Auf allen Seiten drängten die<br />
Massen heran <strong>und</strong> strömten gegen den<br />
Bahnhof [...] Alle die H<strong>und</strong>erte leer liegenden<br />
Lastwagen waren besetzt; zu<br />
H<strong>und</strong>erten hockten Weiber <strong>und</strong> Kinder<br />
in einem Wagen, <strong>und</strong> auch auf den<br />
Wagendächern hockten die kläglichen<br />
Gestalten der armen türkischen Frauen<br />
mit ihren weinenden Kindern <strong>und</strong> mit<br />
dem in Todesangst zusammengerafften<br />
Bündel. Und der kalte Regen rieselte<br />
mitleidlos über dem unsäglichen<br />
Jammer [...] Menschenknäuel, Flüchtlinge,<br />
die nur das eine riefen, baten<br />
<strong>und</strong> bettelten, mussten <strong>und</strong> kannten:<br />
Fort, Flucht, Hilfe! [...] Alles planlos,<br />
verwirrt, ohne Kopf <strong>und</strong> ohne Sinn. Es<br />
war die Todesfurcht, die Angst vor etwas<br />
nie erlebtem, die alle Menschen<br />
gleichmäßig gepackt hatte, <strong>und</strong> da gab<br />
es kein Halten mehr.«<br />
Zur selben Zeit herrschte in der von<br />
den Bulgaren bedrohten osmanischen<br />
Hauptstadt Konstantinopel das Gerücht,<br />
die Muslime wollten dort aus<br />
Rache alle »Fremden« ermorden. Zugleich<br />
ging eine andere »alte Prophe-<br />
8 Militärgeschichte · Zeitschrift für historische Bildung · Ausgabe 2/2008<br />
zeiung« unter Muslimen um: Es werde<br />
eine Zeit kommen, in der die alte kleinasiatische<br />
Hauptstadt Brussa, wo die<br />
Grabstätten der ersten Sultane liegen,<br />
wieder zur Hauptstadt der Türkei<br />
werde. Das türkische Volk werde dann<br />
in Anatolien einen eigenen Nationalstaat<br />
errichten, der ausschließlich ihm<br />
gehöre <strong>und</strong> keine fremden Rassen<br />
mehr als Mitbesitzer dulden werde. In<br />
diesem erträumten <strong>und</strong> schon bald von<br />
Atatürk (mit der Hauptstadt Ankara<br />
statt Brussa) realisierten anatolisch-türkischen<br />
Kernstaat war für christliche<br />
Minderheiten kaum noch Platz.<br />
<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> von <strong>1912</strong>/<strong>13</strong> führten<br />
nicht nur zu massenhaften Vertreibungen,<br />
sie erzeugten auch die ersten<br />
bilateralen Abkommen über »Bevölkerungsaustausch«.<br />
Das erste war der<br />
19<strong>13</strong> in Konstantinopel geschlossene<br />
Friedensvertrag zwischen dem Osmanischen<br />
Reich <strong>und</strong> Bulgarien. Es handelte<br />
sich um einen Frieden zwischen<br />
zwei geschwächten, hintereinander besiegten<br />
Staaten, <strong>und</strong> gerade diese beiderseitige<br />
Erschöpfung ermöglichte<br />
die Vereinbarung eines wechselseitigen<br />
»Bevölkerungstransfers«. <strong>Die</strong>se<br />
Vereinbarung war allerdings auf eine<br />
nur »15 km lange Zone entlang der gemeinsamen<br />
Grenze« beschränkt <strong>und</strong><br />
blieb hypothetisch, da die betroffenen<br />
48 000 Bulgaren <strong>und</strong> 49 000 Türken bereits<br />
während des Krieges »emigriert«<br />
waren. Beiden Regierungen ging es daher<br />
primär darum, die ethnischen<br />
ullstein bild<br />
»Säuberungen« völkerrechtlich zu bestätigen<br />
<strong>und</strong> die zurückgelassenen Vermögenswerte<br />
miteinander zu verrechnen.<br />
<strong>Die</strong> wenig später herbeigeführte griechisch-osmanische<br />
Ȇbereinkunft zu<br />
einem Bevölkerungsaustausch« vom<br />
Frühsommer 1914 hatte andere Hintergründe,<br />
denn Griechenland gehörte zu<br />
den Siegerstaaten der <strong>Balkankriege</strong>.<br />
Gerade deshalb wollte das in Konstantinopel<br />
regierende »jungtürkische« Regime<br />
die an der kleinasiatischen Küste<br />
siedelnden r<strong>und</strong> eine Million Griechen<br />
nicht mehr dulden. Seit Anfang 1914<br />
wurden 150 000 Griechen zur Flucht<br />
nach Griechenland getrieben, weitere<br />
50 000 nach Zentralanatolien deportiert.<br />
Dadurch sah sich die griechische<br />
Regierung gezwungen, dem osmanischen<br />
Vorschlag zuzustimmen, die<br />
hellenische Bevölkerung Thrakiens<br />
<strong>und</strong> Westanatoliens (die Region um<br />
Smyrna) gegen muslimische Einwohner<br />
Makedoniens <strong>und</strong> des Epiros auszutauschen.<br />
Infolge des Ersten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />
wurden die vertraglichen Regelungen<br />
nicht mehr ratifiziert.<br />
Der Unterschied zur osmanisch-bulgarischen<br />
Konvention lag bei dieser osmanisch-griechischen»Absichtserklärung«<br />
darin, dass sie eine wesentlich<br />
größere Zahl von Menschen (über eine<br />
Million) innerhalb eines viel größeren<br />
Raumes hätte betreffen sollen. Der<br />
griechisch-türkische »Bevölkerungsaustausch«<br />
von Lausanne 1923, der einen<br />
weiteren Krieg beendete, griff<br />
dann bekanntlich noch sehr viel weiter<br />
aus. Dabei wurde der Lausanner Frieden<br />
während des Zweiten <strong>Weltkrieg</strong>es<br />
für einige der gegen Hitler-Deutschland<br />
kämpfenden Alliierten – namentlich<br />
für die Polen <strong>und</strong> Tschechoslowaken,<br />
aber auch für die Briten <strong>und</strong> US-<br />
Amerikaner – zu einem wesentlichen<br />
Vorbild für die geplante <strong>und</strong> ab 1944/45<br />
in die Tat umgesetzte Vertreibung <strong>und</strong><br />
Zwangsaussiedlung von zwölf bis<br />
fünfzehn Millionen Deutschen aus den<br />
»Ostgebieten» des Deutschen Reiches.<br />
Vorspiel für den Ersten <strong>Weltkrieg</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Balkankriege</strong> von <strong>1912</strong>/<strong>13</strong> verschärften<br />
weitere Konflikte. Der damals<br />
als verfolgter Kommunist aus<br />
dem Zarenreich emigrierte <strong>und</strong> als Balkan-Korrespondent<br />
tätige spätere so-