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Download der Saphir - Freie Waldorfschule Bergisch Gladbach

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mit dem Menschen<br />

und so? Die Schüler<br />

wissen jetzt auch, dass<br />

mir we<strong>der</strong> die Anthroposophie<br />

noch die Eurythmie<br />

in die Wiege<br />

gelegt wurden. Denn<br />

als ich nach dem Abitur<br />

– auf einem ganz<br />

gewöhnlichen mathematisch-naturwissenschaftlichenGymnasium<br />

– zum ersten Mal<br />

»Eurythmie live« auf<br />

einer Bühne sah, dachte<br />

ich: Entwe<strong>der</strong> sind<br />

die alle naturstoned<br />

o<strong>der</strong> Scotty hat mich<br />

ins falsche Jahrhun<strong>der</strong>t<br />

gebeamt ... Als ich<br />

mich dann, knapp zwei<br />

ziemlich chaotische Jahrsiebte später, auf exakt <strong>der</strong>selben<br />

Bühne als Eurythmiestudent wie<strong>der</strong>fand, lächelte<br />

er nicht nur, er feixte geradezu: Der Weltenhumor<br />

hatte mir gezeigt, was – wie man in meiner<br />

Geburtsstadt Berlin sagt – 'ne Harke ist ;-)<br />

Und was weiß ich von den Schülern, nach dieser<br />

ersten, vorsichtigen Kontaktaufnahme? Von den<br />

meisten noch nicht einmal die Namen, das wird<br />

noch ein Weilchen dauern ... Aber dass sie sehr offen<br />

mit mir sind. Dass etliche ganz früher, im Kin<strong>der</strong>garten<br />

und den ersten Klassen, eigentlich (!) ganz<br />

gerne Eurythmie gemacht haben. Dass es aber dann,<br />

so in <strong>der</strong> Mittelstufe, an<strong>der</strong>s wurde. Nicht bei allen,<br />

aber bei vielen. Und dass es dann – „zum Glück“ –<br />

keine Eurythmie mehr gab. Auch wenn’s da immer<br />

so „lustig“ zuging ... Während ich zuhöre, fallen mir<br />

die Einträge von ehemaligen Waldorfschülern in<br />

Internet-Gästebüchern und Newsgroups ein, die ich<br />

in meinen drei Jahren als Eurythmielehrer an <strong>der</strong><br />

Bonner <strong>Waldorfschule</strong> oft gelesen habe: Bissige,<br />

manchmal böse Bemerkungen gibt es da, und wie<strong>der</strong><br />

und wie<strong>der</strong> habe ich mich gefragt, wieso dieses<br />

Fach einen so schweren Stand hat. Oft sind es ganz<br />

banale Dinge: Dass die Lehrer selbst nicht erklären<br />

konnten, wozu das gut sein soll. Dass man es auch<br />

nicht erlebte. Dass von Heiligkeit, Ehrfurcht und<br />

göttlichen Wesen die Rede war, aber im gleichen<br />

Atemzug Schüler schikaniert, moralisch entwertet,<br />

lächerlich gemacht wurden. Dass Mathe, Englisch<br />

und Informatik in unserer Welt doch viel wichtiger<br />

seien, als einen Anapäst richtig laufen o<strong>der</strong> das Halleluja<br />

machen zu können ...<br />

8<br />

Wir sitzen noch immer, haben uns nicht bewegt,<br />

aber ich merke, dass ich ziemlich schwitze. Ein gutes<br />

Zeichen. Langsam erreiche ich meine Betriebstemperatur.<br />

Ich habe Lust, ein bisschen frech zu werden:<br />

Aus meinem Rucksack ziehe ich einen Band mit Vorträgen<br />

vom lieben Onkel Doktor (Und ich habe ihn,<br />

wenn man das als Nachgeborener so sagen darf,<br />

WIRKLICH lieb!). Ich lese ein paar Sätze aus <strong>der</strong><br />

»Sendung Michaels« vor: »Seit jener Zeit aber« –<br />

Steiner meint hier die griechische Kulturepoche –<br />

»darf <strong>der</strong> Mensch den Luxus sich nicht mehr gönnen,<br />

etwa bloß das Schöne zu kultivieren. Das würde<br />

Flucht aus <strong>der</strong> Wirklichkeit sein. Er muss sich kühn<br />

und tapfer gegenüberstellen dem realen Kampfe<br />

zwischen Schönem und Hässlichem. Er muss die Dissonanzen<br />

im Kampfesspiel mit den Konsonanzen in<br />

<strong>der</strong> Welt empfinden können, mitfühlen, miterleben<br />

können.« – Ich sehe nachdenkliche Gesichter, aufmerksam<br />

wird jedes meiner Worte geprüft, vor allem<br />

<strong>der</strong> Gestus, mit dem sie »rüberkommen«. In einer<br />

<strong>der</strong> kommenden Stunden – aber das weiß ich jetzt<br />

noch nicht – werden sich unter diesem Aspekt ein<br />

Kriegsgedicht von Albert Ehrenstein, ein Menschheitsgedicht<br />

von Christian Morgenstern und ein<br />

Song von einem zu einer ebenso überraschenden<br />

wie selbsterklärenden Synthese verbinden. Und ohne<br />

ein Wort des Wi<strong>der</strong>spruchs und wun<strong>der</strong>schön werden<br />

diese Schüler und ich in dieser Stunde gemeinsam<br />

das Halleluja machen. So muss sich Kolumbus<br />

gefühlt haben, als er vom Ausguck rufen hörte:<br />

„Land in Sicht!“: plötzlich, unerwartet, ganz real und<br />

wahr ist sie da – die Brise, die bis in den Himmel<br />

<strong>Saphir</strong> 2003/2004

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