Kostengünstiger und soziokultureller - Neues Gera
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Freitag, 2. März 2012<br />
Bewegt man sich in der Bilderwelt<br />
von Wolfgang<br />
Schwarzentrub, kann einem<br />
schwindlig werden. Jedes Gemälde,<br />
jede Collage <strong>und</strong> jedes Objekte<br />
schreit förmlich: Sieh mich an!<br />
Man kann dann auch nicht anders.<br />
Die Farben, Formen <strong>und</strong> sich<br />
überlagernden Ebenen verlangen<br />
die volle Aufmerksamkeit. Hier<br />
ist kein willkürlicher Pinsel am<br />
Werk, sondern ein waches Auge<br />
mit Röntgenblick.<br />
Dabei will Wolfgang Schwarzentrub,<br />
geboren in <strong>Gera</strong><br />
1954, aufgewachsen im damals<br />
noch ländlichen Kaimberg, anfangs<br />
so gar nichts von Kunst wissen.<br />
Stattdessen widmet er all seine<br />
Zeit dem Schachspiel <strong>und</strong> fährt<br />
von Meisterschaft zu Meisterschaft.<br />
Dadurch kommt er während<br />
der 60er <strong>und</strong> 70er Jahre in<br />
den Genuss, alle möglichen Städte<br />
zu besuchen. Die Entscheidung,<br />
eine Lehre als Werkzeugmacher in<br />
Ronneburg anzutreten, hatte auch<br />
noch nichts mit künstlerischen<br />
Ambitionen zu tun. Schach bestimmte<br />
weiterhin sein Leben.<br />
Doch mit einem Mal wuchs das<br />
Interesse am Zeichnen, der Weg<br />
zum Zeichenzirkel im Club der Jugend<br />
<strong>und</strong> Sportler war dann nicht<br />
weit. „Das war sehr produktiv. Wir<br />
haben viel im Freien gezeichnet<br />
<strong>und</strong> uns in allen künstlerischen<br />
Techniken ausprobiert“, erinnert<br />
sich der <strong>Gera</strong>er. Dort sei auch der<br />
Gr<strong>und</strong>stock für Fre<strong>und</strong>schaften<br />
mit anderen <strong>Gera</strong>er Künstlern gelegt<br />
worden.<br />
Die Malerei wurde ihm immer<br />
wichtiger - <strong>und</strong> so bewarb<br />
sich Schwarzentrub 1975 in<br />
der Förderklasse für Malerei <strong>und</strong><br />
Grafik des Bezirkes <strong>Gera</strong> <strong>und</strong> besuchte<br />
fortan einmal im Monat<br />
die anspruchsvollen Kunstkurse<br />
in Rudolstadt. „Neben Aktzeichnen<br />
bei Kurt Hanf haben wir damals<br />
die Gr<strong>und</strong>lagen der Malerei<br />
gelernt. Da ging es um Form,<br />
Farbe <strong>und</strong> Komposition. Und die<br />
Lehrer geizten nicht mit ihren<br />
Hinweisen <strong>und</strong> mehr oder weniger<br />
strengen Bewertungen“, sagt<br />
er. Auf Wunsch der Kursteilnehmer<br />
wechselte später die Kursleitung,<br />
die Gruppe teilte sich in eine<br />
Klasse Grafik bei Elke Hopfe <strong>und</strong><br />
eine Klasse Malerei bei der <strong>Gera</strong>er<br />
Künstlerin Barbara Toch, in der<br />
Schwarzentrub seine spätere Lebenspartnerin<br />
fand.<br />
Die Zeit ab 1980 brachte<br />
eine persönliche Wende:<br />
Schwarzentrub beendete die Arbeit<br />
als Werkzeugmacher <strong>und</strong> studierte<br />
Museologie in Leipzig, mit<br />
der Ausrichtung auf den Fachbereich<br />
Kunstmuseen. „Das Studium<br />
sehe ich als einen für mich wirklich<br />
wichtigen Lebensabschnitt,<br />
denn durch diese Vertiefung habe<br />
ich ein umfassendes Verständnis<br />
von Kunst <strong>und</strong> Kunstgeschichte<br />
entwickeln können“, schätzt er die<br />
Bedeutung dieser Erfahrungen.<br />
Im Jahr 1986 kann er schließlich<br />
sein Diplom in Händen halten<br />
<strong>und</strong> entscheidet sich endgültig für<br />
