reformiertes gemeindeblatt juli/august 2011 - ref. Kirche Thun
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DasThema<br />
Die Zehn Gebote: topaktuell oder total antiquiert?<br />
Du sollst nicht töten<br />
Ehrfurcht<br />
vor dem Leben<br />
Neulich, als ich den Dienst<br />
der Armeeseelsorge neu eingerückten<br />
Rekruten vorzustellte,<br />
da sagte einer: «Jetzt bin ich<br />
Soldat und lerne das Kriegshandwerk.<br />
Wie bringe ich<br />
das mit dem Gebot: ‹Du sollst<br />
nicht töten› zusammen?»<br />
«Im Ernstfall würde ich davonlaufen»,<br />
sagte einer.<br />
Ein anderer meinte: «Wenn wir angegriffen würden,<br />
ich würde keine Sekunde zögern, mich mit allen Mitteln<br />
zu verteidigen.»<br />
«Was denken Sie?», fragte einer mich.<br />
Das ist die Herausforderung, die uns die Zehn Gebote<br />
stellen. Wir sind immer wieder gefordert, uns selbst<br />
dazu zu verhalten. Natürlich kann mit Distanz über<br />
das Gebot nachgedacht werden, letztlich aber sind<br />
wir als Einzelne gefragt.<br />
«Du sollst nicht töten.» Was bedeutet das in meinem<br />
Leben? Was ist der Handlungsspielraum, gibt es<br />
einen? Ich esse einen Apfel – töte ich damit Leben<br />
und übertrete das Gebot? Ich spaziere durch den<br />
Wald und zertrete dabei eine Ameise – übertrete ich<br />
damit das Gebot? Ich esse Fleisch, dafür musste ein<br />
Tier geschlachtet werden – übertrete ich damit das<br />
Gebot? Ich denke schlecht über einen Mitmenschen –<br />
übertrete ich damit das Gebot?<br />
Wer über die Welt und sich selber nachdenkt, merkt,<br />
dass alles, was ihn umgibt, Pflanzen, Tiere, Mitmenschen,<br />
genau gleich am Leben hängt wie er<br />
selber. Wer das begriffen hat, muss oder will ihnen<br />
allen in Liebe begegnen. Das ist das dem Menschen<br />
schöpfungsgemäss angemessene richtige Verhalten.<br />
Bei Albert Schweitzer führte diese Einsicht zum Begriff<br />
«Ehrfurcht vor dem Leben». Ich selbst bin Leben,<br />
das leben will, inmitten von Leben, das Leben will. Leben<br />
erhalten, Leben fördern ist geboten. Damit wird<br />
deutlich, dass das Gebot «Du sollst nicht töten»<br />
weite Kreise zieht hinein in unser ganzes Leben,<br />
in unser Verhältnis zu unseren Mitmenschen, ebenso<br />
zu Tieren und Pflanzen.<br />
Es ist mir ferne unserer Leserschaft zu sagen,<br />
wie das Gebot im Alltag umgesetzt werden muss.<br />
Aber eines will ich doch: darauf hinweisen, dass wir<br />
nicht darum herum kommen, uns immer wieder<br />
von Neuem in fast allen Lebensbereichen mit der<br />
Forderung dieses Gebotes auseinanderzusetzen.<br />
Als Beispiele seien folgende Themenfelder genannt:<br />
Kernenergie; Tierschutzverordnung; pränatale<br />
Diagnostik und Abtreibung; Waffenexport; häusliche<br />
Gewalt; Artenschutz ...<br />
Stefan Junger, Pfr.<br />
2<br />
Haben Sie ES<br />
auch schon getan?<br />
Ich gestehe Ihnen, ich habe<br />
ES getan. Lieber umschreibe ich<br />
dieses Verb mit ES, denn das<br />
besagte Wort tönt hart und<br />
barbarisch. Dennoch finden wir<br />
ES in jedem Wörterbuch und ES<br />
gehört in unseren Sprachschatz.<br />
Ein paar freie Tage locken mich<br />
in die Berge und ich freue mich,<br />
mich in der Ferienwohnung<br />
für eine Weile einzurichten. Mit Gepäck beladen trete<br />
ich ein, stelle aber sofort fest, dass sich bereits andere<br />
«Gäste» eingenistet haben. Grosse schwarze Klammerameisen<br />
drängen sich um den Wasserhahnen in<br />
der Küche, ein unruhiges Gekrabbel auch im und um<br />
das Spülbecken. Ich musste mich entscheiden. Entweder<br />
lasse ich diese geschäftigen Kreaturen weiterarbeiten,<br />
benutze dafür während den nächsten<br />
Stunden oder Tagen die Küche nicht oder ich schaffe<br />
irgendwie Abhilfe. Wer will schon Gift im Bereich von<br />
Lebensmitteln einsetzen? Gibt es etwas Natürliches –<br />
ein Hausmittel? Es ist niemand da, der mir darüber<br />
Auskunft geben könnte. Also greife ich zum Staubsauger,<br />