die Kunst, nimmt dafür sogar Abschied<br />
vom geliebten Schachspiel.<br />
Der Eintritt in den Verband Bildender<br />
Künstler ist ein logischer<br />
Schritt. Über die anschließende<br />
<strong>Neues</strong> <strong>Gera</strong><br />
Mehr als nur Dix - Die Künstler unserer Stadt<br />
Wolfgang Schwarzentrub<br />
Wolfgang Schwarzentrub gibt allen seinen Bildern Titel, als „kleine Gehhilfe“ für den Betrachter.<br />
Untenstehende Arbeit von 2011 nennt er „Gladiatorenland I“ (Mischtechnik).<br />
Foto: Björn Rank<br />
Arbeit im <strong>Gera</strong>er Büro für architekturbezogene<br />
Kunst kommt er<br />
1989 an die Kunstsammlung <strong>Gera</strong>,<br />
wo er noch heute arbeitet.<br />
Die 90er sind voller Ideen, der<br />
spannenden Zusammenarbeit<br />
mit Künstlerfre<strong>und</strong>en <strong>und</strong><br />
dem Ausprobieren <strong>und</strong> Umsetzen<br />
unterschiedlichster Kunst- <strong>und</strong><br />
Ausstellungsprojekte. Im Rahmen<br />
der Produzentengalerie KUNST<br />
RAUM GERA wirkt Schwarzentrub<br />
an der Gründung der Künstlergruppe<br />
„schistko jedno“ mit.<br />
Das gemeinsame Bedürfnis, neuen<br />
Bestrebungen der Kulturlandschaft<br />
Raum zu geben, lässt eine<br />
alternative Kulturszene entstehen.<br />
„Mit dem Klaushaus, dem Kollektivtheater<br />
<strong>und</strong> unserer Galerie<br />
sind damals w<strong>und</strong>erbar kreative<br />
Sachen aus dem Boden gewachsen.<br />
Alternative Filmprojekte,<br />
Lesungen, Auktionen <strong>und</strong> Ausstellungen<br />
waren an der Tagesordnung.“<br />
Auch die eigene künstlerische<br />
Standortbestimmung war<br />
vielgestaltig. Wolfgang Schwarzentrub<br />
arrangierte Collagen aus<br />
F<strong>und</strong>stücken, Reisemitbringseln<br />
<strong>und</strong> authentischen Objekten, die<br />
in Rahmen <strong>und</strong> Kästen angeordnet<br />
wurden. Im Zuge dieser Arbeit<br />
entwickelte er konsequent die Idee<br />
seiner sogenannten „Kastinate“<br />
- kleinen hölzernen Kästchen,<br />
deren Inhalt der Betrachter nur<br />
durch kleine Gucklöcher erahnen<br />
konnte. Ein Beipackzettel lieferte<br />
zudem nützliche Hinweise zum<br />
Gebrauch des Mini-Kunstwerkes.<br />
Neugier wecken durch Vorfreude<br />
war hier der Plan, der aufging.<br />
Verbissen nach einem Thema<br />
zu suchen, das er dann abarbeiten<br />
kann, ist nicht die Sache<br />
Schwarzentrubs. Im Gegenteil,<br />
indem er Situationen <strong>und</strong> Anlässe<br />
auf sich zukommen lässt,<br />
nutzt er die Freiheit, einzelne Aspekte<br />
aufzugreifen, aus denen sich<br />
schließlich seine Bilder <strong>und</strong> plastischen<br />
Objekte entwickeln. In<br />
Skizzenheften, die künstlerischen<br />
Tagebüchern gleichen, hält er die<br />
Eindrücke von Orten <strong>und</strong> Landschaften,<br />
von Begegnungen <strong>und</strong><br />
Stimmungen fest. Diese Aufzeichnungen<br />
sind für den Künstler unerlässlich.<br />
„In ihnen finde ich die<br />
Details <strong>und</strong> Erinnerungen von<br />
Erlebnissen <strong>und</strong> Begebenheiten,<br />
die ich interessant <strong>und</strong> künstlerisch<br />
verwertbar finde. Indem ich<br />
meine Bücher ‚lese‘, hole ich mir<br />
die Situationen <strong>und</strong> meinen emotionalen<br />
Zustand ins Gedächtnis<br />
zurück“, beschreibt er seine Herangehensweise.<br />
Seine Bilder sind<br />
dann Ausdruck ganz persönlicher<br />
Reflexion <strong>und</strong> wirken gerade dadurch<br />
authentisch.<br />
Sich künstlerisch auszudrücken<br />
ist für Wolfgang<br />
Schwarzentrub ein Bedürfnis, es<br />
ist überlebensnotwendig. „Es vergeht<br />
kaum eine Woche, in der ich<br />
nicht produktiv bin. Es kommt<br />
zwar nicht immer etwas dabei<br />
heraus, aber auch mit diesem Verwerfen<br />
muss man als Künstler zurechtkommen.<br />
Im Gr<strong>und</strong>e geht es<br />
ja vor allem darum, sich für sich<br />
selbst mit der Welt auseinander<br />
zu setzen. Und dann will man<br />
den Betrachter auf diese Sicht der<br />
Dinge aufmerksam machen, seine<br />
Neugier wecken.“<br />
Manchmal habe er eine ganz<br />
konkrete Vorstellung von<br />
einem Bild, zumindest was die<br />
Farbigkeit oder den Aufbau betrifft.<br />
Immer aber könne sich das<br />
Begonnene noch zu etwas ganz<br />
anderem entwickeln. Zuvor aufgetragene<br />
Schichten werden durch<br />
neue überlagert. Seine Arbeit ist<br />
so auch ein nie enden wollendes<br />
Auf- <strong>und</strong> Verdecken. Schwarzentrub<br />
tritt in Dialog mit seiner<br />
Seite 7<br />
Arbeit <strong>und</strong> begreift Kunst als etwas<br />
Prozesshaftes, das man zulassen<br />
muss. „Kunst ist für mich<br />
eine Reise, bei der man nie genau<br />
weiß, wohin sie geht.“ Intuitiv entscheidet<br />
er, an welchem Punkt<br />
er aufhören sollte, wann das Bild<br />
fertig ist. „Dabei bin ich mir lange<br />
unsicher, ob dieser Punkt bereits<br />
erreicht ist. Dann rahme ich mir<br />
das Blatt oft ein <strong>und</strong> hänge es an<br />
die Wand, um eine Betrachter-<br />
Perspektive zu bekommen. Oder<br />
ich muss ganz auf Distanz gehen<br />
<strong>und</strong> lege es erst einmal einige Tage<br />
beiseite.“ So kann es schon einmal<br />
passieren, dass später noch Farbschichten<br />
aufgetragen werden, die<br />
das Bild maßgeblich verändern.<br />
„Ich lasse mich gern von meinen<br />
eigenen Arbeiten überraschen“,<br />
beweist Schwarzentrub seine unverkrampfte<br />
<strong>und</strong> neugierige Annäherung.<br />
Schichtweise nähert er<br />
sich dabei seinem Ziel <strong>und</strong> nutzt<br />
die Spannung, die aus Verdecken<br />
<strong>und</strong> Enthüllen entsteht. Einmal<br />
gesetzte Elemente können unter<br />
kräftigen Pinselstrichen verschwinden<br />
oder scheinen unter<br />
zarten Farben noch soweit hervor,<br />
dass man sie gerade noch wahrnimmt.<br />
Überlagerungen erzeugt<br />
Schwarzentrub mit Kohle, Kreide,<br />
Acryl oder Pigment, aber auch mit<br />
Papierfetzen, kleinen Objekten<br />
<strong>und</strong> Naturmaterialien. Buchstaben,<br />
Schriften <strong>und</strong> Symbole setzt<br />
er als grafisches Mittel ein. Zwar<br />
arbeitet er auf der Fläche, trotzdem<br />
entsteht ein räumlicher Eindruck,<br />
da intensiver Farbauftrag<br />
<strong>und</strong> Überlagerungen nicht selten<br />
ins Dreidimensionale wachsen.<br />
Zu einer Idee entstehen so<br />
oft mehrere Blätter, bis die<br />
Richtung klar wird. „Dabei finden<br />
die Gr<strong>und</strong>gesetze der Kunst, wie<br />
Spannung, Farbigkeit <strong>und</strong> Raum<br />
ihre Anwendung“, sagt der Künstler<br />
<strong>und</strong> betont nochmals seine<br />
Zielvorgabe: „Ich versuche etwas<br />
individuell Gefühltes auszudrücken.<br />
Im besten Fall gelingt es mir,<br />
beim Betrachter ebenso Gefühle<br />
zu wecken.“<br />
Christine Schimmel<br />
In einer unserer nächsten Ausgaben erinnern wir in dieser Reihe<br />
an den <strong>Gera</strong>er Künstler Christian Lüttich.