stecke das Rohr ein und sauge die Klammerameisen<br />
in den Staubbeutel. Wohl ist mir nicht dabei!<br />
Am Abend im Bett stelle ich mir die Frage, ob die<br />
Tierchen den Ausgang bereits gefunden haben, denn<br />
ich habe keine Vorkehrungen dagegen getroffen.<br />
Nur nicht hingehen und nachschauen, es reicht auch,<br />
wenn ich die allfällige Überraschung erst am nächsten<br />
Morgen entdecke.<br />
Die <strong>Kirche</strong>nglocken läuten, es ist Sonntag. Gespannt<br />
bewege ich mich Richtung Staubsauger, es regt sich<br />
nichts (mehr). Aber ich traue meinen Augen nicht,<br />
am Wasserhahnen in der Küche erblicke ich schwarze<br />
Klammerameisen! Sind es diejenigen von Samstag<br />
oder hat bereits eine neue Brigade den Platz übernommen?<br />
Ich wollte ES nicht noch einmal tun, habe<br />
Wasser für Kaffee in einen Krug gegossen und mich<br />
nicht mehr stören lassen. Beim Frühstück studierte<br />
ich noch ein wenig über ES und war erleichtert,<br />
keinen eigenen Garten mit Salat, Gemüse und zarten<br />
Blumensetzlingen zu besitzen ...<br />
Übrigens: Ich habe noch eine Fliegenklatsche in<br />
meinem Hausrat gefunden.<br />
Christine Vogel<br />
Pflugscharen<br />
und Rebmesser<br />
Du sollst nicht töten», das<br />
fünfte Gebot aus der Bibel der<br />
Christen ist klipp und klar.<br />
Du sollst nicht töten, Punkt.<br />
Im Tanach, einem Teil der<br />
hebräischen Bibel, findet man<br />
unter den zehn Worten (Zehn<br />
Gebote) mit «du sollst nicht<br />
morden», ebenfalls klare<br />
Worte. Diese vermitteln das<br />
Gefühl, dass die beiden Religionen doch nicht so weit<br />
voneinander entfernt sein könnten, wie allgemein<br />
angenommen wird. Das Zitat aus dem Talmud:<br />
«Wenn sich ein Nichtjude mit der Thora befasst,<br />
so verdient er den Tod», lässt diese Hoffnung jedoch<br />
sofort wieder schwinden.<br />
Beim Internet-Lesen einiger Suren aus dem Koran,<br />
der heiligen Schrift des Islam, verliert man als sogenannter<br />
Nichtgläubiger rasch den Überblick. Einerseits<br />
ist die Rede vom Leben als höchstes Gut, andererseits<br />
sind die Worte «... dann tötet sie, oder... so tötet<br />
sie» immer wieder präsent. Verstehen kann man in<br />
der komplexen Vielfalt des Geschriebenen im Talmud<br />
und im Koran nur, dass in den beiden Schriften<br />
das Töten von Menschen je nach Sachlage erlaubt,<br />
gar gefordert und zudem unterschiedlich behandelt<br />
und geahndet wird.<br />
Im Matthäus-Evangelium lesen wir in Kapitel zehn,<br />
insbesondere im Vers 34 ebenfalls Erstaunliches über<br />
die Worte Jesu zum Töten: »meinet nyd öppe, i sigi<br />
cho, für e Friden uf d Ärde z bringe. I bi nid cho, für<br />
Fride z bringe, nei, ds Schwärt!» Spätestens nach<br />
dieser Lektüre verliert man entweder den Überblick<br />
oder man beginnt, sich Fragen zu stellen. Fragen zu<br />
den schriftlichen Grundlagen der drei Religionen und<br />
zu den möglichen Zusammenhängen der Texte. Das<br />
unaufhörliche Töten von Menschen auf der ganzen<br />
Welt erscheint plötzlich in einer neuen, unsagbar<br />
grossen Dimension. Töten ist also nicht einfach töten.<br />
Nach den Schriften kommt es darauf an, wer wen,<br />
wann, wie und weswegen tötet. Bei derart vielen<br />
Möglichkeiten der Auslegung ist es kaum noch verwunderlich,<br />
wenn weiter getötet wird. Je nach Auslegung<br />
der jeweils eigenen heiligen Schrift des Vollziehers<br />
ist das Leben des anderen wertlos und kann<br />
deshalb ohne Skrupel ausgelöscht werden. Nach<br />
dieser Erkenntnis ist es kaum noch verwunderlich,<br />
dass das Töten von Andersgläubigen hüben und<br />
drüben weitergeht. Zurück bleibt die Hoffnung auf die<br />
Erfüllung der Prophezeiung des Jesaja zum<br />
kommenden Friedensreich, Jesaja 2, 1–5. «... und sie<br />
werden die Schwerter zu Pflugscharen machen…<br />
... kein Volk wird wider das andere das Schwert<br />
erheben und sie werden den Krieg nicht mehr<br />
lernen…»<br />
Debora Stulz